Gauner sind unser Geschäft

Haralds Detektiv-Regeln

  1. Gib niemals den Hut ab!

  2. Ein Detektiv darf nicht die Fassung verlieren, und wenn er sie doch verliert, muss er so tun, als hätte er sie noch.

  3. Hinterlasse bei den Ermittlungen keine Fingerabdrücke.

  4. Jeder und jede ist verdächtig.

  5. Alles ist wichtig, bevor es sich als unwichtig herausgestellt hat.

  6. Ein Detektiv sollte stets eine Wäscheklammer mit sich führen, denn er muss seine Nase unter Umständen in übel riechende Angelegenheiten stecken.

  7. Liste die bekannten Fakten stets schriftlich auf.

  8. Streitlust und Rechthaberei sind im Umgang mit Zeugen selten zielführend.

  9. Lege dich niemals mit der Polizei an!

  10. Ein Detektiv kann nicht immer feinfühlig sein. Er muss jede Ermittlungs-Chance wahrnehmen.

  11. Ermittle stets allein. Oder mit vertrauenswürdigen Partnern. Und Partnerinnen.

  12. Pizza fördert die Kombinationsgabe.

  13. Einem echten Detektiv ist nichts peinlich. Er tut, was die Ermittlungen erfordern, ohne Rücksicht auf sein persönliches Befinden.

  14. Frühstücke stets ausgiebig, denn die Ermittlungen lassen dir vielleicht keine Zeit für weitere Mahlzeiten.

  15. Ein Detektiv fürchtet nichts und niemanden.

  16. Sei ein Chamäleon. Passe dich deiner Umgebung an, das ist die beste Tarnung.

  17. Ein Detektiv handelt niemals ungesetzlich. Außer, die Umstände erfordern es.

  18. Auch das Offensichtliche darf man nicht aus den Augen verlieren.

Wie war es dazu gekommen? Warum befand ich mich nicht auf der heißen Fährte eines gerissenen Verbrechers, sondern fuhr in einem albernen Kostüm auf dem Ruckelnser Wagen im Humbuger Hafenumzug mit?

Um das zu erklären, ist es notwendig, einen Tag zurückzuspulen …

In dem ich auf einen billigen Trick hereinfalle, zum Prinzen ernannt werde und Wiebke mich an meine Detektiv-Regel Nummer 13 erinnert.

An dem heißen Freitagnachmittag, an dem alles begann, saß ich schwitzend in meiner Detektei, badete die Füße in einer Schüssel mit kaltem Wasser und tippte zerstreut auf meiner Schreibmaschine herum. Seit Tagen zeigte das Thermometer über fünfunddreißig Grad Celsius. Selbst mein im Untergeschoss gelegenes Büro hielt der Hitze nicht länger stand. Träge waberte warme Luft durch den Raum. Der Ventilator auf meinem Schreibtisch machte mehr Lärm als Wind. Eine dicke Fliege zog müde brummend ihre Runden.

Es juckte mich unter dem Hut.

Normalerweise ist dies ein sicheres Anzeichen dafür, dass Gefahr im Anzug ist. Doch ich konnte weit und breit keine Gefahr erkennen. Ganz im Gegenteil. Die Fälle der Detektei Donnerschlag waren in letzter Zeit für meinen Geschmack viel zu harmlos gewesen: Wir hatten

Wieder juckte es mich unter dem Hut.

Ich nahm den Hut ab, kratzte mich ausgiebig und erklärte meiner Kopfhaut, dass sie sich irrte. Gefahr war zurzeit Mangelware.

Ich hatte den Hut gerade wieder aufgesetzt, als auf meinem Mobiltelefon eine Nachricht meiner Kollegin Wiebke einging.

»Detektiv-Regel Nummer 13«, hatte Wiebke geschrieben, »einem echten Detektiv ist nichts peinlich. Er tut, was die Ermittlungen erfordern, ohne Rücksicht auf sein persönliches Befinden.«

Was sollte das heißen? Wollte Wiebke mir demonstrieren, dass sie meine Detektiv-Regeln auswendig wusste? Oder steckte mehr dahinter?

Ich beugte mich wieder über mein Telefon. Doch bevor ich weiterlesen konnte, klopfte es energisch an die Tür meiner Detektei.

»Herein!«, rief ich mit fester Stimme.

Ein großer, dünner Mann mit spärlichem Haar und

»Wir sagen: Detektei«, korrigierte ich ihn. »Die drei mit der ›Zentrale‹ sind von einer anderen Firma. Was führt Sie zu mir? Weshalb klopfen Sie an meine Tür wie ein wohnungsloser Specht?«

Der geheimnisvolle Fremde lächelte.

