RECHT GEGEN RECHTS
REPORT 2020
Nele Austermann, Andreas Fischer-Lescano, Wolfgang Kaleck, Heike Kleffner, Kati Lang, Maximilian Pichl, Ronen Steinke, Tore Vetter (Hg.)
Handbuch
FISCHER E-Books
Die Herausgeber*innen sind Journalist*innen und kritische Jurist*innen, die sich von einer Grundeinsicht leiten lassen: Rechtsextremist*innen verstehen das Recht als Arena ihrer politischen Kämpfe und versuchen, es für ihre Zwecke auszunutzen. Wenn alle diese Versuche dokumentiert und bewertet werden, ist ein wichtiger Schritt getan, um sich besser wehren zu können.
Internet-Beleidigungen gegen Renate Künast; Rassismus in der Gesellschaft; AfD-Politiker, die die Nazizeit als »Vogelschiss« bezeichnen – die Justiz ist permanent mit dem gesellschaftlichen Rechtsruck in Deutschland konfrontiert. Sie reagiert darauf nicht immer angemessen. »Recht gegen rechts. Report 2020« verzeichnet die Entwicklungen im Recht, die aus dem Kontakt mit rechten Tendenzen in der Gesellschaft resultieren, und bewertet sie. Ziel des Bandes ist es, anhand konkreter Beispiele einerseits die Tendenzen im Recht zu dokumentieren, die in die falsche Richtung laufen, und andererseits die Praxen hervorzuheben, die sich dem Rechtsruck entgegenstellen – um zu zeigen, wie der Resonanzraum für Rechte verkleinert werden kann. Denn noch ist es nicht zu spät.
Weitere Informationen finden Sie unter www.fischerverlage.de
Originalausgabe
Erschienen bei FISCHER E-Books
Covergestaltung: Andreas Heilmann und Gundula Hissmann, Hamburg
Coverabbildung: ullstein bild / Christian Mang
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-403862-9
Prolog
Die stillschweigende Hoffnung, das anhaltende Erstarken rechtsextremer Tendenzen werde von selbst wieder vorübergehen, diese »Hush-Hush-Taktik«, wie Theodor W. Adorno sie in einer Rede 1967 an der Wiener Universität nannte – »also die Taktik, diese Dinge totzuschweigen« –, hat nie funktioniert. Denn damals wie heute ist »bereits die Entwicklung viel zu weit gegangen, als dass man damit noch durchkäme«.
Das ist die gesellschaftliche Situation, die in diesem Report vermessen werden soll: Die Vertreter*innen rassistischer, homophober, revisionistischer Ressentiments treten immer schamloser auf, es gelingt ihnen, die Grenzen des Sagbaren immer weiter zu verschieben. Auch in Amtsstuben und Gerichtssälen ist dies zu beobachten, also dort, wo der Rechtsstaat eigentlich dagegenhalten sollte. Etwa dann, wenn die Justiz rechtsextreme Einschüchterungstaktiken verharmlost oder wenn die PolizeiPolizei die Betroffenen allein lässt.
Hier setzt dieser Report an. Juristische Mittel können genutzt werden, um diese Tendenzen zurückzudrängen. Es sind die Mittel der Demokratie, des Grundgesetzes, man muss sie in diesen Zeiten mehr denn je zielgerichtet und klug einsetzen. Es liegt nicht nur an Jurist*innen, dies immer wieder einzufordern und wo nötig zu erkämpfen. Sondern es liegt auch an einer wachen Öffentlichkeit, diesen Anspruch an den Rechtsstaat zu stellen – und nachdrücklich darauf zu pochen.
Es genügt dabei nicht, nur die Agitation der brüllenden Demagogen in den Blick zu nehmen. Die Entwicklungen in PolenPiS-Partei und UngarnOrbán, Viktor zeigen, wie der autoritäre Rechtsruck gerade aus den Reihen von etablierten Parteien und Institutionen heraus betrieben werden kann. In PolenPiS-Partei zerstört die nationalistische Regierung der PiSPiS-Partei-Partei systematisch die Unabhängigkeit der Justiz – allen Protesten und europäischen Klageverfahren zum Trotz. In UngarnOrbán, Viktor hat Viktor OrbánOrbán, Viktor eine völkische und illiberale Demokratie etabliert, die heute als Blaupause für Neue Rechte auch in anderen Ländern gilt. Überall dort, wo seine Geschwister im Geiste sich aufmachen, den Marsch durch die Institutionen mit weiteren Erfolgen zu krönen, braucht es wache, entschiedene, demokratische Gegenwehr.
Die Jahre 2019 und 2020 sind von blutigem Rechtsterrorismus geprägt gewesen. Dazu gehört am 2. Juni 2019 der Mord an dem CDUChristlich Demokratische Union/Christlich-Soziale Union (CDU/CSU)-Regierungspräsidenten von Kassel, Walter LübckeLübcke, Walter, dessen humanistisch geprägte Haltung in der Flüchtlingspolitik ihn zu einem Hassobjekt für Rechtsextreme machte. Dazu gehört das antisemitisch und rassistisch motivierte Attentat mit zwei Todesopfern und mehreren Verletzten auf die Synagoge und einen Dönerimbiss in HalleAntisemitisch und rassistisch motivierter Anschlag in Halle an der Saale am 9. Oktober 2019. Dazu gehört der rassistische Anschlag in HanauRassistisch motivierter Anschlag in Hanau am 19. Februar 2020, dem zehn Menschen zum Opfer fielen.
In dieser Lage ist es uns wichtig, einer kritischen Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wo die Justiz ihre Instrumente zur Verteidigung von Demokratie und Vielfalt derzeit verstauben und verrosten lässt; wo sie Sensibilität für die Rechte von, nicht nur rassistisch, Marginalisierten vermissen lässt; und auch wo sie ihrerseits zu einem Teil des Problems wird, indem sie etwa Rassist*innen noch bestärkt oder ihnen scheinbar Argumente liefert.
Mit diesem Report, der von nun an jedes Jahr erscheinen soll, geht es uns aber auch um das Positive – darum, wie in der juristischen Arena erfolgreiche Gegenstrategien aussehen können, um das Recht dort starkzumachen, wo es zivilgesellschaftliche Kräfte beim Kampf gegen rechtsextreme Tendenzen unterstützen kann. Diese Beispiele bekannter zu machen, heißt sie zur Nachahmung zu empfehlen.
