Zum Buch
Wie kann man die Geschichte des eigenen Körpers erzählen, in Gesundheit, Krankheit, Mutterschaft? Wie kann man diese Geschichte als Frau erzählen, noch dazu als Frau in Irland? Mit diesen mutigen und starken Texten tut Sinéad Gleeson genau das.
Das ganze Leben ist in diesem Buch: von der Geburt zur ersten Liebe, von Schwangerschaft zu Muttersein, bedrohlicher Krankheit, Alter und Tod. Sinéad Gleeson nimmt uns mit auf eine Reise, die zugleich sehr persönlich und zutiefst universell ist.
»Sinéad Gleeson hat unglaubliche Kraft: Wer wissen will, wo Leidenschaft und Beharrlichkeit entstehen, sollte dieses Buch lesen.« Anne Enright
Zur Autorin
SINÉAD GLEESON ist eine irische Schriftstellerin, Herausgeberin und Kritikerin. Daneben hat sie als Literaturredakteurin beim irischen Radiosender RTÉ gearbeitet. Sie zählt zu den wichtigsten jungen Stimmen Irlands. Ihr Essayband »Konstellationen« war ein Nummer-1-Bestseller in Irland und Irish Nonfiction Book of the Year. Sie lebt in Dublin.
SINÉAD GLEESON
KONSTELLATIONEN
DIE SPRACHE MEINES KÖRPERS
Aus dem Englischen von
Stephanie Singh
Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »Constellations« by Picador, London.
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Deutsche Erstausgabe Juni 2021
btb Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Copyright © 2019 by Sinéad Gleeson
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2021 by btb Verlag
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Covergestaltung: semper smile, München
nach einem Entwurf von Pan Macmillan
Covermotiv: Quagga Media UG/AKG Images/
Ekaterina Beskova/Shutterstock
MK ∙ Herstellung: sc
ISBN 978-3-641-26007-1
V001
www.btb-verlag.de
www.facebookcom/btbverlag
Für Steve,
für alles
Und in Erinnerung an Terry Gleeson
Blaue Hügel und Kreideknochen
Haare
60 000 Meilen Blut
Unser gemeinsamer Freund
Die atomare Natur von Trimestern
Panoptikum: Krankenhausvisionen
Die Monde der Mutterschaft
Geisterfrauen, Frauengeister
Wo tut es weh?
Zwanzig Geschichten auf Basis der McGill-Schmerzskala
Eine Wunde verströmt ihr ganz eigenes Licht
Das Narrativ des Abenteuers
Zwölf Geschichten über körperliche Autonomie
(für die zwölf Frauen, die täglich fortgingen)
Zweite Mutter
(K)ein Brief an meine Tochter
(benannt nach einer Kriegsherrin)
Danksagung
Literatur
Indem man den Körper zensiert, zensiert man auch den Atem. Schreibe dich. Dein Körper muss sich Gehör verschaffen.
Hélène Cixous, The Laugh of the Medusa
Empirisch gesehen, sind wir aus Sternenstaub gemacht. Warum sprechen wir nicht öfter darüber?
Maggie Nelson, The Argonauts
Ich stand unter der Flagge der Mutterschaft und öffnete meinen Mund, auch wenn ich das Lied nicht kannte.
Liz Berry, The Republic of Motherhood
Vielleicht ist der Körper die einzige Frage, die eine Antwort nicht auslöschen kann.
Ocean Vuong, »Haibun des Einwanderers«, Nachthimmel mit Austrittswunden
Der Körper ist eine Nebensache. Wir halten nicht inne, um darüber nachzudenken, wie gleichmäßig das Herz schlägt oder wie unsere Mittelfußknochen sich bei jedem Schritt auffächern. Solange wir weder Lust noch Schmerz empfinden, verschwenden wir keinen Gedanken an diese sich bewegende Masse aus Gefäßen, Blut und Knochen. Die Lungen blähen sich auf, die Muskeln ziehen sich zusammen, und es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass sie das nicht weiterhin tun werden. Bis sich eines Tages etwas ändert und der Körper ein Signal sendet. Der Körper – seine Gegenwärtigkeit, sein Gewicht – ist eine Entität, die wir einerseits nicht ignorieren können, andererseits aber als selbstverständlich betrachten. Meinem eigenen Körper schenkte ich erst einige Monate nach meinem dreizehnten Geburtstag besondere Aufmerksamkeit. Damals stellte sich ein konstanter Schmerz ein, der mich zunehmend langsamer werden ließ. Mein Körper sendete panische Signale, aber ich wusste nicht, was sie bedeuteten. Die Gelenkflüssigkeit in meiner linken Hüfte verdunstete wie Regen. Die Knochen rieben aufeinander und wurden buchstäblich zu Staub. Es geschah sehr schnell und wirkte wie ein umgekehrter Zaubertrick: Eben noch sah man es nicht, jetzt sah man es. Eben noch spielte ich Basketball und absolvierte Sprints, und von einem Moment auf den anderen hatte ich Knochenschmerzen und hinkte. Krankenhausaufenthalte wurden zur Routine. Vier Jahre in Folge fehlte ich nach den Sommerferien drei Monate in der Schule.
