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Zum Buch

Eine Liebeserklärung an die Natur aus der Feder einer erst zwölfjährigen Autorin: Die umwerfende Wiederentdeckung des Klassikers von 1926

Die junge Eapersip möchte nicht in einem Haus mit Türen, Fenstern und einem Dach leben. Ihr Herz verlangt nach dem Duft von Erde, nach dem Wind, der duch Baumkronen bläst, nach dem beständigen Summen und Brummen von Insekten. Sie läuft davon, um in der Wildnis zu leben – zuerst auf einer Waldwiese, dann am Meer, und schließlich in den Bergen. Ihre Eltern sind zutiefst betrübt. Sie folgen ihr, bringen sie zurück in die vermeintliche Sicherheit und sperren sie in der erdrückenden Stille des Hauses ein. Doch Eapersip lässt sich nicht aufhalten: Sie entkommt ein zweites Mal und folgt ihrem wilden Herzen nach draußen, ganz weit weg.

Eine unwiderstehliche Geschichte für Naturliebhaber, Romantiker, moderne Eskapisten und wilde Herzen.

Über die Autorinnen

Barbara Newhall Follet war ein amerikanisches Wunderkind. Geboren im Jahr 1914, veröffentlichte sie ihren ersten Roman, Die Welt ohne Fenster, mit zwölf Jahren. Er wurde ein Bestseller. Das nächste Buch folgte ein Jahr später. Kurz vor Weihnachten 1939 ist Newhall Follet fünfundzwanzig und Berichten zufolge unglücklich in ihrer Ehe. Mit dreißig Dollar in der Tasche verließ sie eines Abends das Haus und wurde nie wieder gesehen. Das Geheimnis um ihr Verschwinden ist bis heute nicht gelüftet.

Die englische Künstlerin und Illustratorin Jackie Morris hat über vierzig Kinderbücher gestaltet, darunter den von der Kritik gefeierten Bestseller The Lost Words von Robert Macfarlane. Als sie Die Welt ohne Fenster wiederendeckte, verliebte sie sich augenblicklich in die Geschichte. Jackie Morris regte die Wiederveröffentlichung an und gestaltete die liebevollen Bilder. Sie lebt in einem kleinen Haus am Meer in Wales, wo sie zeichnet, schreibt und träumt.

Mehr über Jackie Morris unter:

www.jackiemorris.co.uk

Die WELT OHNE FENSTER

Jackie Morris

Barbara Newhall Follett

Roman

Aus dem Amerikanischen von Stefanie Fahrner

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Copyright © 2019 by Hamish Hamilton

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1927 unter dem Titel

The House Without Windows bei Alfred A. Knopf, New York.

Die englische Erstausgabe erschien 2019 unter dem Titel

The House Without Windows bei Hamish Hamilton, London.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2020

by Diana Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Illustration und Vorwort © 2020 by Jackie Morris

Fotografie von Barbara Newhall Follet In a Bed of Ferns,

Datum unbekannt, aus den Barbara Newhall Follet Papers.

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung

der Rare Book & Manuscript Library, Columbia University, New York.

Redaktion: Wiebke Bach

Umschlaggestaltung: t.mutzenbach Design, München

Umschlagmotiv: © Jackie Morris, 2019

Satz: Leingärtner, Nabburg

Alle Rechte vorbehalten

e-ISBN 9978-3-641-26745-2
V001

www.diana-verlag.de

Für meine beiden Spielkameraden F. H. und S. W. F.

(BARBARA NEWHALL FOLLETT)

und

Für Hannah, ein wildes Kind, und für alle,

die weggehen, ohne verloren zu gehen.

