Bildnachweis
Abb. 1–19 sowie 21–35 im Innenteil von Katja Koch
Abb. 20 im Innenteil von Aram Galstyan
Abb. Marienkäfer, Marienkäferblatt, Gesicht mit Lupe, Legosteine, Schaumkopf, Kind am Bücherregal im Innenteil sowie Abb. für die Online-Materialien (Spiel 14, 24, 28, 31, 32, 58) von Wolfgang Theiler
1 Mathematische Basiskompetenzen
In diesem Kapitel werden zunächst die Inhaltsbereiche der Mathematik sowie zugehörige Kompetenzen beschrieben, danach wird auf die Meilensteine der Entwicklung im Vorschulalter eingegangen. Da sich spätere Rechenstörungen bereits im Vorschulalter andeuten, geht es im Anschluss um Auffälligkeiten in der mathematischen Entwicklung. Wann ist es wichtig, genauer hinzuschauen und gezielter zu fördern, damit aus Auffälligkeiten keine gravierenden Probleme werden? Alltagstaugliche Möglichkeiten zur Beobachtung und Dokumentation werden als Grundlage jeglicher Förderung beschrieben und abschließend wird darauf eingegangen, welche Beziehungen zwischen mathematischen Basiskompetenzen und anderen Entwicklungsbereichen bestehen.
1.1 Entwicklungsmeilensteine mathematischer Basiskompetenzen
Weder über den Begriff „mathematische Basiskompetenzen“ noch über die Anzahl und Benennung der einzelnen Teilkompetenzen und deren Zuordnung zu Inhaltsbereichen herrscht Konsens in der Fachliteratur.
Begriffsdefinition
Begriffe wie mathematische Vorerfahrungen (Wittmann 2002), Vorläuferfähigkeiten / Vorläuferfertigkeiten (Krajewski / Schneider 2006), arithmetisches oder mathematisches Vorwissen (Weißhaupt et al. 2006) oder auch Zahlvorwissen (Grüßing et al. 2013) werden zum Teil synonym genutzt, zum Teil beschreiben sie mit unterschiedlichen Schwerpunkten ähnliche Inhalte. Einigkeit besteht aber darin, dass mathematische Vorläuferfertigkeiten das Fundament für das spätere Mathematikverständnis bilden.
Definition
Mit dem Terminus mathematische Vorläuferfertigkeiten werden nach Krajewski / Schneider (2006) jene Fertigkeiten bezeichnet, die als Voraussetzung für ein wahres Verständnis der Arithmetik angesehen, bereits im Vorschulalter erworben und gefördert werden können. Die Arithmetik ist ein Teilgebiet der Mathematik, das sich mit dem Rechnen mit Zahlen beschäftigt und die Grundrechenarten (Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division) umfasst.
mathematische Basiskompetenzen
In der aktuellen Fachliteratur werden (im Einklang mit den Standards des National Council of Teachers of Mathematics, NCTM 2000) die folgenden Kompetenzen beschrieben:
● Mengen (erkennen, sortieren / klassifizieren, bestimmen, vergleichen, zerlegen, [quasi-]simultan erfassen)
● Muster und Seriation (Reihen- oder Rangfolgen bilden)
● Zahlen / Zählen
● Operationen
Inhaltsbereiche der Mathematik
Die genannten Kompetenzen lassen sich dem mathematischen Inhaltsbereich Mengen, Zahlen, Operationen zuordnen. Weitere Inhaltsbereiche, in denen Kinder im vorschulischen Alter erste mathematische Fähigkeiten erwerben, sind:
● Formen und Raum
● Größen und Messen
Wie sich die genannten Kompetenzen entwickeln, um schlussendlich zu einem umfassenden Zahlbegriff zu verschmelzen, wird in verschiedenen Entwicklungsmodellen dargestellt. Bevor später auf Meilensteine einzelner Basiskompetenzen eingegangen wird, soll die Entwicklung zunächst im Ganzen betrachtet werden.
Zahlbegriff
Der zentrale Entwicklungsschritt, den Kinder für den Übergang in die Schule bewältigen müssen, ist der Erwerb eines möglichst umfassenden Zahlbegriffs.
Definition
Unter Zahlbegriff wird im wortwörtlichen Sinne verstanden, dass Kinder mehrere Aspekte von „Zahlen“ verstehen und miteinander in Verbindung bringen können.
