www.edition.subkultur.de
Während der COVID 19-Pandemie im Jahr 2020 kam es zu einem sogenannten Shutdown, bei dem flächendeckend das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben in weiten Teilen Europas lahmgelegt wurde. Mit weitreichenden und unabsehbaren Folgen, vor allem für all jene, die auch vorher schon nicht ins gesellschaftliche Raster passten: Neben den „Systemrelevanten“, also den zumeist unterbezahlten Menschen, die Grundversorgung, Gesundheits- und Sozialwesen einer Gesellschaft am Laufen halten, und den Familien mit Kindern, hat es die sogenannten Freiberufler, Freelancer, Selbstausbeuter und Klein- und Kleinstbetriebe besonders hart getroffen.
Die meisten Kulturschaffenden sind so organisiert. So auch wir und unsere Autorinnen und Autoren. Viele konnten und können ihre Tätigkeit nur noch teilweise oder gar nicht mehr ausüben. Und viele sind damit alleingelassen worden.
Diese Anthologie soll ihre Vielfalt abbilden und daran erinnern, dass eine Gesellschaft ohne Bühnenkünstler, Autoren, Musiker, ohne die Wahnsinnigen und die Genies, ohne die Clowns und die Fingerindiewundenleger, ohne die Querdenker und Querfühler, ohne die Nonkonformen und Subersiven, ohne die Exzentriker und Verrückten eine dumme, leere und sehr traurige Gesellschaft ist.
Die Kunst ist und bleibt Lebensmittel.
Laura Alt, Thomas Manegold, Marion Alexa Müller (Hrsg.)
WIDER DIE MASSE (Subkultur Anthologie)
1. Auflage, Mai 2020, Edition Subkultur Berlin
© 2020 Periplaneta – Verlag und Mediengruppe / Edition Subkultur
Inh. Marion Alexa Müller, Bornholmer Str. 81a, 10439 Berlin
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Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Übersetzung, Vortrag und Übertragung, Vertonung, Verfilmung, Vervielfältigung, Digitalisierung, kommerzielle Verwertung des Inhaltes, gleich welcher Art, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Handlungen und handelnde Personen sind erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen oder Ereignissen wäre rein zufällig. Darüber hinaus berufen wir uns bei Darstellungen vermeintlich wirklichkeitsähnlicher Ereignisse oder Personen auf die Satirefreiheit.
Lektorat & Projektleitung: Laura Alt
Cover: AKU! (www.akupower.com)
Satz & Layout: Thomas Manegold
Made in Berlin
print ISBN: 978-3-943412-96-3
epub ISBN: 978-3-943412-97-0
René Sydow ist Schriftsteller, Kabarettist, Schauspieler und Regisseur. Er wurde 2018 NRW-Landesmeister im Poetry Slam. Für seine Kabarett-Programme hat er zahlreiche Preise bekommen. 2020/21 startet sein neues Programm „Heimsuchung“.
U.a. sind vom ihm die Bücher „Warnung vor dem Munde“ und „Deutsche Wortarbeit“ bei Periplaneta in der Edition Mundwerk erschienen.
https://www.rene-sydow.de
AUF SIE MIT GEBRÜLL!
Zum Beispiel auf die Fernsehmacher, die jeden Sonntag zuverlässig einen Tatort versenden. Inhalt: Schauspielerndes Plankton von absolut zuverlässiger Austauschbarkeit spielt eine Handlung, die in etwa so spannend ist, wie einer Kaffeemaschine beim Entkalken zusehen, bis man nach 90 Minuten weiß: Der Böse war’s! Ohne Niveauzuwachs kann man umschalten ins Privatfernsehen, wo Chris Tall, der personifizierte Personalmangel der deutschen Humorindustrie, mit einer Sendung über den Äther geht, in der Fragespielchen gemacht werden wie: „Ist diese Frau schwanger oder nur fett?“, und „Ist Chris Tall ein sexistischer deutschtümelnder Zotenspießer oder …“ – sorry, kein oder.
Kann nicht einfach eine Gerüstbaufirma das Fernsehen stürmen, ungefragt die Kulissen abbauen, die heiße Luft aus Chris rauslassen, die Batterien aus den Schauspielrobotern entfernen und alle zusammen in einer Sondermülltonne in einer Salzasse in Niedersachsen entsorgen?
