Buch
Skeeve ist ein eher unwilliger Lehrling der Magie. Er sieht einfach zu wenige konkrete Anwendungspunkte für seine wahre Berufung als Dieb. Empört über diese mangelnde Begeisterung, beschwört sein Meister einen leibhaftigen Dämon, um Skeeve von den beeindruckenden Mächten der Magie zu überzeugen. Leider tötet der Armbrustbolzen eines Assassinen Skeeves Meister genau in dem Moment, in dem sich der Dämon materialisiert – und der schreckliche Aahz ist frei. Skeeve bleibt nur eine Möglichkeit: Der Dämon muss sein neuer Mentor werden!
Autor
Robert Asprin wurde 1946 in Michigan, USA, geboren. Seit 1978 war er hauptberuflich Autor und schrieb mehrere Dutzend Romane. Unter anderem war er auch an den berühmten Elfenwelt-Comics beteiligt. Für seine Arbeit wurden ihm unter anderem der Balrog Award und der Locus Award verliehen. 2008 starb er in New Orleans.
Die Dämonen-Reihe von Robert Asprin beim Blanvalet-Verlag:
1. Ein Dämon zu viel
2. Als Dämon kriegst du nie genug
weitere Bände in Vorbereitung
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Robert Asprin
Roman
Deutsch von Sylvia Brecht
Die Originalausgabe erschien 1978 unter dem Titel »Another Fine Myth« bei Ace Fantasy Books, New York.
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Copyright der Originalausgabe © 1978
by Robert Lynn Asprin
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe
© 2021 by Blanvalet
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Werner Bauer
Umschlaggestaltung und -illustration: © Max Meinzold, www.meinzold.de
HK · Herstellung: sam
Satz: Uhl + Massopust GmbH, Aalen
ISBN 978-3-641-26892-3
V001
www.blanvalet.de
Dieses Buch ist Bork, dem Unzerstörbaren* gewidmet, dessen Freundschaft – eine Mischung aus Raubeinigkeit und Rechtschaffenheit – mich in der Vergangenheit durch so manche Krise begleitet hat und das wahrscheinlich auch in Zukunft noch tun wird. Danke!
»Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt, Horatio.«
Hamlet
Einer der wenigen echt befreienden Aspekte im Hinblick auf Eltern und Lehrer, glaube ich jedenfalls, ist die Tatsache, dass man sie gelegentlich täuschen kann. Dies traf immerhin zu, als meine Mutter mir das Lesen beibrachte, es stimmte, als mein Vater versuchte, aus mir einen Farmer zu machen, und es hat auch jetzt seine Richtigkeit, da ich die Magik erlerne.
»Du hast nicht geübt!« Garkins strenger Vorwurf riss mich aus meinen Träumereien.
»Hab ich wohl!«, protestierte ich. »Ist halt eine schwierige Übung.«
Wie zur Antwort begann die Feder, an der ich mich in Levitation übte, mitten in der Luft zu zittern und zu schaukeln.
»Du konzentrierst dich nicht richtig!«, schimpfte er.
»Liegt wohl am Luftzug«, widersprach ich und hätte am liebsten hinzugefügt »von deiner großen Klappe«, aber ich traute mich nicht. Schon früh bei unserem Unterricht hatte Garkin seine Abneigung gegenüber aufmüpfigen Lehrlingen unter Beweis gestellt.
»Am Luftzug!«, höhnte er und imitierte dabei meine Stimme. »So geht das, du Tölpel, du Nichtsnutz, du Pfeife, du fleischgewordener Dünnbrettbohrer, du …!«
Ich hörte mit den Ohren einfach weg, doch da wurde parallel mein mentaler Kontakt mit dem Gegenstand meiner Konzentration unterbrochen, als die Feder plötzlich Richtung Decke schoss. Sie kam zum Halten, als klebte sie da oben an etwas fest, obwohl sie noch etwa fünfundzwanzig Zentimeter von den Holzbalken entfernt war, dann tanzte sie in flachen Kreisbewegungen herab. Die Kreise, die sie zog, waren zu exakt, um natürlich zu sein.
