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Über die Bücher:

 

In »Wölfe« und »Falken« hat Hilary Mantel die opulente und grausame Welt von Henry VIII. und Thomas Cromwell zu glanzvollem Leben erweckt. Sie hat Leser, Kritiker und Juroren begeistert und zahlreiche Auszeichnungen, u.a. zweimal den Man-Booker-Preis, erhalten. Weltweit wurden mehr als 5 Millionen Bücher verkauft.

 

Band 1: Wölfe

England im Jahr 1520: Das Königreich ist nur einen Pulsschlag von der Katastrophe entfernt. Sollte der König ohne männlichen Erben sterben, würde das Land durch einen Bürgerkrieg verwüstet. Henry VIII. möchte seine Ehe annullieren lassen und Anne Boleyn heiraten. Der Papst und ganz Europa sind dagegen. Die Scheidungsabsichten des Königs schaffen ein Machtvakuum, in das Thomas Cromwell tritt: Die Werkzeuge dieses politischen Genies sind Bestechung, Einschüchterung und Charme. Aus der Asche persönlichen Unglücks steigt er auf und bahnt sich seinen Weg durch die Fallstricke des Hofes, an dem »der Mensch des Menschen Wolf« ist.

Ausgezeichnet mit dem Man-Booker-Preis 2009 und vom Walter-Scott-Preis als bester britischer Historienroman aller Zeiten gekürt!

 

Band 2: Falken

Thomas Cromwell hat die bescheidenen Verhältnisse seines Elternhauses hinter sich gelassen. Sein Aufstieg am Hofe von Henry VIII. verläuft parallel mit dem von Anne Boleyn, Henrys zweiter Frau, deretwegen dieser mit Rom gebrochen und eine eigene Kirche gegründet hat. Doch Henrys Verhalten hat England ins Abseits manövriert, und Anne konnte ihm keinen Thronfolger gebären. In Wolf Hall verliebt sich der König in die stille Jane Seymour. Cromwell begreift, was auf dem Spiel steht: das Wohl der gesamten Nation. Im Versuch, die erotischen Fallstricke und das Gespinst der Intrigen zu entwirren, muss er eine »Wahrheit« ans Licht bringen, die Henry befriedigen und seine eigene Karriere sichern wird. Doch weder Minister noch König gehen unbeschadet aus dem blutigen Drama um Annes letzte Tage hervor.

Ausgezeichnet mit dem Man-Booker-Preis 2012 und Gewinner des Costa-Book-of-the-Year 2012!

Hilary Mantel

Wölfe

 

Falken

Zwei Romane

 

 

 

 

 

Hilary Mantel

Wölfe

Roman

Aus dem Englischen

von Christiane Trabant

dumont_logo

Meiner unvergleichlichen Freundin

Mary Robertson sei dies zugeeignet

»Es gibt drei Arten von Schauplätzen: den ersten nennt man den tragischen, den zweiten den komischen, den dritten den satirischen. Ihre Ausschmückung ist jeweils unterschiedlich und anders in der Zusammenstellung. Tragische Schauplätze werden mit Säulen, Giebeln, Statuen und sonstigen königlichen Gegenständen versehen; der komische Schauplatz zeigt Privathäuser mit Balkonen und Fensterfronten, die gewöhnlichen Häusern nachgebildet sind. Der satirische Schauplatz wird nach Art eines gemalten Landschaftsbildes mit Bäumen, Grotten, Bergen und anderen rustikalen Gegenständen ausgestattet.«

Vitruvius, De Architectura, über das Theater,

ca. 27 vor Christi

Das seien die Namen der Spieler:

 

GlückseligkeitHeimliches Zusammenspiel
FreiheitHöfische Falschheit
MaßTorheit
HerrschergrößeMissgeschick
TollheitArmut
Falsches AntlitzVerzweiflung
VerschlagenheitUnheil
Wieder Wieder
 Hoffnung 
 Wiedergutmachung 
 Umsicht 
 Standhaftigkeit 

 

Magnificence: ein Zwischenspiel,

JOHN SKELTON, ca. 1520

TEIL EINS

I

Über das enge Meer

Putney, 1500

»Und jetzt steh auf.«

Niedergestreckt, benommen, stumm; er ist gefallen, der Länge nach hingeschlagen auf die Kopfsteine des Hofes. Sein Kopf wendet sich zur Seite; seine Augen richten sich auf das Tor, als könnte jemand kommen, um ihm zu helfen. Ein einziger gut platzierter Schlag könnte ihn jetzt töten.

Blut aus der Wunde an seinem Kopf rinnt ihm über das Gesicht – Ergebnis der ersten Anstrengung seines Vaters. Dazu kommt, dass sein linkes Auge blind ist; aber wenn er zur Seite blinzelt, erkennt er mit dem rechten Auge, dass sich die Naht am Stiefel seines Vaters auflöst. Der Zwirn hat sich vom Leder gelöst, und ein harter Knoten darin hat seine Augenbraue erwischt, die dadurch aufgeplatzt ist.

»Und jetzt steh auf!« Walter brüllt ihn von oben herab an und überlegt sich, wohin er als Nächstes treten kann. Er hebt den Kopf einen oder zwei Zoll und kriecht vorwärts, auf dem Bauch, wobei er versucht, seine Hände vor Walter zu verbergen, der mit Vorliebe auf sie tritt. »Was bist du, ein Aal?«, fragt sein Erzeuger. Er geht einen Schritt zurück, nimmt Anlauf und verpasst ihm noch einen Tritt.

Der presst den letzten Atemzug aus ihm heraus; er glaubt, dass es sein letzter sein könnte. Seine Stirn sinkt auf den Boden zurück; er liegt da und wartet darauf, dass Walter auf ihn springt. Aus einem Nebengebäude heraus bellt der Hund – Bella. Ich werde meinen Hund vermissen, denkt er. Der Hof stinkt nach Bier und Blut. Unten am Flussufer schreit jemand. Nichts tut ihm weh, oder vielleicht tut ihm alles weh, denn es gibt keinen einzelnen Schmerz, den er genau benennen kann. Aber die Kälte schlägt zu, bloß an einer einzigen Stelle: bloß an seinem Jochbein, das auf den Kopfsteinen ruht.

»Jetzt guck mal, guck mal«, brüllt Walter. Er hüpft auf einem Fuß herum, als würde er tanzen. »Guck mal, was passiert ist. Mein Stiefel ist aufgeplatzt, als ich dir gegen den Kopf getreten habe.«

Zoll um Zoll. Zoll um Zoll vorwärts. Soll er dich doch Aal oder Wurm oder Schlange nennen. Kopf nach unten, provozier ihn nicht. Seine Nase ist mit Blut verstopft, und er muss durch den Mund atmen. Die kurze Ablenkung seines Vaters, der über den Verlust seines guten Stiefels wütet, verschafft ihm eine Atempause, in der er sich erbrechen kann. »So ist es richtig«, ruft Walter. »Spuck nur überall hin.« Spuck überall hin, auf meine guten Kopfsteine. »Komm schon, Junge, steh auf. Lass sehen, wie du aufstehst. Beim Blut des kriechenden Jesus, komm auf die Füße.«

Kriechender Jesus?, denkt er. Was meint er damit? Sein Kopf neigt sich zur Seite, sein Haar liegt in seinem eigenen Erbrochenen, der Hund bellt, Walter brüllt, und Glockenläuten schallt über das Wasser. Er spürt eine leichte Bewegung, als sei der schmutzige Boden zur Themse geworden. Es schwankt unter ihm; er atmet aus, ein schweres letztes Keuchen. Jetzt hast du es endlich geschafft, sagt eine Stimme zu Walter. Aber er schließt die Ohren, oder Gott schließt sie für ihn. Eine tiefe schwarze Strömung zieht ihn flussabwärts.