AUF SIE MIT GEBRÜLL!
Aber was rege ich mich auf? Gerade sitzen die Deutschen ja nicht vor dem Fernseher. Im Moment sitzen sie auf dem Oktoberfest und den Cannstatter Wasen, den heiteren Varianten des Alkoholismus und der vor sich hin dünstenden völkischen Blaskappellen-Unterhaltung, bei der jeder gesunde Menschenverstand gewaltsam niedergeschunkelt wird.
Die Bahnhöfe sind voll mit maximal betankten Wurstzipfelgesichtern, die wie Bratkartoffeln durch die Gegend eiern und schon auf der Hinfahrt ihr Frühstück durch Mund und Nase der Erde zurückgeschenkt haben. Ich sehe Frauen mit ironisch missverstandenen Heidi-Zöpfchen und ins Haar gelöteten Pflanzenleichen. Gekleidet in Dirndl – der groteske Tiefpunkt des Schneidergewerbes. Sogenannte Kleidung, in der jede Frau aussieht wie ein aus Tütensuppenpackungen zusammengeklebter Spießergartenzaun auf zwei Gehstelzen. Daneben johlende Männer, ach, sagen wir lieber Schweinehälften in Lederhosen, die riechen und sogar aussehen wie ausgekotzter Wurstsalat und nicht müde werden in ihren lallenden Versuchen, die deutsche Sprache zu demütigen. Und was das Schlimmste ist: Diese Leute dürfen alle wählen.
Kein Wunder, wenn die AfD mittlerweile nicht nur als zweitstärkste Kraft aus Umfragen hervorgeht, sondern ihre Brut schon auf Poetry Slams auftaucht. Ich weiß, jetzt kommen die Abwiegeler, die Politiker, die meinen, man müsse die Sorgen der Bürger ernst nehmen. Nein, muss man nicht! Man muss nicht jede bescheuerte Meinung zulassen, bloß weil sie jemand äußert. Ich meine, gut, ich bin ja auch doof, ich versuche tatsächlich noch, mit AfD-Anhängern zu reden, ich bin ja Demokrat. Wäre ich Anarchist, würde ich die Kackbratzen einfach wegbomben.
Ich will diese Bilder nicht mehr in der Tagesschau sehen. Auf den Straßen Neonazi-Homunculi, die einen putzigen Kostümfaschismus aufführen und sich dabei als Herrenrasse fühlen. Dabei hätte Adolf die verfetteten Herrengedecke mit intellektuellem Starter-Kit maximal als Kanonenfutter an die Ostfront geschickt, weil sie mit dem Übermenschenideal so viel zu tun haben wie Klumpfuß Goebbels mit einem Hürdenläufer. Die sehen auch wirklich alle gleich aus. Ist Ihnen das mal aufgefallen? Wie Klone. Es gibt Gegenden in Sachsen, da wird schon seit hundert Jahren geklont. Also, sie nennen es nicht klonen, sie nennen es Cousins.
Liebe Neonazis, Pegidas und AfDler im Saal: Hört doch auf mit diesen lächerlichen Demos und Spaziergängen! Greift endlich zu Mitteln, die uns allen helfen: Hungerstreik und Selbstverbrennung!
AUF SIE MIT GEBRÜLL!
Und Sie wissen jetzt, dass ich so weitermachen könnte. Ich könnte weiter simpel draufhauen, schimpfen. Und es würde sogar Spaß machen. Und eigentlich habe ich nur Angst, denn all die Erwähnten sind sich unglaublich sicher. Das Fernsehen weiß, was ich sehen möchte, die Bierindustrie weiß, wie ich mich amüsieren möchte, die AfD weiß, was die Leute auf der Straße wollen. Alle sind sich so sicher. Auf uns regnen Scheinwahrheiten und Behauptungen, sodass man keinen Grund vor die Tür schickt. Und ich? Ich würde für einen begründeten Zweifel plädieren.
