Annekatrin Puhle und Mary Tulloch
NATURGEISTER
Wahre Begegnungen mit Elfen und Zwergen
Annekatrin Puhle und Mary Tulloch
NATUR GEISTER
Wahre Begegnungen mit Elfen und Zwergen
Aquamarin Verlag
1. Auflage 2020
© Aquamarin Verlag GmbH
Voglherd 1 • D-85567 Grafing
Umschlaggestaltung: Annette Wagner
unter Verwendung von © Elena Schweitzer – Shutterstock.com und einer Zeichnung von Sulamith Wülfing
Übersetzungen ins Deutsche: Annekatrin Puhle und Mary Tulloch
ISBN 978-3-96861-034-4
Inhalt
Vorwort von Annekatrin Puhle
Carola, Österreich
Eva-Lena, Göteborg, Schweden
Eine Freundin von Eva-Lena, Göteborg, Schweden
Jane Lyzell, Ramsberg, Schweden
Marie Bendix, Schweden
Alice Quist, Stockholm, Schweden
Franziska Hofer, Steiermark, Österreich
David Luke, London, England
Serena Roney-Dougal, Glastonbury, England
Eine Yogini, Norddeutschland
Alfred Bellabene, Burgenland, Österreich
Elisabeth Johnson, Göteborg, Schweden
Berichte aus Bayern
George Macpherson, Isle of Skye, Schottland
Kim Foden, Orkney, Schottland
Ein Bericht aus Hamburg
Ein Bericht aus New South Wales, Australien
Ein Bericht aus Schottland
Mehr Berichte aus Schottland
Ein Bericht aus Göteborg, Schweden
Michaela Fetovski, Bochum
Mehr Kostproben des Zwergenhumors und Gnömel-Sprüche
Heinz, Bochum, Deutschland
Michaela Fetovski: Mehr Erfahrungen und Gedanken
Nachwort von Mary Tulloch
Vorwort
Wie auch immer wir die Natur betrachten wollen, ob wir an die grüne Natur, an die Natur im Gegensatz zum Menschen oder zur Kultur denken oder ob wir von der Natur als dem Wesen aller Dinge sprechen: Die Natur ist immer etwas Lebendiges, etwas Wesentliches und Wesenhaftes. Die Natur ist aber selbst Teil einer Schöpfung, ist eine erschaffene Natur und wird dementsprechend im Lateinischen natura naturata genannt. Gleichzeitig liegt in der Natur auch eine schöpferische, gestaltende Kraft, die immer wieder Neues schafft und das Vermögen hat, sich selbst ständig zu erneuern. Sie wird als die Mutter allen Lebens angesehen. In diesem Sinn ist die Natur also eine Natur hervorbringende Kraft, lateinisch natura naturans – die alte Philosophie.
Auch Geist und Natur sind zu einem Gegensatzpaar geworden, selbst wenn wir sagen können, dass es in der Natur des Menschen liegt, Geist zu haben oder doch zumindest neben dem Körper einen geistigen Aspekt aufzuweisen. Viel Aufhebens wurde und wird um die Natur des Menschen gemacht, ohne einen Konsensus zu finden, ohne die Frage nach der Materie des Körpers, nach der Lebensenergie, nach den mentalen Fähigkeiten endgültig zu lösen – so jedenfalls die wissenschaftliche Diskussion an westlichen Universitäten. Begriffe wie »Seele« sind vom Lehrplan längst verschwunden, und Rubriken wie bei uns »Esoterik« oder »Body, mind and soul« in englischen Buchläden legen der interessierten Leserschaft nahe, dass es nicht wissenschaftlich ist, was ihnen dort angeboten wird. Auch unser Thema »Naturgeister« hat keinen angemessenen Platz in den Buchregalen zu erwarten. Ihm haftet etwas Unfassbares, Unbegreifbares und Unwirkliches an – doch dies zu Unrecht.