Und wir möchten auch zur Einsendung von solchen juristischen Entscheidungen einladen, die bislang noch nicht die öffentliche Beachtung erlangt haben, die sie verdienen – am besten mit einer E-Mail an recht_gegen_rechts@posteo.de
Die Herausgeber*innen
Zur Zerbrechlichkeit der Demokratie
von Gerhart Baum
Als Joseph Goebbels 1928 in den Reichstag einzog – die NSDAP erhielt 2,6 Prozent der Wählerstimmen –, erklärte er sinngemäß: Wir werden uns jetzt aus dem Arsenal der Waffen der Demokratie bedienen, um diese mit ihren Mitteln zu zerstören.
Die heutige rechtsextreme Partei ist auf diesem Wege. Sie kämpft gegen das »System«. Auf sie trifft zu, was das Bundesverfassungsgericht 2017 im Hinblick auf die NPDNationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) festgestellt hat: Sie verfolgt ein rassistisches Konzept der ethnisch exklusiven Volksgemeinschaft, weil sie politische und soziale Rechte auf Menschen beschränken will, die ihrer Ansicht nach deutsch sind. So wollten es auch die Nationalsozialisten.
Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in Deutschland sind die derzeit größte Gefährdung unserer demokratischen Grundordnung. Auch jetzt in der Pandemiekrise mobilisieren die Rechten gegen die geltende Rechtsordnung und versuchen, die Sehnsucht nach Lockerung der Beschränkungen für sich zu mobilisieren. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik war die Rechte so stark. Noch nie zuvor saß sie in allen Parlamenten. Sie hat das politische Klima im Land verändert. Es besteht kein Anlass, sie mit Hinweis auf den Extremismus von links zu verharmlosen und zu relativieren. Seit 1945 gab es immer wieder eine Haltung im Lande, die Gefahr von links kritischer zu bewerten als die von rechts.
Natürlich haben wir keine Weimarer Verhältnisse, und die Bundesrepublik wird nicht enden wie Weimar. Aber es gibt besorgniserregende Parallelen, und die lauern auch versteckt in unserer Gesellschaft.
Der totale moralische Zusammenbruch durch die Nazidiktatur – ein ganzes Volk hatte sich einer Verbrecherclique ausgeliefert und die hat einen Weltenbrand entfesselt – wirft bis heute einen Schatten über unsere Demokratie. Nur im Bewusstsein dieser Vergangenheit sind wir in glaubwürdiger Weise politisch handlungsfähig. Gerade deshalb ist unsere ErinnerungskulturErinnerungskultur so wichtig. Es ist unerträglich zu sehen, wie sie herabgewürdigt wird als »dämliche Bewältigungspolitik« (HöckeHöcke, Björn). Das Grundgesetz ist die Antwort auf die Diktatur, mit der strikten Bindung von Staat und Gesellschaft an die Menschenwürde. Auch die Völkergemeinschaft hat sich mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948 diesem sittlichen Prinzip verpflichtet. Angesichts dieser Vergangenheit ist von den Deutschen besonders hohe Sensibilität gegen Gefahren von rechts zu fordern.
Rechtsextreme und autoritäre Strukturen werden auch durch die Zeitenwende genährt, in der wir uns befinden. Es ist die digitale Revolution, die eine Globalisierung ungeahnten Ausmaßes in Gang gesetzt hat. Es wachsen Zweifel und Ratlosigkeit – Zweifel an der Verlässlichkeit und an den Kontrollmöglichkeiten weltweiter Prozesse. Es wachsen berechtigte Zweifel an der Durchsetzung des Primats der Politik. Die kaum zu bändigenden Möglichkeiten des Internets begünstigen extreme Denk- und Verhaltensweisen. Erregung und Verschwörungstheorien flammen auf. Und dann kommen die Rattenfänger. Sie präsentieren einfache Lösungen, sie operieren mit der Angst, »dem hinterhältigsten Dämon einer freien Gesellschaft« (Zygmunt Bauman). Sie nähren die trügerische Hoffnung, mit dem Rückzug in eine heimatliche Idylle, die es so nie gegeben hat, könne man den Gefahren begegnen. Aber in einer Welt, in deren Entwicklung alle eingebunden sind, kann es nur kosmopolitische Antworten geben.
Die Angst vor Globalisierung ist sicher noch verstärkt worden durch das unheimliche Phänomen der Pandemie, obwohl sie ja gerade deutlich macht, dass wir auch in dieser Hinsicht in einer weltweiten Risiko- und Gefahrengemeinschaft leben. Wir konstatieren eine generelle Angst vor Veränderungen, vor Fortschritt, vor Kontrollverlusten, vor Abstieg und Armut. Diese Gefahren müssen die Demokraten erkennen und sich ihnen stellen.
Vor diesem Hintergrund sind es vor allem zwei Gründe, die mich von einem Hauch von Weimar sprechen lassen: das generelle Verhältnis der Deutschen zur Freiheit und das Verhalten der sogenannten bürgerlichen Mitte – damals und heute.
Weimar ist letztlich durch Verrat der bürgerlichen Mitte zugrunde gegangen, nicht durch den Zangenangriff der Ränder. Die Untersuchungen der Bielefelder UniversitätUniversität unter der Ägide von Wilhelm Heitmeyer, über mehr als zehn Jahre hinweg, zeigen, dass heute in Teilen des sogenannten Bürgertums ein Prozess der Verrohung stattfindet – ein Prozess der Menschenverachtung. Es sind, wie Heitmeyer es beschreibt, autoritäre Versuchungen – ein autoritärer Nationalradikalismus. Liest man Henkel, LuckeLucke, Bernd, GaulandGauland, Alexander vor der Flüchtlingskrise, so spürt man dort schon die Verachtung unseres auf Toleranz und Weltoffenheit gegründeten Systems. Das sitzt also tief. Rassismus kam als Brandbeschleuniger 2015 dazu, war aber nicht das auslösende Moment.
