Buch
»Werde Hofmagier!«, fordert der Dämon Aahz. »Viel Gehalt für wenig Arbeit! Wenn man den Job erst mal hat, ist das ein Zuckerschlecken …« Und sein Lehrling Skeeve glaubt ihm. Erst als er königlicher Hofmagier ist, fällt ihm auf, dass sein dämonischer Mentor vielleicht eine Kleinigkeit übersehen haben könnte. Zum Beispiel die riesige angreifende Armee, die mehr Soldaten hat als das Königreich Einwohner – und die Skeeve nun ganz alleine aufhalten soll …
Autor
Robert Asprin wurde 1946 in Michigan, USA, geboren. Seit 1978 war er hauptberuflich Autor und schrieb mehrere Dutzend Romane. Unter anderem war er auch an den berühmten Elfenwelt-Comics beteiligt. Für seine Arbeit wurden ihm unter anderem der Balrog Award und der Locus Award verliehen. 2008 starb er in New Orleans.
Die Dämonen-Reihe von Robert Asprin beim Blanvalet-Verlag:
1. Ein Dämon zu viel
2. Als Dämon kriegst du nie genug
weitere Bände in Vorbereitung
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Robert Asprin
Roman
Deutsch von Sylvia Brecht
Die Originalausgabe erschien 1981 unter dem Titel »Myth Conceptions« bei Ace Fantasy Books, New York.
Dieser Roman ist bereits unter dem Titel »Drachenfutter« erschienen.
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Copyright der Originalausgabe © 1981 by Robert Lynn Asprin
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2021 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Werner Bauer
Umschlaggestaltung und -illustration: © Max Meinzold, www.meinzold.de
HK · Herstellung: sam
Satz: Uhl + Massopust GmbH, Aalen
ISBN 978-3-641-26893-0
V001
www.blanvalet.de
Dieses Buch ist
Laurie Oshrin und Judith Sampson gewidmet,
einem sehr aufgeschlossenen Referendarinnen-Team. Die beiden haben, ohne sich dessen bewusst gewesen zu sein, dafür gesorgt, dass die Dämon-Abenteuer von Aahz und Skeeve weitergehen konnten.
»Das Leben besteht aus ständigem unsanften Erwachen.«
Rip Van Winkle
Von allen unerfreulichen Arten, aus einem gesunden Schlaf gerissen zu werden, ist der Lärm, den ein Drache und ein Einhorn beim Fangenspielen veranstalten, eine der schlimmsten.
Ich öffnete vorsichtig ein Auge und versuchte trüben Blicks, mich im Zimmer zu orientieren. Ein Stuhl fiel polternd zu Boden und überzeugte mich, dass die verschwommenen Bilder, die in meinem Gehirn anlangten, zumindest so weit stimmten, dass unregelmäßige Erschütterungen Boden und Wände erzittern ließen. Jemand ohne mein hart erworbenes und schmerzlich gehütetes Schatzkästlein an Erfahrungen wäre vielleicht geneigt gewesen, das Inferno einem Erdbeben anzulasten. Ich hingegen nicht. Die hinter dieser Entscheidung stehende Logik ist vergleichsweise simpel: Erdbeben waren in dieser Gegend außergewöhnlich selten. Ein Drache und ein Einhorn beim Fangenspielen dagegen nicht.
Der Tag begann ganz normal … Das heißt normal, wenn man ein Jungzauberer ist, der bei einem Dämon in die Lehre geht.
Wäre ich imstande gewesen, die Zukunft nur mit annähernder Wahrscheinlichkeit vorherzusagen und so zu sehen beziehungsweise zu wissen, welche Ereignisse mir bevorstanden, wäre ich vermutlich im Bett geblieben. Ich will sagen, kämpfen war noch nie meine Stärke, und die Vorstellung, es mit einer gesamten Armee aufzunehmen … Aber ich greife mir vorweg.
Dieses Dröhnen, das mich weckte, erschütterte das gesamte Gebäude und zog das Klirren verschiedener schmutziger Teller nach sich, die auf dem Boden laut zerschellten.
