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Über das Buch

Eine Geheimtreppe zu einem versteckten Dachboden, Aufzeichnungen über magische Wesen und Fläschchen mit blau leuchtendem »Flüsterpulver«: In Lukas’ neuem Zuhause gibt es allerhand Rätselhaftes zu entdecken. Als eine unheimliche Gestalt mitten in der Nacht in sein Zimmer einbricht und mit einem Sack voller Diebesgut flüchtet, nimmt Lukas kurzerhand die Verfolgung auf. Die Spur führt ihn in den Flüsterwald, wo eine verborgene Welt auf ihn wartet – und ein Abenteuer, das er niemals vergessen wird.

Ein Fantasyabenteuer, das man nicht mehr aus der Hand legen will.

Andreas Suchanek

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Buch 1:

Das Abenteuer beginnt

Mit Illustrationen

von Timo Grubing

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Rani (Menok)

*Nachwuchsautor, forscht über Menschen

*spielt für sein Leben gerne und ist schokoladensüchtig

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Lukas (Mensch)

*Leseratte und Abenteurer

*muss sich in einer neuen Stadt zurechtfinden

*seine Familie hat keine Ahnung vom Flüsterwald oder von Magie

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Felicitas (Elfe)

*zaubert gerne (was nicht immer klappt wie geplant)

*fühlt sich im Internat einsam und unternimmt deshalb öfter (verbotenerweise) Streifzüge

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Punchy (Katze)

*heißt mit vollem Namen: Pedora Ulinde Naftet von Chibalka

*Aufpasserin von Felicitas

*hat Nerven aus Stahl

Inhalt

Prolog

Ein neues Zuhause

Die Villa

Licht in der Nacht

Der seltsame Fremde

Das Bildnis aus Stein

Eine Treppe im Bücherregal

Das geheime Studierzimmer

Von Elfen und anderen Fabelwesen

Nur ein Albtraum?

Ich verlange meine drei Wünsche!

Das Elfeninternat

Der Wark

Der magische Würfel

Lukas, der Elf

Die Blinzelbahn

Die dunklen Jahre

Im Bau der Bolde

Der lustige Lukas

Schatten der Vergangenheit

Eine Idee

Klingt nach einem Plan

Die Bibliothek

Da geht’s lang!

Lauft!

Wie ein Luftballon

Silberglanz

Der Bereiniger

Zeitschatten

Bis zur letzten Krallenspitze

Die Heldin der Stunde

Das Schlaflied

Abschiedsworte

Ein Montagmorgen

Pulver und Tränke

Epilog

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Prolog

Dunkle Wolken ballten sich über dem kleinen Städtchen Winterstein zusammen. Regen prasselte herab und durchnässte jeden, der nicht schnell genug die eigenen vier Wände erreichte. Wind peitschte wütend durch die Gassen und trieb achtlos weggeworfenes Zeitungspapier vor sich her. Blitz und Donner stritten um die Vorherrschaft.

Genauso mochte er es.

Die Dunkelheit griff nach der Welt, vertrieb die Menschen und eroberte, was ihr gehörte.

Er zog die Kapuze tiefer in die Stirn. Die letzten Häuser von Winterstein blieben hinter ihm zurück. Statt auf Pflastersteinen ging er längst über matschige Pfade. Jedes Mal, wenn einer seiner Stiefel sich aus der nassen braunen Erde löste, gab es ein schmatzendes Geräusch.

Seine eiligen Schritte trugen ihn auf direktem Weg zum Ort seiner Sehnsucht. Nur ein einziges Haus stand noch so weit draußen. Jetzt, wo der bisherige Bewohner fort war, mochte der Weg endlich frei sein. Es galt, die Grenze zwischen Stadt und Wald zu beseitigen. Das alte Herrenhaus war der Schlüssel.