Diese Welt ist verrückt geworden und das können wir nur schwer ändern, aber wir können uns fragen, wer sie verrückt hat, uns in Gesellschaft begeben und diese dann ein wenig verändern, mit Tapferkeit, Zweifel, Humor und vielleicht auch Poesie. Warum denn nicht? Ich wäre bereit für das Gelungene. Poesie heißt: Sage es so schön, wie es nicht ist! Und wenn nur ein Text von irgendjemandem heute Abend Ihr Herz bewegt hat, dann war das doch schon einen Zentimeter weltbewegend.
Also dann, tapfer voran, Poeten! Mit Zweifel und mit Poesie! Dann werden wir mit unseren weißen Blättern Herzwege auslegen, ausgeflaggt mit Sätzen und mit Buchstaben im Spalier. Wir schreiben wieder Texte, in denen die Seiten stechen gegen die allzu Sicheren, gegen Hass und Deutschidyll, und unser Schlachtruf sei: Auf sie! Mit Gefühl!
(Text für die NRW-Poetry-Slam-Meisterschaft 2018)
Eines Tages … Baby … werden wir reich sein. Oh Baby, werden wir reich sein. Vielleicht auch nur durch Poetry Slam. Und dann werden wir vergessen haben, worum es bei Literatur eigentlich geht. Um Sprache, natürlich! Es geht immer nur um Sprache.
Ein Mensch sagt durchschnittlich 16.000 Wörter am Tag. Warum reden dann eigentlich die meisten so viel Stuss? Nehmen wir zum Beispiel wahllos eine Sache aus dem vergangenen Monat aus der sächsischen Stadt Aue im Erzgebirge. Dort marschierten am 27. Dezember vergangen Jahres ca. 2.000 Damen und Herren, mutmaßlich intellektuell vollkommen unbelastet, durch die Stadt als sogenannte Bürgerwehr, begleitet von Abgeordneten einer Partei namens Der Dritte Weg, diese verteilten Postkarten und Plakate, um für ihre rassischen Ideen ein Zeichen zu setzen. Klarer Gegner der selbsternannten Bürgerwehr: Linke, Pazifisten, Emigranten und die deutsche Rechtschreibung. Auf einem Protestplakat fanden sich sage und schreibe elf Rechtschreib- und Grammatikfehler. Dies ist insbesondere bemerkenswert, da auf dem Plakat nur ein Satz, bestehend aus vier Wörtern, geschrieben stand. Aue im Erzgebirge! Es rächt sich, was man nach 1989 so alles anerkannt hat.
Ich frage mich, ob nur einer aus diesem Gelichter auf Aues Straßen wusste, wie man einen Spiegel durchschaut, wie man ein Lachen faltet, was zum Teufel das Wort Gelichter bedeutet oder wenigstens, wie man sich eine profunde eigene Meinung bildet. Ok, wer keine eigene Meinung hat, hat immer noch den Dritten Weg, Pegida, Pro Chemnitz oder die AfD. Auch in dieser Partei übrigens Spracharmut bis zum Mutismus: Herr Gauland, hat der Mensch etwas mit dem Klimawandel zu tun? Wissen Sie, was das Internet ist? Gibt es intelligentes Leben innerhalb der AfD, das, wenn es den Mund aufmacht, auch weiß, wovon es spricht? Und wenn nein, warum wird es dann Parteivorsitzender? Gauland. So ein Gesicht hängt man sich in Afrika an die Wände. Entschuldigung, jetzt habe ich fast etwas Rassistisches gesagt, aber Lenny Bruce war mal der Ansicht, man soll besonders schlimme Sachen so oft aussprechen wie möglich, damit sie ihre Bedeutung verlieren. Also gut: Andreas Scheuer.
Aber eines Tages, Baby, werden die auch weg sein und am Ende ist da nur noch Sprache, Baby! Sprache und Töne. Es gibt Vögel, die bis zu drei Töne gleichzeitig singen können, wie herrlich, wenn man auch so sprechen könnte.
