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© Piper Verlag GmbH, München 2021
Redaktion: Birgit Förster
Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München), mit abavo vlow (Buchloe)
Covergestaltung: zero-media.net, München
Covermotiv: FinePic®, München
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Allein im Licht, verwundbar und auch stark,
so siehst du mich.
Mein Herz ist ungeschminkt.
(Helene Fischer – Allein im Licht)
Stan-Libuda-Grundschule Gelsenkirchen-Bismarck
Am Feldbusch 96
45889 Gelsenkirchen
Frau und Herrn
Marion und Berno Sturm
Robergstraße 110
45889 Gelsenkirchen
Gelsenkirchen, 6.5.1998
Sehr geehrte Frau Sturm, sehr geehrter Herr Sturm,
ich bitte Sie wiederholt um ein persönliches Gespräch über das Verhalten Ihrer Tochter Larissa. Mein neuer Terminvorschlag ist der 12.5.98, 15 Uhr (Raum 1–022). An dem Gespräch wird auch unser Schulsozialarbeiter Herr Böhl teilnehmen.
Damit Sie sich auf das Gespräch vorbereiten können, liste ich hier noch einmal die Punkte auf, die ich thematisieren möchte:
Bitte setzen Sie sich DRINGEND mit mir in Verbindung, auch wenn Sie den Termin nicht wahrnehmen können und wir einen Ersatztermin vereinbaren müssen.
Mit freundlichen Grüßen
Julietta Schulte-Schultheiss, Klassenlehrerin 3b
PS: Ich möchte Ihnen nicht vorenthalten, dass Larissa den Musikunterricht durch ihren außergewöhnlichen Gesang erheblich bereichert. Ich wünschte, sie würde sich in den anderen Fächern mit einer vergleichbaren Hingabe einbringen.
Rudolf-Rempel-Realschule Gelsenkirchen-Bismarck
Tangastraße 1
45889 Gelsenkirchen
Frau und Herrn
Marion und Berno Sturm
Robergstraße 110
45889 Gelsenkirchen
Gelsenkirchen, 06.11.2007
Verstoß gegen die Ordnung in der Schule
Hier: wiederholtes Fehlverhalten von Larissa Sturm, Klasse 10a
Sehr geehrte Frau Sturm, sehr geehrter Herr Sturm,
nach §97 der übergreifenden Schulordnung erteilen wir Larissa
einen schriftlichen Verweis durch den Schulleiter.
Begründung:
Larissa hat am 05.11.2007 während der Unterrichtszeit zusammen mit Mitschülern auf der Schultoilette geraucht und Sekt getrunken. Darüber hinaus steht Larissa im Verdacht, unflätige Schmierereien an der Toilettenwand hinterlassen zu haben. Von einer Lehrkraft darauf angesprochen, drohte sie unmissverständlich mit physischer Gewalt durch ihren Bruder; da dieser an unserer Schule hinlänglich bekannt ist, nehmen wir diese Drohung sehr ernst.
Die Schülerinnen und Schüler wurden zu Beginn des Schuljahres auf die entsprechenden Konsequenzen, die solche immensen Verstöße gegen die Haus- und Hofordnung haben können, hingewiesen. Da wir durch die zu Schuljahresanfang mehrfach stattgefundene Belehrung zu dieser Thematik davon ausgehen müssen, dass sowohl das Fernbleiben vom Unterricht als auch das Rauchen und der Alkoholgenuss sowie das Bedrohen einer Lehrkraft in vollem Bewusstsein eines Verstoßes gegen die Schulordnung stattgefunden haben, wirkt dieses Fehlverhalten noch schwerer.
Larissa kann zur Wiedergutmachung als ergänzende Maßnahme zu diesem Verweis vier Wochen lang in den Pausen ihrer erwarteten Vorbildrolle gerecht werden, indem sie die Pausen- und Ordnungsdienste während der Pausen unterstützt. Alternativ kann sich Larissa verpflichten, die Schulweihnachtsfeier mit einem Gesangsauftritt von etwa zwanzig Minuten zu bereichern, was ich persönlich begrüßen würde.
Da Larissa wiederholt gegen die Schulordnung verstoßen hat, droht in nächster Konsequenz ein Schulverweis. Eine kooperative Teilnahme an den oben genannten Maßnahmen ist dringend anzuraten, da Larissas Realschulabschluss gefährdet ist! Bitte helfen Sie Larissa dabei, die Tragweite ihres Fehlverhaltens zu erkennen.
Bitte geben Sie die beigefügte Erklärung über die Kenntnisnahme von diesem Schreiben an das Sekretariat der Schule zurück.
Weiterhin stehen wir Ihnen für ein persönliches Gespräch zur Verfügung und bitten Sie noch einmal inständig, von dieser Möglichkeit des Austauschs Gebrauch zu machen.
Mit freundlichen Grüßen
Reiner Detlefsen, Rektor der Rudolf-Rempel-Realschule Gelsenkirchen-Bismarck
Larissa Sturm
Robergstraße 110
45889 Gelsenkirchen
An
Philomena’s Irish Pub
Robergstraße 71
45889 Gelsenkirchen
Gelsenkirchen, 12.11.2007
Bewerbung
Hallo Philomena!
hiermit bewerbe ich mich als eine Service Kraft in deinem Lokahl!
LG Larissa
Lebenslauf:
1996 bis 2001 Stan-Libuda-Grundschule Gelsenkirchen-Bismarck
2001 bis 2008 Rudolf-Rempel-Realschule Gelsenkirchen-Bismarck, ohne Abschluss
Hobby’s: Musik, Singen
»Worum geht es da noch gleich, Schruttke?« Mortimer von Weidelsburg beugte sich nach vorn. Fffffffnnnnnnnnsh! »Aaaaaah«, stöhnte er.
»Blinde Waisenkinder in Nepal, Eure Hoheit. Der Erlös der Gala geht an blinde Waisenkinder in Nepal.«
»Wer kommt immer auf diese merkwürdigen Randgruppen? Ich meine, was du da alles sein musst, um an dieses Geld zu gelangen: Blind. Waisenkind. Nepalese. Vielleicht hätten sie noch Linkshänder, Epileptiker und Zangengeburt zur Bedingung machen sollen.« Mortimer tupfte sich das Gesicht mit seinem Stofftaschentuch ab. »Ehrlich, Schruttke, diese Benefiznummern gehen mir auf den Senkel. Es geht nur darum, dass mein Bruder sein geliftetes Gesicht in die Kameras halten und frigiden Heulbojen Kleingeldbeträge aus den Rippen leiern kann. Ich wette, der Drecksack leitet die Spendengelder über Nepal auf ein Konto in der Karibik um. Nicht wahr, Schruttke?«
»Sehr wohl, Eure Hoheit.«
»Schruttke, bitte. Warum nennst du mich nicht endlich einfach Morty? Und ich nenne dich Johnny. Oder Schrutti.«
»Es tut mir wirklich sehr leid. Ich habe Seine Hoheit, Ihren werten Herrn Vater – Gott hab ihn selig – über zwanzig Jahre lang so angeredet. Ich kann einfach nicht …«
»Jaja, schon okay. Ich bin halt nicht so wie der Alte. In meinem Leben gibt es andere Schwerpunkte, du weißt ja …« Mortimer machte sich an der Minibar zu schaffen. »Was zur Hölle ist das für eine hässliche Flasche, Schruttke?«
Der Chauffeur drehte sich um und betrachtete das glockenförmige Gefäß mit dem bernsteinfarbenen Inhalt.
