Slavoj Žižek
Hegel im verdrahteten Gehirn
Aus dem Englischen von Frank Born
FISCHER E-Books
Slavoj Žižek, geboren 1949, ist Philosoph, Psychoanalytiker, Kulturkritiker – und bekennender Hegelianer. Er lehrt Philosophie an der Universität von Ljubljana in Slowenien und an der European Graduate School in Saas-Fee und ist derzeit International Director am Birkbeck Institute for the Humanities in London. Seine zahlreichen Bücher sind in über 20 Sprachen übersetzt. Im S. Fischer Verlag ist zuletzt »Wie ein Dieb bei Tageslicht. Macht im Zeitalter des posthumanen Kapitalismus« erschienen.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Hegel ist veraltet. Aber gerade deshalb – so die Pointe von Meisterdenker Slavoj Žižek – können wir durch seine Linse die Gegenwart besser verstehen. Anstatt also zu ermitteln, was an Hegels Denken heute noch aktuell ist, dreht Žižek die Frage um: Wie sieht unsere Gegenwart aus, wenn wir sie mit Hegel betrachten? Und es stellt sich heraus: Wir verstehen sie viel besser, gerade weil Hegel sie sich in keiner Weise vorstellen konnte.
Žižeks Gegenstand ist das »verdrahtete Gehirn«: Was wird geschehen, wenn der menschliche Geist sich tatsächlich mit einer Maschine verdrahten kann? Ein Thema, das für Hegel undenkbar war – und damit bestens geeignet, seine Aktualität zu erweisen. Folglich durchdenkt es Žižek in Hegelscher Manier. Und beweist damit: »Philosophie ist ihre Zeit in Gedanken erfasst«.
Deutsche Erstausgabe
Erschienen bei FISCHER E-Books
Die englische Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel »Hegel in a Wired Brain« im Verlag Bloomsbury, London
© Slavoj Žižek 2020
© 2020 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstraße 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: Andreas Heilmann und Gundula Hissmann, Hamburg
Coverabbildung: INTERFOTO/Sammlung Rauch und ddp images/Insight Media
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-491199-1
»[E]ines Tages wird das Jahrhundert vielleicht deleuzianisch sein.« Michel Foucault, »Theatrum Philosophicum«, in: Gilles Deleuze und ders., Der Faden ist gerissen, Berlin 1977, S. 21–58, hier S. 21.
G.W.F. Hegel, Werke in 20 Bänden, Band 7: Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. Mit Hegels eigenhändigen Notizen und den mündlichen Zusätzen, Frankfurt/M. 1970, S. 27f.
Ich knüpfe im Folgenden an meine Auseinandersetzung mit Hegel an, die ich in einer Reihe meiner letzten Bücher im Detail vorangetrieben habe, insbesondere in Sex and the Failed Absolute, London 2019.
Vgl. Paul M. Livingston, The Politics of Logic. Badiou, Wittgenstein, and the Consequences of Formalism, New York 2012.
Diese finale Untergangserwartung steht keineswegs im Widerspruch zu einer linken Haltung – man könnte sogar sagen, dass jeder echte Linke ihr folgt. In der Rockmusik fand diese Haltung ihren deutlichsten Ausdruck in dem Song »The Weaver’s Answer« von der trotzkistischen englischen Band Family. Das Lied erschien 1969 und schildert das Leben eines Subjekts vom Standpunkt des »Webers« (des Schicksals, des Todes), aus dessen Sicht selbst ein glückliches Familienleben in Einsamkeit und Verzweiflung endet. Das wahre Genie der Band Family zeigt sich, wenn man »The Weaver’s Answer« mit »Good News – Bad News« vergleicht, dem ersten Song auf ihrem Nachfolgealbum Anyway von 1970. Das Stück übernimmt das erste Melodiemotiv aus »The Weaver’s Answer«, das dann aber abbricht, während der Text die bestehende politische Ordnung scharf kritisiert: »Warum die Regeln ändern / sagen die, die oben sind / zu denen, die unten sind / und zu ihnen aufschauen müssen«. Dieser Abbruch der Melodielinie spiegelt treffend die Unterbrechung wider, den gewaltsamen Ausbruch, der die Formulierung einer vollständigen Weisheit (über die letztliche Vergeblichkeit des Lebens) verhindert. Dies bedeutet natürlich keinesfalls, dass in den Liedern von Family nur Platz für Bitterkeit und Wut wäre. Ihr größter Hit, »No Mule’s Fool«, ist ein wundervolles Porträt der glücklichen Koexistenz eines Jungen mit seinem faulen Maulesel. Zusammen bilden die drei Songs somit eine logische Triade aus Momenten einfachen Glücks, der Universalisierung dieser partikularen Glücksmomente zu einem grundsätzlichen Verhängnis des Lebens und schließlich einzelnen Momenten des verzweifelten Widerstands gegen Untergang und Unterdrückung.
Hier ist eine Paradoxie in Livingstons Beschreibung von Badious Theoriegebäude festzustellen: Obwohl sich Badiou laut Livingston für die Konsistenz anstelle der Totalität entscheidet, hat er nicht die Vision eines Universums als inkonsistenter Unordnung, in der nur lokale konsistente Räume entstehen. Insofern wir das Sein als »alles, was es gibt« verstehen (und in diesem Sinne als eine Totalität), ist diese Totalität konsistent (wie Badiou in seiner Ontologie beschreibt) – Inkonsistenz entsteht nur durch seltene ereignishafte Ausnahmen.
»Les juifs, eux, ont aujourd’hui choisi la voie de l’enracinement.« In: Le Monde, 29.01.2015.
Martin Heidegger, »Spiegel-Gespräch mit Martin Heidegger (23. September 1966)«, in: ders., Gesamtausgabe, Band 16: Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges, Frankfurt/M. 2000, S. 652–683, hier S. 670.
Robert B. Brandom, A Spirit of Trust. A Reading of Hegel’s Phenomenology, Cambridge, Mass. 2019.
Heinrich Heine, Sämtliche Schriften, Band 5, München, Wien 1997, S. 197.
Vgl. Will Morrow, »›Wir sind alle gleich!‹ Kapitänin von Seenotrettungsschiff lehnt Auszeichnung von Pariser Bürgermeisterin ab«, www.wsws.org/de/articles/2019/08/26/klem-a26.html, letzter Zugriff 11.10.2019.
Vgl. en.wikipedia.org/wiki/AlterEgo, letzter Zugriff 13.10.2019.
Eillie Anzilotti, »Watch This Device Translate Silent Thoughts Into Speech«, fastcompany.com/90350006/watch-this-device-translate-silent-thoughts-into-speech, letzter Zugriff 25.02.2020.
Ebd.
In einem privaten Gespräch.
