Eine Milieu-Halbweltgeschichte
Impressum
© 2018 Münster Verlag GmbH, Basel
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Satz: |
Stephan Cuber, diaphan gestaltung, Liebefeld |
Umschlagsbild: |
Foto von Matias Muina, Heiniger AG in Buchs (SG); verfremdet durch Sascha M. Campi |
Lektorat: |
Manu Gehriger, manu-script.ch |
Druck und Einband: |
CPI books GmbH, Ulm |
Verwendete Schriften: |
Adobe Garamond Pro, Suisse Sign, Economica Next |
Papier: |
Umschlag, 135g/m2, Bilderdruck glänzend, holzfrei; Inhalt, 90g/m2, Werkdruck bläulichweiss, 1,75-fach, holzfrei |
ISBN 978-3-907146-01-9
eISBN 978-3-907146-84-0
Printed in Germany
www.muensterverlag.ch
Vorwort von Rechtsanwalt Dr. Valentin Landmann
Einleitung
Die Halbweltler
Das Erwachen
Der 10. Februar 2012
Meine Kindheit
Einstieg in die Halbwelt
Die Untersuchungshaft
Selbstständigkeit und Krise
Der Oltner Gerichtsskandal
Der Kreis Cheib und das Bermudadreieck
Einstieg ins Zürcher Milieu
Bis zum Freispruch
Aus der Pöschwies zur letzten Verhandlung
Kriminelle Gesetzesarme
Einige der Skandale
1: Der sadistische Psychologe vom PPD Zürich
2: Der Kesb Aktenskandal in der JVA Pöschwies
3: Post vom Leiter des Amtes für Justizvollzug
Einige Auszüge aus der E-Mail
4: Die Einbruchsserie in der JVA Pöschwies
5: Die Zauberschlüssel
Der offene Vollzug, das Licht der Freiheit
Selbstkritik
Resümee
Anhang 1
Kurzgeschichten – Erlebnisse aus dem Milieu
Ein Stern der deinen Namen trägt
Wenn das Feuer im Alter noch brennt
Xena und Herkules
Wenn man macht, was der Chef sagt
Action à la Jean-Claude Van Damme
Wenn gut Gemeintes böse Folgen hat
Massenpanik und viel Blut
Amerikanische Gangster auf Radau
Anhang 2
Auszug der Korrespondenz an Justizdirektorin Frau Fehr vom 10. März 2017
Anhang 3
Rekurs z. Hd. Direktion bei der Justiz und des Innern vom 23. Januar 2018
Das moderne Zuchthaus
Danksagung
Begriffserklärung zum Buch:
Oberweltler: |
Durchschnittsbürger |
Halbweltler: |
Personen aus dem Milieu- und Nachtleben |
Unterweltler: |
Kriminelle Personen |
«Wenn du im Recht bist, kannst du es dir leisten,
Ruhe zu bewahren; und wenn du im Unrecht bist,
kannst du es dir nicht leisten, sie zu verlieren.»
Mahatma Ghandi
Sascha Campi ist eine grosse literarische Überraschung: Da haben wir einen Milieutyp vor uns, der wegen erheblicher Gewaltdelikte verurteilt wurde und jetzt eine mehrjährige Strafe, basierend auf Urteilen von Zürich und Solothurn, absitzt. Der übliche Fall ist, dass ein solcher Mann sehr wenig erzählt, sehr wenig sagt, oft auch recht schwierig zu verteidigen ist, da er über die Geschichte des Deliktes und die ganzen Hintergründe ganz oder teilweise stumm bleibt. Natürlich ist das Milieu nicht einfach wortlos. Es gibt auch lautstarke Erzählungen z. B. unter Kollegen in Bars, aber doch niemals gegenüber den Aussenstehenden. Die geht das Ganze doch nichts an.
Völlig anders in geradezu überraschender Offenheit Sascha Campi. Den wesentlichsten Schritt zur Offenheit macht er in seinem Buch auch damit, dass er sich nicht hinter der Anonymität eines Pseudonyms verbirgt, sondern mit seinem vollen Namen auftritt. Und Sascha Campi nennt auch alle anderen Protagonisten mit Namen. Er verbirgt nichts. Er legt alles in einer Art und Weise offen, die wahrhaft Seltenheitscharakter hat. Er nimmt keine Rücksicht und zieht vor Ereignissen und Personen keinen Vorhang der Anonymität und verkriecht sich auch nicht ins «man hat». Nein. In geradezu brutaler Form nennt er alles beim Namen.
Dabei erweist sich Sascha Campi – und das ist die zweite grosse literarische Überraschung – als hervorragender Erzähler. Seine Sprache ist klar, seine Schilderungen dicht, ohne störende Längen oder gar langweilige Stellen. So, wie in seinem Leben die Ereignisse dicht aufeinander folgten, zieht Sascha Campi den Leser in seinen Bann. Selten ist ein erzählendes, praktisch autobiographisches Buch zu finden, das in dieser Weise auf Verschleierung, Selbstbeweihräucherung und epische Längen verzichtet.
