Dramatische Rundschau 02

Dramatische Rundschau 02

Herausgegeben von
Friederike Emmerlin, Oliver Franke
Stefanie von Lieven, Barbara Neu
und Bettina Walther

FISCHER E-Books

Inhalt

Impressum

 

 

 

Originalausgabe

 

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

© 2020 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main

 

Aufführungsrechte: S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

www.fischertheater.de

Illustrationen: Büro Graphic Recording und Illustration Johanna Benz, Leipzig

 

Covergestaltung: Sanaz Hazegh Nejad • sanaz.eu

 

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

ISBN 978-3-10-491290-5

Fußnoten

Hızır ist die alevitische Variante von al-Chidr, dem Immergrünen – einer Heiligengestalt, die den Menschen in größter Not erscheint und auf die orientkirchliche Legende von St. Georg zurückgeht.

[Wörtlich: »Liebe! Liebe! Freiheit! Der Staat soll sich von uns fernhalten!« – »Aşk! Aşk! Hürriyet! Uzak olsun devlet!«, Anmerkung des Übersetzers]

Die führende Budapester Zeitung Szabad Nep klagt den Zirkusclown an, den Geist der Zeit nicht erfasst zu haben. Der Clown im volksdemokratischen Zirkus müsse den Kosmopolitismus angreifen, die Menschen ironisieren, die westliche Mode nachahmen und durch konstruktive Kritik an Stelle einfältiger Späße zu einer Reformation des Zirkus beitragen. WZ 4/9/52

New Straitsville. Diese Stadt brennt seit 133 Jahren – Das größte Untergrundfeuer der Welt. 1884 steckten die erbitterten Kohlenarbeiter während eines Streiks die örtlichen Zechen in Brand, seitdem brennt es unter der Stadt.

In den Kokosnussplantagen von Kelankan (Malakka) werden neuerdings abgerichtete Affen zum Pflücken der Früchte verwendet. Die Tiere werden mit einem langen Seil um den Hals auf die Palmen geschickt und sollen bis zu tausend Nüsse am Tag abernten. Das ist viel mehr, als ein Mensch leisten kann. Der Affe als der bessere Lohnsklave. KB 1952

2./3. Aug. 1952: Geisterstunde in den Straßen H.s. – Häuser aus »Dreck und Spucke« wechseln nachts ihren Standort.

Das Haus der Zukunft. Im New Yorker »Museum für moderne Kunst« ist das Modell eines »Hauses der Zukunft« zu besichtigen. Dieses Zukunftshaus besteht aus einer auf Streben ruhenden kugelförmigen Aluminiumkonstruktion von fünfundzwanzig Meter Durchmesser, die nach außen mit einer wasserdichten Plastikhülle abgedeckt ist. Der Zugang zu den Wohnräumen geht durch einen zylindrischen Schacht; die Grundfläche unterhalb des Baukörpers soll zur Anlage von Spielplätzen dienen. Eine fallschirmartige, von der Kuppelspitze aus zu dirigierende Gardine verschafft bei Bedarf Schatten. Öffnungen an der Grundfläche schleusen Frischluft in den Bau und eine »Hitze-Fontäne« verteilt Warmluft. »Ein neuer Garten Eden«, sagt Mr Fuller, der Konstrukteur des Bauwerks. WB 4.10.62

Sowjetische ChemikerInnen haben laut TASS. ein Verfahren entwickelt, wonach Asphalt in beliebig bunten Farben hergestellt werden kann. Damit soll das eintönige Grau der Großstadt durch mannigfache Kolorierung der Straßen, Gehsteige und großen Plätze aufgelockert werden. Versuchsweise seien schon einige Moskauer Gehsteige in den Farben Blau und Rosa angelegt worden. – Vermutlich hat die Gemeinde Wien die roten Straßenübergänge und den blauen Parkplatz auf der Mariahilferstraße auch aus Moskau bezogen. WP. 5.7.1952

Der gleiche Ursprung wird gerne vergessen: Zwieback hat etymologisch die gleiche Geschichte wie Biskuit und Biskotte, obwohl jetzt diese drei Wörter drei ganz verschiedene Esswaren bezeichnen. Wörtlich heißen sie aber alle drei »zweimal gebacken« beziehungsweise »zweimal gekocht«. 13. Nov. 1912

Fische können ertrinken. Die zur Familie der Labyrinthfische gehörenden Fadenfische und Guramis müssen immer wieder Luft holen. Wenn man den Fadenfisch daran hindert, ab und zu an die Oberfläche zu kommen, ertrinkt er. Das kann auch bei Schluckauf passieren. KB 09/13/2011

Gespaltene Schädel verlieren ca. 200 ml Liquor. Viel ist das nicht. Viel ist das nicht, was zum Austrocknen reicht.

