Handbuch für Unternehmer
RISIKOFAKTOR VERBRAUCHER
Vermeidung rechtlicher Risiken im B2C-Online-Handel
Bernd Siegler
© 2020 Bernd Siegler
info@bernd-siegler.com
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN Paperback: 978-3-7469-5656-5
ISBN e-Book: 978-3-7469-5658-9
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Inhaltsübersicht
I. Hinweis
II. Einleitung
III. Grundlagen
IV. Die AGB im Online-Handel
V. Gesetzliche Informationspflichten
VI. Preisangaben in Online-Shops
VII. Störung von Kaufverträgen
VIII. Grenzüberschreitender Handel
IX. Datenschutz-Grundverordnung
X. Zweite Zahlungsdiensterichtlinie
XI. Produkt- und Produzentenhaftung
XII. Ausblick
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Entscheidungsregister
Inhaltsverzeichnis
I. Hinweis
II. Einleitung
A. Geschichte des Verbraucherschutzes
B. Überblick
C. Motivation
D. Abgrenzung
III. Grundlagen
A. Entwicklung des deutschen Rechts
B. Einordnung der Rechtsquellen
C. Hierarchie der Rechtsquellen
D. Rechtsprechung
1. Bindungswirkung
2. BVerfG und EuGH
3. Widersprechende Urteile
E. Aufbau des BGB
F. Rechtssubjekt Verbraucher
1. Definition Verbraucher
2. Definition Unternehmer
3. Umfang des Verbraucherschutzes
4. Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers
5. Kritik am Verbraucherschutz
6. Zusammenfassung
G. Vertragsschluss im Internet
1. Übereinstimmende Willenserklärungen
2. Wirksames Angebot
3. Wirksamkeit elektronischer Willenserklärungen
4. Zugang elektronischer Willenserklärungen
5. Wille zur rechtlichen Bindung im Internet
6. Schuldrechtliche Verpflichtungen
7. Trennungs- und Abstraktionsprinzip
8. Erfüllung des Vertrags
9. Vertragliche Neben- und Schutzpflicht
10. Zusammenfassung
IV. Die AGB im Online-Handel
A. Sind AGB obligatorisch?
B. Grundsätze der AGB
C. Das Einbeziehen der AGB
D. Rechtliche Grenzen der AGB
E. Folgen mangelhafter AGB
F. Zusammenfassung
V. Gesetzliche Informationspflichten
A. Definition Fernabsatz
B. Informationspflichten im Verkaufsprozess
1. Vor Vertragsschluss
2. Nach Vertragsabschluss
C. Folgen der Pflichtverletzung
D. Allgemeine Pflichten
E. Informationspflichten gem. TMG
F. Informationen zur Streitbeilegung
1. Anforderungen
2. Ausnahmen
3. Ahndung bei Verstoß
G. Zusammenfassung
VI. Preisangaben in Online-Shops
A. Angabe von Gesamtpreisen
B. Darstellung der Versandkosten
C. Die Grundpreisangabe
1. Mengeneinheiten
2. Produktkombinationen
3. Ausnahmen
4. Darstellung
D. Mindermengenzuschlag
E. Werbung für Kreditverträge
1. Anwendungsbereich
2. Maßgaben
3. Gestaltung
F. Sonderregelungen für Kleinunternehmer
G. Folgen bei Verstoß gegen die PAngV
H. Zusammenfassung
VII. Störung von Kaufverträgen
A. Beschwerde kann Rechtsausübung sein
B. Nichtigkeit
1. Geschäftsunfähigkeit
2. Formmangel
3. Fehlender rechtsgeschäftlicher Wille
4. Verbotener Inhalt
5. Zusammenfassung
C. Anfechtung
1. Inhalts- und Erklärungsirrtum
2. Eigenschaftsirrtum
3. Arglistige Täuschung
4. Durchführung der Anfechtung
5. Anfechtung elektronischer Willenserklärungen
6. Wirkung der Anfechtung
7. Schadensersatz
8. Verdrängung der Anfechtung
9. Zusammenfassung
D. Rücktritt
1. Berechtigung zum Rücktritt
2. Rücktrittserklärung
3. Rechtsfolgen
4. Wertersatz
5. Nutzungs- und Verwendungsersatz
6. Zusammenfassung
E. Unmöglichkeit
1. Subjektive und objektive Unmöglichkeit