»Das ist der Hennessy Paradis Impérial, Eure Hoheit. Sie haben zwei Flaschen liefern lassen, eine für Ihren Landsitz und eine für unterwegs.«
Mortimer zog den gläsernen Korken und nahm einen Schluck.
»Mhh, Cognac. Und gar nicht mal so übel.«
Er nahm noch einen Schluck. Aus den finsteren Untiefen kam die Erinnerung. Ein Fläschchen dieses edlen Gesöffs kostete über zweitausend Euro. Jemand hatte ihm den Cognac empfohlen, möglicherweise war es … Erinnerungslücke. Es musste jedenfalls während dieses Empfangs gewesen sein, an diesem Abend, an dem er … Erinnerungslücke. Er nahm noch zwei Schlucke, dann verschloss er die Flasche und stellte sie zurück.
»Drei, vier Stunden wird dieser Quatsch sicher dauern. Sieh zu, dass du dich nicht langweilst, Schruttke. Und probier den Cognac, der ist wirklich gut.«
»Bedaure, dieses Angebot muss ich dankend ablehnen. Ich pflege nicht im Dienst zu trinken. Aber ich werde mir die Liveübertragung der Gala auf meinem Tablet ansehen. Larissa Sturm tritt auf.«
»So? Wer ist das?«
»Die beliebte Schlagersängerin, Eure Hoheit.«
»Schlager? Meinetwegen. Falls du dir das erträglich trinken musst, du weißt ja, wo die Minibar ist.«
»Danke, Eure Hoheit, aber ich bleibe nüchtern. Udo Lindenberg hat einmal gesagt: Die beste Droge ist ein klarer Kopf.«
»Ein klarer Kopf ist nüchtern nicht zu ertragen.«
»Herr Lindenberg war ernsthaft suchtkrank, ich wage zu behaupten, er kann die Vorzüge konsequenter Nüchternheit fundiert beurteilen.«
»Ich empfehle dir einen guten Riesling vom Schlossberg statt Binsenweisheiten vom Lindenberg, Schruttke.«
Noch nie hatte Mortimer Schruttke zu einem Drink überreden können, was den von Natur aus geselligen Prinzen beinahe kränkte – einerseits. Andererseits sorgte Schruttke dafür, dass Mortimer aus Situationen, die später zu Filmrissen wurden, halbwegs unverletzt heraus- und sicher zu Hause ankam. Es war schon okay, dass dieser brave, hagere Mittefünzigjährige der Sauferei standhaft entsagte. Wer chronisch und in hohen Dosierungen soff, büßte seine Zuverlässigkeit ein. Mortimer wusste das nur zu gut.
»Kennst du den schon, Schruttke? Pass auf: Wie viele Schlagerfans gibt es?«
»Ich habe keine Ahnung, Eure Hoheit.«
»Nur wenige bekennende – aber die Schunkelziffer soll sehr hoch sein!« Mortimer schlug sich auf die Schenkel. »Schunkelziffer, Schruttke! Verstanden? Schun-kel-ziffer!«
»Ein gelungenes Wortspiel«, nickte der Diener, dessen Höflichkeit so weit ging, dass er nicht einmal aus Höflichkeit lachte.
»Wir sehen uns später«, verkündete Mortimer, nahm noch einen Schluck Cognac und drückte Schruttke die Flasche in die Hand. »Wirklich ein sehr guter Tropfen.« Er verließ die Limousine, zupfte seine Kleidung zurecht und zündete sich eine Zigarette an. Es war verflucht kalt. Mickrige Schneeflocken rieselten auf das erleuchtete Schloss Weidelsburg. Ein netter Anblick, leider verschandelt durch mehrere TV-Übertragungswagen.
»Blinde Waisenkinder in Nepal«, murmelte Mortimer kopfschüttelnd. Zum Glück schlug das Kokain ordentlich ein, und der Cognac wärmte von innen.
Die Flügeltür platzte auf wie ein Eiterpickel, und die Entourage ergoss sich in den Raum. Vorneweg lief Thanos Vasiliadis wie ein olympischer Geher: maximale Geschwindigkeit, wobei immer ein Fuß den Boden berührte. Er scannte die Örtlichkeit auf Fehler, und tatsächlich fiel ihm sofort einer ins Auge. Die Tür zum Badezimmer stand offen, und, weitaus schlimmer, der Klodeckel war nicht heruntergeklappt. Eine Katastrophe. Offenes Klo, das bedeutete Tränen, Geschrei und maximale Eskalation. Thanos machte drei Ausfallschritte und zog eilig die Tür zu. Es mochte wie eine Lappalie anmuten, doch das offene Klo konnte einen ganzen Auftritt ruinieren. Wichtig war außerdem, dass keine Schnittblumen im Raum waren. Thanos würde nie vergessen, wie er einmal in höchster Not Schnittblumen mitsamt Vase aus dem Fenster geschleudert hatte, wissend, dass unten eine Menschenmenge vor einer Veranstaltungshalle wartete. Doch Larissa Sturm hasste nun einmal Schnittblumen, und sie konnte nun einmal den Anblick offener Klos nicht ertragen, was im Übrigen nur eine ihrer diversen sanitärbezogenen Eigenheiten war, und daher konnte Thanos nicht anders, als all dies zu tun. Denn Thanos war Larissas Manager, und Larissa Sturm war Deutschlands unangefochtene Schlagerkönigin.
Larissa betrat den eigens für ihre Ansprüche hergerichteten Salon als Letzte, ohne ihre Sonnenbrille abzunehmen. Man hatte sogar den Snookertisch für sie entfernt, weil sie Billardtische jeglicher Art nicht leiden konnte. Sie sah sich kurz um, zog die Augenbrauen hoch und seufzte: »Was für ein abscheulicher Raum.«
»Nach deinem Auftritt fahren wir sofort ins Hotel.«
»Die Luft hier drin ist so trocken, dass ich sie verflucht essen kann. Hatte ich nicht gesagt, dass ich es in Räumen mit trockener Luft nicht aushalte? Wozu hat der liebe Gott Luftbefeuchter erfunden?«
»Ich werde sofort einen Luftbefeuchter besorgen. Bitte denkt alle daran, gleich ist noch der Promotermin. Larissa, gehst du direkt in die Maske?«
Larissa ächzte ihren Überdruss hörbar aus und nahm ihre Sonnenbrille ab. Um ihre Augen waren Schatten, die nichts mit dem Lichteinfall zu tun hatten. Sie wies einen Handlanger an, den Stuhl, der vor dem großen Spiegel auf sie wartete, von nicht sichtbarem Staub zu befreien und zu desinfizieren. Visagistin Vivian drapierte ihr Waffenarsenal auf dem Tisch, wartete geduldig, bis Larissa auf dem sterilen Stuhl saß, und begann noch geduldiger mit den Restaurationsarbeiten.
»Diese Burg kotzt mich an.«
Und mich kotzt es an, wenn du redest, während ich dich schminke, erwiderte Vivian im Stillen.