Sympathien für dieses Gedankengut sind nicht nur bei den Wählern der AfDAlternative für Deutschland (AfD) zu finden, sondern eben auch darüber hinaus. Der Generalbundesanwalt hat kürzlich bei einer Tagung zum Rechtsextremismus festgestellt, dass die Gefahr aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Schon 2006 hat Ralf Dahrendorf diese »Versuchungen der Unfreiheit« in seinem gleichnamigen Buch beschrieben, also die Aufgabe der Werte der individuellen Freiheit zugunsten der Auslieferung an ein Kollektiv. Das Streben nach nationaler Größe war in der deutschen Geschichte oft stärker als das Streben nach individuellem Glück.
Ich wurde politisch aktiv, nachdem ich noch das Ende der Diktatur und danach die Uneinsichtigen erlebt habe, die sich der Verantwortung nicht stellen wollten. Die alten Nazis waren noch da, so auch ein Teil meiner Lehrer. Auch in der FDPFreie Demokratische Partei (FDP) waren sie. Und dann habe ich mich mit den Ursachen der Katastrophe unter anderem in einem Brief an Thomas Mann im Januar 1953 nach der Lektüre von »Doktor Faustus« auseinandergesetzt. »Wie war all dies Unfassbare aus dem ›anderen‹, dem wahren, dem hochgeistig-humanen Deutschland entstanden?«, schrieb ich. Ich hatte Zweifel, ob die Demokratie gelingen würde. Sie ist gelungen – in all den Jahrzehnten, und sie ist nach wie vor stark. Aber sie ist heute ernsthaften Bedrohungen ausgesetzt.
Ein Stück Misstrauen bleibt. Ich bin also sehr wachsam, was das Verhältnis der Deutschen zur Freiheit angeht. Das war in unserer Geschichte nicht eindeutig. Es war ein langer Weg zur Demokratie – mehr geprägt durch Restauration als durch Revolution. Die Deutschen haben die Entwicklung zum Nationalstaat nicht unbedingt mit dem Prinzip der Freiheit in Einklang gebracht. Und ich sehe heute Nachlässigkeiten bei der Verteidigung der Freiheit.
Wie dünn das Eis ist, hat Thüringen gezeigt, wo im Februar 2020 der FDPFreie Demokratische Partei (FDP)-Fraktionschef Thomas Kemmerich sich bereit zeigte, Stimmen der AfDAlternative für Deutschland (AfD) für seine Wahl zum Ministerpräsidenten anzunehmen. Erst durch breiten Protest in der Gesellschaft und in der eigenen Partei hat eine demokratische Partei davon abgelassen, sich von Rechtsextremisten stützen zu lassen. Es gab überhaupt keine Berührungsängste.
Zu bemerken waren sogar etliche positive Reaktionen auf Kemmerichs Wahl. Die Feindschaft gegen eine hochgespielte linke Gefahr war stärker als die Ablehnung einer AfDAlternative für Deutschland (AfD)-Unterstützung. Wieder einmal in der Nachkriegsgeschichte war man weniger kritisch gegen rechts als gegen links.
Wie oft höre ich: »Man kann doch nicht ein Viertel der Wähler ausgrenzen.« Man muss! Die AfDAlternative für Deutschland (AfD) verfolgt verfassungsfeindliche Ziele. Ich zitiere noch einmal das Bundesverfassungsgericht im NPDNationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)-Verbotsverfahren: »Antisemitische oder auf rassistische Diskriminierungen zielende Konzepte verstoßen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.« Das ist eindeutig. Machen wir uns doch klar: Das Ziel ist, diese Ordnung zu beseitigen. Da ist nichts zu beschönigen. Da ist auch nichts zu verhandeln. Auch mit den Nazis konnte man nicht verhandeln. Alle, die die AfDAlternative für Deutschland (AfD) heute unterstützen, sind mitverantwortlich. Auch das ist eine Lehre aus Weimar. Im Übrigen werden die Einflussmöglichkeiten, die die Demokraten durch Anpassung auf AfDAlternative für Deutschland (AfD)-Wähler haben, maßlos überschätzt. Rechtsextremisten müssen vom Wert unserer freiheitlichen Ordnung überzeugt werden – und das ist ein schwieriger Prozess.
Der Feind stand in der Bundesrepublik immer eher rechts als links – auch ich als Minister hatte damit zu kämpfen. Natürlich war die Rote Armee Fraktion (RAF) ein besonderes Phänomen. Gleichzeitig aber gab es Morde und Gewalttaten von rechts, wie das Attentat auf dem Oktoberfest 1980 mit zwölf Todesopfern – und bis heute mindestens 200 Todesopfer rechtsextremistisch motivierter Gewalt.
Es gibt also Parallelen zu Weimar – nicht dergestalt, dass heute weiten Teilen der demokratischen Gesellschaft der Wille zur Freiheit abgesprochen werden müsste, aber doch so, dass sich in Teilen der sogenannten bürgerlichen Mitte demokratieverachtende Tendenzen angesiedelt haben. Und diese Situation wird uns noch länger begleiten in diesen stürmischen Zeiten. Deshalb ist es so wichtig, dass die Autorinnen und Autoren dieses Reports »Recht gegen rechts« gegen diese demokratieverachtenden Tendenzen Stellung beziehen. Mit den Mitteln des Rechtsstaats und mit langem Atem.
Es waren Kräfte aus der eigentlich demokratischen Mitte, die einst der Zerstörung der Republik Vorschub leisteten, zuletzt mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933, mit dem die Demokratie abgeschafft wurde. Sie haben die Demokratie verraten und damit die Ränder gestärkt. Was undenkbar schien, das geschah.