2. Rechte des Verkäufers
3. Rechte des Käufers
4. Zusammenfassung
F. Garantie & Mängelhaftung
1. Garantie
2. Mängelhaftung
G. Widerruf
1. Voraussetzungen
2. Widerrufserklärung
3. Ausnahmen
4. Beginn der Widerrufsfrist
5. Regelmäßiges Ende der Frist
6. Verzögertes Ende der Frist
7. Folgen des Widerrufs
8. Ausblick
9. Zusammenfassung
H. Verzug
1. Schuldnerverzug
2. Gläubigerverzug
I. Aufrechnung
J. Zusammenfassung
VIII. Grenzüberschreitender Handel
A. Internationale Zuständigkeit
1. Gerichtsstandsverordnung EuGVVO
2. Schiedsgerichtsvereinbarungen
3. Schlichtungsstellen
4. Zusammenfassung
B. Anzuwendendes Recht
1. Allgemeine Regelungen
2. UN-Kaufrecht CISG
3. Rom-I-VO
4. Zusammenfassung
C. Rechtsverfolgung im EU-Ausland
1. Europäisches Mahnverfahren
2. Bagatell-Verfahren
3. Vollstreckung innerhalb der EU
D. Rechtsverfolgung in Drittländern
1. Verfahren
2. Gerichtsbarkeit
3. Zugelassene Anwälte
4. Vollstreckung
5. Außergerichtliche Einigung
6. Zusammenfassung
E. Ausschluss bestimmter Regionen
F. Zusammenfassung
IX. Datenschutz-Grundverordnung
A. Anwendungsbereich
1. Zeitlicher Anwendungsbereich
2. Sachlicher Anwendungsbereich
3. Räumlicher Anwendungsbereich
4. Verarbeitung personenbezogener Daten
5. Datenverarbeitung
6. Zusammenfassung
B. Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten
C. Grundsätze zur Datenverarbeitung
1. Rechtmäßigkeit, Treu und Glauben, Transparenz
2. Zweckbindung
3. Datenminimierung
4. Richtigkeit
5. Speicherbegrenzung
6. Integrität und Vertraulichkeit
7. Rechenschaftspflicht
8. Zusammenfassung
D. Einwilligung
E. Datenverarbeitung zur Vertragserfüllung
F. Informationspflichten
1. Informationspflichten nach Art. 13 DSGVO
2. Informationspflichten nach Art. 14 DSGVO
3. Abgrenzung zwischen Direkt- und Dritterhebung
4. Form der Bereitstellung von Informationen
5. Zeitpunkt der Information des Betroffenen
6. Einschränkungen der Informationspflicht
7. Folgen bei Verstoß
8. Zusammenfassung
G. Rechte der betroffenen Personen
1. Informationspflichten
2. Auskunftsrecht der betroffenen Person
3. Recht auf Löschung
4. Recht auf Datenübertragbarkeit
5. Weitere Betroffenenrechte
6. Zusammenfassung
H. Verletzung des Schutzes
1. Definition
2. Meldung an die Aufsichtsbehörde
3. Benachrichtigung der betroffenen Person
4. Dienstliche Verwendung von Instant Messengern
5. Zusammenfassung
I. Cookies
1. Übergangszeit bis zur ePrivacy-Verordnung
2. Cookies unter Berücksichtigung der DSGVO
3. Zusammenfassung
J. Tracking-Tools
K. Kontaktformulare
L. E-Mail-Marketing
M. Zusammenfassung
X. Zweite Zahlungsdiensterichtlinie
A. Auswirkungen auf E-Commerce
B. Nutzung von E-Payment-Dienstleistern
C. Zahlung per Rechnung
D. Relationen zu § 270a BGB und anderen
E. Auswirkung auf Preisgestaltung
F. 2FA-Bestimmung
G. Zusammenfassung
XI. Produkt- und Produzentenhaftung
A. Produkthaftung
1. Voraussetzungen
2. Folgen
B. Produzentenhaftung
1. Voraussetzungen
2. Folgen
C. Auslagerung von Haftungsrisiken
1. Auslagerung Produkthaftungsrisiken
2. Auslagerung Produzentenhaftungsrisiken
D. Zusammenfassung
XII. Ausblick
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Entscheidungsregister
I. Hinweis