Der Regen verstärkte sich noch, als er vor dem Tor innehielt. Jeder Tropfen, der auf den Regenmantel traf, hallte überlaut in seinen Ohren wider. Das schmiedeeiserne Tor ragte vor ihm auf. Zu beiden Seiten wuchsen steinerne Säulen empor. Auf der linken stand eine Elfenkrieger-Statue, auf der anderen ein Wolfmagier.

Als er näher trat, erwachte das Gestein.

»Dieser Weg bleibt dir versperrt!«, sagte der Elf.

Die kleine Rüstung des Wesens war niedlich anzusehen. Es juckte ihn in den Fingern, die Kreatur zu zerquetschen. Auch wenn es nur eine Statue war, die kein echtes Leben in sich trug.

»Dann also nicht heute«, murmelte er. »Aber mein Tag wird kommen.«

Ein Blitz erhellte die Dunkelheit.

Er warf einen Blick hinüber zum Waldrand. Zwischen den dichten Buchen, Eichen und Fichten tanzten Lichter, huschten Schatten umher.

Bald.

Er wandte sich ab und kehrte zurück nach Winterstein. Diese kleine unschuldige Stadt, die keine Ahnung davon hatte, was ihr bevorstand.

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Ein neues Zuhause

Als seine Mutter zum tausendsten Mal aufseufzte und mit schriller Stimme »Nein, wie idyllisch!« rief, wusste Lukas, dass er verloren hatte. Die Umzugskartons waren längst gepackt. Trotzdem hatte er bis zuletzt gehofft, dass seine Eltern noch zur Besinnung kamen. Vergeblich.

Der altersschwache Opel Astra hielt ebenfalls durch. Vermutlich würde er erst am Ziel endgültig den Geist aufgeben, wie er es sonst ständig tat. Damit war jeder Fluchtversuch chancenlos.

»Nein, wie idyllisch«, seufzte seine Mutter erneut, wobei sie mit ihrem rechten Zeigefinger Löcher in die Luft stach. »Dort drüben.« Ein weiterer Stich. »Seht ihr das, Kinder? Eine echte Vogelscheuche.«

Lukas fragte sich, ob in ihrer Brille magische Gläser eingebaut waren. Eine andere Erklärung für dieses Verhalten gab es einfach nicht. Denn das Strohteil dort drüben war ebenso hässlich wie die grauen Regenwolken, die am Horizont heranzogen. Gleiches galt für die weiten, matschigen Felder.

»Ja, toll«, blaffte er.

»Mama, was ist ›Idülisch‹?«, fragte das kleine Monster neben ihm, wobei es seinen uralten zerrupften Stoffhasen wie einen Rettungsring umklammert hielt.

»Lukas, wir haben doch darüber gesprochen.« Seine Mutter schenkte ihm ihren berühmten Psychologenblick, bei dem er sich immer total bescheuert vorkam. »Nimm die Veränderung an.« Ihr Blick wanderte zum Schwestermonster. »I-dyl-lisch«, sie betonte jede Silbe, »bedeutet, dass etwas schön ist.«

»Und wo ist das hier?«

Die Lider seiner Mutter flatterten. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass ihre Geduld langsam aufgebraucht war.

»Alles hier ist auf seine eigene unverwechselbare Art schön, mein Schatz.«

»Aber …«

»Und jetzt wollen wir deinen Vater nicht weiter ablenken. Er muss sich auf die Straße konzentrieren.«

Ein zustimmendes Grunzen vom Fahrersitz brachte Lisa zum Schweigen. Lukas lag eine Erwiderung auf der Zunge, die er jedoch hinunterschluckte. Eine Diskussion war ganz offensichtlich sinnlos, außerdem waren sie fast am Ziel angekommen.

Das Auto rumpelte eine steile Bergstraße hinab und er erhaschte einen ersten Blick auf die spitz zulaufenden Giebel der Häuser von Winterstein. Es war noch schlimmer, als er befürchtet hatte. Das Kaff verdiente die Bezeichnung ›Stadt‹ eindeutig nicht. Das Kopfsteinpflaster der Straße bildete unebene Hubbel aus, die das Auto ordentlich durchschüttelten. Seiner Mutter rutschte sogar die Brille von der Nase, was sie jedoch nicht weiter kommentierte.

