Patricia St. John
Die silberne Straße
Impressum
Originaltitel: »Three Go Searching«
Erschienen bei: Moody Publishers, 820 N. LaSalle Blvd., Chicago, IL 60610, USA
© 1966 by the Moody Bible Institute of Chicago
Deutsch von Mien Snitselaar
© 1985 der deutschsprachigen Ausgabe / by Verlag Bibellesebund, Marienheide
12. Auflage 2009
© 2019 der E-Book-Ausgabe
Bibellesebund Verlag, Marienheide
https://shop.bibellesebund.de/
Autor: Patricia St. John
Coverillustration: Oliver Popp.
Covergestaltung: Georg Design, Münster
ISBN 978-3-95568-326-9
Hinweise des Verlags
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch teilweise - nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
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Inhalt
Titel
Impressum
»Wie Sterne am nächtlichen Himmel«
Das geheimnisvolle Boot
»Sie gehören mir«
Die erste Spur
Der Weg nach Hause
Als die Sonne unterging
Eine silberne Bahn auf dem Meer
Das überraschende Treffen
Ein Lichtblick für Lela
Waffi wird nachdenklich
Verborgene Frucht
Die Schatten verschwinden
Als die Sonne aufging
»Wie Sterne am nächtlichen Himmel«
Es war Schlafenszeit. Peter und David saßen in ihren Schlafanzügen auf dem großen Bett, während ihr Vater ihnen wie jeden Abend etwas vorlas. Aber heute war es anders als sonst, weil es der letzte Abend mit Peter war. Morgen würde er ins Internat fliegen, ganz allein mit dem Flugzeug. Und am anderen Ende der Reise würde ihn seine Großmutter erwarten. David wusste nicht recht, wie seinem Bruder jetzt zumute war.
Natürlich hatte Peter damit geprahlt, dass es ihm großartig ginge. Und als die Schuluniform angekommen war, war David grün geworden vor Neid. Aber jetzt saß Peter aufrecht und sehr still mit gekreuzten Beinen auf dem Bett. Sein schmales Gesicht war erhitzt, und seine hellen Haare standen wie Stacheln vom Kopf ab, denn er kam gerade aus der Dusche. Die Hände hatte er fest ineinander verschlungen und die Augen etwas traurig auf den Vater gerichtet. Auch den Vater schien es sehr zu beschäftigen, dass Peter sie verlassen sollte.
»Ich gebe dir vier Minuten Zeit, diesen Vers auswendig zu lernen«, sagte er und gab Peter die Bibel. »Ich möchte, dass du ihn nicht vergisst, wenn du fort bist.«
David mochte es nicht, wenn man ihn überging. Er steckte seinen Kopf unter Peters Ellbogen durch wie ein kleiner Ziegenbock und versuchte, den Vers auch zu lernen. Die Worte waren ziemlich lang und schwierig, aber der Vater hatte vorher erklärt, was sie bedeuteten. Es waren die Worte aus Philipper 2,14 und 15. »Tut, was Gott gefällt, ohne Wenn und Aber! Dann seid ihr rein und fehlerlos und erweist euch als Gottes vollkommene Kinder mitten unter verirrten und verdorbenen Menschen. Unter ihnen werdet ihr leuchten wie die Sterne am nächtlichen Himmel.«
Genau vier Minuten war es völlig still. Peters Lippen bewegten sich noch lautlos, als David einen lauten Seufzer ausstieß und sich unruhig zu bewegen begann. Er wünschte, es ginge schneller, denn sie wollten noch ein Abschiedsfest feiern. Die Mutter und Ruth waren schon so weit; er konnte sie im Nebenzimmer flüstern hören. Endlich gab Peter das Buch zurück und wiederholte den Vers fehlerlos, denn er war schon zehn Jahre alt. David sprach den Teil mit, den er konnte. Er war erst acht, es würde noch ein paar Monate dauern, bis er neun Jahre alt wurde.