Vgl. den Beitrag von Jean-Pierre Dupuy in Le Débat, 129 (März-April 2004), zitiert nach Jean-Michel Besnier, Demain les posthumains. Le Futur a-t-il encore besoin de nous?, Paris 2012, S. 195.
Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, München 1956, S. 24.
Facebook entwickelt derzeit ein Gerät, das Gedanken lesen kann, und auf die Frage nach den Auswirkungen dieser Technologie auf die Privatsphäre antwortete Mark Zuckerberg: »Vermutlich wäre das etwas, das jemand verwenden wollen würde.« (Zitiert nach www.theguardian.com/commentisfree/2019/aug/01/future-imperfect-robots-mindreading-apps, letzter Zugriff 24.10.2019.) Wirklich? Wer vermutet das denn? Die Geheimdienste, die meine Gedanken lesen? Und wenn sie beim ungefragten Ausforschen meiner Gedanken herausfinden, dass ich damit nicht einverstanden bin, werden sie die Verbindung höflich abbrechen? Die Experimente mit verdrahteten Gehirnen sind zwar noch sehr rudimentär und bedürfen noch der aktiven Zustimmung der Probanden, aber schon jetzt ergeben sich ethische Dilemmata – siehe dazu Zoë Corbyn, »Are Brain Implants the Future of Thinking?«, in: The Guardian, 22.09.2019, www.theguardian.com/science/2019/sep/22/brain-computer-interface-implants-neuralink-braingate-elon-musk, letzter Zugriff 24.10.2019.
Ich stütze mich hier auf Jan de Vos, der diese Fragen in seinem bahnbrechenden Werk über den digitalen Todestrieb aufwirft (Manuskript).
David Smith, »Pentagon Seeks ›Ethicist‹ to Oversee Military Artificial Intelligence«, in: The Guardian, 07.09.2019, www.theguardian.com/us-news/2019/sep/07/pentagon-military-artificial-intelligence-ethicist, letzter Zugriff 24.10.2019.
Diese Dreifachstruktur wird im Detail ausgearbeitet in Gabriel Tupinambá, The Desire of Psychoanalysis (erscheint demnächst bei Northwestern University Press).
E.L. Doctorow, Das Leben der Dichter. Sechs Stories und eine Novelle, Reinbek bei Hamburg 1985.
Vgl. Yuval Noah Harari, Homo Deus. A Brief History of Tomorrow, New York 2017.
Ebd., S. 338.
Ebd., S 396.
Ebd., S. 305.
Vgl. ebd.
Ebd., S. 306.
Ebd., S. 311.
Ebd., S. 397.
Ebd., S. 273.
Ebd., S. 346.
Manuel Ansede, »Spanish Scientists Create Human-Monkey Chimera in China«, in: El País, 31.07.2019, elpais.com/elpais/2019/07/31/inenglish/1564561365_256842.html, letzter Zugriff 29.10.2019.
Johann Gottlieb Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre. Zweiter Theil oder Angewandtes Naturrecht, Jena, Leipzig 1797, S. 155.
Zdravko Kobe, »The Interface of the Universal. On Hegel’s Concept of the Police«, in: Philosophy and Society 30 (1), S. 101–121, hier S. 102, Hervorhebung im Original; online unter doi.org/10.2298/FID1901101K, letzter Zugriff 31.10.2019.
G.W.F. Hegel, Werke in 20 Bänden, Band 2: Jenaer Schriften 1801–1807, Frankfurt/M. 1970, S. 84f.
Ebd., Fußnote 38.
G.W.F. Hegel, Werke in 20 Bänden, Band 1: Frühe Schriften, Frankfurt/M. 1970, S. 481.
Ebd.
Kobe, »The Interface of the Universal«, S. 103.
Hegel, Werke, Band 1, S. 474.
Ebd., S. 482.
Kobe, »The Interface of the Universal«, S. 119.
John Naughton, »›The Goal Is to Automate Us‹: Welcome to the Age of Surveillance Capitalism«, in: The Guardian, 20.01.2019, www.theguardian.com/technology/2019/jan/20/shoshana-zuboff-age-of-surveillance-capitalism-google-facebook, letzter Zugriff 03.11.2019.
Die Grafik stammt aus dem Beitrag »Neuralink and the Brain’s Magical Future« von Tim Urban: waitbutwhy.com/2017/04/neuralink.html, letzter Zugriff 05.11.2019.
Ebd.
Ebd.
Ebd.
Tim Parks, »The Mind Outside My Head«, in: NYR Daily, 10.04.2012, www.nybooks.com/daily/2012/04/10/mind-outside-head-consciousness/, letzter Zugriff 06.11.2019. Vgl. auch die systematische Darstellung von Manzottis Position in Tim Parks, Out of my Head. On the Trail of Consciousness, London 2018.
Ich behandle dieses Modell ausführlich im Kapitel »Theorem III« in Žižek, Sex and the Failed Absolute.
In eingeschränktem Maße ist dies bereits möglich: »In einem Forschungsprojekt, das die Kommunikation von Patienten mit schweren Behinderungen in Zukunft verändern soll, haben Ärzte die Hirnsignale für Sprache in geschriebene Sätze umgewandelt. Mit diesem Durchbruch konnte erstmals gezeigt werden, dass die Absicht, bestimmte Worte zu sagen, aus der Hirnaktivität abgeleitet und schnell genug in Text umgewandelt werden kann, um mit der natürlichen Konversation Schritt zu halten.« (Ian Sample, »Neuroscientists Decode Brain Speech Signals Into Written Text«, in: The Guardian, 30.07.2019, www.theguardian.com/science/2019/jul/30/neuroscientists-decode-brain-speech-signals-into-actual-sentences, letzter Zugriff 07.11.2019).
Ich folge bei meiner Darstellung im Wesentlichen dem Wikipedia-Artikel über den Film. Vgl. en.wikipedia.org/wiki/Bezhin_Meadow, letzter Zugriff 08.11.2019.
Hunter Harris, »Brian Cox Knows Exactly Why Logan Smiled in Succession’s Shocking Finale«, in: Vulture, 14.10.2019, www.vulture.com/2019/10/succession-season-2-finale-brian-cox.html, letzter Zugriff 11.11.2019.
Ebd.
Geschieht nicht etwas ganz Ähnliches am Ende einer psychoanalytischen Behandlung? Muss der Analytiker nicht ebenfalls eine Möglichkeit finden, durch die der Patient ihn »killen« kann, das heißt einen Weg, um aus der Übertragung auf den Analytiker auszubrechen, ihn loszuwerden, ohne sich ihm gegenüber verpflichtet zu fühlen? Ein solches Opfer kann sich der Stalinismus trotz seiner Besessenheit von der Selbstaufopferung für die Partei nicht leisten.
G.W.F. Hegel, Werke in 20 Bänden, Band 3: Phänomenologie des Geistes, Frankfurt/M. 1970, S. 235.