Das Nächste, was er weiß: Es ist beinahe Mittag und er lehnt in der Tür des Pegasus the Flying Horse. Seine Schwester Kat kommt mit einem Brett voller warmer Pasteten in der Hand aus der Küche. Als sie ihn sieht, lässt sie es beinahe fallen. Bestürzt öffnet sie den Mund. »Wie siehst du denn aus?«

»Kat, schrei nicht so, das tut weh.«

Sie schreit nach ihrem Mann: »Morgan Williams!« Sie dreht sich um die eigene Achse, ihr Blick wandert wild umher, das Gesicht gerötet von der Hitze des Ofens. »Nehmt mir das Tablett ab, in Gottes Namen, wo seid ihr alle?«

Er zittert von Kopf bis Fuß, genau wie Bella, als sie damals vom Boot gefallen ist.

Ein Mädchen kommt gerannt. »Der Herr ist in die Stadt gegangen.«

»Das weiß ich, Dummkopf.« Beim Anblick ihres Bruders hatte sie es vergessen. Sie drückt dem Mädchen das Tablett mit den Pasteten in die Hand. »Wenn du sie irgendwo hinstellst, wo die Katze rankommt, kriegst du Ohrfeigen, bis du Sterne siehst.« Als sie die Hände frei hat, faltet sie sie kurz zu einem heftigen Gebet. »Hast du dich wieder geprügelt, oder war es dein Vater?«

Ja, sagt er und nickt dabei so heftig, dass Blutstropfen aus seiner Nase schießen. Ja, er zeigt auf sich selbst, als wolle er sagen: Walter war hier. Kat ruft nach einer Schüssel, nach Wasser, nach Wasser in einer Schüssel, nach einem Lappen, nach dem Teufel, der sofort kommen und seinen Diener Walter holen soll. »Setz dich hin, bevor du hinfällst.« Er versucht zu erklären, dass er gerade aufgestanden ist. Weg vom Hof. Es kann eine Stunde her sein, es kann auch einen Tag her sein, und soviel er weiß, könnte heute auch morgen sein; aber wenn er einen Tag dort gelegen hätte, wäre Walter sicher gekommen und hätte ihn umgebracht, weil er im Weg gewesen wäre. Oder es hätte sich etwas Schorf auf seinen Wunden gebildet und inzwischen hätte er überall Schmerzen und wäre fast zu steif, um sich zu bewegen; aus eingehender Bekanntschaft mit Walters Fäusten und Stiefeln weiß er, dass der zweite Tag schlimmer sein kann als der erste. »Setz dich. Sprich nicht«, sagt Kat.

Als die Schüssel kommt, beugt sie sich über ihn und macht sich an die Arbeit, betupft sein geschlossenes Auge, bearbeitet in kleinen Kreisen seinen Haaransatz. Sie atmet stoßweise und ihre freie Hand liegt auf seiner Schulter. Leise flucht sie vor sich hin, ab und zu schluchzt sie auf, reibt seinen Nacken und flüstert dabei: »Schon gut, ganz ruhig, schon gut«, als wäre er es, der weint, obwohl er es nicht tut. Er hat das Gefühl zu schweben und sie brächte ihn auf die Erde zurück; er würde gerne seine Arme um sie legen und sein Gesicht in ihre Schürze und sich dort ausruhen, während er auf ihren Herzschlag lauschte. Aber er will sie nicht schmutzig machen, sie überall mit Blut beschmieren.

Als Morgan Williams zurückkommt, trägt er seinen guten Stadtrock. Er sieht walisisch und kämpferisch aus; es ist offensichtlich, dass er schon weiß, was passiert ist. Er stellt sich neben Kat, sieht auf ihn hinab, einen Augenblick sprachlos, und sagt dann: »Sieh her!« Er macht eine Faust und stößt sie dreimal in die Luft. »Das!«, sagt er. »Das würde er bekommen. Walter. Das würde er bekommen. Von mir.«

»Tritt einen Schritt zurück«, rät ihm Kat. »Oder willst du Teile von Thomas auf deine Londonjacke kriegen?«

Das will er nicht. Er weicht zurück. »Mir ist das egal, aber sieh dich mal an, Junge. In einem ehrlichen Kampf könntest du dieses Tier zum Krüppel machen.«

»Es ist aber kein ehrlicher Kampf«, sagt Kat. »Er schleicht sich nämlich von hinten an, stimmt’s, Thomas? Und hat etwas in der Hand.«

»Sieht in diesem Fall nach einer Glasflasche aus«, sagt Morgan Williams. »War es eine Flasche?«

Er schüttelt den Kopf. Seine Nase blutet wieder.

»Tu das nicht, Bruder«, sagt Kat. Ihre ganze Hand ist voller Blut; sie wischt es an ihrer Schürze ab. Was für eine Schweinerei, er hätte ebenso gut seinen Kopf hineinlegen können.

»Ich vermute, du hast es nicht gesehen?«, sagt Morgan. »Was genau er in der Hand hatte?«

»Das ist der Witz dabei, sich von hinten anzuschleichen«, sagt Kat. »An dir ist wirklich ein Friedensrichter verloren gegangen. Hör zu, Morgan, soll ich dir was über meinen Vater erzählen? Er greift sich, was immer gerade herumliegt. Manchmal ist es eine Flasche, das stimmt. Ich habe gesehen, wie er meine Mutter damit geschlagen hat. Sogar unsere kleine Bet, ich habe gesehen, wie er ihr eine Flasche über den Kopf gezogen hat. Aber ich habe es auch mal nicht gesehen, wenn er es tat, und das war schlimmer, weil ich nämlich diejenige war, die umgehauen werden sollte.«

»Ich frage mich, wo ich da eingeheiratet habe«, sagt Morgan Williams.

Aber das ist nur Gerede von Morgan; manche Männer schniefen ständig, manche Frauen haben Kopfweh, und Morgan muss sich immer diese Fragen stellen. Der Junge hört nicht auf ihn; er denkt, wenn mein Vater das mit meiner Mutter gemacht hat, die schon so lange tot ist, hat er sie vielleicht umgebracht? Nein, dafür hätte man ihn sicher zur Verantwortung gezogen; Putney ist gesetzlos, aber mit Mord kommt man nicht durch. Kat ist, was er anstelle einer Mutter hat: Sie weint für ihn und reibt seinen Nacken.

Er schließt die Augen, um sein linkes Auge dem rechten anzugleichen; er versucht beide zu öffnen. »Kat«, sagt er, »darunter habe ich doch ein Auge? Ich kann nämlich nichts sehen.« Ja, ja, ja, sagt sie, während Morgan Williams mit seiner Untersuchung der Fakten fortfährt und sich für einen harten, einigermaßen schweren, scharfen Gegenstand entscheidet, aber wahrscheinlich keine zerbrochene Flasche, denn in diesem Fall hätte Thomas ihre gezackte Kante gesehen, bevor Walter seine Braue aufgeschlitzt hat, um ihm das Auge auszustechen. Er hört, wie Morgan seine Theorie entwickelt, und würde gerne über den Stiefel sprechen, über den Knoten, den Knoten im Zwirn, aber die Anstrengung, den Mund zu bewegen, scheint in keinem Verhältnis zum Ertrag zu stehen. Im Großen und Ganzen stimmt er Morgans Schlussfolgerung zu; er versucht, mit den Achseln zu zucken, aber es schmerzt zu sehr, und er fühlt sich so zermalmt und zerrissen, dass er sich fragt, ob sein Hals gebrochen ist.