Ich riskierte ein Auge auf Garkin. Er hing mit baumelnden Füßen in seinem Sessel, wobei seine ganze Aufmerksamkeit scheinbar auf eine Keule des gerösteten Echsenvogels gerichtet war, den er verzehrte – einen Vogel, den ich gefangen hatte, nur mal so nebenbei gesagt. Das war wirklich Konzentration! Er sah plötzlich hoch, und unsere Blicke trafen sich. Da es zu spät war, die Augen abzuwenden, blickte ich ihm halt einfach ins Gesicht.
»Hungrig?« Sein fetttriefender salzundpfeffergrauer Bart umrahmte plötzlich ein wölfisches Grinsen. »Dann führ mir mal vor, wie viel du geübt hast.«
Ich brauchte einen ganzen Herzschlag lang, um zu begreifen, was er meinte; dann sah ich verzweifelt hoch. Die Feder trudelte dem Fußboden entgegen und befand sich bereits in Schulterhöhe. Ich versuchte, die plötzliche Anspannung aus meinem Körper zu verdrängen, und aktivierte meine Mentalkräfte … vorsichtig … bilde ein Kissen … stoße sie nicht zurück …
Knapp zwei Handbreit über dem Boden kam die Feder zum Stillstand.
Garkins blödes leises Kichern zwar in den Ohren, ließ ich aber nicht zu, dass es meine Konzentration störte. Seit drei Jahren hatte ich die Feder nicht mehr den Boden berühren lassen, und jetzt sollte sie es natürlich auch nicht.
Langsam hob ich sie an, und sie schwebte in Augenhöhe. Ich hüllte sie mit meiner Mentalkraft ein, ließ sie um ihre Achse kreisen und verführte sie dann zu einem doppelten Salto. Während ich sie durch diese Übung geleitete, waren ihre Bewegungen nicht so weich und sicher wie unter Garkins Führung, sie behielt jedoch unbeirrbar den vorgegebenen Kurs bei.
Ich hatte zwar nicht mit der Feder geübt, aber so ganz allgemein geübt hatte ich schon. Wenn Garkin nicht in der Nähe oder mit seinen eigenen Studien beschäftigt war, widmete ich meine Zeit der Levitation von Metallstücken – Schlüsseln, um genau zu sein. Jeder Levitationstypus hat seine eigenen, immanenten Schwierigkeiten. Die Feder zum Beispiel, als früherer Bestandteil von etwas Lebendigem, war reaktionsfreudig … allzu reaktionsfreudig. Metall anzuheben war anstrengend, mit einer Feder umzugehen erforderte dagegen Feinfühligkeit. Hatte ich zwischen diesen beiden zu wählen, so zog ich die Arbeit mit Metall vor. Ich sah darin bessere, konkretere Anwendungsmöglichkeiten für meinen eigentlichen Beruf.
»Hm-hm, na ja, ganz ordentlich, Bursche. Bist ja scheint’s gar nicht der Dumpfbäcker, für den ich dich die ganze Zeit halten zu müssen geglaubt habe. Aber jetzt leg sie mal wieder schön ins Buch.«
Ich lächelte vor mich hin. Diesen Teil hatte ich trainiert, nicht wegen seiner potenziellen Anwendung, sondern rein zum Vergnügen.
Das Buch lag aufgeschlagen am Ende der Werkbank. Ich holte die Feder in einer ausholenden, trägen Spiralbewegung herunter, ließ sie dabei leicht die Seiten des Buches streifen, hochsteigen in einem steilen Bogen, bis sie innehielt und wieder herunterkam. Als sie sich zum zweiten Mal dem Buch näherte, löste ich einen Teil meiner Mentalkraft ab, der sich jetzt auf das Buch konzentrierte. Als die Feder über die Seiten schaukelte, schnappte das Buch zu wie die Kiefer eines hungrigen Raubtiers, das den Flugkörper im Griff beziehungsweise im Biss hat.
»Hmm«, ließ Garkin sich vernehmen, »ein bisschen angeberisch, vielleicht sogar großkotzig, aber nichtsdestoweniger wirksam.«
»Nur eine Kleinigkeit, die ich so beim Üben zusammengestellt habe«, sagte ich ganz nebenbei und streckte meine Mentalkräfte nach der anderen Echsenvogelkeule aus. Anstatt jedoch graziös in meine wartende Hand zu schweben, blieb sie auf dem Holzbrett liegen, als hätte sie Wurzeln geschlagen.
»Nicht so hastig, mein kleiner … Strauchdieb. Du hast also geübt, hä?« Er streichelte sich den Bart mit dem halb abgenagten Knochen in seiner Hand. Widerlich.
