Jörg Isermeyer
Ohne Moos nix los
Ein Stück mit Musik für Kinder ab zehn Jahren
FELIX BLOCH ERBEN
Verlag für Bühne, Film und Funk
Inhaltsverzeichnis
Title Page
Personenverzeichnis
Szene 1
Szene 2
Szene 3
Szene 4
Szene 5
Szene 6
Szene 7
Szene 8
Szene 9
Szene 10
Szene 11
Szene 12
Szene 13
Szene 14
Szene 15
Szene 16
Szene 17
Szene 18
Szene 19
Szene 20
Szene 21
Szene 22
Alle singen als Zugabe.
Über den Autor
Über das Stück
Impressum
Jule Wolff, 11 Jahre
Tim Wolff, 16 Jahre, Jules Bruder
Frau Wolff, Jules und Tims Mutter
Lukas Erdmann, 11 Jahre
Frau Erdmann, Mutter von Lukas
Herr Weinert, Jules Klassenlehrer
Paul, Fahrraddealer
Fussel, Fahrraddealer
Ein Mann, ein Nachbar von Lukas
Ein zweiter Mann, Passant mit Aktenkoffer bzw. Alien
Ein Polizist
1 Musiker
Das Stück ist mit 5 Schauspielern (3 m, 2 w) spielbar.
Auf der Straße. Jule ist allein auf der Bühne und vertreibt sich die Zeit. Ein Mann kommt vorbei. Jule lässt ihn vorbeigehen und folgt ihm heimlich. Sie überqueren verschiedene Male die Bühne. Wenn er sich umguckt, versteckt sie sich. Sie macht Zeichen ins Publikum, sie nicht zu verraten. Der Mann verschwindet in einer Tür. Jule klettert auf eine Mülltonne, um durch ein hochgelegenes Fenster in das Haus zu sehen. Lukas kommt mit Schulranzen und Handy am Ohr.
LUKAS
(ins Handy) Nein, Mama, ich bin doch gleich da ... Weiß ich doch, aber ... Ich hab nicht getrödelt, ich ... Wir hatten ne Stunde länger ... Hab ich dir aber gesagt ... Doch, hab ich ... Ja, dann ess ich es eben kalt ... Ja, bis gleich. (Er legt auf und bemerkt Jule.) Was machst du’n da?
JULE
(erschrickt) Geht dich nichts an. (Sie wendet sich wieder dem Fenster zu. Lukas bleibt unschlüssig stehen. Sie dreht sich wieder zu ihm) Ist was?
LUKAS
Ich ... ich wohn hier aber.
JULE
Na und? Ich wohn woanders. (Sie wendet sich wieder dem Fenster zu.)
LUKAS
Wer bist denn du überhaupt?
JULE
Geht dich auch nichts an.
LUKAS
Wohl. Ich hab dich hier nämlich noch nie gesehen. (Jule ignoriert ihn.) Darfst du das überhaupt?
JULE
Mann, verpiss dich. Merkst du nicht, dass du störst.
LUKAS
Ich kann auch klingeln und da drinnen fragen.
JULE
Wenn du das machst, dann ...
LUKAS
Also darfst du das nicht.
JULE
Hab nicht gefragt.
LUKAS
Und wieso nicht?
JULE
Mann, das ist doch der Witz. Du kannst doch niemanden beschatten und vorher fragen: „Entschuldigung, darf ich sie mal’n bisschen beschatten?”
LUKAS
Ist da drin ein Verbrecher?
JULE
Woher soll ich denn das wissen?
LUKAS
Ich denk, du beschattest den.
JULE
Ja, aber noch nicht so lange.
LUKAS
Und warum beschattest du den, wenn er nichts verbrochen hat?
JULE
Mann, hau ab! Du nervst.
LUKAS
(macht einen Schritt zur Tür und hebt den Finger zum Klingeln) Soll ich drinnen fragen?
JULE
Okay. Ist ein Spiel. Hab ich mir selbst ausgedacht. Ich such mir einfach einen aus und folg dem.
LUKAS
Einfach so? Und wenn der das merkt?
JULE
Das merkt keiner, nicht bei mir. Dem hier bin ich jetzt schon zwei Stunden hinterher.
LUKAS
Zwei Stunden?
JULE
Klar. Vom Kotti übern Kudamm bis hier.
LUKAS
Glaub ich nicht.
JULE
Das ist doch gar nichts. Mein Rekord liegt bei sechs Stunden – sechs Stunden jemandem folgen, ohne dass er das merkt, dass musst du erstmal schaffen.