»Typisch Thanos. Ich soll mich mit dieser Tussi ablichten lassen, bloß weil sie vielleicht beim ESC antritt. PR um jeden Preis. Als ob es nicht ausreichend wäre, in diesem Loch auftreten zu müssen.«
Halt die Klappe, halt die Klappe, HALT DIE KLAPPE! »Es ist ja nur für dreißig Sekunden. Ihr trefft euch im Klavierzimmer, kurz vor Lauras Auftritt. Sie wird total überrascht sein, dass du da bist.«
»Sie weiß, dass ich da bin.«
»Natürlich.« Vivian legte den Pinsel ab. Es hatte keinen Sinn, Larissa zu schminken, wenn sie in einem fort redete.
»Okay. Dann das übliche Blabla, ich wünsche ihr ganz, ganz viel Erfolg, und ich finde ihren Song total super und so weiter. Muss ich sie anfassen?«
»Laut Ablaufplan ist eine Umarmung vorgesehen, ja.«
Larissa stand abrupt auf. Ihr linkes Auge war makellos, wohingegen ihr ungeschminktes rechtes in einer dunklen, blauschattigen Mulde lag. »Er hat mich schon immer rumgereicht wie eine Gewerbliche«, schimpfte sie. »Hier eine Autogrammstunde, da ein Meet-and-Greet … Larissa, du musst Hinz umarmen, Larissa, du musst Kunz umarmen, Larissa, tu dies, Larissa, tu das … Natürlich ist das Botox für die Karriere dieser Tussi. Aber was habe ich davon, Vivian?«
»Na ja, sie gilt als Influencerin.«
»Oh, toll! Sie macht also Selfies im Fitnessstudio. Das ist für meinen Manager offenbar inzwischen ausreichend, um mich für einen Promotermin herzugeben. Willkommen auf dem PR-Straßenstrich.«
Vivian starrte resigniert den leeren Stuhl an. Wo war Thanos nur? Er hätte hier sein sollen, um sich diesen selbstmitleidigen Ausbruch anzuhören.
»Ich bin stinksauer auf Thanos. Aber gut. Ich werde das durchziehen. Sie heißt Lara, nicht wahr?«
»Laura.«
»Ich sage einfach Lora. Wie heißt ihr Song?«
»Dreams.«
»Klingt billig. Sie wird es gar nicht erst bis zum ESC schaffen.«
»Weiß ich nicht, Larissa. Wenn du dich wieder hinsetzen würdest, dann könnte ich …«
Larissa seufzte. Früher war ihr Leben ein Floß gewesen, und sie hatte sich treiben lassen. Seit ein paar Jahren war ihr Leben eine untergehende Luxusjacht, und je stürmischer die See wurde und je aussichtsloser die Lage, umso pompöser wurde die Jacht. Sie fragte sich, an welchem Punkt dieses absurden Lebens selbst die Drogen nicht mehr wirken würden. Vivian malte und tupfte weiter die gesunde Larissa auf das mitgenommene Gesicht. Fffffchchchchc, zog Larissa die Nase hoch. Wie allein sie sich fühlte, so kurz vor Weihnachten in der atmosphärischen Kälte eines staubigen Schlosses am Arsch der Welt, und sie konnte nicht einmal ihren Manager anschreien, der sie zu dieser Nummer überredet hatte. Kaum hatte sie den Gedanken gedacht, kam Thanos zurück. Er hatte einen dieser Techniklaufburschen dabei.
»Hier ist dein Mikro. In zwei Minuten zeichnen wir im Klavierzimmer auf. Bist du geschminkt, Larissa?«
Larissa schwieg – allerdings nicht, um Vivian die Arbeit zu erleichtern, sondern aus wütendem Protest gegen diesen Promotermin.
»Ich fasse das als ein Ja auf.«
»Wir sind bei neunzig Prozent«, vermeldete Vivian.
»Ich bin bei hundert Prozent Schnauze voll«, zischte Larissa.
»Larissa, Schatz, es sind nur dreißig Sekunden …«
Vivian konnte gerade rechtzeitig den Lippenstift absetzen, bevor Larissa regelrecht aus dem Clubsessel explodierte: »Dreißig Sekunden sind eine volle halbe Minute! Und ich muss sie anfassen! Warum tust du mir das an, Thanos?«
»Weil sie dafür in den nächsten drei Interviews sagen wird, dass du ihr Vorbild bist und sie deine Musik liebt, plus natürlich Social Media. Sie hat über hunderttausend Follower. Glaubst du, ich mache Geschenke?«
Der Mikrofonjunge trat schüchtern neben Larissa. »Da- darf ich?«
»Was?«, giftete sie ihn an. »Es dir in den Hintern stecken? Mach doch.«
Thanos bedeutete ihm mit einer wedelnden Geste, es anzubringen. Die Zeit lief ihnen davon.
»Sieh zu, dass du nur meine Kleidung berührst und nicht meine Haut.« Larissa hasste es, wenn Menschen sie berührten. Wie oft war sie als Kellnerin von Gruselgestalten befingert worden wie eine Überlebende während der Zombieapokalypse. Dem Jungen waren Schweißperlen auf die Stirn getreten, und vermutlich war er weit mehr als mit dem Mikrofon damit beschäftigt, sich nicht einzukoten im Angesicht der erzürnten Schlagergöttin.
Kurz darauf wurde Larissa von irgendwelchen Leuten, die irgendwas mit dieser Promosache zu tun hatten, durch die muffigen, in schweren warmen Farben gehaltenen Korridore des Schlosses geleitet. Ein Kameramann mit asymmetrischer Kinnbehaarung lief neben ihr her und hielt direkt auf ihr Profil. Larissa lächelte ihr Trinkgeldlächeln. Dahinter verfluchte sie Gottes Schöpfung. Lara, Laura, sie war sich schon nicht mehr sicher, wie diese Sängerin hieß, und den Titel ihres Liedes wusste sie auch nicht mehr. Ein desinteressierter Handlanger hielt ihr die Tür des Klavierzimmers auf. Drinnen gingen zwei weitere Typen mit Kameras in Position.
Laura, die freilich über alles im Bilde war, fuhr herum. Sie fasste sich mit beiden Händen an den Kopf und sperrte ihren Mund so weit auf, dass Larissas Kopf hineingepasst hätte. »Nein! O Gott! Wie krass ist das denn! Larissa Sturm!«
»Haaaaiii«, flötete Larissa wie eine Dragqueen, die einen Raubfisch erblickte, und blieb in sicherer Entfernung stehen. Sie sah sich mit einer zügigen Augenbewegung um. Ein Bild des Grauens. Ein schwarz glänzender Flügel stand im Zentrum eines Sammelsuriums an Staubfängern: dicke Bücher, schwere Vorhänge, klobiges Mobiliar. Inmitten dieser Milbenzucht hatte man Snacks und Drinks auffahren lassen. Flaschenhälse ragten aus Kühlern, Lachsschnittchen lagen auf silbern glänzenden Metallplatten. Einen Tisch weiter fand das routinierte Auge Schminkutensilien. Das zeigten sie im Fernsehen natürlich nicht, genauso wenig wie den Regisseur (oder war es Lauras Agent?), einen bebrillten Zwerg, der es sich herausnahm, ihr Anweisungen zu erteilen, indem er heftig winkte und engagierte Grimassen schnitt. Schließlich rief er mit einer chipmunkhaften, hochgepitchten Stimme: »Cut, cut!«, und kam auf sie zu. »Frau Sturm, wenn Sie vielleicht eher lautlos in den Raum treten könnten, also hereingeschlichen kommen würden, und vielleicht noch den Leisefuchs in Kamera zwei zeigen könnten, damit der Überraschungscharakter noch besser zur Geltung … Sie kennen den Leisefuchs?«
Natürlich kannte sie den Leisefuchs. Sie hatte einen Brennpunktkindergarten und später Brennpunktschulen besucht. Ungefähr eine Million Mal hatten verzweifelte Pädagogen den Leisefuchs gezeigt. Sie hatte jeden Respekt vor diesem Tier verloren.
