Das Buch
Wer kennt es nicht: dieses Gefühl, wenn der Boss reinkommt, einem einen Auftrag gibt, von dem mal wieder die Zukunft der Galaxis abhängt blablabla, während man sich in dieser Sekunde viel lieber abschalten und ein paar Hundert Folgen der Lieblingsserie bingen würde. Ach ja, und eigentlich ist man ein auf die Tötung von Menschen programmierter, ausgemusterter Roboter. Sie kennen das? Herzlichen Glückwunsch – und willkommen in der Welt von Killerbot.
Die Autorin
Martha Wells ist New York Times-Bestsellerautorin und hat eine Vielzahl an Science-Fiction- und Fantasy-Romanen und -Kurzgeschichten und Essays geschrieben. Ihr Werk wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet. »Tagebuch eines Killerbots«, der Auftakt ihrer Killerbot-Serie, wurde für den Philip K. Dick Award nominiert und gewann den Nebula Award, Hugo Award, ALA/YALSA Alex Award und Locus Award. Martha Wells lebt mit ihrer Familie in College Station, Texas.
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MARTHA WELLS
DER
NETZWERK-
EFFEKT
EIN KILLERBOT-ROMAN
Aus dem Amerikanischen
von Frank Böhmert
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Das Buch ist im Original unter dem Titel NETWORK EFFECT bei Tor.com Books erschienen.
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Deutsche Erstausgabe 02/2021
Redaktion: Sven-Eric Wehmeyer
Copyright © 2020 by Martha Wells
Copyright © 2021 dieser Ausgabe und der Übersetzung
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: DAS ILLUSTR AT, München,
nach einer Originalvorlage von Christine Foltzer
Umschlagillustration: Jaime Jones
Satz: Leingärtner, Nabburg
e-ISBN: 978-3-641-26981-4
V001
diezukunft.de
1
Ich hatte schon Klienten, die sich einbildeten, sie bräuchten absurd viel Security. (Und wenn ich den Begriff »absurd« benutze, will das was heißen – schließlich wurde mein Code von einer Finanzierungsgesellschaft entwickelt, die für eine derart krass xenophobe Paranoia bekannt ist, dass nur ihre verzweifelte Geldgier sie noch mildern kann.) Ebenso hatte ich schon Klienten, die fanden, sie hätten gar keine Security nötig, und zwar bis zu genau jenem Moment, in dem irgendetwas sie auffraß. (Das ist im Wesentlichen eine Metapher. Die meisten meiner Klienten werden nicht verspeist.)
Dr. Arada befand sich als »hoffnungslose Optimistin«, wie ihre Ehepartnerin Overse es nennt, irgendwo im angenehmen Mittelfeld. Dr. Thiago gehörte definitiv zur Lasst-uns-die-dunkle-Höhle-doch-ohne-nervige-SecUnit-untersuchen-Fraktion. Deshalb drückte sich Arada auch neben der Schleuse zur offenen Beobachtungsplattform an die Wand und hielt eine Projektilwaffe in den schweißnassen Händen, während Thiago draußen auf besagter Beobachtungsplattform stand und versuchte, mit einem potenziellen Ziel vernünftig zu reden. (»Potenziell«, weil Dr. Arada in einem früheren Gespräch Ach, SecUnit, es wäre mir wirklich lieber, du würdest Leute nicht als »Ziele« bezeichnen gesagt und Thiago mich mit diesem Blick bedacht hatte, der normalerweise Das Ding sucht doch nur nach einem Grund, jemanden umbringen zu können bedeutete.)
Andererseits hatten die potenziellen Ziele da auch noch nicht angefangen, mit ihrer eigenen Sammlung großer Projektilwaffen herumzufuchteln.
Das sind so die Sachen, die mir durch den Kopf gehen, während ich unter einem Schiff von Räubern hindurchtauche, die gerade versuchen, sich Zutritt zu unserer Meeresforschungsanlage zu verschaffen.
Hinter dem Heck kam ich, schön mit Abstand zum Antrieb, wieder hoch. Ich durchbrach leise die Wasseroberfläche, griff hinauf zur Reling und zog mich nach oben. Das Tageslicht gleißte, die Luft war klar, und ich kam mir ungeschützt vor. (Wieso konnten diese dämlichen Räuber nicht in der Nacht angreifen?) Ich hatte Drohnen in der Luft, die mir Kameraansichten beider Decks dieses blöden Schiffs lieferten, und wusste deshalb, dass dieser Teil des Hecks leer war.