LUKAS
Angeberin.
JULE
Du schaffst wahrscheinlich nicht mal sechs Minuten.
LUKAS
Na und? Dafür schaff ich Naboo bei Star Wars Battle Front 2.
JULE
Was soll denn das sein?
LUKAS
Das ist’n Computerspiel.
JULE
Weiß ich doch.
LUKAS
Das coolste Spiel überhaupt.
JULE
Dann geh doch zu deinem Computer. (Sie wendet sich wieder dem Fenster zu.)
LUKAS
Darf ich auch mal gucken?
JULE
Nee, das ist mein Spiel.
LUKAS
(geht zur Klingel und hebt den Finger, die beiden gucken sich an) Soll ich?
JULE
Und was ist, wenn er dich bemerkt?
LUKAS
Soll er doch.
JULE
Nein. Ich meine, wenn du von hier guckst.
LUKAS
Wenn er dich nicht bemerkt, bemerkt er mich auch nicht.
JULE
Glaubst du.
LUKAS
Und wenn du mich gucken lässt, zeig ich dir auch, wie man Star Wars Battle Front 2 spielt.
JULE
Von mir aus ... (Sie klettert herunter, Lukas will hochklettern, rutscht ab.) Kommst du da nicht hoch?
LUKAS
(klettert hoch) Klar schaff ich das. (guckt durchs Fenster)
JULE
Und, siehst du ihn?
LUKAS
Nee, da ist niemand.
JULE
Musst nur richtig gucken. (Sie schleicht zur Tür.)
LUKAS
Mach ich doch.
JULE
Der kommt bestimmt gleich wieder. (Sie drückt auf die Klingel und versteckt sich.)
LUKAS
He, was soll das? (Die Tür geht auf, der Mann kommt heraus und sieht Lukas am Fenster.)
MANN
Sag mal, was machst du denn da?
LUKAS
Nichts.
MANN
Haben deine Eltern dir nicht beigebracht, dass man nicht in fremde Wohnungen glotzt?
LUKAS
Ich ... ich glotz nicht bei Ihnen in die Wohnung.
MANN
Ja, natürlich nicht. Und was machst du dann da oben? Fliegen fangen?
LUKAS
Eben war hier so’n Mädchen.
MANN
(ironisch) Ach so, ein Mädchen ...
LUKAS
Die ist Ihnen schon seit zwei Stunden gefolgt und ...
MANN
Das hätte ich ja wohl mitbekommen
LUKAS
... und die hat durch das Fenster geguckt und ...
MANN
Ich seh aber nur dich da oben.
LUKAS
Die hat sich versteckt.
MANN
Natürlich, Hokus Pokus Verschwindibus.
LUKAS
Das stimmt aber.
MANN
Pass mal auf. Du sagst mir jetzt, wie du heißt und wo du wohnst, und wenn ich dich noch einmal hier erwische, dann werd’ ich mal ein gehöriges Wort mit deinen Eltern reden.
LUKAS
Aber ...
MANN
Ich warte. (Pause) Wir können auch gerne zur Polizei gehen und dort deine Personalien feststellen lassen. Der Name!
LUKAS
Lukas Erdmann, ich wohn nebenan, in der 32.
MANN
Na also, geht doch. Und wenn ich dir noch nen kleinen Tipp geben darf – such dir das nächste Mal zum Spionieren ne andere Gegend, n bisschen weiter weg von Zu Hause. Das ist nämlich nicht gut für die Nachbarschaft. Hast du mich verstanden? Ob du mich verstanden hast?
LUKAS
Hm.
MANN
Na, schon gut. (klopft ihm auf den Rücken) Kinder, Kinder! (schließt die Tür)
JULE
(taucht grinsend auf) Hab ich doch gesagt: keine sechs Minuten.
LUKAS
Du bist gemein. Du hast mich reingelegt und bist einfach weggelaufen.
JULE
Mann, war doch nur n Scherz.
LUKAS
Hahaha, sehr witzig. Ich lach mich tot. (ab)
JULE
He, Tschuldigung. War nicht so gemeint.
Die Wohnküche bei Familie Wolff. Tim sitzt vorm etwas zu laut eingestellten Fernseher und zappt durch das Programm. Jule durchsucht die Schränke nach einem Nutella-Glas. Tim holt sich ein Glas Gurken vom Schrank und setzt sich wieder vor den Fernseher. Er holt das Nutella aus der Hosentasche und isst Gurken mit Nutella. Jule bemerkt, dass Tim das Nutella hat und nimmt es ihm weg. Tim hinterher. Sie rangeln um das Nutella-Glas und streiten sich lautstark. Frau Wolff kommt.