Sobald der Raum erschöpft ist, braucht es Expansion. Wir haben vom Markt gelernt. Wir haben vom Markt gelernt.

Insbesondere gilt es mitzumachen, sonst tun wir uns am Ende alle noch weh.

Besitz ist nur dann nützlich, wenn er einen Mehrwert schafft. Das Privateigentum ist das Fundament, deinen Körper nimmt dir schon niemand weg.

Ein Perspektivvorschlag: Es ist nicht der Raum, der implodiert, es ist die Fläche, die glättet.

Wenn du mir deines schenkst.

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Wiederholen. Bis es weitergehen kann.

Siebenmal wiederholen.

Nichts da.

Dazu nacheinander Nacht und Dunkelheit und Licht und Tag und Welt und Unterwelt und Liebe.

Streit (lautstark) zwischen allen. Welt schafft wieder Ordnung.

Protest (zaghaft still) von Nichts und Dunkelheit und Nacht und Tag und Luft und Liebe und Unterwelt, noch zerrupft von Streit zuvor.

Welt steht in Mitte. Rest geht an Rand.

Nacht traut sich an Rand noch mal Wort zu ergreifen. Ermutigt von Rest von Rand.

Welt in Fokus. Nix zurück zu Rand. Rand ab. Nichts bleibt in Hintergrund zurück.

Nichts tut sich auf, Welt verschwindet in Nichts, schöpft geschützt dort.

Aus Nichts und darin Welt entspringt Wasser und flutet.

Aus Nichts und darin Welt landet Land an.

Aus Nichts und darin Welt steigt Himmel empor.

Aus Nichts und darin Welt steigt Sonne auf und verklebt sich in Himmel.

Aus Nichts und darin Welt steigt Mond auf und verklebt sich in Himmel.

Aus Nichts und darin Welt steigen Kugeln auf, steigen durch Himmel, steigen höher und immer höher, nicht mehr so richtig zu sehen, aber noch da. Flackern gelegentlich.

Welt krabbelt aus Nichts, steht in Schöpfung und guckt sich um.

Alles erscheint, wenn ausgesprochen.

Durch entstandene Landschaft zieht sich inzwischen Fluss, wie Kassenband. Alles Geschöpfte fährt Runde auf Flussband und wird dann benannt an Fuße Ätna – Piep – Name kurz aber feierlich auf Mondscheibe eingeblendet.

Flussband läuft weiter.

Über Fluss fahren im Laufe: Nachtfalter, 2, Chrysantheme, Neid, Gummibaum, Champignon, Gravitation, 6, Magnesium, Mitochondrien, Langeweile, Darmzotten, weitere Tierarten, weitere Zahlen (einzeln und als Gruppe), Gravitation, weitere Pflanzen, Atmosphäre, Stratosphäre, Torf, Stroh, Farbe blau, Kräuterseitling, Penicillium, Organe und Teile von Organen, Orange, Beschleunigung, Viskosität, Beryllium, Freude, Verkehr, Moos, Morchel, Zelle, Zellball, Ungarisches Salzkraut, viel mehr noch aber kommt drauf an, worauf Gaia kommt.

Alle sind nun belippt.

Piep. Jetzt nur mal als Beispiel.

Strebt in Richtung Nichts.

Strebt Gaia hinterher.

Piep.

Piep.

Piep. Ja, so dann eben weiter.

Alpe wird unruhig.

Ad libitum bis Auftritt Alpe. In einer Pyjama.

Die Welt legt sich um zu schlafen erneut in die Nichts.

Himmel zieht sich zusammen, eine bunte Implosion, dehnt sich dann aber wieder aus, eine noch buntere Explosion, aber dann doch viel weniger ausgedehnt als vorher.

Gaia erscheint erneut aus Nichts. Welt plötzlich wieder da.

Piep. Piep.

Piep. Piep.

Urana pustet.

Uranos und Gaia suchen. Sie suchen hinter den Gebirgen, am Grunde der Flüsse und Meere, in Tälern und auf Höhn.

Piep.

Seitensprung.

Sie gehen hinter den Berg.

Gaia, Sonne und Selene gucken Uranos ermutigend an.

Es passiert nichts. Und dann aber doch.

Liebe, Unterwelt, Tag, Nacht, Dunkelheit und Luft trotten an.

Liebe, Unterwelt, Nacht, Dunkelheit und Luft folgen Uranos hinter Ätna. Der zeigt dort seine Scham.

Alle tanzen in ermächtigender Weise, um die neue Aufteilung zu manifestieren und auch, damit sie sich alle gut einprägen, eine Polonaise.

Selene und Sonne gucken von oben, während die anderen schreitend tanzen.

Ende des Tanzes. Dunkelheit, Liebe, Luft, Tag, Nacht und Unterwelt zurück an den Rand.