(JACKIE MORRIS)

Inhalt

Verzeichnis der Illustrationen

Eine Wildnis für sich allein – 

Einleitung von Jackie Morris

I   Die Wiese

II   Das Meer

III   Die Berge

Anmerkungen

Illustrationen

Die Welt ohne Fenster [>>]

Für alle, die weggehen, ohne verloren zu gehen [>>]

Und jeden Sommer ein Echo vom Horizont [>>]

Der Geist einer Fünfundzwanzigjährigen [>>]

Der Gesang des ewigen Meeres [>>]

Eepersip war von ihren Blumen begeistert, und auch die Schmetterlinge und Vögel machten ihr große Freude [>>]

Ein Reh und sein gepunktetes Kitz [>>]

Dort kreisten weißbrüstige Schwalben [>>]

In jener Nacht schlief sie auf einem weichen Moosbett in einer Mulde in der Nähe des Teiches [>>]

Der Cracker sah wirklich verlockend aus [>>]

Sie sang aus Freude über ihre Entdeckung wie eine Nachtigall [>>]

Wenn sich die Rehe alle hinlegten [>>]

Chippy erkannte das Kätzchen und sprang entzückt zu ihm hinüber [>>]

Schneeflocke putzte sich und spielte mit den trockenen Eichenblättern, die im Wind herumwirbelten [>>]

Iris in Purpur und Gold [>>]

Eepersip spielte kleine fröhliche Spiele mit allen Geschöpfen der Wiese [>>]

Dann hüpfte die Heuschrecke aus dem Gras heraus und ließ sich auf ihrer Hand nieder [>>]

»Lebt wohl, ihr Rehe! Wahrscheinlich werde ich euch nie wiedersehen« [>>]

Die Sonne legt funkelnde Juwelen ins Wasser und lacht, weil ich sie nicht anfassen kann [>>]

Der Sand schimmerte vor lauter Muscheln in allen Farben und war gesäumt von angespülten Algen [>>]

Am Tag darauf war das Meer ziemlich still [>>]

Gnomenartige, rote und gelbe Giftpilze [>>]

Ein Schwarm von Möwen mit langen, schmalen Flügeln, die die Farbe der Schaumkronen hatten [>>]

Sie befand sich an einem weißen Sandstrand, und dieser Sand war so fein, dass man ihn kaum zwischen den Fingern festhalten konnte [>>]

Die schneebedeckten Berge in weiter Ferne waren Meereswellen, gekrönt mit Gischt [>>]

Eepersip zeigte ihrer kleinen Schwester, wie man tanzt, und dann tanzten sie zusammen [>>]

Schillernd smaragdgrüne und rubinrote Kolibris mit Flügeln in der Farbe des Mondscheins [>>]

Den ganzen Tag lang folgte sie den gewundenen Kaninchenpfaden durch die federbedeckten Tannen [>>]

Sie flogen nach Norden [>>]

Der Geist der Natur, eine Elfe der Wiese, eine Nixe der Seen, eine Nymphe des Waldes [>>]

Eine Wildnis für sich allein

Über die Zeit und

über einen Ozean hinweg

erklingt eine Stimme und

jeden Sommer ein Echo vom Horizont.

(JM)

Dies ist eine Geschichte über Anwesenheit und Abwesenheit. Ein Rätsel, eine Fantasie. Sie beginnt vor über einem Jahrhundert, am 4. März 1914, in einem kleinen Haus in Hanover, New Hampshire, als ein Kind namens Barbara Newhall Follett geboren wird. Oder vielleicht beginnt sie auch erst im Jahr 1918, als sie vier Jahre alt ist?

Versetzen Sie sich in die damalige Zeit. Stellen Sie sich ein kleines Mädchen vor, das still vor der Tür des väterlichen Arbeitszimmers steht. Die Kleine hört Musik. Es klickt und surrt, und da läutet eine kleine Glocke! Und sie weiß: Das ist die Musik des Schreibens. Schon im Alter von vier Jahren versteht sie, wie diese Musik sich in Wörter übersetzen lässt, wie sich Wörter zu Geschichten zusammenfügen, und das will sie auch können. Sie will es mit dem unbedingten Willen einer Vierjährigen. Also wartet sie geduldig, und später, als sie ihre Eltern unten reden hört, die Stimmen gedämpft durch die Entfernung, schleicht sie sich zurück ins Arbeitszimmer ihres Vaters, schlingt ihre Arme um das Objekt ihres Verlangens und trägt die Schreibmaschine zurück in ihr Zimmer. Sie ist vier Jahre alt. Und jetzt ist sie Schriftstellerin.

