1 Das Dichterturnier ist ein Wettbewerb für originelle unveröffentlichte slowenische Gedichte und findet seit 2001 statt, seit 2006 wird es vom Verlag Pivec ausgerichtet. Es wird in mehreren Runden ausgetragen, der Gewinner erhält den Titel Ritter bzw. Ritterin und eine geschmiedete Rose.
Veronika Dintinjana
Gelb brennt der Forsythienstrauch
Originaltitel: Rumeno gori grm forzicij
Original: © Veronika Dintinjana
Übersetzung: © Slowenischer Schriftstellerverband (DSP) 2020
Übersetzung
Ann Catrin Bolton
Nachwort
Tina Kozin
Redaktion von Litteræ Slovenicæ
Tina Kozin, Tanja Petrič
Redaktionelle Bearbeitung dieser Ausgabe
Tina Kozin
Sprachliche Korrektur
Maike Nedo, Blaž Božič
Titelfoto
Christi Dintinjana
Gestaltung
Ranko Novak
Herausgegeben und verlegt vom
Slowenischen Schriftstellerverband (DSP), Ljubljana
Vertreten durch seinen Präsidenten, Dušan Merc
Erste elektronische Ausgabe, Ljubljana 2020
https://litteraeslovenicae.si/
ISSN 2712-2417
Kataložni zapis o publikaciji (CIP) pripravili v Narodni in univerzitetni knjižnici v Ljubljani
COBISS.SI-ID=304476928
ISBN 978-961-6995-65-8 (epub)
Veronika Dintinjana
Gelb brennt
der Forsythienstrauch
Aus dem Slowenischen
von Ann Catrin Bolton
Mit einem Nachwort
von Tina Kozin
Društvo slovenskih pisateljev
Slovene Writers’ Association
Ljubljana 2020
für meine schwester
Ich träume von einer Kunst, die so transparent ist, dass man durch sie hindurch die Welt sehen kann.
(Stanley Kunitz)
Früh genug
Pfingstrosen erfüllten mein Zimmer
mit dem Duft des Waldes an der Straße und dem Sommeranfang,
mit dem befestigten Weg zum Haus, wo sie
unter dem Fenster wuchsen, einige Schritte vom Eingang,
nahe dem Eimer mit Brennnesselbrühe zum Gießen
am Gartenpfad, umgeben von einem Rosenbeet,
gezogen aus den Stecklingen geschenkter
Blumen, sorgfältig auf neue Wurzeln vorbereitet,
Nachmittagshagel hat die Erde aufgelockert,
die Ackergräser jenseits des Zauns waren beinahe hoch genug zum Mähen,
Krähen warteten in der Ferne auf ein spätes Frühstück,
das Kätzchen schlief sicher in der Nähe des Hauses,
im Haus kochte Wasser im Teekessel auf,
Pfingstrosen erfüllten mein Zimmer mit ihrem Duft.
Er hielt die ganze Woche an
und brachte mich zurück zu dir.
Erfahrungen von unterwegs
Es begann mit den Alpen am Ende der Celovška-Straße,
für diesen halben Meter brauchten wir eine ganze Stunde.
Es ist schwer, die gesamte vorbeirasende Landschaft zu beschreiben,
mit uns bewegten sich nur der Pfosten der Bushaltestelle
und die Sterne.
Gestern Abend (als ich vor dem Hochhaus auf dich wartete)
Mond, erstes Viertel,
ein kalter, klarer Abend.
Über dem Hochhaus war Orion zu sehen,
Antares verbarg sich im Mondschein,
ich sah die Waage, zum ersten Mal im Leben,
niemand war da.
Gelegentlich fuhr ein Auto vorbei.
Dann und wann blickte ich
nach oben, auf einmal sehe ich
einen Schwarm Wildgänse, wie er hoch oben fliegt,
ein hellbraunes Muster am dunklen Himmel,
ein doppeltes V mit Fehler.
Sie flogen schnell,
schon waren sie verschwunden.
Was für ein Abend, sagte ich mir,
glücklich.
Morgen
„Non sarà necessario lasciare il letto.
Solo l’alba entrerà nella stanza vuota.“
(Il paradiso sui tetti, C. Pavese)
früh genug,
um die nachtwächter zu überholen, die auf dem letzten rundgang
die erste zigarette des heutigen tages rauchen
er kommt mit den müllwagen
in ihrer umarmung singen die tonnen
ihre scherbengesänge
an der haltestelle hört man den ersten bus
die bremsen schrubben die räder in den kalten asphalt
die zylinder des motors erlöschen mit lautem furzen
in zwei stunden wird hinter den hohen fichten
vor der psychiatrischen klinik die sonne aufgehen
so auf der lauer liegend fragst du dich hin und wieder,
warum der morgen in gedichten niemals herabsinkt
wie die nacht und kastanien immer blühen,
immer wild, immer mit dem wind in den zweigen
lass uns im bett auf ihn lauern
Was sind das für Zeiten
Die Verletzlichkeit zieht sich zurück
in Krankenhäuser Beichtstühle Schlafzimmer.