»Überhaupt«, sagt Kat, »was hast du getan, Tom, um ihn so in Fahrt zu bringen? Normalerweise schlägt er erst abends zu, jedenfalls, wenn es keinen Grund gibt.«

»Ja«, sagt Morgan Williams, »gab es einen Grund?«

»Gestern. Ich habe mich geprügelt.«

»Du hast dich gestern geprügelt? Mit wem, in Gottes Namen?«

»Ich weiß es nicht.« Der Name ist ihm zusammen mit dem Grund entfallen, aber sein Kopf fühlt sich an, als hätte er beim Verschwinden einen zersplitterten Knochen aus seinem Schädel entfernt. Er berührt seine Kopfhaut – vorsichtig. Flasche? Möglich.

»Ach«, sagt Kat, »sie prügeln sich immer. Jungen. Unten am Fluss.«

»Ich möchte nur sicher sein, dass ich das richtig verstehe«, sagt Morgan. »Gestern kommt er nach Hause, seine Kleider sind zerrissen und seine Fingerknöchel aufgeschürft, und sein alter Herr sagt, was ist das, hast du dich geprügelt? Er wartet einen Tag, dann zieht er ihm eine Flasche über den Kopf. Danach stößt er ihn im Hof zu Boden, versetzt ihm überall Fußtritte, schlägt ihn mit einem Holzbrett, das griffbereit daliegt …«

»Hat er das getan?«

»Es hat sich in der ganzen Gemeinde herumgesprochen! Sie waren alle schon am Kai versammelt, um es mir zu erzählen, sie haben es mir zugerufen, bevor das Boot festgemacht hat. Morgan Williams, hör mal, der Vater deiner Frau hat Thomas geschlagen, und Thomas ist sterbend zum Haus seiner Schwester gekrochen, sie haben den Priester gerufen … Hast du den Priester gerufen?«

»Ach, ihr Williamsens!«, sagt Kat. »Ihr glaubt, ihr seid wichtige Leute hier. Die Leute treten an, um euch alles zu erzählen. Aber warum machen sie das? Weil ihr einfach alles glaubt.«

»Aber es stimmt!«, ruft Morgan. »So gut wie! Nicht? Wenn du den Priester weglässt. Und dass er noch nicht tot ist.«

»Du wirst mit Sicherheit noch Friedensrichter«, sagt Kat, »so scharfsinnig, wie du den Unterschied zwischen einer Leiche und meinem Bruder feststellst.«

»Wenn ich Friedensrichter bin, lasse ich deinen Vater in den Stock legen. Eine Geldstrafe? Das reicht nicht. Welchen Sinn hat das schon, wenn derjenige dann einfach loszieht und sich die Münzen im selben Wert von einem Unschuldigen erschwindelt oder sie ihm raubt, wenn er zufällig seinen Weg kreuzt.«

Er stöhnt: versucht, dabei nicht zu stören.

»Schon gut, schon gut«, flüstert Kat.

»Ich würde sagen, die Richter haben die Nase voll«, sagt Morgan. »Wenn er sein Ale nicht verwässert, lässt er illegal Tiere auf dem Anger laufen, wenn er den Anger nicht plündert, greift er einen Gesetzeshüter an, wenn er nicht betrunken ist, ist er stockbetrunken, und wenn er nicht vor seiner Zeit stirbt, gibt es keine Gerechtigkeit auf dieser Welt.«

»Fertig?«, sagt Kat. Sie wendet sich ihm wieder zu. »Tom, du bleibst jetzt besser bei uns. Morgan Williams, was sagst du? Er taugt für die schwere Arbeit, wenn es ihm wieder besser geht. Er kann die Zahlen für dich machen, er kann addieren und … wie heißt das andere? Schon gut, lach mich nicht aus, was meinst du, wie viel Zeit ich dazu hatte, rechnen zu lernen, mit so einem Vater? Dass ich meinen Namen schreiben kann, verdanke ich unserem Tom hier. Er hat es mir beigebracht.«

»Das wird ihm nicht«, sagt er. »Gefallen.« Nur das bringt er zustande: kurze, einfache Aussagen.

»Gefallen? Er sollte sich schämen«, sagt Morgan.

Kat sagt: »Das Schämen hat Gott ausgelassen, als er meinen Vater gemacht hat.«

Er sagt: »Weil. Nur eine Meile entfernt. Er kann leicht.«

»Auf dich losgehen? Soll er nur!« Morgan führt noch einmal seine Faust vor: seinen kleinen nervösen walisischen Faustschlag.

Nachdem Kat ihn versorgt hatte und Morgan Williams mit seiner Prahlerei und der Rekonstruktion des Angriffs fertig war, legte er sich eine Stunde oder zwei hin, um sich zu erholen. In der Zeit kam Walter mit ein paar Bekannten vorbei, und ein gewisses Maß an Geschrei und Tritten gegen Türen ertönte, obwohl es nur gedämpft zu ihm heraufdrang und er glaubte, es vielleicht nur geträumt zu haben. Nun fragt er sich, was soll ich tun, ich kann nicht in Putney bleiben. Zum Teil, weil seine Erinnerung an die Prügelei von vorgestern zurückkehrt, und er meint, dass ein Messer im Spiel gewesen sein könnte; und wer immer es auch abbekommen hat, er war es nicht; heißt das, dass er selbst es benutzte? All das ist ihm unklar. Klar ist jedoch seine Meinung zu Walter: Ich habe genug davon. Wenn er mich noch einmal angreift, töte ich ihn, und wenn ich ihn töte, hängen sie mich auf, und wenn sie mich hängen, dann will ich einen besseren Grund dafür haben.

Von unten ihre Stimmen, mal lauter, mal leiser. Er kann nicht jedes Wort verstehen. Morgan sagt: Er hat alle Brücken hinter sich abgebrochen. Kat bereut ihr Angebot, die Arbeit als Schankhilfe, Mädchen für alles und Rausschmeißer, denn, wie Morgan sagt: »Walter wird immer hier vorbeikommen, oder? Und dann: ›Wo ist Tom, schick ihn nach Hause, wer hat denn den verdammten Priester bezahlt, der ihm Lesen und Schreiben beigebracht hat, ich war’s, und du erntest jetzt den verdammten Lohn, du lauchfressende Schlampe.‹«

Er kommt nach unten. Morgan sagt fröhlich: »Du siehst gut aus, in Anbetracht der Umstände.«

Die Wahrheit über Morgan Williams ist – und er mag ihn deshalb um keinen Deut weniger –, die Wahrheit ist: Diese Absicht, seinen Schwiegervater eines Tages zusammenzuschlagen, gibt es bloß in seinem Kopf. In Wirklichkeit hat er genauso viel Angst vor Walter wie eine ganze Menge anderer Leute in Putney – und, um genau zu sein, in Mortlake und Wimbledon.

