Anja Hilling
Schwarzes Tier Traurigkeit
FELIX BLOCH ERBEN
Verlag für Bühne, Film und Funk
Inhaltsverzeichnis
Title Page
Personenverzeichnis
Teil eins: Das Fest
Teil zwei: Das Feuer
Das Leuchten (Minute eins)
Der Schrei (Minute zwei)
Der Körper (Minute zwei bis fünf)
Der Bus (Miranda)
Die Explosion (Flynn und Martin)
Die anderen (Jennifer, Oskar und Paul)
Die absolute Sicherheit (Miranda)
Die Pause (Jennifer, Oskar und Paul)
Glück (Martin und Flynn)
Schwarzes Tier (Jennifer, Oskar und Paul)
Das Ehepaar
Die Rettung (Martin und Flynn)
Teil drei: Die Stadt
I. Fragen zum Geschehen
II. Anrufe für Paul
III. Bei den Pferden
IV. Anruf für Martin
V. Wuthering Heights
VI. Besuche für und von Oskar
VII. Clubbing
VIII. Auf der Straße
IX. Die Luft nach dem Regen
X. Träume
Always on my mind
Über die Autorin
Über das Stück
Impressum
Miranda, um die 30
Paul, um die 40
Martin, Mitte 40
Jennifer, Anfang 40
Oskar, um die 40
Flynn, Anfang 30
Ein Ehepaar
„Viel in Liedern gepriesen entwuchs er der Göttinnen Pflege,
zog dann gern von Gehöft zu Gehöft durch die Wälder,
mit Efeu schwer behangen und Lorbeer. Nymphen machten Gefolge,
er war der Führer, die endlosen Wälder hallten vom Donner.
Darum dir auch Heil, Dionysos, Traubenbeladner!
Lass uns die Jahreszeiten in Freude noch einmal erleben,
doch nach den Jahreszeiten noch viele weitere Jahre!“
(Homerische Hymnen: Hymne an Dionysos)
Ein Wald, ein Mischwald, Kiefer, Esche, Linde, Buche, auch Eiche, manchmal eine Weide. Es ist Abend. Und Sommer. Der Wald leuchtet. Es ist heiß, nicht warm. Seit vierunddreißig Tagen wartet der Wald auf Regen. Sein Warten macht ihn bunter, lauter, schöner. Kriechen des Tausendfüßlers auf brüchigem Buchenblatt, Klappern des Käferpanzers, glitzernd, beim Fall auf Grund ohne Flüssigkeit, Schaben von Eichhörnchennägeln an abblätternden Baumrinden, rot und braun. Irgendwann ein Motorengeräusch, Wegspringen von Steinen, Erdballen auf schmalem, zweispurigem Weg. Ein VW-Bus, schwarz und beige, die Fenster geschlossen, klimatisiert, getönt. Wie lange der Bus seinen Weg sich schon schlängelt durch den Wald, wer kann das wissen. Irgendwann ist er einfach hier. Die Geräusche der Tiere, Blätter, Rinden werden kurz lauter, schneller. Dann verschwinden sie. Der schwarz-beige Bus fährt langsam, von den Umständen irritiert: Schlaglöcher, Steinspitzen. Äste mit Blättern, gelb, rot, meist grün, sommergrün, streifen, schlagen die geschlossenen Fensterscheiben, das Dach, die Achse des Wagens. Im Wagen Klappern von Gegenständen, Getränkekisten, Bier, Cola, Wasser, Wein, eine Flasche Cognac, Alufolie, Pappgeschirr, sechsmal echtes Glas, sechs Cognacschwenker. Ein Karton, im Karton Würzflaschen, Ketchup, Curry, Curryketchup und Tüten, Tüten mit Gemüse, Zucchini, Tomaten, Tüten mit Kartoffeln, Tüten mit Brot, Baguette, Ciabatta, Vollkorn, Tüten mit Fleisch, Rindfleisch, Schweinefleisch, Geflügel, Grillgut. In der Ecke, gut verstaut, der Grill, darunter Kohle, ein ganzer Sack. Vorne, vor dem Klappern der Gegenstände, in drei Reihen hintereinander sechs, nein sieben Personen. Vier Männer, zwei Frauen, auf dem Schoß der jüngeren Frau ein Kind, ein Baby, ein Mädchen. Das Mädchen hat eine Flasche im Mund, aber es saugt nicht mehr, es ist eingeschlafen. Die Reisenden sehen nach draußen oder sehen sich um oder nach vorne, nach hinten, rutschen auf dem kühlen, beigen Polster. Draußen der Wald. Der Abend ist dunkler als er ist, durch die Tönung der Scheiben später als es scheint. Es ist kurz vor sechs. Die Personen sind länger unterwegs, als sie es erwartet hatten, länger, als es ihnen gefällt. Aber dann doch, immer wieder, der Blick, der Versuch von Worten, die was erzählen von der Ehrfurcht, die das Sitzen und das Rutschen in den Schatten stellt, angesichts des Waldes, der Schönheit der Welt, das Staunen und die Freude, jetzt, wo wir schon mal hier sind.