Einige Minuten später waren sie fertig und konnten zu Mutter und Ruth ins Wohnzimmer gehen. Sie setzten sich alle auf einen Teppich um einen kleinen Tisch herum, der knapp zwanzig Zentimeter hoch war. Es wurde ein herrliches Fest mit gesalzenen Erdnüssen, Gebäck, Orangensaft und Kartoffelchips – alles Dinge, die Peter besonders gern mochte. Und weil er zu Weihnachten nicht bei ihnen sein würde, zündeten sie eine Kerze an und schalteten das Licht aus. An diesem Abend waren sie alle geborgen im gemütlichen Kreis des Kerzenlichts. Die Kinder waren so fröhlich wie immer. Keines von ihnen ahnte, dass die Eltern, die auch fröhlich schienen, in ihren Herzen dachten: ›Dies ist das letzte Mal, dass wir so als ganze Familie zusammen sind. Wenn wir Peter wiedersehen, wird er so vieles über die Welt außerhalb des Kerzenlichts gelernt haben. Vielleicht wird er sich dann zu erwachsen vorkommen, um noch an einem kleinen Fest im Schlafanzug Freude zu haben.‹
Schließlich kam das Ende, denn Ruths Lockenkopf wurde schwer, und die Kerze war heruntergebrannt. Sie wuschen sich die klebrigen Finger, putzten sich die Zähne und krochen ins Bett. Die Mutter kniete lange neben Peter und sprach mit leiser Flüsterstimme mit ihm. David, der eilig ins Bett gesteckt und geküsst worden war, lag still da und dachte darüber nach, ob er fröhlich oder traurig sein würde, wenn seine Abschiedsstunde im nächsten Jahr käme.
Am Morgen waren alle in Eile. Sie mussten um halb neun am Flughafen sein, und der lag weit draußen vor der Stadt. Der Vater, der Arzt war, verabschiedete sich, als sie noch am Frühstückstisch saßen, denn er musste ins Krankenhaus hinauf. So fuhren David, Ruth und Peter mit der Mutter allein zum Flugplatz. Alle waren auf dem Vordersitz zusammengedrängt, weil niemand weit weg auf dem Rücksitz sein wollte. Lumpi, der kleine schwarze Hund, wollte auch mit. Aber weil er die Vorschriften am Flughafen nicht kannte, ließ man ihn besser zu Hause.
Es war sehr heiß auf dem Platz, auf dem sie warten mussten. Das Flugzeug stand schon bereit. Ein schöner silberner Vogel mit blauen Propellern. An jedem anderen Tag wären alle begeistert gewesen, aber heute schienen die Minuten davonzufliegen; man konnte sie nicht aufhalten.
Das Schrecklichste für David war, dass Peter plötzlich so klein aussah. In seiner gewöhnlichen Kleidung, den Shorts und dem Sporthemd, hatte er wie ein großer, starker Junge ausgesehen, mit kräftigen, geschmeidigen Muskeln. Aber in seiner neuen grauen Hose, der schwarzroten Klubjacke, die absichtlich ein bisschen zu groß gekauft worden war, und mit der Schülermütze, die bis zu den Augen hinunterreichte, sah er aus wie ein Zwerg. David konnte es nicht fassen, dass sein Bruder so klein schien in seinen reichlich bemessenen neuen Kleidern. Er überlegte schon, wie er wohl aussehen würde nächstes Jahr.
Die Stimme im Lautsprecher forderte die Passagiere auf, im Flugzeug Platz zu nehmen. Peter, ziemlich bleich, warf die Arme um Mutters Hals und drückte sich einen Augenblick ganz fest an sie. Dann küsste er Ruth auf die Wange, gab David die Hand und lief dann hinter den anderen Passagieren her. Mappe und Pass hielt er fest umklammert. Er hatte keine Hand frei, um die Tränen abzuwischen, die über sein Gesicht liefen. Er wurde kleiner und kleiner, bis er im silbernen Leib des Flugzeugs verschwand. Kurz darauf erschien er an einem Fenster und winkte. Er hatte sich brennend einen Fensterplatz gewünscht. Er hatte wohl auch sein Taschentuch gefunden, und so fühlte er sich ohne Zweifel etwas besser. Ein paar Minuten später fingen sich die Propeller an zu drehen. Die große Maschine bewegte sich majestätisch die Startbahn entlang, wendete, hielt an, kam aufheulend zurück und erhob sich ins Blaue. David wusste, dass Peter jetzt nicht weinen, sondern die Tragflächen und Propeller beobachten würde. Sicher hatte er in diesem Augenblick alles und alle vergessen.