Er sagt: »Ich mach mich dann mal auf den Weg.«

Kat sagt: »Du musst heute Nacht hierbleiben. Du weißt, dass der zweite Tag am schlimmsten ist.«

»Wen wird er schlagen, wenn ich weg bin?«

»Nicht unser Problem«, sagt Kat. »Bet ist verheiratet und raus aus der ganzen Sache, Gott sei Dank.«

Morgan Williams sagt: »Wenn Walter mein Vater wäre, würde ich abhauen, sage ich dir.« Er wartet. »Zufällig haben wir etwas Bargeld da.«

Eine Pause.

»Ich zahle es zurück.«

Morgan sagt lachend, erleichtert: »Und wie willst du das anstellen, Tom?«

Er weiß es nicht. Das Atmen fällt ihm schwer, aber das hat nichts zu sagen, es ist nur das geronnene Blut in seiner Nase. Sie scheint nicht gebrochen zu sein; prüfend betastet er sie, und Kat sagt: Vorsicht, das hier ist eine saubere Schürze. Ein gequältes Lächeln zeigt sich auf ihrem Gesicht, sie will nicht, dass er geht, aber sie wird Morgan Williams nicht widersprechen, oder etwa doch? Die Williamsens sind wichtige Leute in Putney, in Wimbledon. Morgan vergöttert sie; er erinnert sie stets daran, dass sie Mädchen hat, die sich ums Backen und Brauen kümmern, warum setzt sie sich nicht oben hin, näht wie eine Dame und betet für seinen Erfolg, wenn er nach London geht, um in seinem Stadtrock Geschäfte zu machen? Zweimal am Tag könnte sie in einem guten Kleid durchs Pegasus rauschen und die Dinge richten, die nicht in Ordnung sind: Das ist Morgans Vorstellung. Und obwohl sie, soweit er das sehen kann, genauso hart arbeitet, wie sie es seit ihrer Kindheit immer getan hat, findet sie anscheinend doch Gefallen daran, wenn Morgan sie ermahnt, sich hinzusetzen und eine Dame zu sein.

»Ich zahle es zurück«, sagt er. »Vielleicht werde ich Soldat. Ich könnte euch einen Teil meines Lohnes schicken, und eventuell bekomme ich Kriegsbeute.«

Morgan sagt: »Aber es gibt keinen Krieg.«

»Irgendwo wird es einen geben«, sagt Kat.

»Oder ich könnte Schiffsjunge werden. Aber Bella, wisst ihr – meint ihr, ich sollte zurückgehen und sie holen? Sie hat gejault. Er hatte sie weggesperrt.«

»Damit sie ihm nicht in die Zehen beißt?«, sagt Morgan. Er macht sich lustig über Bella.

»Ich würde sie gerne mitnehmen.«

»Ich habe schon von Schiffskatzen gehört. Aber nicht von Schiffshunden.«

»Sie ist sehr klein.«

»Sie geht nicht als Katze durch«, lacht Morgan. »Außerdem bist du sowieso zu groß für einen Schiffsjungen. Sie müssen in die Takelage klettern wie kleine Affen – hast du je einen Affen gesehen, Tom? Soldat ist eher was für dich. Sei ehrlich: wie der Vater, so der Sohn – du hast nicht hinten gestanden, als Gott die Fäuste verteilt hat.«

»Also«, sagt Kat. »Mal sehen, ob wir das richtig verstehen. Eines Tages zieht mein Bruder Tom los und prügelt sich. Als Strafe schleicht sich sein Vater von hinten an ihn an und schlägt ihn womit auch immer, das aber jedenfalls schwer und vermutlich scharf ist, und dann, als er hinfällt, sticht er ihm fast das Auge aus, gibt sich große Mühe, ihm in die Rippen zu treten, prügelt ihn mit einem Brett, das gerade zur Hand ist, zerschlägt ihm das Gesicht, sodass ich ihn kaum erkennen würde, wäre ich nicht seine leibliche Schwester: Und mein Ehemann sagt, die Lösung ist, Soldat zu werden, Thomas, zieh los und finde jemanden, den du nicht kennst, stich ihm sein Auge aus, tritt ihm in die Rippen, töte ihn sogar und lass dich dafür bezahlen.«

»Ist doch besser«, sagt Morgan, »als sich am Fluss zu prügeln, wovon niemand etwas hat. Sieh ihn dir an – wenn es nach mir ginge, würde ich einen Krieg ausrufen, nur um ihn anzustellen.«

Morgan zieht seinen Geldbeutel heraus. Er legt Münzen hin: klimper, klimper, klimper – verführerisch langsam.

Er berührt sein Jochbein. Es ist geprellt, intakt: aber so kalt.

»Hör zu«, sagt Kat, »wir sind hier aufgewachsen, bestimmt gibt es Leute, die Tom helfen würden …«

Morgan wirft ihr einen Blick zu. Der sagt sehr deutlich: Glaubst du wirklich, dass es viele Leute gibt, die es sich mit Walter Cromwell verderben wollen? Die wollen, dass er ihnen die Tür eintritt? Und sie sagt, als hätte er seinen Gedanken laut ausgesprochen: »Nein. Vielleicht nicht. Vielleicht, Tom, wäre es wirklich am besten, meinst du nicht auch?«

Er steht auf. Sie sagt: »Morgan, sieh ihn dir an. Er sollte nicht heute Abend aufbrechen.«

»Sollte ich doch. In einer Stunde hat er einen sitzen, und dann kommt er wieder. Er würde sogar das Haus in Brand stecken, wenn er glaubt, ich bin drin.«

»Hast du alles, was du für die Reise brauchst?«

Er möchte sich zu Kat umdrehen und sagen: nein.

Aber sie hat ihr Gesicht abgewendet, und sie weint. Sie weint nicht um ihn, denn niemand, glaubt er, wird je um ihn weinen, dazu hat Gott ihn nicht geschaffen. Sie weint um ihre Vorstellung davon, wie das Leben sein sollte: Sonntags nach der Kirche, alle Schwestern, Schwägerinnen, Ehefrauen küssen und umarmen sich, geben den eigenen und den Kindern der anderen Klapse und streicheln zugleich liebevoll ihre kleinen runden Köpfe, die Frauen vergleichen ihre Babys und reichen sie herum, und die Männer finden sich zusammen und reden über die Geschäfte, Wolle, Garn, Stoffbahnen, Schiffsladungen, die verdammten Flamen, Fischereirechte, Bierbrauen, Jahresumsatz, ein guter Tipp zur rechten Zeit, eine Hand wäscht die andere, eine kleine Vergünstigung, ein kleiner Vorschuss, mein Anwalt sagt … So sollte es sein, wenn man mit Morgan Williams verheiratet ist, die Williamsens sind schließlich eine wichtige Familie in Putney … Aber es ist nie so gekommen. Walter hat alles verdorben.

Vorsichtig, steif richtet er sich auf. Inzwischen tut ihm jeder Teil seines Körpers weh. Nicht so schlimm, wie es morgen wehtun wird; am dritten Tag werden die Prellungen sichtbar und man muss die Fragen der Leute beantworten, die wissen wollen, woher man sie hat. Aber bis dahin wird er weit weg sein und vermutlich wird niemand Auskunft verlangen, weil ihn niemand kennt oder sich Gedanken um ihn macht. Die Leute werden denken, dass es normal bei ihm ist, die Spuren einer Prügelei im Gesicht zu tragen.