Selene verweist auf einen Berg aufgetürmter Schöpfung unter sich.

Gaia schöpft eine binomische Formel.

Gaia spricht die Klammern mit geschlossenem Mund.

Erde und Himmel sitzen nach Feierabend an eine Bar.

Jetzt ist es so, wie vorher beschrieben.

Wie gehabt bei jeder Schöpfung ein Piep und die entsprechende Einblendung auf der Mondscheibe.

Piep.

Vorhang zu. Alle dahinter außer Selene.

Vorhang auf.

Gaia ab. Uranos bleibt allein mit seinen Gedanken.

Kronos geht an den Rand und wartet dort, bis er wieder auftreten darf.

Piep.

Die rappenden Erinnyen (sic!) erscheinen.

Uranos entmaterialisiert sich wieder. Wird wieder zu ruhendem Himmelszelt. Lässt andere auf sich leuchten. Und spielt keine Rolle mehr.

Erinnyen verpuffen.

Gaia, Sonne und Selene verstecken sich hinter einem Stein und beobachten die Titanen dabei, wie sie nacheinander den gleichen Berg betreten.

Alle Titanen sitzen in einem Stuhlkreis im Inneren eines Berges.

Gaia klopft am Berg.

Gaia wartet draußen auf Kronos.

Kronos kommt heraus. Die anderen Titanen spielen im Inneren des Berges stumme Jule.

Kronos hat keine Waffe in der Hand.

Nichts erscheint.

Das Meer wird zunehmend unruhig.

Nichts hatte geflüstert.

Kronos unterbricht, sobald sich die Wogen geglättet haben.

Dazu mehr im zweiten Teil.

Piep.

Gaia unterbricht kursiv.

Selene, Gaia und Sonne sprechen im Folgenden immer über kursiv. Kursiv redet einfach durch.

Sonne zieht Mythos an einem ihrer Strahlen zu sich. Im Entfernen spricht Mythos immer leiser. Macht weiter bis er wieder auf der Erde ist.

Sonne lässt Mythos auf Gaia fallen.

Sonne und Selene verdunkeln sich.

Ad libitum in beliebigen Abwandlungen.

Auftritt Titanen in alphabetischer Reihung mit gezückten Waffen.

Abtritt Titanen in umgekehrter Reihung.

Auftritt Giganten in alphabetischer Reihung mit den gleichen Waffen wie die Titanen.

Abtritt Giganten in umgekehrter Reihung.

Währenddessen.

Zeus schüttelt Mythos die Hand.

Gaia steigt auf den vielköpfigen feuerspeienden Drachen.

Gaia steigt wieder hinunter vom Drachen und geht ab. Zeus beginnt einen und verbleibt im Kampf mit dem Drachen. Sie kämpfen sehr lange. Meistens gewinnt Zeus. Dann sperrt er den ermatteten Drachen zur Strafe unter Ätna, als wäre er eine Räucherkerze. Meistens stößt sich Zeus in erleichterter Unbedacht den Kopf am Ausgang, was ihn kurz verwirrt. Der Drache bemerkt die Verwirrung und entkommt. Dann greift er meist wieder an. Und immer wieder.

Ist Theater systemrelevant? Es liegt auf der Hand, dass es in Pandemiebekämpfungen keine große Rolle spielen kann. Für die Sicherstellung von medizinischer und existentieller Grundversorgung ist es überflüssig. Außerdem galt es noch nie als Ort des Abstands. Vielleicht war auch deshalb – nach monatelangen Zwangsschließungen und Abstandsregeln – das Fehlen von Theater so spürbar. Es gab eine Sehnsucht nach Körperlichkeit, die mit jedem Tag der Distanzierung wuchs. Nicht nur wegen fehlender Vorstellungsbesuche, sondern auch weil das Theater als Ort des Austauschs ausfiel. Ausgerechnet in Zeiten der größten Unsicherheit war Begegnung untersagt. Und damit auch Gespräch. Denn Theater bedeutet nichts anderes, als unaufhörlich miteinander im Gespräch zu sein. Vor, hinter und auf der Bühne. Das ist anstrengend und zeitaufwendig. Und genau hier zeigt sich, warum das Theater so relevant für eine immer weiter auseinanderklaffende Gesellschaft ist: Es beweist, dass die kontinuierliche Auseinandersetzung miteinander und mit Gesellschaft einen sich immer wieder in Frage stellen müssenden, zukunftsgerichteten Prozess nach sich zieht. Theater funktioniert nur gemeinsam. Jede Inszenierung ist das Zusammenspiel zahlreicher Künste. Jede Inszenierung ist die Quintessenz eines wochenlangen Ringens um den gemeinsamen Weg. Erst der Kompromiss kann zum besten Ergebnis führen. Theater setzt einer Welt, die auseinanderfällt, die Überzeugung entgegen, dass Außerordentliches nur gemeinsam gelingen kann. Das Gemeinsame impliziert aber auch die fortwährende Notwendigkeit zum

