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PAPST FRANZISKUS

Im Dialog mit Marco Pozza

ICH GLAUBE,
WIR GLAUBEN

NEUE ÜBERLEGUNGEN
ZU DEN WURZELN
UNSERES GLAUBENS

Kösel

INHALT

Der Glaube eint uns

I

Ich glaube an Gott

Ein Gott, der Liebe ist

Ich glaube an Jesus Christus

Die zentrale Rolle von Jesus Christus

Ich glaube an den Heiligen Geist

Der Heilige Geist schafft die Einheit

Ich glaube an die heilige katholische Kirche

Die Kirche ist eins

Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen

Eine höchst tröstliche Wahrheit

Ich glaube an die Vergebung der Sünden

Dies ist die Zeit der Barmherzigkeit

Ich glaube an die Auferstehung der Toten

Der Weg zur Auferstehung

Ich glaube an das ewige Leben

Im Angesicht Gottes

II

Ich glaube an die Auferstehung der Lebenden

Quellen

Anmerkungen

DER GLAUBE EINT UNS

Was wir heute als Glaubensbekenntnis oder Credo bezeichnen – das Gebet, das unseren Glauben zusammenfasst und das wir während der Sonntagsmesse bzw. an wichtigen Festtagen des christlichen Jahreskreises wiederholen – wurde in den Anfangstagen des christlichen Glaubens im Allgemeinen »Symbol des Glaubens« genannt. Der damals verwendete griechische Begriff symbolon bedeutet »vereinen«, »zusammenfügen«. Und man verwendete ihn, weil hier in einem einzigen Text die zentralen Glaubensinhalte zusammengefasst wurden: Gott, der Vater seines Sohnes Jesus Christus ist, unseres Herrn (geboren, gestorben, auferstanden und in den Himmel aufgefahren), über den der Heilige Geist – das dritte Element der Dreifaltigkeit – unaufhörlich seine Liebe ausgießt; die Kirche, die Leib Christi und Wohnstatt des Heiligen Geistes ist und uns wahrhaft mit Vater und Sohn vereint; die Gemeinschaft der Heiligen, die Vergebung der Sünden, die Auferstehung von den Toten und das ewige Leben.

Andererseits war das »Symbolon« nicht bloß eine Formel, in der die Glaubensinhalte zusammengefasst sind. Es war auch Ausdruck des Leben und der Erfahrung, welche die Christen von anderen Menschen unterschieden und sie zu einer Einheit machten. Tatsächlich ist es der Glaube an unseren Herrn Jesus Christus, der die Menschen vereint und uns zu seinem Leib werden lässt. Wir glauben nicht an einen abstrakten oder imaginären Gott, der das Produkt unserer Ideen oder Theorien ist. Wir glauben an Gottvater, den Jesus uns näherbrachte und der reine Liebe ist. Und die Liebe ist immer Einheit und führt uns zur Einheit. Durch die Annahme des Heiligen Geistes »sind wir viele ein Leib« (1 Kor 10, 17). An Gottvater zu glauben heißt, dass wir seine Liebe annehmen, dass wir uns mit Jesus, seinem Sohn, vereinen und mit unseren Brüdern und Schwestern. Der Glaube ist gleichbedeutend mit der Entdeckung, geliebt zu werden, und durch die Kraft des Heiligen Geistes in die Lage versetzt zu werden, unsererseits zu lieben.

Und doch wird der Glaube häufig dazu missbraucht, andere abzulehnen und Zwistigkeiten zu säen. Dies ist meist ein Zeichen, dass es sich nicht um echten Glauben handelt, um die vertrauensvolle Hinwendung zum Herrn, sondern einfach nur um unsere eigenen Ideen und Vorstellungen, die – auch wenn sie mit einem Hauch Christlichkeit »aufpoliert« werden – kein wahrer Glaube sind. Am Ende aber erkennt man diesen »aufpolierten« Glauben immer als das, was er ist, selbst wenn er belesen und überzeugend daherkommt, denn er hinterlässt sozusagen einen Kondensstreifen mangelnder Authentizität. Er wird nicht nur zur Quelle von Konflikten – die an sich ganz normal, ja in gewisser Weise sogar gesund sind –, sondern zur Ursache der Verhärtung gegenüber anderen Menschen, vor allem, wenn diese andere Ansichten verfechten.