Erstens müssen sie verstehen, dass Zahlen eine Rangfolge bilden. Diesen Aspekt nennt man den ordinalen Zahlaspekt. Zweitens müssen sie verstehen, dass Zahlen Mengen repräsentieren, dass also „hinter“ jeder Zahl eine Menge (von z. B. Gegenständen) steht, die durch diese Zahl symbolisiert wird. Diesen Aspekt nennt man kardinalen Zahlaspekt.
Wenn Kinder den ordinalen Zahlaspekt und den kardinalen Zahlaspekt miteinander verknüpft (integriert) haben, ist der wichtigste Entwicklungsschritt im Vorschulalter absolviert, der Erwerb des Zahlbegriffs.
Beispiel
Kinder verstehen: Wenn das fünfte Element in einer Reihe erreicht wird, enthält die gezählte Menge insgesamt fünf Elemente. Die gezählte Menge hat damit die Größe fünf.
Mit dieser Verknüpfung geht das Verständnis für bestimmte Beziehungen zwischen den Zahlen (relationaler Zahlaspekt) einher. Es markiert den Schritt zum ersten arithmetischen Verständnis.
Viele Kinder im Vorschulalter verstehen bereits Relationen zwischen Zahlen im Zahlenbereich bis zehn, z. B. die Drei ist näher an der Eins als an der Zehn.
Auch andere Aspekte des Zahlbegriffs können Kinder im Vorschulalter bereits erleben und erfassen, z. B. den Operatoraspekt und den Maßzahlaspekt. Operatorzahlen beschreiben die Anzahl der Wiederholung eines Vorganges bzw. einer Handlung.
Beispiel
Es hat zweimal geklingelt. Ich war schon dreimal baden (Operatorzahl).
Maßzahlen beschreiben messbare Größen wie Höhe, Umfang, Alter, Gewicht etc.
Beispiel
Ich wiege 27 kg. Meine Mama ist 39 Jahre alt (Maßzahl).
Natürlich sind auch diese Aspekte wichtig, die zentrale Rolle für den Vorschulbereich kommt jedoch den ordinalen und kardinalen Zahlen zu. Entsprechend stark wird aus entwicklungspsychologischer und mathematikdidaktischer Perspektive auf die Inhaltsbereiche Mengen, Zahlen, Operationen fokussiert. So umfasst das Entwicklungsmodell von Krajewski / Schneider (2006) die folgenden drei Kompetenzebenen.
numerische Basisfähigkeiten
Auf der Ebene I der numerischen Basisfähigkeiten steht zunächst die Ausbildung des unpräzisen Mengenbegriffs im Vordergrund. Die Kinder erwerben die Fähigkeit, Mengen zu unterscheiden und damit erlangen sie ein großes Repertoire an nicht-numerischen Mengenbegriffen (groß, klein, viel, wenig etc.). Unter Nutzung von Begriffen wie mehr und weniger können sie auch Mengenvergleiche durchführen, sie sind aber noch nicht in der Lage, zwischen einzelnen Stückzahlen zu differenzieren (Sinner 2011).
Parallel dazu, aber unabhängig davon, entwickelt sich ab etwa einem Alter von zwei Jahren die Zahlwortreihe. Kinder erlernen die Zahlwortreihe, die – wie ein Gedicht – auswendig aufgesagt werden kann, ohne dass die einzelnen Zahlwörter mit den korrespondierenden Mengen verbunden werden. Mengen und Zahlen stehen noch isoliert nebeneinander, der Zahlwortreihe kommt lediglich eine Ordnungsfunktion zu (ordinaler Zahlaspekt).
Anzahlkonzept
Auf der Ebene II verstehen die Kinder, dass jede Zahl mit einer bestimmten Menge verknüpft ist und folglich Mengen durch Zahlen bezeichnet werden können. Das Anzahlkonzept wird nach Krajewski / Schneider (2006) in zwei Phasen erworben:
In der Phase IIa erwerben die Kinder zunächst ein unpräzises Anzahlkonzept. Die Mengen-Zahlen-Zuordnung funktioniert hier zunächst nach groben Mengenkategorien (viel, wenig, sehr wenig etc.).
Beispiel
Kinder ordnen Zahlwörter wie zwei oder fünf in die Kategorie „wenig“ ein, wohingegen 100 in die Kategorie „viel“, 1000 in die Kategorie „sehr viel“ fällt.