»Klar! Habe ich das nicht bewiesen?« Es kam mir in den Sinn, dass Garkin vielleicht doch nicht so leicht zu täuschen war, wie es manchmal schien.
»In dem Fall möchte ich gerne mal sehen, wie du deine Kerze anzündest. Das müsste dir ja leichtfallen, wenn du so viel geübt hast, wie du behauptest.«
»Ich habe keine Einwände dagegen, es zu versuchen, aber wie du selbst so viele Male gesagt hast, fallen einem manche Übungen schwerer als andere.«
Obwohl ich einen selbstsicheren Ton anschlug, sank mir das Herz in die Hose, als die große Kerze auf Garkins Aufforderung zum Arbeitstisch geschwebt kam. In vier Jahren war mir diese besondere Übung noch nie gelungen. Wenn Garkin mir das Essen vorenthalten würde, bis ich Erfolg hätte, könnte ich für eine sehr lange Zeit mit hungrigem Magen herumlaufen.
»Weißt du, Garkin, mir fällt da gerade ein, dass ich mich mit vollem Magen wahrscheinlich besser konzentrieren könnte.«
»Und mir fällt da gerade ein, dass du Ausflüchte suchst.«
»Könnte ich nicht …«
»Mach hin, Skeeve!«
Wenn er schon mal meinen Eigennamen gebrauchte, war nicht mit ihm zu spaßen. So viel hatte ich im Laufe der Jahre gelernt. Strauchdieb, Idiot, Pfeife, Dummkopf und so weiter – das war zwar geringschätzig, doch solange er mich so anredete, war noch mit ihm zu diskutieren. Kehrte er erst einmal zu meinem Eigennamen zurück, war der Fall hoffnungslos.
Nun, wenn die Sache nicht zu umgehen war, dann musste ich halt mein Bestes geben. Mit halber Kraft und schwacher Konzentration wäre da nichts zu machen. Ich würde jedes Fäserchen Muskelkraft und alles Geschick aufbieten müssen, um die notwendige Stärke aufzubringen.
Dann würde ich die Kerze eben dieses Mal entzünden. Ja, ich würde sie entzünden, denn es gab nichts, was mich daran hindern konnte, sagte ich mir.
Ich holte bewusst tief Luft und begann, meine Kraft zu sammeln. Meine Welt verengte sich immer mehr, bis ich einzig und allein noch den krummen, geschwärzten Docht der Kerze wahrnahm.
Mein Name: Skeeve. Mein Vater hatte als Farmer eine enge Verbindung zur Erde. Meine Mutter war eine gebildete Frau. Mein Lehrer war ein Zaubermeister. Ich war Skeeve. Ich würde diese Kerze entzünden.
Ich fühlte, wie mir warm wurde, als sich die Energien in mir sammelten. Also richtete ich die Wärme auf den Docht aus.
Wie mein Vater, so zapfe auch ich der Erde Kraft ab. Das Wissen, das mir meine Mutter vermittelt hat, ist wie eine Linse, durch die ich ins Auge fassen kann, was ich erworben habe. Die Weisheit meines Lehrers lenkt meine Anstrengungen auf jene Punkte des Universums, die am ehesten meinem Willen gehorchen. Ich bin Skeeve.
Die Kerze blieb aus. Nun stand mir der Schweiß auf der Stirn, und ich zitterte allmählich vor Anstrengung. Das war nicht gut, ich durfte mich nicht verkrampfen. Entspann dich. Bemüh dich, nichts zu erzwingen. Anspannung behindert den Kräftefluss. Lass die Energien frei strömen, sei nur ein passiver Leiter. Ich zwang mich zur Ruhe.
Der Kräftestrom war nun merklich stärker. Ich streckte einen Finger aus, um ihn konzentriert auszurichten. Auf der Kerze rührte sich nichts. Ich schaffte es nicht. Negativer Gedanke. Verdränge ihn. Stütz dich nicht auf andere, um stark zu sein. Ich werde die Kerze zum Brennen bringen, weil ich Skeeve bin. Verdammt noch eins!
