Von Ahorn bis Zypresse
Sie raunen, flüstern, ächzen und singen: Auf der ganzen Welt sind Bäume von unzähligen Sagen, Märchen und Legenden umwoben. Bäume gelten als Wohnorte von Gottheiten, sind Gesundheitsspender und Gerichtsstätte. Manchen Mythen zufolge sind sogar die ersten Menschen aus ihnen entstanden.
Margareta Fuchs erzählt vom trostspendenden Schutz der Trauerweide oder wie ein Mädchen durch eine Quitte zum Liebesschwur überlistet wird und weshalb die Lärche ein wunderbar zartgrünes Nadelkleid trägt.
Sagen und Legenden
von stummen Riesen
Umschlagmotiv: Kiefern am Pinatzbühel bei Elvas über Brixen
Foto: Martin Ruepp, www.martinruepp.com
Bäume
Glaube mir, ich habe es erfahren,
du wirst mehr in Wäldern finden als in Büchern.
Bäume und Steine werden dich lehren,
was du von keinem Schulmeister hörst …
Bernhard von Clairvaux (1090–1153), Brief an Heinrich Murdach (Brief 106),
Ausschnitt
Einleitung
Ahorn (Acer)
Akazie (Acacia)
Apfel (Malus domestica)
Bambus (Bambusoideae)
Birke (Betula)
Birne (Pyrus communis)
Buche (Fagus sylvatica)
Buchs (Buxus sempervirens)
Dattelpalme (Phoenix dactylifera)
Edelkastanie (Castanea sativa)
Eibe (Taxus baccata)
Eiche (Quercus)
Erdbeerbaum (Arbutus unedo) (→ siehe Weißdorn)
Erle (Alnus)
Esche (Fraxinus excelsior)
Espe (Populus tremula) (→ siehe Pappel)
Feige (Ficus carica)
Fichte (Picea abies)
Flieder (Syringa vulgaris)
Föhre/Kiefer (Pinus)
Goldregen (Laburnum)
Granatapfel (Punica granatum)
Hasel (Corylus avellana)
Holunder (Sambucus nigra)
Judasbaum (Cercis siliquastrum)
Kaki (Diospyros kaki)
Kirsche (Prunus avium)
Kornelkirsche (Cornus mas)
Kreuzdorn (Rhamnus)
Lärche (Larix)
Linde (Tilia)
Lorbeer (Laurus nobilis)
Mandel (Prunus dulcis)
Maulbeere (Morus)
Mimose (Mimosa pudica) (→ siehe Mandel)
Myrte (Myrtus communis)
Ölbaum (Olea europaea)
Orange (Citrus sinensis)
Pappel (Populus)
Pfirsich (Prunus persica)
Pflaume (Prunus domestica)
Platane (Platanus)
Quitte (Cydonia oblonga)
Sadebaum (Juniperus sabina)
Schlehdorn (Prunus spinosa)
Schneeball (Viburnum lantana)
Speierling (Sorbus domestica)
Stechpalme (Ilex aquifolium)
Tanne (Abies alba)
Traubenkirsche (Prunus padus)
Trauerweide (Salix babylonica)
Ulme (Ulmus)
Vogelbeere (Sorbus aucuparia)
Wacholder (Juniperus communis)
Walnuss (Juglans regia)
Weide (Salix)
Weißdorn (Crataegus)
Zeder (Cedrus)
Zirbe (Pinus cembra)
Zypresse (Cupressus sempervirens)
Vor langer Zeit, als es auf der Erde noch keine Menschen gab, stand er, der Baum, bereits da, als Mittelpunkt der Welt. Seine Wurzeln reichten hinab in die unendliche Tiefe der Unterwelt, und seine Krone berührte die ewige Weite des Himmels. Göttinnen und Götter erwählten ihn sich als Wohnung …
Mit solchen und ähnlichen Worten wird in vielen alten Mythen ein göttlicher ‚Ur-Baum‘ beschrieben, welcher als Weltenachse Himmel, Erde und Unterwelt miteinander verbindet.
Zahlreiche antike Abbildungen eines Lebensbaums bestätigen diese tiefgründigen Glaubensvorstellungen früherer Völker, denen er als unerschöpflicher Spender von Leben und Fruchtbarkeit galt.
Die facettenreiche Verehrung der Bäume hielt über Tausende von Jahren an, und das ist nicht weiter verwunderlich, waren doch das menschliche Leben und Überleben tief mit ihnen verbunden: Mit dem Holz des Baumes baute der Mensch sich Behausungen und schürte das Feuer, dessen Früchte und Blätter gaben ihm Nahrung; der Baum spendete Medizin bei Krankheit und Verletzung, und er war Bindeglied zur Anderswelt: Über ihn gelangten der Priester und die Schamanin in über- oder unterirdische Sphären, um mit der Gottheit in Kontakt zu treten; ja, der Baum selbst war Göttin, und aus dem Lispeln der Blätter verstand der Mensch ihre Botschaft.
Wie tief verwurzelt dieser Glaube war, lässt sich auch aus dem immensen Reichtum an antiken Baum- und Waldsagen vieler Völker erkennen. Sie erzählen auf berührende Weise von Baumgöttinnen und Waldgottheiten, von Baumnymphen und -dämonen, von Wilden Männern und Waldfrauen, von der Verwandlung eines Menschen in einen Baum und umgekehrt; in manchen Mythologien sind die ersten Menschen aus Bäumen entstanden.
Auch als der ‚neue‘ Glaube, das Christentum, an die Stelle früherer Religionen trat, hielten viele Menschen noch lange zäh an den alten Bräuchen, wie der Verehrung von Steinen, Quellen und Bäumen, fest. Seltsame Wesen, gute und weniger gute, würden zudem im Baum leben, vor allem unter der Baumrinde, und sie seien im Besitz besonderer Kräfte, so war man überzeugt. „Schäl keinen Baum, reiß nicht aus einen fruchtbaren Baum!“, lautete deshalb die ermahnende Volksstimme.
Die kultische Verehrung von Bäumen dauerte auch in Tirol nach der christlichen Glaubensübernahme noch über viele Jahrhunderte an, denn unsere Ahnen ließen sich nicht so leicht von ihren alten Ansichten abbringen. Uralte, über lange Zeit vom Volk verehrte Bäume mussten deshalb schlussendlich weichen. So fiel beispielsweise eine heilige doppelspitzige Lärche in der Nähe von Nauders im Obervinschgau im Jahr 1855 der Axt zum Opfer. Der Respekt vor diesem Baum war vorher so groß gewesen, dass in seiner Nähe weder geflucht, geschrien noch gestritten werden durfte. Wer es wagte, den Baum zu fällen, dem würde ein schlimmes Unglück widerfahren, hatte es stets geheißen. Auch neben dem Silvesterkirchlein im Silvestertal bei Toblach stand früher eine uralte, riesige Lärche: An ihren Ästen befestigte das Volk hölzerne, wächserne und aus Lehm gebildete Figuren von Mensch, Rind und Pferd. Doch dann ließ der Pfarrer den weitum als ‚Heiliglarch‘ bekannten Baum von fremden Holzknechten fällen, zum Unmut des Volkes. Die Hirten und Bauern der Umgebung aber verrichteten noch lange Zeit ihre Andacht am übrig gebliebenen Baumstock, ohne die nahestehende Kirche besonders zu würdigen, so sagt die Überlieferung.