Dies geschieht, obwohl sie noch nicht in der Lage sind, diese Mengen bzw. bis zu diesen Zahlen zu zählen. Die Zuordnung resultiert allein aus der Erfahrung, dass man bis zum Erreichen großer Zahlen viel länger zählen muss als bis zum Erreichen kleiner Zahlen. Die Dauer des Zählens korrespondiert also mit der Größe der Zahl. Die Kinder können zu diesem Zeitpunkt zwischen Anzahlen, die verschiedenen Mengenkategorien zugeordnet sind, unterscheiden (Sinner 2011).
Beispiel
Bis zwei muss man nur kurz zählen, also gehört zwei zur Kategorie „wenig“. Bis 100 muss man ganz lange zählen, deshalb sind 100 „viel“. Also ist fünf weniger als 100.
Sie sind allerdings nicht in der Lage, präzise Mengen, die zur gleichen Mengenkategorie gehören, zu unterscheiden.
Beispiel
Für 15 und 17 muss man etwa gleich lang zählen. Welche Zahl größer ist, kann noch nicht ermittelt werden.
Dies gelingt erst, wenn das präzise Anzahlkonzept in Phase IIb erworben wurde. Dabei wird die auf Ebene I gelernte exakte Zahlwortreihe an die Fähigkeit zur Seriation von Mengen gekoppelt. Die Kinder verstehen nun, dass die Zahlenfolge exakte, aufsteigende Quantitäten repräsentiert. Sie erkennen, dass beim Abzählen verschiedener Mengen die letzte Zählzahl die Mächtigkeit der Menge angibt. Sie erkennen auch, dass die Dauer des Zählens exakt mit der Mächtigkeit der zu zählenden Menge übereinstimmt. Erst jetzt sind sie in der Lage, Zahlen, die eng beieinander liegen oder zunächst in einer der groben Mengenkategorien zusammengefasst waren, der Größe nach zu ordnen und zu entscheiden, welche Zahl größer oder kleiner ist. Diese Erkenntnisse führen zu einem präzisen Anzahlkonzept bzw. dem Kardinalverständnis der Zahlen und befähigen zu Anzahlseriationen und -vergleichen.
Verständnis für Mengen
Unabhängig vom Anzahlkonzept entwickelt sich das Verständnis für unbestimmte Mengen (ohne Zahlbezug) im Alter von drei bis fünf Jahren. So begreifen die Kinder, dass sich Mengen verändern, wenn man etwas hinzufügt oder wegnimmt, nicht jedoch durch Manipulation der räumlichen Ausdehnung oder der Form (Mengeninvarianz: Dies ist nach Piaget das Wissen, dass Anzahl, Masse und Volumen von Objekten gleich bleiben, wenn diese lediglich ihre Anordnung bzw. Form verändern). In dieser Phase festigt sich ein erstes grundlegendes Verständnis für die Addition und Subtraktion. Ebenso kommen die Kinder zu der Erkenntnis, dass sich Mengen in einzelne Teilmengen zerlegen lassen und dass man diese wieder zusammensetzen kann. Sie können nun also Vergleiche zwischen Mengen und Teilmengen anstellen.
Beispiel
Eine ganze Tafel Schokolade ist mehr als jedes ihrer Teile.
Integration der Kompetenzen
Auf der Ebene III werden nun die auf Ebene II erworbenen Kompetenzen miteinander verknüpft. Die Integration des präzisen Anzahlkonzepts in das Verständnis für unbestimmte Mengen führt dazu, dass zusammengesetzte und zerlegte Mengen auch mit Zahlen und somit durch eine diskrete Anzahl darstellbar sind (Anzahlen zusammensetzen und zerlegen).
Beispiel
Sieben Kastanien lassen sich in drei und vier Kastanien aufteilen.
Außerdem können die Kinder den Unterschied zweier Mengen, welcher wiederum durch eine dritte Menge dargestellt wird, mit einer genauen Zahl bestimmen (Anzahldifferenzen bestimmen).
Beispiel
Sieben Kastanien sind drei mehr als vier Kastanien.
Während die Kompetenzen der ersten beiden Ebenen als mathematische Vorläuferkompetenzen anzusehen sind, spiegelt sich beim Übergang zur dritten Ebene bereits ein erstes arithmetisches Verständnis wider (Sinner 2011).