Sascha Campi verzichtet auch darauf, seine Schilderungen, die aus subjektiver Warte erfolgen, quasi zu objektivieren und zu relativieren. Er schreibt als Sascha Campi. Er schreibt genau, was er erlebt und was er empfunden hat. Er schreibt nicht, was «man» in diesen Situationen wohl empfunden hätte usw. Er ist authentisch er. Dabei klammert Sascha Campi Beurteilungen über ihn keineswegs aus. In seinen subjektiven Erzählungen sind immer wieder Zitate aus dem forensisch-psychiatrischen Gutachten von Prof. Habermeyer aufgeführt, die die betreffende Situation aus psychiatrischer Sicht würdigen. Sascha Campi handhabt diese Zitate mit einem guten Griff für die wesentlichen Stellen und auch hier ohne irgendwelche übermässigen Längen zu schaffen.
Natürlich schildert Sascha Campi sein Leben, vor allem aber seinen Weg ins Milieu, in verschiedene Milieus, seine Stellung im Milieu, seine Erlebnisse im Milieu, aber vor allem auch, wie es schlussendlich zu den verheerenden Vorfällen kam, die eine lange Freiheitsstrafe nach sich zogen. Er schildert eindringlich. Es sind Schilderungen, wie wir sie uns mitunter als Verteidiger oder wahrscheinlich als auch Richter wünschen würden, wenn jemand vor den Schranken steht, aber da ist natürlich die Zeit beschränkt. Trotzdem gehört es aus meiner Sicht gerade zur Arbeit eines gewissenhaften Verteidigers, der Frage nachzugehen, wie es zu einem Delikt kommen konnte, wie ein Delikt entstanden ist. Auch der Frage nachzugehen, wo das dünne Eis gebrochen ist. Natürlich ist das nur möglich, wenn ein Mandant die entsprechenden Informationen gibt, eine gewisse Kenntnis des Milieus vorhanden ist und der Mandant auch zu den deliktischen Abläufen steht, zumindest in wesentlichen Teilen.
Sascha Campi schildert auch seine Zeit im Gefängnis und vor allem die Begegnung mit dem Therapieapparat der Justiz. Er hat während Jahren seine Delikte aufgearbeitet und auch literarisch verarbeitet. Er ist nicht jemand, der therapeutische Gespräche verweigert. Gerade deshalb ist es für Sascha Campi auch bedrückend, sich einem forensischen Therapie- und Beurteilungsapparat gegenüber zu sehen, der aus Bedenken über mögliche Irrtümer im Zweifel praktisch immer gegen die Freiheit votiert. Solche Zwischenentscheide und einzelne verweigerte Schritte interpretiert und empfindet Sascha Campi aus seiner subjektiven Warte als gegen ihn gerichtet. Hier lässt sich aus objektiverer Warte feststellen, dass er ganz einfach einem Apparat gegenübersteht, der alles tun möchte, um ja niemanden in die Freiheit zu schicken, der noch ein Rückfallrisiko darstellen könnte. Auch hier hat sich Sascha Campi im Gespräch mit mir als völlig offen und als guter Zuhörer erwiesen.
In naher Zukunft wird Sascha Campi die letzten Schritte vor seiner Freiheit durchlaufen, Urlaube, zunächst begleitet, später ohne Begleitung, weitere Vollzugslockerungen. Und in naher Zukunft wird er sich wieder auf freier Wildbahn finden. Ich bin überzeugt, dass es dem in seinem Milieu und in seiner Umgebung vom Fuchs zum Wolf gemachten gelingen wird, den Weg als Fuchs zurück zu finden, um schliesslich wieder ein wertvolles Mitglied unserer Gesellschaft zu sein.
Zürich, im Mai 2018
Valentin Landmann
In den frühen Morgenstunden des 10. Februars 2012 ereignete sich im Zürcher Kreis 4, an der Langstrasse ein schrecklicher Verkehrsunfall. Ein junger Lenker fuhr unter Alkoholeinfluss mit seinem Chrysler M 300 in eine Gruppe von Menschen und anschliessend in die Fassade der Lambada Bar. Bei diesem schrecklichen Unfall verstarb eine Person und mehrere wurden schwer verletzt. Das Ereignis schlug mediale Grosswellen und die Titelseiten brannten bereits am selben Morgen. Ob Amokfahrt, Bandenkrieg oder Racheakt; es wurde in den Medien über alles spekuliert. Kurz darauf ergab sich, dass der Unfalllenker vorgängig in eine Auseinandersetzung mit einer Frau geriet. Er habe sie mit einer Eisenstange geschlagen, später wurde gar von Vergewaltigung gesprochen. Medial wurde ein Unmensch generiert und nach Monaten doppelte die Blickzeitung mit folgender Schlagzeile nach: «Blick weiss! Er war bereits im Kanton Solothurn straffällig, es ging um Sex!» Der Unmensch war durch ein hängiges Verfahren aus der Vergangenheit erneut bestätigt und die Meinungen waren gemacht. Auch die Fotos sprachen Bände. Man sah einen Milieu-Typen im Anzug, sah ihn mit Samba-Tänzerinnen, mit Alkohol, mit Tattoos und mit dunklen Gestalten. Der Unmensch war eindeutig zu erkennen. Das Bezirksgericht Zürich verurteilte ihn zu 15 Jahren. Gesamthaft stand er sogar mit 18 Jahren Haft da. Anfangs 2015 erschienen noch einzelne kleinere Meldungen, weit von der Titelseite entfernt: Der Todesfahrer wurde von den Vergewaltigungsvorwürfen freigesprochen. Das Obergericht rügte die Vorinstanz in einem ungewohnt hohen Mass und bezeichnete das Urteil als in keiner Weise nachvollziehbar.