Urban, »Neuralink and the Brain’s Magical Future«.
»Gelähmter kann sich mit Roboteranzug bewegen«, www.t-online.de/gesundheit/heilmittel-medikamente/id_86574154/exoskelett-gelaehmter-franzose-kann-sich-mit-roboteranzug-bewegen.html, letzter Zugriff 16.11.2019.
Michael E. Zimmerman, »The Singularity. A Crucial Phase in Divine Self-Actualization?«, in: Cosmos and History 4,1-2 (2008), www.cosmosandhistory.org/index.php/journal/article/view/107/214, letzter Zugriff 16.11.2019.
Zitiert nach Orlando Figes, Nataschas Tanz. Eine Kulturgeschichte Russlands, Berlin 2003, S. 466.
Ebd., S. 483f.
Vgl. Jacques Lacan, »Television«, in: October 40 (Spring 1987), S. 5–50.
Nicolas Malebranches Hauptwerk ist De la recherche de la vérité, Paris 1975 (Erstveröffentlichung 1674/75; dt. Erforschung der Wahrheit, München 1914 und Von der Erforschung der Wahrheit, Hamburg 1968).
Maria Chehonadskih, Soviet Epistemologies and the Materialist Ontology of Poor Life: Andrei Platonov, Alexander Bogdanov and Lev Vygotsky, PhD Diss. Kingston University, London 2017, S. 169. Dieses Kapitel stützt sich in großem Umfang auf Chehonadskihs Arbeit.
Ebd., S. 170.
Ebd., S. 161. Das Zitat stammt aus Andrej Platonov, »Die Kultur des Proletariats«, in: Osteuropa 66 (2016), 8–10, S. 113–122, hier S. 120.
Ebd., S. 170f.
Andrei Platonow, Die Baugrube, Berlin 2016, S. 44.
Chehonadskih, Soviet Epistemologies, S. 175f.
Überraschenderweise (oder vielleicht auch nicht) finden wir ein entferntes Echo dieser kosmischen Vision des Kommunismus, einschließlich des »Gotterbauertums«, bei Huey Newton, dem Mitbegründer und theoretischen Kopf der Black Panther Party: »Ich denke, dass wir letztlich in ein Stadium der ›Gottähnlichkeit‹ übergehen werden, in dem der Mensch die Geheimnisse von Anfang und Ende kennen und die volle Kontrolle über das Universum haben wird – und wenn ich Universum sage, dann meine ich alle Bewegung und Materie. (David Hilliard, Donald Weise [Hg.], The Huey P. Newton Reader, New York 2002, S. 189.)
Chehonadskih, Soviet Epistemologies, S. 181f.
Ebd., S. 161.
Dass ein Ereignis ein anderes entferntes Ereignis »direkt« beeinflussen und dabei die raumzeitlichen Koordinaten irgendwie umgehen kann, führt uns fast spontan zu der Annahme, dass die diskrete materielle Realität nicht alles ist, dass es noch eine höhere Ebene des direkten spirituellen Kontakts geben muss. Ein strenger Materialist kann dieser spirituellen Versuchung dadurch entgehen, dass er den Raum selbst relativiert: Phänomene der »Synchronizität« beweisen, dass unsere raumzeitlichen Koordinaten kein apriorischer Rahmen der Realität à la Kant sind, sondern dass räumliche Entfernungen sich in einer anderen Konstellation der Quantenwellen, die unsere letzte Wirklichkeit konstituieren, »abkürzen« lassen.
Zimmerman, »The Singularity.«
Ray Kurzweil zitiert nach Franklin Foer, Welt ohne Geist, Wie das Silicon Valley freies Denken und Selbstbestimmung bedroht, München 2018, S. 64.
Zimmerman, »The Singularity.«
Ebd. Das Zitat im Zitat stammt aus G.W.F. Hegel, Werke in 20 Bänden, Band 9: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse 1830. Zweiter Teil. Die Naturphilosophie. Mit den mündlichen Zusätzen, Frankfurt/M. 1970, S. 25.
Zimmerman, »The Singularity.« Das Bibelzitat entstammt Röm 8,21.
Welchen Moment sollte man demnach als Hegelianer heute als Ende der Weltgeschichte annehmen? Es gibt eine komische Ergänzung zu Hegels Idee, dass der historische Fortschritt von Osten nach Westen verläuft und in der westeuropäischen Moderne gipfelt. Könnten wir nicht sagen, dass sich der Mittelpunkt der Geschichte im 20. Jahrhundert weiter nach Westen, in die Vereinigten Staaten, und auch dort von Osten nach Westen, nämlich von New York nach Kalifornien bewegt hat? (Wir lassen hier einmal die »St. Louis Hegelianer« beiseite, die erste hegelianische Schule in den USA, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand. Sie sahen die Entwicklung der USA als Bewegung von der Ostküste ins Zentrum, das, wie sie hofften, St. Louis sein würde, und man kann sich ihre Enttäuschung vorstellen, als sie mitansehen mussten, wie Chicago St. Louis rasch überholte …). Und in den letzten Jahrzehnten scheint der Fortschritt sogar noch weiter nach Westen zu ziehen, über den Pazifik, mit einem ersten Höhepunkt in Japan und nun in China – da aber China für Hegel der Ort ist, an dem die Geschichte ihren Anfang nimmt, ist der Kreis somit geschlossen, das Ende verbindet sich mit dem Anfang und bildet eine Figur, die uns wie ein gigantisches Möbiusband vorkommen muss.
Ebd.
Ebd.
Ebd.
Cadell Last, persönliche Mitteilung.
Adrian Johnston, »Divine Ignorance. Jacques Lacan and Christian Atheism«, o.J., www.academia.edu/40959959/Divine_Ignorance_Lacan_and_Christian_Atheism, letzter Zugriff 08.12.2019.
Ebd.
Ebd. Das Zitat stammt aus Lacan, »Television«, S. 34.
Johnston, »Divine Ignorance«.
Adrian Johnston, »Lacan’s Endgame. Philosophy, Science, and Religion in the Final Seminars«, in: Crisis & Critique 6, 1 (2019), S. 156–187, hier S. 157.
Ebd.
G.W.F. Hegel, Werke in 20 Bänden, Band 10: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse 1830. Dritter Teil. Die Philosophie des Geistes. Mit den mündlichen Zusätzen, Frankfurt/M. 1970, S. 394.
Jacques Lacan, Das Seminar Buch XI: Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, Weinheim, Berlin 41996, S. 65.
Ebd., S. 51.
Die deutsche Synchronfassung des Films ist nicht so lacanianisch präzise. Aus »Welcome to the desert of the real« wird dort »Willkommen in der Wüste der Wirklichkeit«; Anm. d. Übers.