»Dazu gleich mehr. Wie weit bist du denn mit den Übungsaufgaben? Nach den Ferien schreiben wir eine Klassenarbeit, das weißt du ja, Harald. Nicht dass du wieder so unterirdisch abschneidest wie letztes Mal.«

Na gut, na gut, na gut, ich gebe es zu: Der große, dünne Mann war weder fremd noch geheimnisvoll. Er war mein Mathelehrer, Herr Schuhpisser. Für die Sommerferien hatte er mir Übungsaufgaben gegeben und wollte nun offenbar kontrollieren, wie weit ich damit war.

Ich zog den Bogen Papier aus der Schreibmaschine, knüllte ihn zusammen, warf ihn in den Papierkorb und seufzte. Hoffentlich hatte wenigstens Wiebkes Nachricht irgendeinen geheimnisvollen Hintergrund.

»Nicht den Kopf hängen lassen, Harald.« Herr Schuhpisser

»Einen Auftrag?« Die Sache schien interessanter zu werden als gedacht. Frau Schuhpisser war in Ruckelnsen die Bürgermeisterin. In welchen Schwierigkeiten steckte sie wohl? Vielleicht wurde der Ort erpresst?

Ich wies auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch. »In Ordnung, nehmen Sie Platz. Ich werde mir Ihr Anliegen anhören.«

»Danke, Harald.« Er setzte sich. »Also, es geht um Folgendes …« Auf einmal wirkte Herr Schuhpisser niedergeschlagen und sorgenvoll. »Ähm … ich will ehrlich sein, Harald. Meine Frau braucht Hilfe. Die Hilfe von Profis. Die Hilfe der Detektei Donnerschlag. Allerdings ist es notwendig, dass ihr euch dafür verkleidet.«

Ich horchte auf. Wenn der Fall Tarnung erforderte, konnte es sich um keine kleine Sache handeln.

»Wiebke und du, ihr müsstet euch gleich morgen früh auf den Weg nach Humbug machen«, fuhr Herr Schuhpisser fort. »Ich weiß, es ist sehr kurzfristig, aber Wiebke meinte, das wäre möglich, und …«

Humbug? Und Wiebke hatte schon zugesagt? »Kein Problem, für Ihre Frau wird die Detektei Donnerschlag alle ihre anderen Termine verschieben.«

»Selbstverständlich, es läuft alles bestens«, behauptete ich. In Wirklichkeit hatte ich die Aufgaben bisher nicht mal angeschaut. Meine Detektiv-Regel Nummer 31 lautet: Ein Detektiv sagt stets die Wahrheit – aber eigentlich hatte ich ja auch gar nicht gelogen. Die Detektei Donnerschlag hatte einen neuen, aufregenden Fall. Es lief also wirklich alles bestens.

»Gut, Harald. Dann ist die Sache gebongt. Hand drauf?«

Bevor er es sich anders überlegen konnte, schlug ich ein.

Herr Schuhpisser strahlte mich an. So fröhlich kannte ich ihn gar nicht. »Sehr schön«, rief er, »damit bist du der Ruckelnser Aal-Prinz, Harald! Freust du dich?«

»Ah … Aaaaaaaaaaaaaal-Prinz?«, stotterte ich entsetzt.

»Ja.« Herr Schuhpisser nickte. »Du hast ganz richtig gehört: Aal-Prinz. Herzlichen Glückwunsch.«

Ich saß da wie gelähmt. Es gibt nichts Peinlicheres, als den Aal-Prinzen spielen zu müssen. Jeden Sommer findet in Humbug der Hafenumzug statt. Dabei präsentieren sich alle Orte der Umgebung mit ihren Spezialitäten. Die Ruckelnser Spezialität ist Aal. Deshalb werden bei uns jedes Jahr eine Aal-Prinzessin und ein Aal-Prinz gewählt, die dann auf dem Ruckelnser

»Moment mal.« Empört fuhr ich Herrn Schuhpisser an: »Das meinten Sie also damit, dass der Fall Tarnung notwendig macht. Und ich dachte, wir sollen undercover ermitteln. Sie haben mich belogen.«

Herr Schuhpisser grinste. »Ich habe von einem Auftrag gesprochen und nicht von einem Fall, Harald. Und nicht von Tarnung, sondern von Verkleidung. Für einen Detektiv hörst du nicht besonders gut zu.«

Das musste ich mir zähneknirschend eingestehen. Vielleicht war es einfach zu heiß.