Um die Menschen dauerhaft von der weitverbreiteten Baumverehrung abzubringen, entschieden die höchsten christlichen Würdenträger des ersten Jahrtausends, die Bäume christlichen Heiligen zuzuweisen. Anstelle von alten Baumgöttinnen und Nymphen erschien nun vor allem die Gottesmutter Maria auf wundersame Weise den Menschen in einem Baum: In Maria Waldrast in Nordtirol erwuchs z. B. das Bildnis Mariens aus einer Lärche, in Landeck aus einer Fichte; die berühmte Kornmutter von Ehrenburg wurde im Ahrntal in einer Esche gefunden; im bayerischen Sielenbach fand man ein Marienbild in einem hohlen Birnbaum; in St. Georgenberg in Nordtirol wird Maria als ‚Unsere Liebe Frau unter der Linde‘ verehrt; die Auffindungslegende zum europaweit bekannten Marienwallfahrtsort Maria Luschari/Lussari in Tarvis schildert, dass Schafe vor einem Wacholderstrauch, in welchem sich eine Muttergottesstatue befand, wie im Gebet gekniet seien; Ähnliches wird über den Wallfahrtsort Maria Lavant in Osttirol erzählt.
Bäume galten aber nicht nur seit antiker Zeit als heilig, sondern in all ihren Teilen auch als heilend – sowohl ihre Blätter, Nadeln und Blüten als auch Frucht, Rinde und Wurzel. Auch um den Baum als Ganzes rankte sich ein Kranz von wundersamen Vorstellungen. Aus den Bäumen kämen die Kinder, hieß es vielerorts. In der Meraner Gegend würden die Neugeborenen demnach aus den Bäumen auf der Mut geholt, im Gebiet von Bruneck aus einer großen, hohlen Esche; in Ehrwald in Reutte warteten die Kinder in einer Buche, andernorts in einer Pappel; dieselbe Überzeugung gelte für einen uralten, am Weg zwischen Atzwang und Klobenstein am Ritten stehenden Maulbeerbaum; und in der vorhin genannten heiligen Lärche bei Nauders würden sich die kleinen Knaben aufhalten.
Gegen verschiedene Krankheiten helfe es, durch die gezwieselten Äste eines Baums durchzukriechen oder ein Kind durchzuschieben, davon war man in vielen Gegenden noch vor 150 Jahren felsenfest überzeugt. Man streife dadurch die Krankheit sozusagen am Baum ab bzw. übergebe sie an ihn weiter. Bestimmten Bäumen wurde früher eine ähnliche Heil- und Schutzwirkung zugeschrieben wie später den aus Holz geschnitzten christlichen Gottes- und Heiligenstatuen. Wenn ein Kind früher das erste Mal auf die Zerzeralpe bei Burgeis im Vinschgau hinaufging, musste es bei einem Baumstrunk – ‚Dunderbam‘ (Donnerbaum) genannt – zwei Splitter wegbeißen, dadurch wäre es oben auf der Alm vor Blitz und Donner geschützt. Heilende Kräfte wurden auch den Holzsplittern und Rindenstückchen einer heiligen Eibe in Rankweil in Vorarlberg zuerkannt.
Umgekehrt könne auch der Mensch durch bestimmte magische Handlungen auf die Bäume Einfluss nehmen, z. B. ihre Fruchtbarkeit fördern, glaubte man. Derlei Rituale wurden in Tirol und darüber hinaus bis ins 19. Jahrhundert an Obstbäumen durchgeführt, wie das ‚Baumwecken‘ und ‚Kettenschmieren‘ (Schlagen des Baumes mit einem Stock oder einer Kette) in der Heiligen Nacht, am letzten Faschingstag oder am Karsamstag. Dadurch würde der Obstbaum im darauffolgenden Jahr mehr Früchte tragen. In Raas, einem kleinen Dorf bei Brixen, riefen die Buben dabei: „Wach auf! Junges Leben fürs Jahr mag Gott dir geben!“
Mittlerweile ist diese einstige magische Naturverbundenheit größtenteils verloren gegangen. Die meisten Menschen der heutigen technisierten Zeit können den tieferen Sinn der religiösen Ursprungsgeschichten nicht mehr begreifen. Die alten Glaubensvorstellungen unserer Vorfahren rund um die Bäume werden als abergläubisches Denken abgetan, und die frühere Ansicht, dass das Leben von Mensch, Tier und Pflanze wesensgleich sei, wird als lächerlich erachtet.
Wie andere Wesen der Natur hat der Mensch in den letzten 80 bis 100 Jahren auch die Bäume zu recht- und seelenlosen Objekten gemacht: Wir züchten auf unsicheren Füßen stehende Obstbäume wie kleine Soldaten in Reihe und Glied und packen sie in Plastikfolien ein; wir baggern Schneisen in unberührte Wälder, bauen Forststraßen dort, wo sie gerade für den Holztransport gebraucht werden; wir fällen zum Himmel strebende Bäume in den Städten – aus Sicherheitsgründen, wie es immer heißt.
Was aber würden die Bäume uns wohl sagen, wenn sie sprechen oder rufen könnten? Wer weiß, ob stumme Baumriesen und leise blühende Blumen nicht doch eine Art von Seele in sich tragen?
In der Welt der Sagen flüstern, lispeln und seufzen Bäume, und sie teilen sich dem Menschen mit. So manche Tiroler Sage erzählt, wie es dazu gekommen ist, dass die Pflanzen nicht mehr sprechen können. Es sei das Konzil von Trient (16. Jh.) gewesen, das allen nichtmenschlichen Wesen, auch den Bäumen, die Sprache genommen habe, so wie es auch jegliche Zauberei, Magie und Wahrsagerei strengstens verboten hat.
Die Sage gesteht den Bäumen und vielen anderen Pflanzen eine Seele zu, und so erfahren wir von ungeahnten Begebenheiten aus deren Welt: Bäume vergießen Tränen, wenn sie traurig sind, und sie sind erleichtert, wenn sie erlöst oder verwandelt werden. Sie freuen sich mit dem Menschen, empfinden Mitleid mit ihm und helfen ihm aus Not und Elend.
Die Sage – sowohl die antike aus fremden Ländern als auch jene aus Tirol – erzählt uns von der Seelenverwandtschaft geheimnisvoller Wesen mit den Bäumen und Wäldern. Sie schildert, was passiert, wenn diese Verbundenheit getrennt, wenn der Baum gefällt wird.
Sooft man ein Bäumchen aus dem Stamme dreht, bis die Rinde losspringt, stirbt ein Waldweibchen, sagt der deutsche Volksglaube, und wenn ein Baum mit den Wurzeln ausgerissen wird, stirbt der Baumdämon.