Der wahre Glaube an den Vater unseres Herrn Jesus Christus hingegen stärkt die Einheit, die Beziehungen, die Gemeinschaft unter den Menschen, die zwar mitunter schwierig, aber durch die Kraft des Heiligen Geistes auch möglich ist. Denn eben das ist der Glaube: eine Beziehung der Liebe und Freundschaft zu unserem Gott, der dreifaltige Gemeinschaft in der Liebe ist und Gemeinschaft unter uns. Der Apostel Johannes schreibt in seinem ersten Brief, man könne nicht vorgeben, Gott zu lieben, den man nicht sieht, wenn man seinen Bruder nicht liebt, den man sehen kann. (1 Joh 4,20) Gleichzeitig kann man nicht sagen, dass man an Gott glaubt, weil man die Gabe seiner Barmherzigkeit empfangen hat, wenn wir umgekehrt nicht versuchen, uns gegenseitig anzunehmen – vor allem, wenn wir unterschiedliche Ideen und Sichtweisen vertreten, die sich mitunter auch widersprechen mögen. Der christliche Glaube ist kein Monolith, kein »Granitblock«: Ganz im Gegenteil, es gibt viele rechtmäßige – und sich gegenseitig befruchtende – Möglichkeiten, unseren Glauben an Jesus zu leben und auszudrücken. Denken wir doch nur an den Reichtum unserer Kirche, die im Laufe der Jahrhunderte unzählige Formen der Spiritualität, der Liturgie, der Theologie (zum Beispiel von Ost- und Westkirche) entwickelt hat. Oder an die großen christlichen Orden des Mittelalters: Dominikaner, Augustiner, Franziskaner … Ihre führenden Denker forderten sich regelmäßig zu Streitgesprächen an den Universitäten heraus, um darzutun, wer die Wahrheit des Glaubens am besten erfasste und in Worte fassen konnte. Heute belächeln wir diese Praxis, aber im Grunde belegt sie nur die tiefe Einsicht, dass der Glaube facettenreich ist, weil Gott immer größer ist als wir und kein Wort, kein Begriff je die Größe seiner Liebe ausdrücken kann: die so wahrhaft und lebendig ist, dass sie sich im fleischgewordenen Christus zeigte und aus uns, in der Konkretheit unseres Körpers, seine Glieder machte.

Natürlich sind die Christen ganz unterschiedlich, aber der Glaube ist immer derselbe, denn der Prüfstein für seine Wahrhaftigkeit ist die Gemeinschaft. Nur das, was von allen überall und zu jeder Zeit anerkannt wird, gehört wirklich der gesamten Kirche.1 Und all das, was diesem gemeinsamen Schatz unserer Tradition nicht widerspricht und mit ihm nicht unvereinbar ist, ist am Ende eine Bereicherung für alle, ein besonderes Geschenk für das Leben und das Wachstum des ganzen Leibes.

In diesem Geiste möchte ich das dritte Zwiegespräch mit Marco Pozza betrachten, nach unserem Buch über das Vater unser und das Ave Maria. Andererseits wollte ich die Bedeutung unserer Glaubensinhalte nicht Punkt für Punkt erörtern. Ich möchte vielmehr die alltägliche, wesentliche, einfache und doch tiefgründige Bedeutung unseres Daseins als Kinder Gottes mit Ihnen teilen, die wir mit der Dreifaltigkeit zum Mahl der Liebe geladen sind. Und den Sinn unserer Freundschaft mit den Brüdern und Schwestern im Glauben und der ganzen Menschheit.