»Und Laura, Schatz, wenn du einfach so richtig überrascht sein könntest …«
Bevor Larissa entnervt kehrtmachte, warf sie einen Blick auf Laura. Lauras Apfelbäckchen leuchteten unter einer dieser DDR-Funktionärs-Brillen, und sie trug einen unsauberen Modedutt. Ihre Arme waren mit plärrend bunten Tattoos verunziert. Laura war unglaublich nervös. Larissa sah es an den hervortretenden Augen und den zuckenden Mundwinkeln. Lauras Berufung war vermutlich ein Café im Prenzlauer Berg oder eine Selbstfindungsreise nach Südostasien. Doch Showbiz bedeutete: Im Kopf stürzte ein Wasserfall aus Überdruss in einen See aus Depression, und man musste fast rund um die Uhr eine innere Planierraupe steuern, um Neurosen, Psychosen und Borderlinesyndrom kleinzuhalten – im Gesicht aber musste die unüberwindbare Mauer des Lächelns stehen: breiter Mund, bis zum Zahnfleisch sichtbare Kauleisten, strahlende Augen. Lächeln im Endstadium. Wer dieses Lächeln nicht jederzeit parat hatte wie ein Atemwegserkrankter das überlebensnotwendige Asthmaspray, konnte einpacken. Laura konnte einpacken. Sie hatte das Lächeln nicht drauf. Armes Ding. Larissa verließ das Klavierzimmer und warf Thanos einen düsteren Blick zu. Dann betrat sie den Raum ein zweites Mal. Sie schob sich durch den Türspalt wie ein Luftzug und bewegte sich katzengleich auf Zehenspitzen vorwärts. Die Kameras folgten ihr atemlos. Sie suchte sich eine aus und flirtete neckisch mit dem Gerät. Den Leisefuchs verkniff sie sich, legte stattdessen den Zeigefinger auf ihren Schlagersängerinnenschmollmund und zwinkerte lasziv. Raubtierdoku im Backstage-Bereich: Löwin Larissa schlich sich an Antilope Laura heran. Kurz bevor die Zähne der Schlagerkönigin ihre Kehle zerrissen, fuhr Laura herum und stieß ein außerirdisch klingendes Oh-mein-Gaaaatt-Larissa-Sturm hervor. Larissa bekam eine Gänsehaut. Oh, Süße, das klingt so fake, selbst die schwerhörigste Omi vorm Fernseher wird merken, dass du nicht überrascht bist, Hasi. Du hättest besser die Klappe halten und mich alles machen lassen sollen, anstatt die Nummer hier auffliegen zu lassen, und ich bete für dich, dass du nicht auf die Idee kommst, deinem Freund einen Orgasmus vorzuspielen, denn er wird es schon beim ersten »Aaah« merken, Laurababy, ganz ehrlich, dachte Larissa, lächelte glamourös und sagte erneut: »Haaaaaiiii Lora!«
»Wow, also …«
»Schön hast du’s hier«, würgte Larissa Lauras Versuch ab, etwas zum Gespräch beizutragen, und war stolz auf sich, in dem Geruchseintopf aus billigen Deos, Alkoholikerfürzen und mangelnder Mundhygiene den Champagner im Magen zu behalten. »Na, bist du aufgeregt?«
»Ein bisschen schon, Larissa«, kicherte Laura hysterisch.
»Aaaach, komm schon«, performte Larissa, »dein Song ist to-tal klasse! Du, ich bin sicher, du wirst es bis zum ESC schaffen und dort so rich-tig abrocken!«
»Wow, ehrlich, also …«
Larissa hatte das Setting im Blick, ohne die Augen zu bewegen. Regisseur Alwin überdehnte beide Daumen, so begeistert war er. »Du, ich muss mich noch auf meinen Auftritt vorbereiten. Ich wollte nur mal kurz Haaaai sagen und dir ganz viel Erfolg für deinen Auftritt wünschen«, eliminierte Larissa auch den zweiten Versuch Lauras, an dem PR-Termin teilzunehmen, ging einen Schritt vor und umarmte sie. Sie wollte es schnell hinter sich bringen. Es war eine von Thanos’ schlechtesten Angewohnheiten, Auftritte für sie zu vereinbaren, zu denen sie Leute umarmen musste: schmierige TV-Moderatoren, säuerlich riechende alte Menschen, verschwitzte Fans, stinkende Pferde, dumpf atmende Gespenster in toten Maskottchenkostümen, heulende Lotteriegewinnerinnen, klebrige Kinder, es war nur scheußlich. Die aufgeregte Laura schien ein wenig zu euphorisiert und griff hingebungsvoll in Larissas Flanken. »Beherrsch dich, Mädchen«, zischte Larissa, ohne dass die Kameras es sehen oder die Mikrofone es hören konnten. Sie konnte Lauras Herz hüpfen spüren. Tja, Laura, im Showbiz geht es auch darum, sich im richtigen Moment von den Losern abzugrenzen. Nächsten Sommer wird schon keiner mehr von dir reden. Und ab Herbst, wenn du dich stabil gesoffen hast und mit dem richtigen Pegel die Realität aushältst, wirst du in Einkaufszentren und Autobahndissen singen. Noch ein Jahr später trittst du im Dschungelcamp auf. So ist das Leben, Laurababy. DEIN Leben, wohlgemerkt. Viel Spaß damit. Mit einer filigranen Bewegung, die von Larissas exzellenter tänzerischer Ausbildung zeugte, schob sie Laura von sich und strahlte sie an. »Also, Lora, genieß die Zeit hier, und für deinen Weg zum ESC wünsche ich dir natürlich gaaaanz-ganz viel Erfolg!« Sie nahm die Hände von Lauras Schulterblättern, bereit, das Klavierzimmer schnellstmöglich zu verlassen, da geschah das Ungeheuerliche: Laura hielt sie am Arm fest, zog sie zu sich und gab ihr einen festen, nassen Kuss auf den Mund.
Larissa brauchte zwei lange Sekunden, um sich zu befreien. Es machte schlllllfffffzzz, als ob man einen widerborstigen Saugnapf von einer Scheibe riss. Eine weitere Sekunde lang starrte Larissa die unschuldig grinsende Laura an. In ihr drin trat das Talent zur Selbstdisziplin im letzten Moment die Lunte eines galaktischen Wutausbruchs aus. »Wow«, sagte sie und zückte das Lächeln. »Wenn du immer so rangehst, hast du eine steile Karriere vor dir. Aber im Ernst, Lora, so solltest du wirklich nur deinen Freund küssen.«
»Cut!«, rief der Regisseur. »Cut! Meine Damen, das war su-per! Eine ganz starke Performance.«
»Ja, ganz super«, zischte Larissa. Die dreißig Sekunden waren seit fünf Sekunden um.