Miranda
Guck mal.
Paul
Ja.
Miranda
Guck mal Gloria.
Martin
Die Farben.
Miranda
Ein Reh.
Jennifer
Ja.
Oskar
Schön.
Jennifer
Ja. Sehr schön.
Paul
Ein Reh.
Miranda
Ja.
Paul
Wo.
Miranda
Jetzt hat es Angst.
Oskar
Sag auch mal was.
Flynn
---
Oskar
Warum sagt er nichts. Dein Freund.
Jennifer
Lass ihn in Ruhe.
Martin
Da.
Paul
Wo.
Martin
Da. Die Sonne im Baum
Paul
Ja. Supersonne Superbäume.
Martin
Die Farben Freunde. Ganz schön bunt da draußen.
Oskar
Eigentlich grün. In der Hauptsache grün.
Flynn
Da war s wieder.
Jennifer
Was.
Flynn
Das Reh.
Oskar
Geht doch. Das Sprechen.
Miranda
Halt mal an.
Martin
Muss jemand pissen.
Paul
Das mit den Rehen nervt.
Martin
Geraucht wird jetzt nicht.
Pissen würd ich gelten lassen.
Oskar
Wie weit noch.
Jennifer
Ja. Wie weit noch. Ist doch schön hier.
Oskar
Schöner wird s nicht.
Martin
Bisschen noch. Wart s ab.
Miranda
Halt an. Hab ich gesagt.
Paul
Weiter geht s. Ich hab Hunger.
Jennifer
Jetzt seht euch die Roteiche an.
Oskar
Die ist nicht rot.
Jennifer
Doch. Die Krone. Feuerrot.
Oskar
Feuer ist nicht rot.
Miranda
Halt jetzt an.
Martin
Warum
Miranda
Ich will Gloria ihr erstes Reh zeigen.
Man könnte sagen, sie sind Freunde. Sie kennen sich, mehr oder weniger, mögen sich, irgendwie, verachten sich manchmal, wissen voneinander, einiges, wollen sich gefallen. Sie wollten mal raus an diesem schönen Sommertag, der Welt den Rücken kehren, ein Grillfest, eine Nacht unter freien Himmel, Sorgen vergessen, Sterne zählen, Wind auf Haut, Mücken, Lächeln, Augenglanz. Satt sein, betrunken sein und leicht, sehr leicht, mitten auf einer Lichtung, zwischen Bäumen, die hoch sind und grün, sie umgeben mit Knacken und Rascheln, leise und schön, wie das erste Geräusch der Welt. Sie sind da.
Jennifer
Was soll das.
Paul
Was.
Jennifer
Was tust du.
Paul
Atmen.
Paul ist groß, er sieht stark aus, unbeweglich. Sein Gesicht ist breit, die Augen klein, aber hell, die Lippen voll in einer rauen Haut. Er ist um die vierzig, ja, um die vierzig und Architekt. Jennifer ist nicht seine Frau, sie war es mal. Sie hat für ihn gearbeitet. Das ist auch vorbei. Sie ist Photographin. Ihr Haar ist lang, braun und wellig. Jetzt glänzt es im Abendlicht. Jetzt sieht sie jünger aus als sie ist. Sie ist älter als Paul, ein wenig, ein, zwei Jahre, ihre Augen sind braun und groß, ihre Wimpern dicht. Sie lächelt. Jetzt, wo sie Paul atmen sieht, lächelt sie. Ihre Lippen sind geschminkt. Sie hat dieselbe Farbkombination gewählt für diesen Tag. Unten eine Stoffhose, hellgrau und oben schwarz, sie eine Bluse, er ein T-Shirt.
Miranda
Paul.
Oskar
Soll ich sie nehmen.
Miranda
Paul. Hilf mir mal.
Paul
Oskar. Nimm du sie mal.
Miranda
Hier.
Oskar
Glory gloomy Gloria.
Miranda ist Pauls Freundin. Sie trägt ein T-Shirt, Aufdruck, ein Comic. Sie ist jünger als er, zehn Jahre und schön, sehr schön, schöner denn je. Früher stand sie als Modell vor der Kamera, jetzt ist sie Mutter. Vor einem Jahr, einem guten Jahr, hat sie ein Kind bekommen, ein Kind von Paul, ein Mädchen, Gloria. Gloria liegt jetzt in den Armen von Oskar. Seine Arme sind schmal, sehnig, lang, seine Arme sind Äste. Oskar ist Jennifers Bruder, zwei, nein, vier Jahre jünger als sie. Er ist Künstler. Lichtsachen. Gloria sieht ihn an, sieht still in sein Abendrotgesicht.
Jennifer
Flynn.
Martin
Ich glaub er ist eingeschlafen.
Jennifer
Flynn.
Paul
Flynn. Du hast dir echt einen Flynn geholt.
Oskar
Er ist Musiker.
Martin
Er ist schön. Dein Freund.
Oskar
Was machst du so lang da drin.