Die Sage benennt in der ihr eigenen symbolhaften Ausdrucksweise auch die Zerstörung der unberührten Natur, des Habitats eines Gebietes. In der Nähe von Urgen, einem kleinen Dorf in Nordtirol, wohnten in einem unzugänglichen Wald die ‚Fanggen‘ oder ‚Fenkinnen‘, eine Art Baumnymphen. Bereits ihre Namen drückten die Verbundenheit mit den Bäumen und dem Wald aus: Sie hießen beispielsweise Rauhrinta (raue Rinde), Stutzförche (Stutzföhre) und Hochrinte (hohe Rinde). Als man durch jenen urwaldähnlichen Wald eine Straße baute und einen Teil des Waldes umhaute, verschwanden alle Fanggen, erzählt die Sage.
Umgekehrt kann sich der Mensch den Baum- und Waldwesen gegenüber aber auch gütig erweisen. Wenn der Holzfäller drei Kreuze in den Baumstumpf eines soeben gefällten Baums einhackt, können die Wilden Fräulein oder die Holzweiblein darauf rasten, und der Wilde Jäger, der sie jagt, hat keine Macht mehr über sie. Im übertragenen Sinne kann dieses Kreuzritual als magische Versiegelung des Baumstumpfes verstanden werden: Die Baumseele hat weiterhin eine Bleibe, auch wenn der Baum abgehackt wurde.
Dieses Ritual wurde bis vor wenigen Jahrzehnten in vielen Regionen Mitteleuropas praktiziert, auch in Tirol – vielleicht in einigen Gegenden immer noch –, ohne dass die Waldarbeiter den ursprünglichen Grund dafür noch kennen.
Bäume und Wälder übernehmen tagtäglich eine großartige Leistung für unseren Planeten. Gäbe es auf der Erde keine Bäume mehr, könnten wir wohl nicht lange überleben. Sie speichern und reinigen unser lebensnotwendiges Wasser, sie produzieren den unentbehrlichen Sauerstoff, und sie tragen zur Regulierung des Klimas bei. Sie filtern unsere Luft von Staubteilchen, schenken uns Nahrung und Energie und bieten vielen Tieren Schutz und Lebensraum. Als kleines Beispiel sei an dieser Stelle lediglich die Eiche genannt: Mindestens 70 verschiedene Insekten leben auf und von ihr, nicht zu reden von all den Vögeln, den Eichhörnchen, der Haselmaus, dem Wildschwein und den anderen Tieren.
Bäume haben einen ungemein beruhigenden und wohltuenden Einfluss auf uns Menschen. Ich kenne niemanden, der dies nicht selbst bei einem Spaziergang im Wald oder beim längeren Sitzen unter einem Baum erlebt; wir sollten deshalb unseren kleinen Kindern so früh wie möglich und unseren älteren Mitmenschen so lange wie möglich die Gelegenheit bieten, in der Nähe von Bäumen oder im Wald zu verweilen.
Sagen, Märchen und Legenden sind für Jung und Alt eine zauberhafte Möglichkeit, das facettenreiche Wesen der Bäume zu entdecken. Sie werden staunen, liebe Leserinnen und Leser, wie aktuell dieses alte Erzählgut auch noch in der heutigen Zeit ist, denn immer geht es um Themen von zentraler menschlicher Bedeutung: um Liebe, Krankheit und Tod, ums Werden und Vergehen, um Lust, Freude und Leid, um Verwandlung und Neubeginn – alles ist ein einziger, ewiger Kreislauf.
Ich möchte mit diesem Buch der wunderbaren Welt der Bäume und hochwachsenden Sträucher Aufmerksamkeit und Anerkennung schenken, vor allem aber an unser moralisches Bewusstsein appellieren, dass auch Bäume und andere Pflanzen Rechte haben, über die wir uns nicht so einfach hinwegsetzen können – denken wir nur an die gentechnischen Veränderungen von Pflanzen durch den Menschen.
Sie können dieses Sagenbuch aufgrund seines alphabetischen Aufbaus beliebig zur Lektüre aufschlagen. Neben vielen Sagen und Legenden aus Tirol wurden auch zahlreiche Baumgeschichten aus anderen Regionen und Ländern gesammelt; dabei handelt es sich jedoch ausschließlich um solche Bäume und baumähnliche Sträucher, welche im ehemaligen Gebiet des sogenannten Alttirol zu finden sind.
Ich wünsche Ihnen wundersame Begegnungen mit den Bäumen.
Als noch nicht Anfang der Welt war, gab es weder Himmel noch Erde, sondern nur das blaue Meer, und inmitten des Meeres einen Ahorn. Auf dem Ahorn saßen drei Tauben. Sie berieten, wie die Welt zu erschaffen sei. „Wir wollen auf den Boden des Meeres tauchen und feinkörnigen Sand holen. Den wollen wir umherstreuen, so wird die schwarze Erde entstehen, dann wollen wir goldenen Stein holen, den wollen wir umherstreuen, so wird uns der helle Himmel erstehen, die klare Sonne, der glänzende Mond und die funkelnden Sterne und die anderen kleinen Sternchen …“1
Hier handelt es sich um ein altes galizisches Weihnachtslied aus der heutigen Westukraine. Das Motiv des Weltenbaums, des Baums des Lebens inmitten des Urmeers, ist ein jahrtausendealtes Mythenmotiv; oft steht er als Weltachse im Mittelpunkt der Welt. Im vorchristlichen Glauben vieler Völker sitzen Vögel auf dem Wipfel, wie es auch im obigen Lied beschrieben wird. In diesem Fall ist es ein Ahorn, auf dem sich die Schöpfergottheiten in Gestalt von drei Vögeln aufhalten.
Der Baum mit den Vögeln ist ein uraltes Fruchtbarkeitssymbol und wird mit weiblichen Gottheiten in Verbindung gebracht, so wie auch die Tauben stets Begleittiere von Göttinnen sind. In zahlreichen jahrtausendealten Abbildungen wird der Baum des Lebens gemeinsam mit einer ‚Baumgöttin‘ dargestellt, z. B. im Iran und in Ägypten. Aber auch in unserer Region wurde, oberhalb von Trient im sogenannten Riparo del Gaban, eine kleine, aus Knochen angefertigte Göttinnenstatuette gefunden, aus deren Nabel ein Baum wächst. Dieser bedeutsame Fund geht laut Archäologen auf das fünfte vorchristliche Jahrtausend zurück.
Dem Ahorn ist laut manchen Autoren in vorchristlicher Zeit kultische Verehrung zugekommen, und noch im Mittelalter netzte man in einigen Gegenden seine Wurzeln mit Wein. Musste ein Ahorn gefällt werden, geschah dies angeblich barhaupt und unter Anruf und Gelübden.