Das Urteil reduzierte sich durch Freisprüche auf 7 ½ Jahre, und es entstand eine spätere Gesamtstrafe von 8 Jahren und elf Monaten. Warum änderte sich die Strafe so massiv nach unten? Wer ist dieser Mensch und was ist überhaupt geschehen?
Dieser Mensch bin ich. Mein Name ist Sascha Campi und ich habe fahrlässig einen Unfall mit schwersten Folgen verursacht, wobei eine Person starb und mehrere verletzt wurden. Ich habe eine Frau geschlagen; um genau zu sein, in meinem Leben zwei. Beide mal stand ich vor Gericht. Doch wie kam es dazu? Wer steckt hinter dem medial generierten Unmenschen und was waren die Umstände und Ursachen, welche zur Tat führten? Durch verschiedene Medien wurde ich vom Fuchs zum Wolf stilisiert. Zudem wurde ich beinahe zu insgesamt 18 Jahren fehlverurteilt. Bis heute kennen nur wenige Menschen das Geschehene und mich. Auch die Opfer des Unfalls und die Angehörigen des Verstorbenen kennen weder mich, mein Wesen, mein Leben oder die genauen Umstände des Hergangs. Dies möchte ich ändern.
Dies ist meine Geschichte.
Die meisten Menschen leben in der sogenannten Oberwelt, was man auch gerne scherzhaft als 0815 Leben bezeichnet, in welchem man seinen festen Strukturen und Gewohnheiten folgt, welche stets auf die allbekannte, aber auch utopische Perfektion ausgerichtet ist. Man absolviert eine Ausbildung, sucht sich eine feste Arbeitsstelle und bildet sich nach Möglichkeit weiter um aufzusteigen. Auch im Familienleben stellt sich ein Grossteil der Oberweltler ihren Wecker, respektive ihre innere tickende Uhr. Sie wissen meist schon genau, in welchem Lebensabschnitt der Nachwuchs ins Leben treten soll. Im Gegensatz zu dieser Art des Lebens gibt es noch eine andere Sorte von Erdenbürgern; die Halbweltler. Hierbei handelt es sich um Menschen, die teil- oder vollzeitig im Nachtleben, sprich im Milieu tätig sind. Es sind Menschen, die meist nie oder eher selten in ihrer Branche eine Ausbildung genossen haben und die auch nicht über den Businessplan eines 0815 Lebens verfügen. Es sind Menschen, die meist in den Tag hineinleben und ihre Ziele oft variieren lassen. Im Gegensatz zu den Oberweltlern suchen sie den Kick, das Abenteuer, die Auffälligkeit und geniessen das Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit. Klar treffen nicht alle diese Punkte auf jeden Halbweltler zu, doch sind dies die oftmals in der Bevölkerung gängigen Klischees, mit denen man die Nachtmenschen beschreibt. Jeder Mensch entscheidet selbst, zu wem er gehören möchte, erkennt selbst, was ihm liegt und wo er sich sicher und geborgen fühlt. Jetzt wird der eine oder andere kritische Leser nicht ganz einverstanden sein und sofort an Zwangsprostitution oder Ausnutzung denken, doch dies sind Randthemen und Seltenheiten, genau wie die Manager- und Bankenskandale in der Oberwelt. Fakt ist jedoch, dass ein jeder die Wahl hat, zumindest hier in unserer Heimat der Schweiz, wie auch in unseren Nachbarstaaten. Jede Prostituierte könnte jederzeit ihren Beruf an den Nagel hängen und beispielsweise als Reinigungskraft arbeiten, müsste dabei allerdings einen verminderten Verdienst in Kauf nehmen. Aber auch dies liesse sich später wieder ausgleichen, zum Beispiel in der Selbstständigkeit mit eigenem Reinigungsunternehmen. Man muss dafür Kapital aufbringen, man muss sparen, muss lange unten durch, doch die Möglichkeit ist real. Schlussendlich ist alles eine Frage des Willens, der Zielsetzung und vor allem der Ausdauer. Auch einem Mann, der als Hilfsarbeiter auf dem Bau arbeitet, bleiben viele Chancen nicht vorenthalten. Zugegeben, dass er als Chef einer Grossbank endet, ist eher unwahrscheinlich, jedoch gäbe es auch hier genug realitätsnahe Ziele, die ihm zur Verfügung stehen. So kann auch er sparen, Investoren suchen, eine Zeit lang unten durch und schlussendlich ein Kleinunternehmen gründen. Rentiert es dann und ist erst einmal Kapital vorhanden, so kann er auch ungeniert den Sprung in eine neue Branche wagen, eine neue Herausforderung in Angriff nehmen. Oft gibt es daher auch Menschen, welche die eine Welt als Sprungbrett für die andere gebrauchen. Zum Beispiel eine Frau, die in der Oberwelt als Putzfrau