Das darauf folgende Getöse war noch spektakulärer.
Ich zog in Erwägung, etwas zu unternehmen, erwog auch weiterzuschlafen. Dann fiel mir der Zustand meines Lehrers – der sich selber gerne als Mentor sah – ein, als dieser am Abend zuvor ins Bett gegangen war.
Das machte mich schnell hellwach. Es gibt nur eines, das unerquicklicher ist als ein Dämon von Perv, nämlich ein Dämon von Perv mit einem Kater.
Schon war ich auf den Beinen und schoss wie ein Pfeil zur Tür. (Meine Behändigkeit war eher Frucht meiner Angst als angeborenes Talent.) Ich zog die Tür auf, streckte den Kopf hinaus und sondierte das Terrain. Das Gelände um den Gasthof wirkte normal. Unverschämt üppiges Unkraut war völlig außer Kontrolle geraten und stand an manchen Stellen brusthoch. Eines Tages würde damit irgendetwas geschehen müssen, doch mein Lehrer bzw. mein Mentor – meistens waren seine Ratschläge ja auch wirklich nicht übel, das muss man ganz klar sagen – schien sich an ihrem ungezügelten Wachstum wenig zu stören; da aber kein anderer als ich der logische Kandidat fürs Jäten wäre, wenn ich das Thema anspräche, beschloss ich wieder einmal, in dieser Angelegenheit tunlichst Stillschweigen zu bewahren.
Stattdessen besah ich mir die verschiedenen niedergewalzten Stellen und frischen Trampelpfade zwischen den Pflanzen und versuchte zumindest die Richtung auszumachen, in welcher meine Beute zu suchen war. Ich war schon fast überzeugt, dass die Stille zumindest halbwegs von Dauer sein könnte, als der Boden erneut zu beben begann. Ich seufzte, richtete mich taumelnd zu voller Höhe auf, was nicht besonders hoch war, und bereitete mich darauf vor, dem Angriff entgegenzutreten.
Als Erstes kam das Einhorn in Sicht. Seine Hufe warfen riesige Erdklumpen auf, als es hinter der rechten Ecke des Gasthofes hervorpreschte.
»Butterblume!«, rief ich so gebieterisch ich konnte.
Den Bruchteil einer Sekunde später musste ich in die Deckung der offenen Tür springen, um von dem rasenden Tier nicht niedergetrampelt zu werden. Wenn ich auch ein wenig ärgerlich war über seinen Ungehorsam, so konnte ich ihm doch keinen Vorwurf machen. Es wurde von einem Drachen verfolgt, und Drachen sind nicht gerade berühmt für ihre Gewandtheit, wenn es zum plötzlichen Halt kommt.
Als habe er nur auf mein Stichwort gewartet, erschien nun der Drache auf der Bildfläche. Um genau zu sein: Er erschien nicht, sondern polterte heran und ließ den Gasthof erbeben, als er gegen die Ecke prallte. Wie ich schon sagte, haben Drachen nicht gerade besonders elegante motorische Fähigkeiten, neigen also doch eher zur Grobmotorik.
»Gliep!«, rief ich. »Hört sofort damit auf, alle beide!«
Er tat einen Satz zurück und antwortete mit einem beherzten Schlag seines Schwanzes. Glücklicherweise verfehlte diese Geste weit ihr Ziel und traf eine Mauer des Gasthofes mit einem weiteren donnernden Dröhnen.
So viel zum Erfolg meines gebieterischen Auftretens. Wenn unsere beiden Schützlinge auch nur ein bisschen ungehorsamer wären, könnte ich von Glück sagen, wenn ich mit dem Leben davonkäme. Aber ich musste sie trotzdem dazu bringen, mit ihrem Spiel aufzuhören. Wer immer das unsterbliche Sprichwort in die Welt gesetzt hat, man solle keine schlafenden Hunde wecken, hat es offensichtlich nie mit einem schlafenden Dämon versucht.