Wenn wir das Glaubensbekenntnis rezitieren, erkennen wir Gott in seiner Wahrheit an. Gleichzeitig aber sprechen wir auch von uns. Wir bekennen das, was der Herr aus jedem Einzelnen von uns und uns allen gemacht hat: Während wir unseren Glauben bekennen, dürfen wir uns mit Liebe gesehen fühlen, errettet, herausgelöst aus unserer Isolation und Vereinzelung, um in der Einheit des Leibes Christi in der Mutter Kirche zusammengeführt zu werden.

Wir werden dadurch mehr Kraft und Mut haben, um als geliebte und erlöste Menschen zu leben: in der Barmherzigkeit und der Freundschaft, im Dienen und mit dem privilegierten Blick auf all jene, die weit weg stehen, am Rand und ausgeschlossen sind.

Franziskus

I

Die Version des Glaubensbekenntnisses, welche das Gespräch zwischen Papst Franziskus und Marco Pozza zum Gegenstand hat, ist das Apostolische Glaubensbekenntnis (auch das »Kleine Glaubensbekenntnis« genannt). Im Vergleich zum Nizäno-Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis (auch das »Große Glaubensbekenntnis«), das meist bei feierlichen Anlässen in der Kirche gesprochen wird, ist das Apostolische Glaubensbekenntnis – das zur sonntäglichen Messe gehört – älter.

ICH GLAUBE AN GOTT

Heiliger Vater, ich würde Ihnen gerne ein Foto zeigen, das mir sehr am Herzen liegt. Mein Vater hat es vor gut dreißig Jahren aufgenommen. Es zeigt meine Großmutter, meine Mutter, meinen Bruder und mich. Meine Großmutter kam 1920 zur Welt. Sie war tiefgläubig: Ich weiß noch, dass sie bei allem, was sie tat, ob sie nun das Feld umgrub oder die Wäsche machte, den Rosenkranz betete. Meine Mutter wurde 1946 geboren. Kaum war sie volljährig, brach rundherum die Protestbewegung der 1960-er Jahre aus. Junge Leute wie sie gingen auf die Straße und forderten lauthals: »Die Fantasie an die Macht!« Ihre Generation wuchs ohne Gott auf. Mein Bruder und ich wurden in den 1980-er Jahren geboren. Unsere Generation stellte sich die Frage: Hat es denn Sinn, an Gott zu glauben? Vor hundert Jahren hängte meine Familie sogar im Stall Jesusbilder auf, um die Tiere zu schützen. Heute aber wird der Glaube an Gott mit Fragezeichen versehen: Glaube ich, glaube ich nicht, warum soll ich glauben? Mir scheint das wie die Geschichte eines Gefühls, das immer mehr nachlässt. Sind wir Ihrer Ansicht nach dazu bestimmt, als Letzte den christlichen Glauben zu leben?

Diese Frage stellte sich im Laufe der Geschichte immer wieder. Was Du schilderst – dass die herrschenden kulturellen Umstände den Menschen mitunter von den Gepflogenheiten des Glaubens fernhalten – hat sich schon unzählige Male so zugetragen. Zum Beispiel während der Verfolgungen: Zur Zeit des Römischen Reiches hätte man durchaus glauben können, dass die ersten Christen auch die letzten sein würden. Aber auch andere kulturelle Strömungen entfalteten eine ähnliche Wirkung. Man denke nur einmal an das Erbe der Aufklärung, die das Christentum auf den Status eines Aberglaubens reduzieren wollte, auf die Funktion der Staatsreligion: Die Priester verweltlichten zusehends, wurden zum Monsieur l’Abbé, der nur noch zu Hofe zugange war. Es gab immer schon Prozesse, die sich gegen das Christentum wandten. Gegen, denn das Christentum wird verfolgt. Ich fühle mich fast versucht zu sagen: muss verfolgt werden. Aber nein, es wird verfolgt. Der Versuch – es auszulöschen – ist der Tatsache geschuldet, dass es eine Bedrohung darstellt: die Art von Bedrohung, welche der Sauerteig für das Mehl darstellt, für das Brot, das ungesäuert bleiben möchte. Es ist eine Bedrohung … Auch zu Zeiten Jesu war das schon so: Denk nur einmal an all die Verleumdungen, an das Gerichtsverfahren, und weiter an die Verfolgung der ersten Märtyrer, angefangen bei Heiligen Stefan, wie uns die Bibel berichtet. (Apg 7, 51–60). Auch in der weiteren Geschichte Roms gab es unzählige Märtyrer … Die Geschichte des Christentums ist eine Geschichte von Verfolgung und Vernichtungsversuchen. Und der Erfolge? Nein, der Standhaftigkeit. Es ist richtig, dass das Christentum nicht von Erfolgen lebt. Wenn ich die vielen »glorreichen« Darstellungen sehe, die die Kunst hervorgebracht hat, meine ich immer, dass sie als Inspiration wirklich hilfreich sind. Die Kunst wollte die Wahrheit des Christentums ausdrücken. Doch die christliche Wahrheit besteht in der Standhaftigkeit der Gläubigen, einer Standhaftigkeit gegen die Verweltlichung, gleichwohl aber in dieser Welt.