In der neuen Pflanzensprache gilt der Ahorn als Sinnbild der Geduld, wohl aufgrund der Tatsache, dass er langsam keimt und wächst. Überreichte Zweige sollen ausdrücken, dass man bittet, sich mit Geduld in eine Sache zu schicken.2
Bei Millstatt in Oberkärnten befindet sich ein See. An seinem Ufer steht ein Baum, von dem folgende Sage geht:
Ein Mädchen, dessen Vater gestorben war, verliebte sich in einen Soldaten. Die Mutter wusste von diesem Verhältnis nichts; endlich merkte sie es und das Mädchen gestand alles. Erzürnt sprach die Mutter einen entsetzlichen Fluch über die Dirne aus: „Ich wollte“, spricht sie, „du wärest ein Ahornbaum und verdorrtest wie das Grün an seinen Ästen.“ Und siehe da, plötzlich erstarrte das Mädchen, sein Leib wurde zäh wie ein Ahorn, die Brust wurde knorrig, die Haut zur Rinde, die Hände wurden ästig und die Haare Laub. Darüber entsetzte sich die Mutter, die ihren Fluch so in Erfüllung gehen sah.
Nach einiger Zeit hörte man einen Fiedler spielen, der saß unter dem Ahornbaum. Er spielte so kräftig, dass ihm der Bogen brach. Der Fiedler nahm sein Messer, um einen Zweig als Bogen zu schnitzen. Und wie er in den Baum schnitt, troff Blut heraus. Als er das Blut sah, fiel ihm das Messer aus der Hand. Er hob es auf und schnitt wieder. Da hörte er eine Stimme, welche sprach: „Mein Blut ist versöhnt, schneide dir einen Bogen und spiele mir mit demselben ein Grablied, gehe dann vor das Bleicherhaus, und siehst du meine Mutter dort, so geige ihr ein Stücklein und sage, dass der Bogen von ihrem Kinde sei.“
Der Geiger gehorchte und ging in das Dorf vors Bleicherhaus. Die Mutter stand gerade vor dem Tore; da nahm er seinen Bogen und spielte ein Lied. Noch nie hatte sein Bogen solche Töne hervorgebracht wie diesmal. Als die Mutter das Spiel hörte, ward ihr Antlitz plötzlich blass; versöhnt und reuevoll rief sie aus: „Fürwahr, ein gefallenes Kind ist besser als gar keines!“
Noch sieht man den Baum, vertrocknet und in zwei eiserne Ringe gefasst am Ufer des Sees stehen.3
Der Ahorn ist – zumindest im Herbst, wenn er seine geflügelten Früchte trägt – von den meisten Menschen leicht zu erkennen bzw. zu benennen. Die bekanntesten europäischen Arten sind der Bergahorn sowie der Spitz- und Feldahorn. Das Holz des Erstgenannten ist ein wichtiges Holz im Möbel- und Instrumentenbau.
Der Feldahorn (Acer campestre) wird auch ‚Maßholder‘ genannt, was auf seine frühere Verwendung als Speise hinweist, denn der althochdeutsche Name des Baumes mazzaltra wird vom germanischen mat abgeleitet, was Speise bedeutet. Er war früher Speisebaum für Mensch und Tier, doch diese Eigenschaften sind heute fast völlig in Vergessenheit geraten. Seine jungen Blätter enthalten viel Vitamin C, weshalb man sie früher in manchen Gegenden in Bottichen einstampfte und gären ließ wie Sauerkraut. Bei brennenden, müden Füßen können die kühlenden Ahornblätter in Schuhe oder Socken eingelegt werden, um die Beschwerden zu lindern.
Der Spitzahorn wird wegen seines zuckerhaltigen Saftes auch ‚Deutscher Zuckerahorn‘ genannt. In vergangenen Jahrhunderten versuchte man, daraus Zucker herzustellen. Dies weist auf die Verwandtschaft mit dem in Nordamerika heimischen Zuckerahorn hin, aus dem der auch bei uns zunehmend beliebter werdende Ahornsirup, ein natürliches Süßungsmittel, gewonnen wird.
Osiris, Isis, Seth und Nephtys waren die göttlichen Kinder der Himmelsgöttin Nut und des Erdgottes Geb, der über zwei Länder herrschte. Weil Osiris klug und tüchtig war, übertrug ihm sein Vater die Herrschaft über das fruchtbare Land; seinem Sohn Seth jene übers andere Land. Aber die Völker beider Länder hatten Osiris ins Herz geschlossen, denn er hatte ihnen vieles beigebracht. Er hatte sie die Weidewirtschaft und den Anbau der Feldfrüchte gelehrt, ihnen Gesetze gegeben, die Künste nahegebracht und sie angewiesen, die Götter zu achten. Besonders aber gewährte er den Menschen ein friedliches Leben.
Dies alles erfüllte Seth mit Neid und er dachte sich einen Plan aus, wie er seinen Bruder beseitigen könne. Es gelang ihm, die zweiundsiebzig Ältesten seines Reiches sowie die Königin von Nubien von seinem niederträchtigen Vorhaben zu überzeugen. Heimlich nahm er von Osiris Maß und ließ einen prachtvollen Schrein, genau in seiner Größe, anfertigen. Dann lud er alle zu einem gemeinsamen Gastmahl ein, auch seinen Bruder. Nach dem Essen führte Seth seine Gäste zum Schrein und schlug ihnen vor, hineinzusteigen, um festzustellen, wer am besten hineinpasse. Auch Osiris legte sich hinein, und er füllte den Schrein am besten aus. Aber nun schlugen die Verschwörer den Deckel zu, versiegelten den Kasten mit flüssigem Blei und versenkten ihn im Nil. Somit war der Weg frei für Seths Herrschaft.
Als Osiris nicht nach Hause zurückkehrte, war Isis, seine Schwester und Gattin, verzweifelt. Bereits im Mutterleib hatten die beiden sich geliebt und sich gegenseitig Geborgenheit gegeben. Nun durchstreifte sie klagend und verzweifelt die beiden Länder auf der Suche nach Osiris, begleitet von ihrer Schwester Nephtys.
Unterdessen hatte die Strömung den Schrein bis nach Byblos getrieben und auf die Äste einer Akazie gespült. Diese wuchs zu einem mächtigen Baum heran und umschloss den Sarg mit Osiris vollständig.
Schon bald sprach sich die Kunde von der großen Akazie herum. Auch König Malkander und seine Frau Athenais hörten von diesem wunderschönen Baum. Sie ließen die Akazie fällen und als Pfeiler in ihrem Palast aufstellen.
Das Königspaar hatte einen kleinen Sohn, der aber litt an einer unheilbaren Krankheit.
Isis, die auf ihrer Suche nach Osiris bis nach Byblos gekommen war, heilte ihn, und als Dank gewährte ihr das Königspaar einen freien Wunsch. Isis erbat den hölzernen Akazienpfeiler und nahm ihn mit sich fort. Sie ließ ihn öffnen und fand darin den völlig unversehrten Leichnam ihres Gatten. Da versank sie in tiefe Trauer, und ihr Klagegesang wollte nicht enden.