Die Ärzte taten alles, um das Rätsel zu lösen. Zuerst versuchten sie es mit Methoden der Distraktion, wie Schlingen und Federn. Dann mit Operationen, Biopsien und mit Aspiration – der Begriff suggeriert Hoffnung, führte aber nicht zum Erfolg. Meine Patentante Terry besuchte mich täglich. Sie brachte mir Abendessen und Plüschtiere aus Automaten, während meine Knochen sich weiter zersetzten.
Diagnostiziert wurde schließlich monoartikuläre Arthritis. Die Ärzte erwähnten eine Operation namens Arthrodese, vor der sie aber – selbst in den späten 1980er-Jahren – zurückschreckten. »Vor allem nicht bei Mädchen«, erklärte der sich ständig räuspernde Chirurg meinen Eltern, doch ich fand erst viel später heraus, was er meinte: dass ich mir jahrelang wünschen würde, mein Körper könne bestimmte Dinge tun, die er nicht tun konnte, und dass ich mich permanent anderen gegenüber rechtfertigen müsste.
Die Genesis erzählt die Geschichte von Jakob, der mit einem Fremden ringt. Er hält ihn für einen Engel. Als der Engel Jakob nicht besiegen kann, renkt er ihm die Hüfte aus und straft ihn mit lebenslangem Hinken. Jakob reagiert verständig und betrachtet die Verletzung als Erinnerung an seine Sterblichkeit und daran, dass der Engel sein Leben verschont hat. Daran, dass der Geist stärker ist als der Körper.
Ich war ein frommes Kind, ging jede Woche zur Messe, regelmäßig zur Beichte und glaubte vor allem inbrünstig und tief an Gott, den Himmel und die Heiligen. Verstärkt wurde dies durch eine starke Indoktrination seitens der Schule. In unserer örtlichen Kirche kaufte ich bei einer Freundin meiner Großmutter Bücher mit religiösen Gedichten. Es waren Stanzen über die Natur, vorhersehbare Reime voller Pantheismus. Auf den Titelseiten waren immer Felder, Himmel und Blumen abgebildet. Das Zeug feierte die Größe Gottes – aber ich liebte diese kleinen, billig gebundenen Bücher.
In den späten 1980er-Jahren war der Katholizismus in Irland noch nicht ins Wanken geraten. Priester lehrten ihre Gemeinden noch das Fürchten, und man wusste noch nicht, dass einige von ihnen Kinder vergewaltigt hatten. Frauen kam eine besondere Form der Misshandlung zu: Verhütung war bis 1979 illegal und danach nur auf Rezept zu haben. Ungewollte Schwangerschaften waren deshalb weit verbreitet. Bis in die 1960er-Jahre hinein waren verheiratete Frauen ständig schwanger – acht, zehn, zwölf Schwangerschaften waren nicht außergewöhnlich. Für mich hört sich das wie ein Wort an – »achtzehnzwölf« –, als seien die Zahlen nicht von Bedeutung. Als sei eine zweistellige Zahl von Schwangerschaften etwas, das stoisch ertragen werden müsste wie eine Grippe oder Kopfschmerzen. Freundinnen meiner Mutter fuhren nach England und kamen mit Koffern voller Kondome zurück, die sie wie Kriegsrationen verteilten.
Als 1970 mein älterer Bruder geboren wurde, musste meine Mutter erst ausgesegnet werden, ehe sie wieder die Messe besuchen durfte. Der Priester segnete alle Frauen, die jüngst Mütter geworden waren, und befreite sie damit von der durch die Geburt eines Kindes entstandenen Unreinheit. In den Augen der Kirchenmänner war selbst die Geburt eine Verunreinigung des weiblichen Körpers. Erst 2018 fand in Irland eine Volksabstimmung zur Abtreibung statt und führte zu einem auf bestimmte Fälle beschränkten Gesetz über den Schwangerschaftsabbruch bis zur zwölften Woche.