arbeitet, sich Ersparnisse zulegt und anschliessend in der Halbwelt eine Bar oder ein Etablissement eröffnet. Oder ein Mann, der als Security arbeitet, sich Ersparnisse zulegt und damit eine Reinigungsfirma gründet. Die Sprungbretter können in eine Parallelwelt führen. Jedoch ist dies eher selten der Fall, da man oft in seiner gewohnten Welt bleibt. Fakt ist zudem, ob in der 0815er Welt oder im Nachtleben, es bleibt beiden Bewohnern der Welten nichts vorenthalten. Ein klarer Unterschied gibt es allerdings zwischen den Welten: die Geschwindigkeit um das Mögliche zu erreichen. So ist das schnelle Geld im Nachtleben simpler zu machen, zumal auch die Möglichkeiten zu nicht versteuertem Einkommen grösser sind als in der Oberwelt. Doch alles was schnell gehen soll, hat meist nur geringe Chancen und dementsprechend ist auch die Wahrscheinlichkeit eines geschäftlichen Untergangs, sprich einer Insolvenz, schneller und öfters erreicht, als sich manch einer je denken könnte. Daher ist es oft besser, sich auch in der Halbwelt Zeit zu lassen, wofür das altbewährte Sprichwort passt: Gut Ding will Weile haben. Oft gibt es aber auch Menschen, welche sich nicht durch Insolvenz oder Misserfolge zu einem Weltenwechsel entscheiden, sondern durch alters- oder familienbedingte Gründe. Zum Beispiel ein Türsteher, der frisch Vater wurde und sich aus finanzieller und physischer Sicherheit für einen Job auf dem Bau entscheidet. Oft ist auch die Zeit ein Faktor, so könnte der Türsteher auch zeitlich bedingt, einen Wechsel tätigen, da er so die Abende gemeinsam mit seinen Kindern verbringen kann. Gerade bei Frauen ist die Zeit oft der Hauptgrund für einen Sprung in die Parallelwelt. Es gibt viele junge Mütter, die ihren Job als Lebensmittelverkäuferin aufgeben, sich als Barmaid bewerben, um den Tag mit ihrem Kleinkind verbringen zu können. Wird das Kind älter, kann auch oft ein Retourwechsel erfolgen. Sobald das Kind zur Schule geht und am Tag nicht zu Hause ist, wird oft die Option des erneuten Verkaufsjobs in Erwägung gezogen. Somit gibt es nicht nur definitive Sprünge in eine Welt, sondern auch zeitliche Weltenwechsler. Was allerdings eine Seltenheit ist, sind Menschen, die über eine längere Zeit oder gar stetig, in beiden Welten gleichzeitig tätig sind. Hier finde ich den Ankerpunkt, den Anfangspunkt für meine Geschichte, denn genau dieses Leben führte ich. Ich führte ein Leben in zwei Welten.
In der Oberwelt habe ich fünf Jahre lang im Aussendienst für renommierte Medienkonzerne der Schweiz gearbeitet, wo ich für den Inserateverkauf aber auch für Crossmedia-Verkäufe, sprich Radio- und Fernsehwerbung unterwegs war. Zudem trug ich längere Zeit die Verantwortung für den Immo-Tipp, ein Immobilien Beilagen Magazin der Neuen Oltner Zeitung. Durch meine Arbeit in der Oberwelt lernte ich immer wieder interessante Persönlichkeiten kennen und durfte unter anderem Prominente wie Christoph Blocher oder den Mundartrocker Gölä interviewen. In der Halbwelt war ich eine kurze Zeit als Türsteher tätig, danach als Geschäftsführer, zwischendurch besass ich gar ein eigenes Lokal, die Latino Bar Royale, mit dem ich mich deftig übernommen habe. Später habe ich wieder als Geschäftsführer eines Nachtbetriebs an der Langstrasse im Kreis 4 gearbeitet. Am 10. Februar 2012 ereignete sich in der Halbwelt ein dramatisches Ereignis, wobei ich infolge der medialen Spekulationen in den Augen der Bevölkerung, der Journalisten und der Justiz zu einem Unmenschen mutierte, was das Volk erboste, die Richter unter Druck setzte, die Verblendung ermöglichte und dem Desaster den Weg ebnete. Mein Wesen als Halbweltler wurde verzerrt, willkürlich falsch dargestellt und medial ausgeschlachtet, während man mein Leben in der Oberwelt parallel dazu beinahe komplett ausblendete. Ich wurde als Krimineller und Unmensch dargestellt und aus dem Menschen Sascha Michael Campi, der in der Oberwelt jahrelang seinen Verpflichtungen nachkam, wurde in den Verfahrensakten und Medienberichten so gut wie nur noch ein Halbweltler, ein Milieu-Mensch, zwischenzeitlich wurde ich gar als Todesfahrer, Amok-Fahrer, Vergewaltiger, Bandenmitglied und Milieugrösse bezeichnet.