Doch einmal, als Isis abwesend war, schlich sich Seth zum toten Bruder hin, zerstückelte die Leiche in vierzehn Teile und zerstreute sie dann über ganz Ägypten. Wieder machte sich Isis auf die Suche, und als sie die Leichenteile ihres toten Brudergatten fand, fügte sie sie mit Hilfe ihrer magischen Kräfte wieder zusammen. Dann verwandelte sie sich in einen Vogel und setzte sich auf den Phallus des liegenden Osiris. So wurde ihr Sohn Horus gezeugt und Osiris wiederbelebt. Auf Geheiß der Götterversammlung durfte er wieder als König regieren, allerdings nur in der Unterwelt, als Herrscher des Totenreiches …4
Die im obigen Ausschnitt aus dem Osiris-Mythos erwähnte Echte Akazie war nicht nur bei den Ägyptern ein heiliger (Lebens-)Baum. In einem heiligen Akazienbaum lebte auch Al-’Uzzā, die in vorislamischer Zeit in Mekka verehrte Muttergöttin. Außerdem wird der Baum im Alten Testament mehrmals genannt. So soll die Bundeslade, der mythische Kultgegenstand des israelischen Volkes und Symbol für den Bund mit seinem Gott, aus Akazienholz angefertigt gewesen sein. Laut Bibel wurden in dieser heiligen Truhe die zwei Steintafeln mit den zehn Geboten aufbewahrt, welche Moses auf dem Berg Sinai von Gott empfangen hatte.
Diese der Akazie bereits vor Jahrtausenden zugeschriebene Heiligkeit mag wohl auch auf die Witterungsbeständigkeit, die Schwerzerstörbarkeit und die außergewöhnliche Biegsamkeit ihres Holzes zurückzuführen sein und sie gewissermaßen zum Symbol für ein ewiges Leben gemacht haben.
Die Echte Akazie ist allerdings in unseren Breitengraden nicht heimisch. Sie ist nur eine von vielen Akazien, von denen es weltweit ca. 1400 Arten gibt. In den südlichen, wärmeren Gegenden unserer Region ist hingegen die strauch- oder baumförmig wachsende Silberakazie (Acacia dealbata) anzutreffen. Sie wird auch ‚Falsche Mimose‘ genannt und ist an ihren gelben, charakteristisch duftenden Blüten leicht zu erkennen. Die vielen einzelnen Blüten der Silberakazie, in Italien generell mimosa genannt, sind in einem traubenförmigen Blütenstand angeordnet, was symbolisch auf die nur aus der Gemeinsamkeit erwachsende Stärke hinweisen sollte.
Seit dem 8. März 1946, anlässlich des 1. Internationalen Tags der Frau in Italien, wurde es italienweit zur Tradition, an diesem Tag blühende Mimosenzweige zu verschenken. Die Idee hierzu hatten drei kommunistische Frauenrechtlerinnen (Teresa Noce 1900–1980, Rita Montagnana 1895–1979 und Teresa Mattei 1921–2013). Bereits während der italienischen Faschistenzeit und später in Partisanenkreisen hatten Frauen sich Mimosen geschenkt.
Als Akazie wird fälschlicherweise sehr häufig auch die Robinie (Robinia pseudo-acacia) bezeichnet. Der schwedische Botaniker Carl von Linné (1707–1778), dem die Botanik ihre Systematik und binäre Nomenklatur verdankt, benannte sie nach dem Hofgärtner einiger französischer Könige, Jean Robin. Dieser Botaniker und Pharmazeut hatte den Baum um ca. 1600 erstmals aus Nordamerika nach Europa bzw. nach Paris eingeführt. Diese Scheinakazie oder Falsche Akazie bildet mittlerweile oft dichte Bestände, z. B. entlang von Eisenbahntrassen, und kann bis zu 25 Meter hoch werden. Als sogenannte Neophytenpflanze, d. h. ursprünglich gebietsfremde Pflanze, verdrängt und verändert sie inzwischen die einheimische Vegetation.
Die in weißen Dolden angeordneten duftenden Blüten der Falschen Akazie sind im Mai eine wichtige Nektarpflanze für Bienen und andere Insekten. Wenn im Handel Akazienhonig angeboten wird, ist dies zumeist Robinienhonig. Aufgrund des hohen Fructose- und niederen Glukosegehalts ist dieser Honig einer der wenigen, die erst nach Jahren kristallisieren, d. h. fest werden. Auch wenn die Robinie als giftig gilt, können ihre Blüten, in Maßen verwendet, in der Küche und als Heilpflanze genutzt werden. So können sie, z. B. wie die Holunder- oder Apfelküchlein, in Fett ausgebacken werden oder, vorsichtig getrocknet und als Aufgussgetränk eingenommen, volksmedizinisch u. a. zur Förderung der Verdauung, gegen Durchfall und zur Fiebersenkung eingesetzt werden. Die Verwendung von Akazienblüten hat in Italien eine lange Tradition. Früher stellte man daraus Sirup, Liköre, Backwerke und Augenwasser her.
Lange bevor unser Herrgott die Menschen erschaffen hat, empörte sich der Teufel gegen ihn, denn in seinem Hochmut wollte er selbst die Welt beherrschen. Gott ließ sich aber den Übermut des Teufels nicht gefallen und bannte ihn mit seinen Anhängern tief ins Innere der Erde hinein. Dort saß er nun und sann Tag und Nacht, wie er wieder herauskommen könne an das liebe Sonnenlicht. Überall hatte er Wächter ausgestellt, die mussten Obacht geben, ob sich nicht irgendwo etwas Verdächtiges zeige. Da kam einmal ein Teufel gesprungen und sprach zu seinem Herrn: „Heute Nacht ist eine Wurzel durch die Decke unseres Reiches gedrungen!“ Als der Oberste der Teufel das hörte, ward er über die Maßen froh und verwandelte sich in eine Schlange und schlängelte sich der Wurzel entlang der Oberwelt zu.
Nachdem er geraume Zeit geklettert war, rief eine Stimme: „Halt!“ Das war ein Diener des Todes, dem unser Herrgott sein Reich oberhalb jenes des Teufels angewiesen hat, und der wollte nicht leiden, dass jemand sein Gebiet durchstreife. „Rufe mir deinen Herrn!“, bat der Teufel, und als der Tod kam, sagte er zu diesem: „Was willst du hier alleine, in dem weiten, weiten Reich? Erlaubst du mir aber, dass ich meine Reise vollenden kann, so schwöre ich dir zu, dass du in tausend Jahren Untertanen in Hülle und Fülle besitzest.“
Der Tod bekam ganz blanke Augen, als er die Worte des Teufels vernahm; denn was nützte ihm sein großes Reich ohne Untertanen, und er erlaubte dem Teufel den Durchgang durch sein Gebiet. Der kroch in der Schlangengestalt immer höher und höher an der Wurzel hinauf, bis er endlich die Oberfläche der Erde und den Stamm erreichte, zu dem die Wurzel gehörte. Das war aber kein anderer als der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, der mitten im Paradiese stand. Auf den kletterte die Schlange hinauf und wand sich um den untersten Ast herum und schaute die Herrlichkeit an, die der Herrgott geschaffen hatte.