Der erste Krankenhausaufenthalt dauerte drei Wochen, gefolgt von verschiedenen Arten der Physiotherapie: ambulant und in Form täglicher Schwimmstunden. Im Winter fuhr mich meine Mutter drei Monate lang täglich zu einem Hallenbad. Bald langweilten uns die Kälte, das immer gleiche Blau, das Kraulen und Brustschwimmen über die Mosaikkacheln hinweg. Aus Tagen wurden Wochen, ich zog meine Bahnen durch das lauwarme Wasser, es gab keine besonderen Vorkommnisse. Bis eines Abends eine Gruppe wilder Jungs im Teenageralter mit mir zusammenstieß. Ein Fuß rammte meine Hüfte. Der unerwartete Schmerz wirkte wie ein Stromausfall. Mein Körper hörte auf zu arbeiten, mein Gehirn versuchte zu verstehen, was passiert war. Ich strampelte nicht, sondern war ganz still, starrte ins Wasser und fragte mich, ob das Gelenk beschädigt war. Ich sank, bis ein Bademeister ins Becken sprang und mich herauszog.
Meine Großmutter hatte eine Zeit lang in einem anderen Schwimmbad in der Nähe gearbeitet. Ich überredete ihre ehemaligen Kollegen, mich dort außerhalb der Öffnungszeiten schwimmen zu lassen. Im Becken mit der Unterwasserbeleuchtung fühlte es sich unheimlich an, weil ich dort ganz allein war. Das Blau, die Ruhe, die Schatten des Wassers an der Decke … Ich jagte mir selbst Angst ein, indem ich mir vorstellte, was sich jenseits dieser Schatten befand. Mit jeder Woche schwamm ich schneller und wurde stärker. Mein Körper wurde zu einer Art Umkehrung – ich bekam starke Arme, während das schwache linke Bein sich nicht bewegen oder Muskeln aufbauen wollte. Es schrumpfte und ist bis heute dünner als das rechte. Mein Mangel an Symmetrie besteht fort.
1988 feiert Dublin sein 1000-jähriges Bestehen mit Umzügen und Milchflaschen mit entsprechenden Motiven. Der Slogan lautet »Dublin’s Great in 88«.
1988 bin ich dreizehn, und Ray Houghton trifft für Irland beim EM-Spiel gegen England. Frauen mit Kopftüchern – wie meine Großmutter – entzünden in den Kirchen Kerzen in der Hoffnung, dass wir die Sowjetunion schlagen (Gleichstand) und später die Niederlande besiegen werden (Niederlage).
1988 bringt mich meine Mutter zu einem alten roten Ziegelhaus in der Nähe der South Circular Road in Dublin. Dort lebt eine Frau, die eine Reliquie von Pater Pio besitzt – einige seiner Knochen in einem kleinen Glas. Meine Hüfte und die Knochen des katholischen Heiligen werden kurz vereint, als sie die Reliquie betend an meiner Hüfte reibt. In den folgenden Wochen geschieht zwar nichts, aber mein Glauben bleibt dennoch stark. Ich gewöhne mir an, vor dem Gottesdienst die Finger in das Weihwasserbecken zu tauchen und es in Richtung meiner Hüfte zu spritzen.
1988 veranstaltet meine Schule eine Klassenreise nach Frankreich. Einige Jahre zuvor war mein älterer Bruder mit der Schule nach Russland gefahren und hatte einen zusätzlichen Koffer voller Kaugummi und Schokoriegel mitgenommen, um Tauschgeschäfte zu machen. Nach Hause brachte er Metallanstecker, die Lenin oder den Wettlauf ins All zeigten, eine hölzerne Miniatur des Kremls und eine Uschanka-Fellmütze. Die Klassenfahrt nach Frankreich führt nach Paris und Lourdes. Die Plätze sind so begehrt (wegen Paris, nicht wegen Lourdes), dass eine Tombola stattfindet. Ich bekomme automatisch einen Platz: Meine Krücken sind in diesem Fall ein Bonus, und meine beste Freundin darf mich begleiten. Sie ist Protestantin, und in ihrer Religion wird die Jungfrau Maria nicht im gleichen Maße verehrt. Wir wissen beide nicht, ob Maria sich für mich einsetzen wird. Aller Augen sind auf mich gerichtet, weil ich die Chance auf ein Wunder bin.
1988 ist ein Schaltjahr. An jedem der 366 Tage gehe ich auf Krücken.
Die Arthritis führte dazu, dass ich das Bein nachzog. Ich gewöhnte mich an das Hinken und das Geräusch der Krücken, entwickelte aber eine neue Art von Befangenheit. Ich vermied es, mein Spiegelbild im Schaufenster zu betrachten. Musste ich auf die andere Seite einer Tanzfläche oder eines Raums mit fröhlichen, sorglosen Menschen, drückte ich mich an den Wänden entlang und nahm den Umweg. Räume betrat ich stets von rechts, um meinen schiefen Gang zu verbergen. Wenn jemand fragte, was passiert sei, antwortete ich stets, ich sei gestürzt, weil das einfacher und weniger peinlich war als die ganze Geschichte. Und das ist der Kern des Ganzen. In jenen Jahren empfand ich vor allem überwältigende Scham. Ich schämte mich für meine Knochen, meine Narben und meinen ungelenken Gang. Ich wollte mich kleiner machen, möglichst wenig Raum einnehmen. Ich las, dass Spitzmäuse und Wiesel ihre Knochen schrumpfen lassen können, um zu überleben.