Sie braucht die Nähe des Todes,
der Ohnmacht oder zumindest einen kurzzeitigen Verlust der Würde.
Sie braucht die unangenehme Stille aufgezwungener Intimität,
Besoffenheit oder Rausch, damit ihr
Worte entgleiten, die
wie ein Brieföffner
den Bauch des Alltags
aufschlitzen
und retten,
was das Leben wirklich erscheinen lässt.
Gedicht für einen abgenutzten Vers
Ich brach vor Schmerzen zusammen,
ich schaffte es nicht, dich anzurufen.
Sie fuhren mich weg, zuerst EKG,
dann Röntgen, Angst und das nächste Zimmer,
Katheter in die Leiste, so heftig, dass es bis zum Herzen reichte,
sie suchten, meine Liebste, nach dem, was es versagte –
Röntgenbilder lügen nicht:
in meinem Herzen ist keine Liebe,
(was bedeutet) es ist nicht allzu mitgenommen.
Ich kann schon bald nach Hause,
Aspirin und eine Gefäßstütze.
„Werden wir uns noch lieben können“, fragte ich sie.
„Anfangs raten wir zur Vorsicht.“
Wie die Substantive versagen,
nur noch die Verben sind in Form,
sie laufen uns voraus, und wir sind zu spät –
ich meine, ein Klischee nach dem anderen,
kann man irgendwie anders
die Tür öffnen, die Versicherung zahlen,
und selbst die Weisheit aus Kalendern und
Hochzeitseinladungen sagt deutlich:
mächtig wie der Tod ist die Liebe –
sie sagt nichts über das Glück, dass ich am Leben geblieben bin,
dass ich keine Schmerzen mehr habe. Dass ich Angst habe.
Bevor ich den Hörer auflege, bestelle ich dir:
Ruf den Schreiner an wegen der Regale,
damit er nicht umsonst losfährt.
Jedes gute gedicht ist unanständig.
dass es dir wegbleibt. wenn es direkt in dich hineinblickt.
es sieht alles, auch die ekelhaftesten einzelheiten.
und wendet sich nicht ab.
es hat keine angst vor deinem körper, dem altern, hochmut,
maßlosigkeit, fehlern, gedächtnisverlust, veränderungen.
schmarotzend kriecht es in dich, durch die poren in der haut,
kriecht in leber, blase oder darm, dort lebt es
von dir, und wenn es wirklich gut ist, fährt es fort
bis zur symbiose und gibt zurück, was du ihm gibst,
niemand verliert, ehe nicht beide
verlieren (aber wenn es gut genug ist, findet es einen neuen wirt).
wirklich, ein gutes gedicht ist keine
kloschüssel ohne deckel.
Ich glaube an die revolutionäre Aktion der Poesie
für Dejan
1
Pflaumenblüten verlieren ihre Blätter hinter dem Horizont.
Der Himmel lacht,
durch die Zahnlücken leuchten Sternenplomben.
2
Der Himmel ist gesichtslos.
Er ist nicht ohne Lächeln.
3
Hinter dem Wolkenvorhang bereiten sich die Schlagzeuger vor,
mit tiefem Trommeln stimmen sie
die Regentropfen.
4
Verschwörungstheorien sind modern,
Hauskatzen lösen einander bei der Wache
vor dem Kühlschrank ab.
5
Die Stufe galaktischer Ungewissheit
hat eine neue Ebene erreicht.
Hier-und-jetzt.com ist seit gestern an der New Yorker Börse notiert.
6
Süße Träume.
Ackersäume.
Galgenbäume.
7
Zu jeder Geschichte führen genau sieben Fragen.
Sieben für jede Geschichte.
Jede Frage eröffnet sieben neue.
Sieben für jede Frage.
Der leichteste Weg zu allen Antworten ist
Stille. Eine. Einzige.
8
Liste gefangener Wörter:
Unendlichkeit,
Ewigkeit,
Unaussprechlichkeit.
Sie wollten den Wolkenkratzer
des Gedichts rammen.
9
Verdeckte Revolutionäre auf der anderen Straßenseite
reinigen wie Alchemisten
Elemente, raten
ihren richtigen Namen.
10
Liste unverfänglicher Wörter:
Hallo.
Gut.
Wie geht‘s?
Prima.
Hier keine Terroristen.
11
Auf der anderen Straßenseite trinken wir Tee.
Wie alte Zenmeister drehen wir die Tassen
im Uhrzeigersinn.