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Anja Hilling

Nostalgie 2175

FELIX BLOCH ERBEN

Verlag für Bühne, Film und Funk

Inhaltsverzeichnis

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Personenverzeichnis

Stücktext

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Über die Autorin

Über das Stück

Impressum

Personenverzeichnis

Pagona
Taschko
Posch

Ein Augusttag im zweiten Jahr des 22. Jahrhunderts drehte
Bei einer Rekordtemperatur von 81°Celsius
Der Welt den Saft ab.
Menschliche Seelen elektrischer Strom
Bildschirme Computersysteme
Telefonverbindungen
Automotoren Blechkarosserien
Die weiche Haut über den Organen
Zarte Organismen schmolzen dahin
Wie früher Herzen beim Anblick einer schönen Frau.
Stillstand.
Wilde Gesten hohe Pulsfrequenz Telefonate im Freien
Autos Kriege Schreie aus Schlachthöfen
Das alles war nicht mehr als eine dunkle Erinnerung.
Die Sonne hat sich seitdem nicht mehr sehen lassen.
Die Temperatur sich eingependelt
Auf einen Durchschnittswert von 60°Celsius.
Es gab eine Umstellung.
Ein Erwachen unter neuen Bedingungen.
Verödung von Körper und Landschaft.
Blutung der Lungenwege.
Verstopfung der Hörgänge.
Reduktion des Augenlichts um 30 Prozent.
Nasenschleimhaut verschwunden unter Eiter und Blasen.
Schwarze Mundhöhle.
Zungenlähmung.
Tiefer Himmel.
Einsamkeit.
Vor der Anpassung also eine Art Ende.
Eine Unterbrechung mitten im Leben.
Der Körper kann kein Fleisch mehr verdauen
Keine Haare mehr produzieren
Und keinen Samen der Kinder schenkt.
Die Haut ist dünn geworden.
Rissig.
Der Kontakt intensiv.
Die Schönheit einer Berührung ist von ihrem Schmerz nicht mehr zu trennen.
Das Herz tut was es immer tut.
Schlägt rein.
In eine leise Welt.
Befreit.
Von Straßenlärm Telefonkontakten Kriegen und Computern.
Uns ist warm.
Wärme ist alles was wir haben alles was wir sind.
Durch sie fahren leise unsere Autos unsere Straßenbahnen
Leuchten unsere Räume.
Sie legt sich auf unsere Glieder
Verschluckt unsere Stimmen.
Ist die Stille in unseren Augen.
Strom ist Schnee von gestern
Und Vegetation ein Märchenwald.
Wir arrangieren uns.
Der Mensch ist eine Fee
Die sich weiter Lebenslust aus dem leeren Ärmel schüttelt.
Wir lächeln.
Wir brauchen keine Vollmondnacht und keine Wimpern.
Um den Glanz in unseren Augen zu sehen.
Wir tragen die Wunder in uns.
Wir leben von Wärme und Vorstellungskraft.
Wir haben Seen aufgeschüttet
Bäume nachgebaut.
Setzten Lichter wie Abendrot in die Kronen
Und konnten schon bald
Sowohl den Geruch eines Ahorns imitieren
Als auch einen zeugungsstarken Samen künstlich reproduzieren.
Bei Sonne und Schnee hapert es noch.
Aber.
Baby.
Das ist erst der Anfang.
Wir schreiben das Jahr 2175.
Und es bedeutet mehr Glück denn je
Das Licht dieser Welt zu erblicken.

Taschko
Pagona.
Pagona
Ja.

Pagona.
Weil das alles ist.
Mein Name.
Alles was ich dir geben kann.
Alles was du wissen musst. Von mir.
Alles.
Und nichts.
Nichts als Freude und heller Schmerz.
Nichts was ich mir mehr wünsche.
Nur mein Name.
Aus seinem Mund.
Also hab ich von dir erzählt.
Er hat meinen Namen gesagt und dich gemeint.
Das ist doch ein Anfang.
Kein schlechter für dich.
Baby.

Taschko
Pagona.
Pagona
Ja.
Taschko
Ein Mädchen.
Pagona
Dein Mädchen.
Taschko
Mach dir doch nichts vor.