Ermittlungen in Thüringen gegen das »Zentrum für Politische Schönheit«
von Kristin Pietrzyk
Von den vielen Aktionen, mit denen das Zentrum für Politische Schönheit (ZPSZentrum für Politische Schönheit (ZPS)) in den letzten Jahren Aufmerksamkeit erregt hat, ragt die im Thüringischen Eichsfeld hervor: Neben dem Wohnhaus des AfDAlternative für Deutschland (AfD)-Rechtsaußen und -Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag Björn HöckeHöcke, Björn in Bornhagen hatte das ZPSZentrum für Politische Schönheit (ZPS) ein Haus samt Garten angemietet, unbeachtet vom AfDAlternative für Deutschland (AfD)-Politiker und seinen Nachbarn einen »Erweiterungsbau« zum Berliner Holocaust-MahnmalHolocaust-Mahnmal gebaut und im November 2017 enthüllt. Auslöser dafür war eine Rede Höckes in Dresden im Januar desselben Jahres, in der dieser das Holocaust-DenkmalHolocaust-Mahnmal als »ein Denkmal der Schande« bezeichnet hatte, das das deutsche Volk »in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt« habe.
Das ZPSZentrum für Politische Schönheit (ZPS) – ein Zusammenschluss von KünstlerInnen, die gemeinsam versuchen, politische Aussagen mit Aktionskunst und öffentlichkeitswirksamen und streitbaren Aktionen in den Fokus der gesellschaftlichen Diskussion zu rücken – hat seine Aktion damit begründet, dass »Deutschlands oberstem Hetzer ein Mahnmal gesetzt« werden sollte. Dessen Botschaft mache deutlich: »Wir werden Rechtsextremismus nicht länger tolerieren. Er ist nicht normal. Rassismus ist nicht normal. Und der Angriff auf unser zivilisatorisches Selbstverständnis wird nicht mehr unbeantwortet bleiben.«
An HöckeHöcke, Björn richtete die KünstlerInnengruppe die Aufforderung, vor dem Nachbau auf Knien um »Vergebung für die deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkrieges« zu bitten. Wie immer begleitete das ZPSZentrum für Politische Schönheit (ZPS) seine »Performance« mit entsprechender medialer Arbeit. Dabei hatte man angekündigt, HöckeHöcke, Björn fortan »ausspähen« zu wollen, man nehme die Funktion eines zivilen Verfassungsschutzes ein. Freilich relativierte das ZPSZentrum für Politische Schönheit (ZPS) diese Ankündigung rasch: sie sei Teil der Kunstaktion, nicht ernst gemeint und werde nicht in die Tat umgesetzt.
HöckeHöcke, Björn selbst ging gegen die Aktion gerichtlich vor, verlor aber unter anderem eine Unterlassungsklage vor dem Landgericht Köln, das die Aktion der Kunstfreiheit unterstellte. Auch eine mutmaßlich aus den Reihen von Höckes Partei erstattete Anzeige an die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft Mühlhausen blieb erfolglos und das Verfahren wurde eingestellt. Daraufhin geriet die Aktion in Vergessenheit.
Das änderte sich erst, als ein Abgeordneter der Partei Die LinkeDie Linke/DIE LINKE am 7. Dezember 2018 mit einer kleinen Anfrage im Thüringer Landtag in Erfahrung bringen wollte, welche Ermittlungsverfahren in Thüringen wegen der in den Paragrafen 129ff. des StrafgesetzbuchsStrafgesetzbuch geregelten Straftaten der Bildung krimineller Vereinigungen und der Bildung terroristischer Vereinigungen geführt werden. Aus der Antwort des Justizministeriums vom 8. März 2019 ging hervor, dass seit dem 21. April 2018 durch die Staatsanwaltschaft Gera ein Verfahren wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen eine Gruppe von AktionskünstlerInnen geführt werde. Schnell war klar, dass es sich bei der Gruppe um das Zentrum für Politische Schönheit handeln musste.
Das StrafgesetzbuchStrafgesetzbuch stellt die Gründung oder Beteiligung an einer Vereinigung, deren Zweck es ist, Straftaten zu begehen, oder deren Handlungen Straftatbestände erfüllen, unter Strafe. Es drohen bis zu fünf Jahren Haft; in besonders schweren Fällen sogar zehn Jahre. Um sich strafbar zu machen, reicht es aus, eine solche Vereinigung zu bilden. Straftaten müssen nicht begangen werden.
Das Bedenkliche an diesem Straftatbestand ist nicht – nur – die Strafdrohung, sondern die erheblichen Befugnisse, die er den Ermittlungsbehörden einräumt. Mit dem Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung können Sicherheitsbehörden aus dem Vollen schöpfen und Maßnahmen ergreifen, die eigentlich nur bei Schwerstkriminalität anwendbar sind, das heißt sie können das ganz große Ermittlungsbesteck auspacken: Telekommunikations- und Wohnraumüberwachung, Finanzermittlungen, Observationen, Durchsuchungen. Verdächtige werden für die Ermittlungsbehörden zu gläsernen Personen.
In den seltensten Fällen wird auf die entsprechenden Straftatbestände tatsächlich eine Anklage gestützt; noch seltener werden Verurteilungen erwirkt. Die Funktion des Ermittlungsverfahrens ist nicht selten eine andere: Dadurch, dass eine Organisation unter Verdacht gestellt wird, können ganze Gruppen und Netzwerke durchleuchtet, über Jahre hinweg ausgespäht, Daten gesammelt, ausgewertet und bewertet werden.
Voraussetzung ist, dass es sich um eine »kriminelle Vereinigung« handelt. Dazu hatte der Adressat des Mahnmals eine eindeutige Meinung: HöckeHöcke, Björn erklärte, dass er das ZPSZentrum für Politische Schönheit (ZPS) nicht für eine KünstlerInnengruppe halte, sondern für eine kriminelle Vereinigung, ja sogar eine terroristische, die es rechtlich zu verfolgen gelte. Höckes Stichwort zur strafrechtlichen Verfolgung der Gruppe schien zunächst niemand aufzunehmen, obwohl es so deutlich in die Welt posaunt wurde. Über 16 Monate hatte der Ruf Höckes nach einer strafrechtlichen Verfolgung der UrheberInnen seines persönlichen Mahnmals der Schande niemanden interessiert.
Niemanden, außer einem BeamtenBeamt*innen der Staatsanwaltschaft Gera. Martin ZschächnerZschächner, Martin leitete, wie aus der Anfrage bekannt, bereits im Februar 2018 ein Verfahren gegen das ZPSZentrum für Politische Schönheit (ZPS) wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ein. Anlass hierfür war die Ankündigung, dass das ZPSZentrum für Politische Schönheit (ZPS) HöckeHöcke, Björn unter Beobachtung stellen wollte.