Dafür wurde ich mit einem plötzlichen Energieschwall belohnt. Ich ging ihm nach, berauschte mich an der Kraft. Ich bin Skeeve. Ich bin stärker als sie alle. Ich bin den Bemühungen meines Vaters entgangen, mich wie meinen Bruder an den Pflug zu ketten. Meine Mutter starb an ihrem Idealismus, ihre Lehren halfen mir jedoch zu überleben. Mein Lehrer war ein einfältiger Narr, der sich einen Dieb zum Lehrling nahm. Ich habe sie alle geschlagen. Ich bin Skeeve. Ich werde diese Kerze anzünden.
Plötzlich schwebte ich. Ich begriff, wie meine Fähigkeiten alles um mich her schrumpfen ließen. Es war belanglos, ob ich die Kerze nun entzündete oder nicht. Ich bin Skeeve. Ich bin mächtig. Fast gleichzeitig ließ ich meine Mentalkraft den Docht berühren. Wie als Antwort auf meinen Willen erschien ein kleiner, heller Funken.
Erschreckt zuckte ich zusammen und blinzelte die Kerze an. In diesem Augenblick verschwand das Fünkchen und ließ zum Zeichen seines Erlöschens ein winziges weißes Rauchfähnchen zurück.
»Heiliger Bimbam! Ausgezeichnet, du Wunderjunge!«
Garkin stand plötzlich neben mir und klopfte mir begeistert auf die Schulter. Wie lange er schon da stand, wusste ich nicht, war mir auch ziemlich egal.
»Sie ist ausgegangen«, sagte ich voller Bedauern.
»Das braucht dich nicht zu kümmern. Du hast sie entzündet. Du hast das nötige Selbstvertrauen. Das nächste Mal wird es leichter sein. Bei allen Gestirnen, wir machen noch einen Zauberer aus dir. Hier, du musst wirklich Hunger haben.«
Ich konnte kaum noch meine Hand heben, um die restliche Echsenvogelkeule aufzufangen, ehe sie mir ins Gesicht knallte.
»Ich will dir nicht verhehlen, dass ich allmählich schon verzweifeln wollte, Lehrling. Was ist dir an dieser Lektion so schwergefallen? Ist es dir vielleicht in den Sinn gekommen, dass du diesen Zauber dazu benutzen kannst, dir zusätzliches Licht zu spenden, wenn du ein Schloss knackst? Oder um zur Ablenkung ein Feuer zu legen?«
»Ich habe darüber nachgedacht, aber zusätzliches Licht könnte unerwünschte Aufmerksamkeit erregen. Was das Ablenkungsfeuer betrifft, so hätte ich Bammel, dass jemand zu Schaden kommt. Ich möchte niemanden verletzen, und sei es auch nur …«
Ich hielt inne, als ich begriff, was ich da sagte, aber es war bereits zu spät. Eine Mischung aus Maulschelle und heftiger Ohrfeige von Garkin riss mich von meinem Schemel.
»Hab ich’s mir doch gedacht! Du willst also nach wie vor ein Dieb bleiben. Du willst meine Magikkünste zum Klauen benutzen!«
»Und was ist so falsch daran?«, knurrte ich. »Dann verhungert man wenigstens nicht. Was ist denn so großartig daran, ein Zauberer zu sein? Ich will damit sagen, dein Lebensstil hier lässt mich nicht gerade optimistisch in die Zukunft blicken.«
Ich machte eine Geste durch den vollgepferchten Raum, der die gesamte Hütte einnahm.
»Hör sich einer dieses Welpengejaule an!« Garkin schnaubte. »Als der Winter dich aus dem Wald getrieben hat zum Klauen, war es gut genug. ›Dann muss man wenigstens nicht unter den Büschen schlafen‹, hast du seinerzeit gesagt.«
»Das ist ja auch richtig. Deshalb bin ich doch immer noch hier. Aber ich habe nicht vor, den Rest meines Lebens hier zu versauern. Sich in einer kleinen Hütte im Wald zu vergraben ist nicht die Zukunft, wie ich sie mir erträume. Du hast von Wurzeln und Beeren gelebt, bis ich kam und Fallen aufstellte. Vielleicht ist das deine Vorstellung von einem herrlichen Leben, Garkin, meine ist es jedenfalls nicht.«
Wir sahen einander echt lange ins Gesicht. Nun, da ich meinem Zorn Luft gemacht hatte, hatte ich nicht gerade wenig Angst. Obwohl ich nicht allzu reiche Erfahrungen auf diesem Gebiet hatte, stellte die Beschimpfung des Zauberers wohl kaum eine Garantie für ein langes und gesundes Leben dar.
