Verschlüsselt
Der Fall Hans Bühler
Impressum
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© 1994 Werd Verlag, Zürich
© 2020 Werd & Weber Verlag AG, Thun/Gwatt
Lektorat: Christina Sieg
Gestaltung: Albin Koller, Berikon
E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de
E-Book ISBN 978-3-03922-048-9
www.werdverlag.ch
www.weberverlag.ch
Der Verlag Werd & Weber wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016 – 2020 unterstützt.
Inhalt
Vorwort zur neuen Auflage
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
Dokumentarischer Anhang
Die Person
Die Technik
Die Firma
Die Gefangenschaft
Die Rückkehr
Nachwort von Hans Bühler
Über den Autor
Vorwort zur neuen Auflage
Im vergangenen Jahr erhielt der Kölner Journalist und Dokumentarfilmer Peter F. Müller Geheimdokumente aus den USA und Deutschland. Sie bestätigen nach einem Vierteljahrhundert, dass sich der Schweizer Verkaufsingenieur Hans Bühler in eine sehr gefährliche Situation begab, als er im März 1992 nichtsahnend in den Iran aufbrach. Was er nicht wusste: Seine Firma Crypto war im Gemeinschaftsbesitz von CIA und BND. Die nach ihren Vorgaben gebauten Chiffriergeräte verhalfen den westlichen Geheimdiensten dazu, die verschlüsselten Nachrichten der Kundenländer zu knacken. Das ist der Anlass dieser Neuauflage.
Das Projekt, von der CIA mit dem Namen der römischen Göttin «Minerva» getarnt, war eines der erfolgreichsten Projekte der westlichen Geheimdienste in der Nachkriegszeit. Aber unter den 130 Kundenländern waren nicht nur «Schurkenstaaten», wo der Zweck der Aufklärung das Mittel der Täuschung allenfalls heiligen mag. Belauscht und geknackt wurden über die unsicheren Chiffriergeräte auch die Nachrichten anderer Länder, deren «Vergehen» einzig darin bestand, dass sie blockfrei waren.
Nicht nur sie zahlten einen hohen Preis. Auch die Schweiz wird sich aufgrund ihres vielfach bekräftigten Anspruchs auf Neutralität und ihrer Rolle als Vermittlerin in internationalen Konflikten rechtfertigen müssen. Sie hat auf ihrem Terrain eine Firma beherbergt, die auf Täuschung der Abnehmer angelegt war und hat deren Produkten das Etikett Schweizer Technologie umgehängt. Führende lokale Politiker haben mit ihrer Präsenz im Verwaltungsrat die Glaubwürdigkeit als Schweizer Firma bestätigt. Mehrere Untersuchungsverfahren nach Hinweisen auf den geheimdienstlichen Hintergrund der Firma wurden ergebnislos eingestellt, die Ermittler geben sich im Nachhinein der Lächerlichkeit preis. Eine neue Untersuchung jetzt, wo sich CIA und BND aus der Firma zurückgezogen haben, könnte endlich klären, wer wann vom Hintergrund dieser Firma wusste. Sicher ist es nicht, dass die Schweizer Politik und Justiz dazu den Mut und den Willen aufbringen.
Den höchsten Preis für den verdeckten Hintergrund ihrer Firma bezahlten die nicht eingeweihten Beschäftigten und ihre Familien. Sie litten teils jahrelang darunter, dass sie in lebensgefährliche Situationen gerieten, ohne die Hintergründe der Gefahr zu kennen. Hans Bühler sass mehr als neun Monate in einem iranischen Militärgefängnis. Wenn sich die Ermittler bei ihm auf psychische Folter beschränkt haben, dann wohl nur deshalb, weil sie zum Schluss gekommen waren, dass er nichts wusste. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz erwogen Firma und Nachrichtendienste, ihn durch einen Gerichtsprozess so lange zu zermürben, bis er Ruhe gab. Die Drohung reichte, Bühler liess sich schliesslich angesichts des hohen finanziellen Risikos zum Stillhalten verpflichten.
Hans Bühler starb im Juli 2018. Der Fall hat ihn bis ans Lebensende beschäftigt, zeitweilig Tag und Nacht. Wer sein Nachwort in diesem Buch liest, wird auch nach 26 Jahren noch beeindruckt sein. Es ist die Tragik dieses Weltreisenden, dass er als Akteur unversehens in ein Puzzle der Weltgeschichte eingesetzt wurde, ohne das Einsetzen des letzten Puzzleteils in seiner Geschichte noch zu erleben.
I
Was wollten die von ihm? Einer hatte befohlen, den Stuhl zur Wand zu drehen. Dann war ihm eine grüne Augenbinde aufgesetzt worden. Fortan konnte er nur noch die Schuhe seiner Befrager sehen und einen Streifen Boden, vielleicht fünfzig Zentimeter. Ob er einen Dienstpass habe? Ein gutes Zeichen, die waren auf korrekten Umgang bedacht. Überhaupt schienen das Profis in Verhaftungsaktionen, keine Spur von Nervosität bei diesem Dutzend jüngerer Männer; nicht einer hatte die Hand an der Pistole.