Er nimmt das Geld. Er sagt: »Hwyl, Morgan Williams. Diolch am yr arian.« Danke für das Geld. »Gofalwch am Katheryn. Gofalwch am eich busnes. Wela i chi eto rhywbryd. Pob lwc.« Kümmere dich um meine Schwester. Kümmere dich um dein Geschäft. Irgendwann sehen wir uns wieder.

Morgan Williams starrt ihn an.

Er grinst beinahe, würde es tun, wenn sein Gesicht nicht davon aufreißen würde. All die Tage, die er damit verbracht hat, in den verschiedenen Haushalten der Williamsens herumzulungern: Haben sie etwa geglaubt, er sei nur wegen des Essens gekommen?

»Pob lwc«, sagt Morgan langsam. Viel Glück.

Er sagt: »Ist es gut, wenn ich den Fluss entlanglaufe?«

»Wo willst du denn hin?«

»Zum Meer.«

Einen Augenblick sieht Morgan Williams traurig aus, weil es so weit gekommen ist. Er sagt: »Wirst du es schaffen, Tom? Ich sage dir, wenn Bella kommt und nach dir sucht, schicke ich sie nicht hungrig nach Hause. Kat wird ihr eine Pastete geben.«

Er muss sich das Geld gut einteilen. Er könnte den Weg flussabwärts zurücklegen; aber er hat Angst, dass er gesehen wird und Walter ihn dann mit Hilfe seiner Freunde und Kontakte erwischt; Männer, die alles tun würden, wenn sie dafür etwas zu trinken bekommen. Zuerst denkt er daran, sich auf eines der Schmugglerschiffe zu stehlen, die in Barking oder Tilbury ablegen. Aber dann denkt er, in Frankreich, da haben sie Kriege. Ein paar Leute, mit denen er spricht – er kommt leicht mit Fremden ins Gespräch –, sind derselben Meinung. Also Dover. Er macht sich auf den Weg.

Wenn man dabei hilft, einen Wagen zu beladen, wird man mitgenommen, meistens jedenfalls. Es gibt ihm zu denken, wie ungeschickt sich die Leute beim Beladen von Wagen anstellen. Es gibt tatsächlich Männer, die versuchen, mit einer breiten Holztruhe geradewegs durch eine enge Toreinfahrt zu kommen. Eine einfache Drehung des Gegenstands kann eine Menge Probleme lösen. Und dann Pferde: Er hat immer mit Pferden zu tun gehabt, auch mit scheuen Pferden, denn wenn Walter am Morgen nicht die Folgen des starken Gebräus ausschlief, das ihm selbst und seinen Freunden vorbehalten war, wandte er sich seinem zweiten Gewerbe zu, dem des Hufschmieds; und ob es nun sein fauler Atem war oder seine laute Stimme oder generell seine Vorgehensweise, selbst Pferde, die gut zu beschlagen waren, begannen den Kopf hochzuwerfen und vor der Hitze zurückzuweichen. Wenn Walter ihre Hufe festhielt, zitterten sie; seine Aufgabe war es, ihren Kopf zu halten und mit ihnen zu sprechen, die samtige Stelle zwischen ihren Ohren zu streicheln, ihnen zu erzählen, dass ihre Mütter sie lieben und immer noch über sie sprechen und dass Walter bald vorbei sein wird.

Etwa einen Tag lang isst er nichts; es tut zu weh. Aber als er in Dover ankommt, hat sich die tiefe Schnittwunde auf seinem Kopf geschlossen, und er vertraut darauf, dass sich die empfindlichen Teile in seinem Inneren selbst geheilt haben: Nieren, Lunge und Herz.

Die Art, wie die Leute ihn ansehen, verrät ihm, dass er immer noch Prellungen im Gesicht hat. Morgan Williams hatte noch eine Inventur gemacht, bevor er aufbrach: die Zähne (wie durch ein Wunder) noch vorhanden, und zwei Augen, die wie durch ein Wunder sehen konnten. Zwei Arme, zwei Beine: Was willst du mehr?

Er läuft im Hafen umher und fragt die Leute: Wisst ihr, wo gerade Krieg herrscht?

Jeder Mann, den er fragt, starrt ihn an, tritt zurück und sagt: »Das frage ich dich!«

Darüber freuen sie sich so, sie lachen so herzlich über ihren Witz, dass er mit seinen Fragen fortfährt, nur um den Leuten eine Freude zu machen.

Erstaunt stellt er fest, dass er Dover reicher verlassen wird, als er dort angekommen ist. Er hat einen Mann beim Drei-Karten-Trick beobachtet, und als er ihn beherrschte, ist er selbst in das Geschäft eingestiegen. Weil er jung ist, bleiben die Leute stehen und versuchen ihr Glück. Vergeblich.

Er verrechnet, was er hat und was er ausgegeben hat. Abzüglich einer kleinen Summe für ein kurzes Zusammentreffen mit einem Freudenmädchen. Etwas, das man in Putney, Wimbledon oder Mortlake nicht tun könnte. Nicht ohne dass die Familie Williams davon erfahren und auf Walisisch darüber reden würde.

Er sieht drei ältere Niederländer mit ihren Bündeln kämpfen und geht hinüber, um zu helfen. Die Pakete sind weich und unförmig, Muster von Wollstoffen. Ein Hafenbeamter macht ihnen Schwierigkeiten wegen ihrer Dokumente und schreit sie an. Er lümmelt hinter dem Mann herum, tut so, als sei er ein holländischer Tölpel, und zeigt den Kaufleuten durch Hochhalten seiner Finger, was er für eine angemessene Bestechungssumme hält. »Bitte«, sagte einer von ihnen in fehlerhaftem Englisch zu dem Mann, »könnten Sie mir diese englischen Münzen abnehmen? Ich benötige sie nicht mehr.« Plötzlich strahlt der Hafenbeamte über das ganze Gesicht. Auch die Niederländer strahlen über das ganze Gesicht; sie hätten viel mehr gezahlt. Als sie an Bord gehen, sagen sie: »Der Junge gehört zu uns.«

Während sie aufs Ablegen warten, fragen sie ihn, wie alt er sei. Er sagt: achtzehn, aber sie lachen und sagen: Kind, das bist du nie. Er bietet ihnen fünfzehn Jahre an, sie beraten sich und beschließen, dass fünfzehn in Ordnung geht; sie glauben, dass er jünger ist, wollen ihn aber nicht beschämen. Sie fragen, was mit seinem Gesicht passiert ist. Er könnte verschiedene Dinge erzählen, aber er entscheidet sich für die Wahrheit. Er möchte nicht, dass sie denken, er sei ein gescheiterter Dieb. Sie besprechen die Sache, und derjenige, der übersetzen kann, wendet sich an ihn: »Wir meinen, dass die Engländer grausam zu ihren Kindern sind. Und kaltherzig. Das Kind muss aufstehen, wenn sein Vater in den Raum kommt. Immer soll das Kind ganz korrekt sagen: ›mein Vater, Sir‹ und ›Madam, meine Mutter‹.«

Er ist erstaunt. Gibt es Menschen auf der Welt, die ihre Kinder nicht grausam behandeln? Zum ersten Mal hebt sich die Last auf seiner Brust ein wenig; er denkt, es könnte andere Orte geben, bessere. Er spricht; er erzählt ihnen von Bella, sie schauen mitleidig und sagen nichts Dummes wie: Du kannst doch einen anderen Hund haben. Er erzählt ihnen vom Pegasus und vom Brauhaus seines Vaters und dass Walter mindestens zweimal pro Jahr eine Geldstrafe für schlechtes Bier bekommt. Er erzählt ihnen, dass er auch Geldstrafen für den Diebstahl von Holz bekommt, weil er die Bäume anderer Leute fällt, und von den zu vielen Schafen, die er auf dem Anger grasen lässt. Das interessiert sie; sie zeigen ihm die Wollmuster und diskutieren ihr Gewicht und die Webart, wenden sich von Zeit zu Zeit an ihn, um ihn ins Gespräch einzubeziehen und ihm etwas beizubringen. Im Allgemeinen halten sie nicht allzu viel von den fertigen englischen Stoffen, obwohl diese Muster ihre Einstellung ändern könnten … Er verliert den Faden, als sie versuchen zu erklären, warum sie nach Calais reisen, und über verschiedene Leute sprechen, die sie dort kennen.