Bei aller Mühe, den rechtlichen Sachverhalt leicht verständlich und übersichtlich darzustellen, stellt dieses Buch keine Rechtsberatung dar und kann diese auch nicht ersetzen. Die erläuterten Sachverhalte zielen darauf ab, ein grundsätzliches Rechtsverständnis aufzubauen, losgelöst von Einzelfällen. Jeder reale Sachverhalt eines Unternehmens hat individuelle Besonderheiten, die es in einer juristischen Untersuchung zu beachten gilt und die mit dem vorliegenden Recht in Einklang gebracht werden müssen (sog. Subsumtion). Dies kann in den folgenden Ausführungen unmöglich geleistet werden. Daher ersetzen die bereitgestellten Informationen keine ausführliche Beratung unter Berücksichtigung der tatsächlichen Sachverhalte im Geschäftsbetrieb des Lesers.
Das Werk inklusive aller Inhalte wurde mit größter Sorgfalt recherchiert und überprüft, dennoch erfolgen die Benutzung des Buchs und die Umsetzung der darin enthaltenen Informationen ohne Rechtsbeistand ausdrücklich auf eigenes Risiko. Fehlinterpretationen können nicht ausgeschlossen werden, u.a. schon deshalb, weil Gesetzgebung und Rechtsprechung einem permanenten Wandel unterliegen.
II. Einleitung
Als Unternehmer ist man zwangsläufig mit rechtlichen Fragen konfrontiert. Die Entscheidungen, die auf täglicher Basis getroffen werden, haben eine unmittelbare Auswirkung auf das Umfeld, in dessen Raum sich das Unternehmen bewegt. Überall, wo das Unternehmen Berührungspunkte mit außenstehenden juristischen oder natürlichen Personen hat, können diese Auswirkungen zu unterschiedlichen Auffassungen über richtig und falsch führen. Dabei ist es unerheblich, ob man Unternehmensgründer (in spe) ist, Einzelunternehmer, Geschäftsführer einer Gesellschaft oder im Management eines etablierten Konzerns – die Problematik bleibt dabei immer die gleiche: Die geschäftlichen Entscheidungen haben juristische Folgen im Umgang mit anderen Rechtssubjekten.
Dieses Buch soll Brücken bauen – zwischen dem schwer zugänglichen Thema der Rechtswissenschaften und den alltäglichen Problemen eines Unternehmens im E-Commerce. In herkömmlicher einschlägiger Literatur ist häufig zu sehen, dass rechtliche Ratschläge gegeben werden, diese aber nicht nachvollziehbar bzw. verifizierbar sind. Denn meist sind solche Empfehlungen ohne Begründungen und Quellen, wie Rechtsnormen oder Urteile, verfasst. Darüber hinaus fehlt es häufig auch an der Hinterfragung und kontroversen Diskussion. Als Kontrast dazu gibt es Fachliteratur, die für Juristen gedacht ist und somit im Alltag von Anwälten, Professoren und Studenten zur Anwendung kommt. Aus dieser Zielgruppe ergibt sich, dass ein breites Grundverständnis bei den Lesern dieser Fachliteratur vorausgesetzt wird und folglich die Texte für juristische Laien in der Praxis kaum brauchbar sind. Mit diesem Buch soll der Mittelweg dieser beiden Möglichkeiten gebildet werden: ein Praxis-Handbuch für juristische Laien, aber mit dem Anspruch, wissenschaftlich fundiertes Wissen an Entscheider zu vermitteln. Dabei geht es nicht darum, einem E-Commerce-Unternehmen detaillierte und vorgefertigte Prozessanleitungen mit auf den Weg zu geben, z.B. durch das Stellen von AGB-Templates, stattdessen soll ein rechtliches Grundverständnis beim Leser entstehen, damit es dem Unternehmer zukünftig möglich ist, auf rechtliche Fragestellungen weitgehend eigenständig zu reagieren und die entsprechenden Entscheidungen für sein Unternehmen zu treffen, sowohl strategisch als auch taktisch.