Das Nächste, was Larissa sagte, war: »Das wird dir noch leidtun.« Sie sagte es zu Thanos, der versuchte, Schritt zu halten, während sie regelrecht zurück in ihr Backstage-Gemach flog. »Ich brauche etwas, um meinen Mund zu desinfizieren. Besorgt mir Strohrum. Vivian, du musst mich abschminken. Und ich brauche eine Dusche. Ich möchte kein einziges Atom von diesem durchgedrehten Deutschpopflittchen mehr an mir haben. Gibt es in diesem Spukschloss überhaupt Duschen?«
»Ich werde alles in die Wege leiten, Larissa. Was diesen Kuss angeht, ich werde ihrem Agenten natürlich den Allerwertesten aufreißen, darauf kannst du dich verlassen. Klasse, wie professionell du reagiert hast.«
Larissa schwieg. Es war ein Schweigen wie das Knirschen von dünnem Eis, das dabei war, zu brechen.
Vivian und eine stumme asiatische Haushaltshilfe des Schlossherrn mussten Larissa nach der ausgiebigen Dusche mit Haartrocknern trocknen. Larissa hatte ein grundsätzliches Problem mit Handtüchern. Außerdem war ihr der Appetit vergangen. Sie ließ das Vier-Gänge-Menü, mit dem sie sich für ihren Auftritt hatte stärken wollen, zurück in die Küche gehen, was nicht bedeutete, dass sie gar nichts zu sich nahm. In ihrer Handtasche hatte sie immer etwas, das keine von Ordnungs- und Gesundheitsamt kontrollierte Küche ihr bieten konnte. Sie zog sich für einen Moment hinter eine Trennwand zurück, um ihren Puls runter und ihre Pupillen klein zu zaubern.
»Okay. Wir beruhigen uns jetzt alle und bringen diese Schlossnummer hinter uns«, lautete ihre Ansage kurz darauf. »Sind ja nur drei Songs.«
»Drei und eine Zugabe«, antwortete Thanos in einem Tonfall, als würde er hinter der Chaiselongue am anderen Ende des Raums hervorlugen, um noch einmal über sein Todesurteil zu verhandeln.
»Zugabe? Aber ich dachte, das hier sei eine Benefizgala … Seit wann gibt es bei so was Zugaben?« Larissa schrie nicht sofort los, wenn sie auf Heroin war.
»Larissa, bitte, es wird ja auch im TV übertragen. Denk doch an die Gage.«
Sie drehte sich zu ihm um. Ihre Augen verengten sich, bis ihr strahlendes Blau kaum mehr zu erkennen war. Eine dunkle Locke hing ihr ins Gesicht. Ein Gesicht, das etwas zu rund war – eine Unvollkommenheit, die ihre Vollkommenheit ausmachte, genauso wie die kleine Lücke zwischen den vorderen Schneidezähnen.
»Du hast gesagt: Drei Songs, und dann sind wir hier wieder weg!«
»Larissa, es ist doch wirklich nur …«
»Drei Songs! Jetzt sind es plötzlich vier! Wir sind hier am Arsch der Welt, Thanos! Wie lange soll ich mich denn bitte in dieser Albtraumhütte aus dem Mittelalter aufhalten?«
»Dann nehmen wir als Zugabe Feueralarm im Herzen, das ist dein kürzester Song …«
Larissa warf ihre Sonnenbrille auf den Boden. Damit war die zweitausend Euro teure Maßanfertigung bereits zerstört, doch es reichte nicht, um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen. Also zertrat sie die Brille. Sie schrie: »Habe ich jemals Feueralarm im Herzen als Zugabe gespielt? Hat Michael den Song geschrieben, damit ich ihn als verdammte Zugabe spiele? Ist das mein erster Auftritt, den du organisierst, Thanos? Haben sie dich am Kopf operiert? Bin ich hier nur von Stümpern umgeben?«
Larissas Staff verfiel in eine kollektive Schockstarre. Ihre Wutausbrüche waren legendär. Und sie endeten meist damit, dass sie jemanden feuerte. In der Regel traf es Leute, deren Namen sie nicht mal kannte. Die Assistentin ihrer Visagistin. Einen Kofferträger. Den Typ, der dafür zuständig war, dass der Champagner im Tourbus die richtige Temperatur hatte.
»Okay«, lenkte Thanos ein, und man konnte meinen, dass der ohnehin nur eins achtundsechzig kleine Manager noch kleiner wurde, »okay, Larissa. Ich finde diesen Marsilius von Weidelsburg und sorge dafür, dass du nur drei Songs performst. Ich tische ihm irgendeine Story auf, von wegen leicht erkältet, ja?«
»Und sieh zu, dass ich eine neue Sonnenbrille kriege!«
Thanos beeilte sich, den Raum zu verlassen. Ihr Benehmen verletzte ihn persönlich. Freilich, sie hatte ihn reich gemacht. Stinkreich. Doch inzwischen wünschte er sich gefährlich oft die Zeiten zurück, als sie ihm vor Freude heulend um den Hals gefallen war, weil er ihr einen Auftritt beim Schlagerzauber verschafft hatte, einer mittelmäßigen Musiksendung im Dritten, deren greisem Publikum zwecks optischer Verjüngung bezahlte Studenten untergemengt wurden. Heute hätte sie dort nicht einmal mehr auf die Bühne gespuckt.
Das Anwesen war gewaltig. Thanos konnte den Weg, den sie vom Tourbus bis zu ihrem Backstage-Raum gegangen waren, nicht rekapitulieren. Er irrte ziellos durch ewig lange Korridore, öffnete wahllos Türen und stieß leise Flüche aus, wenn er eine bekannte Stelle passierte, die ihm vor Augen führte, dass er im Kreis lief. Trotzdem gab er nicht auf. In einem Labyrinth musste man einfach immer nur rechts abbiegen. Irgendwann fand man so den Ausgang. Also beschloss Thanos, nur noch rechts abzubiegen. Gleich nach der ersten Ecke stieß er mit jemandem zusammen. Ein wüster Fluch erschütterte das denkmalgeschützte Bauwerk.
Thanos starrte den Mann an. Er kannte ihn. Woher, wusste er nicht sofort. Doch dieses Gesicht mit den Schatten unter den Augen und dem roten Schimmer rund um die babykartoffelförmige Nasenspitze erschien ihm fast schon vertraut.
»Was machen Sie hier? Das ist ein privater Bereich. Oder sind Sie ein Vasall meines Bruders?«
»Bitte?«, erwiderte Thanos.