Bei einem der frühen Arztbesuche wurde meine Wirbelsäule auf Skoliose untersucht. Dazu sollte ich einen Badeanzug tragen. Ich schämte mich entsetzlich und weinte während der gesamten Untersuchung, bis der Arzt ungeduldig wurde und mir ein Handtuch um den Unterkörper legte.
»So, ist das besser?«
Natürlich war es das nicht. Ich war ein gehemmtes Mädchen, das für seine Scham auch noch erniedrigt wurde. Nur wenigen von uns bleibt das Schamgefühl der Teenagerzeit erspart, aber die komplizierten Wurzeln weiblicher Körperscham werden früh gesät. Ich wusste aus der Popkultur, dass mir die Blicke anderer eigentlich gefallen sollten, wusste aber nicht, was ich fühlen sollte, wenn ich betrachtet wurde. Im Verhältnis von Arzt und Patient lag ein gewisses Ungleichgewicht. Nie habe ich das Gefühl der Machtlosigkeit im Angesicht von Anweisungen vergessen: Leg dich hin, beug dich vor, lauf ein Stück. So empfand ich, wenn ich im OP unter dem grellen Licht lag und von zehn rückwärtszählte. Oder wenn ein Einschnitt in der Haut vorgenommen wurde. Man ist in der Hand eines anderen. Hoffentlich ist es eine ruhige, kompetente Hand – aber der Patient bestimmt nichts. Das Königreich der Kranken ist keine Demokratie. Und jeder Orthopäde, der mich in all diesen Jahren untersuchte, war männlich.
Lourdes ist wie Medjugorje oder Knock für Katholiken ein bedeutender Wallfahrtsort. In Irland organisiert die Kirche für die Gläubigen noch heute Busreisen nach Frankreich. In den 1980er-Jahren waren Bus und Fähre die günstigste Möglichkeit. Später gab es Billigflüge für 37 Euro nach Perpignan und Carcassonne, und die Pilger saßen neben neureichen Iren, die für ein Shopping-Weekend nach »Perp« flogen. Heute hat Lourdes einen eigenen Flughafen, der den Namen Tarbes-Lourdes-Pyrénées trägt.
Meine Reise nach Lourdes 1988 war sehr aufwendig und kompliziert. Mit der Fähre ging es über die unruhigen Wasser des Kanals. Alle blieben in den Kabinen und übergaben sich, wegen des benötigten Gleichgewichts und der schieren Willenskraft, die es benötigte, ins Bad zu gelangen. Ein Bus brachte uns über Rouen zu den blühenden Gärten von Versailles. Von dort ging es weiter nach Paris mit seinen Cafés und dem ikonischen Turm. Wir machten zahllose Fotos und kauften wie verrückt Souvenirs, aber ich dachte nur an die Mariengrotte und fragte mich, was dort wohl geschehen würde. Die Fahrt Richtung Süden nach Lourdes dauerte die ganze Nacht. Vor Schmerzen konnte ich kaum schlafen. Wir fuhren an Weinbergen vorbei. Ich betrachtete die Sterne und lauschte den sorglosen Atemzügen der Schlafenden. Ich dachte an die heilenden Wasser. Wenn ich es nur fest genug glaubte, würde ich geheilt.
Dem biblischen Narrativ zufolge wurde die Frau buchstäblich aus einem Knochen erschaffen. Wir sind Adams Rippe entsprungen. Wir sprechen von gebärfreudigen Hüften und dem breiten Becken, das es für eine Geburt braucht. Hinter Muskeln und Sehnen verbirgt sich die Gebärmutter, ein Kelch, ein reproduktiver Heiliger Gral, der Leben ermöglicht. Am Ende der Wirbelsäule, zwischen den Hüften, liegt das Sacrum – vom lateinischen os sacrum, dem »heiligen Knochen«. Altgriechische Tieropfer boten den Göttern bestimmte Teile des Körpers dar. Auch das Sacrum gehörte dazu und galt als unzerstörbar. Unsere Körper sind heilig, gewiss, aber sie gehören uns oftmals nicht allein. Unser Krankenhauskörper, ein Fluss aus Narben; die alltägliche Form, die wir der Welt präsentieren; das Sakrosankte, das wir nur Geliebten zeigen – wir erschaffen unsere eigenen Matroschka-Körper und versuchen einen davon zu behalten, der nur uns gehören soll. Doch welchen behalten wir – den größten oder den kleinsten?