Ich sah ein paar Augenblicke zu, wie die beiden einander durch das Gras jagten, und beschloss, das Ganze auf die einfache Art und Weise zu beenden. Ich schloss die Augen und stellte mir die beiden vor, den Drachen sowie das Einhorn. Dann überlagerte ich das Bild des Einhorns mit dem des Drachen, gestaltete es kurz farblich im Geiste aus und schlug die Augen wieder auf.
Es bot sich mir der unveränderte Anblick, ein Einhorn und ein Drache, die sich in einem Unkrautfeld gegenüberstanden. Aber da ich den Zauber ausgesprochen hatte, sah ich natürlich nicht seine Wirkung. Die Wirkung ließ sich für mich nur an Glieps Reaktion ablesen.
Er neigte den Kopf, bis er nach hinten sah, und wiederholte den gleichen Prozess, um seinen Blick über die Vegetation ringsum schweifen zu lassen. Dann nahm er Butterblume wieder ins Visier.
Für ihn war sein Spielgefährte plötzlich verschwunden, von einem anderen Drachen ersetzt. All das war äußerst verwirrend, und er wollte offenbar seinen bisherigen Spielkameraden zurückhaben.
Ich muss zur Rechtfertigung meines Lieblings sagen, dass, wenn ich von einem Mangel an körperlicher und geistiger Gewandtheit sprach, damit nicht gesagt werden soll, er wäre tölpelhaft oder dumm. Er ist noch jung, weshalb er auch erst drei Meter lang ist und seine Flügel noch nicht ausgewachsen sind. Ich rechne fest damit, dass er – wenn er in vier- bis fünfhundert Jahren erst einmal ausgewachsen ist – sehr flink und klug sein wird, was ich von mir nicht behaupten kann. Sollte ich – was eher unwahrscheinlich sein dürfte – so lange leben, werde ich einzig und allein alt sein.
»Gliep?«
Endlich schaute der Drache zu mir herüber. Nachdem er seine geistigen Fähigkeiten bis zur Grenze ihrer Belastbarkeit strapaziert hatte, wandte er sich nun an mich, damit ich die Situation in Ordnung brachte oder zumindest eine Erklärung lieferte. Als Verursacher der Lage, die seine Verwirrung hervorrief, empfand ich schreckliche Schuldgefühle. Einen Augenblick lang neigte ich schon dazu, Butterblume seine richtige Gestalt wiederzugeben.
»Wenn ihr ganz sicher seid, genug Lärm zu veranstalten …«
Beim Klang der tiefen, sarkastischen Töne, die direkt hinter mir erklangen, zuckte ich unwillkürlich zusammen. All meine Bemühungen waren umsonst gewesen. Aahz war erwacht.
Ich nahm meine beste Armesünderhaltung ein und drehte mich herum, um seinem Blick zu begegnen.
Es erübrigt sich zu bemerken, dass er schrecklich aussah.
Falls jemand zufällig glaubt, dass ein mit grünen Schuppen bedeckter Dämon schon schrecklich aussieht, dann hat er bislang noch keinen mit Kater kennengelernt. Die gewöhnlich goldfarbenen Flecken in seinen gelben Augen schimmerten nun kupfern und wurden durch ein Netz pochender, orangefarbener Äderchen betont. Seine Lippen waren zu einer schmerzlichen Grimasse zurückgezogen, die noch mehr seine spitzen Zähne entblößte als sein furchterregendes besänftigendes Lächeln. Wie er so drohend mit in die Hüften gestemmten Armen hinter mir stand, bot er ein so erschreckendes Bild, dass selbst ein Spinnbär in Ohnmacht gefallen wäre.
Ich hatte jedoch keine Angst. Ich war mit Aahz nun über ein Jahr zusammen und wusste, dass sein Bellen schlimmer war als sein Biss. Abgesehen davon hatte er mich auch noch nie gebissen.
»Ähh, Aahz«, sagte ich und scharrte mit dem Zeh ein Loch in die Erde. »Du sagst doch immer, wenn ich mich von etwas wecken ließe, wäre ich nicht richtig müde.«
Er ignorierte die Spitze wie so häufig, wenn ich ihm eines seiner eigenen Zitate vorhalten kann. Stattdessen blinzelte er über meine Schulter hinweg nach draußen.