Sprache muss funkeln, Baby, sie ist doch kein Gebrauchsgegenstand, kein Informationssalbader wie im Internet, wo alle durcheinanderquasseln. 100 Millionen Blogger, die alle nur über sich selbst reden. Der Unterschied zwischen einem Buch und einem Blog ist ungefähr der gleiche wie der zwischen einer Gitarre und einer Ukulele. Früher wollten Jungs E-Gitarre spielen, das war cool, das war lässig, Baby! Heute wollen Jugendliche Ukulele lernen. Ukulele! Das ist nicht mal eine Mandoline. Ukulele, das ist das Instrument der Unbumsbaren. So ein Instrument spielen Jungs, die im Radio bei Liedern wie „Feuerwerk“ mitsingen: „Lass uns leben wie ein Feuerwerk, oh, oh …“
Genau! Oh, oh! Haben Sie mal ein Feuerwerk gesehen? Zwei Sekunden bunt, dann knallt ein halbverkohlter Stab in ein Stück Katzenschiss. Pfui … Frr …
Tut mir leid, ich nehme es zurück, Ukulelen sind super. Das war nur ein Witz. Ein zynischer, das gebe ich zu. Obwohl, eigentlich war das gar nicht zynisch. Zynisch ist es, Tauchern den Atemschlauch anzuritzen, weil man es lustig findet, wenn auch mal ein Nichtraucher nach Luft schnappt.
Immerhin, Blogger schreiben ja noch, parallel gibt es längst eine reine Bilderwelt von Instagram-Influencern, bei denen die Krankheit schon in der Berufsbezeichnung steckt: Influenza! Das klingt nach Reizhusten und Rotz. Nach Trantüten und Nulpen, für die der Begriff Würde nur eine grammatikalische Konditionalform ist in Sätzen wie: „Ich würde mich geil finden, wenn ich so geil wäre wie ich, #geilomat“. Oh heilige Analphabeta! Ich rufe zu dir, dass alle, die mit der Zeit gehen, auch mit der Zeit gehen! Denn Sprache, Baby, ist nicht nur der Hashtag irgendeines Instagram-Schrapnells, Sprache ist nicht das Larifari von Verkaufsschlager-Musik und auch nicht das Parolenschreien der Wendehälse und Übelkrähen.
Sprache ist nicht das Kaufen eines Buches. Sprache ist, was das Buch aus mir macht, in welchen Menschen es mich verwandelt. Literatur ist, was man immer sagen wollte und was man sich nicht zu sagen traut. Es heißt Wort-Schatz, Baby! Behandeln wir ihn endlich so!
Und natürlich, Schreiben ist auch eine Art Existenzverweigerung und stellvertretend möchte ich mich mal beim Publikum bedanken, dass Sie es mir und anderen erlauben, sämtliche anständigen Berufe zu schwänzen.
Und eines Tages … Baby, werden wir reich sein. Vielleicht nur wort-reich. Aber mit scharf geschliffenen Sätzen können wir ganze Städte schnitzen aus Satzbauten und Häuserzeilen. Wir können Alphabeete anlegen, auf denen Buchstabennudeln und Druckerwatte wachsen. Und während Sie jetzt weiter Maulaffen feilhalten, werde ich mich von dieser Bühne subtrahieren, es mir in meinem Oberstübchen gemütlich machen, mein Nachtmahl essen aus Bandsalat und Pustekuchen – und hole die kleine Wortschatzkiste aus dem Regal, voller Firlefanz und Flausen, voll Kokolores und Klimbim. Und ich öffne sie und schaue mir selbst zu, wie ich mich lernend verwandele. Und was machen wir morgen? Bambule, Baby!
(Text für die NRW-Poetry-Slam-Meisterschaft 2018)
Falk Fatal ist Autor, Kolumnist, Podcaster und Sänger der Oldie-Punkband Front. Zudem Herausgeber des gestreckten Mittelfinger Fanzines und Gründer und Moderator des Polytox Podcasts. Sein Kurzgeschichtenband „Im Sarg ist man wenigstens allein“ ist Ende 2019 in der Edition Subkultur erschienen.
https://www.fatalerror.biz/
COVID-19 ist eine gefährliche und traurige Sache, keine Frage. Doch angesichts der vielen übertrieben-panischen Reaktionen auf das Virus fällt es bisweilen schwer, ernst zu bleiben. Menschen prügeln sich um die letzte Packung Toilettenpapier, andere gurgeln mit Klorix und Autobesitzer parken ihren SUV auf der Straße, um die Garage mit Nudeln und Mehl zu füllen, als gäbe es kein Morgen mehr.