Das Modell verdeutlicht, wie viele unterschiedliche Kompetenzen zur Entwicklung des Zahlbegriffs notwendig sind und in welcher Beziehung sie zueinander stehen. Im Folgenden wird auf die einzelnen Kompetenzen näher eingegangen.
Mengen, Zahlen, Operationen
Mengen
Mengen erkennen und sortieren
Das Sortieren und Klassifizieren beinhaltet die Erfahrung, dass sich Objekte oder Lebewesen in spezifischen (z. B. physikalischen) Eigenschaften ähneln oder unterscheiden und sich nach diesen ordnen (sortieren) lassen. Dies ist für den mathematischen Entwicklungsprozess von großer Bedeutung, denn für die Ausbildung eines unpräzisen Mengenbegriffs (im dargestellten Modell auf der Ebene I) muss das Kind in der Lage sein, spezifische Eigenschaften von Objekten, z. B. Farbe, Form, Muster, Anzahl, Oberfläche oder Größe, als gleich oder unterschiedlich zu erkennen.
Beispiel
Es werden aus einer Menge alle Elemente gefunden, die rot sind.
Bausteine werden nach ihrer Form sortiert.
Mengen klassifizieren
Ebenso muss die Fähigkeit vorhanden sein, Objekte auf der Grundlage des Erkennens gleicher Eigenschaften nach einer oder mehreren Eigenschaften zusammenzufassen (= zu kategorisieren). Die Zuordnung von Objekten unter Berücksichtigung einer Eigenschaft gelingt Kindern bereits relativ früh, etwas später gelingt dies auch unter Berücksichtigung mehrerer Eigenschaften.
Beispiel
I Welche der folgenden Objekte sind rund (Kategorie)? Ball, Sonne, Aprikose, Pfirsich, Buch, Apfel ...
II Vor dem Kind liegen Holzklötzchen verschiedener Formen und Farben. Die Anforderung lautet: Finde alle roten eckigen Klötzchen.
Kinder sind beim Übergang in die Schule in der Lage, Elemente einer Menge zu sortieren und nach ein oder zwei Eigenschaften in Kategorien zusammenzufassen.
Eine komplexere Variante ist die Klassifizierung nach Kategorien und Unterkategorien. Die Kinder müssen dabei wissen, dass zwei Elemente gleichzeitig verschiedenen und derselben Kategorie angehören können.
Beispiel
Ein Apfel hat Kerne und ist damit ein Kernobst. Eine Banane ist kernlos und daher kein Kernobst. Trotz dieses Unterschieds gehören Apfel und Banane zur Oberkategorie Obst.
Wovon gibt es mehr – Stofffiguren oder Stofftiere?
Die Klassifizierung nach Kategorien und Unterkategorien gelingt einigen Kindern bereits im Vorschulalter.
Mengen bestimmen
Unter der Bestimmung einer Menge versteht man die exakte Nennung der Anzahl. Bereits einjährige Kinder können Mengen mit zwei oder drei Elementen voneinander unterscheiden. Mit zwei Jahren bezeichnen Kinder Mengen mit Begriffen wie viel oder wenig, ab etwa vier Jahren kommen Zahlbegriffe bei sehr kleinen Mengen, ab fünf Jahren bei Mengen bis zehn hinzu.
Beim Übergang in die Schule wissen Kinder, dass sie beim Zählen einer Menge mit der Eins beginnen müssen. Sie zählen jedes Objekt nur einmal und wissen, dass die letztgenannte Zahl die Anzahl der Menge ausdrückt (Entwicklungsmodell von Krajewski / Schneider 2006).
Mengen vergleichen
Der Mengenvergleich umfasst die Fähigkeit zu erkennen, welche der vorgegebenen Mengen größer bzw. kleiner als die andere(n) ist. Mit dem Vergleichen von Objekten beginnen Kinder bereits im Alter von etwa zwei Jahren, sie nutzen dabei Begriffe wie mehr / weniger oder größer / kleiner.
Beim Übergang in die Schule können Kinder zwei einstellige Zahlen korrekt miteinander vergleichen.
Beispiel
Wenn der Marienkäfer, den du gefunden hast, sechs Punkte hat und meiner vier, welcher hat dann mehr Punkte?
Mengen zerlegen
Das Verständnis dafür, dass Mengen in andere (Teil-)Mengen zerlegbar sind bzw. dass Mengen aus anderen Mengen zusammensetzbar sind („Teile-Ganzes-Verständnis“), wird unter dem Begriff Mengenzerlegung zusammengefasst.