Ja.
Lass uns ehrlich sein.
Vertrauen haben Glauben schenken.
Ein Mädchen.
Pagona.
Die natürlichste aller Befruchtungen.
Dieses Wunder wurde seit dem August 2102 ganze acht Mal gemeldet.
Die acht Frauen standen nach der Bekanntgabe unter extremer Beobachtung.
Medizin Soziologie Philosophie.
Die Wissenschaft hat kein Auge zugetan um herauszufinden
Wie das möglich wurde.
Die Befruchtung durch gewöhnlichen Geschlechtsverkehr.
Die Frauen waren zwischen 18 und 37.
Extreme Unterschiede in Größe Gewicht und Hautfarbe.
Kein gemeinsamer Nenner in Punkto Herkunft und sozialer Hintergrund.
Keine Ähnlichkeit.
Erst im Gespräch.
Im Gespräch über den speziellen Moment.
Den Moment der Empfängnis.
Haben alle acht von einem unsagbaren Schmerz gesprochen.
Gefolgt von dem Gefühl tot zu sein
Bei vollem Bewusstsein.
Endlich die Frage nach Liebe.
Ob sie den Mann geliebt hätten mit dem das passieren konnte.
Antworteten vier von ihnen Ja.
Vier mit einem klaren Nein.
Also. Wurde zusammengefasst.
Kann die Bedingung nicht sein dass Liebe im Spiel war.
Doch das war der Fehler.
Denn Liebe war im Spiel.
Genau das ist die Bedingung.
Liebe.
Baby.
Auf vollkommen umständliche Weise.
Alle acht Frauen wurden aufgeklärt über die Möglichkeit eine solche Geburt zu überleben.
Sie liegt
Erst nach wissenschaftlicher später auch empirischer Einschätzung.
bei zwei Prozent.
Der weibliche Körper ist nicht mehr für diesen seltenen Fall gerüstet.
Das natürlich gezeugte Kind verbindet sich
während der Schwangerschaft
auf symbiotische Weise mit seiner Umgebung.
Übernimmt nach und nach die absolute Herrschaft über die lebensnotwendigen Organe seiner Mutter.
Niere Herz und Lunge.
Die ab dem dritten Monat nicht mehr vom Fötus zu trennen sind
Und mit 98protzentiger Sicherheit
Mit der Geburt des Säuglings
Aus dem Körper der Mutter gerissen werden.
Zwei der acht Frauen haben entschieden abzutreiben
Sechs wollten das Kind zur Welt zu bringen.
Eine hat die Geburt überlebt.
Die Kinder sind alle gesund zur Welt gekommen.
Durchatmen Baby.
Nummer neun.
Weltweit.
Wahnsinn.
So ist die. Die Welt.
Ein Zauberhut.
Aus schwarzem Boden eine Lichtfontäne.
Herzlich Willkommen mein Wunderhäschen.
Kind der Liebe.
Wird man dich nennen.
Am Ende.
Wenn die miesen Zweifel beseitigt sind.

Taschko
Wir haben nie gefickt.
Pagona
Was weißt du schon davon.
Taschko
Du hast dich befruchten lassen.
Pagona
Nein.
Es ist passiert. Ein Unfall sozusagen.
Taschko
Was ist los mit dir.
Dass dir so was passiert.
Du bist in der Klinik gewesen.
Pagona
Ich war nirgendwo.
Nur bei dir.
Taschko
Du hast mit meinem Boss gefickt.
Pagona
Und nur dich gespürt.
Taschko
Was erwartest du.
Dankbarkeit.
Pagona
Er hat dir ein Mädchen geschenkt.
Taschko
Pagona.
Pagona
Ja.
Taschko
Vielen Dank.

Das sind die Geschenke.
Was zu vergeben war.
Ein Job ein Herz. Später ein Baby. Eine Million und mehr als ein Leben.
Da kann man nicht meckern.
Auch wenn es traurig ist.
Auch wenn du ein Mensch wärst dem ich gerne begegnet wäre.
Geb ich mich jetzt zufrieden.
Dass ich dich nicht überleben werde.
Weiß das.
Baby.
Dass die einzige der acht Frauen die das überlebt hat.
Jemanden wie dich.
Vor 56 Jahren gemeldet wurde.
2119.
Nummer zwei.
Eine 21-jährige Asiatin.
Die Frau wurde fünf Tage nach der Geburt ihres Kindes auf offener Straße erstochen.
Das Kind ist ein berühmter Mathematiker geworden.
Das wollt ich dir nicht vorenthalten.
Die Wut und die Fülle der Möglichkeiten.

Taschko
Du wirst nicht die zweite sein.
Pagona
Ich weiß.
Taschko
Gibst dein Leben für ein scheiß Wunder.
Pagona
Das ist kein Wunder.
Das ist das Einzige was wirklich ist zwischen dir und mir.
Taschko
Ein Baby.
Was soll ich mit einem Baby.
Das deine Augen hat deine Haut deinen Namen.
Was soll ich mit so einer Wirklichkeit.
Pagona
Du könntest dich kümmern um jemanden.
Taschko
Ich will mich um dich kümmern.
Pagona
Sie würde dir vertrauen.
Taschko
Ich will dass du mir vertraust.
Pagona
Ein Baby.
Wie viel Vertrauen willst du noch.
Taschko
Ich will dass du bei mir bleibst.
Pagona
Ich hab mit deinem Boss gefickt.
Taschko
Damit komm ich zurecht.
Pagona
Du hast dich noch nie um mich gekümmert.

So hat er dich aufgenommen.
Schlecht.
Am Anfang warst du eine Botschaft.
Ein böses Versprechen.
Fast ein Vorwurf.
Am Anfang warst du ein Datum.
Der dritte Mai 2175.
Frühlingskind. Hat man dich früher genannt.
Dritter Mai. Hello and Goodbye.
Wenn alles glatt geht.
Vielleicht gibt es noch Überschneidungen.
Zarte Bruchteile. Sekunden.
Ein Blick ein Schrei ein Lächeln.
Eine Berührung jenseits der Nabelschnur.
Baby lass mich nicht zu viel versprechen.
Den Tag nicht vor dem Abend loben.
Ich will nur sagen dass du geliebt wurdest.
Später.
Als du mehr warst als eine Botschaft.
Als du ein Beweis geworden bist.
Eine Gabe ein Pfand.

Taschko
Warum
Pagona
Weil ich mich sehne nach dir.
Ich will dich berühren.
Zwischen deinen Beinen aufwachen.
Dich auf der Straße küssen.
Dir um den Hals fallen.
Ich will mit dir schlafen.
Mit dir leben.
Taschko
Du lebst mit mir.
Pagona