Das Bild, das den Irrsinn dieser Corona-Hysterie am besten verdeutlicht, ist das Foto von Markus Söder, auf dem er wie ein Feldherr in einer Lagerhalle steht und mit entschlossenem Blick auf die mit Toilettenpapier gefüllten Regale blickt. Dieses Foto ist ein Versprechen. Es sagt uns: „Sorgt euch nicht. Euer Markus ist für euch da. Und solange ich das Sagen habe, wird sich kein Bürger den Hintern mit der Hand abwischen müssen!“
Und schon ist das Volk beruhigt. Endlich ein Politiker, der seine Untertanen kennt, der sie umsorgt und der ihnen in diesen schweren Zeiten Zuversicht vermittelt. Andere Politiker hatten es da schwerer. Hitler musste Militärparaden abhalten, einen Weltkrieg anzetteln und sechs Millionen Juden vernichten, Helmut Kohl sich beim Panzerfahren fotografieren lassen und Gerhard Schröder immerhin noch Gummistiefel anziehen, um beliebtester Politiker Deutschlands zu werden. Markus Söder dagegen muss sich nur in eine Lagerhalle voller Klopapier stellen.
Söder hat erkannt, was das Volk wirklich will: einen sauberen Arsch. Denn mit Hintern haben es die Deutschen. Wir haben eine merkwürdige Obsession mit dem Popo. Einerseits Lustobjekt, andererseits Symbol der Abwertung. „Arsch“ und „Arschloch“ gehören zum Standardrepertoire der deutschen Sprache – manchmal zur kumpeligen Begrüßung („Na, du Arsch, wie geht’s?“), öfter als Beleidigung („Du Arschloch, du!“). Will man schwereres Geschütz auffahren und seinem Kontrahenten wirklich Schlimmes wünschen, soll diese Person „mal kräftig in den Arsch gefickt“ werden. Gleichzeitig schauen wir uns aber gerne einen Arschfick an und ziehen eine lustvolle Befriedigung daraus. Seit Jahren ist „Anal“ die beliebteste Kategorie nach „German“ bei deutschen Pornhub-Masturbatoren. Vermutlich wird beides auch gerne zusammen genommen. Wir stöhnen vor Lust, wenn Deutschland in den Arsch gefickt wird.
Aber das deutsche Arschloch ist keine Einbahnstraße. Das wusste schon der Kanzler der Einheit: Wichtig ist, was hinten rauskommt! Und so verwundert es nicht, dass einer der beliebtesten Forumseinträge ever im deutschsprachigen Internet ein Eintrag aus einem Handwerkerforum aus dem Jahr 2005 ist. Ein besorgter Familienvater wollte wissen, bei welchen WC-Herstellern die Durchflussöffnung besonders groß ausgeführt ist. Also bei welchen Toiletten die Scheißhaufen besonders gut durchrutschen. Denn, das muss man wissen: „Wir alle scheißen große Haufen.“
Im Anschluss passiert das, was schon immer im Internet passiert ist: eine hitzige Diskussion entbrennt. In dieser erfährt man so einiges. Zum Beispiel, dass es einen sogenannten „Normschiss“ gibt und in Thailand Elefanten WCs mit Wasserspülung nutzen. Andere Diskutanten empfehlen eine Ernährungsumstellung oder gleich einen Arztbesuch, denn bei Haufen mit 7-8 cm Durchmesser gleiche der Stuhlgang wohl eher einer Geburt. „Ist doch kein Problem“, meint ein anderer. „Alles, was durch eine 1-Zoll-Rosette passt, passt bestimmt auch durch ein 3-Zoll-Rohr.“
Andere Forumsmitglieder rufen um Hilfe, weil sie lachend unter dem Schreibtisch liegen und nicht mehr hochkommen. Irgendwann wird es dem Familienvater zu bunt. Er konkretisiert die Angaben in der Hoffnung, doch noch eine Antwort auf seine Frage zu bekommen: „Es geht nicht um den Durchmesser der Haufen, sondern eher um deren Volumen/Masse. Einlagen von 2-3 kg sind bei uns keine Seltenheit!“