Die Hügel in Lourdes sind schwindelerregend. Sie steigen an, fallen ab, und so geht es hinauf und hinunter wie in der Geografie eines Cartoons. Lourdes wird von den Pyrenäen flankiert und von sechs Millionen Touristen jährlich besucht. Paris ist die einzige französische Stadt mit mehr Hotels. Das Schloss Château fort de Lourdes ist ringsherum sichtbar und wurde einst von Karl dem Großen angegriffen. Berichte über die dortige Topografie waren nicht falsch – die Straßen sind eng, und der Abstieg zur Basilika ist steil. Daneben fließt der Gave de Pau, der am schnellsten fließende Fluss, den ich je gesehen habe. Er umfließt den Massabielle-Felsen, an dem Bernadette ihre erste Vision der Jungfrau Maria hatte, und in diesem Felsen befindet sich die Grotte. Krücken und Schienen hängen von den Wänden wie überdimensionierte Weihnachtsdekoration. Die vielen Menschen hier überraschen mich. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Lourdes so berühmt ist.
Umgeben von Bergen und Tälern liegt Lourdes abgelegen und autark. Für einen Ort, an dem der Glauben so stark präsent ist, klingt das seltsam. In diesen heiligen Räumen werden alle metaphysischen oder nicht greifbaren Elemente der Religion real. Die Gläubigen tragen ihre Gebete in sich, sprechen sie wortlos in Gedanken vor sich hin, doch hier wird ihr Glauben – dieses flüchtige, blinde Ding – greifbar. Es gibt physische Signifikanten und Vermarktungsgegenstände – Souvenirs in jeder Form: Flaschen in der Form der Jungfrau Maria, gefüllt mit Weihwasser, Bernadette mit ihren Freundinnen aus Alabaster. Girlanden gläserner Rosenkranzperlen. Reliquien in den Farben des Meers und des Himmels, die in Eimern angeboten werden wie Makrelen. Blau gilt als Farbe der Heiligkeit, der Natur, der Wahrheit und des Himmels. Die hiesigen Geschäfte strahlen azurblau und immergrün. Ich meide die Wundermedaillen und Kruzifixe und kaufe stattdessen einen Viewmaster für meinen jüngeren Bruder. Er zeigt Ansichten der Basilika, Bernadettes und der Grotte.
Wegen der Hügel musste ich einen Rollstuhl mitnehmen. Als meine Mutter hörte, dass es in Lourdes ständig bergauf und bergab geht, lieh sie bei der Irish Wheelchair Association einen aus. Am Tag der Abfahrt von der Schule weinte ich im Auto. Schon kam der Bus in Sicht. Ich hatte vier Tage lang dafür gekämpft, keinen Rollstuhl mitnehmen zu müssen – aufgrund der Befürchtung, dass alle mich anders betrachten würden, sobald ich mich hineinsetzte.
Sie würden mich tief bemitleiden.
Ich wäre das Krüppelmädchen.
Meine Eltern hatten die Argumente auf ihrer Seite: Komfort, Sicherheit und eben die vielen Hügel. Durch das Autofenster sah ich die aufgeregten Mitschüler, deren Eltern ihnen ein paar Extra-Francs zusteckten. Mein Vater hatte versprochen, den Rollstuhl erst in den Bus einzuladen, wenn alle – auch ich – drinnen saßen. Also wartete er und hievte ihn schließlich diskret in den Stauraum für das Gepäck. Der Bus senkte sich unter dem Gewicht. Ich werde ihn einfach nicht benutzen, nahm ich mir vor. Auf dem Weg nach Wexford zur Autofähre spürte ich das vertraute Schamgefühl, das ich schon von dem Erlebnis mit dem Badeanzug beim Arzt und den Umwegen um Tanzflächen herum kannte.