Überraschenderweise war Garkin der Erste, der nachgab. Er wandte plötzlich seinen Blick ab, neigte den Kopf und ließ mich eines der seltenen Male die ungekämmte Mähne auf seinem Schädel sehen.
»Vielleicht hast du recht, Skeeve.« Seine Stimme klang merkwürdig sanft. »Vielleicht habe ich dir nur die ganze Arbeit der Magik gezeigt, aber nie die Belohnungen. Ich vergesse immer wieder, wie wenig man hierzulande von der Magik hält.«
Er hob den Kopf. Unsere Blicke trafen sich wieder – und ich kriegte einen mordsmäßigen Schrecken. Nicht, dass Zorn oder etwas in der Art darin zu lesen gewesen wäre, nein, es war vielmehr ein tiefes Glühen, das ich niemals zuvor erblickt hatte.
»Du sollst nun wissen, Skeeve, dass nicht alle Länder wie dieses hier sind, noch war ich immer der, als den du mich hier siehst. In Ländern, wo man die Magik ehrt, anstatt sie wie hier zu fürchten, wird sie von den Mächtigen anerkannt und in ihre Dienste genommen. Dort kann ein geschickter Magiker, der seine Weisheit für sich behält, hundertmal mehr Reichtümer erwerben, als du dir als Dieb erhoffst, und eine solche Macht, die …«
Plötzlich verstummte er und schüttelte den Kopf, als müsse er seine Gedanken klären. Als er die Augen wieder öffnete, war das Glühen, das ich zuvor gesehen hatte, bis auf ein Fünkchen verschwunden.
»Aber du lässt dir nicht mit Worten imponieren, nicht wahr, Zauberlehrlingchen? Komm, ich will dir eine kleine Vorführung eines Teils der Macht bieten, die du eines Tages beherrschen kannst – wenn du deine Lektionen fleißig übst, heißt das.«
Ich glaube nicht, dass er meiner Antwort noch Beachtung schenkte. Er trat bereits in das riesige Pentagramm, das ständig auf dem Boden der Hütte eingezeichnet war. Beim Gehen machte er ein paar abwesende Gesten, woraufhin der verkohlte Kupferkessel von seinem Platz in der Ecke herüberschepperte, um im Zentrum des Pentagramms zu ihm zu stoßen.
Augenblicklich war er schwer in die Arbeit vertieft und umgeben von einer umherschwebenden Wolke von Phiolen und Gefäßen, die er unter ständigem Gemurmel gelegentlich aus der Luft packte, um ein paar Tropfen ihres jeweiligen Inhaltes in den Kessel zu schütten. Was immer er da auch vorbereitete – es versprach, in hohem Maße sehenswert zu werden.
Zu diesem Zeitpunkt hörte ich zum zweiten Mal die gedämpften Schritte vor der Hütte. Aber das war unmöglich, da Garkin stets die … Ich begann mein Gedächtnis zu durchforsten. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass Garkin die Schutzwälle aufgebaut hatte, ehe er sich an die Arbeit gemacht hatte. Lächerlich. Vorsicht war das erste und wichtigste Prinzip, das Garkin mir immer wieder einhämmerte, und ein Teil dieser Vorsicht war es, die Schutzwälle aufzubauen, ehe man an die Arbeit ging. Er konnte dies nicht vergessen haben … allerdings war er ziemlich gedankenversunken und zerstreut gewesen.
Nach wie vor überlegte ich, ob ich Garkin stören sollte, als er plötzlich einen Schritt vom Kessel zurücktrat. Er sah mich mit seinem typischen Blick an, dass mir meine Warnung im Hals steckenblieb. Dies war nicht der Augenblick, mit Alltäglichkeiten zu argumentieren. In seinen Augen schimmerte wieder dieses Glühen, und zwar stärker als zuvor.
»Selbst Vorführungen sind lehrreich«, erklärte er. »Kontrolle, Skeeve. Kontrolle ist die Hauptstütze der Magik. Macht ohne Kontrolle ist der Untergang. Deshalb sollst du mit einer Feder üben, auch wenn du imstande bist, weit größere und schwerere Gegenstände zu bewegen. Kontrolle. Selbst deine spärlichen Kräfte würden zur Gefahr, so du sie nicht beherrschen kannst, Skeeve, Junge! Ich werde dir kein Stück mehr beibringen, ehe du diese Kontrolle nicht erlernt hast, merk dir das.«
Er trat vorsichtig aus dem Pentagramm.