War das zivile Polizei, Militärpolizei, oder waren es die Sepah Pasdaran, die «Revolutionswächter»? Kein Entführungskommando jedenfalls, vermutete B., sonst hätten sie keinerlei Rücksicht auf diplomatische Gepflogenheiten genommen. Hätte er einen Dienstpass oder gar Diplomatenpass vorzeigen können, er wäre vermutlich gleich wieder freigekommen, damit keine aussenpolitischen Scherereien entstanden. Vielleicht wäre er einen Tag später abgeschoben worden, weil gegenwärtig Spannungen zwischen den beiden Ländern bestanden. Aber B. hatte bloss seinen gewöhnlichen Schweizerpass. Einer blätterte in B.s Dokument und fragte nach den Personalien. B. gab bereitwillig Auskunft, sein Aufenthaltsvisum war gültig, er hatte nichts zu verbergen: Bühler, Hans, born 1941, nationality Swiss, in Teheran since 6th of March 1992, employee of Crypto AG, Steinhausen/Switzerland.
«Boru, Mister Hans!» sagte einer, es war die Aufforderung zu gehen.
B. verstand die Alltagssprache, seit er Kurse in Farsi besucht hatte. Das war von den iranischen Kunden als besonderes Interesse für ihr Land und ihre Kultur geschätzt worden. B. hatte während seiner zahlreichen Auslandaufenthalte gelernt, sich fremden Kulturen anzupassen. Um so unverständlicher war es für ihn, dass er jetzt offenbar angeeckt war. Womöglich handelte es sich nur um eine routinemässige Kontrolle. Warum wurden ihm dann Handschellen angelegt? War er der einzige, der abgeführt wurde, oder wurden auch die andern mitgenommen? Wenn er sich in Teheran irgendwo sicher gefühlt hatte, dann hier in Anwesenheit der beiden Offiziere, die zur Klärung von technischen Fragen um ein Treffen ersucht hatten. Das Geschäft stand kurz vor dem Abschluss. Es war ein Routinetreffen, wie B. in den dreizehn Jahren seiner Tätigkeit für die Chiffrierfirma schon vielen beigewohnt hatte. Man hatte sich in der Wohnung des Bruders des Teheraner Firmenvertreters getroffen. Erst hatte man geplaudert, Kaffee und Cola getrunken und sich nach dem Wohlergehen der Familie erkundigt. Man kannte sich, die beiden Offiziere waren auch schon zur Ausbildung und Evaluation in der Schweiz. Danach waren Details der Verkaufsverhandlungen besprochen worden. Seine Firma war weltweit eine der versiertesten, was die Übermittlung sensitiver Meldungen via Funk, Telefon, Telex, Telefax oder Computer betraf. Dieselben Geräte waren schon an verschiedene Ministerien verkauft worden, damit heikle Meldungen abhörsicher übermittelt werden konnten.
B. wurde hinausgeführt. Es war ein mühsames Gehen, weil er nur knapp vor die eigenen Füsse sah. Bis zur Strasse waren es vielleicht fünfzig Schritte. Sein Begleiter schien unruhig, mied das Licht und war offenkundig darauf bedacht, dass sie von Anwohnern nicht gesehen wurden. B. musste in einen Transportwagen einsteigen, einen umgebauten Kleinbus mit Sitzbank, vermutlich ein Gefangenentransporter. Der Fahrer startete den Motor. B. war im fensterlosen Laderaum allein mit einem Begleiter, noch immer in den Handschellen und mit Augenbinde. Zunächst schienen sie durchs Zentrum zu fahren, immer wieder gab es kurze Zwischenhalte vor Lichtampeln. Danach hatte der Fahrer auf einer längeren Strecke Gas geben können, jetzt ging es wohl aus dem Zentrum hinaus.
Die Fahrt dauerte mindestens eine halbe Stunde, vielleicht auch eine ganze. B. war unfähig zu einer zeitlichen Einschätzung, zuviel ging ihm durch den Kopf. Das war ihm völlig unverständlich, was hier geschah! Gleich würden sie irgendwo ankommen, seine Personalien überprüfen, und dann musste sich alles klären. In 28 Stunden ging sein Flug zurück nach Zürich, dann war B. wieder bei seiner Familie im Zürcher Vorort Oerlikon und nächste Woche schon wieder am Hock des Funkamateurvereins. Da würde er etwas zu erzählen haben nach dieser nächtlichen Verhaftungsaktion! Womöglich war dies anderen auch schon passiert, irgendwo aus heiterhellem Himmel aufgegriffen und abgeführt, bis sich der Irrtum herausstellt. B. beschloss, nach seiner Rückkehr Stillschweigen über diesen Vorfall zu bewahren. Mit solchen Räubergeschichten würde er nur seine Familie im Hinblick auf weitere Reisen beunruhigen.
Und wenn diese Sache länger dauern würde? Warum waren die mit ihm aus der Stadt hinausgefahren? Seine Personalien hätten sich auch in Teheran überprüfen lassen.