Die Aufbauten über mir waren dreieckig und nach hinten geneigt, zwecks Windschnittigkeit oder so. Keine Ahnung, ich bin ein Killerbot, Wasserfahrzeuge interessieren mich einen Dreck. Das Oberdeck lief den Bug mit der vorderen Geschützstellung entlang. Damit besaß das blöde Boot jede Menge toter Winkel, die der Sicherheitsalbtraum von jemand anders waren. Es basierte auf einem raffinierteren Entwurf als die anderen Schiffe, die wir während dieser Erkundung zu sehen bekommen hatten, und es war technisch besser ausgestattet.
Genau darum war es angreifbar.
Ich überwachte parallel unseren Außenperimeter und die verstreuten Inseln ringsum, weil es sich ja um ein Ablenkungsmanöver handeln konnte und irgendwo noch ein zweiter Versuch lief, an Bord zu gelangen. Und mit einer Kamera behielt ich natürlich die Beobachtungsplattform im Blick, auf der die Kacke am Dampfen war.
Thiago stand dort draußen fast vier Meter von der Luke entfernt und trug nicht mal seine Schutzausrüstung, fast wie ein Mensch, der kein Vertrauen in die Lagebewertung seiner SecUnit aufbrachte. Die augenscheinliche Führungsperson der potenziellen Ziele stand am Rand des Decks, kaum drei Meter entfernt, und hielt beiläufig eine Projektilwaffe auf Thiago gerichtet. Ich machte mir mehr Sorgen wegen der sechs anderen auf dem Vordeck des blöden Schiffs verteilten PZ – und wegen der dort montierten Waffe, deren Mündung auf die obere Ebene unserer Anlage zielte.
Einige PZ trugen nicht mal Helme. Es gibt da einen Trick, den man bei diesen kleinen Spähdrohnen durchziehen kann (sofern man eine entsprechende Anweisung seiner Klienten bekommt oder sein Chefmodul gehackt hat), wenn Feinde so dumm sind, ohne angemessene Körperpanzer aggressiv zu werden. Dann beschleunigt man eine solche Drohne und jagt sie dem Feind mitten ins Gesicht. Selbst wenn sie kein Auge oder Ohr trifft, durch das sie bis ins Hirn vordringt, lässt sich im Schädel ein Krater erzeugen. Damit hätte ich das Problem gelöst und mich prompt wieder den neuen Folgen von Häuser der Sonne widmen können; allerdings stand fest, dass Arada mich dann traurig ansehen würde und Thiago sauer wäre. Wobei mir wahrscheinlich gar nichts anderes übrig blieb. Unglücklicherweise trug Führung PZ einen Helm.
(Thiago ist ein Ehepartner von Dr. Mensahs Bruder, weshalb mich seine Meinung einen Scheiß interessierte.)
Außerdem fehlten mir noch Daten darüber, wie viele Feinde sich im Inneren des Bootes befanden, etwa beim Leitstand für die große Waffe. Wenn ich die sichtbaren Ziele (Pardon, sichtbaren potenziellen Ziele) an Deck zu früh eliminierte, war die Kacke womöglich nicht mehr am Dampfen, sondern flog uns um die Ohren.
Noch bestand ansatzweise die Chance, dass Thiago uns vielleicht hier rausquatschte. Er konnte richtig gut mit anderen Menschen reden. Ich hielt trotzdem bei Arada in der Luke eine Drohne bereit. (Overse wäre am Boden zerstört gewesen, wenn ich zuließ, dass ihre Ehepartnerin getötet wurde, und außerdem mochte ich Arada.)
Inmitten der ganzen Chaosfakke klang Thiago noch ruhig, als er sagte: »Das ist alles überhaupt nicht nötig. Wir betreiben hier Wissenschaft; wir haben nicht vor, irgendjemanden zu schädigen.«
Führung PZ sagte etwas, das unser HabSystem im Feed wie folgt übersetzte. »Ich habe Ihnen bereits deutlich gemacht, dass ich es ernst meine. Wir nehmen uns, was wir wollen, dann lassen wir Sie wieder in Ruhe. Sagen Sie den anderen, sie sollen herauskommen.«
»Wir geben Ihnen Vorräte, aber keine Leute«, sagte Thiago.