»Das hier ist der V. I. P.-Bereich. Das bedeutet, hier dürfen sich nur Mitglieder der Familie von Weidelsburg aufhalten. Ich bin Mitglied der Familie von Weidelsburg. Und Sie?«
Jetzt begriff Thanos, wen er vor sich hatte. Mortimer von Weidelsburg. Die dunkle Seite des deutschen Hochadels. Ein Mann, der mit jeder Bewegung, mit jedem Atemzug einen Skandal produzierte. »Mein Name ist Thanos Vasiliadis. Ich bin der Manager von Larissa Sturm. Ich bin auf der Suche nach Ihrem Bruder Marsilius.«
»Aaaah, Sie suchen den Marsianer«, lachte Mortimer. »Der grinst unten in die Fernsehkameras. Worum geht es denn?«
»Das würde ich gerne mit Ihrem Bruder persönlich besprechen.«
»Na, das können Sie auch. Aber jetzt kommen Sie erst mal mit. Wir erholen uns von unserem Unfall. Dort hinten ist die naturwissenschaftliche Bibliothek meines Vaters. Der alte Neurotiker ist zum Glück tot und kommandiert jetzt die Engel im Himmel rum, aber sein Spirituosenvorrat ist noch auf Erden.«
Kurz darauf saßen sie in einem recht engen, aber aufgrund der Fülle an alten, ledergebundenen Büchern doch erhabenen Raum und tranken Whisky. Mortimer prostete einem Porträtgemälde zu, das über dem Kamin hing. Es zeigte einen finster dreinschauenden Mann mit Knollennase, der eine Uniform und einen gezwirbelten Schnauzer trug.
»Mein Großvater. Sieht man an der Nase, nicht wahr? Es gibt Familien, da sehen alle gleich aus. Das kommt davon, wenn man jahrhundertelang unter sich vögelt. Mein Onkel Bartholomäus, Gott hab ihn und seine kaputte Leber selig, hat mal gesagt: ›Wenn nicht ab und zu ein Knecht oder ein Laufbursche über eine Prinzessin gerutscht wäre, dann würden wir heute alle aussehen wie die Glöckner von Notre-Dame.‹ Familie Quasimodo, quasi.« Mortimer lachte laut. »Hätte ich meine Cousine geheiratet und mit ihr Inzucht betrieben, es würde niemanden jucken. Die Klatschpresse würde unsere Vorzeigefamilie feiern. Ich meine, okay, unsere etwas zu reinrassigen Kinder sähen etwas zu deformiert und degeneriert aus, aber das ist nichts, was ein begabter Hofschneider nicht mit etwas Maßkonfektion kaschieren könnte. Aber so? Herrgott, klar, ich habe eine Stripperin geehelicht und nach der Scheidung noch eine und dann wieder Scheidung, tja … Wie das Leben so spielt. Aber reden wir mal Klartext, mein Freund – wen würden Sie eher bumsen? Eine Stripperin oder eine Blutsverwandte? Denken Sie mal drüber nach.«
»Ich muss Ihren Bruder sprechen, wirklich. Es ist sehr dringend, Herr von Weidelsburg.«
Mortimer schenkte ihnen nach.
»Normalerweise Eure Hoheit, aber woher sollen Sie das wissen. Nennen Sie mich doch einfach Morty. Wissen Sie, es gibt zwei Sorten von Leuten«, begann er. »Die einen schauen in den Spiegel und sehen ihr Spiegelbild. Die anderen gucken in den Spiegel und sehen Jesus. Oder Maria. Oder Gott. Oder wen auch immer. Mein Bruder zum Beispiel, der sieht im Spiegel Gott. Was sehen Sie, wenn Sie vorm Spiegel stehen?«
»Es ist wirklich dringend, es geht um den Auftritt von Larissa Sturm heute Abend.«
»Ja, klar. Ist klar. Aber noch mal, wenn Sie in den Spiegel sehen, was …?«
»Verdammt«, wurde Thanos laut, »ich sehe nichts weiter als den Manager eines Schlagerstars, der ein gewaltiges Problem kriegt, wenn er nicht gleich mit Ihrem Bruder spricht!«
Mortimer seufzte. Er stürzte den Single Cask mit blasphemischer Hast runter. »Dann kommen Sie mal mit.«
Er führte den Manager der Schlagerqueen durch das prunkvolle Anwesen, nicht ohne dabei von seinem Bruder zu berichten: »Hat Betriebswirtschaftslehre und Management an einer privaten Hochschule studiert, dann bei Goldman Rock und Blacksachs hospitiert. Unsere Eltern waren immer besonders stolz auf ihn. Ein richtiger Macher. Klar, dass er auf seiner Gala nicht irgendwen auftreten lässt, sondern gleich diese Vanessa Sturm.«
»Larissa.«
»Wie auch immer. Mein Bruder war noch nie bescheiden. Mal unter uns, was berechnet Vanessa für diesen Auftritt?«
»Entschuldigen Sie, aber die vertraglichen Angelegenheiten bespreche ich selbstverständlich mit Ihrem Bruder.«
»Soll mir recht sein. Halt, stopp – hier geht’s lang. Hier, bitte die Treppe runter … Er würde die Kohle nicht ausgeben, wenn nicht sicher wäre, dass er mindestens das Doppelte wieder reinbekäme. Und eins können Sie mir glauben, Herr Thanos. Das Geld kommt sicher keinen nepalesischen Waisen zugute, egal, ob blind oder nicht. Soll ich Ihnen ein Geheimnis verraten? Diese ganze Charitynummer ist ein reiner Selbstzweck. Nach außen sieht das alles unglaublich mildtätig aus, aber unterm Strich dient es nur dazu, das Vermögen meines Bruders zu vermehren. Ah, da ist er ja. He, Marsmensch! Hey! Der Kollege hier möchte dich sprechen!«
Marsilius von Weidelsburg drehte sich um. Mortimer wusste, dass Marsilius jegliche Wortspiele mit seinem Vornamen fürchterlich hasste. Mortimer grinste dreist, wie er es schon als Achtjähriger getan hatte. Das konnte er sich erlauben – wohingegen Marsilius natürlich nicht mehr darauf reagieren konnte, wie er es mit elf Jahren getan hatte. Heute musste er die Contenance wahren.
»Also dann«, verabschiedete sich Mortimer und schlug seinem Bruder etwas zu fest auf den Rücken, »ich misch mich mal unters Volk. Wann tritt schon ein Schlagerstar in der Hütte auf, in der man seine Jugend verschwendet hat? Und ihr zwei wollt sicher ohne mich plaudern.«
Marsilius blickte seinem kleinen Bruder nach, und es fiel ihm schwer, sein gewinnendes Lächeln wieder aufzusetzen. Er kombinierte es mit einem fragenden Blick und wandte sich Larissa Sturms Manager zu.