Nicht weit von ihm ab lagen unter dem Baume im Grase Adam und Eva, das erste Menschenpaar. Sobald das Weib die Schlange erblickte in der schillernden Haut und mit den funkelnden, blitzenden Augen und der langen Zunge, ward sie neugierig und fragte ihren Mann, welch seltsames Tier das wäre. Als der Teufel merkte, wie neugierig das Weib sei, beschloss er, seine List an ihr zu versuchen. Nachdem der Mann fortgegangen war, tat er darum den Mund auf und sprach mit lockender Stimme: „Willst du nicht von den Äpfeln dieses Baumes essen?“ Das Weib wollte nicht, denn der Herrgott hatte es verboten; der Teufel aber wusste so schöne Worte zu machen und pries den Geschmack und die Süße der Äpfel so sehr, bis das Weib des Verbotes vergaß und einen Apfel ergriff, ihn losbrach und aß. Da fiel es ihr schwer auf die Seele, dass sie sich versündigt habe, und damit sie nicht allein verstoßen würde, rief sie ihren Mann herbei und bat ihn, auch von den Früchten zu kosten. Adam wurde jedoch sehr zornig und tadelte Eva wegen des Ungehorsams gegen des Herrgotts Gebot. Das bekümmerte sie nur umso mehr, und weil sie nicht alleine aus dem Paradiese vertrieben werden wollte, nahm sie einen Apfel von dem Baume der Erkenntnis und steckte ihn ihrem Manne mit Gewalt in den Mund, dass er ihn herabschlucken musste. Aber auf halbem Wege blieb er stecken, und noch heute tragen darum alle Menschenkinder den Adamsapfel an der Gurgel und werden ihn tragen, so lange es Menschen auf Erden gibt.
Der Teufel hatte auf diese Weise sein Spiel gewonnen, die Menschen mussten aus dem schönen Garten heraus und verfielen in Krankheiten und Leiden und starben und kamen dadurch als seine Untertanen in das Reich des Todes hinab. Und ehe tausend Jahre verstrichen waren, war das Versprechen, das der Teufel dem Tode gegeben hatte, in Erfüllung gegangen. Das Paradies aber nahm der Herrgott von der Erde herab und versetzte es auf den Morgenstern, und da ist es bis auf den heutigen Tag.
Es war nämlich einmal ein frommer Mensch, der klagte bei Tag und bei Nacht über das verlorene Paradies und schalt auf Eva, dass sie die Menschenkinder durch ihren Vorwitz darum gebracht habe. Wie er nun eines Abends vor seinem Hause stand und traurig gen Himmel blickte und sich nach dem Paradiese sehnte, stand eine Gestalt neben ihm und ergriff ihn und führte ihn geradeswegs durch die Luft zu dem Morgenstern hinauf. Da befand er sich in dem herrlichsten Garten. Die Bäume trugen die prächtigsten Äpfel und Birnen, die schönsten Blumen blühten und dufteten in dem grünen Grase und auf den Zweigen saßen überall kleine Singvögelchen und sangen und pfiffen, dass es eine Lust war. Auch den Baum des Lebens konnte er sehen mit seinen zahllosen Zweigen.
Er konnte noch gar nicht all die Pracht und Herrlichkeit fassen, da trat eine wunderschöne Frau auf ihn zu, mit langen, gelben Haaren und in ein goldenes Gewand gehüllt. Die sah ihn so freundlich und liebevoll an, und dem Manne ward so wohl bei ihrem Anblick, und er ergriff sie bei der Hand und führte sie unter den Lebensbaum, damit er sich mit ihr auf dem weichen, grünen Rasen niederlasse. Und sie ließ es sich auch gefallen und setzte sich zu ihm; wie er aber sie herzen und küssen wollte, entglitt sie seinen Armen, und er sank herab tiefer und tiefer, bis er mit einem Male sich auf dem Erdboden dicht vor seinem Hause befand. „Siehst du“, sprach die weiße Gestalt und stand wieder vor ihm, „du schaltest Eva, und jetzt, da du selbst im Paradiese gewesen bist, hast du auch der Versuchung nicht widerstehen können.“ Damit verschwand die Gestalt; der fromme Mann aber hat niemals mehr den Vorwitz der Eva tadeln mögen.5
Der Adamsapfel ist Teil des Kehlkopfes. Er ist bei den Männern deutlicher ausgeprägt als bei den Frauen, auch vorne am Hals gut sichtbar, zumal er sich beim Reden und Schlucken auf und ab bewegt.
Der im Lateinischen gleichlautende Begriff für malus, der Apfel, und malus, das Böse, könnte dazu geführt haben, den Apfel als verbotene Frucht am Baum der Erkenntnis im Paradies zu deuten. Tatsächlich ist in der Bibel aber nie von einem Apfel die Rede, sondern nur von einer Frucht. In den apokryphen Erzählungen, jenen Texten, die nicht in die biblische Schriftensammlung Aufnahme fanden, werden namentlich zwei andere Früchte genannt. An einer Stelle erzählt ein Engel, dass das verbotene Gewächs ein Weinstock gewesen sei, und in einer anderen Geschichte sagt Eva, dass sie von einem Feigenbaum (→ siehe Feige) gegessen und sich mit dessen Blättern ihre Scham verhüllt hätte.6
Aber der Glaube, dass der verbotene Paradiesbaum ein Apfelbaum gewesen sei, hält sich hartnäckig, auch in der Welt der Sagen und Legenden:
Als Eva und Adam das Paradies verlassen mussten, nahm dieser einen Kern jener Baumfrucht mit, durch welche es zu so viel Leid und Unglück für die beiden und für uns alle gekommen ist. Als Erinnerung an seine Unfolgsamkeit bewahrte er den Kern sorgfältig auf, und als seine Sterbensstunde gekommen war, legte er ihn sich auf seine Zunge, und so wurde er begraben.
Adam war nämlich voll hoffender Zuversicht, dass aus dem kleinen Apfelkern dereinst der neue Baum des Lebens erwachsen würde, als Zeichen der göttlichen Vergebung. Und siehe: Nach einem Jahr wuchs auf Adams Grab eine kleine, zarte Pflanze. Sie war dem Kern vom Baum der Erkenntnis entsprossen, und langsam wuchs sie zu einem schönen, kräftigen Apfelbaum heran.
Später wurde dessen Stamm für das Kreuz des Erlösers verwendet. So wurde aus der Frucht, die den Tod in die Welt gebracht hatte, der wahre Baum des Lebens, an welchem uns Jesus Christus erlöst hat.7
Auch in dieser Legende sind Elemente aus den ‚Verborgenen Schriften‘, den Apokryphen, enthalten. Der Baum in der Mitte des Paradieses ist demnach ein Vorbild des Erlösungskreuzes, des eigentlichen Lebensbaumes. Dieses Kreuz sei mitten auf der Erde aufgerichtet worden.8
Ein paradiesischer Garten mit Apfelbäumen war laut einer alten Tiroler Legende auch das stille Vergnügen zweier bedeutender Südtiroler Heiliger. Die folgende Geschichte wurde vom Brixner Priester und Historiker Franz Anton Sinnacher (1772–1836) zu Beginn des 19. Jahrhunderts schriftlich festgehalten:
Man erzählt, dass der hl. Ingenuin, einer der ersten Glaubensboten von Brixen, in seiner Kirchengemeinde einen Lustgarten angelegt hat, des Paradieses Abbildung und eine Pflanzschule der Tugend. Jedem sei dieser Ort verborgen gewesen, als den durch Gottes Güte von ungefähr dorthin geleitet, und niemand habe diesen Freudenplatz gefunden, nur der hl. Albuin hat ihn aus Zufall angetroffen und betreten, und er hat einige Äpfel herausgeholt, die man bis heute St.-Albuins-Äpfel oder Goldpipin nennet.