»Um dir die Bedeutung von Kontrolle zu demonstrieren, will ich nun einen Dämon herbeirufen, ein Wesen aus einer anderen Welt. Er ist mächtig, grausam und bösartig und würde uns beide umbringen, bekäme er die Gelegenheit dazu. Trotzdem werden wir uns nicht vor ihm fürchten müssen, da wir ihn unter Kontrolle haben. Er wird nicht in der Lage sein, uns oder irgendjemandem sonst auf dieser Welt ein Härchen zu krümmen, da er in dieses Pentagramm eingesperrt ist. Nun pass auf, Skeeve. Pass auf und merk es dir, hast du gehört?«
Nach diesen Worten wandte er sich wieder dem Kessel zu. Er spreizte die Finger, worauf die fünf Kerzen an den Ecken des Pentagramms zu brennen begannen und die Kanten in unheimlichem blauem Licht glühten. Einige Minuten lang herrschte Schweigen, dann stimmte er einen leisen Singsang an. Eine Rauchfahne erhob sich aus dem Kessel, doch anstatt zur Decke zu steigen, breitete sie sich auf dem Boden aus und bildete eine kleine, brodelnde, pulsierende Wolke. Garkins Gesang schwoll an, die Wolke wuchs und wurde dunkler. Der Kessel war nun fast nicht mehr zu sehen, dann aber … in den Tiefen der Wolke … begann etwas, Form anzunehmen …
»Isstvan lässt dir schöne Grüße bestellen, Garkin!«
Bei diesen Worten kippte ich fast aus den Latschen. Die Worte kamen aus dem Innern der Hütte, jedoch nicht aus dem Pentagramm. Ich wirbelte herum in die Richtung, aus der die Stimme erklungen war. Im Türrahmen stand eine Gestalt in blendend goldenem Umhang. Für einen dummen Augenblick lang dachte ich, es sei der Dämon, der Garkins Ruf gefolgt war. Dann sah ich die Armbrust. Es war ein Mensch, so weit, so gut. Aber die gespannte und geladene Armbrust in seiner Hand trug nicht gerade zu meiner Beruhigung bei.
Garkin drehte sich nicht einmal um.
»Nicht jetzt, du Narr!«, knurrte er.
»Es war eine anstrengende Jagd, Garkin«, fuhr der Mann fort, als hätte er es nicht gehört. »Du hast dich gut versteckt, aber glaubtest du wirklich zu entkomm…«
»Du wagst es!?!« Garkin wirbelte herum und reckte sich in seinem Zorn zu beeindruckender Größe empor.
Der Mann erblickte Garkins Gesicht, sah seine Augen. Die Miene des Fremden verzerrte sich zu einer grotesken Maske der Angst. Reflexartig löste er den Bolzen seiner Armbrust!
Ich hatte nicht gesehen, was Garkin gemacht hatte, der Mann verschwand jedoch augenblicklich in einem Flammenblitz. Tödlich verwundet schrie er auf und stürzte zu Boden. Die Flamme verschwand so plötzlich, wie sie erschienen war und ließ zum Zeichen, dass sie überhaupt existiert hatte, immerhin den geschrumpften Leichnam zurück.
Ich blieb einige Augenblicke wie angewurzelt auf dem Fleck stehen, ehe ich mich rühren oder sprechen konnte.
»Garkin«, sagte ich schließlich, »ich … Garkin!«
Garkins Gestalt lag wie ein Bündel Lumpen auf dem Boden. Der Bolzen der Armbrust ragte in stiller Endgültigkeit aus seiner Brust. Garkin hatte mir seine letzte Lektion erteilt. Als ich mich vorbeugte, um seinen Leichnam zu berühren, bemerkte ich etwas, das mir förmlich das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Sein Körper hatte die Kerze an der Nordseite des Pentagramms erstickt. Die Linien hatten das blaue Glühen verloren. Der schützende Zauber war gebrochen.
Mit letzter Anstrengung hob ich den Kopf und sah in ein Paar gelbe, goldfleckige Augen, die nicht von dieser Welt sein konnten.