»Junge, sag mir einfach, dass du übst. Und erzähl mir bloß nicht, dass du noch einen Drachen aufgegabelt hast, der uns das Leben versauert.«
»Ich bin am Üben«, beeilte ich mich, ihn zu beruhigen. Zum Beweis gab ich Butterblume schnell sein normales Aussehen zurück.
»Gliep!«, meinte Gliep glücklich, und schon waren die zwei wieder auf und davon.
»Ehrlich, Aahz«, sagte ich, um seiner nächsten bissigen Bemerkung zuvorzukommen. »Wo sollte ich denn in dieser Dimension einen zweiten Drachen finden?«
»Wenn es hier auf Klah einen gäbe, so würdest du ihn auch ausfindig machen«, spottete er. »Soweit ich mich erinnern kann, hattest du keine Probleme, diesen hier zu entdecken, als ich dir das erste Mal den Rücken gekehrt hatte. Lehrlinge, ich sag’s ja!«
Er drehte sich um und kehrte aus dem Sonnenschein in das Dämmerlicht im Innern des Gasthofes zurück.
»Soweit ich mich erinnere«, ergänzte ich, während ich ihm folgte, »war das auf dem Basar auf Tauf. Und dort kann ich mir keinen anderen Drachen holen, weil du mir nicht beibringen willst, wie man durch die Dimensionen reist.«
»Geh mir bloß nicht auf die Nerven, du Dödel!« Er stöhnte vernehmlich. »Das haben wir nun doch schon x-mal durchgekaut. Schau mich an. Da sitze ich ohne meine Kräfte in einer hinterwäldlerischen Dimension wie Klah fest, wo man einen barbarischen Lebensstil und eine widerliche Küche hat.«
»Wir erinnern uns: Du hast deine Kräfte verloren, weil Garkin seinem Spezialbecher einen Schuss Scherzpulver beigefügt hat und umgebracht wurde, ehe er dir das Gegenmittel verabreichen konnte«, bemerkte ich.
»Pass auf, wie du von deinem alten Lehrer und Mentor sprichst«, warnte mich Aahz. »Der nölige Schleimpanscher ließ sich gelegentlich zu übertriebenen Streichen hinreißen, ja. Aber er war ein Meister der Magik … und mein Freund. Wäre er das nicht gewesen, hätte ich mir nicht seinen großmäuligen Lehrling aufgehalst«, schloss er und warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu.
»Entschuldige, Aahz«, sagte ich. »Es ist nur, weil …«
»Schau, Bursche«, unterbrach er mich erschöpft. »Wenn ich meine Kräfte hätte – was nicht der Fall ist –, und wenn du so weit wärst, das Dimensionsspringen zu erlernen – was du nicht bist –, dann könnten wir einen Versuch wagen. Würdest du dich dann verrechnen und uns in die falsche Dimension schleudern, so könnte ich uns herausholen, ehe irgendwas Ungewolltes geschähe. Doch so wie die Dinge stehen, wäre dir das Dimensionshüpfen beizubringen gefährlicher als russisches Roulette.«
»Was ist russisches Roulette?«, wollte ich wissen.
Der Gasthof zitterte, als Gliep wieder die Ecke übersah.
»Wann wirst du deinem dummen Drachen endlich beibringen, dass er auf der anderen Straßenseite spielen soll?«, schnaubte Aahz und reckte den Hals, um aus dem Fenster zu spähen.
»Ich gebe mir alle Mühe, Aahz«, erklärte ich besänftigend. »Vergiss nicht, ich habe ein ganzes Jahr gebraucht, bis er stubenrein war.«
»Erinnere mich nicht daran!«, brummelte Aahz. »Wenn es nach mir ginge, würden wir …«
Plötzlich verstummte er und neigte den Kopf zur Seite.
»Du solltest den Drachen lieber verwandeln, du Zauberserker«, verkündete er plötzlich in ebenso spöttischem wie auch drängendem Ton. »Und mach dich bereit für einen deiner Dubioser-Charakter-Typen. Wir kriegen Besuch.«
Ich bestritt seine Behauptung nicht. Es war schon lange geklärt, dass Aahz das weit bessere Gehör von uns beiden hatte.