1 Mose 3, 2–13.
1 Mose 3, 16–19.
Stephen Greenblatt, »Elon Musk Wants to Put Chips in Our Brains. I’d Prefer to Stay Human«, in: The Guardian, 23.12.2018, www.theguardian.com/commentisfree/2018/dec/23/elon-musk-neuralink-chip-brain-implants-humanity, letzter Zugriff 15.12.2019.
Ebd.
Immanuel Kant, Werkausgabe Band VII: Kritik der praktischen Vernunft. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Frankfurt/M. 1977, S. 282.
Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, in ders., Werke in drei Bänden, Band 2, München 1954, S. 563–759, hier S. 584.
Vgl. Tanzim Pardiwalla, »Indian man who wants to sue his parents for giving birth to him has a point and it’s pretty bleak!«, in.mashable.com/culture/2054/indian-man-who-wants-to-sue-his-parents-for-giving-birth-to-him-has-a-point-and-its-pretty-bleak, letzter Zugriff 20.12.2019.
Hegel, Werke, Band 3, S. 492.
G.W.F. Hegel, Werke in 20 Bänden, Band 17: Vorlesungen über die Philosophie der Religion II. Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes, Frankfurt/M. 1970, S. 257.
Ebd., S. 258.
Ebd.
Ebd., S. 256.
Greta Thunberg, »Wie könnt Ihr es wagen!«, in: der Freitag, 24.09.2019, www.freitag.de/autoren/the-guardian/greta-thunberg-rede-klimakrise-klimawandel, letzter Zugriff 07.01.2020.
Diese Formulierung verdanke ich Dave Harvilicz, Los Angeles.
Hier und im Folgenden im Original deutsch.
Hegel, Werke, Band 3, S. 39.
G.W.F. Hegel, Werke in 20 Bänden, Band 8: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse 1830. Erster Teil. Die Wissenschaft der Logik. Mit den mündlichen Zusätzen, Frankfurt/M. 1970, S. 367.
Im Original deutsch.
Hegel, Werke, Band 3, S. 402f. Hegel zitiert am Ende aus Diderots Rameaus Neffe, übersetzt von Goethe, 1805.
Es gibt wahrscheinlich keines meiner Bücher, in dem ich nicht mindestens an einer Stelle darauf hinweise.
Vgl. Ryszard Kapuściński, Schah-in-schah. Zwischen staatlicher Macht und religiöser Herrschaft, Frankfurt/M. 1988.
Vgl. Poppy Noor, »Woman, 93, Arrested as a Dying Wish After Being ›Good All Her Life‹, in: The Guardian, 25.06.2019, www.theguardian.com/uk-news/2019/jun/25/woman-93-arrested-as-a-dying-wish-after-being-good-all-her-life, letzter Zugriff 09.01.2020.
Man kann den Film Joker natürlich auch genau andersherum interpretieren und sagen, dass der Akt, der die Hauptfigur als »Joker« konstituiert, ein autonomer Akt ist, durch den sie sich über die objektiven Umstände ihrer Situation hinwegsetzt. Der Joker identifiziert sich mit seinem Schicksal, aber diese Identifikation ist eine freie Handlung, das heißt, er macht sich damit zu einer einzigartigen Figur der Subjektivität … Eine solche Lesart läuft jedoch dem Geist des Films zuwider.
Tupinambá, The Desire of Psychoanalysis.
Gilles Deleuze, Differenz und Wiederholung, München 1992, S. 139f.
Vgl. Sigmund Freud, »›Ein Kind wird geschlagen‹ (Beitrag zur Kenntnis der Entstehung sexueller Perversion)«, in: ders., Studienausgabe, Band VII: Zwang, Paranoia und Perversion, Frankfurt/M. 2000, S. 229–254.
Joe Leydon, »Film Review: ›Captive State‹«, in: Variety 14.03.2019, variety.com/2019/film/reviews/captive-state-review-1203164121, letzter Zugriff 10.01.2020.
Işık Barış Fidaner, persönliche Mitteilung.
In einem privaten Gespräch.
Im Original deutsch.
Brandom, A Spirit of Trust, S. 9f.
Wenn Hegel sagt, das Selbstbewusstsein sei die Wahrheit des Bewusstseins, impliziert er damit nicht, dass die Normativität die verborgene Grundlage der Faktizität ist und nicht umgekehrt (und reduktionistisch)? Es reicht daher nicht aus, die nichtnormative Welt der objektiven Wirklichkeit dem subjektiven, deontischen Universum der Werte und Verpflichtungen gegenüberzustellen: Auf einer bestimmten grundlegenden Ebene verschwindet ihr Unterschied. Für einen Vulgärmaterialisten verschwindet er, wenn wir die Entstehung der normativen Dimension aus einem komplexen Prozess erklären, der in der objektiven Wirklichkeit stattfindet (wenn wir das Soll aus dem Ist ableiten), während wir als wahre Dialektiker annehmen müssen, dass jede (Sicht der) objektive(n) Wirklichkeit irreduzibel normativ bleiben muss. Die Wirklichkeit ist keine schlichte Tatsache, sondern etwas, das sich auf die symbolische Normativität stützen muss. Auf diese Weise interpretiert Lacan die Ontologie des Aristoteles, genauer gesagt, dessen Definition des Wesens als to ti ēn einai. Die wörtliche Übersetzung »das Was-es-war-zu-sein« impliziert die Geste eines Herren, es bedeutet »das Was-sein muss«. Und weist Hegel nicht in dieselbe Richtung, wenn er der Standardvorstellung der Wahrheit als adaequatio intellectus ad rem die höhere Idee der Wahrheit als Adäquatheit zwischen der Sache selbst und ihrem Begriff entgegenstellt? Impliziert dieser höhere Begriff der Wahrheit nicht eine deontische Dimension in der Sache selbst, die nicht einfach ist, was sie ist, sondern an einem immanenten normativen Maßstab gemessen werden muss? Ein Tisch ist nicht nur ein Tisch, er kann auch in unterschiedlichem Maße ein »wahrer Tisch«, ein seinem Begriff adäquater Tisch sein – ein wackliger, schiefer Tisch ist kein wahrer Tisch.
Die drei zentralen Vorträge dieses Seminars finden sich in englischer Übersetzung in der Zeitschrift lacanian ink 50, New York 2017.
Jacques-Alain Miller, zitiert nach lacanian ink 50, S. 29.
Ebd., S. 31.
Übrigens liegt Miller völlig falsch, wenn er behauptet, diese Suche nach dem reinen Realen habe »Lacan in dieselbe Zone geführt wie Ödipus auf Kolonos, in der man die absolute Abwesenheit von Nächstenliebe, von Brüderlichkeit, von jeder menschlichen Regung vorfindet: Dorthin führt uns die Suche nach dem seiner Bedeutung beraubten Realen« – aber steht Ödipus auf Kolonos wirklich für dieses »seiner Bedeutung beraubte Reale«? Der sterbende Ödipus zeichnet sich gewiss nicht durch die »absolute Abwesenheit jeder menschlichen Regung« aus – im Gegenteil: Er verfolgt ein sehr »menschliches« Ziel und kalkuliert sorgfältig, wem sein nahender Tod schaden und wem er nützen wird. Er beschließt, in der Nähe von Athen zu sterben, um sein Theben um die Vorteile zu bringen, die der Stadt als Ort seines Todes erwachsen wären.