Wir erreichten Lourdes an einem Frühlingstag; die Luft war noch nicht warm. Wenn ich heute die Fotos betrachte, muss ich über die Dauerwellen und Pastellblusen mit Schulterpolstern meiner Freundinnen und meinen Jeansrock und die Söckchen, die ich selbst trug, lachen. Wir wissen nicht, was vor uns liegt oder wer wir einmal sein werden. Unsere Schüchternheit ist auf den Bildern spürbar. An der Hotelbar wurde Café au Lait in kleinen weißen Tassen für drei Francs verkauft. Wir bestellten in ungeübtem Französisch, nippten an den Tässchen und fühlten uns kultiviert. Als der Busfahrer Paddy den Rollstuhl aus dem Laderaum hob, bemerkte er, ich sähe ihm beim Sprechen nie in die Augen. Ich weigerte mich, mich in den Rollstuhl zu setzen. Weil ich die ersten drei Monate des Schuljahrs an der neuen Schule versäumt hatte, war ich eine Außenseiterin. Es hatten sich bereits enge Freundschaften entwickelt, und obwohl ich mir Mühe gab, war ich allein, eine Insel, weit entfernt von meinen Mitschülern. Jetzt standen acht oder neun Jungen und Mädchen schweigend um den Rollstuhl herum, während ich in meiner Sturheit versank. Ich habe seither oft an diesen Moment gedacht und erinnere mich jedes Mal an die Panik als rein körperliches Phänomen. Wie sich der Magen umdreht, wie die Wangen rot werden. Die Stille, das Warten auf eine Reaktion. Die Jungen nahmen den Rollstuhl und sausten vor dem Hotel die Straße rauf und runter. Sie fuhren mit nach hinten gekipptem Rollstuhl, drehten sich um die eigene Achse, und das Ganze führte zu einem Dominoeffekt: Jeder wollte einmal an die Reihe kommen. Wir täuschen uns immer wieder in anderen. Wir sind misstrauisch und unterstellen ihnen Dinge. Der Rollstuhl wurde zu einer komischen Requisite, ohne dass über mich gelacht wurde. Im Licht der französischen Sonne lachten wir, und ich liebte die anderen für ihre Güte. Sie war wichtiger als Gebete.
Als Bernadette 1858 in Lourdes die Jungfrau Maria erschien, offenbarte sie ihr, dass sich eine Quelle unter der Stadt befindet. Das Wasser soll Heilkräfte haben und wird durch ein Tunnelsystem in die berühmten Bäder geleitet. Sie liegen in einem höhlenartigen Gebäude aus Stein. Die kräftigen Frauen, die dort arbeiten, haben schon Tausenden hoffnungsvollen Besuchern ins Wasser geholfen. Wir stellten uns in die Schlange. Als ich an die Reihe kam, betrat ich einen dunklen Raum. Eine Frau wies mich an, mich auszuziehen, und wickelte mich in ein feuchtes, weißes Tuch. Sie fragte, ob ich ohne Krücken gehen könne, und ich sagte, kurze Strecken seien möglich. Das Bad sah aus wie ein großer Steintrog und war, wie die Grotte selbst, geformt wie ein Uterus: Solche Orte – ob aus Fleisch oder Stein – verströmen Kraft. Man half mir hinab ins Wasser. Extreme, beißende Kälte durchfuhr mich. In dem kaum beleuchteten Raum ließen mich diese Frauen mit ihren starken Armen langsam nach hinten sinken. Mit all meinen Gebeten und Hoffnungen wurde ich untergetaucht. Einen Moment lang blendete die Kälte des Wassers alles andere aus. Ich wollte, dass das Wasser in meine Knochen dringen und mich erneuern würde. Nach Monaten, in denen ich mich gefragt hatte, wie es sich wohl anfühlen würde, war es nun vorbei. Meine Haut war sofort wieder trocken. Außer der lilafarbenen Marmorierung, die die Kälte auf meiner Haut hinterlassen hatte, fühlte ich mich nicht anders.
Nach Einbruch der Dunkelheit begann es in Strömen zu regnen. Jede Nacht fand eine Lichterprozession statt, an der Tausende Menschen teilnahmen. Sie trugen dünne Kerzen, mit weißem Papier umwickelt, auf dem Marienbilder in blauer Tinte prangten. Angesichts des Wetters und des Geländes riet mir ein Lehrer, die Krücken gegen den Rollstuhl zu tauschen. So hatte ich die Hände frei für eine Kerze. Flammen zischten im Regen. Die Schlange der Gläubigen wand sich um die Basilika, murmelte Gebete und ließ Rosenkränze durch die Hände gleiten. Die Stimmung war gedämpft, aber angenehm. Und inmitten der Menge geriet meine eigener Glauben ins Wanken: Zum ersten Mal seit meiner Ankunft – und nur wenige Stunden nach dem Besuch der Heiligen Bäder – glaubte ich nicht mehr an ein Wunder für mich.
An unserem letzten Tag in Lourdes gehen wir zum Morgengottesdienst im »Heiligen Bezirk«. Hunderte Pilger sind hier versammelt, das Spektrum der Krankheiten ist beeindruckend. Die Schwerkranken sind mit Betreuer gekommen, erwachsene Kinder begleiten ihre kranken Eltern. Ein Lehrer schiebt meinen Rollstuhl. Wir suchen nach einem Platz. Ein Ordner kommt auf uns zu und redet in schnellem Französisch auf uns ein, aber ich verstehe ihn nicht. Er schiebt den Rollstuhl nach vorne, wo die Bewegungsunfähigen und Schwerkranken sind, die sich nicht nur in Rollstühlen, sondern zum Teil auch in Betten befinden. Hier sind Menschen mit Sauerstoffflaschen und zerknautschten Körpern – Männer oder Frauen? –, die kaum aufrecht sitzen können. Der Ordner schiebt mich neben einen Mann im Rollstuhl, an dessen Kopf ein Metallrahmen befestigt ist. Er zuckt hin und wieder, bleibt aber ansonsten reglos. Speichel tropft aus seinem Mund. Ich will etwas zu ihm sagen, aber ich kann nicht. Vor mir in einem Krankenhausbett liegt ein Mann, der sechzig, aber auch neunzig Jahre alt sein könnte. Sein schmaler Körper ist fest in Decken gehüllt. Er hat knochige, filigrane Hände voller blauer Flecken, und die Venen sind geschwollen, was ich als Zeichen der erfolglosen Suche eines Phlebologen nach einer Vene erkenne. Der Mann unter den Decken wirkt wie eine Hülse, beinahe, als sei er gar nicht da.