Und dann explodiert der Thread erst richtig! Ob die Familie Blei frisst, will ein Kommentator wissen. Ein anderer stellt nüchtern fest: „2-3 kg? Das ist doch Größenwahnsinn!“ Den monatlichen Klogang auf mehrere, vielleicht sogar tägliche Sitzungen zu verteilen, wird ebenfalls empfohlen. Der fragende Familienvater merkt langsam, dass seine Frage nicht ernst genommen wird, und sieht sich zu einer erneuten Klarstellung bemüßigt: „Gewogen hab ich noch keinen Haufen, eher rechnerisch ermittelt. Hab mich vorher auf die Waage gestellt. Stolze 115,4 kg, nach dem Geschäft waren es noch 113,6 kg. Das macht, wenn man mal vernachlässigt, was ich in den 20 Minuten herausgeschwitzt habe, nach Adam Riese 1,8 kg.“
Ein kritischer User gibt sich damit nicht zufrieden: „Mhhmmm, deine Berechnung mit dem Vorher-Nachher-Wiegen würde natürlich voraussetzen, dass du während des Geschäftes auch keinen Tropfen Pipi verloren hast. Meistens geht das aber zusammen ab. Sodass bei 1,8 kg Gewichtsverlust durchaus 800g Flüssigkeit dabei gewesen sein können. Dann bliebe noch immer ein stolzer Zweipfünder als Häufchen. Mir machen mittlerweile aber andere Dinge Sorgen. Wenn du, wie du sagst, einen Flachspüler von V&B hast, stelle ich mir gerade vor, wie das Wasser beim Spülen gegen diesen Fels brandet. Da heißt es, schnell Deckel zu und zurücktreten.“
Dann betreten die Mathenerds die Arena. Das verstaubte Wissen aus der 9. Klasse wird hervorgekramt und stolz präsentiert.
Dichte = 1
3000 g entsprechen 3000 qcm.
1-Zoll-Rohr
r * r * Pi * h = 3000
r = 1,27
h = 600 cm (?)
Eine 6-Meter-Wurst? Oder habe ich mich verrechnet?
„Ja“, meint anderer Mathecrack. Er hält die Dichte von 1 für zu gering. Er tippt eher auf eine doppelt so hohe Dichte und rechnet vor:
Volumen einer Säule: Pi * r * r * h
h = Volumen / (Pi * r * r)
Annahmen: a) Dichte = 2 (Scheiße schwimmt nicht im Wasser, sondern geht sofort unter.)
b) Durchmesser einer Wurst ist der Einfachheit halber 2 cm
Folgerungen:
a) 1 kg Masse entsprechen 500 cm³ Volumen
b) Radius ist 1 (halber Durchmesser)
h = 500 / (3.14 * 1 * 1) = 159 cm
Um seine Berechnungen anerkennend zu schließen: „Stramme Leistung, das!“ Woraufhin einem anderen Kommentator nur noch einfällt: „Sch … schwimmt immer!!! Sonst würde unser gesamtes Kanalnetz nie und nimmer funktionieren …“ Genau dieses möchte der ratlose Familienvater doch mittels einer neuen Toilettenschüssel befüllen, doch die Hoffnung, eine Antwort zu bekommen, platzt im Verlauf der Diskussion wie ein Luftballon. Bei welchen WC-Herstellern die Durchflussöffnung besonders groß ausgeführt ist, bleibt ein Geheimnis. Dafür wird – der Familienvater hat das Forum längst verlassen – die Lösung für den aktuellen Klopapiernotstand präsentiert. Kommentatorin Benita weiß nämlich, dass in Sri Lanka aus Elefantendung Papier hergestellt wird. Und wenn das schon geht, wird es auch möglich sein, Menschenscheiße in Hackle feucht zu verwandeln, damit das deutsche Arschloch sauber bleibt.
Markus Söder wird es schon richten. Seid unbesorgt.