Ebd., S. 120.
Ebd., S. 121.
Ebd., S. 125.
Ich stütze mich hier auf Anthony Uhlmann, »The Same and the Other: Beckett’s The Unnameable, Derrida and Levinas«, in: Law Text Culture 3, 1997, S. 127–147, online abrufbar unter ro.uow.edu.au/ltc/vol3/iss1/9, letzter Aufruf 19.01.2020.
Privates Gespräch.
Gilles Deleuze, »The Exhausted«, in: SubStance 78, Vol. 24 No. 3 (1995), S. 3–28, hier S. 7.
Uhlmann, »The Same and the Other«, S. 132.
Ebd.
Ebd.
Samuel Beckett, Der Namenlose, Frankfurt/M. 1959, S. 123.
Ebd., S. 44.
Ebd., S. 166.
Ebd., S. 202f.
Uhlmann, »The Same and the Other«, S. 145.
Ebd.
Beckett, Der Namenlose, S. 26f.
Vgl. Michel Chion, La voix au cinéma, Paris 1982.
Uhlmann, »The Same and the Other«, S. 139. Das Zitat stammt aus Beckett, Der Namenlose, S. 125.
Vgl. Alenka Zupančič, »Oedipus or the Excrement of the Signifier«, in dies.u.a. (Hg.), Ojdip v Kolonu (in slowenischer Sprache), Ljubljana 2018.
Ebd., S. 154.
Ebd., S. 171.
Vgl. Jean-Joseph Goux, Œdipe philosophe, Paris 1990.
Vgl. Giorgio de Santillana, Hertha von Dechend, Die Mühle des Hamlet. Ein Essay über Mythos und das Gerüst der Zeit, Berlin 1993.
Sophokles, Oedipus auf Kolonos, nach neuen Grundsätzen der Prosodie bearb. v. Eduard Eyth, Heidelberg 1856, S. 67.
Man kann sich leicht einen ähnlich geschmacklosen Propaganda-Clip vorstellen, der die Tatsache ausschlachtet, dass in südslawischen Sprachen »einen Schwanz rauchen« als vulgärer Ausdruck für Fellatio gebraucht wird. Wie wäre es also, wenn man auf Zigarettenschachteln statt der üblichen Schockfotos von schrecklichen Krankheiten, die durch Rauchen verursacht wurden, das Gesicht einer attraktiven Frau zeigt, die einen Penis lutscht, dazu in Großbuchstaben die Aufschrift: »Rauch’ einen Schwanz statt einer Zigarette! Das ist viel gesünder!« Die dazugehörigen Fernsehspots sollten dann einen »seriösen« Arzt zeigen, der anhand von Tabellen und Grafiken erklärt, warum Fellatio besser ist als Rauchen: Geschlucktes Sperma stellt keinerlei Gesundheitsgefahr dar, sondern enthält sogar viele gute Vitamine …
Vgl. Mladen Dolar, »Oedipus at Colonus«, in: Ojdip v Kolonu (in slowenischer Sprache), Ljubljana 2018.
Jacques-Alain Miller, »Un réel pour le XXIe siècle«, in: ders., Un réel pour le XXIe siècle, Paris 2013. Eine englische Übersetzung ist verfügbar unter www.congresamp2014.com/en/template.php?file=Textos/Presentation-du-theme_Jacques-Alain-Miller.html, letzter Zugriff 20.01.2020.
Ebd.
Ich stütze mich hier auf Alenka Zupančič, Warum Psychoanalyse? Drei Interventionen, Zürich, Berlin 2009.
Vgl. Angela Nagle, Die digitale Gegenrevolution. Online-Kulturkämpfe der Neuen Rechten von 4chan und Tumblr bis zur Alt-Right und Trump, Bielefeld 2018.
Als Trump zum Präsidenten gewählt wurde, erhielt ich von mehreren Verlagen die Anfrage, ein Buch zu schreiben, welches das Phänomen Trump einer psychoanalytischen Kritik unterziehen sollte, und meine Antwort lautete, dass man keine Psychoanalyse braucht, um die »Pathologie« von Trumps Erfolg zu erforschen – das einzige, was zu analysieren wäre, ist die irrationale Dummheit der linksliberalen Reaktionen darauf, die es zunehmend wahrscheinlicher macht, dass Trump wiedergewählt werden wird. Um einmal den absoluten Tiefpunkt der Trump’schen Vulgaritäten zu bemühen: Die Linke hat offenbar noch nicht gelernt, wie sie Trump an die M … fassen soll.
Ralph Peters, »Hegel, Sartre, Trump«, in: National Review, 17.03.2016, www.nationalreview.com/2016/03/donald-trump-hegel-sartre-explain-trump-rise, letzter Zugriff 24.03.2020.
Günther Anders, »Apokalypse ohne Reich«, in: ders., Die atomare Drohung. Radikale Überlegungen. Fünfte, durch ein Vorwort erw. Aufl. von Endzeit und Zeitenende, München 1986, S. 207–221, hier S. 207.
Vgl. Jean-Pierre Dupuy, La guerre qui ne peut pas avoir lieu. Essai de métaphysique nucléaire, Paris 2018.
Ebd., S. 79.
Ebd., S. 61.
Ebd., S. 139.
Todd McGowan, Emancipation After Hegel. Achieving a Contradictory Revolution, New York 2019, S. 53.
Karl Marx, »Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte«, in: Karl Marx und Friedrich Engels, Werke. Band 8: August 1851–März 1853, Berlin 1968, S. 111–207, hier S. 115.
Diese Idee wird genauer erforscht in Frank Ruda, Abolishing Freedom. A Plea for a Contemporary Use of Fatalism, Lincoln 2016.
Jean-Pierre Dupuy, Petite métaphysique des tsunamis, Paris 2005, S. 19.
Dupuy, La guerre qui ne peut pas avoir lieu, S. 205.
Ebd., S. 207f.
Ebd., S. 177.
Ebd., S. 199.
