Mit der Story »Cat Person«, die einmal um die Welt ging, und dem gleichnamigen Story-Band wurde sie bekannt. Jetzt meldet sich die amerikanische Autorin Kristen Roupenian mit drei Geschichten zum Thema Familie und Kindheit zurück, die einmal mehr die ganze Bandbreite ihres Könnens zeigen: Ein Paar verliert ein Kind, daraufhin kommt die Frau mit Wahnvorstellungen ins Krankenhaus. Eine Familie macht Urlaub am Strand, und die Kinder tischen den Eltern ein ungewöhnliches Abendessen auf. Und ein junger Mann kehrt in sein Elternhaus zurück und versinkt über Nacht in wehmütigen Kindheitserinnerungen. Mit genauem Blick für das Abgründige erzählt Kristen Roupenian von den emotionalen Verwicklungen ihrer Figuren -- hypnotisch, dunkel und direkt.
Über Kristen Roupenian
Kristen Roupenian, Jahrgang 1982, studierte afrikanische Literatur in Harvard und hat als freie Journalistin gearbeitet. Ihre Kurzgeschichte »Cat Person«, im November 2017 im »New Yorker« veröffentlicht, wurde zur viralen Sensation und gilt als eine der meistgelesenen Stories aller Zeiten. Der Erzählungsband »Cat Person« ist ihr Debüt und erschien zeitgleich in 23 Ländern. Eine Verfilmung von HBO ist in Vorbereitung.
Nella Beljan hat in Bielefeld, London und Berlin Geschichts- und Literaturwissenschaften sowie Literarisches Übersetzen und Philosophie studiert. Sie arbeitet als freie Kulturjournalistin und Übersetzerin in Berlin. Ihre Lieblingsgeschichte in Kristen Roupenians Band ist »Nachtläufer«.
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Storys
Aus dem Amerikanischen von Nella Beljan
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Was wir in den Sommerferien gemacht haben
Totenwache
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Impressum
Wir haben versucht, unseren Eltern eine Qualle aufzutischen.
Jeden Sommer haben wir ein anderes Spiel gespielt. Zum Beispiel bestand es einen Sommer darin, dass wir Dutzende Poster gemalt und die Touristen zu einem Besuch in Das hochinteressante naturwissenschaftliche Aquarium eingeladen haben, und wenn die Touristen dann eintrafen, haben wir ihnen direkt zehn Dollar Eintrittsgeld abgeknöpft, bevor sie bemerkten, dass Das hochinteressante naturwissenschaftliche Aquarium nur aus einem Plastikeimer mit ein paar Garnelen und Einsiedlerkrebsen bestand. Das Jahr davor ging es bei unserem Spiel darum, einen abendfüllenden Film namens Der Angriff des Riesenkiller-Einsiedlerkrebses für die Touristen zu drehen, für den wir nur 50 Cent Eintritt verlangten, um kurz vor Beginn der Vorführung zu verkünden, dass jeder mindestens zwei Limonaden trinken müsste, wobei eine Limonade zehn Dollar kostete.
In jenem Sommer, dem Sommer mit der Qualle, war unser eigentlicher Plan, ein Restaurant zu eröffnen, das wir mit köstlichen Meeresfrüchten, mit Gerichten wie frischer Flunder, knusprigen Garnelen und saftigen Muscheln zu dem sensationellen Preis von nur je einem Dollar bewerben würden, aber wenn die Touristen eintrafen, würden wir ihnen lebende Tiere, die noch auf den Tellern zappelten, servieren, und wenn unsere Gäste dann schrien, würde unsere älteste Schwester sagen »Oh, Verzeihung, das tut mir aber sehr leid, wir hier in Cape Cod essen unsere Meeresfrüchte so, ist das bei Ihnen in Texas anders? Glücklicherweise haben wir heute Abend noch ein anderes Gericht auf der Karte, und zwar Nudeln ohne alles für nur zehn Dollar.«
Wir verbrachten fast zwei ganze Regentage damit, Schilder und Speisekarten für unser Restaurant zu basteln, und dann machten wir einen Testlauf, zu dem wir unsere Eltern einluden. So begannen und endeten die meisten unserer Spiele: Unsere Eltern kamen zu uns zu Gast und spielten die Touristen. Sie taten so, als wären sie ein bisschen verwirrt und schwer von Begriff, und manchmal ließen sie sich von uns sogar ein, zwei Dollar abluchsen.
In jenem Sommer hatten unsere Eltern allerdings nicht so gute Laune. Als wir den Teller Muscheln mit Seepockenkruste herausbrachten, hörten sie gar nicht hin, als meine Schwester mit ihrem einstudierten Monolog loslegte. Stattdessen gingen sie direkt in ein langes Lamento von Das ist so ekelhaft, das sind die guten Teller, mal im Ernst, Ihr wisst schon, dass Ihr die jetzt ordentlich schrubben müsst, über, und sie sagten, dass es statt unserer geliebten Freitags-Pizza die Spaghetti zum Abendessen geben würde, weil wir eine ganze Packung Nudeln nicht einfach so verschwenden dürften. Dann jagten sie uns von der Veranda hinunter zum Strand.
Wir waren wütend auf unsere Eltern und wollten uns dafür rächen, aber uns fiel nichts ein, und so beschlossen wir, hinunter zum Point zu laufen. In jenem Sommer wurden, vielleicht wegen der Hurrikans, die in der Nähe wüteten, einige merkwürdige Kreaturen an den Strand gespült. Zusätzlich zu den dort üblichen Tieren – Immergrün und Einsiedlerkrebse und Muscheln und winzige Garnelen – gab es Seeigel und Hufeisenkrebse und Schwertmuscheln und Sanddollar und diese seltsamen roten Käfer, die aussehen wie Mini-Hummer.
Unsere jüngste Schwester entdeckte die Qualle zuerst. »Guckt mal, Leute«, sagte sie, und zuerst wussten wir nicht, was sie meinte, und dann plötzlich sahen wir sie auch.
Die Qualle lag ausgebreitet an der Flutlinie, so groß wie einer von den guten Tellern. Von Weitem sah sie aus wie eine schillernde Luftspiegelung, die man auf der Straße sieht, über und über schimmernd und durchsichtig und leuchtend, aber als wir näherkamen, bemerkten wir, dass sie gar nicht komplett durchsichtig war: Sie war von blassrosa Streifen durchzogen, und das hätten auch gut Venen, Nerven oder Blut sein können.
Wir schmissen einen Kieselstein auf die Qualle, um sicherzugehen, dass sie tot war, und