Unaufgeregt betrachtet muss man schon daran zweifeln, ob die Ankündigung einer »Überwachung« ohne konkrete Darstellung, wie diese genau aussehen oder durchgeführt werden soll, ausreichen kann, um ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Völlig abwegig erscheint die Einleitung eines Strafverfahrens aber, wenn man bedenkt, dass das ZPSZentrum für Politische Schönheit (ZPS) ja öffentlich mitgeteilt hatte – und zwar vor Einleitung des Ermittlungsverfahrens im Februar 2018 –, dass eine Überwachung Höckes nicht durchgeführt werde und dass eine anderslautende Ankündigung Teil einer überspitzenden künstlerischen Performance gewesen sei. Objektiv lag damit ein Anfangsverdacht gegen das ZPSZentrum für Politische Schönheit (ZPS) zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens nicht (mehr) vor.
Eben weil die Ankündigung so unkonkret und zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung bereits zurückgenommen worden war, hätte jede/r StaatsanwältIn abwinken und den Gedanken an ein Ermittlungsverfahren verwerfen müssen. Vielleicht auch, weil man einer öffentlich und in rechten Magazinen geäußerten Forderung nach Strafverfolgung von Menschen, die offensichtlich nicht rechts sind und diese Meinung auch öffentlich vertreten, als Behörde immer kritisch gegenüberstehen sollte, um sich nicht politisch instrumentalisieren zu lassen.
Das setzt freilich voraus, dass staatliche Behörden neutral, mit Augenmaß und auf dem Boden des Rechtsstaats agieren. Niemand kann verlangen, dass BeamteBeamt*innen keine politischen Menschen sind. In ihrer Arbeit als ausführende Organe der Staatsgewalt haben sie jedoch ihre persönlichen Meinungen und Ansichten hintenan zu stellen und neutral zu agieren.
Den Boden des Rechtsstaats hat der ermittelnde Staatsanwalt in diesem Fall jedoch verlassen. Als das Ermittlungsverfahren gegen das ZPSZentrum für Politische Schönheit (ZPS) publik wurde, rückte auch die Person Martin Zschächner in die Öffentlichkeit. Es erschienen mehrere Artikel in bundesweiten Zeitungen, in denen auch ehemalige Mitstudierende, KlassenkameradInnen und KollegInnen Zschächners zu Wort kamen. Alle berichteten davon, dass der Staatsanwalt bereits Jahre zuvor mit Äußerungen gegen MigrantInnen und Linke aufgefallen sei. Er solle AusländerInnen als »Schmarotzer« bezeichnet und geäußert haben, dass er alle LinkenDie Linke/DIE LINKE einsperren wolle. Ein Artikel behandelte auch eine angebliche Spende Zschächners an die AfDAlternative für Deutschland (AfD) – die Partei, deren Vorsitzender in Thüringen vermeintliches »Opfer« der Aktion des ZPSZentrum für Politische Schönheit (ZPS) war.
Sollte Martin ZschächnerZschächner, Martin tatsächlich solchen Denkmustern verhaftet sein, wie ihm die Artikel unterstellen, so hat er mit den Ermittlungen eine rote Linie überschritten. Denn dann hätte er in diesem Fall seine persönliche politische Meinung zur handlungsleitenden Prämisse staatlichen Handelns gemacht. Dies darf nicht – auch nicht im Einzelfall – passieren.
Leider war dies auch kein einmaliger Fehlgriff des Staatsanwalts. Nach dem öffentlichen Bekanntwerden der Ermittlungen gegen das ZPSZentrum für Politische Schönheit (ZPS) meldeten sich immer mehr Betroffene der von ZschächnerZschächner, Martin geführten Ermittlungen zu Wort. Dabei kam die ganze Bandbreite der groben Kelle gegen links und der Blindheit gegen rechts – praktiziert namens und im Auftrag des Freistaats Thüringen – ans Licht.
ZschächnerZschächner, Martin hielt das Singen des sogenannten U-Bahn-Liedes auf einer Demonstration der AfDAlternative für Deutschland (AfD) nicht für strafbar. In dem Lied wurde angekündigt, eine U-Bahn von der Jungen Gemeinde Stadtmitte Jena bis nach Auschwitz zu bauen. Wegen der Bezugnahme auf das Vernichtungslager und der damit verbundenen Inaussichtstellung der Wiederholung der Schoa sehen die meisten Gerichte, unter anderem das Amtsgericht Jena, dieses Lied als strafbar an. Nicht so ZschächnerZschächner, Martin, der dem Sänger zugutehielt, dass er Auschwitz ja als etwas Übles betrachtete, sonst würde er dies nicht in Verbindung mit seinem politischen Gegner bringen. Straflos sei es jedoch, da Auschwitz in diesem Zusammenhang doch austauschbar sei, eben nur ein Synonym für eine größtmögliche Niederlage wie auch Waterloo. Damit fanden sich geschichtsrevisionistische Gedankengänge in einer Entscheidung einer Staatsanwaltschaft. Auch die Äußerung »Fickt Euch« auf einer Facebook-Seite hielt er für nicht beleidigend und gab damit rechten HetzerInnen grünes Licht. Einen in die Kamera eines AfDAlternative für Deutschland (AfD)-Mitglieds gehaltenen »Stinkefinger« verfolgte er jedoch erbittert. Beim Verdacht einer Vermummung bei TeilnehmerInnen einer linken Demonstration ließ er kostspielige anthropologische Gutachten einholen, um den Tatnachweis zu führen, was jedoch nicht gelang. Die Wohnung des Jenaer Stadtjugendpfarrers Lothar König ließ er durchsuchen, um angeblich »Entlastungsmaterial« zu finden. Bei einer Razzia gegen Mitglieder eines kurdischen Kulturvereins machte ZschächnerZschächner, Martin auch nicht vor verfassungsrechtlich besonders geschützten Büros von Abgeordneten der Partei Die LinkeDie Linke/DIE LINKE halt.
Ein ähnliches Engagement des Geraer Staatsanwalts gegen rechte Tatverdächtige sucht man jedoch vergebens.