Das Theater lebt vom Publikum. Auch die zeitgenössische Dramatik lebt vom Publikum und noch viel mehr – sie ist abhängig von ihm. Weil sie am Verkauf der Eintrittskarten beteiligt ist. Das ist ihre Bezahlung. Und die rechnet sich erst, wenn neue Theaterstücke auf großen Bühnen vor großem Publikum gespielt werden. Das ist ohnehin selten. Oftmals wurden sie lieber in winzigen Spielstätten ausprobiert. Doch selbst das ist momentan nicht möglich. Für einen Großteil der zeitgenössischen Dramatik ist die jetzige Situation katastrophal. Obwohl die Theater langsam wieder öffnen, wird die coronabedingte Reduzierung der Zuschauerzahl zu deutlich geringeren Einnahmen führen. Die schließungsbedingten

In der Dramatischen Rundschau 02 versammeln sich acht zeitgenössische Theaterstücke, sprachgewaltige und komische, philosophische, poetische, erschütternde, aufmunternde. Ihre Formen sind so vielfältig wie ihre Themen. Sie erzählen von der Weltenschafferin Gaia und der gescheiterten Suche nach Gott, von einem Asphalt ohne Narrativ, verschifften Ortschaften, interplanetaren Weltraumbegegnungen, fragilen Hausgemeinschaften, vom Gezi-Park und der Heimatlosigkeit Rumäniendeutscher. Es lohnt sich sehr, alle Stücke zu lesen. Weil erst ihre Unterschiedlichkeit deutlich macht, wie komplex die Abbildung von Wirklichkeit ist. Und wie subjektiv. Eigentlich ist dieses Buch so etwas wie ein dramatischer Reiseführer durch das Gespräch der Gegenwart. Darüber

 

Die HerausgeberInnen

Frankfurt am Main, im Mai 2020

EBRU NIHAN CELKAN, geboren 1979 in Adana in der Türkei, studierte Arbeitsökonomie und Betriebswirtschaft in Uludağ und Istanbul. Ihre Theaterkarriere begann Celkan 2005 am Sadri AlışıkTheater in Istanbul, auf dessen Theaterfestival 2007 auch ihr erstes Stück From Heaven to Hell aufgeführt wurde. Neben ihrer Arbeit als Dramatikerin unterrichtet sie dramatisches und performatives Schreiben an verschiedenen Universitäten. Daneben schrieb sie seit 2014 für die türkische Tageszeitung Evrensel und beriet NGOs.

In ihren – insbesondere in der Türkei viel gespielten – Stücken setzt sie sich mit der türkischen Gesellschaft, deren Tabus und Missständen auseinander, ihren Fokus richtet sie dabei auf Machtmissbrauch, Militarismus und Genderthemen. 2019 war sie Stipendiatin des Jean-Jacques Rousseau-Programms der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart.

Last Park Standing, das im Oktober 2019 am Staatstheater Stuttgart uraufgeführt wurde, erzählt von Umut, einer Menschenrechtsanwältin aus Istanbul, und Janina aus Berlin, die sich während der Park-Proteste in Istanbul ineinander verlieben. Und sich fragen: Darf man sein privates Glück wählen oder gibt es eine Verpflichtung zum politischen Kampf?

PARK STANDING
(BENIMLE GELIR MISIN)

Deutsch von Oliver Kontny

UMUT – 25, Frau

AHMET – 25, Mann

 

Stille: eine Pause von 45 Sekunden.

/ : eine Pause von 12 Sekunden.

In Klammern: Spielrichtungen.

Videoaufnahme

6. Juni 2014

07:10

 

UMUT

Fertig?

Stille.

Okay? Nimmst du auf? Hey, schau zu mir. Wie sehe ich aus? Gut? Gib dir Mühe. Wenn was nicht stimmt, gib Bescheid, dann brechen wir den Take sofort ab. Okay? Wie ist das Licht? Sieht man die Bäume? Schau mal, ich glaub, hier ist es besser. Lass uns hier drehen. War es der Baum? Nee. Dieser hier, glaub ich. Welcher war es denn?

Stille.

Ahmet … Ich glaub, da fehlen Bäume. Was habt ihr mit den Bäumen gemacht, ey? Egal. Alles okay?

Stille.

Merhaba, merhaba (Türkisch)

Meine Liebste.

Stille.

Was lachst du denn? Was gibt es zu lachen?

AHMET

Okay, okay. Ich lache nicht. Mach weiter.

Stille.

Stille.

Merhaba (Türkisch) meine große Liebe! Wie findest du meine Fliege? Sie ist richtig schön! Vielen Dank. Meine Lieblingsfarbe! Meine Lieblings/Lieblings /

Stille.