»Wenn Sie nette Vorräte haben, lasse ich die Leute hier.«
»Es war völlig unnötig, auf jemanden zu schießen.« Hitzigkeit schlich sich in Thiagos Stimme. »Wenn Sie Vorräte brauchen, hätten wir Ihnen auch so welche gegeben.«
Keine Sorge, der »Jemand«, auf den sie geschossen hatten, war ich.
(Thiago war unter Verletzung des Sicherheitsprotokolls, dem alle VORAB zugestimmt hatten, raus auf die Beobachtungsplattform getreten, um die Fremden auf ihrem blöden Boot zu begrüßen. Ich ging hinterher und zog ihn von der Kante zurück, und so schoss Führung PZ mich statt ihn nieder. Mitten in die Schulter. Ich schaffte es, mich von der Plattform fallen zu lassen und den Stutzen des Wasserzulaufs zu verfehlen. Jawohl, ich war stinksauer.
»SecUnit, SecUnit, bist du da …«, hatte Overse in der Schaltzentrale der Anlage über Funkinterface geschrien.
Jaja, mir geht’s gut, hatte ich ihr über Feed geschickt. Wie gut, dass ich nicht blute wie ein Mensch, denn feindliche Meeresfauna hätte in dieser Lage gerade noch gefehlt. Habe alles im verfickten Griff.
»Nein, sie sagt, es geht ihr gut«, hörte ich sie über Funk an die anderen weitergeben. »Na ja, und sie ist sauer.«
Ich schwang mich über die Reling und ließ mich aufs Deck fallen. Die Schmerzsensoren hatte ich runtergeregelt, aber ich spürte das Projektil trotzdem, wie es dicht an meiner Stützstruktur feststeckte, und das nervte. Ich blieb unten und kroch die Stufen runter in die erste Kabine. Der Mensch im Inneren überwachte ein primitives Scannersystem. (Das hatte ich schon lahmgelegt, bevor ich angeschossen worden war, indem ich es mit künstlichem Rauschen und zufällig aufpoppenden anormalen Energiesignaturen beschäftigt hielt.) Ich würgte die Frau, bis sie das Bewusstsein verlor, dann brach ich ihr den Arm, damit sie etwas hatte, worum sie sich kümmern musste, falls sie vorzeitig wieder zu sich kam. Die Projektilwaffe ließ ich ihr, machte jedoch kurz noch ein paar wichtige Komponenten kaputt.
Der Raum war mit Taschen und Behältern und anderem Menschenkram zugemüllt. Es gab ordentliche Staufächer, trotzdem lag alles durcheinander auf dem Boden. Wir hatten aus der Ferne elf Gruppen fremder Menschen in Wasserfahrzeugen gesehen und waren von zweien kontaktiert worden. Beide waren laut Thiago »ungewöhnlich divergent« und laut einiger anderer extrem schräg drauf gewesen. Beide Gruppen hatten mit erheblichem Aufwand deutlich gemacht, dass sie nicht feindlich gesinnt waren, und keinerlei Waffen zur Schau gestellt. Beide Gruppen hatten mit uns Vorräte tauschen wollen. (Arada und die anderen hatten ihnen das Benötigte einfach schenken wollen, aber Thiago hatte sie gebeten, als Gegenleistung zu erzählen, wieso sie hier auf diesem Planeten waren.)
Gut möglich also, dass Thiago auch bei dieser Gruppe berechtigterweise von einer nicht feindlichen Einstellung ausging. Nur hatte ich anhand der vorherigen Gruppen ein Profil hiesiger nicht feindlicher Annäherungen/Interaktionen entwickeln können, und dem entsprach diese Gruppe nicht.
Auf mich hört ja nie jemand, Scheiße nochmal.
Führung PZ und die Leute an Bord des blöden Boots waren außerdem besser angezogen als die anderen Menschen bisher; ihre Kleidung wirkte vielleicht nicht sauberer, aber weniger alt. Einen planetaren Feed gab es nicht (blöder Planet), aber Blödboot besaß seinen eigenen rudimentären Feed, der von Spielen und Pornografie wimmelte, dem es jedoch an allem fehlte, was bei einer Sicherheitsbewertung hilfreich gewesen wäre, etwa wer diese Leute waren und was sie wollten. Selbst die individuellen Feedsignaturen der Menschen enthielten nur Infos über sexuelle Verfügbarkeit und Geschlechtsausdruck, was mir am Arsch vorbeiging.