Es war in den frühen Morgenstunden des 10. Februars im Jahre 2012, als ich unter Schmerzen die Augen öffnete und vor mir eine zertrümmerte Frontscheibe meines Chryslers M300 wahrnahm. Ich versuchte zu realisieren, was geschehen war. Ein Piepsgeräusch war in meinem Ohr, viele Stimmen um mich herum. Mein Kopf tat weh, mein Gesicht brannte und das Piepsgeräusch störte. Meine Augenlider schienen tonnenschwer und meine Sinne in Trance. Etwas berührte meine Haut. Ich spürte zwei kalte Finger an meinem Hals.
«Er lebt», sagte eine Stimme, worauf die zweite Stimme meinte: «Schade für ihn», was ich in diesem Moment nicht einordnen konnte.
Mir wurde wieder schwarz vor Augen und ich war weg. Als ich erneut die Augen öffnete, sah ich ein Licht. «Wo bin ich?», fragte ich mich. Die Erde schien zu beben. Ich versuchte mich zu bewegen, doch vergeblich. Ich versuchte zu atmen, es fiel mir schwer, denn etwas drückte auf meinen Hals. Ich realisierte, dass ich in einem Krankenwagen lag und angebunden war. Ich realisierte auch eine Halskrause an meinem Hals. Das einzige was ich nicht realisierte, war, was geschehen ist?
«Wie komme ich hierher? Was ist passiert? Wo bin ich?», flüsterte ich.
Da beugten sich zwei Personen über mich, es schienen Rettungssanitäter zu sein.
«Versuchen Sie ruhig zu bleiben, wir sind gleich im Spital», versuchte man mich zu beruhigen.
«Ich kann nicht atmen», beschwerte ich mich vergebens.
Es gab einen Ruck, der Notfallwagen kam zum Stillstand. Meine Bahre wurde angehoben und auf den Boden gestellt. Die Bahre kam in Bewegung. Ich versuchte mich zu drehen, aber ich bewegte mich keinen Millimeter.
«Bin ich gelähmt?», fragte ich mich innerlich.
Mein Herz raste, die Panik vergrösserte sich bei jedem Pulsschlag. Ich sah Lichter, viele Lichter über meinem Kopf. Es schien ein langer Gang zu sein, durch den man mich schob. Eine Lampe nach der anderen sauste über meinem Kopf vorbei. Mein Gesicht schmerzte. Ich schloss die Augen.
«Herr Campi, sie werden nun geröntgt», hörte ich nach einer Weile eine neue Stimme sagen.
Ich wurde in eine Röntgenröhre geschoben und es wurde dunkel. Ich solle die Augen schliessen, wies man mich an und ich gehorchte. Durch meine Augenlider erkannte ich Licht. Meine Augen blieben verschlossen. Plötzlich verspürte ich Dunkelheit. Eine grosse Kälte überkam mich. Die Bahre bewegte sich erneut und es wurde wieder hell. Ich öffnete meine Augen und erkannte, wie eine Krankenschwester den Atemerschwerer, diese Halskrause zu entfernen begann. Das Ding war weg und ich konnte endlich wieder problemlos atmen. Es standen einige Ärzte vor mir.
«Was ist passiert?», fragte ich erneut.
Man teilte mir mit, ich hätte einen schweren Autounfall gehabt. Ich versuchte zu realisieren, was passiert ist, doch die Menschen machten mich nervös. Es kamen immer mehr Leute in den Raum, in dem ich mich befand.
«Aufstehen und ausziehen», wies man mich an.
Ich erhob mich langsam. Mein Gesicht schmerzte, das Piepsgeräusch im Ohr störte und mein Arm schien schwer. Ich sah Blut auf der Haut meines Arms und entdeckte einen grossen blauen Fleck auf meinem Unterarm. Ich schaute geradeaus und sah mich umzingelt von vielen Menschen. Zehn würde ich heute im Nachhinein schätzen, davon einige in Weiss und einige in normaler Kleidung. Ich zog mich vor den Leuten aus, wobei ich akribisch beobachtet wurde. Man schmiss mir eine Unterhose, eine Trainerhose und ein weisses T-Shirt hin.
«Anziehen!», wurde ich angewiesen, was ich umgehend tat.
«Umdrehen!», war die nächste Anweisung, die ich befolgte.
«Arme nach hinten!», ich folgte.
Ein metallenes Geräusch erklang und meine Hände waren am Rücken fixiert.
«Sie sind verhaftet», sagte ein Mann in Begleitung eines anderen Herrn.
«Ich bin was? Weshalb? Was ist passiert?»