Betroffene von Verfahren, die im politischen Bereich geführt wurden, und insbesondere Betroffene, gegen die die Staatsanwaltschaft Gera in Person von Martin ZschächnerZschächner, Martin ermittelt hatte, berichteten davon, dass sie durch die Ermittlungen massiv unter Druck gesetzt und eingeschüchtert worden sind. Nicht nur die Bedrohung mit einer empfindlichen Geld- oder Haftstrafe, sondern auch die Sorge um die enormen Kosten der Verfahren, die zum Beispiel durch die Einholung von Sachverständigengutachten verursacht und im Falle einer Verurteilung von den Angeklagten zu tragen sind, lähmten die Betroffenen in ihrem politischen Engagement.
Aber auch das Umfeld wurde massiv eingeschüchtert. Allein die Kenntnis davon, dass Personen mit Verfahren überzogen werden, nur weil deren Personalien am Rande einer Demonstration aufgenommen wurden, kann dazu führen, dass Menschen sich zweimal überlegen, ob sie sich noch auf der Straße im Kampf gegen rechts engagieren. Oftmals hängen Studium und Beruf von einem makellosen Führungszeugnis ab.
Dieser Macht, mit der Einleitung von Ermittlungsverfahren zivilgesellschaftliches Engagement zu schwächen, sind sich StaatsanwältInnen, insbesondere in den Abteilungen für politische Strafsachen, durchaus bewusst. Der Verdacht liegt nahe, dass ein Staatsanwalt mittels seiner vom Staat verliehenen Macht eigene politische Ziele verfolgt hat.
Zwar führten im Zuge des Skandals um die Ermittlungen gegen das ZPSZentrum für Politische Schönheit (ZPS) ein großer öffentlicher Druck zur EinstellungVerfahrenseinstellung des Verfahrens und zur Versetzung des ermittelnden Staatsanwalts in eine andere Abteilung. Jedoch können nicht alle Betroffenen auf eine solche Lobby und Unterstützung zurückgreifen. Eine kritische Öffentlichkeit ist notwendig, um politisches Handeln von Behörden aufzudecken, zu kritisieren und damit schwieriger zu machen.
Verfahren: Landgericht Köln, Urteil vom 14. März 2018, Aktenzeichen 28 O 362/17; Staatsanwaltschaft Gera, Ermittlungsverfahren gegen das Zentrum für Politische Schönheit; Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz, Antwort auf eine parlamentarische Anfrage vom 8. März 2019, Landtagsdrucksache 6/6928, Anlage 1, lfd. Nr. 1.
Literatur: Arno Frank, Staatsanwälte ermitteln gegen Zentrum für Politische Schönheit, Spiegel Online vom 3. April 2019, abrufbar unter www.spiegel.de.
Politisch motivierte Ermittlungen gegen Politiker*innen der Grünen in Frankfurt (Oder)
von Katja Herrlich
Im April 2020 lehnte die brandenburgische Generalstaatsanwaltschaft die Beschwerde gegen die EinstellungVerfahrenseinstellung eines Verfahrens wegen Verfolgung Unschuldiger ab, das sich gegen mehrere PolizistPolizei*innen aus Frankfurt (Oder) richtete. Die Beamt*innen hatten zuvor fast zwei Jahre auf der Grundlage von Informationen durch AfDAlternative für Deutschland (AfD)-Mitglieder gegen grüneBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lokalpolitiker ermittelt – ausgerechnet im Vorfeld der brandenburgischen Kommunal- und Landtagswahlen.
Als treibende Kräfte bei den Ermittlungen gegen die GrünenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN-Politiker erwiesen sich: Kerstin E., ermittelnde Staatsschutzbeamtin bei der Kriminalpolizei in Frankfurt (Oder), Wilko M., Bundespolizist und ominöser »Tippgeber«, mittlerweile AfDAlternative für Deutschland (AfD)-Landtagsabgeordneter, sowie Frank F., ein besorgter Bürger. Beteiligt soll auch Marcus M., PolizistPolizei und AfDAlternative für Deutschland (AfD)-Mitglied, als vermeintlicher Anzeigenerstatter gewesen sein. Die kriminalisierten Protagonisten: Jörg G., grünerBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kommunalpolitiker, sowie Robert G., Jugendaktivist der GrünenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
»Froschgesicht«, »Affe«, »Waschlappen«, »Hackfresse«, »Kotzbrocken« … Wer nun denkt, dies seien beleidigendeBeleidigung (Paragraf 185 StGB) Äußerungen, irrt. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) handelt es sich hierbei um bloße Taktlosigkeiten oder Unhöflichkeiten. Auf ihnen fußte das Ermittlungsverfahren gegen die beiden GrünenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Im Vorfeld der Bundestagswahl am 24. September 2017 hatte die Alternative für DeutschlandAlternative für Deutschland (AfD) (AfDAlternative für Deutschland (AfD)) im Stadtgebiet von Frankfurt (Oder) umfangreich plakatiert. Am 13. September 2017 um 21:54 Uhr geht über die Internetwache des Polizeipräsidiums Brandenburg eine Strafanzeige gegen Unbekannt ein: Nahe der Stadtbrücke, die ins polnische Słubice führt, seien wenige Minuten zuvor etwa 50 Wahlplakate beschädigt und teilweise entwendet worden. Als Anzeigenerstatter wird der PolizistPolizei Marcus M. genannt, der dem Stadtverband der AfDAlternative für Deutschland (AfD) angehört. Dieser streitet jedoch später ab, die Anzeige erstattet zu haben. Angaben zu weiteren Tatzeugen fehlen.