Gott weiß, was daran wahr sei …9
Die Heiligen Ingenuin und Albuin waren von Bischof Hartmann von Brixen (um 1090–1165) zu den Kirchenpatronen der Stadt Brixen ernannt worden. Ingenuin (gest. um 605 n. Chr.) wurde um 590 zum Bischof von Sabiona, dem heutigen Säben, bestellt; er war wesentlich an der Verbreitung des Christentums in den gebirgigen Tälern Südtirols beteiligt. Er wirkte als Friedensstifter zwischen den Langobarden und Franken. Albuin (gest. 1006) verlegte um 990 n. Chr. den Bischofssitz von Säben nach Brixen.
Der Goldpipin oder Albuinsapfel ist auch unter den Namen Englische Reinette oder Wintergoldparmäne (King of the Pippins) bekannt und eine der ältesten europäischen Apfelsorten. Die obige Legende bekräftigt auf ‚sagenhafte‘ Weise die Tatsache, dass Obst im Mittelalter vor allem in Klostergärten kultiviert wurde. Später diente der Anbau der Apfelbäume vorwiegend der bäuerlichen Selbstversorgung, bis schließlich die kommerzielle Ausfuhr von Äpfeln begann. Mit Lasttieren wurde die kostbare Ware über den Brenner nach Innsbruck und dann über den Flussweg ins kaiserliche Wien gebracht. Der Bau der Brennereisenbahn und die Regulierung der Etsch (2. Hälfte des 19. Jhs.) waren ein wichtiger Meilenstein für den Tiroler Apfelanbau.
Apfelplantagen wurden aber bereits von den Römern bewirtschaftet. Für das Gedeihen der Äpfel und anderer Baumfrüchte war eine eigene Göttin zuständig: Pomona (Poma = Frucht). Dieser göttlichen Gärtnerin war außerhalb der Stadt Roms ein eigenes Heiligtum errichtet worden, das Pomonal, an welchem ein eigener Priester, der Flamen, die Rituale für sie zelebrierte. Pomona hatte laut Mythos trotz ihrer jugendlichen Schönheit nichts anderes im Kopf als die Pflege, das Pfropfen und die Veredelung der Fruchtbäume; sie schenkte den zahlreichen männlichen Verehrern keine Beachtung und kein Interesse; doch schlussendlich gelang es Vertumnus, Gott des Wandels und der Jahreszeiten, sie zu überlisten und zu verführen.
Äpfel bzw. apfelähnliche Früchte (→ siehe Quitte) werden mythologisch vor allem weiblichen Gottheiten zugeordnet: Die Apfelinsel Avalon war das Reich der Todesgöttin Morrigan und das mythische Paradies der keltischen Völker. In der nordischen Mythologie war Idun die sorgfältige Bewahrerin von Äpfeln, von welchen die Gottheiten speisen konnten, wenn sie zu altern begannen, und darauf wieder jung wurden. In der griechischen Mythologie schenkte die Erdgöttin Gaia ihrer göttlichen Enkelin Hera als Hochzeitsgeschenk einen Baum mit goldenen, ewige Jugend verleihenden Äpfeln. Der Wunderbaum wurde von den Hesperiden, den Töchtern des Atlas, und Heras heiliger Schlange Ladon in einem herrlichen Garten bewacht. Somit hat unsere biblische Erzählung von Baum und Schlange inmitten des Gartens Eden eine um vieles ältere mythische Vorgeschichte, die mit dem ‚neuen Glauben‘ wohl absichtlich umgeändert wurde. In vielen alten, vorchristlichen Kulturen und Religionen war die Schlange heilig und Begleittier von Göttinnen. Im Alten Europa war sie Symbol der Lebenskraft und -erneuerung, ein gütiges Geschöpf, im Gegensatz zu den später folgenden indoeuropäischen Mythologien und jenen des Nahen Ostens.10 Damit begann die Verteufelung der einstmals heiligen Schlange, die sich mythologisch in unzähligen Sagen und Legenden vieler Völker niedergeschlagen hat, so wie in der alttestamentarischen Geschichte von Adam und Eva.
Laut Überlieferung hat sich Alexander der Große (356–323 v. Chr.) aus dem Gold aller von ihm eroberten Länder einen Apfel anfertigen lassen. Jahrhunderte später war der Reichsapfel das Herrschaftssymbol für zahlreiche Kaiser und Könige. Goldene Äpfel sind auch das Attribut der heiligen drei Jungfrauen in der Kirche von Klerant oberhalb von Brixen, ebenso wird der hl. Nikolaus, deren Begleiter, stets mit drei goldenen Kugeln/Äpfeln dargestellt.
Ein Apfel soll außerdem dem genialen Mathematiker, Physiker und Astronomen Isaac Newton (1643–1727) zur ‚Frucht der Erkenntnis‘ geworden sein, und zwar für die Entwicklung seines berühmten Gravitationsgesetzes: Als er im Jahre 1660 einmal unter einem Baum ruhte, sah er einen Apfel vom Baum fallen – manche sagen, er sei ihm auf den Kopf gefallen –, und Newton fragte sich, warum ein Apfel stets senkrecht zu Boden falle und nicht etwa seitwärts. Newton verstand: Der Apfel fällt zu Boden, weil ihn die Erde anzieht. Mit seinen darauffolgenden Berechnungen und Forschungen hatte Newton eine Kraft entdeckt: die überall wirkende Schwerkraft. Ein Manuskript aus dem 18. Jahrhundert soll die Wahrheit dieser Apfel-Fall-Anekdote belegen.
Das deutsche Wort ‚Apfel‘ wird aus dem althochdeutschen apful abgeleitet. Dessen Plural epfili wird im Tiroler Dialekt nach wie vor als Bezeichnung für den Apfel benützt, den ‚Epfl‘. In einer verschmitzten Wipptaler Sage ist der ‚Epfl‘ ebenso die ‚Frucht der Sünde‘:
Da ist einmal eine Gitsch (ein Mädchen) gewesen, die hat halt auch die Buben nicht ungern gehabt. Und da ist halt einer zu ihr in der Gasse gegangen und vielleicht öfter einer, da hat sie aufgetan, und plötzlich ist es ihr zu dumm geworden, da hat sie gedacht: ‚Deigel (Teufel), das könnte nicht recht sein, das muss ich beichten. Oder ich frage den Beichtvater, was überhaupt Sünde ist.‘ Nachher hat sie halt den Beichtvater gefragt, ob das Sünde ist, wenn ein Bub in der Gasse gekommen ist. Da hat der Beichtvater gefragt, ob sie ihm aufgetan hat. „Jaja, das schon.“ Ja, das ist Sünde, das muss sie beichten, wie oft das gewesen ist. Sie hat gesagt, sie kann sich nicht erinnern, aber sie kommt schon drauf, weil daheim hat sie eine Kiste, und jedes Mal, wenn einer gekommen ist, hat er einen Apfel mitgebracht, und die Äpfel hat sie alle in die Kiste hineingetan, weil sie keinen gegessen hat. Und jetzt geht sie heim um die Äpfel, da können sie dann die Äpfel zählen. Dann ist sie gegangen, dann hat sie eine große Schubkarre voll gebracht, da ist der Pfarrer erschrocken, hat gesagt: „Oho, so viel.“ Da hat sie gesagt: „Oje, da muss ich noch dreimal fahren.“11
‚In die Gasse gehen/Gasseln‘ oder ‚Fensterlen‘ ist der Tiroler Mundartbegriff für die früher üblichen nächtlichen Besuche der Burschen bei den Mädchen.