Geschichten hatte Barbara immer geliebt. Von frühester Kindheit an beschäftigte sie sich mit den Buchstaben in ihrer Umgebung. Familienfotos, die jetzt im Archiv der Columbia University aufbewahrt werden, zeigen sie entzückt in den Armen ihres Vaters, während er ihr vorliest. Sie lernte lesen, wie die meisten Kinder laufen lernen, in einem natürlichen Prozess, keinem akademischen. Und sosehr sie Lesen (und Schreiben) liebte, so sehr liebte sie es auch, Zeit draußen in der Wildnis zu verbringen. Die beiden Leidenschaften existierten nebeneinander und waren häufig miteinander verflochten, da sie oft Gedichte und Geschichten über die Natur verfasste.

Es war Barbaras Gewohnheit, an ihrem eigenen Geburtstag ihrer Mutter ein Geschenk zu machen. Im Alter von acht Jahren beschloss sie, dass dieses Geschenk an ihrem neunten Geburtstag ein Buch sein sollte. Und so erschien an Barbaras Zimmertür ein Zettel:

Sie hatte die Geschichte schon eine Zeit lang im Kopf gehabt, bevor sie sich hinsetzte, um sie aufzuschreiben. Schließlich war sie bereit. Tag für Tag arbeitete Barbara allein in ihrem Zimmer hinter geschlossener Tür an ihrer Schreibmaschine und feilte an ihrer Geschichte, bis sie fast perfekt war. Sie wurde zu Hause unterrichtet, damit sie genügend Zeit für ihre Lieblingsbeschäftigung hatte: das Schreiben. Sie schrieb Tag für Tag, Woche für Woche, unverdrossen.

Sie verpasste die selbst gestellte Deadline, ihren Geburtstag, weil sie krank wurde, aber ein paar Tage und 40 000 Wörter später hatte sie ihre Aufgabe erledigt. Barbara hoffte, ein paar Kopien für ihre Freunde anfertigen zu können, doch das Original war für ihre Mutter bestimmt. Es war eine Geschichte über ein kleines Kind in der Wildnis. Sie hieß Die Welt ohne Fenster.

Nur ein paar Tage, nachdem sie mit dem Schreiben fertig geworden war, brach in der Küche ein Feuer aus, während die Familie schlief. Die Folletts hatten noch Glück, mit dem Leben davongekommen zu sein. Die meisten ihrer Habseligkeiten wurden zerstört, zusammen mit dem gerade fertiggestellten Manuskript, das so liebevoll getippt worden war. Jedes Wort, das Barbara geschrieben hatte, war weg.

Zu diesem Zeitpunkt hätten viele Kinder aufgegeben. Barbara nicht. Die Familie befand sich in einer vorübergehenden Unterkunft. Barbara bat um eine neue Schreibmaschine und erhielt eine. Sofort begann sie mit der langwierigen Aufgabe, ihre Geschichte Wort für Wort aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren.

Es folgten Monate des Umformens und Umschreibens, des qualvollen Versuchs, das Gewesene wiederherzustellen. Sie arbeitete sehr hart. In den Schreibpausen unternahm sie Ausflüge, normalerweise zusammen mit ihrem Vater. Sie schwamm und paddelte an abgelegenen Orten, zeltete im Wald, kletterte in den Bergen und träumte. Und las. Immer las sie. Sie verbrachte drei Jahre damit, ihren Text wiederherzustellen. Manchmal machte sie monatelange Pausen, setzte dann die Arbeit fort, frustriert und entschlossen in gleichem Maße. Irgendwann hörte sie auf, sich unbedingt an das Original erinnern zu wollen, stellte sich die Geschichte von Neuem vor und ließ ihren Gedanken wieder freien Lauf.