Ahmet, was machst du? Kleiner, du wolltest doch auf den Himmel pannen, wenn ich Lieblingsfarbe sage. Jetzt pan mal.

AHMET

Ach Mist, vergessen. Sorry, also noch mal.

Stille.

Sollen wir da drehen, wo unser Zelt steht? Wo war das noch? In der Nähe der Treppen, da in Richtung der abschüssigen Straße, oder? Ist das Licht da schlecht? Egal, Ahmet, lass uns endlich drehen. Ich komm zu spät zur Arbeit. Los.

Stille.

Merhaba, meine große Liebe. Wie findest du meine Fliege? Sie ist richtig schön! Vielen Dank. Meine Lieblingsfarbe!

Er schwenkt auf den Himmel.

Meine erste Fliege. Ahmet hat sie mir gebunden. Erst als ich meine erste Fliege hatte, ist mir klar geworden, dass ich keine binden kann. Steht sie mir?

Stille.

Guck mal! Kannst du dich erinnern?

Die Kamera nimmt einen Teil des Parks auf.

Zuerst sind wir hier umeinander rumgetänzelt. Dann Hand in Hand ins Herz des Parks gelaufen. Genau hier hast du mich zum ersten Mal geküsst. Am 6. Juni. Der erste von Tausenden von Küssen – Es gab da einen Baum, an den hatten sie einen Spruch gehängt./Weißt du noch?

Dann haben wir hier, auf diesem Rasen auf dem Rücken gelegen. Stundenlang. Wie lang wir geschwiegen haben!

Und diese Bank/auf dieser Bank bist du eingeschlafen. Ich hab das Atmen eingestellt, um dich nicht aufzuwecken. Dann kam so ein junger Typ an:

»Schwester, ihr passt richtig gut zueinander«,

flüsterte er mir ins Ohr,

»Beweg dich nicht, wir decken euch beide zu.«

Das erste Mal zusammen geschlafen haben wir auf dieser Bank. Zugedeckt mit der rot-schwarzen Fahne von den Jungs.

Unsere Liebe: 1

Welt: 0

Stille.

Kannst du dich daran erinnern?

Holt Schokoladentrüffel aus der Tasche.

Das ist einer von den vielen Trüffeln, die wir beide nicht essen wollten, weil sie jeweils der letzte Trüffel in der Schachtel waren. Ich hab sie alle aufgehoben. Wenn wir wieder zusammenleben, können wir sie essen/aber/heute werde ich einen von ihnen essen, für uns beide. Für unseren ersten Jahrestag. Den ersten/

Ahmet! Ahmet! Gibst du mal die Kerze?

So ist das, wenn man mit Ahmet arbeitet. Egal

Steckt die Kerze in den Trüffel.

Feuerzeug /

AHMET

Feuerzeug?

Och Ahmet/Hast du keins?/Ernsthaft?

Zwei tiefe Männerstimmen, man versteht nicht, was sie sagen. Umut antwortet ihnen.

UMUT

Entschuldigen Sie?

Wir sind völlig unbescholtene Bürgerinnen.

Was geht dich das an?

UMUT

Ahmet, beruhig dich! Was wir machen? Wir drehen ein Video /

AHMET

Komm, Umut, lass die, wir machen weiter.

UMUT

Einen Augenblick, Ahmet. Wir sind fertig. Wir gehen jetzt sowieso /

AHMET

Wir verlieren Zeit. Wir drehen ein Video, Alter. Im Park. Warum willst du das wissen?

UMUT

Das da? Eine Krawatte /

AHMET

Ich hab meinen Ausweis nicht dabei.

UMUT

Ja, wir zeigen Ihnen unsere Ausweise … Völlig unnötig/Wir sind beide Juristen.

AHMET

Ich hab ihn vergessen. O Mann! Dann geb ich halt meine Ausweisnummer, und du gibst sie per Funk durch.

UMUT

Wir sind Anwälte, mein Herr –

AHMET

Fass mich nicht an! Was soll das!

UMUT

Hören Sie, wir haben nichts aufgenommen. Wir haben nur für einen Freund einen Gruß /

AHMET

Lass mich, Mann!

UMUT

Einen Geburtstagsgruß /

Aufgrund der Rangelei wackelt das Bild. Die Kamera fällt zu Boden, während sie läuft. Man sieht zwei Polizeistiefel, Umuts Schuhe und Ahmets Schuhe.

Ahmet!/Entschuldigen Sie, wenn Sie erlauben. Ich geb Ihnen meinen Ausweis/Ahmet, jetzt beruhig dich doch mal! Ahmet /

AHMET

Du hast kein Recht, mich anzufassen! Nicht schubsen! Aahh!