In der Weltlichkeit der Geschichte bekennt der Christ seinen Glauben durch das uralte Gebet des Credo. Manchmal sagen mir Menschen: »Ich habe Schwierigkeiten, an Gott zu glauben.« Dann fällt mir spontan die Frage ein: »Aber an welchen Gott kannst du denn nicht glauben?« Denn wenn Gott nur eine Vorstellung wäre, würde ich mich ihm auch nicht anvertrauen. Gott aber ist eine Person. Wie viel Bedeutung hat das Bild Gottes, das ein Kind sich in jungen Jahren schafft und das es danach kultiviert oder verwirft?

Das hängt ganz davon ab, welches Bild von Gott wir dem Kind vermitteln: das Bild eines Gottes, wie er im Theater oder im Zirkus auftritt, das aus den Wundererzählungen, oder das, in dem Gott so grausam erscheint wie der Wolf im Märchen von Rotkäppchen … Wir Christen beginnen unser Glaubensbekenntnis mit folgenden Worten: »Ich glaube an Gott, den Vater«. Aber zeigen wir dem Kind auch einen väterlichen Gott, als dessen Kind es sich fühlen darf? Ich habe das erst kürzlich gehört, als ich in Madagaskar war: Der wahre Glaube ist der an Gott, den Vater. So schrieb schon Basilius von Cäsarea: »Der Gott des Universums ist seit Ewigkeit Vater […] Und seine Väterlichkeit, um es so zu nennen, besitzt er seit aller Ewigkeit.«2

Es gibt also auch eine affektive Erinnerung an den Glauben, so wie es diese für die Lebensgeschichte jedes Menschen gibt oder für seine Herkunft?

Gewiss, »affektiv« im positiven Sinn des Wortes. Der Glaube umfasst alles: Wahrheiten und Gefühle. Denn unser oberstes Gebot ist die Liebe, und die Liebe ist ein Gefühl. Immer wieder einmal werden Theorien vorgetragen, die von Gott in abstrakten, ideologischen Begriffen sprechen, als wäre er eine Idee der Vollkommenheit. Dann versucht man seine Existenz zu beweisen, als wäre das ein mathematisches Problem. Solche Vorstellungen begegnen uns im Laufe der Geschichte immer wieder wie ein Refrain. Daneben aber finden wir den Gott, wie ihn die Heiligen predigen, die die Einfachheit des Evangeliums aufzeigen. Die Heiligen sind die wahren Helden des Christentums: Männer und Frauen, die verstanden haben, was es heißt, an einen Gott zu glauben, der uns Vater ist, und nicht an einen Gott, der wie Candra, der Zauberer, mit magischen Kräften begabt ist.

Es besteht also eine tiefe Beziehung zwischen dem eigenen Glauben und der persönlichen Lebenserfahrung …

Natürlich! Mir sind als Seelsorger immer wieder Menschen begegnet, die einfach nicht zum »Vater« sprechen konnten, denen die Erfahrung der Väterlichkeit Gottes versagt war. Sie hatten einen Vater, der ihnen Schlimmes angetan hat oder ihre Mutter verlassen hat … Diese Menschen bräuchten einen Weg der Heilung, der – ich weiß nicht, wie das auf Italienisch heißt, auf Spanisch sagt man – sanazione [Gesundung, A. d. R.]