Meine Fragen blieben unbeantwortet, und ich wurde von den beiden Männern durch einen Gang geführt. Sie erklärten mir, dass sie Polizisten seien und dass ich verhaftet sei. Ich könne über das Geschehene sprechen, doch könne dies vor Gericht gegen mich verwendet werden. Mein Herz pochte, meine Gedanken rotierten, mein Körper schmerzte und die Angst eroberte meinen Körper. Ich versuchte mich zu erinnern. Die Erinnerungen kamen langsam. Ich erinnerte mich an meine Nacht an der Langstrasse in Zürich, an die Auseinandersetzung mit einer Prostituierten. Es ging um Geld. Ich erinnerte mich, ins Auto gestiegen zu sein und wie ich abfuhr, wie ich telefonieren wollte, aber was war danach? Ich erinnerte mich an die defekte Frontscheibe. Nun hiess es: «Einsteigen!», wodurch ich beim Erinnern gestoppt wurde. Die beiden Zivilpolizisten wiesen mich an, auf dem Hintersitz eines Kombis, einem zivilen Polizeiauto Platz zu nehmen. Ich gehorchte. Die Türe schloss sich und die beiden Männer fuhren mit mir los. Ich studierte kurz die beiden Zivilpolizisten. Der Jüngere war schlank und sportlich. Er wirkte streng und sehr unter Druck. Der Ältere war etwas korpulenter. Er schien der Nettere und der Erfahrenere zu sein. Ein Blick auf meine Füsse. Sie waren nackt. Vom Weg zum Auto durchnässt und durch den Boden aufgekratzt. Ich sah zum Fenster hinaus. Es war Tag. Es schneite stark und die Kälte überkam meinen Körper.
«Kann ich Schuhe haben?», fragte ich nach, aber angeblich waren nirgends welche vorhanden.
Der ältere Polizist schaltete das Radio ein. Der Jüngere schaltete es sofort wieder aus.
«Besser nicht – wegen den Nachrichten», begründete er dem anderen seine Handlung.
Warum sagte er das? Das beschäftigte mich nun zusätzlich, nebst der Frage was passiert war. Das Fahrzeug kam zum Stillstand und ich wurde aus dem Wagen geholt. Die beiden Polizisten führten mich zu einem grossen Gebäude. Der Weg war mit Kieselsteinen und Schnee bedeckt. Jeder Schritt tat mir weh, die Schnitte an meinen Füssen wurden grösser. Im Gebäude eingetreten, stiegen wir eine Treppe hinauf, wo uns eine blonde Ärztin entgegenkam.
«Werde ich untersucht?», fragte ich nach.
Der Schlankere der beiden Zivilpolizisten schien genervt, sein Blick war passiv, dann erwiderte der ältere festere:
«Ja auf Spuren.»
«Ausziehen!», wurde mir erneut befohlen.
«Vor ihnen und der Frau?», hakte ich verwirrt nach.
Es folgte ein strenges «Ja!», worauf ich gehorchte.
Da stand ich nun nackt vor den zwei Polizisten. Die Ärztin kam mit Wattebäuschchen in der Hand auf mich zu und fing an meinen Körper damit abzustreichen. Sie griff zu einem Protokoll und begann meinen Körper zu dokumentieren. Sie hielt sämtliches an meinem Körper anschliessend mit Fotos fest. Ein Handy summte. Der schmale Polizist schien eine SMS zu erhalten. Es schien keine gute Nachricht zu sein, denn sein Blick war lesbar. Er schüttelte seinen Kopf und stupste seinen Kollegen.
«Schau dir das an», raunte er.
Danach folgte ein strenger Blick zu mir. Ein erneutes Kopfschütteln folgte. Der Ältere versuchte seinen Kollegen zu beruhigen. Die Prozedur schien ein Ende zu nehmen und man bedeutete mir, mich wieder anzukleiden. Ich erkundigte mich erneut nach Schuhen, allerdings vergebens. Man legte mir die Handschellen wieder an und steckte meine Füsse in zwei Plastiksäckchen, was wohl der Schuhersatz zu sein schien. Wir verliessen das Gebäude und kamen wieder zum zivilen Streifenwagen. Ich nahm erneut Platz. Meine Füsse schmerzten. Durch die Plastiksäcke, in denen sich nun Wasser und Schnee sammelten, war mir noch kälter als zuvor. Der Wagen kam in Gang und die Polizisten waren still.
«Kann ich ihnen erzählen was passiert ist?», fragte ich.
«Wenn Sie wollen», antwortete der Polizist.