Vor dem Einstieg in die eigentliche Thematik noch ein Hinweis zur Verwendung von maskulinen Substantiven. In der deutschen Sprache sind viele Substantive von einem Verb abgeleitet, indem ein Suffix angehängt wird (sog. Nomina Agentis). Die häufigste Endung, vor allem bei Berufsbezeichnungen, ist „-er“. Diese Endung wird oft als männliche Endung interpretiert (sog. generisches Maskulin). Durch dieses generische Maskulin lässt sich allerdings kein Rückschluss auf das tatsächliche Geschlecht der Person ziehen. Der Grund dafür liegt in der Unterscheidung zwischen Sexus und Genus in der deutschen Sprache. Das grammatische Geschlecht (Genus) ist nicht mit dem natürlichen Geschlecht des Bezeichneten gleichzusetzen (Sexus). So ist z.B. der Hund nicht immer männlich und die Maus nicht zwangsläufig weiblich. Deutlicher wird das bei Nomen wie die Geisel, die Person oder die Wache; es ist einleuchtend, dass keine dieser Personen weiblich sein muss, vielmehr ist das tatsächliche Geschlecht (Sexus) bis zur weiteren Definition ungeklärt. Was mit dieser ausschweifenden Erklärung zum Ausdruck gebracht werden soll, ist, dass in diesem Buch sehr oft Berufsbezeichnungen wie z.B. Händler, Kunden oder Verbraucher thematisiert werden. Trotz dieser grammatisch männlichen Form der Substantive (Genus) sind damit keinesfalls ausschließlich männliche Personen (Sexus) gemeint. Der Einfachheit halber wurde auf weibliche Suffixe verzichtet, da diese aus grammatischer Sicht ohnehin eine fragwürdige Vermischung von Sexus und Genus darstellen. Kurzum, ist später z.B. vom Händler die Rede, sind alle Geschlechter gleichermaßen einbezogen bzw. angesprochen.
A. Geschichte des Verbraucherschutzes
Die Chronik des Verbraucherschutzes in Deutschland geht zurück bis in die Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Bereits ein Jahr nach der Einführung der D-Mark (1948) und kurz nach Inkrafttreten des Grundgesetzes im Mai 1949 wurde der ständige Ausschuss für Selbsthilfe von Verbrauchern gegründet. Schon kurz darauf wurden die Arbeitsgemeinschaft Hauswirtschaft (AgH) und die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV) gegründet. Letztere erarbeitete auf Basis der „Charta der Verbraucher und die Grundsätze zur Verbraucheraufklärung“ die Einrichtung von Verbraucherzentralen in allen Bundesländern und führte noch in den 50ern des letzten Jahrhunderts erste Preistests durch. Als Folge dieser Bewegung, die auch international auf europäischer und transatlantischer Ebene forciert wurde, wurde kurz darauf in den 60ern die Stiftung Warentest gegründet, das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb wurde maßgeblich geändert, der Verbraucherschutzverein VSV und der Verband der Postbenutzer wurden gegründet und die EG-Kommission richtete den Fachdienst für verbraucherrelevante Fragen in der Generaldirektion Wettbewerb ein. Somit wurden bereits sehr früh die Grundsteine für den Verbraucherschutz gelegt, wie wir ihn heute kennen. In den folgenden Jahren bzw. Jahrzehnten wurden diese Errungenschaften kontinuierlich ausgebaut und es entstanden vor allem rechtliche Reformen, die neue Rechtsnormen schufen bzw. dem ursprünglichen BGB (das zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs am 01.01.1900 in Kraft trat) einen verbraucherfreundlichen Schliff gaben. So wurden z.B. AGB-Gesetz, Fernunterrichtsschutzgesetz und Bundesdatenschutzgesetz reformiert, das Reisevertragsgesetz erschaffen und neue Preisangabenverordnungen erlassen. Die Bemühungen der Berliner und Brüsseler Legislative sorgten unaufhörlich für eine stringente Verbesserung der Position des Verbrauchers gegenüber Unternehmen. Dieser Prozess ist keineswegs abgeschlossen, sondern wirkt bis heute auf die Gesetzgebung ein. So gab es z.B. im Jahr 2002 eine Reform des BGB, die weiter zur Stärkung der Verbraucherrechte beitrug, indem z.B. eine ausgeweitete Garantiedauer sowie das Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz eingeführt wurden. Die letzte große Änderung, die sicherlich vielen Online-Händlern noch im Gedächtnis ist, war die Umsetzung der Europäischen Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU (VRRL) in nationales Recht. Die Änderungen in BGB und EGBGB traten zum 13.06.2014 in Kraft und führten zu gravierenden Neuerungen für Händler in Bezug auf die Informationspflichten im Fernabsatz, einschließlich des Widerrufsrechts sowie der Pflichten im elektronischen Geschäftsverkehr.