Die Häuser mussten von einem Architekten errichtet worden sein, der zu viele Heimatfilme gesehen hatte. Da hingen allen Ernstes Blumenkästen unter den Fenstern. Die Klappläden besaßen herzförmige Aussparungen und die hüfthohen Gartenzäune waren weiß lackiert. Wobei man die Farbe nur noch mit viel gutem Willen so nennen konnte.

»Mum«, sagte Lukas entsetzt. »Sind das Gaslaternen?!«

Erstmals wirkte auch seine Mutter beunruhigt. »Hm. Äh … anscheinend bevorzugen die Bewohner von Winterstein eine … äh … rustikale Lebensweise.« Dabei warf sie Lukas’ Vater einen Seitenblick zu, der diesen tiefer in den Fahrersitz rutschen ließ.

Sie rumpelten in brütendem Schweigen weiter.

Ob wir überhaupt Internet haben? Strom? Warmes Wasser?

Langsam wurde Lukas panisch.

Schließlich blieben die letzten Häuser hinter ihnen zurück und die Familienkutsche ruckelte eine Anhöhe hinauf. Sein Vater hielt vor einem schmiedeeisernen Tor, von dem längst die Farbe abblätterte. Zu beiden Seiten wuchsen Steinpfeiler in die Höhe, auf deren Spitzen kleine Figuren saßen. Sie stellten irgendwelche Fabelwesen dar. Dahinter verlor sich ein Kiesweg zwischen dichten Hecken. Seine Eltern stiegen aus und begutachteten das angeschlagene Schild auf dem linken Pfeiler.

»Doktor Archibald von Thun«, las seine Mutter laut vor. »Am Waldweg 13.« Als sie sich wieder zu ihnen umwandte, lag ein ganz und gar künstliches Lächeln auf ihren Lippen. »Hier sind wir richtig, Kinder. Der Vorbesitzer hat nur sein Namensschild nicht entfernt.«

Offensichtlich, Mum.

Sein Vater öffnete das Tor. In eisigem Schweigen fuhren sie weiter. Seine Mutter hielt die Arme vor der Brust verschränkt. Wenn Lukas das tat, nannte sie es immer ›passiv-aggressiv‹, was ihn zur Weißglut trieb. Das betitelte sie dann wiederum mit ›frühpubertärer Phase‹.

Er bekam Mitleid mit seinem Pa, das er jedoch schnell beiseiteschob. Immerhin war der schuld daran, dass sie hier gelandet waren. Der Vorsitzende des Schulrates von Winterstein hatte ihn höchstpersönlich angerufen und ihm die Lehrerstelle an der hiesigen Schule schmackhaft gemacht, wie Lukas’ Vater immer wieder stolz betont hatte. Und als dann kurz darauf das Angebot zum Kauf eines eigenen Hauses einging – was immer schon der Traum seiner Eltern gewesen war –, gab es kein Halten mehr. Dass seine ach so tolle Stelle an der einzigen Schule weit und breit war und Lukas daher ebenfalls dorthin wechseln musste, spielte natürlich keine Rolle. Etwas Peinlicheres gab es ja wohl nicht.

Meinen Ruf kann ich in die Tonne treten.

Es war sein schlimmster Albtraum.

Was da vor ihnen thronte, wuchtig und baufällig, konnte man kaum als ›Haus‹ bezeichnen. Und wie der Pool aussehen würde, den seine Mutter in jeder Diskussion als etwas ganz Tolles angepriesen hatte, wollte er sich gar nicht erst ausmalen.