«How long will it take?» fragte er den Begleiter auf der Sitzbank.
«No talk», antwortete der Begleiter.
Dann hielt der Bus. B. wurde hinausgeführt. Hier war es auffallend ruhig und auch kälter als im Zentrum von Teheran. B. fröstelte. Er wurde in einen Vorraum geführt und musste alle Gegenstände abgeben. Wieder fiel ihm auf, wie korrekt alles ablief. Geld, Taschentuch, Zigaretten, das rote Feuerzeug mit dem Aufdruck des Restaurants «Frohsinn» – jeder Gegenstand, den sie ihm abnahmen, wurde exakt bezeichnet und in einem Inventar aufgelistet. Wenn sich der Irrtum über diesen Vorfall erst geklärt hatte, würde er sich nicht beklagen können. Jeder tat ihm gegenüber einfach seine Arbeit. Dann musste sich B. auskleiden, auch die Brille wurde ihm abgenommen. Die Krawatte fehlte, sie war offenbar neben der leeren Coladose in der Wohnung des Gastgebers liegengeblieben. B. erhielt andere Kleider, eine lange Hose aus grauer Baumwolle, eine Jacke, bis oben zuknöpfbar, ein paar Sandalen. Auffällig das Stoffmuster auf Hose und Jacke mit Hunderten von kleinen Waagen, Symbolen der Gerechtigkeit, aber darüber nicht die Justitia mit den verbundenen Augen – sondern eine Maschinenpistole!
B. wurde die Sache zunehmend ungemütlicher. Es musste jetzt gegen Mitternacht sein, vermutlich würde er hier übernachten müssen. Mit verbundenen Augen und wieder in Handschellen wurde er über einen Hof in einen andern Trakt geführt. Dort brachten ihn die Betreuer in einen kleinen Raum. Einen Moment lang stand er verloren da.
«Do you know where you are?» fragte ein Betreuer.
«It looks like a prison», sagte B.
«It is a prison!» sagte der Betreuer im Hinausgehen, und B. vermeinte kurz, ein Lachen gehört zu haben.
Als B. allein war, nahm er die Augenbinde ab und schaute sich um. Die Zelle mass vielleicht zwei auf drei Meter, war vier Meter hoch und auf der Höhe von drei Metern auf zwei Seiten offen, wenn auch mit Eisenstäben versperrt. Von der Gangseite kam schwaches Licht herein, von aussen kühle Luft. Auf dem Steinboden war ein dünner Filz ausgelegt, darauf lagen zwei Wolldecken, ein Kopfkissen, ein Kartonstreifen, vielleicht dreissig Zentimeter lang, ein kleines Frottiertuch. Zwei Plastikkübel standen da, einer gefüllt mit Wasser, der andere offenbar für die Notdurft, und ein Trinkbecher. An der Wand war die Gefängnisordnung angeheftet, dreisprachig, in Farsi, Arabisch und Englisch. B. versuchte, im schwachen Licht den englischen Text zu entziffern: «The accused» – das bedeutete wohl «Angeklagter», vielleicht auch nur «Beschuldigter» – war verpflichtet, in der Zelle absolute Stille zu bewahren. Die Zelle war sauberzuhalten, es durfte nicht auf die Wände geschrieben werden, die Wolldecken waren wöchentlich zu reinigen. Der Beschuldigte musste sich ausserdem regelmässig waschen. Wenn er etwas brauchte, hatte er den Kartonstreifen unter der Gefängnistüre durchzuschieben. Jedes Klopfen oder Rufen war strikte untersagt. Wurde vom Gefängnispersonal das Guckloch in der Zellentüre geöffnet, so hatte der Beschuldigte aufzustehen, die Augenbinde anzulegen und auf Anweisungen zu warten. Damit sollte wohl verhindert werden, dass das Gefängnispersonal erkannt und später allenfalls ein Opfer von Rache wurde. Aber B. hatte keine Rachegefühle, bis jetzt war man korrekt mit ihm verfahren.
B. versuchte sich hinzulegen. Sollte er die Wolldecken als Unterlage nehmen und so die Härte des Bodens mildern oder sich zudecken, damit ihn nicht fröstelte? Wie lange würden sie ihn hier festhalten? Für eine Nacht war das auszuhalten, aber länger? B. versuchte zu ruhen, aber zu viele Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Jetzt musste es noch rund 24 Stunden dauern bis zu seinem Rückflug nach Zürich. Das hatte er nicht erwartet, für die zweitletzte Nacht in Teheran das Hotelbett mit einem Steinboden zu tauschen! Langsam bohrten sich ihm die Knochen in den Leib, er wechselte die Seite, stand auf, ging ein paar Schritte und legte sich wieder hin. Es wollte nicht klappen mit Schlafen, aber das war nicht weiter schlimm, er würde sich im Flugzeug auf der Rückreise ausruhen und sich nach der Ankunft in Zürich von den Strapazen nichts anmerken lassen. Was die zu Hause in der Schweiz jetzt machten? Ob die wussten, wie schön das war, in einem Bett zu liegen?