Betrachtet man die Entstehung des Verbraucherschutzes auf der politischen Zeitachse des Landes, fällt unweigerlich ins Auge, dass simultan wesentlich größere Umbrüche im Gange waren. Ursprünglich kam Deutschland aus der Monarchie und anschließend über die Weimarer Republik und die dunkle Zeit des Dritten Reichs in seine jetzige Form: ein demokratischer föderaler Bundesstaat. So ging die Entstehung des Verbraucherschutzes einher mit der Verwandlung der deutschen Ökonomie in die sog. soziale Marktwirtschaft. Soziale Marktwirtschaft ist ein gesellschafts- und wirtschaftspolitisches Leitbild mit dem Ziel, das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden. Alfred Müller-Armack wählte diese Wortverbindung erstmals 1947. Er entwarf die Soziale Marktwirtschaft als Alternative neben der rein liberalen Marktwirtschaft und der staatlichen Wirtschaftslenkung. Die Soziale Marktwirtschaft setzte sich bald als Bezeichnung für die Wirtschaftsordnung der BRD durch.
Aber auch auf europäischer Ebene bemüht man sich seit langem um die weitere Durchsetzung der sozialen Marktwirtschaft. So strebt die Europäische Union laut Lissabon-Vertrag eine sog. wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft mit Vollbeschäftigung und sozialem Fortschritt an. Während mit sozialer Marktwirtschaft vor allem Veränderungen bezüglich der Rechte von Arbeitnehmern und wirtschaftliche Existenzsicherung des Volkes in Verbindung gebracht werden, so lässt sich aber auch im Bereich des Verbraucherschutzes erkennen, dass den Ungleichheiten der freien Marktwirtschaft entgegengewirkt werden sollte. Die Ungleichheit im Verhältnis Unternehmen zu Verbrauchern wird besonders dadurch deutlich, dass oft vom sog. schutzbedürftigen Verbraucher die Rede ist. Somit kann der Verbraucherschutz als eine unausweichliche Folge des Übergangs zur sozialen Marktwirtschaft betrachtet werden.
Warum spielt das in dem Kontext dieses Buchs eine Rolle? Weil dadurch deutlich wird, dass der Schutz des Verbrauchers eine Facette im Kontext einer wesentlich größeren politischen Bewegung ist – eine Bewegung, die einen Grundpfeiler unserer Gesellschaft darstellt. Damit erhält der Verbraucherschutz wesentlich mehr Prägnanz als von der Gesamtbewegung losgelöst betrachtet. Lebendig wird die Stellung des Verbraucherschutzes in beidem, der Gesetzgebung und der Rechtsprechung. Das sollte jeder Unternehmer in seinen täglichen Handlungen immer im Hinterkopf haben; denn kommt es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen Unternehmen und Verbraucher, wird es seitens der Gerichte (fast) immer heißen: in dubio pro Verbraucher! – im Zweifel für den Verbraucher!