»In Ordnung, Aahz«, stimmte ich zu und machte mich eilends an meine Aufgaben.
Der Nachteil an der Benutzung eines Gasthauses als Operationsbasis – so einsam und verwittert es auch sein mochte – war, dass gelegentlich Leute hier vorbeischauten und Unterkunft und Verpflegung haben wollten. Magik war in diesen Gegenden noch immer gesetzwidrig, und Zeugen waren das Letzte, was wir brauchen konnten.
»Es geht doch nichts über eine gute Kinderstube.«
M. TYSON
Aahz und ich hatten den Gasthof unter ziemlich dubiosen Umständen erworben. Um genau zu sein: Wir beanspruchten ihn als unsere rechtmäßige Kriegsbeute, nachdem wir beide (mit Unterstützung zweier abwesender Verbündeter) Isstvan, einen wahnsinnigen Zauberer, aufgespürt und zusammen mit all seinen überlebenden Verbündeten in fernab liegende Dimensionen geschickt hatten. Der Gasthof war Isstvans Operationsbasis gewesen, doch nun gehörte er uns. Trotz Aahz’ ständiger Versicherungen lebte ich in der Angst, eines Tages dem rechtmäßigen Besitzer des Gasthauses über den Weg zu laufen.
Dies fiel mir unwillkürlich alles ein, während ich vor dem Gasthof auf unseren Besucher wartete. Wie ich schon sagte, besitzt Aahz ein sehr gutes Gehör. Wenn er mir sagt, dass er »ganz in der Nähe« etwas hört, so vergisst er häufig zu bemerken, dass »ganz in der Nähe« durchaus anderthalb Kilometer entfernt sein kann.
Im Laufe unserer Freundschaft habe ich ebenso festgestellt, dass sein Gehör auf merkwürdige Weise selektiv arbeitet.
Er kann hören, wie ein Echsenvogel in fünfhundert Meter Entfernung sich kratzt, scheint jedoch gelegentlich nicht in der Lage, selbst die höflichsten Bitten zu vernehmen, wie laut ich ihn auch anbrülle.
Noch immer war nichts von unserem Gast zu sehen. Ich überlegte gerade, ob ich mich aus der späten Vormittagssonne in den Gasthof zurückziehen sollte, entschied mich jedoch anders. Die Szene für die Ankunft unseres Gastes hatte ich sorgfältig arrangiert, und es war mir zuwider, sie für etwas so Nebensächliches wie persönliche Bequemlichkeit auseinanderzureißen.
Ich hatte den Verwandlungszauber in großzügiger Weise auf Butterblume, Gliep und mich selbst angewandt. Gliep sah nun wie ein Einhorn aus, eine Veränderung, die Butterblume nicht im Geringsten zu beeindrucken schien. Offensichtlich sind Einhörner bei der Wahl ihrer Spielgefährten weniger wählerisch als Drachen. Ich ließ sie beide noch beträchtlich schlampiger und ungepflegter aussehen, als sie in Wirklichkeit waren. Dies war notwendig zur Untermauerung des Eindrucks, den mein eigenes Erscheinen hervorrief.
Aahz und ich waren in den ersten Tagen unseres Aufenthalts hier zu dem Schluss gelangt, dass die beste Art, mit unerwünschten Gästen umzugehen, nicht darin bestand, sie zu bedrohen oder zu erschrecken, damit sie wieder abhauten, sondern sich so abstoßend zu geben, dass sie aus eigenem Entschluss weiterzogen. Zu diesem Zweck hatte ich allmählich eine Tarnung entwickelt, welche Fremde davon überzeugen sollte, dass sie nicht im gleichen Gasthof wie ich verweilen wollten, unabhängig von dessen Größe und der Anzahl seiner Gäste. In dieser Verkleidung pflegte ich hartnäckige Reisende als Wirt des Gasthauses zu begrüßen.