UMUT

Hören Sie bitte einen Augenblick? Hören Sie doch auf. Ich werde Ihnen seinen Ausweis geben/Sie müssen mich nur lassen. Mein Freund ist /

AHMET

Ah! Mein Arm! Mein Arm!

UMUT

Hören Sie bitte? Einen Augenblick/Nicht abführen!/Ahmet! Ahmet! Kein Widerstand!/Nicht schlagen! Ahmet!

Stille. Laufgeräusche. Umut nimmt die Kamera in die Hand.

Egal, ich renn jetzt einfach hinter Ahmet her.

Umut ordnet ihr Haar und ihre Kleidung.

Meine Liebe, mein Schatz!

Alles Gute zum ersten Jahrestag!

Ich liebe dich!

1. Szene
Guten Morgen

1. Juli 2018

İstanbul/Beşiktaş.

Dämmerlicht.

Viele Benachrichtigungstöne hintereinander: Mail, WhatsApp, Twitter, Messenger …

UMUT

06:02. Ich kann nicht schlafen und zähle die Minuten. Ich schaue an die Decke und warte darauf, dass die letzten dreizehn Minuten vergehen. Im Traum war ich ganz oben auf einem Berg, der sehr schwer zu besteigen ist. Der Abstieg ist auch schwer. Die Schneeflocken verwandeln sich in eisige Nadeln, die mir haarfeine Schmisse ins Gesicht hauen, meine Wimpern sind gefroren, die Stille dröhnt in meinen Ohren, mein Körper ist versteinert. Die Kälte dringt bis in meine Kehle. Ich kann nicht atmen. Vor mir, hinter mir, rechts und links von mir – Abgrund. Wer hat mich hier abgesetzt? Wer hat mich hierhergebracht? Wo bin ich? Wo sind alle anderen?

Ein Sturm erfasst den Gipfel.

Stille.

Ich leiste Widerstand.

Stille.

Stille.

Wenn sie bis 06:15 nicht gekommen sind, die Hyänen. Im Tageslicht zeigen sie sich nicht. Sie kommen in den Morgenstunden, bevor die Menschen zueinander finden können.

Stille.

In Berlin ist es jetzt 05:03.

Stille.

Wer ist dran?

Stille.

Wen haben sie zuletzt geholt?

Stille.

Ich glaube … Yonca? »Ich bin dran«, hat sie in der Nachricht geschrieben. »Die Polizei steht vor meiner Tür.«

Die Nachricht ist von 06:05.

Stille.

Ahmet hat um 06:08 geschrieben: »Bin in Haft. Auf dem Polizeirevier.«

Ahmet fehlt mir sehr. Ob ich zu ihm soll? Ägyptischer Basar. Aus meiner Körpermitte steigt ein saurer Geschmack hoch. Ich weiß noch, wie genau da alles voller Schmetterlinge war. Jetzt hocken nur noch reglose Motten da rum.

Gebet, von meiner Großmutter gelernt. Ich wiederhole es.

Gib, dass mein Herz nicht finster wird und meine Hand nicht geizig.

Gib, dass ich niemanden anflehen muss außer Dir.

Gib, dass mein Herz nicht finster wird und meine Hand nicht geizig.

Gib, dass ich niemanden anflehen muss außer Dir.

Gib, dass mein Herz …

Durch den wirklich schmalen Spalt zwischen den Gardinen sehe

Werden deine Wurzeln eines Tages diesen Beton sprengen? Ich lächele.

Mein Auge fällt auf das Licht, das ich im Flur hab brennen lassen. Wann hat das angefangen? Seit wann schlafe ich bei brennendem Licht? Wenn ich das nur wüsste.

Ich höre die Stimme meiner Großmutter.

»Ah habibti ah! Mein Kind! Du legst dich mit dem Staat an, hast aber Angst vor der Dunkelheit.«

Stille.

Wer ist jetzt dran? Ich?

Stille.

Seit wann schlafe ich bei brennendem Licht? Ich würde gern aufstehen und es ausschalten. Ich möchte in einem stockfinsteren Zimmer schlafen. Ich möchte, dass eine warme Hand meinen Rücken berührt und dort unendliche Kreise beschreibt. Ich möchte, dass jemand wach ist, während ich schlafe. Wo bist du?

Stille.

In Berlin ist es jetzt 05:10.

Stille.

Das Haus meiner Großmutter. Ich stelle mir vor, wie die saubere, weiße Kälte des Betttuchs meine Wange berührt. Sanft streichelt nach Jasmin duftendes Waschmittel meine Nase. Alle zu Hause sind behutsam.

»Im Zimmer schläft Umut.«

Aus der Ferne dringt die Stimme von Fairuz.

Al-Bint El-Chalabiya.

Sie singt von einem Mädchen mit honigfarbenen Augen. Ein so sanfter Schlaf. Ich halte mich an Fairuz’ Lachen fest. Meine Albträume sind lang.