Schon immer und überall auf der Welt haben Menschen Naturwesen gekannt, erlebt und deren Gegenwart erfahren. Sie hatten einen festen Platz in der Welt der Menschen, in deren Realität. Es gab sie einfach – ohne Wenn und Aber. Sie verfügten über besondere Kräfte, größer als jene der Menschen. Sie waren magisch begabt, konnten alles Mögliche bewirken, was kein Mensch zustande brachte. Sie konnten das Leben der Menschen beeinflussen, und dies konnte in alle Richtungen gehen, zum Guten wie zum Schlechten, oder nur auf alltägliche Belanglosigkeiten hinauslaufen. Das Ausmaß ihrer Macht und vor allem auch ihrer Launen war ein großer Unsicherheitsfaktor, der den Menschen Respekt einflößte. Naturgeister waren einflussreiche Wesen, die sich in der Regel im Verborgenen aufhielten, meist ganz und gar unsichtbar waren und sich nur in den seltensten Fällen einmal erblicken ließen.
Geister gibt es viele, unzählige, von jeder Erscheinungsform. Vielleicht steckt sogar ein Geist in der Maschine. In diesem Buch wollen wir uns nur denjenigen Geistern widmen, die landläufig als »Naturgeister« verstanden werden: Das können die menschenähnlichen Elementargeister sein, die mit Paracelsus den vier Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer zugeordnet werden, darunter Erdgeister wie Gnome, Kobolde, Zwerge und Bergmännchen, Wassergeister wie Wasserfrauen, Sylphen, Undinen und Nymphen, Luftwesen wie Wald- und Windgeister – heute oft Feen genannt – und Feuergeister, die Salamander. Doch noch viele andere merkwürdige Wesen und Phänomene werden mitunter als Naturwesen bezeichnet, wie geheimnisvolle schwarze Hunde, die nur dann gesehen und gehört werden, wenn jemand aus der Familie in nächster Zeit stirbt – so wird es beispielsweise in Northumberland von der jahrhundertealten Borderland-Familie Reed gesagt, wie mir ein Familienmitglied erzählte.
Die größte Gruppe der Naturgeister wird von den kleinsten Geistern gestellt, den lustig herumtollenden Kobolden, Gnomen und Zwergen. So verwundert es nur wenig, wenn wir bei unseren Recherchen in Skandinavien, Großbritannien und in den deutschsprachigen Ländern vor allem auf Geschichten mit diesen Wesen gestoßen sind. Daneben haben wir auch von Erlebnissen gehört, die in den Augen der Betroffenen indirekt auf das Treiben von unsichtbaren Wesen in der Natur hinzudeuten scheinen.
Unsere Berichterstatter bilden keineswegs eine einheitliche Gruppe, sondern wir stießen auf Jung und Alt, auf Männer und Frauen mit sehr unterschiedlichen Interessen, Berufen, Lebenseinstellungen und Glaubensrichtungen. Sie kommen aus mehreren europäischen Ländern, stammen nicht aus dem gleichen sozialen Umfeld und haben verschiedene Bildungswege hinter sich. Sie stimmen nicht einmal darin überein, wie sie ihr Erlebnis verstehen. Es ist nämlich ganz natürlich, dass die Betroffenen nach Erklärungen suchen für das Sonderbare, das ihnen widerfahren ist, und dies tun sie nach bestem Wissen und Gewissen und gründen ihre Antwort auf dem Kenntnisstand, auf dem sie sich befinden, auf dem Wissen, das sie bis zu diesem Zeitpunkt erworben haben. Manche sind überzeugt davon, dass sie mit Naturwesen Kontakt hatten, manche ziehen dies lediglich als eine von vielen Möglichkeiten in Betracht, und wieder andere können sich ihr Erlebnis überhaupt nicht erklären und stehen vor einem großen Rätsel. Selbstverständlich wollen wir allen ihre eigene Deutung oder Überzeugung lassen. Es geht uns nicht um eine Bewertung oder um das Wegdiskutieren von Erfahrungen, selbst wenn die Psychologie heute eine lange Reihe von »natürlichen« versus »übernatürlichen Erklärungen« zur Verfügung hat, wie zum Beispiel das ständige Neueditieren des Gedächtnisses; was dazu führt, dass Erlebnisse, die länger als ein paar Minuten zurückliegen, mehr und mehr an Genauigkeit verlieren, je länger sie zurückliegen. Wir alle erfinden die Vergangenheit zum großen Teil immer wieder neu. Dazu kommt die Neigung mancher zur Phantasie, die dazu verführen kann, etwas Neues, Unbekanntes eher phantasievoll zu deuten als im herkömmlichen, normalen Kontext. Wird etwas Seltsames, Außergewöhnliches zum Beispiel im Zwielicht oder in einer zweideutigen Situation erlebt, so beeinflussen diese Umstände die Wahrnehmung. So könnte etwa aus einem stattlichen aufgeplusterten Uhu im Dämmerlicht ein zottiger uriger Troll werden. Im Gegensatz dazu besteht allgemein die Tendenz, unerklärliche Erlebnisse eher zu normalisieren als sie zu mystifizieren – ein Grund, warum manche ungewöhnliche Erfahrung untergehen und in Vergessenheit geraten mag.