In aller Bescheidenheit will ich zugeben, dass die Verkleidung der letzte Schrei eines durchschlagenden Erfolgs war. In der Tat reagierten viele Besucher entsprechend. Sie schrien, einige sahen aus, als wollten sie sich übergeben, und andere warfen verschiedene religiöse Symbole in die Luft zwischen sich und mich. Keiner von ihnen entschloss sich, die Nacht über zu bleiben.
Als ich mit verschiedenen körperlichen Gebrechen herumexperimentierte, wies Aahz zu Recht darauf hin, dass viele Leute ein einzelnes Gebrechen gar nicht abstoßend fanden. Vielmehr empfanden es die meisten in einer Dimension wie Klah als normal. Um den gewünschten Erfolg zu sichern, legte ich sie mir alle zu.
In meiner Verkleidung bewegte ich mich unter schwerfälligem Hinken, hatte einen Buckel und eine verkrüppelte Hand, die mit sichtbarem Ausschlag befallen war. Meine wenigen restlichen Zähne waren krumm und fleckig, und die Pupille meines einen Auges zeigte Neigungen, unabhängig von der anderen umherzuwandern. Meine Nase, ja mein ganzes Gesicht war unsymmetrisch, und als Meisterstück meiner Verwandlungskünste krochen ekelerregende Läuse in meinem zottigen Haar und den zerfetzten Klamotten herum.
Der Gesamteindruck war furchterregend.
Selbst Aahz gab zu, dass er ihn beunruhigend fand, was eingedenk all der Dinge, die er auf seinen Reisen durch die Dimensionen zu Gesicht bekommen hat, wirklich ein großes Lob bedeutete.
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als unser Besucher in Sicht kam. Stocksteif saß er auf dem Rücken eines riesigen, flugunfähigen Reitvogels. Er trug keine sichtbaren Waffen und auch keine Uniform, doch sein Verhalten wies ihn weit mehr als Soldaten aus, als jegliche äußeren Attribute dies vermocht hätten. Sein Blick war wachsam und streifte misstrauisch umher, während er seinen Vogel in gemessener, gut gezügelter Gangart auf das Gasthaus zulenkte. Überraschenderweise strich sein Blick mehrere Male über mich hinweg, ohne dass er meine Anwesenheit registrierte. Vielleicht war ihm nicht klar, dass ich ein lebendiges Wesen war.
Das gefiel mir nicht. Der Mann wirkte eher wie ein Jäger, nicht wie ein zufällig daherkommender Reisender. Aber nun war er einmal da, und das hieß, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Ich begann meinen Auftritt.
»Möchte der edle Hääärr ein Zimmer haben?«
Beim Sprechen schwankte ich mit meinem eingeübten Humpelgang nach vorn. Für den Fall, dass ihm die Raffinesse meiner Verkleidung entging, ließ ich einen üppigen Speichelfaden aus meinem Mundwinkel triefen und ungehindert über mein Kinn laufen.
Einen Augenblick hatte der Mann damit zu tun, sein Reittier wieder in die Gewalt zu bekommen. Flugunfähig oder nicht: Das Gefiedervieh versuchte, vom Boden abzuheben. Offensichtlich hatte meine Tarnung einen Urtrieb des Tiers aus der Zeit vor seinen flugunfähigen Vorfahren gereizt.
Ich wartete, den Kopf neugierig zur Seite geneigt, während der Mann versuchte, den bockigen Vogel zum Stehen zu zwingen. Endlich widmete er mir kurz seine Aufmerksamkeit. Dann wandte er den Blick von mir ab und schaute geflissentlich zum Himmel.
»Ich komme, den zu suchen, der unter dem Namen Skeeve der Zauberer bekannt ist«, erklärte er mir.
Nun war es an mir, einen Sprung zu tun. Nach allem, was ich wusste, konnte niemand wissen, wer und was und noch viel weniger, wo ich war – außer Aahz und mir.
»Das bin ich«, platzte ich heraus, vergaß mich völlig und benutzte meine normale Stimme.
Der Mann warf mir einen entsetzten Blick zu, worauf mir meine Verkleidung wieder einfiel.