Ich schlüpfte in einen verdreckten Metallkorridor, dann trat ein Mensch aus dem nächsten Durchgang. Ich entwaffnete ihn und knallte ihm den Kopf auf den Boden.
Die Tür zum nächsten Raum war geschlossen, aber eine meiner Drohnen war vorhin auf dem Dach gelandet, hatte sich an ein Fenster geschlichen und mir einige gute Scan- und Videodaten geliefert. Das war durchaus entscheidend, denn dieser Raum enthielt das Kontrollpult für die große bootsprengende Projektilwaffe, die gerade auf unsere Anlage zielte.
Dem Bild der Drohne zufolge saß in der Waffenstation ein kleiner Mensch, dessen Aufmerksamkeit auf einen primitiven kamerabasierten Zielbildschirm gerichtet war. Drei große, allesamt bewaffnete Menschen fläzten sich auf ramponierten Stühlen an Stationen mit fehlender, mangelhaft improvisierter oder veralteter Technik. Sie sahen Thiago und Führung PZ auf dem Bildschirm zu und unterhielten sich, blablablub, einfach ein stinknormaler Arbeitstag.
Bei dem Raum handelte es sich um einen bauchigen Aufbau auf der rechten Bugseite, der mit Metall verstärkt war, um die große Waffe zu schützen und zu stützen. Die sechs Feinde beim Bug, die ihre Projektilwaffen beiläufig auf die Beobachtungsplattform der Anlage gerichtet hielten, waren weit genug weg, um nichts davon zu hören, solange ich leise vorging. Also knallte ich beim Reingehen nicht mit der Tür, nachdem ich das Schloss aufgebrochen hatte.
Ich traf Ziel eins an der Waffenstation mit einem Energiepuls aus meinem linken Arm und boxte Ziel zwei in die Kehle. Während die anderen aufsprangen, drehte ich mich um und zerschmetterte Ziel drei die Kniescheibe, schlug Ziel vier die Waffe beiseite und brach ihm das Schlüsselbein. Ich hatte mir von HabSys bereits den einzigen Satz übersetzen lassen, den ich brauchen würde, und sagte: »Ein Laut, und alle sind tot.«
Z1 brach bewusstlos über der Waffenstation zusammen, die Wunde dampfte in der feuchten Luft. Die anderen drei blieben wimmernd und gurgelnd an Deck liegen.
Einer der Feinde draußen hatte sich umgesehen, aber nicht die Position verändert. Thiago, der sich überraschend gut aufs Zeitschinden verstand, war der Frage ausgewichen, ob die anderen Mitglieder des Forschungsteams auch noch raus aufs Beobachtungsdeck kamen, was Führung PZ nur recht gewesen wäre, weil sich möglicherweise ihre Entführung lohnte. Im Moment listete Thiago unsere sämtlichen Vorräte auf und tat so, als käme er mit den Übersetzungsvorschlägen von HabSys nicht zurecht. (Ich wusste, dass er nur so tat; er war unter anderem Experte für Sprachen.) Laut Drohnenbild hatte Führung PZ seinen Spaß daran, Thiago schwitzen zu sehen, wobei Thiago das möglicherweise bemerkt hatte und es extra betonte. Er war ziemlich clever.
Okay, na gut, zugegeben, es ärgerte mich schon ein bisschen, dass Thiago mir nicht traute.
(Mensah und er hatten sich neulich auf Preservation Station über mich unterhalten, während Arada diese Erkundung plante. Abschrift:
Thiago: »Schon klar, ich bin hier in der Minderheit, trotzdem hege ich ernsthafte Bedenken.«
Mensah: »Arada leitet diese Erkundung, und sie will SecUnit. Und ganz ehrlich, wenn sie nicht die Security übernimmt, dann ziehe ich meine Erlaubnis zurück, dass Amena mitkommen darf.«
(Amena ist eines von Mensahs Kindern, und jawohl, sie befindet sich gerade in unserer Anlage. Kein Druck!)
Thiago: »So sehr vertraust du der Einheit?«
Mensah: »Mit meinem Leben, buchstäblich. Ich weiß, was sie tun wird, um Arada und dich und den Rest des Teams zu schützen. Sie hat natürlich ihre Schwächen. Zum Beispiel belauscht sie uns bestimmt gerade. Belauschst du uns, SecUnit?«
Ich, über Feed: Was? Nein.