Zwei Tage später meldet sich Wilko M., ein ebenfalls dem Stadtverband der AfDAlternative für Deutschland (AfD) angehörender Bundespolizist, per E-Mail bei der PolizistinPolizei Kerstin E., die seit vielen Jahren im Staatsschutzdezernat tätig ist. Wilko M. verweist auf die von seinem »Kollegen« zuvor erstattete Strafanzeige und leitet dem Staatsschutzdezernat eine E-Mail von Frank F. weiter. Frank F. wiederum hatte die E-Mail etwa einen Monat zuvor verfasst – konkret am 18. August 2017 – und ursprünglich an die E-Mail-Adresse des AfDAlternative für Deutschland (AfD)-Stadtverbandes Frankfurt (Oder) übersandt. Frank F. beschreibt darin, an einem nicht näher konkretisierten Tag gegen 22:20 Uhr etwa 500 Meter von der ins polnische Słubice führenden Stadtbrücke entfernt »Froschgesicht«, »Affe« – später wahlweise als »Waschlappen«, »Hackfresse« oder »Kotzbrocken« betitelt – und eine Frau mit »Entenar … besser Entengesäß« beobachtet zu haben. Der »Affe« habe an einem an einer Straßenlaterne angebrachten AfDAlternative für Deutschland (AfD)-Plakat gefummelt. Dieses, so schreibt Frank F. weiter, hätte er später neben der Straßenlaterne im Pflanzenbeet gefunden, während ein Plakat der GrünenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN am Laternenpfahl gehangen hätte. Er habe seine Beobachtungen der AfDAlternative für Deutschland (AfD) gemeldet. Diese habe ihm geraten, auf den Internetseiten der GrünenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nach »Froschgesicht«, »Affe« und »Entenar…« zu suchen. Sein Rechercheergebnis: Er identifizierte zwei Lokalpolitiker der GrünenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg G. (der als »Froschgesicht« betitelt wurde), damals Fraktionsvorsitzender der GrünenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN-Stadtverordneten, und Robert G. (»Affe«), damals Leiter der GrünenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN-Jugend-Ortsgruppe. Der Inhalt dieser E-Mail von August 2017 wird dann zur Grundlage der Ermittlungen wegen Sachbeschädigung gegen beide Lokalpolitiker.
Aus der über die Internetwache erstatteten Strafanzeige und der E-Mail von Frank F. fertigt die Kriminalpolizei eine Strafanzeige gegen die Lokalpolitiker. Der abenteuerliche Vorwurf: Namentlich bekannte Zeugen hätten am 13. September 2017 um 21:45 Uhr in einem etwa acht Kilometer von der Stadtbrücke entfernten Ortsteil der deutsch-polnischen Grenzstadt Frankfurt (Oder) zwei männliche Personen dabei beobachtet, wie diese eine Vielzahl von Wahlplakaten der AfDAlternative für Deutschland (AfD) von Laternenmasten gerissen und beschädigt beziehungsweise mitgenommen hätten. Dass an dieser »Zusammenfassung« rein gar nichts stimmte, will den Polizeibeamt*innenPolizei nicht aufgefallen sein. Auch dass Frank F. das »Froschgesicht« in seiner E-Mail als kleinen Menschen mit kurzen Beinen beschreibt, stört die Strafverfolger*innen offenbar nicht. Jörg G., eine seit der Jahrtausendwende bekannte Persönlichkeit der 58000-Einwohner-Stadt und seit vielen Jahren Stadtverordneter für die GrünenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, weist dagegen eine Körpergröße von annähernd zwei Metern auf.
In der Folgezeit beschränkten sich die Ermittlungsmaßnahmen der PolizeiPolizei darauf, auf der Internetseite des Kreisverbandes der GrünenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die dort einsehbaren persönlichen Daten von Jörg G. und Robert G. sowie die Frau mit »Entenar…« zu ermitteln. Weil diese Frau nach den Angaben von F. einen langen breiten Zopf gehabt haben soll, fällt die Wahl auf Sahra D., damals Stadtverordnete für die GrünenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – und die einzige Frau mit langen Haaren. Erst im März 2018 – also ein halbes Jahr später – erfolgen Bemühungen, den angeblichen Anzeigenerstatter Marcus M. zu vernehmen. Dieser teilt sinngemäß mit, die Anzeige nicht erstattet zu haben und keine eigenen Angaben machen zu können. Dies führt jedoch nicht dazu, der Strafanzeige vom 13. September 2017 auf den Grund zu gehen. Stattdessen wird die Akte wieder weggelegt. Erst Anfang November 2018 – die Beschuldigten wissen noch immer nichts von dem gegen sie geführten Verfahren – versucht Kerstin E., die Staatsschutzbeamtin, nunmehr Frank F. vorzuladen. Als dieser ablehnt, bei der PolizistinPolizei zu erscheinen, erhält er einen Zeugenfragebogen. In dessen Einleitung heißt es, er habe am 13. September 2017 gegen 21:45 Uhr eine Beobachtung hinsichtlich von Wahlplakaten der AfDAlternative für Deutschland (AfD) gemacht – ein völlig falscher Vorhalt der im Staatsschutzdezernat erfahrenen PolizeibeamtinPolizei. F. antwortet jedoch prompt und schildert unter der Überschrift »Zeugenaussage Zerstoerung der AFD Plakate am 13.09.2017« den bereits aus der E-Mail vom 18. August 2017 bekannten Sachverhalt. F. betont dabei, dass weder Jörg G. noch Sahra D. die Täter*innen waren.
Erst im Januar 2019 erhalten dann Robert G. und auch Jörg G. – obwohl nach den Angaben von F. nicht der Täter – Anhörungsbögen als Beschuldigte. Sahra D. wird ein Zeugenfragebogen zugeschickt. Nachdem sie mitteilt, sich zur fraglichen Tatzeit in einer Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses befunden zu haben, ruft die Beamtin des Staatsschutzdezernats beim Bundespolizisten Wilko M. an. Sie bittet ihn unter Bezugnahme auf die E-Mail von Frank F., noch das Bild der weiblichen Person (»Entenar…«) zu übermitteln. Wilko M., der weder eigene Wahrnehmungen zum Geschehen vom 13. September 2017 gemacht, noch irgendetwas mit dem von F. geschilderten Sachverhalt zu tun hatte, antwortete umgehend. Zwar geht aus seiner E-Mail hervor, dass ihm ein Bild der weiblichen Person nicht vorliegt. Dennoch übersendet Wilko M. drei Bilder: von Jörg G. und Robert G. sowie ein von der Internetseite der GrünenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stammendes Foto einer Frau. Dieses zeigt jedoch nicht Sahra D., sondern die damalige Sprecherin des GrünenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN-Kreisverbandes – eine junge Frau namens Alena K., die zwar keine langen Haare trägt, aber immerhin weiblich und jung ist. Auch Alena K. erhält eine Ladung zur Zeugenvernehmung. Was sie allerdings mit dem Geschehen zu tun gehabt haben soll, bleibt völlig offen.