Zitiert nach Ernst Roets, »Why Did You Compare Whites to Frogs, Mr Ramaphosa?« Letter from Ernst Roets, Deputy CEO AfriForum, to Deputy President Cyril Ramaphosa, 21 September 2017, www.politicsweb.co.za/opinion/ramaphosa-must-explain-comment-of-white-people-and, letzter Zugriff 27.01.2020. Es gibt noch ein weiteres Problem: Ramaphosa ist einer der reichsten Geschäftsleute Südafrikas mit einem Vermögen von über einer halben Milliarde US-Dollar. Wenn wir also über die Umverteilung von Reichtum sprechen, müsste er dann nicht auch in den Topf geworfen und langsam gekocht werden? Oder geht es nur darum, die alte weiße mit der neuen schwarzen herrschenden Klasse zu ersetzen, während die schwarze Mehrheit weiter in Armut lebt?
Man kann natürlich einen distanzierten Standpunkt einnehmen, den Fokus auf große Erdepochen legen und behaupten, selbst wenn die Menschheit die Zerstörung des Großteils des Lebens auf der Erde verursachen sollte, so sei dies für jemanden, der in einer Million Jahren unseren Planeten erforsche, nur eine kleine Katastrophe im Vergleich zu der, die zum Aussterben der Dinosaurier geführt habe. Ist demnach die Idee des Anthropozäns als einer neuen geochronologischen Epoche nicht ein Fall von menschlicher Arroganz und Selbstüberschätzung? Vgl. dazu Peter Brannen, »The Anthropocene Is a Joke«, in: The Atlantic, 13.08.2019, www.theatlantic.com/science/archive/2019/08/arrogance-anthropocene/595795/, letzter Zugriff 27.01.2020.
Wir können uns natürlich auch eine religiös-fundamentalistische positive Haltung gegenüber der nuklearen Apokalypse vorstellen: Wir müssen diese nicht fürchten, weil sie für uns wahre Gläubige nicht das Ende ist, sondern ein Neuanfang – Gott wird uns in sein Reich aufnehmen.
McGowan, Emancipation After Hegel, S. 212.
Mao bestand übrigens entschieden darauf, dass Widersprüche ewig währten und auch im Kommunismus bestünden, aber wird die Sache dadurch irgendwie besser?
Es ist leicht zu erkennen, dass dieser Gegensatz an die beiden entgegengesetzten Auffassungen des Begriffs der (symbolischen) Kastration erinnert: der negativen, nach der die Kastration ein erdrückendes Hindernis bezeichnet, welches beseitigt werden sollte, um die kreative Produktivität des Subjekts freizusetzen; und die positive, nach der die Kastration das Hindernis (oder den Verlust) bezeichnet, das genau den Bereich eröffnet und stützt, zu dem es den Zugang versperrt, so dass wir durch die Aufhebung der Kastration genau die Sache verlieren, die wir bewahren wollten. Das Paradoxon der Kastration liegt in dieser erzwungenen Wahl: Dem begehrten Ding kann man sich nur eingeschränkt nähern – wer alles will, verliert alles.
Alexander R. Lurija, »Kleines Porträt eines großen Gedächtnisses«, in: ders., Der Mann, dessen Welt in Scherben ging. Zwei neurologische Geschichten, Reinbek bei Hamburg 1992, S. 147–249.
Und ist es bei Hegel nicht ähnlich? In den Darstellungen der Geschichte der Philosophie erscheint er als eine Art Missing Link, als Vermittler, als Übergangspunkt zwischen der vortranszendentalen Metaphysik, die die rationale Struktur des Universums erforscht, und dem antimetaphysischen evolutionären Historismus des 19. Jahrhunderts; bei näherem Hinsehen wird jedoch klar, dass sein Denken über das, was davor und danach kommt, hinausgeht – in Hegels Denken wird etwas sichtbar, das im nachhegelianischen Denken sofort verschlossen wird.
Vgl. Harari, op.cit., S. 396.
Thomas Metzinger, Being No One. The Self-Model Theory of Subjectivity, Cambridge 2004, S. 620.
Ebd., S. 621.
Samo Tomšič, The Labour of Enjoyment. Towards a Critique of Libidinal Economy, Berlin 2019, S, 247.
Ebd., S. 15.
Jacques Lacan, »Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freudschen Unbewußten«, in: ders., Schriften II, Olten 1975, S. 165–204, hier S. 186.
Hegel, Werke in 20 Bänden, Band 3, S. 153f.
Den Begriff »labor theory of the unconscious« prägte Samo Tomšič in seinem Buch The Capitalist Unconscious. Marx and Lacan, London 2015.
Vgl. Tomšič, The Labour of Enjoyment, S. 157.
Edward Snowden zitiert nach www.cbc.ca/radio/thecurrent/the-current-for-sept-26-2019-1.5297326/a-simple-clear-case-why-edward-snowden-thinks-u-s-congress-will-support-the-trump-ukraine-whistleblower-1.5297327, letzter Zugriff 07.02.2020.
James Comey, Größer als das Amt. Auf der Suche nach der Wahrheit – der Ex-FBI-Direktor klagt an, München 2018.
Bernie Sanders zitiert nach edition.cnn.com/2019/04/23/politics/bernie-sanders-impeachment-cnn-town-hall/index.html, letzter Zugriff 07.02.2020.
Vgl. Todd McGowan, Capitalism and Desire. The Psychic Cost of Free Markets, Cambridge 2016.
Ebd.
Lacan, Das Seminar Buch XI, S. 289.
Ich knüpfe hier an meine ausführliche Interpretation des Films an; vgl. Slavoj Žižek, »Matrix oder Die zwei Seiten der Perversion«, in: ders., Lacan in Hollywood, Wien 2000, S. 43–77.
Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band: Der Produktionsprozeß des Kapitals (= Karl Marx und Friedrich Engels, Werke. Band 23, Berlin 1962, S. 782.
Maurizio Lazzarato, Gouverner par la dette, Paris 2014, S. 10.
Gérard Lebrun, L’envers de la dialectique. Hegel à la lumière de Nietzsche, Paris 2004, S. 311.
Marx, Das Kapital, S. 168f.
Ebd., S. 169.
Ebd.
Freud erklärte, am Ende der Analyse werde die pathologische Selbstsabotage des Subjekts (an der wir Vergnügen finden) von dem allgemeinen Elend (beziehungsweise dem Akzeptieren dieses Elends) ersetzt, dem wir uns als libidinös indifferenter Tatsache, als unserem Los stellen müssen – ein weiteres Beispiel dafür, wie der Kurzschluss zwischen der Struktur der äußeren Realität (und ihren Einschränkungen) und dem Unmöglich-Realen, das zu unserem Seelenleben gehört, unterbrochen wird.
Tomšič, The Labour of Enjoyment, S. 221.
Jacques Lacan zitiert nach Guido Meyer, Begehrend glauben, glaubend begehren. Christentum als Kultur des Begehrens, Berlin 2010, S. 23.
Alenka Zupančič, The Shortest Shadow, Nietzsche’s Philosophy of the Two, Cambridge, Mass. 2004, S. 192.
Bertold Brecht, »Orges Wunschliste«, in: Jan Knopf (Hg.), Brecht-Handbuch, Band 2: Gedichte, Stuttgart 2001, S. 472.