Die Hyänen kommen in den Morgenstunden, bevor die Menschen zueinander finden können, bevor der Mensch an seinen Träumen satt ist.

Das Telefon ist nie still.

Stille.

»Hallo. Ach, Mama. Mir geht’s gut. Und dir? Alles bestens. Ich bin guter Dinge. Nein, nein, überhaupt keine Sorgen. Mach doch den Fernseher aus. Guck das doch nicht. Ach, nein, einfach nur so – ist heut halt so passiert, dass ich früh aufgestanden bin. Mach dir keine Gedanken. Was? Ja, ja, Mama. Alles wird wunderbar werden. Sei unbesorgt. Ich küsse dich.«

Stille.

Ich denke an die Welt und an meine Mutter. Ich weiß nicht, wer von beiden ein gebrocheneres Herz hat. Tut mir leid, Mama. Ich hab dich und auch das Land sehr lieb.

Stille.

06:15

Umut: 1 Welt: 0

Die Hyänen sind nicht gekommen.

Ich schaue aus dem Fenster nach draußen.

Der Baum reißt einen weiteren Spalt in den Beton.

2. Szene
Schale

1. Juli 2018

Berlin/Wannsee.

Vogelzwitschern, Stille.

 

JANINA

zum Publikum Wie sieht es aus? Ganz schön geworden, oder? Ich arbeite seit ein paar Tagen dran. Ist die Wohnung

Nicht Wohnung, Nest!

Janina wendet sich vom Publikum ab.

Ich fliege sie abholen. Ein letzter Blick auf die Wohnung. Ich gehe meine Liste durch.

Bettwäsche?

Frisch bezogen.

Weiß.

Kaffee?

Gekauft.

Türkischen Mocha und dunklen kolumbianischen.

Bücherregal?

Zwei Reihen hab ich freigemacht.

Schrank?

Ein Fach geräumt.

Ich hab ihr Schlüssel machen lassen.

Ich bin bereit. TK 1722 07:05 Tegel to İstanbul

Sie. Diese Wohnung. Ich stelle sie mir in dieser Wohnung vor. Unserer Wohnung. Wie sie barfuß über das Parkett geht, wie sie auf der Couch einschläft, wie sie mit einer Hand im Buch herumblättert und mit der anderen in ihren Haaren, wie sie lächelt, wie sie mit ihren Ohrstöpseln in ihrem Ein-Frau-Club tanzt. Welche Filme werden wir anschauen, zu welchen Liedern werden wir uns in den Arm nehmen und tanzen, wo werden wir uns überall lieben, was werden wir essen, wohin fahren wir in Urlaub? Nicht mehr die Tage, Minuten, Sekunden zählen, nicht mehr den Flieger erwischen müssen, keine Gedanken machen müssen, keine unbeantworteten Anrufe, keine Nachrichten im unpassenden Moment, keine sinnlosen Emojis mehr. Tausende Fragen brechen aus jeder Ecke meines Hirns auf mich ein. Ich

Ich lasse alles zu Hause und schließe die Tür ab.

Die Pollen in der Luft bleiben an mir kleben. Ich bin umgeben von Sommerterror. Der scharfe Geruch der Blumen, das Grün der Blätter, der aufgeweichte Boden, die ganzen Vogelstimmen und so. Der Sound der Kieselsteine macht meine Zähne knirschen. Sobald ich den Park erreiche, füllt sich alles mit Menschen, als hätte ein Zauberstab die Welt berührt. Ich sehe den Bahnhof von weitem. Jeden Morgen steige ich in den gleichen Zug, um zur Uni zu fahren. Er fährt los. Morgens will ich mit niemandem reden. Ich denke an den Artikel, den ich fertigschreiben muss. Hab ich gefrühstückt? Ich erinnere nicht mehr, wann ich gestern ins Bett gegangen bin.

Ich sehe den Fahrer. Er ist ungeduldig. Er sieht mich. Er steigt aus. Er öffnet die Tür, durch die ich einsteigen soll. Wie ist wohl heute der Spielstand? Entweder Gleichstand oder Umut führt. Aber mit wie viel Punkten? Ich wähle die Nummer noch einmal.

Keine Antwort.

Stille.

Ich werde schneller.

Ich renne an einem Baum vorbei, als etwas von ihm herabfällt.

»Tschett«

Stille.

Ich bleibe stehen.

Der Fahrer verzieht die Brauen.

Ich kehre um.

Am Boden eine babyblaue Schale. Darin Blut und eine klebrige, transparente Flüssigkeit. Ich rieche daran. Es riecht nach nichts.

Vor kurzem ist etwas geboren worden.

Ich schaue zum Baum. Nein, nein, nein. Da ist nichts zu sehen. Ich sehe nichts.