Ich erwähnte eine Auseinandersetzung mit einer Prostituierten, wie ich danach wegfahren wollte, es schwarz wurde und ich als nächstes eine zertrümmerte Frontscheibe vor Augen hatte. Ich solle nicht zu viel reden, wies man mich an und ich stellte mein Reden ein. Wir kamen auf ein Areal gefahren. Der Wagen hielt vor einem riesigen Gebäude. Ich wurde in einen Raum geführt wo man mir Fingerabdrücke abnahm und meine Daten festhielt. Es folgte eine kurze polizeiliche Befragung. Kurz darauf landete ich in einer kleinen Zelle, wo mir der ältere Polizist ein Sandwich, etwas zu Trinken und Turnschuhe brachte. Ich zog mir die Schuhe an und ass mein Sandwich. Beim Kauen tat mir alles weh, doch ich hatte Hunger. Meine Gedanken rotierten. Was ist passiert? Was geschieht nun? Wie geht es weiter? Nach einer halben Stunde, die mir wie eine Ewigkeit erschien, wurde ich abgeholt und erneut in eine Zelle gebracht, eine noch kleinere als die zuvor. Vor der Zelle war ein riesiges Büro mit vielen Computern und Menschen. Als ich mit den Polizisten da durch ging, waren sämtliche Blicke auf mich gerichtet. Es schien die Polizeiwache zu sein. Man fragte mich, ob ich einen Anwalt wünsche, was ich bejahte. Ich nannte den Namen eines mir bekannten Anwalts, worauf man mir nach kurzem mitteilte, dass dieser in Urlaub sei und man mir daher einen anderen bestellt hätte. Da sass ich nun in der kleinen Zelle. Alles tat mir weh und die Angst liess mein Herz seit Stunden nicht ruhig schlagen. Wofür brauche ich ein Anwalt? Was ist geschehen? Ich will zu meiner Familie. All diese Fragen besetzten meinen Kopf. Tränen schossen über meine Wangen und ich begann zu weinen. Ich versuchte mich zu beruhigen jedoch vergebens. Die Zeit schien still zu stehen. Nach einer Ewigkeit öffnete sich die Tür.
«Ihr Anwalt ist hier», teilte mir eine Stimme mit und ein Mann im Anzug betrat den kleinen Raum, worauf sich die Türe wieder schloss.
«Mein Name ist Marcus Saxe, ich wurde ihnen als Pflichtverteidiger zugewiesen», erklärte der Fremde, gab mir die Hand und streckte mir anschliessend die Tageszeitung 20 Minuten, mit der Titelseite gegen mich gerichtet, vor mein Gesicht.
Amokfahrer an der Langstrasse, so in ungefähr nahm ich die Zeile von der Titelseite beiläufig auf.
«Ich möchte nichts zu lesen danke», erwiderte ich und wischte mir die Tränen aus den Augen.
Es ginge nicht darum, mir etwas zum Lesen zu geben, sondern es würde hierbei um mich gehen, um meinen Fall, erklärte der Anwalt.
«Sie haben einen Menschen getötet und andere Personen schwer verletzt, ihnen steht nun einiges bevor.»
Mein Atem stand für einen Moment still, sogar die Schmerzen schienen kurz inne zu halten. Einzig meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich fing an zu weinen.
«Haben Sie absichtlich jemand getötet und die Leute verletzt?», fragte Herr Saxe langsam.
«Sicher nicht! Ich weiss selber noch nicht einmal was genau passiert ist. Ich hatte eine Auseinandersetzung, fuhr davon und erwachte danach vor einer defekten Frontscheibe.»
Ich wischte mir die Tränen aus den Augen. Die alten wurden durch neue abgelöst.
«Was geht hier vor sich? Wieso fragen Sie mich so etwas?», erkundigte ich mich.
Marcus Saxe teilte mir mit, dass die Medien voll mit Spekulationen seien und man mich als Amokfahrer hinstelle, der absichtlich Menschen verletzt und eine Person getötet habe. Was das für ein Gefühl ist, kann man kaum beschreiben, man fühlt sich, als wäre man in der Hölle erwacht, in einer Art Paralleluniversum, wo sich die Welt gegen einen gerichtet hat. «Ein Mensch ist tot, mehrere verletzt.» Dieser Satz rotierte in meinem Kopf und lähmte meinen Körper. Meinen Kopf besetzten per sofort zusätzliche Fragen. Wer ist der Verstorbene? Wer sind die Verletzten? Wie kam es dazu? Der Anwalt orientierte mich. Ich würde zuerst von der Polizei und in den kommenden Tagen von einem Staatsanwalt vernommen, wobei ich mich nun bei der ersten Einvernahme mit Reden zurückhalten solle, bis sich meine Gedanken geordnet und ich vor allem Schlaf und Ruhe hinter mir hätte. Kurz nach diesen Anweisungen erfolgte eine erste polizeiliche Einvernahme, wobei ich mit einer Hand durch Handschellen an einen Heizungsradiator gefesselt wurde. Nach der Einvernahme wurde mir mitgeteilt, ich würde nun in die Polizeikaserne gebracht, wo ich erst mal verweilen müsse, bis man die weiteren Schritte geprüft hätte. So wurde ich vom Polizeiposten abtransportiert und kam zu einem neuen Gebäude namens Kaserne. Bei der Kaserne handelt es sich um das Zürcher Polizeigefängnis, wo die Straftäter kurz verbleiben und anschliessend entweder wieder frei gelassen oder in ein Untersuchungsgefängnis überstellt werden. Es handelt sich dabei um ein Gebäude, das auch als Schlachthalle einer Grossmetzgerei durchgehen könnte. Ein Aufseher nahm mich in der Kaserne entgegen, drückte mir einige Zigaretten und eine Schüssel Suppe in die Hand und brachte mich in eine Zelle, in der sich bereits eine Person befand. Die Türe schloss sich hinter mir und mein Puls raste wie wild.
«Hallo», entgegnete mir der Zellenbewohner und wies mich an zu sitzen.