Martin
Was für ein Plätzchen.
Jennifer
Flynn. Bringst du die Schnitzel mit.
Paul
Ja. Flynn. Und Bier.
Jennifer
Wo ist deine Freundin.
Paul
In den Büschen.
Oskar
Wollt ihr wissen wie seine Band heißt.
Jennifer
Halt die Klappe.
Paul
Eine Band. Klingt interessant.
Oskar
Die Flynns.
Paul
Die Flynns. Wie alt ist er eigentlich.
Jennifer
Zwei Jahre älter als deine Freundin. Aber halb so schwer.
Paul
Miranda war schwanger.
Oskar
Warum heißt deine Freundin eigentlich wie Limonade.
Miranda
Ich heiß Miranda. Nicht Mirinda.
Oskar
Guck mal Gloria. Da kommt die Mama vom Pissen.
Martin
Freunde. Können wir s gut haben.
Hinter Martin, Flynn, Jennifers Freund. Er steigt aus dem Wagen, verschlafen, jung. Sein Anblick trifft Herzen, sein Haar ist Erde, verwüstet jetzt auf angenehme Weise nach kurzem Schlaf, sein Körper leicht. Seine Augen. Martin würde sagen, seine Augen sind Sumpfblumen, dunkel und grün, gehalten von einem Bett starker Lider. Aber Martin ist von Anfang an, seit die Fahrt begonnen hat, befangen gewesen. Martin ist Oskars Freund, Mitte vierzig, der Schädel kahl, die Kleidung weiß, elegant, unpassend. Er ist erfolgreich, reich, hindert sich selbst, in die Breite zu gehen. Er ist Leiter einer Modellagentur. Eines seiner Mädchen ist Miranda gewesen. Als sie noch ein Mädchen war. Eine seiner Mitarbeiterinnen ist Jennifer, die Photographin, die Schwester seines Geliebten, Oskar. Martins Blick senkt sich, die Sonne trifft warm seinen glatten Schädel. Sein Blick fällt auf die Kiste Becks Bier, die Kiste, die er für Flynn hält in langen Händen, Händen mit starkem Adernlauf nach allen Richtungen, blau und wild. Er stellt die Kiste ab, die Erde antwortet mit trockenem Bruch. Das Ausräumen des Kofferraums beginnt, die üppige Ladung. Paul bleibt stehen, hier, ruhig, auf dieser grünen Fläche.
Miranda
Was denkst du.
Paul
Was.
Flynn
Kann mir jemand mit dem Grill helfen.
Miranda
Was denkst du. Paul.
Oskar
Ja was wohl. Hier wird was geschaffen gerade.
Ein Hotel vielleicht eine Anlage ein Naherholungsgebiet.
Keine Zeit zum Grillaufbau sorry.
Horizontale Senkrechte. Aus der Lichtung machen wir einen Swimmingpool.
Aus dem Weg eine Straße, aus den Bäumen eine Vertäfelung.
Jennifer
Aus dem Sommer eine Sauna.
Miranda
Gras Eichhörnchen Waldluft ein Cocktail aufs Haus.
Paul
Ich dachte gerade. So schön wie heut Abend warst du noch nie.
Decken werden bereitet, Deckel geöffnet, Brot geschnitten, Salate angemacht. Flynn versucht, den Grill aufzubauen. Jennifer geht zu ihm, ohne Hilfe zu sein, nimmt sein Haar aus der Stirn, dreht es um ihren Finger. Und Flynn, er lächelt, aber es ist ein fernes Lächeln, ein Lächeln, das die Berührung abschüttelt, denn das mit dem Grill, das würde er so gerne schaffen.
Oskar
Die Wurst ist abgelaufen.
Martin
Was soll das heißen. Die Wurst ist abgelaufen.
Oskar
Die Würstchen.
Martin
Die Lammwürstchen.
Oskar
Ja.
Martin
Das kann nicht sein.
Oskar
Oh ja.
Martin
Die hab ich gestern bei Karstadt geholt.
Oskar
Ich hab mir das auch anders vorgestellt Schatz.
Oskar zieht sein T-Shirt aus, setzt sich auf die Decke, in die letzten Sonnenstrahlen und trinkt ein Bier. Er sieht schmal aus und zart an dieser Stelle. Martin geht zu ihm, setzt sich, berührt ihn mit weißem Hemd an nackter Schulter, liest die Informationen auf der Lammwustpackung. Der Grill steht. Jennifer entfernt sich, Flynn an der Hand. Miranda wickelt das Baby im offenen Kofferraum. Paul öffnet eine Weinflasche.
Miranda
Gib mir auch einen Becher.
Paul
Jetzt schon.
Miranda
Nein. Lass uns bis Mitternacht warten.
Paul
Du bist nicht komisch.
Miranda
Und du nicht mein Vater.
Martin
Ja Papa. Gib ihr einen Becher Wein.
Miranda
Halt dich da raus.
Oskar
He. Hänsel und Gretel verschwinden im Wald.
Paul
Wohin die Reise.
Flynn