»Hören Sie, Herr von Weidelsburg, ich meine … Eure Hoheit von Weidelsburg … es gibt da ein Problem.«
»Ich höre.«
»Frau Sturm ist außerstande, eine Zugabe zu singen. Drei Songs gehen klar, aber da sie unter einer mittelschweren Erkältung leidet, möchte sie sich keinen vierten zumuten.«
Marsilius von Weidelsburg ertränkte ein joviales Kichern in stillem Mineralwasser. »Selbstverständlich kann ich das nachvollziehen«, erwiderte er, »aber Vertrag ist Vertrag, Herr Vasiliadis, das sollte Ihnen als Manager der Künstlerin doch bewusst sein.«
»Das ist es. Aber hören Sie, es ist wirklich nicht möglich, verstehen Sie? Wir können froh sein, dass Larissa überhaupt …«
»Entschuldigen Sie, wir missverstehen uns. Sie haben einen Kontrakt unterzeichnet. Drei Lieder und eine Zugabe. Oder Sie bezahlen die entsprechende Vertragsstrafe.«
»Die nur dann gilt, wenn Larissa gar nicht auftritt.«
Marsilius lachte süffisant. »Sie wollen nicht, dass meine Anwälte sich damit befassen, glauben Sie mir.«
Jetzt verfluchte Thanos sich. Er verfluchte sich dafür, dass er auf die Anfrage überhaupt reagiert hatte. Dass er Larissas Gage in die Höhe getrieben hatte. Dass er sie überredet hatte, im Festsaal des Schlosses Weidelsburg aufzutreten, wo sie doch nur noch in Stadien auftreten wollte. Und dass er sie angeschwindelt hatte: Drei Songs, so hatte er gepokert, würde sie ganz automatisch als drei Songs plus Zugabe begreifen. Natürlich hatte er von Beginn an gewusst, dass sie das nicht tun würde. Die Vertragsstrafe entsprach der Gage. Die Gage war schwindelerregend hoch. Insistieren war also keine Option. Ganz abgesehen davon, dass der Auftritt live übertragen wurde. Nicht auszudenken, wenn sich diese Unprofessionalität in der Fernsehlandschaft herumsprach. TV-Präsenz war der Boden der Einkommenstorte von Schlagerstars. Selbst wenn Larissa eines fernen Tages nicht mal mehr Stadthallen füllen würde, was durchaus geschehen konnte – denn auch ein Überschallflugzeug konnte aus zehntausend Metern Höhe abstürzen –, so würde sie dennoch gute Summen einstreichen können, etwa in Promi-Quizshows oder als Jurorin in einer Castingsendung, es bot sich immer etwas an – solange man eben seinen Namen nicht verbrannt hatte. Und am besten verbrannte man seinen Namen mit Unprofessionalität. Unprofessionalität wirkte wie Brennspiritus.
»Ich werde zusehen, dass Sie die Zugabe bekommen«, sagte Thanos zerknirscht.
»Ich dachte mir gleich, dass Sie ein vernünftiger Geschäftspartner sind, Herr Vasiliadis. Frau Sturm ist gleich nach den ukrainischen Zirkusartisten dran, meine Mitarbeiterin wird sie rechtzeitig abholen. Für die Bühnenshow ist bereits alles vorbereitet. Wir rechnen mit acht bis zehn Millionen Zuschauern an den Fernsehgeräten.«
Eine Spendengala für blinde Waisenkinder in Nepal. Thanos trottete davon. Nun hatte er also Larissa versprochen, nur drei Songs performen zu müssen, und dem Veranstalter, dass sie vier liefern würde. Was für ein beschissener Abend.
Und der Abend wurde nicht besser. Als Thanos den Backstage-Raum wiedergefunden hatte, war Larissa nicht mehr da.
»Sie hat den hochgeklappten Klodeckel entdeckt«, berichtete Vivian, die unter Schlafstörungen litt und einen halben Zentner zugenommen hatte, seit sie für Larissa arbeitete. Die Stimmung backstage war angespannt. Bislang war es immer gut gegangen. Doch es war eine Art russisches Roulette. Jeder Auftritt war ein Klick, und sie alle fürchteten die Kammer mit der Patrone.
»Wenn es nicht so unglaublich gut bezahlt wäre«, lamentierte Vivian.
»Jaja, wir alle wissen das. Wir alle sind Edelnutten und froh, keine jämmerlichen Stricher mehr zu sein, also sei still. Ich muss das hier irgendwie noch retten.«
»Oder einfach wieder auf den Strich gehen.«
»Acht bis zehn Millionen Zuschauer«, sagte Thanos und machte sich auf die Suche nach Larissa.
»Eure Hoheit, stimmt es, dass Ihr Name auf einer Steuersünder-CD auftaucht, die von den Behörden erworben wurde?«
Mortimer drehte sich um. Er sah ein bleiches Gesicht und dunkle Kulleraugen hinter einer überdimensionierten Brille. Der Kerl trug einen senffarbenen Anzug, sein nutellabraunes Haar war mikroskopisch exakt gescheitelt. Warum kopierten junge Menschen den Look von Siebzigerjahrepolitikern?
»Hör zu, du Vogel«, sagte Mortimer und leerte sein Champagnerglas, »das hier ist eine Benefizgala. Was glaubst du, halten die blinden Waisenkinder davon, wenn ein Milchgesicht wie du diesen ernsten Anlass nutzt, um das Schmuddelblatt seines Auftraggebers mit Dreck und Lügen zu füllen?«
»Darf ich meine Frage wiederholen, Eure Hoheit? Was …?«
»Darf ich meine Antwort wiederholen? Verzieh dich! Ist dir klar, dass ich hier Hausrecht habe?«
»Bei allem Respekt, Eure Hoheit, was darf ich als Statement zur Steuersünder-CD notieren?«
Da war dieser Impuls. Mortimer sah den wuchtigen Aschenbecher aus Glas vor sich. Er hatte es schon einmal getan, es war Ende der Neunziger auf dem Wiener Opernball gewesen. Er hatte ganz einfach den vollen Aschenbecher gegriffen und durchgezogen. Eine fließende, fast schon athletische Bewegung. Noch heute spürte er den berstenden Kieferknochen des Klatschreporters im ganzen Arm und sah die Kippen und die Asche umherfliegen. Noch heute hörte er die entsetzten Schreie der umstehenden Ballgäste, die sich mit der seufzenden Melodie von Wiener Blut vermischten. Wie ärgerlich, dass die Gesellschaft es einem nicht gönnte, so etwas häufiger zu tun. Er war vorbestraft, und daher knurrte Mortimer nur: »Kein Kommentar.«
»Werden Sie von der Amnestie für Steuersünder Gebrauch machen, um damit einer möglichen Haftstrafe zu entgehen, Eure Hoheit?«
Mortimer glitt abrupt von seinem Stuhl, bereit, diesen Schnösel zu Hundefutter zu verarbeiten. Er mochte einen Bierbauch haben und schnell außer Puste geraten, doch drei Jahrzehnte Boxtraining ließen sich nicht durch ein bisschen Altern und Lasterhaftigkeit verdrängen. Er konnte eine solche Witzfigur nach wie vor mit einer geraden Rechten auf die Intensivstation befördern. Genau aus diesem Grund beeilte er sich nun, den eigens für die Gala hergerichteten Festsaal wieder zu verlassen, um sich in die vor Presse und anderem Abschaum sichere Privatlounge zurückzuziehen, die A-Promis, Familienmitgliedern und erlesenen Freunden vorbehalten war. Wenn er es sich recht überlegte, wollte er den Auftritt dieser Schlagerqueen sowieso nicht sehen. Schruttke war trotz aller Etikette ein sehr schlichter Geist; vermutlich trällerte diese Frau auch nur irgendwas von Liebe, und man konnte Discofox dazu tanzen. Das war nichts für jemanden, der Chopins Nocturnes hörte und binnen dieser zwei Stunden erschütterndster Traurigkeit eine Flasche edelsten Whisky austrank, die andere im Banktresor verschlossen hätten.