Den Rest hatte ich nicht mehr mitbekommen. Weil es besser gewesen war, den Sprechfunkanschluss des Zimmers nicht länger anzuzapfen und mich zu verkrümeln.)
Z2 flüsterte etwas, das HabSys mit »Was bist du?« übertrug.
Ich sagte: »Ich bin ein Mund-halten-oder-es-gibt-Schädelbruch.«
Also hatte ich zwei Sätze gebraucht.
Ich musste da raus, weil Führung Ziele sich inzwischen auf Thiago zubewegte und das Vermeiden einer Geisellage wichtig für den vorläufigen Ablaufplan zur Herbeiführung einer erfolgreichen Lösung war, die mein Risikoabschätzungsmodul geliefert hatte. (In Firmenbegriffen ist das ein APHEL, was ein schreckliches Anagramm ergibt.) (Ich meine kein Anagramm, ich meine dieses andere Dingsda.)
Thiago wich zurück und sagte: »Das wollen Sie nicht. Das wollen Sie wirklich nicht.«
Tja, abhauen konnten sie jetzt nicht mehr.
Ich trat vor die Außenluke und schickte meine Drohnen auf Position. Zwei Feinde besaßen Helme und Körperpanzer, einer trug einen Helm, aber ohne Gesichtsschutz. Ich schlug auf den Schalter für die Luke und gab den Befehl.
(Obwohl die stinkblöden Feinde selbst schuld waren, weil sie uns angriffen, änderte ich die Anweisungen für die Drohnen in der letzten Sekunde von tödlichen Kopf- oder Gesichtstreffern zu verwundenden Treffern an Händen und Armen. Der Gedanke an Aradas traurige Miene bereitete mir zu viel Unbehagen.)
Die blöde Luke (ich hasste dieses Boot) war langsam, und bis sie aufging, hatten sich alle sechs Ziele zu mir umgedreht. Meine Drohnen schlugen genau in dem Moment zu, als ich aufs Deck hechtete. Einem Ziel verpasste ich einen Energiestoß aus dem rechten Arm, dem zweiten brach ich die Kniescheibe, zwei gingen unter Drohnenangriffen zu Boden, und das letzte torkelte noch herum, löste beim Krampfen seine Waffe aus und schoss mir mitten in die Brust. Scheiße.
Führung Ziele hatte Thiago inzwischen am Arm gepackt und richtete die Waffe auf seinen Kopf.
Ich opferte sechs weitere Drohnen und verwandelte die ringsum verstreuten Waffen in nutzlose Metallklumpen, dann drückte ich mich in den Stand hoch und ging die Einstiegsrampe hinauf zu unserer Beobachtungsplattform. Ich sagte: »Lassen Sie ihn gehen.« Mir war definitiv nicht nach Verhandeln. Dafür habe ich irgendwo im Archiv ein Modul. Hat mir noch nie weitergeholfen.
In den Augen von Führung Ziele war viel Weißes zu sehen, und er zeigte diverse Anzeichen von Stress. Thiago ebenfalls. Drohnenbild zeigte mir, wie ich aussah: Wasser troff meine Kleidung runter, die Jacke mit dem Logo von Preservation wies Schusslöcher auf und war mit Flüssigkeit und ein bisschen Blut besudelt.
Ich umrundete die beiden, als wollte ich zur Luke. Führung Ziele zerrte Thiago herum, damit er frontal zu mir blieb, und rief: »Stehen bleiben! Oder ich töte ihn!«
Es stimmte, ich hatte ihn zur Vorbereitung eines Schusses in Bewegung bringen wollen. Er war mit der Beobachtungskuppel im Rücken stehen geblieben, kein guter Winkel für mich.