Jede Pandemie hat auch ihre gute Seiten. Hier sind die
10. Männer waschen sich endlich die Hände.
9. Immer mehr Menschen entdecken Po-Duschen für sich.
8. Die Volksgesundheit profitiert. Noch nie waren so viele untrainierte Menschen joggen wie seit dem Shutdown.
7. Pendler freuen sich: endlich keine Staus im Berufsverkehr mehr.
6. Das Klima atmet auf: Die CO2-Belastung geht zurück.
5. Impfgegner sagen ihre Demonstration in München wegen der Corona-Ansteckungsgefahr ab. Die Demo wird nachgeholt, wenn es einen Impfstoff gibt.
4. Schwere Zeiten für Einbrecher. Wenn alle zu Hause im Homeoffice sitzen, ist Einbruch nur noch schwer möglich.
3. Die Terrorgefahr sinkt. Der IS hat eine Reisewarnung für Europa ausgegeben. Die angehenden Selbstmordattentäter sollen Europa meiden, solange hier das Virus grassiert. Andererseits: Es dürfte zurzeit schwer sein, eine öffentliche Versammlung zu finden, bei der es sich lohnt, den Bombengürtel zu zünden.
2. Keine blöden Ausreden mehr, um Tante Hedwigs achtzigstem Geburtstag fernbleiben zu können. Ein Verweis auf den Neun-Punkte-Plan genügt.
1. Fernsehwerbung schauen macht endlich Spaß. Man muss sie sich nur mit den Social-Distancing-Maßnahmen und Versammlungsverboten vorstellen.
Wer mich ein bisschen kennt, weiß, dass ich mich gerne in den Untiefen des Trash-TVs bewege. Diese Vorliebe führt dazu, dass ich beim Zappen regelmäßig bei „Dschungelcamp“, „Promi Big Brother“ oder „Sommerhaus der Stars“ hängen bleibe, aber auch bei Datingmüll wie „Temptation Island“, „Bachelor“, „Are you the one“ oder „Ex on the Beach“.
Ist euch mal aufgefallen, dass in diesen Sendungen die Protagonisten sich immer einen Partner wünschen, der nicht lügt? Nee, ist euch natürlich nicht aufgefallen. Ihr schaut euch so einen Scheiß nicht an. Diese armseligen, grottendummen Sendungen, dieses Idiotenfernsehen, diese Ausgeburten der Schadenfreude, des Voyeurismus und des Pseudomitleids, nein, das tut ihr euch nicht an. Ihr könnt nicht verstehen, was daran unterhaltsam sein soll, wenn andere sich öffentlich zur reinen Unterhaltung bloßstellen lassen. Ihr versteht nicht, wie man sich das anschauen kann. Ihr seid keine Banausen, keine Hartz-IV-TV-Klientel. Ihr seid was Besseres. Ihr habt Klasse. Ihr wisst, wie die Kulturindustrie funktioniert.
„Manchmal eine Doku auf Arte, mehr schaue ich mir eigentlich nicht an.“ Oder noch extremer: Ihr habt nicht einmal einen Fernseher! Ihr lest lieber ein gutes Buch, von Falk Fatal zum Beispiel.
Also müsst ihr mir das Folgende jetzt einfach glauben. Die Protagonisten dieser Datingshows wollen wirklich alle einen Partner, der nicht lügt. Die können beim Essen schmatzen, im Stehen pinkeln, vor dem Fernseher laut furzen, besoffen die Windschutzscheibe ankotzen, permanent für Instagram posieren, ein Gesichtstattoo tragen, am liebsten Hansa-Pils trinken und sogar die Böhsen Onkelz hören – solange sie einen geilen Körper haben, ist das alles kein Problem. Nur Lügen dürfen sie nicht. Das ist ein absolutes No-Go! Das geht gar nicht!
Really?
Alleine dieser Satz ist doch schon eine Lüge: Ich will einen Partner, der nicht lügt. Wie soll das gehen? Wir lügen alle. Pausenlos. Bis zu 200-mal am Tag. Mir kommt diese Zahl zwar ziemlich hoch vor, gibt es doch Tage, da verlassen deutlich weniger Worte meinen Mund, aber ich bin ja auch nicht alle.