»Ja also, dann …« Sein Vater blickte entsetzt auf das Gebäude. »Wir sind da.«

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Die Villa

Die Lippen seiner Schwester zuckten verdächtig. Lukas löste seinen Gurt und sprang aus dem Auto. Wenn das Schwestermonster anfing zu plärren, wollte er nicht in der Nähe sein. Sie war mit ihren sechs Jahren einfach so … kindisch.

»Also schön.« Es war so weit, seine Mutter hatte ihren Schock überwunden und übernahm das Kommando. »Diese aufziehenden Regenwolken gefallen mir gar nicht. Gehen wir rein und schauen uns um.«

Lukas rannte zum Kofferraum und zog seinen Rucksack daraus hervor. Den würde er niemals zurücklassen. Dann folgte er seinen Lebensabschnittsdiktatoren – sein Pa hatte Lisa auf den Arm genommen – ins Haus.

Glücklicherweise trog der erste Eindruck. Die Dielen knarzten zwar, als sie eintraten, doch sie glänzten auch frisch gebohnert. Weder Staub noch Spinnenweben waren zu sehen, im Gegenteil: Es roch nach Bohnerwachs, Zitronenreiniger und Veilchen. Hinter der Eingangstür wartete ein kleiner Erker mit einer eingepassten Garderobe. Ein flauschiger Teppich lag auf dem Boden, der ihre Schritte dämpfte, als sie durch den Flur zur Küche gingen. Und die war durchaus gemütlich.

An der Seite stand ein Holztisch, auf den jemand eine Schale mit Obst gestellt hatte. An den Wänden hingen Emaille-Schilder mit alten Werbesprüchen. Der Herd erhob sich in der Mitte des Raumes und war von überallher zugänglich. Auf den Regalen gab es kleine Holzdosen, aus denen der Duft von frischen Kräutern und Gewürzen in seine Nase stieg.

Die Terrassentür war leicht angelehnt und gab den Blick auf einen herrlichen Garten frei. Die Beete waren gepflegt, Blumen sprossen. Zwischen den Bäumen hing eine Schaukel, die im Wind sacht hin und her schwang.

Lukas fröstelte.

»Mum, ich schaue mir mein Zimmer an«, sagte er. Da sie noch dabei war, die Küche mit ihrem Blick zu sezieren, murmelte sie eine abwesende Zustimmung. Normalerweise hasste sie es, wenn er Mum sagte. Dann folgte eine lange Erklärung darüber, dass sie seine Mutter war und nicht aus einem englischsprachigen Land stammte.

Sein Pa war schon auf dem Weg ins Wohnzimmer. Lisa flitzte an ihm vorbei und machte sich auf die Suche nach ihrem Kinderzimmer.

Die Holzstufen der Treppe knarzten, als Lukas hinter ihr nach oben stieg. Im ersten Stock gab es ein Badezimmer mit gusseiserner Wanne, wie er im Vorbeigehen erkannte. Die Frage nach dem warmen Wasser kam ihm wieder in den Sinn, doch er verschob sie auf später.

Auf dem Gang verteilt standen die Umzugskisten, zwischen denen er sich hindurchschieben musste. Danach folgte Lisas Zimmer, das diese gerade akribisch untersuchte. Als Nächstes kam eine Rumpelkammer, die mit allerlei Plunder vollgestellt war, der eigentlich in einen Trödelladen gehörte.

Schließlich übertrat er die Schwelle zu seinem eigenen Reich. Der Raum war … anders, als Lukas erwartet hatte. Nicht schlechter. Aber eben anders. Die Wand gegenüber der Tür bestand aus einem einzigen ovalen Fenster. Davor ragte eine Fensterbank ins Zimmer, auf der Kissen ausgebreitet lagen. Die perfekte Leseecke. Links daneben stand ein wuchtiger Schreibtisch aus schwarzem Holz, der ab jetzt ihm gehörte. Seine Eltern hatten das Haus mitsamt der Möbel gekauft. Und auch wenn einiges davon hoffentlich bald auf dem Sperrmüll landete, wollte er diesen Tisch auf jeden Fall behalten.