»Das ist mein Herr!«, korrigierte ich eilends. »Wartet … ich gehe ihn holen.«
Ich drehte mich um und huschte hastig in den Gasthof. Aahz wartete drinnen auf mich.
»Worum geht’s?«, fragte er.
»Er will … er will mit Skeeve reden! Mit mir!«, plapperte ich aufgeregt.
»So?«, meinte er pikiert. »Was machst du dann hier drinnen? Geh hinaus und sprich mit dem Herrn.«
»In diesem Aufzug?«
War zwar schwierig oder sogar unmöglich, aber Aahz versuchte trotzdem, seine Augen zur Decke zu rollen.
»Wer schert sich darum, wie du aussiehst?«, schnauzte er mich gleich darauf an. »Na los, Alter. Der Mann ist ein völlig Fremder!«
»Ich schere mich darum!«, erklärte ich mit stolzgeschwellter Brust. »Der Mann fragte nach Skeeve, dem Zauberer, und ich finde …«
»Was hat er?«, unterbrach mich Aahz.
»Er fragte nach Skeeve, dem Zauberer«, wiederholte ich und beobachtete aus der Deckung die Gestalt vor der Tür. »Auf mich wirkt er wie ein Soldat«, fügte ich hinzu.
»Auf mich wie einer, der die Hosen voll hat«, gab Aahz zurück. »Vielleicht solltest du deine Verkleidung das nächste Mal ein wenig mildern.«
»Glaubst du, er ist ein Dämonenjäger?«, fragte ich nervös.
Anstatt meine Frage zu beantworten, wandte Aahz sich unvermittelt vom Fenster ab. »Wenn er einen Zauberer sucht, soll er einen Zauberer haben«, murmelte er. »Schnell, Junge, stülp mir die Garkin-Tarnung über.«
Wie ich früher schon bemerkt habe, war Garkin mein erster Ausbilder. Als imposante Gestalt mit Salz-und-Pfeffer-Bart stellte er eine unserer beliebtesten und häufig benutzten Verkleidungen dar. Garkin konnte ich im Schlaf.
»Ja, so ist es gut, Kleiner«, kommentierte Aahz, während er die Ergebnisse meiner Arbeit besah. »Nun halte dich dicht hinter mir und überlass mir das Reden.«
»So, wie ich bin?«, rief ich aus.
»Nur mit der Ruhe, du Hasenfuß«, besänftigte er mich. »Für dieses Gespräch bin ich du. Klar?«
Aahz war schon auf dem Weg zur Tür, ohne meine Antwort abzuwarten, und ließ mir kaum eine andere Wahl, als ihm zu folgen. »Wer erstrebt eine Audienz beim großen Skeeve?«, dröhnte Aahz mit schallendem Bass.
Der Mann warf mir erneut einen nervösen Blick zu, dann nahm er eine steife, höfliche Haltung an. »Ich komme als Gesandter Seiner Höchsten Majestät, Rodrick dem Fünften, König von Possiltum, der …«
»Was ist Possiltum?«, unterbrach ihn Aahz.
»Wie meinen?« Der Mann blinzelte.
»Possiltum«, wiederholte Aahz. »Wo liegt das?«
»Oh!«, entfuhr es dem Mann, als er endlich begriff. »Das ist das Königreich direkt östlich von hier … auf der anderen Seite des Ember-Flusses. Ihr könnt es nicht verfehlen.«
»In Ordnung.« Aahz nickte. »Fahrt fort.«
Der Mann holte tief Luft, dann stockte er mit einem Stirnrunzeln.
»… König von Possiltum …«, gab ich ihm sogleich das Stichwort.
»O ja, danke«, antwortete der Mann mit einem kurzen Lächeln, auf das wieder ein fassungsloser Blick folgte, ehe er fortfuhr: »… König von Possiltum, der jenem, der unter dem Namen Skeeve, der Zauberer, bekannt ist, seine Ehrerbietung erweist und Grüße übermittelt …«
Er hielt inne und sah Aahz erwartungsvoll an. Er wurde mit einem freundlichen Kopfnicken belohnt. Zufrieden sprach der Mann weiter.