Sie müssen sozusagen wieder zusammengeflickt werden …

Ja, zusammengeflickt oder erneuert. Denn die persönliche Lebenserfahrung ist wichtig.

Heiliger Vater, wenn ich mit meinen Jungs im Gefängnis das Glaubensbekenntnis bete, dann treffen mich die Worte »Gott, den Vater, den Allmächtigen« besonders, denn wir leben in einer Welt, die, was die Figur des Vaters angeht, zum Waisenkind geworden ist. Einer Welt, in der das Böse sich ungehindert tummeln kann und der Mensch Maß nur noch an sich selbst nimmt. Tatsächlich sind einige dieser Männer wegen Mordes verurteilt worden. Das ist, als wolle man sagen: Wenn der andere mir im Weg ist, beseitige ich ihn einfach. Diese weite Verbreitung des Bösen zeugt von der Präsenz Satans. »Ich glaube an Gott« und »Ich halte mich fern von Satan«. Aber werden das Gute und das Böse nicht immer nebeneinander koexistieren, bis ans Ende aller Tage?

Bevor ich Dir auf diese Frage antworte und auf Satan näher eingehe, möchte ich Dich auf etwas anderes aufmerksam machen, nämlich auf das vierte Attribut Gottes: Er ist Vater, Allmächtiger, Schöpfer, aber auch Erlöser. Wie ich schon oft erklärt habe, zeigt sich die Barmherzigkeit Gottes in der Erlösung, in dem Heil, das uns durch das Blut seines Sohnes geschenkt wurde (siehe 1 Petr 1, 18–21). Die Erlösung steht für die Vollendung der Geschichte. Gleichzeitig ist sie Teil eines Projekts von kosmischen Ausmaßen, das Gott schon vor der Erschaffung der Welt im Sinn hatte, wie Paulus erklärt: »Wie es also durch die Übertretung eines einzigen für alle Menschen zur Verurteilung kam, so wird es auch durch die gerechte Tat eines einzigen für alle Menschen zur Gerechtsprechung kommen, die Leben gibt. Wie durch den Ungehorsam des einen Menschen die vielen zu Sündern wurden, so werden auch durch den Gehorsam des einen die vielen zu Gerechten gemacht werden.« (Röm 5, 18–19) Der Begriff »Erlösung« steht für die radikalste Befreiung, die Gott für uns schaffen konnte, für die ganze Menschheit und die gesamte Schöpfung. Heute wollen die Menschen nicht mehr glauben, dass sie durch das Eingreifen Gottes befreit und erlöst werden. Sie bilden sich ein, frei zu sein, und glauben, dass diese Freiheit ihnen alles gibt. In Wirklichkeit ist das nicht so. Wie viele Illusionen werden doch unter dem Deckmäntelchen der Freiheit verkauft, und wie viele neue Abhängigkeiten werden im Namen einer falschen Freiheit heute geschaffen! Im Rückgriff auf Paulus schrieb Johannes Cassianus zu Beginn des 5. Jahrhunderts: »Welch ein Unterschied also zwischen dem, der der Erfüllung durch Gerechtigkeit bedurft hatte, und Ihm, der alles mit seiner Gerechtigkeit erfüllte.«3

Gott ist der Erlöser …

Aber dazu kommen wir später noch.

Gewiss.

Die drei Attribute Gottes sind jedoch nicht alles.

Wie schön!

In der Liturgie, in einem der Gebete für den Weihnachtstag, heißt es: »Allmächtiger Gott, Du hast den Menschen in seiner Würde wunderbar erschaffen und noch wunderbarer wiederhergestellt.«4 Gott ist nicht nur allmächtig, er ist auch unser Erlöser. Aber darauf werden wir noch zurückkommen. Nun beschäftigen wir uns mit Deiner Frage zu Satan.