Daneben gab es ein in die Wand eingelassenes Regal, auf dem sich dicke Folianten stapelten. Lukas ging näher heran. Die Wälzer waren von einer fingerdicken Schicht aus Staub bedeckt, die Einbände abgewetzt. Sie mussten verdammt alt sein. Wieso war im übrigen Haus geputzt worden, hier aber nicht? Gerade, als er nach einem der Bücher greifen wollte, polterte jemand ins Zimmer.

Das abrupte Aufkreischen ließ ihn zusammenzucken. Lisa sprang auf das riesige Bett, das auf der anderen Seite stand.

»Ich will auch so eines.« Hüpf. »Das ist toll.« Hüpf. »Mein Zimmer ist viel schöner.« Hüpf. »Aber deins ist auch nicht schlecht.« Hüpf.

»Runter von meinem Bett!« Er sprang nach vorne. Doch Lisa war zu schnell, tauchte unter seinen Händen hindurch und rannte davon. Schon auf dem Gang begann sie, lauthals zu schluchzen. »Mama, Lukas ärgert mich!«

Die genervte Stimme seiner Mum schallte empor. »Lukas, lass deine kleine Schwester in Ruhe!«

Er verdrehte die Augen. Die Fäuste geballt blieb er im Türrahmen stehen. Lisa streckte ihm die Zunge heraus, dann flitzte sie die Treppe hinunter. Er stapfte zurück ins Zimmer und knallte die Tür wuchtig ins Schloss. Erfreut stellte er fest, dass an der Innenseite ein Riegel angebracht war. Selbst wenn seine Eltern ihm den Schlüssel abnahmen – Ich will keine verschlossenen Türen in diesem Haus, pflegte sein Vater zu sagen –, konnte er trotzdem absperren.

Entgegen seinem Vorsatz begann ihm die alte Bruchbude zu gefallen. Er trat ans Fenster. Von hier oben konnte er nicht nur den Garten überblicken, auch der kleine Fluss hinter dem Haus war zu erkennen und dort, gerade noch sichtbar, ragten die dichten Bäume des Waldes empor.

Für einen Augenblick glaubte er, einen dunklen Schemen im Dämmerlicht auszumachen, der sich vor den Fichten, Eichen und Sträuchern abzeichnete. Im nächsten Moment war er verschwunden. Lukas rieb sich die Augen und gähnte.

Jetzt sehe ich schon Gespenster.

Er kickte seine Turnschuhe davon, warf den Rucksack aufs Bett und sich selbst daneben. Draußen wurde es immer dunkler. Dichte Wolken waren aufgezogen. Das Firmament glich einem Wasserglas, in das jemand Tinte gekippt hatte. Nur Sekunden später prasselten dicke Regentropfen gegen das Fenster. Es donnerte und blitzte, wie er es schon lange nicht mehr erlebt hatte.

Während er dem Regen lauschte, wurden seine Augen schwer und nur Minuten darauf war er eingeschlafen.

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Licht in der Nacht

Lukas wusste nicht, was ihn geweckt hatte. Vielleicht ein Blitz oder der Donner. Möglicherweise auch die Regentropfen, die noch immer gegen die Scheibe prasselten.

Er lag unter der Bettdecke, konnte sich aber nicht daran erinnern, sich zugedeckt zu haben. Da auf dem kleinen Nachttisch neben dem Bett ein Wasserglas stand, hatte seine Mum wohl vorbeigeschaut.

Lukas wollte gerade aus der Jeans schlüpfen und gemütlich weiterschlafen, als er das Licht entdeckte. Es schimmerte durch einen Spalt unter dem Bücherregal. Was war das? Zwischen seinem Zimmer und dem seiner Schwester gab es außer der Rumpelkammer doch gar keinen weiteren Raum. Nur Wand.