B. Überblick
E-Commerce hat in den vergangenen Jahren bzw. Jahrzehnten eine beeindruckende Entwicklung vollzogen. Während zum Ende des letzten Jahrtausends die ersten Unternehmen zaghafte Versuche unternahmen, das Internet als innovativen Distributionskanal für sich zu entdecken, drängten schon kurz danach Start-ups an den Markt, für die Begriffe wie Multi-Channel-Vertrieb, Click-Funnel und Affiliate-Marketing nicht nur allgegenwärtige Betätigungsfelder darstellen, sondern vielmehr das Rückgrat des gesamten Geschäftsmodells bilden. Aber nicht nur durch mutige Gründer ist dem E-Commerce eine immense Bedeutung für den deutschen Handel beizumessen. Heute bilden die Start-ups von damals ein Cluster etablierter Unternehmen. Ein Netzwerk, das aus der heutigen Wirtschaft nicht mehr wegzudenken ist. Zalando SE beispielsweise hat im Jahr 2016 einen Umsatz von 3,6 Mrd. EUR erzielt.1 Amazon.com Inc. kommt sogar auf beachtliche 136 Mrd. USD (das entspricht circa 117 Mrd. EUR bei 1,16 EUR/USD).2
Vergleicht man diesen Umsatz mit der wirtschaftlichen Leistung von Nationen (mit Hilfe des PPP-Ansatzes), läge Amazon nach Schätzungen des IWF im Ranking auf Platz 77 – noch vor Tunesien, Guatemala und Puerto Rico.3 Bemerkenswert ist, dass circa 45 % des Amazon-Umsatzes auf rund 64.000 einzelne Händler zurückzuführen sind, die über den Fulfillment Service von Amazon (FBA) ihre Kunden bedienen.4
C. Motivation
E-Commerce hat sich innerhalb rund zweier Dekaden zwar zu einem bedeutenden Pfeiler der Warenverteilung an private Haushalte und zu einem ebenso bedeutenden Wirtschaftszweig als Sublandschaft innerhalb des Einzelhandels etabliert. Jedoch birgt diese Sublandschaft nicht für alle einen leichten Zugang zu neuen Absatzmärkten. So gelingt es z.B. jungen Unternehmen kaum, ins Ausland zu expandieren. Dabei ist gerade der Internethandel für die Internationalisierung prädestiniert, ist doch das Internet grenzüberschreitend präsent und jeder Konsument in der Lage, sogar von unterwegs per Klick jeden beliebigen Online-Shop der Welt gleichermaßen zu erreichen. An Zahlungssystemen über die Landesgrenzen hinaus fehlt es dank der ausgedehnten FinTech-Landschaft in den Bereichen E-Payment und Blockchain-basierter Kryptowährungen ebenfalls nicht. Auch Marketing-Tools, z.B. soziale Medien, bieten grenzüberschreitend die Möglichkeit einer zielgruppenorientierten Adressierung von Werbung. Es ist für Händler aus technischer Sicht leichter als je zuvor, mit ihrem Warenangebot im Ausland einen Cashflow zu generieren. Dennoch stehen Entrepreneure hierbei erheblichen Markteintrittsbarrieren gegenüber. Neben sprachlichen und kulturellen Hürden sind es besonders die rechtlichen Hindernisse. In einer Studie der Universität Regensburg werden die rechtlichen Unsicherheiten von rund 67 % der befragten deutschen Online-Händler als die größte Schwierigkeit bezüglich der Internationalisierung gesehen.5 Diese Unsicherheit ist nachvollziehbar, denn rechtliche Risiken im internationalen E-Commerce bergen eine weitgehend unbekannte Gefahr, da die rechtlichen Rahmenbedingungen schwer zugänglich sind. Diese schwer durchdringbare Rechtslage steht in einem Missverhältnis zu den Möglichkeiten der Marktteilnehmer.