Zunächst ist dieses Verständnis nicht-numerisch, d. h. das Teilen und damit Zerlegen ist nicht an Zahlen gebunden, sondern an die Handlung des Teilens.
Beispiel
Eine Schokolade lässt sich (in x Teile) teilen. Wenn man sie wieder zusammenfügt, ist es wieder eine ganze Schokolade.
Später sind die geteilten und die ganzen Mengen auch mit Zahlen darstellbar (Anzahlzerlegung).
Beispiel
Drei Elemente lassen sich in zwei und eins aufteilen. Oder: Die Drei enthält die Zwei und die Eins. (Zwei ist also ein Teil von drei.)
Beim Übergang in die Schule haben die Kinder ein nicht-numerisches Teile-Ganzes-Verständnis erworben. Manche Kinder beherrschen im Zahlenraum bis zehn bereits die Anzahlzerlegung.
Mengeninvarianz
Unter Invarianz einer Menge versteht man, dass die Anzahl ihrer Elemente unverändert bleibt, auch wenn sich die Form oder die räumliche Anordnung ändert. Ebenso wird darunter verstanden, dass Mengen sich nur durch Hinzufügen von gleichartigen Elementen oder durch Wegnehmen ändern (Resnick 1989).
Beispiel
Änderung der Anordnung: Fünf eckige Klötzchen liegen im gleichen Abstand parallel in einer Reihe zu fünf runden Klötzchen. Jüngere und ältere Kinder erkennen, dass in beiden Reihen gleich viele Klötzchen liegen. Wird der Abstand der Klötzchen in der Reihe der runden vergrößert und die Reihe somit länger, geben jüngere Kinder an, dass dort mehr runde als eckige Klötzchen sind. Ältere Kinder haben erkannt, dass sich zwar der Abstand zwischen den Klötzchen, nicht aber deren Anzahl geändert hat.
Änderung der Form: Zwei gleichgroße Kugeln aus Knete liegen nebeneinander. Jüngere und ältere Kinder erkennen, dass beide Kugeln aus derselben Menge Knete bestehen. Wird nun eine der Kugel mit der flachen Hand zusammengedrückt, geben jüngere Kinder wiederum an, dass die Kugel mehr Knete enthält als die Scheibe aus Knete. Ältere Kinder haben erkannt, dass trotz der Formänderung die Menge der Knete konstant geblieben ist.
Nach aktuellem Forschungsstand entwickelt sich das Konzept der Mengeninvarianz nach dem Zählen (Peter-Koop / Grüßing 2007; Clements 1984).
Mengen (quasi-)simultan erfassen
Mit der Simultanerfassung von Mengen (Subitizing) ist die Fähigkeit gemeint, die Anzahl von Elementen (einer Menge) „auf einen Blick“ zu erkennen, ohne sie zu zählen.
Selbst bei Erwachsenen ist die Menge, die auf diese Art erfasst werden kann, auf vier bis fünf Elemente begrenzt, bei Kindern im Schuleintrittsalter beträgt sie drei bis vier. Sobald die Elemente jedoch zu Strukturen zusammengefasst werden, können auch größere Mengen erfasst werden.
Beispiel
Eine unstrukturierte Menge ist bspw. eine vollkommen willkürlich angeordnete Menge von fünf Klötzchen. Strukturiert ist diese Menge, wenn sie einem Würfelbild gleicht oder in einem Zweier- und einem Dreierhäufchen dargeboten wird.
Das Erfassen strukturierter Mengen wird als Quasi-Simultanerfassung bezeichnet. Indem Mengen simultan bzw. quasi-simultan erfasst werden, also nicht mehr (viel zeitaufwändiger) gezählt werden müssen, lassen sich Rechenwege enorm effektiver gestalten.
Beispiel
Viele Anschauungsmittel sind als strukturierte Zahldarstellungen konzipiert (z. B. der Abakus mit 10er und / oder 5er Gliederung). Sie sollen helfen, Rechenvorteile zu erkennen und zu nutzen.
Beim Übergang in die Schule sind die Kinder in der Lage, Mengen von vier Elementen simultan zu erfassen.