Oder war irgendwie eine Speziallampe hinter das Regal montiert, die auf Bewegung reagierte? Etwas so Fortschrittliches hätte er hier nie vermutet.

Lukas ging auf die Knie und lugte unter das Regal. Er musste blinzeln. Vorsichtig hob er die Hand vor die Augen und spreizte leicht die Finger. Neben dem Lichtschein erkannte er Treppenstufen aus Holz. Sie führten nach oben.

War das eine geheime Treppe, über die man auf den Speicher gelangen konnte? Aber warum begann sie hinter dem Bücherregal in seinem Zimmer?

Lukas rüttelte am Rahmen des Regals.

Augenblicklich erlosch das Licht.

Er erhob sich und untersuchte die Bücher. Irgendwo musste ein geheimer Hebel verbaut sein, ein verborgener Mechanismus, der die Tür aufklappen ließ. Er bekam eine Gänsehaut bei dem Gedanken, dass möglicherweise jemand durch sein Zimmer gegangen war, um hinauf auf den Speicher zu steigen.

Wie konnte man ein Haus nur so idiotisch bauen? Man musste die Tür erst einmal finden, um auf den Dachboden zu gelangen. Wo lag da der Sinn?

»Lisa, bist du das?!«

Keine Antwort.

»Wer ist da?«

Lukas griff erneut nach dem Regal.

Wusch!

Das Nächste, was er bewusst wahrnahm, war der Sonnenschein, der durch das Fenster hereinfiel.

Warum liege ich auf dem Boden?

Sosehr er sich auch konzentrierte, er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wieso er hier vor dem Regal lag. War er etwa geschlafwandelt? Aber warum tat sein Kopf weh?

»Lukas!«, erklang die Stimme seiner Mutter, gefolgt von einem Klopfen an der Tür. »Bist du wach?«

»J…ja«, stammelte er und rappelte sich auf.

Im nächsten Augenblick wurde die Tür aufgerissen und seine Mum stürmte herein. Mittlerweile war er überzeugt davon, dass sich ein Außerirdischer jeden Morgen in ihrem Körper einnistete. Während sein Pa, das Schwestermonster und er selbst Morgenmuffel waren, bezeichnete seine Mum dies als die beste Zeit des Tages. Bedauerlicherweise versuchte sie stets, ihre positive Energie auf alle anderen zu übertragen. Da wurden Aufgaben verteilt, jeder zu Gesprächen animiert und Pläne geschmiedet. War er dann endlich wach genug, um zu begreifen, wozu sie ihn überredet hatte, war es längst zu spät. So kam es zu Wandertouren, Einkaufsmittagen, Yogastunden, Aufräumarbeiten und Gartenpflege. Mittlerweile verlegte er sich grundsätzlich auf grummelndes Schweigen.

»Wir gehen zum Markt«, verkündete sie so energiegeladen, dass er am liebsten geflüchtet wäre.

»Muuum. Es ist Saaamstag.«

»Sag nicht ›Mum‹. Ein bisschen frische Luft tut dir gut.« Schon stand sie neben ihm und wuschelte durch seine Haare. Er hasste es. »Dir ist sicher nicht entgangen, dass unser Kühlschrank leer ist. Wenn du also Kakao und Müsli zum Frühstück willst, dann kommst du jetzt mit. Ich kann das nicht alles alleine tragen.«

Im Geiste sah sich Lukas mit gebeugtem Rücken riesige Kisten zum Haus schleppen, während seine Mutter neben ihm entlangstiefelte und die Landschaft betrachtete, in der einen Hand eine Tüte mit Früchten, in der anderen ihre Handtasche.

»Deute ich dein Schweigen korrekt als Zustimmung?«

»Hmmm.«

»Wunderbar. Ich wusste doch, dass ich mich auf meinen starken, hilfsbereiten Sohn verlassen kann.«

Lukas ahnte längst, dass eine hohe Zahl von lobenden Adjektiven reine Manipulation war. Das hatte sein Pa eines Abends wütend am Esstisch behauptet, als der Direktor seiner alten Schule ihn zum Vorstand des Planungskomitees für eine Sonntagsveranstaltung gemacht hatte.