Aber unten auf dem heißen Boden war es einsam und leer. Mutters Augen waren voller Tränen, und David fühlte einen sonderbaren Schmerz in der Brust. Nur die rundliche kleine Ruth war unbeschwert, sie vergnügte sich auf ihre Weise und hüpfte auf einer Gepäckwaage auf und ab.
Sie gingen zum Wagen zurück und fuhren schweigend durch die heiße, ausgedörrte Landschaft, die keine Spuren von Grün zeigte: nichts als Erde voller Risse unter dem sengenden Blau. David dachte: ›Mir ist egal, ob ich mit einer Düsenmaschine oder einem Kometen reisen kann! Ich will nicht allein so weit weggehen und Mama ein Jahr lang nicht sehen. Warum müssen wir bloß in einem fremden Land leben? Warum können wir nicht alle nach England zurückkehren und Peter zu Weihnachten wiedersehen?‹
Er konnte plötzlich nicht begreifen, warum sie nicht alle schon lange auf diese tolle, einfache Idee gekommen waren. Es schien so selbstverständlich. Er dachte den ganzen Heimweg daran, während er den Kopf aus dem Fenster streckte, denn der Wind tat seinem gebräunten Gesicht gut. Es bedrückte ihn nicht, dass die Mutter kein Wort sagte; er wusste, dass ihre Gedanken hoch oben im blauen Himmel irgendwo über dem Meer waren. Auch Ruth machte sich nichts daraus. Sie war auf den Rücksitz geklettert und hüpfte dort herum. Sie sang ein Liedchen, das weder Melodie noch Rhythmus hatte, nur ein paar fröhliche Worte.
Sie fuhren durch das große Doppeltor, das auf das Gelände des Krankenhauses führte, und dann hinunter zu ihrem Haus. Drinnen war es kühl und schattig. Sie setzten sich in die Küche und aßen eine Kleinigkeit, um über die traurige Stimmung hinwegzukommen. Als sie alle mit Milch und Gebäck versorgt waren, stützte David plötzlich die Ellbogen auf den Tisch und sagte: »Mama, ich will nicht von dir fort in ein anderes Land. Ach, wäre Papa doch ein Arzt in England, dann müssten wir nicht ins Internat. Es war so schön in England im Heimaturlaub! Erinnerst du dich nicht mehr, Mama? Dort könnten wir immer alle zusammen sein. Bitte Papa doch darum!«
Davids Mutter antwortete lange nicht. Sie legte ihr Kinn auf die braunen Locken von Ruth, die sich an die Mutter geschmiegt hatte.
»Das geht nicht, David«, sagte sie schließlich. »Schau, wir sind hierher geschickt worden, wie ein Botschafter von einem Staat in ein anderes Land gesandt wird. Ein Missionar ist jemand, der gesandt ist.«
»Gesandt? Wozu?«, fragte David.
»Um den Menschen, die das nicht wissen, zu erzählen, dass Gott sie liebt und dass Jesus starb, um sie zu retten. Und um ihnen zu zeigen, wie man jeden Tag mit Jesus Christus lebt, wie man betet und das tut, was Gott gefällt. Jesus starb für alle Menschen, aber nicht alle wissen das. Wir müssen es ihnen erzählen und ihnen den Weg zeigen.«
»Könnt ihr das nicht in England tun?«, fragte David. »O Mama, bitte doch Gott, dass er euch nach England schickt. Ich möchte niemals so weit weg sein von euch.«
»Aber es gibt viele, viele Kirchen und Christen in England«, erklärte seine Mutter, »und jeder Mensch, der Jesus Christus kennenlernen will, kann eine Bibel kaufen und sie lesen. Wenn alle Missionare in England bleiben würden, wäre es so, als stünden viele brennende Kerzen in einer Ecke eines großen, dunklen Hauses, und das ganze übrige Haus wäre stockfinster. Aber je dunkler ein Ort ist, umso nötiger braucht er Licht. Und wenn es für uns auch schrecklich ist, dass ihr uns verlassen müsst, so sind dein Vater und ich doch froh, dass wir an einen so dunklen Platz gesandt worden sind. Hier draußen gibt es Hunderte von Städten und Dörfern, wo die Leute nicht lesen können und nie etwas von Jesus, dem Erlöser, gehört haben. Darum arbeiten der Vater und die Krankenschwestern so hart. Wenn es hier kein Krankenhaus gäbe, würden die Leute nicht kommen. Und wenn sie nicht kämen, würden sie niemals etwas von Jesus hören.«