Wir jedenfalls möchten es jedem selbst überlassen, die Dinge einzuschätzen.
Viele schöne und spannende Erfahrungen haben leider nicht den Weg in dieses Buch gefunden, da sich die genauen Geschichten nicht mehr ermitteln ließen. Entweder handelte es sich um Berichte aus zweiter oder dritter Hand, und die unmittelbar betroffene Person ließ sich trotz vieler Versuche nicht mehr ausfindig machen, oder sie fand nicht die Zeit und Muße, das Erlebnis schriftlich festzuhalten oder uns mündlich mitzuteilen. So konnte zum Beispiel die zuständige Dame aus dem Komitee einer südschwedischen Ortschaft, das beschlossen hatte, eine alte Eiche zu fällen, nicht kontaktiert werden. Diese Dame soll noch am selben Tag Zeugin geworden sein, wie eben diese Eiche ihre sämtlichen Blätter fallen ließ, obwohl es Frühling oder Frühsommer war und die Natur sich in der Wachstumsperiode befand. Vielleicht liegt es an der heutigen visuellen Reizüberflutung, dass die Augen der Menschen manche Feinheiten in der Natur nicht mehr gut wahrnehmen können, sondern die Begegnungen mit ihnen zu Als-ob-Erfahrungen werden. So hätte sich das Naturwesen als konkrete Gestalt zu einem abstrakten Wesen im Sinne einer Wesensart oder einer Wirkkraft gewandelt, zu einer bloßen Kraft, die sich immerhin von Zeit zu Zeit bemerkbar machen kann.
Wir wollen jedoch unseren Lesern und Leserinnen nicht mit Spekulationen und Theorien den Spaß am Buch verderben oder diesen verringern, sondern ganz im Gegenteil würde es uns freuen, wenn wir mit den Geschichten und Berichten ein wenig nicht nur zum Schmunzeln, sondern vielmehr noch zum Staunen und zur Ehrfurcht vor der Natur anregen könnten, denn wer will heute schon behaupten, all ihr Wirken verstanden und ihre Geheimnisse gelüftet zu haben.
Dr. phil. Annekatrin Puhle, Göteborg, 19. August 2014
Carola, Österreich
›Abendblödsinn‹ mit Zwerg
»Lustig und spannend zugleich finde ich die Aufforderung, dir von meinem »Kindheitszwerg« zu berichten. Es bedeutet, dass ich mich zum ersten Mal ganz bewusst mit dieser Erinnerung befassen werde. Als Engelbert mir vor wenigen Tagen dein Zwergenbuch* zeigte (ich hab es noch nicht gelesen…) und dich mit den Worten zitierte, dass Menschen, die einen Zwerg haben, zu beneiden seien, spitzte ich meine Ohren. »Wusstest du, dass ich in meiner Kindheit auch einen hatte?«, war meine spontane Frage. Natürlich wusste er es nicht. Woher auch? Aber er hat offenbar keinen Tag verstreichen lassen, bis er dich darüber informierte. Nun gut, so spektakulär wird mein Bericht sicher nicht sein, aber wenn du willst, werde ich dir gerne davon berichten. Bis heute habe ich die Tatsache, dass auch ich einen Zwerg hatte, einfach in die Kiste der Kindheitsphantasien gesteckt und nicht mehr herausgelassen. Ich bin froh, dass du mich dazu veranlasst, den Kistendeckel zu öffnen. Ich habe mich spontan für die schriftliche Variante entschieden, denn sie lässt mir mehr Zeit, die treffenden Worte zu wählen, um auch die dazugehörenden Gefühle genauestens beschreiben zu können. Wahrscheinlich schreibe ich auch sehr viel Uninteressantes auf, aber je mehr ich in erinnerbare Details gehe, umso leichter fällt es mir vielleicht, die Erinnerungen und Gefühle zurückzuholen.