Er erzählt ihnen von der Schmiede seines Vaters, und derjenige, der Englisch spricht, fragt interessiert: Kannst du ein Hufeisen herstellen? Er zeigt ihnen pantomimisch, wie das ist: heißes Metall und ein übellauniger Vater auf engem Raum. Sie lachen; sie mögen es, wenn er eine Geschichte erzählt. Er sei ein guter Redner, sagt einer von ihnen. Bevor sie anlegen, wird der Schweigsamste von ihnen aufstehen und eine seltsam formelle Rede halten; der eine wird dazu nicken, und der andere wird sie übersetzen. »Wir sind drei Brüder. Das ist unsere Straße. Wenn du je in unsere Stadt kommst, gibt es dort ein Bett und ein Feuer und Essen für dich.«

Lebt wohl, wird er zu ihnen sagen. Lebt wohl und viel Glück im Leben. Hwyl, Tuchhändler. Gofalwch eich busnes. Er wird nicht rasten, bis er auf einen Krieg stößt.

Das Wetter ist kalt, aber die See ist ruhig. Kat hat ihm ein geweihtes Amulett gegeben. Er hat es sich mit einer Schnur um den Hals gehängt. Kalt liegt es auf der Haut an seiner Kehle. Er entknotet die Schnur. Er berührt das Amulett mit den Lippen, das soll ihm Glück bringen. Er lässt es fallen; es gleitet ins Wasser. Er wird sich an den ersten Anblick der offenen See erinnern: eine graue, zerknitterte Weite wie das Überbleibsel eines Traums.

II

Vaterschaft

1527

Nun also: Stephen Gardiner. Kommt heraus, als er hineingeht. Es ist nass und für eine Nacht im April ungewöhnlich warm, aber Gardiner trägt Pelze, die wie glänzende, dichte schwarze Federn wirken; jetzt steht er da und plustert sie auf, rafft die Kleider um seine große, aufrechte Gestalt wie schwarze Engelsflügel.

»Spät dran«, sagt Master Stephen unfreundlich.

Er ist ungerührt. »Ich oder Ihre werte Person?«

»Sie.« Er wartet.

»Betrunkene auf dem Fluss. Das Fest zu Ehren einer ihrer Schutzheiligen, sagen die Bootsführer.«

»Haben Sie zu ihr gebetet?«

»Ich bete zu jedem, Stephen, bis ich wieder festen Boden unter den Füßen habe.«

»Es überrascht mich, dass Sie nicht selbst zum Ruder gegriffen haben. Als Junge haben Sie doch bestimmt auf dem Fluss gearbeitet.«

Stephen spielt immer auf dasselbe an. Dein Halunke von Vater. Deine niedrige Geburt. Stephen ist angeblich so etwas wie ein halbköniglicher Bastard: gegen Bezahlung diskret aufgezogen, als eigenes Kind von diskreten Leuten in einer kleinen Stadt; Wollhändler, die Master Stephen verabscheut und vergessen möchte; und da er selbst jeden im Wollhandel kennt, weiß er mehr über Stephens Vergangenheit, als diesem lieb ist. Das arme Waisenkind!

Master Stephen ärgert sich über alles, was seine persönlichen Umstände betrifft. Er ärgert sich darüber, dass er ein nicht anerkannter Vetter des Königs ist. Er ärgert sich darüber, dass er Geistlicher werden musste, obwohl die Kirche es gut mit ihm gemeint hat. Er ärgert sich über die Tatsache, dass jemand anders nächtliche Gespräche mit dem Kardinal führt, dessen Privatsekretär er selbst ist. Er ärgert sich über die Tatsache, dass er zu jenen hochgewachsenen Männern gehört, deren Größe nicht viel aussagt, weil nichts dahintersteckt, und er ärgert sich über das Wissen, dass, wenn sie in einer dunklen Nacht aufeinanderträfen, Master Thos. Cromwell derjenige wäre, der davonkäme, sich die Hände säubern und dabei lächeln würde.

»Gott segne Sie«, sagt Gardiner und tritt in die für April ungewöhnlich warme Nacht hinaus.

Cromwell sagt: »Danke.«

Der Kardinal ist mit Schreiben beschäftigt und sagt, ohne aufzusehen: »Thomas. Regnet es noch? Ich habe Sie früher erwartet.«

Bootsführer. Fluss. Heilige. Seit dem frühen Morgen war er unterwegs, und den überwiegenden Teil der letzten zwei Wochen hat er in Angelegenheiten des Kardinals im Sattel verbracht; und nun ist er in Etappen – keinen leichten Etappen – von Yorkshire heruntergekommen. Er war bei seinen Schreibern in Gray’s Inn und hat sich Wäsche zum Wechseln geliehen. Er war im Osten der Stadt, um zu hören, welche Schiffe eingelaufen sind, und den Aufenthaltsort einer inoffiziellen Warensendung zu ermitteln, die er erwartet. Aber er hat noch nicht gegessen, und zu Hause war er auch noch nicht.

Der Kardinal erhebt sich. Er öffnet eine Tür, spricht mit den Dienern, die dahinter warten. »Kirschen! Was, keine Kirschen? April, sagt ihr? Erst April? Dann werden wir wohl große Mühe damit haben, meinen Gast zu beschwichtigen.« Er seufzt. »Bringt, was ihr habt. Aber seid euch klar, dass es auf keinen Fall genügen wird. Warum werde ich nur so schlecht bedient?«

Auf einmal ist der ganze Raum in Bewegung: Speisen, Wein, ein Feuer wird entzündet. Ein Mann nimmt ihm besorgt murmelnd die nassen Überkleider ab. Alle Hausdiener des Kardinals sind so: zuvorkommend, kaum vernehmbar, devot; beständig werden sie zurechtgewiesen. Und alle Besucher des Kardinals werden auf dieselbe Weise behandelt. Hätte ihn jemand zehn Jahre lang jede Nacht gestört, um dann schmollend und mürrisch dazusitzen, wäre er trotzdem noch sein geschätzter Gast.

Die Diener machen sich unsichtbar, verschwinden in Richtung Tür. »Wünschen Sie sonst noch etwas?«, sagt der Kardinal.