»Du hast den Auftrag angenommen«, stellte Herr Schuhpisser zufrieden fest, »mit Handschlag.«

»Aber Lennard ist doch dieses Jahr der Aal-Prinz«, wandte ich ein.

»Lennard liegt mit einer schweren Erkältung im Bett. Und Jasmin auch. Als Aal-Prinzessin springt Wiebke ein. Sie hat dich als Aal-Prinzen vorgeschlagen.«

»Ach so.« Das besänftigte mich etwas. Mit Wiebke an meiner Seite war es nicht ganz so schlimm, mich als Aal-Prinz lächerlich zu machen. Trotzdem war es mir ein Rätsel, warum Wiebke zugesagt hatte und mich in die Sache mit hineinzog. Ihr war das Ganze doch sicher genauso peinlich wie mir. Ich kombinierte: Vielleicht hatte Wiebke vernünftige Gründe, die

»Na gut«, willigte ich ein.

»Perfekt.« Herr Schuhpisser erhob sich. »Am besten kommst du gleich mit, meine Frau wartet im Rathaus mit den Kostümen auf Wiebke und dich. Zur Anprobe.« Er wandte sich zum Gehen. Kurz darauf hörte ich seine Schritte auf der Kellertreppe.

Ich nahm meine Füße aus der Schüssel mit dem kalten Wasser, trocknete sie ab, krempelte meine Hosenbeine herunter, zog meinen Mantel an, setzte den Hut auf und griff mir mein Mobiltelefon. Bevor ich Herrn Schuhpisser folgte, las ich noch schnell Wiebkes Nachricht zu Ende. Hast du Lust auf einen Fall, bei dem es um eine abgehackte Knochenhand, Gold und Juwelen geht? Dann folgte ein Link zu einem Online-Artikel. So schnell es ging, überflog ich die Zeilen:

Humbug. Am Mittwochnachmittag kam es in Humbug zu einem der größten und dreistesten Diebstähle der letzten Jahre: Am helllichten Tag raubten Gauner aus dem Opernmuseum die rechte Hand des berühmten Komponisten Melchior von Brokelfurth. Die Knochen waren seit dem Ableben Brokelfurths vor dreihundertfünfzig Jahren in einer kunstvoll gestalteten, goldenen Hand verwahrt worden und lockten unter dem Namen »Juwelenhand« Besucher aus aller Welt in das Opernmuseum.

Bis jetzt.

Nun ist die Hand unter mysteriösen Umständen verschwunden. Um siebzehn Uhr drei erlosch im Museum plötzlich die Beleuchtung.

»Wir standen auf einmal komplett im Dunkeln«, berichtet eine schockierte Besucherin, »es war richtig unheimlich!«

Um die empfindlichen Ausstellungsstücke des Museums vor Sonnenlicht zu schützen, sind die Fenster des Museums lichtdicht verklebt.

»Es ging alles blitzschnell«, beschreibt ein entsetzter Besucher die Situation. »Es knallte und klirrte, dann ging das Licht wieder an, und ein Wachmann kam in das Zimmer gelaufen. Aber er konnte nichts mehr ausrichten. Die Vitrine war zerschlagen, und die Juwelenhand … die war weg!«

Durch den Alarm wurden automatisch alle Ausgänge des Museums verriegelt. Die Polizei war rasch zur Stelle und kontrollierte alle anwesenden Personen – doch niemand hatte die Juwelenhand bei sich.

Die Polizei bittet um Ihre Mithilfe. Sachdienliche Hinweise richten Sie bitte an Ihr Polizeirevier oder diese Zeitung.

»Harald?«, kam die Stimme meiner Großmutter von oben. »Wo bleibst du denn? Herr Schuhpisser wartet auf dich!«

Ich steckte das Handy ein und stieg die Kellertreppe hoch. Wiebke hatte vollkommen recht: Um in diesem spannenden, sicherlich gefährlichen Fall zu ermitteln, war wirklich kein Kostüm zu peinlich.

Meine Kopfhaut hatte sich anscheinend doch nicht geirrt.

In dem meine Oma vor Stolz beinahe platzt, Wiebke und ich uns in Aale verwandeln und auf eine erste Spur im Fall der geraubten Juwelenhand stoßen.