Ich muss etwa fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein. Zu dieser Zeit teilte ich gemeinsam mit meinen zwei Brüdern (Michael ist ein Jahr jünger und Andreas ist anderthalb Jahre älter als ich) ein Kinderzimmer. Unsere Betten waren längs der Wand entlang aufgereiht; ich hatte das mittlere Bett. Es lag genau gegenüber der Zimmertür. Wir drei mussten zu diesem Zeitpunkt immer gleichzeitig schlafen gehen. Ich weiß noch, dass dies sehr zum Ärgernis meines älteren Bruders, der als der »Große« eigentlich länger aufbleiben wollte, geschah. Ich kann mich wirklich an keinen Abend erinnern, an dem wir sofort nach dem obligaten Gutenachtkuss die Augen geschlossen hätten und brav eingeschlafen wären. Ganz im Gegenteil! Der »Abendblödsinn« begann. Wir kamen auf die verrücktesten Ideen und Spiele. Eins davon hieß »Boden nicht berühren«. Wir hüpften von Bett zu Bett, kletterten über Tisch und Nachtkästchen, wurden natürlich immer lauter und lauter, bis entweder unser Au Pair-Mädchen, die Mutter oder der Vater zum Schimpfen ins Zimmer stürzten. Am meisten Respekt hatten wir vor unserem sehr autoritären Vater. Aus diesem Grund wohl nannten wir eine Weiterentwicklung des eben erwähnten Spieles »Papa kommt!«. Bei diesem Spiel mussten wir unsere Pyjamas untereinander austauschen: Ein Bruder hatte meine Hose an, der andere mein Hemd, und ich trug Pyjamateile meiner Brüder, doch auch die Hosen wurden manchmal als Hemd und die Hemden als Hose zweckentfremdet. So »verkleidet« hüpften wir nun von Bett zu Bett, abermals ohne den Boden zu berühren, bis einer von uns (immer der Gewinner der Vorrunde) plötzlich und unerwartet das Kommando: »Papa kommt!« schrie. Sieger war derjenige, der als Erster in seinem eigenen Pyjama wieder zugedeckt in seinem Bett lag.
Ich weiß noch nicht genau, warum ich dir diese lange Vorgeschichte schreibe, aber ich habe das Gefühl, sie muss dabei sein. Dieses Spiel »Papa kommt!«, eine Ausgeburt der Phantasie meiner Brüder, war ein echter Nervenkitzel für mich. Ich hatte großen Respekt und auch ein wenig Angst vor dem Zorn meines Vaters, und es war mir klar, dass er in jedem Augenblick auch wirklich und wahrhaftig in der Tür erscheinen konnte. Ich glaube mich zu erinnern, dass wir dieses Spiel beinahe jeden Abend spielten; es war so etwas wie ein Ritual geworden.
Eines Abends jedoch änderte sich plötzlich für mich dieses Ritual. Ich versuche mich zu erinnern, wie es dazu kam, aber momentan kann ich es nicht sagen. Es war einfach so!
Nach dem Gutenachtkuss wurde das Licht abgedreht, und meine Brüder waren schon wieder startbereit für den »Abendblödsinn«. Ich lag zugedeckt im Bett und konnte mich nicht rühren. Michael und Andreas warteten bereits ungeduldig, schimpften mich einen Angsthasen und Spielverderber und begannen bereits wieder auf den Betten herumzuhüpfen. Ich habe mich sehr gewundert, dass sie das konnten und ich nicht! Ich war wie erstarrt, und mein Blick war auf den Lichtschein, der unter dem Türspalt durchfiel, fixiert. Ich hörte meine Brüder lärmen, blieb mucksmäuschenstill und rechnete mehr als sonst damit, dass jeden Augenblick die Tür aufginge. Und das tat sie auch! Sie öffnete sich lautlos einen Spalt, und zu meiner Verwunderung kam nicht mein Vater herein, um mit den Brüdern zu schimpfen, sondern ein Zwerg! In meiner Erinnerung würde ich ihn auf ca. 10 cm Größe schätzen, mit einem ernsten, alten, bärtigen Gesicht. Er hatte eine Mütze auf, war warm angezogen und schien auch etwas zu tragen. Ich schloss schockiert sofort die Augen. Die Buben schienen ihn gar nicht zu bemerken, denn sie tollten einfach weiter. Obwohl ich die Augen geschlossen hielt, wusste ich ganz genau, wo er sich gerade befand. Ich hatte eine furchtbare Angst und traute mich kaum zu atmen. Er ging ganz nahe an mein Bett heran. Ich konnte ihn regelrecht spüren und dachte mir, dass er wohl kontrollieren wolle, ob ich auch wirklich