Mit dreizehn Jahren habe ich den Tod noch nicht erlebt, aber hier kann ich ihn spüren. Er vernebelt die Luft. Ich will diese Menschen nicht ansehen und sehe dennoch hin. Ich sehe die Zersetzung von Knochen, das Verlangsamen des Herzschlags, die Begrenzung unserer Körper: Ein Wesen, dass einmal lebendig und instinktiv und von Leben durchflutet in die Welt kam. Doch mein Schrecken wird von etwas Stärkerem überlagert: Mit meinen banalen Kreideknochen fühle ich mich wie eine Hochstaplerin. Eine Frau hinter mir beginnt zu wimmern, erst leise, dann lauter, bis ihre Schreie die Liturgie übertönen. Die Messe dauert lange. Ich konzentriere mich auf das An- und Abschwellen der Antworten. Menschen weinen oder liegen still auf ihren Matratzen. Im Schatten der Grotte weiß ich, dass ich nach Hause zurückkehren und mit der Unvollkommenheit leben werde, dass meine chirurgisch veränderten Knochen mich durch die Jahre tragen werden. Unter dem wolkenverhangenen französischen Himmel bin ich dafür dankbar.
Zwei Wochen später ging ich wieder ins Krankenhaus, weil mein Becken geröntgt werden musste. Der Arzt erklärte, meine Knochen hätten sich schnell zersetzt, und ein großer Eingriff sei nötig. Am Boden zerstört versuchte ich, mich auf die bevorstehende komplizierte Operation zu konzentrieren anstatt auf die vielen Schultage, die ich deshalb verpassen würde. Die langsame Genesung. Die Langeweile. Als orthopädische Behandlung wird die Arthrodese heute nur noch an Pferden durchgeführt – ich stelle mir ausgelaugte, mit Entzündungshemmern vollgepumpte Rassepferde vor, die irgendwelchen Scheichs gehören. Bei dieser Notmaßnahme zur Schmerzverringerung werden Hüftgelenkkapsel und -knochen mit Metallplatten und Schrauben fest miteinander verbunden. Der Knochen verhärtet über zehn Wochen hinweg, die man in einem Beckengipsverband zubringt. Der Gips bedeckte zwei Drittel meines Körpers vom Brustbein bis zu den Zehenspitzen. Zwei Personen waren nötig, um mich zu drehen. Der Gips war gelblich weiß und wog so viel wie ein Anker. In den zehn Wochen, die ich eingesperrt und mit Bettpfannen verbrachte, lernte ich (heimlich), wie ich den Sarkophag aus dem Bett hieven konnte, wenn meine Eltern nicht da waren. Die Knochen wuchsen langsam zusammen, wodurch mir nur noch kleinste Bewegungen möglich waren und mein Bein kürzer wurde. Die Verbindung hielt zwanzig Jahre lang, bis zwei Schwangerschaften im Abstand von sechzehn Monaten dazu führten, dass eine Bombe in meinem Körper explodierte.
Nach zehn Wochen im Beckengipsverband (ich bin meine eigene Alabasterstatue) versucht ein Arzt, ihn mit einer Gipssäge zu entfernen. Das Sägeblatt trifft auf die Haut, und ich versuche, mir nicht vorzustellen, was unter dem Gips geschieht. Der Schmerz fühlt sich an wie eine Verbrennung, wie sich ausbreitende Hitze. Ich sage es dem Orthopäden – diesem Mann, dem ich nie zuvor begegnet bin –, und er tut, was ich von männlichen Ärzten gewöhnt bin: Er erklärt mir, dass ich überreagiere. Ein rotierendes Sägeblatt schneidet in mein Fleisch, aber ich soll mich beruhigen. Der Raum füllt sich mit Schreien. Ich bin eine Bauchrednerin, die Schmerzen auswirft.
Als meine Mutter zu weinen beginnt, weist er sie an, den Raum zu verlassen.