Tomšič, The Labour of Enjoyment, S. 247.
Ich stütze mich hier auf Alenka Zupančič, »Greta«, in: Delo, Ljubljana, 28.09.2019, S. 7 (in slowenischer Sprache).
Jacques Lacan, Das Freudsche Ding oder der Sinn einer Rückkehr zu Freud in der Psychoanalyse, Wien 2005, S. 23.
Zitiert nach www.sueddeutsche.de/wissen/umwelt-greta-thunberg-wir-protestieren-nicht-fuer-eure-selfies-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-190418-99-883194, letzter Zugriff 17.02.2020.
Fredric Jameson gab einen Hinweis in diese Richtung, als er erklärte, dass der Neid als zentrales Problem einer kommunistischen Gesellschaft wiederauftauchen werde.
Vgl. www.dailymail.co.uk/news/article-7418059/Australian-porn-star-Tyi-Starr-sell-video-showing-GIVING-BIRTH.html, letzter Zugriff 18.02.2020.
Peter Sloterdijk, »Warten auf den Islam«, in: Focus 10 (2006), S. 84.
Tupinambá, The Desire of Psychoanalysis.
McGowan, Emancipation After Hegel, S. 138.
Ebd.
Ayn Rand, Wer ist John Galt?, Hamburg 1997, S. 232.
McGowan, Emancipation After Hegel, S. 212.
Insofern sich das Unbewusste dem Raum der Singularität entzieht, ergibt sich allerdings eine Frage: Ist dieses Unbewusste nur das Unbewusste eines einzelnen Subjekts, das sich ebenfalls der Singularität entzieht, oder können wir von einem »kollektiven« Unbewussten sprechen – nicht im Jung’schen Sinne, sondern in dem einer virtuellen Textur, die sich im Raum zwischen Sein und Nichtsein befindet –, das dort fortbesteht und seine Spuren in der Realität hinterlässt, obwohl es in ihr nirgends präsent ist? Die Antwort auf diese Frage hängt von der auf eine andere ab: Welche Form des (symbolisch-virtuellen) »großen Anderen« überlebt unser Eintreten in die Singularität?
Vgl. das Online Etymology Dictionary unter www.etymonline.com, letzter Zugriff 20.02.2020.
Zitiert nach en.wikipedia.org/wiki/Interface_(computing), letzter Zugriff 20.10.2019. Die Definition der deutschen Wikipedia ist anders aufgebaut [Anm. d. Übers.].
Einen Hinweis darauf, wie Neuralink dies umzusetzen gedenkt, liefert der Artikel von Roland Lindner, »Elon Musk will Gehirne mit Computern verbinden«, F.A.Z. 17.07.2019, www.faz.net/-ikh-9p55 m, letzter Zugriff 20.10.2019. Unter den zahlreichen Berichten vgl. auch Rajesh P.N. Rao u.a., »A Direct Brain-to-Brain Interface in Humans«, in: PLoS ONE 9 (2014), doi.org/10.1371/journal.pone.0111332, letzter Zugriff 20.10.2019. Im Abstract zu diesem Essay heißt es: »Wir beschreiben die erste direkte Gehirn-zu-Gehirn-Schnittstelle bei Menschen und stellen die Ergebnisse von Experimenten mit sechs verschiedenen Probanden vor. Unsere erstmals im August 2013 vorgeführte nichtinvasive Schnittstelle verbindet die Elektroenzephalografie (EEG) zur Aufzeichnung von Gehirnströmen mit der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) zur Übermittlung von Informationen ans Gehirn. Wir veranschaulichen unsere Methode anhand einer visuomotorischen Aufgabe, bei der zwei Personen durch direkte Gehirn-zu-Gehirn-Kommunikation kooperieren müssen, um ein bestimmtes Ziel in einem Computerspiel zu erreichen. Die Gehirn-zu-Gehirn-Schnittstelle erfasst Bewegungsbilder in den EEG-Signalen des einen Probanden (des ›Senders‹) und überträgt diese Informationen über das Internet an den motorischen Cortex eines zweiten Probanden (des ›Empfängers‹). Dadurch kann der Sender über TMS eine gewünschte Bewegungsreaktion (Drücken eines Touchpads) beim Empfänger auslösen. Wir messen die Leistung der Gehirn-zu-Gehirn-Schnittstelle zum einen anhand der Menge an übertragenen Informationen und zum anderen anhand der Genauigkeit, mit der (1) die Signale des Senders dekodiert wurden, (2) beim Empfänger nach der Stimulation eine motorische Reaktion erzeugt wurde und (3) das Gesamtziel der gemeinsamen visuomotorischen Aufgabe erreicht wurde. Unsere Ergebnisse liefern Beweise für eine rudimentäre Form der direkten Informationsübertragung von einem menschlichen Gehirn zu einem anderen mit nichtinvasiven Mitteln.«
Im Jahr 2020 feiern wir den 250sten Geburtstag Hegels. Ist Hegel nur ein historisches Kuriosum oder geht uns sein Denken auch heute noch etwas an? »Un jour peut-être, le siècle sera deleuzien«, schrieb Michel Foucault vor Jahren in einer Rezension zu einem Buch von Gilles Deleuze.[1] Die Hypothese des vorliegenden Büchleins lautet: War das 20. Jahrhundert in gewissem Sinne – nicht deleuzianisch, sondern – marxistisch, so wird das 21. hegelianisch werden. Diese Behauptung kann eigentlich nur als Irrsinn erscheinen – ist Hegel in unserer Welt der Quantenphysik und der Evolutionsbiologie, der Digitalisierung, des globalen Kapitalismus und des Totalitarismus nicht schlicht und einfach out? Als Erstes wollen wir festhalten, dass Hegel all dies nicht etwa kommen sah oder eine Vorahnung davon hatte – nein, hatte er nicht, und er wusste auch, dass dies unmöglich ist. Das Hegel’sche »absolute Wissen« bedeutet ja nicht, dass Hegel »alles wusste«; es steht vielmehr exakt für die Erkenntnis einer unüberwindlichen Grenze. Erinnern wir uns daran, wie emphatisch sich Hegel in der Vorrede der Philosophie des Rechts gegen »das Belehren, wie die Welt sein soll« ausspricht. Die Philosophie komme dazu, schreibt er,
ohnehin […] immer zu spät. Als der Gedanke der Welt erscheint sie erst in der Zeit, nachdem die Wirklichkeit ihren Bildungsprozeß vollendet und sich fertig gemacht hat. […] Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau läßt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.[2]
Robert Pippin hat auf die offensichtliche (wenn auch selten gezogene) Konsequenz aus dieser Behauptung hingewiesen: Sie muss auch für den Staatsbegriff gelten, den Hegel selbst in der Philosophie des Rechts entwickelt, denn dass er diesen entwickeln kann, bedeutet ja, dass über dem, was Hegel-Leser meist für die normative Beschreibung eines vorbildlichen Vernunftstaats halten, bereits die »Dämmerung hereingebrochen« sein muss. Hegels Denken steht daher für eine radikale Offenheit gegenüber der Zukunft. Es gibt darin keine Eschatologie, kein Bild einer leuchtenden (oder düsteren) Zukunft, auf die unsere Epoche zusteuert. Aus demselben Grund scheint es nicht minder offensichtlich, dass Hegel als Interpretationslinse für unsere Gegenwart die denkbar schlechteste Wahl ist. Er war zwar vollkommen offen gegenüber der Zukunft, aber war er nicht genau darum unfähig, diese in irgendeiner Weise zu beleuchten?