Bei der Quasi-Simultanerfassung von unstrukturierten Mengen müssen Mengen selbst in simultan erfassbare Mengen strukturiert und die Strukturergebnisse zusammengefasst werden. Damit setzt die Quasi-Simultanerfassung die Fähigkeit zur Zerlegung von Mengen voraus. Eine aktive Auseinandersetzung mit strukturierten Mengen (z. B. Würfelbildern) ist bereits im Vorschulalter für Kinder wichtig.
Muster und Seriation
Muster und Strukturen
Mathematik wird auch als „Wissenschaft der Muster“ (Wittmann 2003) bezeichnet, da alle ihre Bereiche und Inhalte auf der Erfassung von Mustern und Strukturen basieren.
Definition
Muster sind für den Menschen erkennbare Regelmäßigkeiten oder Wiederholungen, Struktur bezeichnet die Art und Weise der Gliederung eines Musters, also dessen innewohnende Ordnung (Lüken 2012).
Auch Beziehungen zwischen Zahlen sind Muster: Der Aufbau des dezimalen Stellenwertsystems folgt einem klaren Muster, dessen Kenntnis basal ist zum Verständnis von Mathematik. Die Fähigkeit, Muster und Strukturen zu erkennen, ist von zentraler Bedeutung für den späteren Lernprozess und zieht sich durch alle Inhaltsbereiche.
Eine aktive Auseinandersetzung mit Mustern und Strukturen ist für Kinder bis zum Schuleintritt wichtig, denn ein Verständnis von Mustern und Strukturen ist zentrale Voraussetzung für das mathematische Verständnis in der Schule.
Seriation
Unter Seriation versteht man zunächst eine Reihung. Insofern ist auch sie als ein Muster zu verstehen, in diesem Sinne jedoch verbunden mit einer Rang- oder Reihenfolge in auf- oder absteigender Größe.
Beispiel
Legosteine werden nach ihrer Länge geordnet.
Puppen werden nach ihrer Größe geordnet. Eine Gruppe kann sich der Größe, dem Alter oder dem Geburtsmonat nach ordnen.
Kinder erkennen hier, dass das erste Element kleiner ist als das zweite, das zweite kleiner als das dritte etc. Dadurch wird die Zahl in ihrer ordinalen Funktion verstanden: Zahlen markieren jeweils einen bestimmten Ordnungsrang, z. B. bedeutet die Zahl 3 die dritte Stelle der Reihe (Krajewski 2003). Das Bilden von Reihenfolgen beginnt bereits sehr früh. Bei der Verknüpfung der Zahlwortreihe mit der Seriation von Mengen ist das Bewusstsein für geordnete Reihenfolgen eine zentrale Voraussetzung.
Kinder sind beim Übergang in die Schule in der Lage, eine Menge von ca. zehn Elementen nach einem vorgegebenen Kriterium (z. B. Länge, Größe) in eine korrekte Reihenfolge zu ordnen.
Zahlen und Zählen
Funktionen von Zahlen
Zahlen haben, das wurde bereits erläutert, verschiedene Aspekte:
Anzahl (Kardinalzahl): Im Glas sind sieben Muscheln. – Wie viele?
Ordnungszahl (Ordinalzahl): Ich bin Dritter. – Der wievielte?
Maßzahl: Ich wiege 15 kg. – Wie lang, wie schwer, wie teuer?
Operatorzahl: Ich habe dreimal geniest. – Wie oft?
Kodierzahl: Eine Postleitzahl von Rostock ist 18055.
Im Vorschulalter müssen der kardinale und der ordinale Zahlaspekte miteinander verbunden (integriert) werden. Eine wesentliche Rolle dafür spielt das Zählen. Unter Zählen wird die Fähigkeit verstanden, die Anzahl einer bestimmten Menge an Gegenständen (zählend) korrekt zu bestimmen.
Entwicklungsstufen des Zählens
Wie sich das Zählen bei Kindern entwickelt und wie sich das „reine“ Zählen (ordinaler Aspekt) allmählich mit dem Verständnis für Mengen (kardinaler Aspekt) verbindet, zeigen die Entwicklungsstufen des Zählens in Anlehnung an Fuson (1988).
I. Phase Der Erwerb von Zahlwörtern beginnt bereits mit dem zweiten Lebensjahr. Die einzelnen Zahlwörter werden dann häufig noch nicht getrennt, sondern wie ein einziges Wort aufgesagt.
Beispiel
„einszweidreivier ...“
Dabei werden die Zahlen noch nicht mit Mengen assoziiert.
II. Phase