In unserem Glaubensbekenntnis drücken wir auch aus, dass wir uns von Satan fernhalten, von den Werken, den Verführungen des Teufels …

Aber wir sagen nie, dass wir den Verführungen Gottes unterliegen! Denn Gott benutzt keine trügerische Sprache wie Satan. Satan erscheint auf den ersten Seiten der Bibel, weil es sich bei ihm um eine Wirklichkeit handelt, die wir alle erfahren. Jeder von uns, der schon einmal eine Entscheidung treffen musste, spürt im Herzen diesen Kampf zwischen Gut und Böse: Einerseits bewegt uns etwas zum Guten, zur Liebe zu unserem Nächsten, zu wohltätigen Werken oder erhebenden Gedanken. Andererseits flüstert uns etwas zu: »Nein, das ist nicht der richtige Weg. So wirst du nicht glücklich. Nimm diesen Weg.« Und es zeigt uns einen anderen Weg auf. Denken wir doch nur an die biblische Erzählung von der verbotenen Frucht (siehe Genesis 3). Die Präsenz Satans ist in unserem christlichen Leben ganz real, weil Satan nun einmal die Realität ist. Einige meinen heute: Nein, Satan gibt es nicht wirklich. Es gibt vielmehr diese Tendenz in uns, uns dem Bösen zuzuwenden, weil wir materiell, geistig oder psychisch krank sind. Es stimmt schon, wir sind verletzte Wesen, aber Satan gibt es trotzdem: Er ist der Verführer. Das Fernhalten von Satan und seinen Fallstricken wird in anderer Sprache präsentiert als das Glaubensbekenntnis. Ich sage: »Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer und Erlöser.« Aber nicht: »Ich glaube an Satan«, weil ich mich ja nicht an Satan wende, wie ein Kind sich der Hand des Vaters anvertraut. Ich glaube an Satan, glaube an seine Existenz, aber ich liebe ihn nicht. Ich sage nicht: »Ich glaube Satan«, denn ich weiß zwar, dass er existiert, aber ich glaube eben nicht an seine Verführungen, sondern nehme mich davor in Acht.

Mich hat es immer tief berührt, wie Jesus beim Abendmahl in der Fürbitte für seine Jünger den Vater bittet, sie vor dem Bösen zu retten, denn: »Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin. Heilige sie in der Wahrheit, dein Wort ist Wahrheit. Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt. Und ich heilige mich für sie, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt sind.« (Joh 17, 16–19). Die Welt ist also der Wirkungskreis Satans, des Bösen. Er bewegt sich in der Welt, ist der Geist dieser Welt. Das ist Satan.

EIN GOTT, DER LIEBE IST

Vor allem möchte ich jedem die allererste Wahrheit sagen: »Gott liebt dich«. Wenn du das schon einmal gehört hast, egal, ich möchte es dir nur ins Gedächtnis rufen: Gott liebt dich. Zweifle nie daran, was dir auch im Leben widerfahren mag. Unter welchen Umständen auch immer, du bist unendlich geliebt.

Vielleicht ist deine Erfahrung mit Vätern nicht die beste. Dein irdischer Vater war vielleicht distanziert oder abwesend oder ganz im Gegenteil herrschsüchtig und besitzergreifend. Oder er war vielleicht einfach nicht der Vater, den du gebraucht hättest. Ich weiß es nicht. Was ich dir aber mit Sicherheit sagen kann, ist, dass du dich in aller Sicherheit deinem göttlichen Vater überlassen kannst, jenem Gott, der dir das Leben geschenkt hat und es dir in jedem Moment erneut schenkt. Er wird dich immer halten und gleichzeitig wirst du spüren, dass er deine Freiheit ganz und gar achtet.

In seinem Wort finden wir alle möglichen Ausdrucksformen seiner Liebe. Es ist, als hätte er nach verschiedenen Wegen gesucht, sie uns mitzuteilen, um zu sehen, ob nicht eines dieser Worte an dein Herz rührt.