Nachdem Alena K. nicht zur Vernehmung erscheint, scheinen die Ermittlungen abgeschlossen. In einem Schlussbericht, gefertigt von Kerstin E. und gegengezeichnet von deren Dienstvorgesetzten, findet sich zumindest die Erkenntnis, Frank F. habe die von ihm denunzierten Personen in abfälliger Weise beschrieben. Dass der Sachverhalt aber in keiner Weise stimmig ist, will noch immer niemandem auffallen. Auch die Bemerkung, dass Sahra D. als einzige Frau aus dem Kreisvorstand der GrünenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Beschreibung des F. entsprochen habe, erscheint den Beamt*innen nicht bedenklich – obwohl diese sich nachweislich in einer Ausschusssitzung befunden hatte. Damit der Sachverhalt irgendwie passt, wird die auf dem von Wilko M. übersandten Foto befindliche Alena K. dann kurzerhand zur Zeugin erklärt.
Im April 2019 schickt die PolizeiPolizei die Ermittlungsakte an die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder). Die Beschuldigten erhalten über ihre Verteidiger*innen Akteneinsicht. Noch im gleichen Monat erstattet Jörg G. Strafanzeige gegen die PolizistPolizei*innen wegen Verfolgung Unschuldiger. Unter Bezugnahme auf diese Strafanzeige gehen am 7. Mai 2019 kurze Stellungnahmen der Verteidiger*innen bei der Staatsanwaltschaft ein. Nur zwei Tage später, am 9. Mai 2019 – etwa 20 Monate nach Eingang der Internetanzeige – wird das Ermittlungsverfahren gegen die beiden Beschuldigten Jörg G. und Robert G. mangels Tatverdachtes eingestellt.
Die von Jörg G. erstattete Strafanzeige erregt inzwischen mediale Aufmerksamkeit. Von einem zurechtgebogenen Strafverfahren ist in der Berichterstattung die Rede und davon, der Staatsschutz habe einseitig nur auf Grundlage von dubiosen AfDAlternative für Deutschland (AfD)-Quellen und gesteuert durch die AfDAlternative für Deutschland (AfD) nach Tatverdächtigen ausschließlich in den Reihen der Frankfurter GrünenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gesucht. An mehreren Stellen der Ermittlungsakte zeige sich, dass der Staatsschutz in seinen Ermittlungen einen kurzen Draht zur örtlichen AfDAlternative für Deutschland (AfD) pflege. Immer wieder wird der von einem Anwalt der beiden GrünenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geprägte Begriff »einer Art Betriebsparteigruppe der AfDAlternative für Deutschland (AfD)« in örtlichen Polizeikreisen aufgegriffen. Damit verbunden ist der Vorwurf an die ermittelnden Polizeibeamt*innenPolizei, aus politischen Gründen haltlose Beschuldigungen konstruiert und das Verfahren in die Länge gezogen zu haben.
Schließlich ist ein heikles Detail offensichtlich: Ende 2018 rückte sowohl die heiße Wahlkampfphase für die Kommunalwahlen am 26. Mai 2019 als auch die Aufstellung von Wilko M., Vorsitzender des AfDAlternative für Deutschland (AfD)-Stadtverbandes, als Spitzenkandidat der AfDAlternative für Deutschland (AfD) für den Wahlkreis Frankfurt (Oder) zur Kommunalwahl und zur Brandenburger Landtagswahl näher. Zudem hatte Wilko M. eine Beschwerde an das Brandenburger Innenministerium gegen die zwischenzeitlich erfolgte Bestellung von Jörg G. zum Frankfurter Baudezernenten gerichtet, die zurückgewiesen worden war.
Ist hier also aus strategischen Erwägungen gegen den politischen Gegner vorgegangen worden? Die Fraktionsvorsitzenden von SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Linke und CDUChristlich Demokratische Union/Christlich-Soziale Union (CDU/CSU) im Landtag forderten einhellig Aufklärung. Die zentrale Frage: Gibt es in der Brandenburger PolizeiPolizei »Political Profiling« – also Verdachtszuschreibung nach politischer Zugehörigkeit? Mahnend wiesen die GrünenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN darauf hin, dass sich die Polizei nicht zum Handlanger der AfDAlternative für Deutschland (AfD) machen dürfe. Der Fall schlug solche Wellen, dass der Polizeipräsident von Brandenburg eine interne Prüfung beauftragte. Wenig überraschend ergaben sich daraus keine Hinweise auf eine AfDAlternative für Deutschland (AfD)-Nähe der Frankfurter Polizei – ein anderes Ergebnis war auch nicht zu erwarten gewesen. Die Antwort des Landespolizeipräsidiums fiel entsprechend eindeutig aus: Die in der Presse erhobenen Vorwürfe seien gegenstandslos, erklärte der damalige Polizeivizepräsident Roger Höppner vor dem Innenausschuss des Landtags am 9. Mai 2019, dem Tag, an dem auch das Ermittlungsverfahren gegen Jörg G. und Robert G. eingestellt wurde.
Die Staatsanwaltschaft teilte nur fünf Tage nach dieser VerfahrenseinstellungVerfahrenseinstellung mit, sie sehe von der Aufnahme von Ermittlungen gegen die beteiligten PolizistPolizei*innen ab, da keine Anhaltspunkte für eine Verfolgung Unschuldiger vorliegen würden. Die Generalstaatsanwältin des Landes Brandenburg sah auf die hiergegen gerichtete Beschwerde von Jörg G. hin keinen Anlass, die Aufnahme von Ermittlungen anzuordnen, und teilte Ende April 2020 mit, die Entscheidung der Staatsanwaltschaft entspreche der Sach- und Rechtslage. Eine Strafbarkeit wegen Verfolgung Unschuldiger liege nicht vor, weil zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür fehlten, dass die Beamt*innen – auch wenn es sich um erfahrene Polizei132017Polizeibeamt*innenPolizei46182019