»Du hast zehn Minuten im Bad, beeile dich, deine Schwester ist bereits wach. Und du weißt ja, wenn sie einmal im Bad ist und merkt, dass du auch hineinmagst, wird das für die nächste Stunde nichts mehr.«

Was genau genommen ein Grund war, sich Zeit zu lassen. »Toll, jetzt soll ich nicht nur ohne Frühstück Sklavendienste leisten, ich muss auch noch um das Bad kämpfen – schon wieder! Ich dachte, wir hätten in diesem Haus zwei!«

»Ach, lass das Trotzen.« Das waren ihre Lieblingsworte. Schon war sie halb aus der Tür. »Wenn ich nur an die Pubertät denke, bekomme ich Kopfschmerzen. Ach so.« Sie blieb noch einmal stehen. »Wir haben tatsächlich zwei Bäder. Im Erdgeschoss fließt allerdings nur kaltes Wasser. Du kannst gerne dort duschen.«

»Ich hasse dieses Haus!«

»Ich weiß, Schatz. Beeil dich. Und zieh eine frische Jeans an.«

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Der seltsame Fremde

Eines musste er seiner Mum lassen: Sie besaß meistens eine Engelsgeduld. Am Samstagmorgen schien Winterstein kurzerhand zur Weltmetropole zu mutieren. Zumindest, wenn man die Anzahl der Autos bedachte, die auf den Straßen unterwegs waren. Da die Innenstadt gesperrt war, ging es auf den Zufahrtsstraßen zu wie bei einem Wettrennen. Jeder wollte den nächsten freien Parkplatz ergattern. Dabei wurde gehupt, geschnitten und das Gaspedal schon mal ein wenig zu tief getreten.

Während Lukas’ Pa in solchen Fällen ordentlich fluchte, blieb seine Mum gelassen.

»Weißt du«, erklärte sie, »all diese armen Menschen wissen gar nicht, dass ihre Aggressivität sie altern lässt. Aber an so etwas beteiligen wir uns einfach nicht. Was ist das Familienmotto?«

»Wir bleiben samstagmorgens lieber im Bett«, erwiderte Lukas trocken.

Augen wurden verdreht, ein Seufzen erklang. »Ich kann gar nicht verstehen, warum du so bockig bist. Die Sonne scheint, all diese netten Menschen bummeln durch die Stadt, die Luft ist frisch und klar …«

Er schwieg.

Zu diskutieren war sinnlos. Wenn seine Mum fröhlich sein wollte, war sie das. Vermutlich hätte sie in diesem Zustand selbst eine Kläranlage als ›absolut fabelhaft‹ bezeichnet.

Irgendwann, nachdem sie drei anderen Autofahrern den Vortritt gelassen hatten, fanden sie einen Parkplatz. Von dort erreichten sie über eine Brücke die Innenstadt.

Schmale Gassen durchzogen die Altstadt und denkmalgeschützte Häuser schmiegten sich aneinander. Der untere Marktplatz hatte irgendeine historisch total wichtige Bedeutung und war vollgestopft mit Ständen, die wenig mit Essbarem zu tun hatten. Eine Frau mit roten Wangen bot selbst gedrehte Kerzen aus Bienenwachs an. Ein älterer Mann mit Rauschebart saß zwischen selbst geschreinertem Holzspielzeug. Hinter einer ausladenden Theke verkaufte eine pausbäckige Frau Schreibfedern nach historischem Vorbild mit kleinen Tintenfässchen.

Eine breite Fußgängerzone führte zum oberen Marktplatz, wo es frisches Obst, Gemüse und Blumenstände gab. Auch der Metzger der Stadt hatte dort einen Stand aufgeschlagen. Es war einfach Pech, dass sie hier unten angekommen waren.