Ich setzte mich auf eine Art Holzbank vor einen kleinen Tisch, begrüsste mein Gegenüber und begann mich umzuschauen. Ein düsterer Raum umgab uns, spartanisch mit einem Bett und einem offenen Toilettenbereich eingerichtet.
«Kann ich eine Zigarette von dir haben?», fragte mich der Fremde.
Ich bejahte und zündete ihm eine an. Der Mann schien jung. Er war dunkelhäutig, hatte eine Brille und erinnerte vom Typ her an einen Studenten.
«Du siehst ja übel aus, wer hat dich so zugerichtet?», fragte der Mann mit prüfendem Blick.
«Was?», erkundigte ich mich nach einigen Sekunden und realisierte nicht, was er meinte.
«Schau mal selbst in den Spiegel hinter dir», doppelte der Fremde nach.
Ich erhob mich, begab mich zum Spiegel und beim Blick hinein blieb mein Puls einmal mehr kurz stehen. Meine Haare waren in alle Richtungen verteilt, mein Gesicht war mit gut hundert kleinen Rissen übersät, überall an meiner Haut waren noch Blutspuren erkennbar. Mein Unterarm war mittlerweile violett und meine Hände voller Krusten. Ich ging zurück zum Tisch und bediente mich ebenfalls einer Zigarette.
«Willst du darüber reden?», erkundigte sich der dunkelhäutige Fremde.
Nach kurzem Überlegen fing ich an zu reden. Ich kam nur etwa zu drei Sätzen, als das Gegenüber meinte:
«Ah, du bist das! Über dich höre ich schon den ganzen Tag im Radio. Sie berichteten fast den ganzen Tag von dir. Es gab eine Sondersendung von der Langstrasse. Du hast Menschen umgefahren und jemanden getötet.»
Ich war baff und die Tränen schossen erneut aus meinen Augen. Ich erklärte ihm, dass ich mittlerweile auch vom Unfall Kenntnis hätte, jedoch nicht von den genauen Details.
«Also hast Du gar niemanden absichtlich getötet und verletzt?», erkundigte er sich.
«Sicher nicht, wie kommt ihr nur alle auf so einen Mist», konterte ich und bat um etwas Ruhe.
In meinem Kopf kreisten so viele Fragen: Was ist genau passiert? Wer wurde verletzt? Wer ist gestorben? Wo ist meine Familie? Wie geht’s meiner Familie? Wie muss es den Verletzten gehen? Wie muss es der Familie des Verstorbenen gehen? Wie geht es weiter? Meine Gedanken nahmen kein Ende, dazu kam immer noch das nervende Piepsgeräusch, das mich verfolgte, was, wie ich später erfahren habe, vom Airbag stammte. Durch den Druck, welcher durch den Aufprall eines Airbags erfolgt, kann es zu tagelangen Hörproblemen kommen. Ich legte mich ins Bett und versuchte den Vorabend zu resümieren und die momentane Situation zu realisieren, aber das Denken viel mir schwer. Die Tränen drückten, alles schmerzte, trotz Müdigkeit brachte ich kein Auge zu. Ich begab mich zum Notfallgerät der Zelle und drückte. Eine Stimme erkundigte sich nach meinem Problem. «Ich benötige jemanden zum Reden, mir geht es nicht gut», erklärte ich. Man teilte mir mit, ich müsse mich gedulden, man hätte den Notfallpsychiater für mich bestellt. Ich bedankte mich mit leiser Stimme und begab mich ins Bett zurück, wo ich versuchte, den Vorabend gedanklich zu ordnen.
Es war ungefähr 16 Uhr als ich an der Langstrasse, im Zürcher Kreis 4, ankam. Ich begab mich in die Elite Bar an der Langstrasse 139, wo ich einst als Geschäftsführer tätig und jetzt wieder in einer ähnlichen Funktion beschäftigt war. Die Elite Bar, ist ein seit über 25 Jahren bestehendes Nachtlokal, im Herzen der Langstrasse gelegen, im Zürcher Milieu. Die Lokalität war in zwei Teile unterteilt. Auf der rechten Seite befand sich ein Imbiss und auf der linken Seite, im Hauptteil, die Bar mit einer kleinen Tanzfläche. Das Ambiente war nicht mehr auf dem neusten Stand, es überzeugte dafür durch sein liebevoll zusammengestelltes Inventar. Betrat man das Lokal, fühlte man sich in eine andere Welt versetzt und man konnte sich von den südamerikanischen Barmaids bedienen lassen. Der Besitzer Kadir war ein Freund, wir kannten uns schon länger. Er war in den Fünfzigern und zählt im Kreis 4 als Urgestein des Milieus. Er war ein etwas korpulenter Mann mit längeren schwarzen Haaren und einem imposanten Auftreten. In den letzten Jahren entwickelte er sich allerdings immer mehr zum Familienmensch und zog sich nach und nach etwas in den Hintergrund. Er überliess den exekutiven Teil des Geschäfts seinem Schwager und zeitweise mir. Als ich in der Elite Bar ankam, war Kadir noch nicht da. Wir telefonierten und er meinte dabei:
«Bin gleich bei dir Sascha.»