»Sie kommen hier immer noch raus«, schnaufte Thiago. »Gehen wir einfach. Sie können mich als Geisel nehmen …«
Ja, klar, so kommen wir weiter. Ich sagte: »Keine Geiseln.«
»Was ist das für ein Ding?«, fragte Führung Ziele. »Was bist du? Bist du ein Bot?«
Thiago erklärte: »Das ist eine Sicherheitseinheit. Ein Bot-Mensch-Konstrukt.«
Führung Ziele glaubte ihm augenscheinlich nicht. »Wieso sieht es dann aus wie ein Individuum?«
Ich sagte: »Das frage ich mich auch manchmal.«
Über Funklautsprecher sagte Dr. Ratthi: »Es ist ein Individuum!« Im Hintergrund hörte ich Overse flüstern: »Ratthi, weg vom Mikro!«
Während das so weiterging, begab ich mich im Videoarchiv auf Schnellsuche und zog mir eine Folge von Tapfer und standhaft rein. Die Serie ist gar nicht schlecht, nur diese Folge ist grottig, da werden die Figuren von bösen SecUnits angegriffen. (Das ist irgendwie das Gegenteil eines Oxymorons, denn in den Medien gibt es so etwas wie eine nicht böse SecUnit nicht.) (Gibt es ein Wort für das Gegenteil eines Oxymorons?) Ich schnappte mir die Drei-Minuten-Sequenz, wo die SecUnits die Basis stürmen und die hilflosen Geflüchteten abschlachten. Ich lud sie in Blödboots Pornofeed und stellte sie auf Endlosschleife.
Ich bin schnell, darum war ich damit fertig, als Führung Ziele Thiago schüttelte und sagte: »Sag, dass es sich zurückziehen soll.«
Thiago gab ein Geräusch von sich, das verdächtig nach einem spöttischen Schnauben klang. »Schön wär’s! Es hört nicht auf mich.«
Ab und zu schon, Thiago.
»Wem gehorcht es da …« Führung Ziele verfolgte das klugerweise nicht weiter. »Hören Sie, wer immer dieses Ding steuert, ich nehme ihn hier mit aufs Schiff …«
»Ich habe Ihren Motor geschrottet«, sagte ich. Hätte ich wirklich tun sollen. Na, nun war es zu spät.
Führung Ziele zerrte stinksauer an Thiago, und Thiago stolperte und neigte sich von ihm weg. Und im Oberarm von Führung Ziele blühte ein Loch auf, in dem schmalen Streifen Kleidung und Haut, der zwischen den schlecht sitzenden Panzerteilen entblößt war.
Ich sprang nach vorn, packte Thiago, schleuderte ihn beiseite und entriss Führung Ziele die Projektilwaffe. Ich boxte ihn mit dem Schaft leicht in Bauch und Brust, und er fiel aufs Deck.
Arada trat aus der Luke, die Projektilwaffe umsichtig nach unten gerichtet, obwohl mein Scan zeigte, dass sie sie schon gesichert hatte. Sie fragte: »Alles in Ordnung mit euch? Thiago? SecUnit?«
Ich sagte vorhin, dass ich einen Schuss hatte vorbereiten wollen; ich habe nicht gesagt, für wen.
Arada hatte nach der ganzen GrayCris-Geschichte einen Kursus in Waffengebrauch absolviert. Ich schätze, wenn dich eine Mörderbande um einen Planeten hetzt, um durch deine Ermordung weitere Forschungen zu verhindern, dann neigst du zu erhöhter Vorsicht, selbst als hoffnungslose Optimistin.
Über Feed sagte ich: Dr. Thiago, Dr. Arada, gehen Sie rein. Ich packte Führung Ziele und warf ihn aufs Deck seines Boots, wo die anderen Ziele herumkrochen und versuchten, zu ihrer Luke zu gelangen. Meine Scanner fingen einen Stromstoß im Waffensystem des Bootes auf. Das geschah ohne ausreichend Zeit, das feindliche Schiff zu räumen. Über Funk sagte ich: »Overse, jetzt wäre gut.«
Während all dieser Geschehnisse hatten Overse und die anderen unsere Anlage für den Start vorbereitet. Unter meinen Stiefeln rumpelte und vibrierte das Deck, und unsere Außenstützen hoben sich aus dem Wasser und ließen Wellen gegen das Boot krachen, während wir aufstiegen.
Vermutlich hatten die Angreifer gar nicht begriffen, dass die Anlage mobil war. Die Wucht des verdrängten Wassers, als unser Antrieb loslegte, schob das Boot beiseite, und die Angreifer verloren uns aus der Zielautomatik.
Unsere Außenstützen falteten sich ein, und wir entfernten uns weiter von der Oberfläche. Die Funklautsprecher verbreiteten Sirenengeheul und einen übersetzten Warnhinweis zum sicheren Mindestabstand, und die Angreifer nahmen uns das Ganze offenbar ab, denn ihre Maschinen beschleunigten hektisch. Ich rief meine Drohnen zurück, sie kamen herabgesaust und strömten durch die Luke. Ich folgte ihnen hinein und ließ die Luke zugleiten, als die Startprotokolle loslegten.