»Eine Menge brennender Kerzen in der Dunkelheit«, wiederholte David lebhaft. »Das ist so wie Peters Vers gestern Abend. Kennst du ihn, Mama? ›Ihr werdet unter den Menschen leuchten wie die Sterne am nächtlichen Himmel.‹ Vater hat es uns gestern erklärt, mir und Peter. Mama, können auch Kinder Missionare sein?«
»Sicher«, antwortete sie. »Ein Missionar möchte anderen Menschen durch sein Beispiel zeigen, wie ein Leben aussehen kann, in dem Jesus Christus die Hauptrolle spielt. Manchmal sprechen die Taten viel lauter als viele kluge Worte. Es ist sehr wichtig, zu tun, was Gott gefällt und richtig ist.«
Da hörten sie ein Geräusch im Flur. Ein kleines, braunes Gesicht mit dunklen Augen und schwarzem, krausem Haar spähte um die Tür. Es war Waffi, ein Kind aus der Nachbarschaft. David schaute ihn mit neuen Augen an. Bis jetzt hatten alle Kinder aus der Umgebung immer zusammen gespielt. Peter war ihr Anführer gewesen. Jetzt wurde David klar, dass er auf eigenen Füßen stehen und seine Spielgefährten selbst finden musste. Denn wenn er Ruth auch sehr mochte, zählte sie doch nicht, weil sie zu klein war. Es gab keinen zweiten Anführer wie Peter. Aber vielleicht könnten er und Waffi doch miteinander Spaß haben. Waffi war aufgeweckt und abenteuerlustig und ungefähr so alt wie er, so weit man das wissen konnte.
Schwarze Augen und blaue Augen starrten sich vorsichtig prüfend an. Dann wandte sich David an seine Mutter: »Darf ich mit Waffi gehen?«, fragte er. »Dürfen wir am Strand spielen?«
Die Mutter blickte zum sandigen Strand hinunter, der die kleine Bucht am Fuß eines grasbewachsenen Abhangs umgab. »Ja«, antwortete sie, »dort, wo ich dich sehen kann. Eine Viertelstunde vor dem Essen werde ich mit der Glocke läuten. Nimm Lumpi mit!«
Es machte Spaß, den Pfad, der zur Bucht führte, hinunterzurutschen. David in seinen Sandalen war nicht so geschickt wie der barfüßige Waffi. Lumpi bellte erleichtert. Er hatte gespürt, dass mit der Familie etwas nicht in Ordnung war. Sie waren einfach weggegangen und hatten ihn angebunden zurückgelassen! Er hatte gerochen ,dass sie alle bedrückt waren. Und außerdem: Wo war Peter? Aber am Strand herumzutollen, war lustig, und alles schien wieder in Ordnung zu sein. Lumpi machte einen Luftsprung und schnappte nach einem Schmetterling.
Der Strand unterhalb des Hauses war ein einladender Ort. Das Wasser war warm und seicht, und träge Wellen überspülten die heißen Steine. Es war ein einsamer, verlassener Winkel; kaum jemand anders kam hierher als hin und wieder ein Fischer. Denn der eigentliche Badestrand mit dem feinen Sand, der sich kilometerweit hinstreckte, lag auf der anderen Seite der Landzunge. Dort badeten Hunderte von Leuten. Aber kleinen Jungen, denen die Kieselsteine nichts ausmachten, gefiel es hier besser. Es gab Felsen, die weit ins Wasser hineinragten, aufregende kleine Buchten und dunkle Höhlen, von denen die Erwachsenen nichts wussten. Davids Vater kam an seinen freien Tagen manchmal mit hinunter. Er, Peter und David waren schon mit Taucherbrillen ausgerüstet hinausgeschwommen, um nach Muscheln auf den Felsen unter Wasser zu suchen. Muscheln schmeckten herrlich, wenn sie in Salzwasser gekocht, mit kleinen Spießen herausgeholt, mit Essig beträufelt und mit Brot und Butter gegessen wurden.