»Seine Majestät spricht an Skeeve, den Zauberer, eine Einladung aus, am Hofe von Possiltum zu erscheinen, um zu prüfen, ob er die Fähigkeiten für das Amt des Hofzauberers besitzt.«
»Ich fühle mich wirklich nicht qualifiziert, ein Urteil zur Eignung des Königs als Hofzauberer abzugeben«, erklärte Aahz bescheiden und beäugte den Mann wachsam. »Begnügt er sich denn nicht damit, einfach nur König zu sein?«
»Nein, nein!«, verbesserte der Mann eilfertig. »Der König möchte Eure Eignung prüfen.«
»Oh!«, sagte Aahz mit einem Anschein plötzlichen Begreifens. »Das ist natürlich eine völlig andere Angelegenheit. Nun schön. Eine Einladung von … wer war das noch gleich?«
»Rodrick V.«, verkündete der Mann und hob stolz seinen Kopf.
»Nun«, sagte Aahz mit breitem Grinsen. »Ich habe noch nie einen Fünften ausgeschlagen!«
Der Mann blinzelte, runzelte die Stirn und warf mir dann einen fragenden Blick zu.
»Ihr könnt Seiner Majestät bestellen«, fuhr Aahz fort, ohne unsere Verwirrung zu bemerken, »ich werde seine freundliche Einladung gerne annehmen. Und so werde ich bei Hofe erscheinen, sobald es mir möglich ist.«
Der Mann runzelte die Stirn. »Ich glaube, Seine Majestät erwartet Euer unverzügliches Erscheinen«, bemerkte er finster.
»Natürlich«, antwortete Aahz ruhig. »Wie dumm von mir. Wenn Ihr unsere Gastfreundschaft für eine Nacht in Anspruch nehmen wollt, werden mein Assistent hier und ich glücklich sein, Euch morgen früh zu begleiten.«
Ich erkannte ein Stichwort, wenn eins fiel. Ich sabberte und fletschte die Zähne in Richtung des Boten.
Der Mann warf mir einen furchterfüllten Blick zu. »Eigentlich …«, sagte er hastig, »muss ich wirklich gehen. Ich werde Seiner Majestät sagen, dass Ihr mir direkt folgt.«
»Seid Ihr sicher, dass Ihr nicht lieber bleiben wollt?«, fragte Aahz hoffnungsvoll.
»Ganz sicher!« Der Mann brüllte seine Antwort fast, während er sein Tier bereits von uns fort dirigierte.
»Na schön«, meinte Aahz. »Vielleicht holen wir Euch auf der Straße ein.«
»In diesem Falle«, sagte der Mann und wendete seinen Vogel, »möchte ich einen Vorsprung … Ich meine, ich mache mich auf den Weg, um Euer Kommen anzukündigen.«
Ich hob die Hand, um ihm zum Abschied nachzuwinken, doch er ritt schon in vollem Galopp, trieb sein Reittier zu noch größerer Geschwindigkeit an und beachtete mich gar nicht.
»Hervorragend!«, rief Aahz aus und rieb sich freudig die Hände. »Ein Hofzauberer! Was für ein gemütlicher Broterwerb! Einen solchen Posten lässt ein König sich für gewöhnlich gern was kosten! Dabei hat der Tag so jämmerlich begonnen.«
»Wenn ich unterbrechen darf«, unterbrach ich ihn. »Dein Plan hat einen kleinen Haken.«
»Hmm? Welchen?«
»Ich will nicht Hofzauberer werden!«
Wie gewöhnlich konnte mein Protest seine Begeisterung überhaupt nicht dämpfen. »Du wolltest ja auch nicht Zauberer werden«, erinnerte er mich taktlos. »Dieb wolltest du werden. Nun, hier hast du einen schönen Kompromiss. Als Hofzauberer bist du Staatsbediensteter – und Staatsbedienstete sind Diebe in einem Maßstab, wie du Popelfurzer ihn nie für möglich gehalten hättest.«