»Dass die Sonne aufgeht?«

»Um diese Zeit? Sie überschätzen meine Fähigkeiten.«

»Die Dämmerung würde reichen.«

Der Kardinal nickt den Dienern zu. »Um diese Bitte kümmere ich mich selbst«, sagt er ernst; sie entgegnen ein ernsthaftes Murmeln und verschwinden.

Der Kardinal faltet die Hände. Er stößt einen tiefen, zufriedenen Seufzer aus wie ein Leopard, der sich an einem warmen Plätzchen niederlässt. Er betrachtet seinen Mann für die Geschäfte; sein Mann für die Geschäfte betrachtet ihn. Mit fünfundfünfzig sieht er immer noch so gut aus wie in der Blüte seiner Jahre. Heute Abend trägt er nicht das alltägliche Scharlachrot, sondern dunkles Violett und feine weiße Spitze: wie ein einfacher Bischof. Seine Körpergröße beeindruckt; sein Bauch – der von Rechts wegen eigentlich einem unbeweglicheren Mann gehören müsste – ist bloß ein weiterer fürstlicher Aspekt seines Wesens, und auf ihn legt er oft vertrauensvoll eine große, weiße, beringte Hand. Ein großer Kopf – sicherlich von Gott dazu geschaffen, die päpstliche Tiara zu tragen – thront eindrucksvoll auf breiten Schultern: Schultern, auf denen (wenn auch nicht in diesem Augenblick) die große Kette des Lordkanzlers von England ruht. Der Kopf neigt sich; mit jener honigsüßen Stimme, die von hier bis Wien Bekanntheit genießt, sagt der Kardinal: »Nun dann, erzählen Sie mir, wie Yorkshire war.«

»Schmutzig.« Er setzt sich. »Wetter. Leute. Manieren. Moral.«

»Nun, ich vermute, Sie haben den richtigen Ort gewählt, um sich zu beklagen. Obwohl ich bereits mit Gott wegen des Wetters in Verhandlung stehe.«

»Ach, und das Essen. Fünf Meilen im Landesinneren und kein frischer Fisch.«

»Und kaum Hoffnung auf eine Zitrone, vermute ich. Was essen sie dort?«

»Londoner, wenn sie welche bekommen können. Sie haben noch nie solche Ungläubigen gesehen. Derart herrschaftlich, aber niedrige Gesinnung. Leben in Höhlen, und trotzdem gehen sie in der Gegend als Adlige durch.« Er sollte hingehen und sich selbst ein Bild machen, der Kardinal; er ist Erzbischof von York, hat sein Bistum aber nie besucht. »Und was die Angelegenheiten Ihro Gnaden betrifft …«

»Ich höre«, sagt der Kardinal. »Ich gehe sogar noch weiter. Ich bin gefesselt.«

Während er zuhört, legt sich das Gesicht des Kardinals in seine freundlichen, stets aufmerksamen Falten. Von Zeit zu Zeit notiert er sich eine Zahl, die genannt wird. Er trinkt einen Schluck von seinem hervorragenden Wein, und schließlich sagt er: »Thomas … was haben Sie getan, Sie abscheulicher Diener? Eine Äbtissin erwartet ein Kind? Zwei, drei Äbtissinnen? Oder, warten Sie … Haben Sie Whitby in Brand gesteckt, aus einer Laune heraus?«

In Bezug auf Cromwell hat der Kardinal zwei Witze, die sich gelegentlich zu einem verbinden. Der erste ist, dass er hereinspaziert und Kirschen im April und Kopfsalat im Dezember verlangt. Der zweite ist, dass er durch das Land zieht, Schandtaten verübt und das Konto des Kardinals damit belastet. Der Kardinal hat weitere Witze, die er von Zeit zu Zeit anbringt: je nach Bedarf.

Es ist etwa zehn Uhr. Die Flammen der Kerzen verneigen sich höflich vor dem Kardinal und richten sich wieder auf. Der Regen – seit September regnet es bereits – schlägt gegen das Fensterglas. »In Yorkshire«, sagt er, »wird Ihr Projekt missbilligt.«

Das Projekt des Kardinals: Nachdem er die Erlaubnis des Papstes erhalten hat, möchte er etwa dreißig kleine, schlecht geführte Klöster mit größeren zusammenschließen und das Einkommen dieser Klöster – verfallen, aber oft sehr alt – in Einkünfte für die beiden Colleges umwandeln, mit deren Gründung er befasst ist: das Cardinal College in Oxford und eines in seiner Heimatstadt Ipswich. Dort erinnert man sich noch gut an ihn als gelehrten Sohn eines wohlhabenden und frommen Metzgermeisters, der der Zunft angehörte und darüber hinaus ein großes und gut geführtes Gasthaus besaß, das die vornehmsten Reisenden frequentieren. Die Schwierigkeit ist … Nein, tatsächlich gibt es diverse Schwierigkeiten. Der Kardinal, Bachelor of Arts mit fünfzehn, Bachelor of Theology mit Mitte zwanzig, kennt sich im Rechtswesen aus, mag aber die Verzögerungen nicht, die es mit sich bringt; er kann nicht akzeptieren, dass unbewegliches Vermögen nicht genauso schnell und leicht in Geld umgewandelt werden kann, wie er eine Oblate in den Leib Christi verwandelt. Als er dem Kardinal einmal versuchsweise etwas erklärte, ein nebensächliches Detail in Bezug auf das Bodenrecht – nun, lassen wir das, es war ein nebensächliches Detail –, brach der Kardinal in Schweiß aus und sagte: Thomas, was kann ich Ihnen geben, damit Sie diese Sache nie wieder erwähnen? Finden Sie einen Weg, tun Sie es einfach, sagte er immer, wenn Hindernisse auftauchten; und wenn er von irgendwelchen unbedeutenden Personen hörte, die seine großartigen Pläne durchkreuzten, sagte er: Thomas, geben Sie ihnen etwas Geld und machen Sie, dass sie weggehen.

Er hat die Muße, darüber nachzudenken, da der Kardinal auf seinen Schreibtisch starrt, auf den Brief, den er halb geschrieben hat. Er sieht auf. »Tom …« Und dann: »Ach nein, nicht so wichtig. Sagen Sie mir, warum Sie so finster dreinschauen.«

»Die Leute dort oben sagen, dass sie mich töten wollen.«

»Wirklich?«, sagt der Kardinal. Sein Gesichtsausdruck sagt: Ich bin erstaunt und enttäuscht. »Und werden sie das tun? Oder was glauben Sie?«

Hinter dem Kardinal hängt ein Gobelin, auf der ganzen Länge der Wand. König Salomon streckt die Hände in die Dunkelheit aus und begrüßt die Königin von Saba.