Dies trifft aber nicht nur für internationale Expansionen zu. Viele junge Gründer fühlen sich von der Fülle der rechtlichen Gegebenheiten überwältigt und sehen dieses nebulöse Dickicht als große Hürde, um überhaupt erst mit einer Unternehmung zu beginnen. Dazu gehört auch, dass der Verbraucherschutz in Deutschland und der EU sehr stark ist, dass es Verbraucherschutzeinrichtungen und Ratgeber gibt, um Verbraucher bestmöglich zu schützen, und dass die Rechtsprechung häufig zu Ungunsten der Unternehmer ausfällt. Prinzipiell ist es zwar durchaus wünschenswert, dass in unserem Rechtssystem der schutzbedürftigen Partei zum Kampf auf Augenhöhe verholfen wird, jedoch darf dabei der Unternehmer nicht vergessen werden. Denn florierende Unternehmen sind die Grundlage unserer Wirtschaft und essentiell für die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Unternehmern fällt es schwer, sich auf rechtliche Risiken der Geschäfte vorzubereiten, wenn deren Ausmaß gänzlich unbekannt ist. Genau diese Unsicherheiten möchte die vorliegende Arbeit ausräumen. Es soll ein Nachschlagewerk entstehen, das die rechtliche Thematik nicht nur umreißt, sondern durchdringt und somit den Unternehmer für alle gängigen Situationen im Online-Handel wappnet.
D. Abgrenzung
Die zugrunde liegende Untersuchung fokussiert sich auf den klassischen Warenkauf eines Verbrauchers (gem. § 13 BGB) bei einem Online-Händler, der diesen Handel professionell betreibt – also zu einem beruflichen bzw. unternehmerischen Zweck. Bei derartigen B2C-Warenkäufen kann es zu Unstimmigkeiten zwischen Verbraucher und Online-Händler kommen. Diese Unstimmigkeiten stellen in Volumen und Qualität ein Risiko für das Unternehmen dar. Diese Unwägbarkeiten werden dabei aus zwei verschiedenen Perspektiven bewertet, basierend auf der vertraglichen Verpflichtung gem. § 433 BGB: Zum einen kann es dazu kommen, dass ein Verbraucher seine durch Rechtsgeschäft entstandenen Ansprüche unerfüllt sieht, zum anderen kann es vorkommen, dass das Unternehmen eine Diskrepanz zwischen Soll- und Ist-Leistung des Verbrauchers zu erkennen glaubt. Beide Varianten können zu einer rechtlichen Auseinandersetzung führen, die eine Berührung mit deutschem oder sogar außerdeutschem Recht zur Folge haben kann. Daraus resultieren Risiken für das Unternehmen. Beide Blickwinkel auf unternehmerische Unwägbarkeiten werden im Folgenden untersucht mit dem Anspruch, Optionen für das Unternehmen aufzuzeigen, diese Risiken zu reduzieren – im Idealfall ex ante einer gerichtlichen Auseinandersetzung bzw. noch vor Entstehung des Kaufvertrags. Ausgangspunkt ist somit ausschließlich eine Streitigkeit aus § 433 BGB (vertragliche Verpflichtungen). Kaum behandelt werden hingegen Gesetzesberührungen, die sich aus der Distribution spezieller Waren und Dienstleistungen ergeben, wie z.B. das Anbieten von Finanzdienstleistungen automatisch das WpHG mit einbeziehen würde. Alle erdenklichen produktspezifischen Sondervorschriften in diesem Rahmen zu behandeln wäre nicht möglich. Es obliegt vielmehr dem Leser, selbst zu recherchieren, welche besonderen Vorschriften im vorliegenden Geschäftsmodell greifen könnten.
1 Zalando, Pressemitteilung vom 1. März 2017: Zalando peilt nach starkem Geschäftsjahr weiter hohes Wachstum an.
2 Amazon, Q4 2016 Financial Results.
3 Wikipedia, Liste der Länder nach Bruttoinlandsprodukt.
4 Wortfilter, Mark Steiger, Amazons Händler sind für 45 % des Umsatzes verantwortlich.
5 E-Commerce-Leitfaden, c/o ibi research der Universität Regensburg, Pressemitteilung vom 13.06.2016: Internationaler E-Commerce – eine lohnende Investition?