FRAU WOLFF
Man hört euch bis auf die Straße. Macht doch mal den Fernseher etwas leiser. (Tim macht den Fernseher leiser.) Ich hab schon genug Ärger gehabt, mir reicht‘s. (Jule hat das Nutella-Glas hinter ihrem Rücken versteckt. Frau Wolff schaut sie kurz an und bemerkt, dass irgendwas nicht stimmt.)
JULE
(ablenkend) Was war denn los?
FRAU WOLFF
Ach nichts.
JULE
Klingt aber nicht so.
FRAU WOLFF
Reicht doch, wenn einer sich ärgert. (Sie sieht die Gurken in Tims Hand.) Tim, die sind fürs Abendbrot.
TIM
Ich hab aber jetzt Hunger.
FRAU WOLFF
Dann reißt du dich halt mal n bisschen zusammen. (Sie nimmt ihm die Gurken weg, schaut zu Jule und bemerkt, dass etwas nicht stimmt.)
JULE
Und?
FRAU WOLFF
Ach, ich musste doch aufs Amt und deswegen hab ich extra die Nachmittagsschicht abgegeben.
JULE
Und?
FRAU WOLFF
Dieser Knallkopf von einem Filialleiter hat mich nicht gehen lassen. „Wir müssen alle zurückstecken, Frau Wolff. Denken Sie an die Krise, die macht um Sie keinen Bogen, nur weil Sie so hübsche braune Augen haben.” Zurückstecken! Ich hab diesen Monat schon mehr als 30 Überstunden gemacht.
JULE
Na, ist doch prima, dann haben wir doch mehr Geld.
FRAU WOLFF
Denkste! Sind alle unbezahlt. „Für die Firma.” Aber bei dem Hungerlohn ist das eh schon egal. (Der Fernseher wird von alleine laut.) Tim, kannst du den Fernseher nicht leiser machen!? – Hast du gehört, was ich sage?
TIM
(versucht es) Versuch ich doch schon die ganze Zeit.
FRAU WOLFF
(laut) Mach einfach, was ich sage.
TIM
Das geht aber nicht. (Der Fernseher wird leise. Frau Wolff schaut zu Jule.)
FRAU WOLFF
Jule?
JULE
Was wolltest du denn auf dem Amt?
FRAU WOLFF
Wegen dem Geld, das wir eigentlich von eurem Vater kriegen müssten.
JULE
Ich denk, der hat nichts.
FRAU WOLFF
Hat er ja auch nicht. Deswegen haben wir das Geld ja auch bisher vom Amt bekommen.
JULE
Ja und?
FRAU WOLFF
Und jetzt ist Sense. Punkt, aus, Ende, einfach so.
JULE
Aber wieso das denn?
FRAU WOLFF
Keine Ahnung. Ich war ja nicht auf dem Amt. (Der Fernseher ist wieder von alleine lauter geworden.) Tim, mach den Fernseher leiser!
TIM
Mach doch selber.
FRAU WOLFF
Wenn, dann mach ich das mit der Axt!
TIM
Damit kannst du eh nicht umgehen.
FRAU WOLFF
Dann nehme ich eben die Küchenschere. So’n Kabel krieg ich alle mal durch. (Frau Wolff schaltet den Fernseher auf.) - Jule, was machst du denn da?
JULE
Nichts.
FRAU WOLFF
Na, dann zeig mir mal dein Nichts. Umdrehen. (Jule dreht sich zu ihr hin, versteckt das Glas hinter dem Rücken.) Zeig mit deine Hände. (Jule verstaut das Glas hinter ihrem Rücken und zeigt die Hände.) Umdrehen. (Jule dreht ihre Hände um, die Mutter dreht Jule um und entdeckt das Glas.) Jule, wir können nicht jeden Tag ein neues Nutella-Glas kaufen, das können wir uns nicht leisten.
JULE
Ich hab nur einen Finger ...
FRAU WOLFF
Und auch nicht jede Woche.
JULE
Ehrlich.
FRAU WOLFF
Wenn du dich nicht an die Abmachung hältst, dann kauf ich das Zeug gar nicht mehr. Dann gibt’s nur noch die Billig-Variante.