Das Sägeblatt schneidet und schneidet, in seinem eigenen Rhythmus, und der Mann treibt es voran wie ein Rennpferd. Eine Viertelstunde später flehe ich ihn an, aufzuhören, und endlich gibt er auf. Er ist sichtlich verärgert. Am nächsten Tag wird der Gips in einem Operationssaal weggeschnitten wie die Gussform eines Bildhauers. Unter dem Gips sind alte Haut und neue Narben: offene, gezackte Wunden, die sich meine Beine entlangziehen wie nicht durchbrochene Grenzlinien. Ansonsten sehen meine Gliedmaßen gebräunt aus, aber das sind nur die Wochen alten Schichten toter Haut. In der Nacht schwillt das Bein an, und eine Krankenschwester legt einen Kompressionsverband an. Jedes Mal, wenn er abgenommen wird, reißt er die Narben wieder auf, und sie bluten wieder. Über zwanzig Jahre später habe ich immer noch sechs alte Narben an meinen Oberschenkeln und Knien. Vertikale Linien, rosa und grimmig, die eine Geschichte erzählen.
Während meiner zweiten Schwangerschaft zersetzte sich mein Hüftknochen schließlich irreparabel, doch ein Chirurg versuchte, den Schmerz als »bloßen Babyblues« kleinzureden. Irgendwann überzeugte ich einen Arzt, dass die einzige Lösung angesichts der rund um die Uhr bestehenden Schmerzen in einem kompletten Hüftersatz bestand – der mir zugestanden wurde, als handele es sich um ein Privileg und nicht um eine Notwendigkeit. Wieder musste ich betteln und überzeugen, um mich der medizinischen Hilfe würdig zu erweisen. Mein Körper ist kein Fragezeichen, und Schmerz ist keine Verhandlungssache.
2010 erhielt ich eine komplette neue Hüfte. Meine Kinder waren damals noch klein. Danach konnte ich zum ersten Mal seit über zwanzig Jahren wieder die Beine übereinanderschlagen und Fahrrad fahren. Beim Sicherheitscheck am Flughafen piept die künstliche Hüfte. Inzwischen stelle ich mir all das Metall in meinem Körper als künstliche Sterne vor, die unter der Haut leuchten. Ein Sternbild aus altem und neuem Metall. Nach Jahren medizinischer Eingriffe habe ich eine zweistellige Anzahl von Narben, aber auch sie bilden eine vertraute Landschaft. Gelenke können ersetzt, Organe transplantiert und Blut kann übertragen werden, aber die Geschichte unseres Lebens bleibt stets die Geschichte eines Körpers. Ob Krankheit oder Herzschmerz, wir leben in derselben Haut, wissen um ihre Zerbrechlichkeit und ringen mit unserer Sterblichkeit. Operationen hinterlassen Narben, physische Zeichen einer gelebten Begegnung mit dem Schmerz. Ich denke an meine Kinder und hoffe, dass sie solche Momente nicht erleben. Dass der Atavismus sie verschont und es ihren Körpern besser gehen wird als meinem.
Manchmal stelle ich mir vor, ich sei in Lourdes und laufe mit meinen Keramik- und Titangelenken die Hügel hinauf und hinunter. Betrachte die Steine und die Religiosität, die große Grotte, die mir Angst einjagte, durch die Augen meines verlorenen Glaubens, meines Unglaubens.
Dabei glaube ich. Aber nicht an Götter, Grotten und Reliquien. Sondern an Wörter und Menschen und Musik. Unsere Körper tragen uns mit ihrer eigenen Heiligkeit durchs Leben.
Reliquie und Knochen.
Kelch und Gelenkkapsel.
Grotte und Schoß.
Wenn ich abgelenkt bin, steigt aus den Tiefen meines Gedächtnisses oft ein Song von Kristin Hersh auf. Ich habe die Wörter vor- und zurückbewegt wie Ruder und meine Kinder damit in den Schlaf gesungen.
We have hips and makers
We have a good time
They keep me dancing
Finally it’s all right
Und es ist in Ordnung. Wenn ich einen schmerzfreien Tag habe, die Sonne scheint oder meine neugierigen Kinder mich nach den Linien auf meiner Haut fragen. Ich erkläre, wie viel Glück ich hatte, und bin dankbar, dass es nicht schlimmer war. Ich bin die Summe aller schlaflosen Nächte und Krankenhaustage, des Wartens auf Termine und des Wunsches, sie nicht einhalten zu müssen, der zähen Langeweile und des Schamgefühls, aus denen Krankheit besteht. Ohne diese Erfahrungen wäre ich kein Mensch, der diese Scherben aufhebt und versucht, sie auf einer Buchseite wieder zusammenzusetzen. Wären mir diese komplizierten Knochen erspart geblieben, wäre ich jemand ganz anderes. Ein anderes Selbst, eine andere Landkarte.