»Ich glaube, wenn man einen Mann töten will, muss man es einfach tun. Man sollte ihm keinen Brief schreiben. Keinen Lärm darum machen und ihm drohen, sodass er sich in Acht nimmt.«

»Sollten Sie sich je nicht in Acht nehmen, lassen Sie es mich wissen. Das würde ich wirklich gerne sehen. Wissen Sie, wer … Aber ich vermute stark, dass solche Leute ihre Briefe nicht unterschreiben. Ich werde mein Projekt nicht aufgeben. Ich habe die Institutionen persönlich und sorgfältig ausgewählt, und Seine Heiligkeit hat ihre Schließung mit seinem Siegel bewilligt. Diejenigen, die dagegen sind, missverstehen meine Absicht. Niemand hat vor, alte Mönche auf die Straße zu setzen.«

Das ist wahr. Es kann Versetzungen geben, Renten, Entschädigungen. Es kann verhandelt werden, mit gutem Willen beiderseits. Beugt euch dem Unvermeidlichen, drängt er. Respekt vor dem Lordkardinal. Bedenkt seine umsichtige und väterliche Sorge; glaubt mir, dass sein scharfer Blick auf das größte Wohl der Kirche gerichtet ist. Das sind die Wendungen, mit denen man verhandelt. Armut, Keuschheit und Gehorsam werden angesprochen, wenn man einem senilen Prior sagt, was er tun soll. »Sie missverstehen es nicht«, sagt er. »Sie wollen nur die Einkünfte haben.«

»Sie werden eine bewaffnete Wache mitnehmen müssen, wenn Sie das nächste Mal in den Norden gehen.«

Der Kardinal, der über die endgültige Bestimmung eines Christen nachdenkt, hat sein Grabmal bereits von einem Bildhauer aus Florenz entwerfen lassen. Seine Leiche wird unter den ausgebreiteten Flügeln eines Engels in einem Sarkophag aus Porphyr liegen. Der geäderte Stein wird sein Denkmal sein, wenn der Einbalsamierer das Blut aus seinen Adern lässt; wenn seine Glieder so hart sind wie Marmor, werden seine Tugenden mit einer goldenen Inschrift hervorgehoben. Aber die Colleges sollen sein atmendes Denkmal werden, sie sollen, lange nachdem er gegangen ist, arbeiten und leben: Arme Jungen, arme Gelehrte werden den Witz des Kardinals, seinen Sinn für Ehrfurcht und Schönheit, seinen Instinkt für Anstand und Freude, seine Finesse in die Welt tragen. Kein Wunder, dass er den Kopf schüttelt. Normalerweise muss man einem Rechtsanwalt keine bewaffnete Wache mitgeben. Der Kardinal hasst jegliche Demonstration von Stärke. Das wäre nicht subtil genug. Manchmal kommt einer seiner Leute zu ihm – sagen wir mal Stephen Gardiner –, um ein Nest von Häretikern in der City of London zu entlarven. Ernsthaft sagt er dann: die armen ahnungslosen Seelen. Sie beten für sie, Stephen, und ich bete für sie, und dann sehen wir ja, ob wir sie nicht mit vereinter Kraft zur Vernunft bringen können. Und sagen Sie ihnen, sie sollen sich bessern, sonst bekommt Thomas More sie in die Finger und schließt sie in seinem Keller ein. Und dann hören wir bloß noch ihre Schreie.

»Nun, Thomas.« Er sieht auf. »Sprechen Sie eigentlich Spanisch?«

»Ein wenig. Aus dem Bereich des Militärs, wissen Sie. Holprig.«

»Ich dachte, Sie haben in den spanischen Armeen gedient.«

»Bei den Franzosen.«

»Ach so. Und gab es keine Verbrüderung?«

»Nicht über einen gewissen Punkt hinaus. Ich kann Leute auf Kastilisch beleidigen.«

»Das werde ich mir merken«, sagt der Kardinal. »Ihre Zeit kommt vielleicht noch. Im Augenblick …, ich habe mir überlegt, dass es gut wäre, mehr Freunde im Haushalt der Königin zu haben.«

Spione, meint er. Um zu erfahren, wie sie die Nachricht aufnehmen wird. Um zu erfahren, was Königin Katherine in ihren privaten Gemächern sagen wird, wenn sie nicht mehr an der Leine liegt und sich von der Schlinge des diplomatischen Lateins befreit hat, in dem ihr mitgeteilt werden wird, dass der König – nachdem sie fast zwanzig Jahre miteinander verbracht haben – eine andere Dame heiraten möchte. Irgendeine Dame. Irgendeine einflussreiche Prinzessin, von der er glaubt, dass sie ihm einen Sohn schenken kann.

Das Kinn des Kardinals ruht in seiner Hand; mit Zeigefinger und Daumen reibt er sich die Augen. »Der König hat mich heute Morgen aufgesucht«, sagt er, »außergewöhnlich früh.«

»Was wollte er?«

»Mitleid. Und das zu so früher Stunde. Ich habe eine Frühmesse mit ihm gehört, und er hat die ganze Zeit über geredet. Ich liebe den König. Gott weiß, wie sehr ich ihn liebe. Aber manchmal wird meine Fähigkeit zur Anteilnahme etwas überstrapaziert.« Er hebt sein Glas, schaut über den Rand. »Sie müssen sich das ausmalen, Tom. Sie müssen sich das vorstellen. Sie sind ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren. Sie haben eine gute Gesundheit und einen gesunden Appetit, Sie haben jeden Tag Stuhlgang, Ihre Gelenke sind geschmeidig, Ihre Knochen stützen Sie, und darüber hinaus sind Sie König von England. Aber.« Er schüttelt den Kopf. »Aber! Wenn er nur etwas Einfaches wollte. Den Stein der Weisen. Einen Zaubertrank für ewige Jugend. Eine dieser Truhen voller Goldstücke, die in Märchen vorkommen.«

»Und wenn man ein paar herausnimmt, füllt sie sich von selbst wieder auf?«

»Genau. Nun, ich mache mir Hoffnungen auf die Goldtruhe und den Zaubertrank und alles andere. Aber wo soll ich anfangen, nach einem Sohn zu suchen, der sein Land nach ihm regiert?«

Hinter dem Kardinal bewegt sich König Salomon ein wenig im Luftzug, er verbeugt sich, sein Gesicht liegt im Dunkeln. Die Königin von Saba – lächelnd, leichtfüßig – erinnert ihn an die junge Witwe, bei der er gewohnt hat, als er in Antwerpen war. Sie teilten das Bett, hätte er sie also heiraten sollen? Um die Ehre zu bewahren, ja. Aber wenn er Anselma geheiratet hätte, hätte er Liz nicht heiraten können; und er hätte andere Kinder als die, die er jetzt hat.

»Wenn Sie keinen Sohn für ihn finden können«, sagt er, »müssen Sie eine Stelle aus der Heiligen Schrift für ihn finden. Um ihn zu beruhigen.«

Der Kardinal scheint danach zu suchen, auf seinem Schreibtisch. »Nun, das Fünfte Buch Mose. Es empfiehlt eindeutig, dass ein Mann die Frau seines verstorbenen Bruders heiraten soll. Wie er es getan hat.« Der Kardinal seufzt. »Aber er mag das Fünfte Buch Mose nicht.«

Überflüssig zu fragen: warum nicht? Überflüssig zu erwähnen: Wenn das Fünfte Buch Mose dir befiehlt, die Witwe deines Bruders zu heiraten, und das Dritte Buch Mose sagt, tu es nicht oder du hast keine Nachkommen, sollte man versuchen, mit dem Widerspruch zu leben, und akzeptieren, dass die Frage, welches Buch Priorität hat, vor zwanzig Jahren in Rom gegen eine saftige Gebühr von führenden Prälaten ausdiskutiert wurde, sodass die Dispens erteilt und mit dem päpstlichen Siegel überbracht werden konnte.

»Ich verstehe nicht, warum er sich das Dritte Buch Mose so zu Herzen nimmt. Er hat eine Tochter, die am Leben ist.«

»Ich denke, dass man in der Schrift grundsätzlich davon ausgehen kann, dass ›Kinder‹ ›Söhne‹ bedeutet.«