1Dähnhardt, Oskar, Natursagen, Band 1, Sagen zum Alten Testament, Druck und Verlag von B. G. Teubner, Leipzig und Berlin, 1909, S. 59
2Friedreich, Johannes Baptista, Die Symbolik und Mythologie der Natur, Verlag der Stahel’schen Buch- und Kunsthandlung, Würzburg, 1859, S. 239
3Vernaleken, Theodor, Alpensagen, Verlag v. L. W. Seidel, Wien, 1858, S. 289
4https://www.aegypten-geschichte-kultur.de/osiris-und-seth sowie Graf, Friedrich, Der ägyptische Glaube, Band 3, Ägyptische Amulette, Perlen, Mythologie und das alltägliche Leben, BoD-Books on Demand, 2012, S. 254 sowie https://www.selket.de/von-mythen-und-maerchen/osiris-mythos/ sowie https://www.aegypten-online.de/mythen-und-legenden/mythenzyklus.htm – zusammengefasst und nacherzählt
5Jahn, Ulrich, Volksmärchen aus Pommern und Rügen l, Diedr. Soltau’s Verlag, Norden/Leipzig 1891, S. 29, fast vollständig übernommen
6Weidinger, Erich, Die Apokryphen – Verborgene Bücher der Bibel, Pattloch-Weltbild-Verlag, Augsburg, 1990, S. 295, 33
7Schön, Adolf, Alte deutsche Blumenmärchen, Echter-Verlag, Würzburg, 1955, S. 31, nacherzählt
8Weidinger, Erich, Die Apokryphen – Verborgene Bücher der Bibel, Pattloch-Weltbild-Verlag, Augsburg, 1990, S. 50
9Sinnacher, Franz Anton, Beyträge zur Geschichte der bischöflichen Kirche Säben und Brixen in Tyrol, Band 1, Weger’sche Schriften, Brixen, 1821, S. 152, Ausschnitt sowie Zingerle, Ignaz Vinzenz, Sagen, Märchen und Gebräuche aus Tirol, Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, Innsbruck, 1859, S. 355, geringfügig abgeändert
10Gimbutas, Marija, Die Sprache der Göttin, Zweitausendundeins, Frankfurt am Main, 1995, S. 121
11Mai, Willi, Sagen, Märchen und Schwänke aus Südtirol, Band 1, hsg. von Leander Petzoldt, Tyrolia-Verlag Innsbruck-Wien, 2000, S. 72
Vor grauen Jahren lebte in China ein sehr frommer und braver Mann mit Namen Mosoo. Er besaß eine Hütte und ein Gärtchen nebst ein paar Feldstücken und arbeitete unverdrossen, um seine bejahrte Mutter so gut als irgend möglich zu verpflegen. Gewillt, sich ganz der Erfüllung seiner Pflichten gegen die Mutter zu widmen, war er ledig geblieben, obwohl seine Mutter selber ihn oft angetrieben hatte, einen Hausstand zu gründen; er kannte kein größeres Glück, als ganz allein dem heiligen Gebote der Kindesliebe zu folgen, und wollte von nichts anderem wissen, solange seine Mutter lebte. Mosoos Bekümmernis war daher sehr groß, als seine Mutter bedenklich erkrankte. Alle Gebete und Amulette, alle Mittel, welche man ihr anriet, waren erfolgslos; die alte Frau siechte auf ihrem Krankenlager dahin.
Einstmals – es war tief im Winter, und Schnee bedeckte alles weit umher – sagte sie zu ihrem Sohne: „O könnte ich nur einige junge Bambussprossen zu essen bekommen! Ich glaube, die würden meine Kräfte wiederherstellen, sodass ich noch einmal das Bett verlassen und froh an deiner Seite, mein lieber Sohn, sitzen könnte!“
Mosoo war darüber in hohem Grade bestürzt. ‚Wenn wirklich nur Bambussprossen meine arme Mutter wiederherstellen können, so ist das sehr schlimm‘, dachte er, ‚denn um die jetzige Jahreszeit ist nirgends etwas der Art zu finden!‘ Um jedoch seiner Mutter keinen Kummer zu machen, ergriff er seine Hacke und verabschiedete sich von ihr, um so schnell als möglich, wie er sagte, ihrem Wunsche nachzukommen.
Mit schwerem Herzen trat er vor das Haus und durchschritt sein Gärtchen, an dessen anderer Seite ein kleines Bambusdickicht lag. Hier machte er halt und räumte emsig mit der Hacke den Schnee fort, obwohl er überzeugt war, dass alle seine Mühe umsonst sein würde. Aber – o Wunder – kaum hatte er die Schneedecke entfernt, so sah er eine Menge der zartesten, frischesten Bambussprossen, die schönsten, die ihm jemals vorgekommen. Er las sie sorgfältig zusammen und hatte in kurzer Zeit mehr, als zu einer Mahlzeit vonnöten war, und als er sie heimgebracht und seine Mutter durch ihren Anblick erfreut hatte, bereitete er aus ihnen ein Gericht, wie es die Kranke wünschte.
Als dieselbe die Wunderspeise gegessen, fand sie sich außerordentlich erquickt und erfrischt; von Stund’ an genas sie, stand bald von ihrem Lager auf und lebte noch viele, viele Jahre mit ihrem Sohne zusammen. Diesen aber belohnten die Götter für die fromme Erfüllung der Sohnespflichten mit ungetrübtem Wohlsein bis in sein hohes Alter.1
Bis vor ca. 200 Jahren war der Bambus in Europa noch gänzlich unbekannt. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts kamen dann die ersten Bambuspflanzen aus Asien zu uns; Bambusarten sind aber auch in Süd- und Mittelamerika beheimatet sowie in Afrika und Australien.
Einen wesentlichen Beitrag zur Verbreitung von Bambus in Europa leistete der weltbekannte belgische Biologe und Naturforscher Jean Houzeau de Lehaie (1867–1959). Bereits mit 16 Jahren startete er auf dem Familienlandgut bei Hyon in Belgien erste Versuche, Bambusse zu pflanzen. Die Verbreitung des Bambus in Europa war ihm ein Lebensanliegen. Diese erfolgte aber erst in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts über Gärten und Parkanlagen, zuerst in Frankreich.