Titel

Ben Lerner

Die Topeka Schule

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Nikolaus Stingl

Suhrkamp

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel The Topeka School bei Farrar, Straus & Giroux, New York.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2020

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 5181.

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Umschlagfoto: The Hesston Tornado. From The Wichita Eagle, © 1990 McClathy. All rights reserved. Used under license.

Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg

eISBN 978-3-518-75344-6

www.suhrkamp.de

Widmung

Für meinen Bruder Matt

Darren malte sich aus, wie er mit seinem Metallstuhl den Spiegel zerschmetterte. Aus dem Fernsehen wusste er, dass dahinter im Dunkeln möglicherweise Leute waren, dass sie ihn sehen konnten. Er glaubte den Druck ihrer Blicke auf seinem Gesicht zu spüren. In Zeitlupe ein Glasregen, die heimlich Anwesenden zum Vorschein gebracht. Er hielt den Glasregen an, spulte zurück, sah zu, wie er erneut fiel.

Der Mann mit dem schwarzen Schnurrbart fragte ihn ständig, ob er etwas zu trinken wolle, und schließlich sagte Darren: heißes Wasser. Der Mann ging das Getränk holen, und der andere, der keinen Schnurrbart hatte, fragte Darren, wie er sich fühle. Darfst dir ruhig die Beine vertreten.

Darren blieb sitzen. Der Mann mit dem Schnurrbart kam mit dem dampfenden braunen Pappbecher und einer Handvoll roter Trinkhalme und kleiner Beutel wieder: Nescafé, Lipton, Sweet’n Low. Such dir was aus, von irgendwas muss man ja sterben, sagte er, aber Darren wusste, dass das ein Scherz war; sie würden ihn nicht vergiften. An der Wand hing ein Poster: KENNE DEINE RECHTE, darunter Kleingedrucktes, das er nicht lesen konnte. Sonst gab es nichts anzustarren, während der Mann ohne Schnurrbart redete. Die Lampen im Raum waren so, wie die Lampen in der Schule gewesen waren. Schmerzhaft grell bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen er aufgerufen wurde. (»Erde an Darren«, Mrs. Greiners Stimme. Dann das vertraute Gelächter seiner Altersgenossen.)

Er senkte den Blick und sah in das Holzfurnier gekratzte Initialen, Sterne und Ziffern. Er zeichnete sie mit den Fingern nach und hielt dabei die Handgelenke beieinander, als trügen sie noch Handschellen. Als einer der Männer Darren aufforderte, ihn anzusehen, tat er es. Zuerst in die Augen (blau), dann auf die Lippen. Die Darren anwiesen, die Geschichte zu wiederholen. Also erzählte er ihnen erneut, wie er auf der Party die Billardkugel geworfen hatte, aber der andere Mann unterbrach ihn, wenn auch sanft: Darren, du musst ganz von vorn anfangen.

Obwohl er sich ein wenig den Mund verbrannte, nahm er zwei Schlückchen von dem Wasser. In seiner Vorstellung versammelten sich Menschen hinter dem Spiegel: seine Mom, Dad, Dr. Jonathan, Mandy. Was Darren ihnen nicht begreiflich machen konnte, war, dass er die Kugel niemals geworfen hätte, nur hatte er es eben schon immer getan. Lange bevor ihn die Neuntklässlerin wie gewohnt beschimpft hatte, bevor er die Kugel aus der Ecktasche genommen, ihr Gewicht und die Kühle und Glätte des Kunstharzes gespürt, bevor er sie in die überfüllte Dunkelheit geschleudert hatte – hing die Spielkugel schon in der Luft und drehte sich langsam. Wie der Mond war sie schon sein Leben lang da gewesen.