brav schliefe. Ich hatte das Gefühl, er brauchte eine Ewigkeit dazu. Irgendwann wusste ich, dass er wieder die Tür ansteuerte, um das Zimmer zu verlassen. Als ich fühlte, dass er weg war, schlug ich sofort die Augen auf und erzählte alles meinen Brüdern. Ich war unheimlich aufgeregt und sogleich auch enttäuscht, weil meine Brüder überhaupt kein Verständnis für mein Erlebnis hatten. Sie wollten sich die Geschichte noch nicht einmal anhören. Die Angst war wie weggeflogen, und als wenn nichts gewesen wäre, hüpften wir nun wieder zu dritt über die Betten. Ich ahnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass mich der Zwerg von da an für die nächsten zwei Jahre (so schätze ich heute) jeden Abend besuchen würde. Jeden Abend! Auch meine Brüder gewöhnten sich langsam daran. Ich erinnere mich noch, wie es hieß: »Warten wir mit dem Spiel, bis der Zwerg bei Carola gewesen ist!« Anfangs versuchten sie mir noch klarzumachen, wie bescheuert sie das Ganze fanden, dass bei mir wohl eine Schraube locker sei und ich wohl einen Vogel anstatt eines Zwerges hätte. Aber schon nach kurzer Zeit haben sie wohl aufgegeben und meinen Zwerg akzeptiert. Manchmal erkundigten sie sich auch neugierig bei mir, wie denn der heutige Zwergenbesuch so gewesen sei. Wir haben aber nie lange darüber geredet, und es blieb mir immer ein Rätsel, warum bei ihnen kein Zwerg zu Besuch kam.
Und so lag ich jeden Abend nach dem Kuss zugedeckt im Bett und wartete auf den Besuch meines Zwerges. Manchmal hat es länger gedauert, und manchmal ist er sofort gekommen. Er hat niemals mit mir gesprochen. Trotzdem wusste ich immer ganz genau, wie er gelaunt war. Es gab Abende, da habe ich mich vor ihm gefürchtet. Manchmal war es ein angenehmes Gefühl, wenn er kam. Ich weiß nicht, ob ich dachte, dass der Zwerg mir dieses angenehme Gefühl verlieh oder eher die Tatsache, dass der Besuch schnell vorüber war und ich mich wieder frei für den »Abendblödsinn« fühlte. Nachdem ich vorher nie genau wusste, wie der Besuch verlaufen würde, habe ich mich im Laufe der Zeit fast immer mit dem Körper bzw. Gesicht zur Wand gedreht, denn ich fühlte es ohnehin, wenn er das Zimmer betrat. Eigentlich wollte ich ihn gar nicht sehen, trotzdem kam es immer wieder vor. Ich habe immer seinen Besuch abgewartet, und erst wenn er gegangen war, konnte ich wieder Blödsinn und Krach mit meinen Brüdern machen. Ich hatte keine Angst mehr, auch wenn meine Eltern ab und zu vorbeischauten und schimpften; denn daran hatte sich gar nichts geändert.
So, das war meine Zwergengeschichte. Ich versuche mich gerade zu erinnern, wann und wie der Zwerg aufhörte, mich zu besuchen, aber es will mir einfach nicht einfallen. Ich werde darüber nachdenken vielleicht kommt ja noch eine Erinnerung dazu…«
* Annekatrin Puhle: Zwerge, Grafing 2010.
Eva-Lena, Göteborg, Schweden
Ein Zwerg (tomte)
»Ich kann eine Geschichte aus Schonen [Skåne, Landschaft im Süden von Schweden] erzählen, als Kurt, mein Mann, und ich einmal einen Spaziergang an einem See machten. Es war an einem Sommertag im Jahr 1995, mitten am Tag, ganz hell, keine Dämmerung. Wir gingen ganz gemütlich spazieren, die Luft war gut, alles war harmonisch. Und dann sah ich plötzlich diesen kleinen Zwerg (tomte). Ich hatte das Gefühl, dass es ein Er war, ungefähr 50 cm groß. Er rannte zwischen zwei hohen Bäumen entlang, schlängelte sich so durch. Dann hielt er an, und nun konnte ich ihn ganz deutlich sehen: Seine Kleidung war grau, mit einem Gürtel, nur trug er ein rotes Mützchen und kein graues, wie sonst üblich, was sehr ungewöhnlich war. Er drehte sich für ein Weilchen zu mir hin und sah mich einen Moment lang an – vielleicht dreißig Sekunden. Er wirkte etwas vorsichtig, fast ängstlich und scheu. Dann drehte er sich wieder um, lief flink davon und verschwand. Wir sind sofort danach zu der Stelle gegangen und haben uns näher umgesehen, aber da war nichts, einfach gar nichts!