»Morty, schön, dich zu sehen, wie geht’s?«
»Grüß dich, Jay. Gott sei Dank machst du die Theke hier drinnen. Da draußen kreisen die Schmeißfliegen.«
Mortimer zog sein Jackett aus, hängte es über die Stuhllehne und legte sein Smartphone auf den Tresen.
»Mal wieder das neuste Modell, Morty.«
»Na klar. Wenn man sich das einmal angewöhnt hat, hört man nicht mehr damit auf. Sie könnten jede Woche ein neues Modell auf den Markt bringen, ich würde es jedes Mal kaufen. Bedienen kann ich es trotzdem nicht.«
Jay grinste das weise Grinsen, das nur Barkeeper beherrschten. Kein Wunder, dass er auch über die so faszinierende wie unheimliche Menschenkenntnis verfügte, die nur Barkeepern – und darunter sicher nicht allen – eigen war. Jay mochte Mortimer von Weidelsburg sehr, denn er wusste, dass das Innere dieses zechenden, prügelnden, ungehobelten Koksproleten aus hauchdünnem Porzellan war und sehr oft zu Bruch ging. Jay wusste auch, dass sich diese Scherben nicht auf ewig wieder zusammenkleben ließen und dass irgendwann der große Kollaps kommen würde. Trotz alledem, oder vielleicht auch gerade deshalb, galt: Die tragischsten Charaktere waren die angenehmsten Thekengäste.
»Du siehst aus, als solltest du mal ein Wasser trinken.«
»Ja, gib her. Aber mach mir etwas Wodka rein. Sag mal, diese Vanessa Sturm … was ist das für eine? Alle reden von ihr.«
»Sie heißt Larissa.« Jay senkte seine Stimme und stellte Mortimer den verwässerten Wodka hin. »Am besten, du fragst sie selbst. Sie setzt sich gerade neben dich.«
»Ich trinke Champagner und Wodka-E«, sagte Larissa Sturm, während sie den Inhalt eines kleinen Täschchens auf den Tresen schüttete.
»Sehr wohl, Frau Sturm.«
Mortimer drehte sich um und musterte ihr Profil. Er war positiv überrascht. Eine Frau, die wusste, was sie wollte, und die es unmissverständlich artikulierte. Sie erinnerte ihn an seine Mutter, die ihrem verbohrten Gatten stets Feuer unterm Hinter gemacht hatte – bis zu jenem tragischen Reitunfall, der sie so jäh aus dem Leben gerissen hatte. Möglicherweise saß hier ihre Reinkarnation. Ungezähmte dunkle Locken; gerader, strenger und doch sinnlicher Mund, zackige Bewegungen. Sie separierte ein kleines Etui, einen Taschenspiegel und eine Banknote vom Rest des Tascheninhalts. Zugegeben, seine Mutter hatte ihre vierundvierzig Jahre auf Erden durchweg nüchtern zugebracht. Ansonsten aber fiel Mortimer kaum ein gravierender Unterschied auf.
Plötzlich drehte sie sich zu ihm. So blaue Augen. Mortimer bekam einen Anflug von Herzinfarkt. Blau wie die Fehlermeldung eines kaputten Betriebssystems. Blau wie das Meer über einem Tsunami, der sich aus der Tiefe erhob, um das Land zu verwüsten. Blau wie der todgeweihte Planet, auf den der Komet zuraste. So unfassbar blau.
»Mortimer Prinz von Weidelsburg«, stellte er sich vor, und es klang erbärmlich, denn seine Zunge klebte am Gaumen.
»Können Sie auf meine Sachen aufpassen?«, wendete sich Larissa an Jay und verschwand so schnell und zielstrebig, wie sie ihre Getränke geordert hatte. Spiegel, Etui und Geldschein nahm sie mit.
»Eine beeindruckende Frau, Jay. Was weißt du über sie?«
»Vermutlich das, was alle wissen. Larissa Sturm kommt aus eher einfachen Verhältnissen. Sie hat die Realschule abgebrochen. Hat in einem Irish Pub gekellnert, wo sie ein Theaterproduzent entdeckt hat, weil sie am Karaokeabend Born to Die angeblich besser gesungen hat als Lana Del Rey persönlich. Am Theater ist sie nicht lange geblieben. Vor ihrer Solokarriere war sie kurz noch Backgroundsängerin für Frederick Christoph Meier.«
»Frederick was?«
»Ebenfalls ein Schlagerstar. Er war vor allem in den Nullern erfolgreich. Sie hat ihn schnell überholt und ihm auch gleich noch den Manager ausgespannt, Thanos Vasiliadis.«
»Den Namen hab ich schon mal gehört«, murmelte Mortimer, dessen Kurzzeitgedächtnis angeschlagen war.
»Ein bestens vernetzter Mann, der ihr einen guten Start verschafft hat. Er hat sie mit Michael Krauth connectet.«
»Der Michael Krauth?« Der Name war Mortimer durchaus geläufig, denn seine Ex-Frau Monika hatte ein Verhältnis mit Krauth gehabt.
»Genau. Der Michael Krauth, der bereits drei Siegersongs für den Eurovision Song Contest komponiert hat. Ihren Durchbruch hatte Larissa Sturm mit Für immer heute Nacht. Der Song fehlt heute auf keinem Schützenfest. Geschrieben hat ihn natürlich Michael Krauth. Tja, und der Rest ist Geschichte.«
»Wow«, sagte Mortimer und leerte sein Glas. »Gib mir noch so eins. Und teile doch bitte meinem Bruder mit, er soll einen gescheiten Wodka besorgen, gerne einen Royal Dragon Superior Imperial. Du lieber Gott, er hat so viel von unserem Vater geerbt. Die Gaunervisage, den schlechten Kunstgeschmack, die Geldgier, die Vorhautverengung, seine Profilneurose … aber das gute Gespür für exzellente alkoholhaltige Getränke, das ist komplett an ihm vorbeigegangen.«
Ein paar Augenblicke verstrichen. Mortimer lauschte den Geräuschen, die vom Festsaal in den geschlossenen Bereich drangen. Er vernahm die Stimme seines Bruders, der das Programm zu eröffnen schien.
»Was für ein skrupelloser Hund. Zugegeben, ich habe auch meine Leichen im Keller. Aber was er da treibt, von wegen Waisenkinder und Spendengala …«
»Als Barkeeper weiß ich, wann ich zu schweigen habe«, entgegnete Jay.
»Deswegen sitze ich so gerne hier, Jay. Weil du noch weißt, was Diskretion bedeutet.« Er blickte zur Seite und wühlte mit dem Finger in Larissa Sturms Utensilien. »Sieh dir nur diesen Haufen an … Was die alles in ihrer Handtasche hat. Tampons. Warum haben Frauen Tampons immer lose in ihren Handtaschen? Da, schau, Tranquilizer. Verschiedene Lagen. So jung und schon ein Junkie. Und was glaubst du, tut sie gerade? Sie ist sicher nicht wegen ihrer schwachen Blase aufs Klo gegangen.«
»Achtung, sie kommt zurück«, murmelte Jay in seine Faust und ließ es wie ein Räuspern aussehen.