Lassen Sie jetzt Ihre Fantasie schweifen. Stellen Sie sich Barbara vor. Mittlerweile ist sie zehn Jahre alt, sitzt in ihrem Zimmer an einem Schreibtisch in Kindergröße und schreibt. Sie schreibt über ein kleines Mädchen namens Eepersip, das die Natur genauso liebt wie sie selbst, das nicht in einem Haus mit Wänden und Fenstern eingeschlossen sein will. Die Welt aus Backstein und Glas ist zu beengend für das wilde Kind, und Eepersip sehnt sich danach, die Fesseln der Zivilisation abzuschütteln. Darum läuft sie von zu Hause weg. Sie geht zuerst zur Wiese, dann ans Meer und zuletzt in die Berge – und schenkt allen diesen Orten gleichermaßen ihr Herz. Sie lebt dort ohne Angst, lernt, frei zu sein, sieht in allem nur das Schöne. Barbara, die in der Enge ihres Zimmers schreibt, erlebt ebenso wie Eepersip eine Befreiung, indem sie ihr in die wilde Welt und noch weiter folgt.

1926 war Barbara zwölf und das Buch endlich (wieder) fertiggestellt. Ihr Vater war so beeindruckt, dass er das Manuskript mit zur Arbeit nahm. Zu dieser Zeit arbeitete er für den Verlag Alfred Knopf. Stellen Sie sich die Aufregung vor, als ein blauer Brief bei der Familie ankam, auf dem Umschlag ein Barsoi-Hund – und darin das Angebot, Barbaras Geschichte zu veröffentlichen. Zweitausendfünfhundert Exemplare von Die Welt ohne Fenster wurden gedruckt, eine beachtliche Auflage für eine unbekannte Autorin – und alle 2 500 waren zwei Wochen vor dem Erscheinungsdatum ausverkauft. Barbaras Geschichte von Eepersip und ihrem Leben in einem Haus ohne Fenster wurde ein Bestseller, und Barbara selbst wurde als Wunderkind gefeiert.

Auf Die Welt ohne Fenster stieß ich zum ersten Mal durch eine Rezension der preisgekrönten Autorin Eleanor Farjeon, die es als ein »kleines Wunder« bezeichnete. Farjeon fragte sich, was dieses kleine Mädchen als reife Autorin hervorbringen würde, und freute sich auf zukünftige Arbeiten von Barbara, denn »sie wird sicherlich auch in Zukunft schreiben«. Es gelang mir, ein Exemplar von Die Welt ohne Fenster zu ergattern – abgenutzt und oft gelesen, mit wundervollem Papier und Büttenrand – und ich verliebte mich sofort.

Dies ist ein Buch, das draußen unter freiem Himmel gelesen werden muss. Dort gehört es hin, das ist sein natürlicher Lebensraum. Es ist das Werk eines lebendigen, ungezähmten Geistes, voller Farbe und Bewegung, Furchtlosigkeit und Schönheit. Besonders beeindruckt hat mich, wie nahe Eepersip der Natur steht, wie untrennbar sie mit ihr verbunden ist. Die Vögel und Schmetterlinge sind ihre Freunde – sie muss ihnen keine Stimmen oder Namen geben, um sie zu vermenschlichen. Wenn wir uns in der von Menschen dominierten Welt umsehen, die unsere eigenen Kinder einmal erben werden, ist dies eine äußerst utopische Vorstellung davon, wie die Zukunft aussehen könnte.

Die Welt ohne Fenster berührt meine Seele über einen Ozean, über ein Jahrhundert hinweg. Es ist erfüllt von wilder Freude, von Licht und Luft. Es ist ein Fest der Freiheit und des Alleinseins, das sich so sehr von der Einsamkeit unterscheidet. Auf ihre eigene Weise schuf Barbara einen weiblichen Peter Pan: eine Ikone des Abenteuergeistes und der jugendlichen Vorstellungskraft. Aber Eepersip ist in vielerlei Hinsicht stärker als Peter. Sie singt und tanzt gerne, hat jedoch keine Angst davor, still zu sein, allein zu sein. Sie ist nicht besessen von ihrer eigenen Klugheit und hat vor allem keine Angst davor, erwachsen zu werden. Im Gegenteil, Eepersip ist schon eine alte Seele, weiser, als es ihr Alter vermuten lässt.