Trotzdem: 200 Lügen am Tag. Das heißt, alle sieben Minuten sagen wir nicht die Wahrheit. Ziehen wir die acht Stunden ab, die wir im Schnitt schlafen, lügen wir sogar alle fünf Minuten. Und da hoffen die Liebe suchenden Z-Promis wirklich auf einen Partner, der nicht lügt? Vermutlich ist das der Grund, warum sie in einer Fernsehsendung nach der großen Liebe suchen – im realen Leben werden sie so einen Menschen nicht finden.
Und das ist gut so! Lügen halten unsere Gesellschaft zusammen. Wir fühlen uns durch sie besser und manchmal retten sie uns den Arsch. Denn absolute Ehrlichkeit würde uns auf Dauer nur noch depressiver und einsamer machen, als wir sowieso schon sind.
Ich rede hier nicht von den großen, den gemeinen und bösartigen Lügen, wie dass man angeblich den Fußball liebt, obwohl man Bayern-München-Fan ist. Oder dass man dem Mädchen aus der Parallelklasse, auf das man scharf ist, glaubhaft versichert, man habe ihren Freund voriges Wochenende auf einer Party wild mit einer anderen herumknutschen sehen, nur damit man selbst den gefühlvollen Tröster spielen kann. Oder die Lügen über angeblich vorhandene Massenvernichtungswaffen, Überfälle auf Radiosender oder Protokolle irgendwelcher Weisen, die als Vorwand für Krieg und Völkermord dienten. Nein, diese Lügen meine ich nicht. Die sollten wir alle tunlichst unterlassen.
Ich rede von den kleinen Lügen, die uns vor den Nadelstichen schützen, die wir sonst jeden Tag ertragen müssten und die uns auf Dauer erst mürbe machen und schließlich zerstören würden, wenn wir alle absolut ehrlich zueinander wären.
Niemand hört gerne, dass die neue Frisur, für die man 60 Euro inklusive Waschen und Föhnen bezahlt hat, aussieht wie ein überfahrener Marder. Niemand hört gerne, dass man in dem Lieblings-Jugend-T-Shirt mit „Bored Teenager“-Aufdruck, das 25 Jahre später nicht nur in der Bauchregion extrem spannt, absolut lächerlich aussieht. Niemand hört gerne, dass man kein lustiger Typ ist, und das, obwohl man Fips Asmussens Meilenstein „Witze am laufenden Band“ in- und auswendig rezitieren kann. Niemand hört das gerne.
Oder du bist auf einem geilen Konzert. Deine Lieblingsband hat gerade einen fulminanten Auftritt hingelegt und wirklich alle deine Lieblingslieder gespielt. Du bist nassgeschwitzt vom Tanzen und stellst dich dann total euphorisiert in die Schlange vor der Biertheke. Neben dir steht zufällig eine entfernte Suffbekanntschaft und da du nicht unhöflich sein willst, fragst du sie: „Alles gut?“ Willst du dann wirklich hören: „Nein, gar nichts gut. Wie du vielleicht weißt, bin ich vor einem Jahr grundlos in eine andere Abteilung versetzt worden. Und da ist es richtig scheiße. Die Kollegen sind Arschlöcher und ich werde von denen pausenlos gemobbt“? Das weißt du natürlich nicht. Denn der Typ neben dir ist halt nur eine entfernte Suffbekanntschaft und nicht dein bester Freund, mit dem du pausenlos über deine Gefühle sprichst. Aber du willst dir ja nichts anmerken lassen, wie sähe das auch aus? Deshalb nickst du verständnisvoll.
„Und von meinem Meerschweinchen, der kleinen süßen Rhonda, die jemand vergiftet hat, weißt du sicher auch.“ Nee, davon weißt du natürlich nichts, denn der Typ ist halt nur eine entfernte Suffbekanntschaft. Aber du willst dir ja nichts anmerken lassen. Du nickst verständnisvoll.
„Und von dem Autounfall, den ich neulich hatte, und wegen dem ich zwei Monate im Krankenhaus lag, weil mir jemand die Bremskabel durchgeschnitten hat, hast du sicher auch gehört.“ Nee, davon hast du natürlich nicht gehört, denn der Typ ist halt nur eine entfernte Suffbekanntschaft. Aber du willst dir ja nichts anmerken lassen. Du nickst verständnisvoll.