Als ich die Kellertreppe hochkam, plauderte Herr Schuhpisser gerade im Hausflur mit meiner Großmutter. Bei meinem Anblick rief sie: »Da kommt ja unser Aal-Prinz! Nee, nee, nee, nee, nee, ich bin so was von stolz auf dich, Harald!« Sie umarmte mich stürmisch.

Ich freute mich darüber, aber es kam mir auch etwas unlogisch vor: Da hatte ich schon entlaufene Schafe gerettet, entführte Katzen befreit, gestohlene Siegelringe wiederbeschafft, falsche Geister entlarvt, grünes Leitungswasser aufgeklärt, verrückte Hypnotiseure zur Strecke gebracht und herausgefunden, dass unsere Familie von einer Piratin abstammt – aber am tollsten fand meine Oma mich, wenn ich mich als Aal verkleidet durch den Humbuger Hafen kutschieren ließ.

Herr Schuhpisser lächelte zufrieden. »Sie können auch wirklich stolz auf Ihren Harald sein, Frau Donnerschlag. Nicht jeder hat die Ehre, als Aal-Prinz an der Seite der

 

Mit seinem Auto setzte Herr Schuhpisser mich am Rathaus ab. Drinnen warteten schon Frau Schuhpisser und Wiebke auf mich. Ich musste mich sehr beherrschen, bei Wiebkes Anblick nicht laut zu lachen. Sie trug bereits ihr Kostüm und sah aus wie – tja, wie ein Aal. Von Kopf bis Fuß steckte sie in einem engen, dunkelgrün-gräulich glänzenden Schlauch, der unten spitz zulief und oben von einem Aal-Kopf mit einem golden glänzenden Krönchen geziert wurde.

»Lach nicht!«, rief sie, als sie mich sah.

»Öhm … okay.« Stattdessen hustete ich.

»Bist du etwa auch erkältet, Harald?«, fragte Frau Schuhpisser besorgt. »Du darfst morgen nicht ausfallen, das wäre unglaublich furchtbar!« Sie hockte sich zu Wiebkes Füßen und steckte den Aal-Schwanz mit Nadeln ab.

»Ich habe mich nur verschluckt«, beruhigte ich Frau Schuhpisser.

Sie seufzte erleichtert.

»Das Kostüm ist unten viel zu eng, ich kann nur Trippelschritte machen«, beschwerte sich Wiebke.

Frau Schuhpisser winkte ab. »Die Kostüme sind ja auch gar

Sie reichte mir ein kleines Tütchen. Aalige Grüße aus Ruckelnsen – dem Juwel am Schlick, stand darauf. Durch die transparente Folie erkannte ich winzige Aale aus grünem, rotem und gelbem Weingummi. Ich riss die Tüte auf und stopfte mir ein paar in den Mund.

»Ich dachte, du magst keinen Fisch«, kommentierte Wiebke.

»Diese Aale schmecken hervorragend«, stellte ich mit vollem Mund fest.

Frau Schuhpisser lächelte. »Ja, nä? Einfach großartig!« Sie machte den Karton zu. »Aber mehr bekommst du nicht. Ihr sollt die Gummi-Aale schließlich verteilen und nicht vertilgen. So. Harald, jetzt bist du dran mit der Anprobe.«

Zehn Minuten später stand ich als Aal mit Krone vor Frau Schuhpisser und Wiebke. Wiebkes Gesichtsausdruck nach zu urteilen, sah ich reichlich bescheuert aus.

Frau Schuhpisser war begeistert. »Großartig! Nur hier am Bauch muss ich das Kostüm noch etwas enger machen. Du bist unglaublicherweise noch dünner als Lennard. Aalschlank,

Während ich in meiner Aal-Haut schwitzte, berichtete mir Wiebke, wie am nächsten Tag alles ablaufen sollte. »Also: Morgen früh bringt meine Mutter uns beide mit dem Schaftransporter nach Humbug. Und deine und meine Großmutter nehmen wir auch mit. Die wollen unseren Auftritt als Aal-Prinzenpaar natürlich nicht verpassen.«

»Mit dem Schaftransporter?« Ich kombinierte: »Kommt Schnucki MäcGaffin etwa auch mit?«

Frau Schuhpisser nickte. »Ja, Schnucki MäcGaffin wird großartigerweise mit uns zusammen auf dem Ruckelnser Wagen fahren. Es ist ja ein höchst seltenes Rasse-Schaf und sozusagen auch ein großartiges Ruckelnser Produkt. Einfach unglaublich!« Vor Begeisterung piekte sie mich mit einer Stecknadel. »Ups, entschuldige, Harald.«

»Geht schon«, murmelte ich.