Erfolg mit einem Erstlingsroman zu haben ist eher unwahrscheinlich. Erfolg im Alter von zwölf Jahren zu haben ist noch unwahrscheinlicher. Für ein Kind, das bislang ein einsames Leben geführt hatte, ging Barbara sehr souverän mit diesem Erfolg um. Sie lernte ihre literarischen Helden kennen und wurde lächelnd neben ihnen fotografiert. Sie wurde im Radio interviewt und aufgefordert, Bücher wie Now We Are Six von A. A. Milne zu rezensieren. Aber wie alle guten Schriftsteller hatte sich Barbara zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Die Welt ohne Fenster bereits neu verliebt. Diesmal war es das Meer. Sie hatte begonnen, an einem Buch über Piraten zu arbeiten.

So machte sie sich daran, Namen und Arten von Segelschiffen, Segeln, Seilen und Knoten aus ihrem Lieblingswörterbuch, dem Webster’s, zu lernen. Sie beschäftigte sich mit den Himmelsrichtungen und hoffte, dass sie ihrer unruhigen Fantasie eine neue Richtung weisen würden. Aber das Wörterbuch und ihre Fantasie waren nicht genug. Barbara wusste von ihrem ersten Buch her, dass echte Erfahrungen die besten Passagen ihrer Geschichten ausmachten. Sie war in die Berge gegangen, hatte mit Schmetterlingen getanzt und die Frostblumen gesehen. Und sie wusste tief in ihrem Seemannsherzen, dass sie das Leben auf dem Wasser erfahren musste. Sie musste den salzigen Wind im Gesicht spüren, die Seile an den Händen, das Schwanken des Rumpfes unter ihren Füßen. Sie musste unter dem Sternenhimmel auf dem seeumtosten Deck schlafen. Und so segelte sie ohne ihre Eltern und im Alter von nur dreizehn Jahren los und heuerte als »Schiffsjunge« auf einem Schiff nach Nova Scotia an. Einige Monate später kehrte sie aus dem fernen Norden zurück und reichte das Manuskript für ihr zweites Buch ein: The Voyage of the Norman D.

Zwei Bücher wurden unter Kritikerlob veröffentlicht, und Barbara sonnte sich in ihrem Erfolg. Doch dann erklärte ihr geliebter Vater, der auch ihr zuverlässiger Lektor gewesen war, dass er die Familie verlassen würde. Er hatte sich in eine jüngere Frau verliebt. Barbara war erschüttert bis ins Mark, doch sie ließ sich nicht davon abbringen, zu schreiben und zu reisen, zuerst auf dem Seeweg, später zu Fuß. Sie und ihre Mutter überlebten die Jahre der Weltwirtschaftskrise, indem sie hier und da Artikel an Zeitschriften verkauften – Artikel, an denen sie oft zusammen geschrieben hatten. Während dieser Zeit arbeitete Barbara auch als Sekretärin, um die Familie zu unterstützen. Und wenn ihr das Leben in der Stadt einmal zu viel wurde, suchte sie ihr Heil in der Flucht.

Mit achtzehn wanderte Barbara in Begleitung eines jungen Mannes namens Nickerson Rogers auf dem Appalachian Trail, wo sie sich jede Nacht ein kleines Zelt teilten oder zusammen unter dem Sternenhimmel lagen. Später reisten sie gemeinsam nach Europa, lebten wie ein Ehepaar, wanderten durch Spanien, Frankreich und Deutschland. Manchmal arbeiteten sie, immer schrieben sie und machten sich Notizen für zukünftige Manuskripte. Und was für Dinge sie gesehen haben müssen in dieser turbulenten Zeit zwischen den beiden Weltkriegen.

Nach ihrer Rückkehr nach Amerika nahmen sie sich eine gemeinsame Wohnung, heirateten 1934 und traten Jobs an. Und Barbara spürte, wie ihre Träume sich in den Zwängen von Arbeit und Häuslichkeit langsam auflösten. Eine Weile lang befriedigte ihr neu entdecktes Interesse am modernen Tanz einen Teil ihrer unersättlichen Neugier, doch es war nicht genug, um sie zu erfüllen. Sie schrieb noch immer, aber ihre Texte waren bei den Verlegern nicht mehr gefragt, und jede Ablehnung tat von Neuem weh.