Wir behaupten hier genau das Gegenteil dieser »offensichtlichen« Plattitüde: Gerade weil es so »unzeitgemäß« ist, liefert Hegels Denken einzigartige Perspektiven, um die Aussichten und Gefahren unserer Zeit zu erkennen. Heute Hegelianer zu sein heißt nicht, ein neues Ideal (der vollständigen Anerkennung, des Vernunftstaats, der wissenschaftlichen Erkenntnis) zu konstruieren und dann zu untersuchen, inwiefern und warum wir es noch nicht erreicht haben und wie wir es erreichen können. Es bedeutet vielmehr, als echter Nachhegelianer zu agieren und Hegel nicht als Konklusion, sondern als Ausgangspunkt zu begreifen und zu fragen: Wie würde unser gegenwärtiger Zustand auf dieser Grundlage erscheinen? Lässt Hegel uns möglicherweise ausgerechnet die Phänomene besser (das heißt: richtig) verstehen, die eindeutig nachhegelianisch sind und für das stehen, was »Hegel sich nicht vorstellen konnte«?
Doch auf welchen Hegel beziehe ich mich hier eigentlich? Von wo aus spreche ich?[3] Ganz stark vereinfacht könnte man sagen, dass meine philosophische Haltung durch die Trias aus Spinoza, Kant und Hegel definiert wird. Spinoza stellt wohl den Höhepunkt der realistischen Philosophie dar: Es gibt eine substanzielle Realität da draußen und wir können mittels unserer Vernunft Kenntnis von ihr erlangen und den Schleier der Illusionen lüften. Kants transzendentale Wende führt hier eine radikale Kluft ein: Wir können nie dahinterkommen, wie die Dinge an sich sind, unsere Vernunft ist auf das Reich der Erscheinungen beschränkt, und wenn wir versuchen, über dieses Reich hinaus zur Totalität des Seins zu gelangen, so verstrickt sich unser Verstand notwendig in Antinomien und Inkonsistenzen. Hegel postuliert nun, dass es keine Realität an sich jenseits der Erscheinungen gibt, was freilich nicht bedeutet, dass es nichts weiter gibt als das Spiel der Erscheinungen. Die phänomenale Welt ist von der Barre der Unmöglichkeit gekennzeichnet, doch hinter dieser Barre gibt es nichts, keine andere Welt, keine positive Realität. Wir kehren mithin nicht zum vorkantischen Realismus zurück; vielmehr ist das, was für Kant die Limitation unseres Wissens ist – die Unmöglichkeit, zum Ding an sich zu gelangen –, in dieses Ding selbst eingeschrieben.
Aber kann Hegel die Rolle als unhintergehbarer Horizont unseres Denkens heute noch erfüllen? Findet der wahre Bruch mit dem traditionellen metaphysischen Universum, der Bruch, der die Koordinaten unseres Denkens definiert, nicht später statt? Das sicherste Anzeichen für diesen Bruch ist das ungute Gefühl, das uns überkommt, wenn wir heute Vertreter der klassischen Metaphysik lesen – irgendetwas sagt uns, dass ein solches Denken einfach nicht mehr möglich ist … Und überkommt uns nicht ein ebensolches Gefühl, wenn wir Hegels Spekulationen über die absolute Idee und dergleichen lesen? Es gibt eine Reihe von Kandidaten für jenen Bruch, der dafür sorgt, dass Hegel nicht mehr unser Zeitgenosse ist, angefangen mit der nachhegelianischen Wende durch Schelling, Kierkegaard und Marx, doch lässt sich diese Wende leicht als immanente Umkehrung des Themas des Deutschen Idealismus erklären. Einen neuen und überzeugenderen Vorschlag mit Blick auf die vorherrschenden philosophischen Fragen der letzten Jahrzehnte macht Paul Livingston, der den Bruch in seinem Buch The Politics of Logic in jenem neuen Raum verortet, der durch die Namen »Cantor« und »Gödel« symbolisiert wird.[4] Dabei steht »Cantor« natürlich für die Mengenlehre, die uns durch rekursive Prozeduren (leere Menge, Menge aller Mengen) zum Eingeständnis einer Unendlichkeit von Unendlichkeiten zwingt, während »Gödel« für die nach ihm benannten Unvollständigkeitssätze steht, welche – um es extrem vereinfacht zu sagen – zeigen, dass die Widerspruchsfreiheit eines Axiomensystems nicht aus diesem selbst abgeleitet werden kann, da es notwendigerweise Aussagen hervorbringt, die es weder beweisen noch widerlegen kann.
Mit diesem Bruch treten wir in ein neues Universum ein, welches uns dazu zwingt, die Idee einer einheitlichen Sicht der (gesamten) Wirklichkeit aufzugeben. (Selbst der Marxismus lässt sich – jedenfalls in seiner vorherrschenden Form – noch als eine Denkweise betrachten, die dem alten Universum angehört, entwirft er doch ein recht einheitliches Bild des gesellschaftlichen Ganzen, in manchen Versionen sogar der gesamten Realität.) Das neue Universum hat freilich nicht das Geringste mit dem Irrationalismus der Lebensphilosophie zu tun, deren erster Vertreter Arthur Schopenhauer war, der Idee also, dass unser rationaler Verstand nur eine dünne Oberfläche ist und dass die wahre Grundlage der Realität irrationale Triebe sind. Wir bleiben im Reich der Vernunft, und dieses Reich wird seiner Konsistenz von innen her beraubt: Immanente Inkonsistenzen der Vernunft bedeuten nicht, dass es eine tiefere Realität gibt, die sich der Vernunft entzieht, vielmehr sind diese Inkonsistenzen in gewissem Sinne »die Sache selbst«. Wir befinden uns mithin in einem Universum, in dem Inkonsistenzen kein Zeichen unserer epistemologischen Verwirrung sind, der Tatsache also, dass wir »die Sache selbst« (die per definitionem nicht inkonsistent sein kann) verpasst haben, sondern im Gegenteil ein Zeichen dafür, dass wir das Reale berührt haben.