»Herr und Frau Schuhpisser nehmen ihr eigenes Auto«, fuhr Wiebke fort. »Wir fahren etwas früher los, denn wir müssen in Humbug noch schnell die Schafsbox vom Transporter abbauen. Für den Hafenumzug benutzen wir ihn nämlich auch.«

»Genau, großartig!«, rief Frau Schuhpisser dazwischen. »Von der offenen Ladefläche werden wir huldvoll ins Volk winken und Gummi-Aale werfen. Unglaublich!«

»Ein Museum, großartig!« Frau Schuhpisser stand auf. »Unglaublich, wie bildungshungrig ihr beiden seid!«

»Also ich«, sagte ich, »wollte schon immer mal ins Humbuger Opernmuseum.«

»So ein Zufall!«, rief Wiebke. »Ich auch! Und ich bin mir sicher, dass Trix sich ebenfalls brennend für Opern interessiert.«

 

Nachdem Frau Schuhpisser mich aus meinem Aal-Kostüm befreit hatte, zogen Wiebke und ich uns in die Detektei zurück, um ausführlich den Fall Juwelenhand zu erörtern. Wir setzten uns an meinen Schreibtisch und legten die Füße hoch.

Wiebke strich sich eine verschwitzte Locke aus der Stirn. »Ich dachte, hier im Keller wäre es vielleicht kühler. Aber es ist ja fast genauso warm wie draußen.«

Da hatte sie leider recht. Die Hitze hatte es sich in der Detektei gemütlich gemacht wie ein Bär in seiner Höhle. Ich stellte den Ventilator ein.

»Nicht wirklich. Aber vielleicht hilft ein bisschen Fisch. Soll ja sehr gesund sein.« Wiebke holte etwas aus der Hosentasche. Eine Tüte Gummi-Aale! Sie riss die Tüte auf und stopfte sich ein paar in den Mund.

Neid erfasste mich. »Woher hast du die denn? Frau Schuhpisser wollte uns doch gar keine geben. Verteilen und nicht vertilgen, hat sie gesagt.«

Wiebke griff noch einmal in die Hosentasche und warf eine zweite Tüte auf meinen Schreibtisch. »Die habe ich vorhin mitgehen lassen. Ich finde, wenn wir für Frau Schuhpisser das Aal-Prinzenpaar spielen, kann sie uns doch wenigstens ein paar Gummi-Aale überlassen.«

Ich wunderte mich. Normalerweise war Wiebke strickt gegen jede ungesetzliche Handlung. Aber offenbar nahm sie es mit Aal-Diebstahl nicht ganz so streng. Mir sollte es recht sein. Begeistert riss ich das Tütchen auf und kaute genüsslich ein paar Gummi-Aale. »Was wissen wir über die verschwundene Juwelenhand?«

»Also …«, fing Wiebke an.

In diesem Moment klopfte es an die Tür der Detektei. Gleich darauf erscholl eine Stimmte: »Harald, ich bin’s!«

Ich kombinierte: Das klang nach Frau Hinnerksen, der besten Freundin meiner Großmutter. Ich wollte gerade »Herein« sagen, da ging die Tür schon auf.

Wiebke lachte. »Da hat Frau Hinnerksen aber recht, Harald!«

Ich gab meinen Platz am Schreibtisch nur ungern auf, doch Frau Hinnerksen zu widersprechen, lohnt sich grundsätzlich nicht. Zähneknirschend stand ich auf.

Frau Hinnerksen ließ sich auf meinen Schreibtischstuhl fallen. »So, das ist gleich besser, nä? Oh, was ist das denn Leckeres?« Sie schnappte sich meine Tüte mit den Gummi-Aalen und fischte sich einen heraus. »Bäh, schmeckt ja widerlich! Viel zu süß!« Sie nahm sich gleich noch einen. »Na ja, man gewöhnt sich dran, nä?«

»Äh, Frau Hinnerksen«, sprach ich in ihr Schmatzen hinein, »hatten Sie nicht von einem Fall gesprochen? Worum geht es denn?«

»Wollen Sie uns beauftragen?«, fragte Wiebke.

Frau Hinnerksen kaute noch einen Moment weiter, dann seufzte sie. »Ja, Kinners, es sieht folgendermaßen aus.« Sie

Ich nahm mir Notizblock und Stift. Frau Hinnerksen übertreibt zwar gerne – dennoch klang das nicht uninteressant. »Was ist denn genau passiert, Frau Hinnerksen?«, hakte ich nach.