Am 7. Dezember 1939 verließ Barbara Rogers, geb. Newhall Follett, die Wohnung, in der sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Nick lebte.

Sie hinterließ keinen Brief, nahm nur ein paar Dollar und einige Aufzeichnungen in Kurzschrift mit. Und sie wurde nie wieder gesehen.

Nickerson brauchte zwei Wochen, um seine Frau als vermisst zu melden. Er gab den Behörden ihren Ehenamen an, darum bekam die Presse kaum mit, dass die berühmte und gefeierte Schriftstellerin verschwunden war. In der Vernehmung sagte er, es habe einen Streit zwischen ihnen gegeben. Sie waren miteinander nicht glücklich gewesen. Tatsächlich hatte er erst vor Kurzem die Scheidung angeregt, aber sie wollten gemeinsam versuchen, an ihrer Ehe zu arbeiten, und sie war voller Hoffnung gewesen. Dann ging sie fort.

Warum? Wo ist sie hingegangen? Zur Wiese, ans Meer oder in die Berge? Barbara hatte einmal im Scherz zu einer Freundin gesagt, dass sie jederzeit verschwinden könne, wenn ihr alles zu viel würde; sie könne ihre Haarfarbe sowie die Form ihrer Augenbrauen verändern und ein Leben im Verborgenen führen. Sie könne immer eine neue Geschichte schreiben und darin leben. Wir werden nie erfahren, wie diese Geschichte ausgesehen hat.

Dieses merkwürdige Geheimnis, das Parallelen zu der prophetischen Geschichte besitzt, die sie als Kind schrieb, hat im Laufe der Jahre viele Menschen fasziniert. Aber es ist nicht Barbaras Abwesenheit, die mich fasziniert. Es ist ihre Anwesenheit. Von frühester Kindheit an gestaltete sie ihr eigenes Leben: vom Diebstahl der Schreibmaschine über die Flucht vom College im Alter von fünfzehn Jahren bis hin zum Durchbrennen mit einem gut aussehenden jungen Mann im Alter von neunzehn Jahren. Wenn man sich mit ihr beschäftigt, sieht man ein Kind, das nicht im Takt mit der Welt lebt, einen ungezähmten Geist, der sich den üblichen Einschränkungen seines Geschlechts und seiner gesellschaftlichen Stellung widersetzt. Und alle ihre Geschichten handeln von Flucht. Wenn sie etwas wollte, fand sie einen Weg, es zu bekommen. Wer hat sich nicht irgendwann gewünscht, einfach wegzugehen, alles hinter sich zu lassen, das Leben neu zu schreiben?

Nachdem Barbara sich in Luft aufgelöst hatte, verschwand auch das, was sie geschrieben hatte. Die Welt ohne Fenster wurde in den 1970er-Jahren von Ballantine nachgedruckt, doch jetzt, da ich dies schreibe, ist es schon lange vergriffen. Antiquarische Exemplare sind schwer zu finden und furchtbar teuer. Ich besitze eins von The Voyage of the Norman D, habe aber noch nie ein anderes zum Verkauf angeboten gesehen.

Die Welt ohne Fenster

Die Menschen suchen in den Archiven nach Barbara, suchen nach der Antwort auf das Geheimnis ihres Verschwindens. Einige suchen nach Hinweisen auf ein Verbrechen, andere nach Indizien für eine Flucht. Liebe Leserinnen und Leser, sucht nicht dort nach Barbara. Sucht sie stattdessen in ihren Geschichten. Hört ihre Stimme und hört ihr zu. An Sommertagen kann man Schwalben hören, die den Namen Eepersip rufen und ihn über den Himmel tragen. Wenn ihr Augen habt zum Sehen und ein Herz besitzt zum Glauben, dann sucht sie zwischen den Flügeln der Schmetterlinge, und ihr werdet sie finden.

Jackie Morris, April 2019