»Komm mit zum Ende des Felsens«, sagte Waffi, »dann klettern wir auf die andere Seite hinüber. Die Flut ist vorbei, da können wir in der kleinen Bucht da hinten fast stehen.«
David warf seine Sandalen ab und ließ Lumpi zurück, damit er sie bewachte. Der Hund mochte nicht in den Felsen herumklettern. Wenn ihn eine Welle ansprang, musste er zurückweichen, das hatte er inzwischen herausgefunden. Wenn er die Welle nämlich im Gegenangriff anspringen wollte, fiel er nur ins Wasser, und das war nicht so lustig. Aber David und Waffi, die kletterten gern. Mit Fingern und Zehen arbeiteten sie sich die Felsbänder entlang, an denen die Seeanemonen hingen und das Wasser gurgelnd durch die Spalten drang. Es war ein stiller Tag; kein Mensch war zu sehen.
David liebte diesen Felsen. Am Ende teilte er sich und bildete eine kleine Bucht, in der man bei Flut schwimmen und bei Ebbe herumplanschen konnte. Der Boden der Bucht war zerklüftet, das machte die Wellen ziemlich rau. Er hatte niemals Fischer hier draußen gesehen. Er glaubte, es wäre ganz allein seine Bucht, weil er sie entdeckt hatte. Als besondere Gunst hatte er sie Peter und Waffi gezeigt. Wenn er an den schlüpfrigen Wänden entlangkletterte, verlor sein Fuß manchmal den Halt und er fiel ins Meer. Aber das machte ihm gar nichts aus, denn David konnte schwimmen wie ein Fisch.
Er hatte die Stelle erreicht, wo der Felsen sich teilte. Er schaute in die Bucht hinunter und stieß vor ärgerlicher Überraschung einen kurzen, scharfen Ruf aus.
Ein eiserner Ring war in den Felsen hineingetrieben worden, und ein kleines Boot lag angekettet zwischen den Steinen.
Das geheimnisvolle Boot
»Seeräuber!«, sagte David.
»Schmuggler!«, sagte Waffi, der besser Bescheid wusste.
Beide Jungen lagen lange schweigend über dem felsigen Einschnitt und schauten hinunter auf das kleine Boot. David sehnte sich nach Peter. Der wäre zwar genauso verblüfft gewesen wie er. Aber er hätte gleich gewusst, wie sie es anstellen mussten, um das größtmögliche Abenteuer aus der Sache herauszuholen. Waffi hatte nicht viel Fantasie, und David war eher furchtsam. Er blickte zum Haus hinauf und hoffte, dass seine Mutter ihn vom Fenster aus beobachtete.
»Ich glaube, es ist Essenszeit«, sagte er, »ich denke, wir müssen nach Hause gehen. Wahrscheinlich ist es nur ein Fischerboot.«
Waffi schüttelte den Kopf. »Schmuggelei!«, sagte er mit Nachdruck. »Das machen sie die ganze Zeit. Mein Vater fährt einen Lastwagen. Die Polizei hält alle auf der Landstraße an. Vor ein paar Tagen haben sie einen Mann erwischt mit einer Ladung Heu. Sie zogen es auseinander und fanden Flinten darin, die er an die Grenze bringen sollte. Wir wollen das kleine Boot beobachten. Aber sag niemandem etwas davon, hörst du?«
Wie Krabben krochen sie auf allen vieren über den Felsgrat zurück und ließen sich auf den Strand fallen, um auszuruhen. Die heiße Septembersonne brannte herunter, aber der Wind war angenehm, und es gab allerhand zu beobachten. Rechts von ihnen konnten sie Das geheimnisvolle Boot die Hafenmauer jenseits der Landzunge sehen, und ein großes amerikanisches Kriegsschiff lag in der Bucht vor Anker. Weit drüben hob sich der Leuchtturm deutlich gegen das Blau des Himmels ab. Sie vergruben ihre Beine im Sand. Dann versuchten sie, flache Steine über die Wasseroberfläche hüpfen zu lassen, bis sie die Glocke hörten, die zum Abendessen rief.
»Du brauchst keine Viertelstunde, bis du oben bist«, sagte Waffi.