»Tja, ich habe ein Paket von einem Geschäft namens Technikfuchs.de bekommen, nä?« Frau Hinnerksen machte eine spannungsgeladene Pause.

Ich notierte das, während Wiebke nachhakte: »Und warum denken Sie, dass es sich um einen Betrugsfall handelt?«

»Weil«, Frau Hinnerksen steigerte noch einmal durch eine Pause die Spannung, »ich dieses Paket gar nicht … bestellt habe! Na, was sagt ihr?«

Ich notierte auch das. »Sie haben nichts bei Technikfuchs.de bestellt?«

»Ja, das sag ich doch grade, Harald. Das Paket ist einfach so gekommen, ohne dass ich was bestellt habe, nä?«

»Sind Sie völlig sicher?«

Entrüstet stemmte Frau Hinnerksen die Hände in die Seiten. »Also hör mal, Harald, hältst du mich für senil, oder was? Ich werd’ ja wohl wissen, ob ich ein Bügeleisen mit Turbo-DampfDüsen bestellt habe oder nicht!«

»Ja, natürlich«, beschwichtigte Wiebke sie. »Harald meint doch nur, dass man bei Online-Bestellungen manchmal gar

Frau Hinnerksen sprang von meinem Stuhl auf. »Das hätte ich nicht von euch geglaubt! Ich dachte, ihr erkennt einen heißen Fall, wenn ihr einen seht! Aber stattdessen wollt ihr mir einreden, ich hätte sie nicht mehr alle, nä? Wisst ihr, was das ist? Altersdiskriminierung ist das, nä?«

Ich ließ den Notizblock sinken. »Aber Frau Hinnerksen, wir müssen nun mal alle Möglichkeiten bedenken, so macht man das bei der Ermittlungsarbeit.«

Doch Frau Hinnerksen war schon an der Tür meiner Detektei angekommen. »Die Detektei Donnerschlag habe ich das letzte Mal beauftragt, da könnt ihr euch sicher sein! Auf Wiedersehen!«

Sie schlug die Tür so fest hinter sich zu, dass meine Schreibmaschine einen kleinen Hüpfer machte.

Erschöpft setzte ich mich zurück an meinen Schreibtisch. Die Sitzfläche meines Stuhls war unangenehm warm von Frau Hinnerksens Hintern. »Und meine Tüte mit den Gummi-Aalen hat sie auch aufgegessen.« Ich knüllte die leere Aal-Tüte zusammen. »Hast du noch mehr Gummi-Aale mitgehen lassen?«

Wiebke schüttelte empört den Kopf. »Nee, mehr als eine für dich und eine für mich habe ich natürlich nicht genommen!

Ich winkte ab. »Die beruhigt sich schon wieder. Bestimmt fällt ihr nachher ein, dass sie sich doch ein Bügeleisen mit Turbo-Dampf-Düsen bestellt hat. Außerdem hätten wir ja sowieso keine Zeit für ihren angeblichen Fall gehabt. Wir müssen schließlich die Juwelenhand suchen.«

Wiebke nickte. »Der Fall ist ganz schön verzwickt. In dem Zeitungsartikel, den ich dir geschickt habe, sagt ja ein Zeuge aus, dass der Sicherheitsmann direkt nach dem Alarm zum Tatort kam. Doch da waren die Juwelenhand und der Dieb schon weg. Selbst wenn der Dieb sehr schnell war, hätte er dem Wachmann doch mindestens auf dem Flur in die Arme laufen müssen. Da fragt sich: Auf welchem Weg hat der Dieb den Tatort verlassen?«

»Und: Wie ist er anschließend mit der Hand aus dem Museum entwischt?«, ergänzte ich. »Die Ausgänge des Museums haben sich ja laut dem Zeitungsartikel mit dem ausgelösten Alarm automatisch verriegelt. Und die Polizei hat danach alle Personen kontrolliert.« Nachdenklich trommelte ich auf meinem Hut herum. »Und wenn die Hand sich noch im Museum befindet? Das wäre doch möglich, oder?«

Ich dachte so konzentriert über diese Frage nach, dass ich zusammenzuckte, als mein Mobiltelefon vibrierte. Es war eine Nachricht von Trix.

, hatte sie geschrieben und einen Link eingefügt.

Ich tippte darauf. Ein Video öffnete sich. Ein kleiner Raum mit hohen Decken war zu sehen, in dessen Mitte eine Vitrine stand. In der Vitrine befand sich eine goldene Hand, die mit funkelnden Juwelen besetzt war. Die Juwelenhand!