Etwas früher in derselben Woche hatte ich an meinen kleinen Keramik-Gnomen gearbeitet, und ich denke, dass das Erlebnis so eine Art Gruß von dem tomte war. Vielleicht haben die Zwerge ja gesehen, wie ich im Garten daran gewerkelt hatte. Kurt und ich haben noch oft über dieses Erlebnis gesprochen.
Noch ein Zwerg (tomte)
Vor etwa acht Jahren waren wir Pilze suchen, Trompetenpfifferlinge [trattkantareller, eine in Schweden verbreitete und beliebte Pfifferling-Sorte]. Es war im Herbst, Ende September oder Anfang Oktober, wenn es viele Pilze gibt. Wir waren vier Personen, alle verstreut. Da rief Kurt, mein Mann, plötzlich: »Komm, komm, komm!« »Ja, ich komme gleich, nur einen Moment noch«, war meine Antwort, denn ich hatte gerade eine Menge Pfifferlinge entdeckt. Fünf oder zehn Minuten später kam ich dann auch. »Was gibt es?« Er meinte: »Wie schade, dass du nicht sofort gekommen bist! Hier war nämlich eben eine Öffnung im Boden, und ein tomte ist darin verschwunden. Wir haben natürlich versucht, die Öffnung zu finden, aber ohne Erfolg. Es war alles nur grau. Dann haben wir unsere trattkantareller gesammelt. Bevor wir den Wald verlassen haben, wurde Kurt dreimal am Knie gestupst, aber nicht so kräftig, dass er hinfiel. Er hat sich nichts getan, nichts gebrochen. Doch wir waren etwas besorgt über das Ganze, und ich meinte dann, es sei nun Zeit für uns, nach Hause zu gehen.
Die Dämmerung kam langsam auf. Wir stiegen ins Auto und fuhren nach Hause. Später haben wir noch oft über den Vorfall gesprochen, und Kurt hat jedes Mal wieder bedauert, wie schade es doch sei, dass ich damals nicht sofort gekommen sei.
Kurt war sehr offen für die »andere Seite«. Er hatte in seinem Leben viele Zeichen bekommen, zum Beispiel wenn jemand starb oder auch von Verstorbenen, aber er hat nicht mit diesen Erfahrungen gearbeitet.
Lichtlein
Es passierte in Lövgärdet, außerhalb von Göteborg, wo ich bis heute wohne. Es muss sieben, acht Jahre her sein. Da gab es an den Sommerabenden, bevor es dunkel wurde, noch vor dem Einbruch der Dämmerung, eine kleine Parade von kleinen Lichtkegeln auf den Stufen in unserem Garten zu sehen. Diese Lichtkegelchen hatten keine Arme und Beine, waren einfach nur kleine Lichter, ungefähr 25 bis 30 cm hoch. Sie liefen wie in einer Arbeitsgruppe die Treppen hinunter und bildeten Kreise. Sie kamen sehr, sehr häufig, aber soweit ich mich erinnere nicht jeden Abend. Sie waren immer ganz nah, ganz dicht vor uns. Viele Leute haben sie erblickt. Charlotte, eine medial begabte Nachbarin, konnte sie oft sehen, auch ein Nachbar, ebenso Kurt, aber auch noch viele andere. Später am Abend waren sie etwas leichter zu sehen, da sie leuchteten. Selbst im Regen waren die Lichter erkennbar.
An einem Abend ging ich einmal vorsichtig die Stufen hinunter, doch als ich nur noch etwa drei Meter von ihnen entfernt war, stand auf einmal so etwas wie eine unsichtbare Linie oder Wand vor mir, die mich am Weitergehen hinderte.
Die Lichtlein kamen von nun an jeden Sommer, nur nicht so intensiv. Aber seit Kurt verstorben ist, das war am 6. Januar 2011, habe ich nichts mehr gesehen.«