Der Baum raschelt.

Wo bist du?

 

Sprachnachricht

7. Juni 2015

22:10

Beep.

UMUT

Hallo Janina! Hey! Jetzt sagt dein Telefon wieder, ich soll eine Nachricht hinterlassen. Hör mal, Janina, hör nur! Hörst du das? Ich hab den ganzen Tag versucht, dich zu erreichen. Wer weiß, wo du bist. In Berlin ist es jetzt 21:10, und du bist wahrscheinlich bei einem Arbeitsessen? Ich hoffe, es ist nicht anstrengend, meine Liebe. Und jetzt hör hin! Wir haben die Wahlen gewonnen! Ach! Ich wünschte, du wärest jetzt bei mir. Du musst das hier sehen, Liebste! Alles ist so wahnsinnig bunt. Genauso wie bei Gezi – egal. Jedenfalls, alles Gute zu unserem zweiten Jahrestag! Mit einem Tag Verspätung, aber macht ja nichts. Wollen wir ab jetzt unsern Jahrestag immer am 7. Juni feiern? Hör mal, die Menschen! Alle singen, alle sind auf den Straßen. Ich werd für dich Videos aufnehmen. Jetzt wollen sie, dass wir mittanzen. Hier singt niemand das gleiche Lied, Janina. Es ist so schwer, mitzusingen, aber so wahnsinnig schön. Hörst du das? Der da schreit, das ist Ahmet. Ahmet! Ahmet! Ich spreche mit Janina. Ahmet hat dich lieb … Fragst du mich das? Oder Janina? Liebe oder Revolution, fragt er. Liebe, Altaaa! Liebe! Der ist dicht. Jeder macht gerade so sein Ding. Es ist so perfekt. Du müsstest hier sein. Die Slogans, der Applaus, die Tränen.

3. Szene
Ich steh zu meinem Wort

7. Juni 2015

İstanbul/Taksim.

Geräusche von den Feiern. Musik, Trommeln, Kampflieder.

 

AHMET

Uuuund?

UMUT

Was?

AHMET

Ist gut geworden, die Tonaufnahme?

UMUT

Glaub schon. Ich hör kaum was bei dem Lärm –

AHMET

Wo sind deine Kopfhörer?

UMUT

Kopfhörer? Weiß ich, wie ich aus dem Haus gegangen bin?

AHMET

Dann hör es halt später.

UMUT

Pssst. Ist gleich vorbei.

AHMET

Ich hab dich seit dem Gymnasium nicht mehr so erlebt. Wie hieß deine erste Liebe?

UMUT

Maya.

AHMET

Maya – »Ahmet, machen wir Blutsbrüderschaft, auch wenn ich ein Alien bin?«

UMUT

Du hast es echt nicht vergessen! Krass!

AHMET

Wir wollten gerade unseren Finger ritzen. Zack, knallst du mir diese Frage hin. Wie soll ich das vergessen?

UMUT

Wir haben unsere Finger geritzt und du –

Ist ja gut!

UMUT

Bist in Ohnmacht gefallen.

AHMET

Bin ich nicht.

UMUT

Ach, guck mal an. Deine Augen waren sofort weg. Bist du nicht auf den Boden gefallen?

AHMET

Ja, schon … Aber ohnmächtig war ich nicht. Ich kann halt kein Blut sehen.

UMUT

Aber warum wolltest du dann mit mir Blutsbruder werden, wenn du kein Blut sehen kannst?

Umut drückt aufs Display, um eine Sprachnotiz aufzunehmen.

Wir haben sogar die Wahlen gewonnen, aber ich habe es nicht geschafft, Ahmet dazu zu bewegen, zuzugeben, dass er in Ohnmacht gefallen ist. 7. Juni 2015.

AHMET

Was machst du eigentlich mit den ganzen Sprachnotizen?

UMUT

Verschicken.

AHMET

Alle?

UMUT

Nee, es ist eher wie ein Tagebuch. Seit 2013 nehm ich jeden Tag etwas auf. Manche schicke ich Janina. Aber andere … Hör dir mal das an.

Umut drückt einen Knopf am Aufnahmegerät.

Ich hab aufgenommen, wie sie atmet, wenn sie schläft.

AHMET

Aber warum?

UMUT

Damit wir es nicht vergessen, Ahmet?

AHMET

Hahahaaaa! Was denn vergessen?

UMUT

Was weiß ich. Oder falls sich was ändert. Ich will nichts vergessen.

AHMET

Liebe oder Revolution?

UMUT

Ach Mann, Ahmet –

AHMET

Liebe?

UMUT

Was ist das für eine Frage?

AHMET

Wieso? Hab halt gefragt. Hör mal, wie toll die singen. Die werden tanzen, bis es hell wird. Wir haben echt gewonnen.

Es geht vorbei, weißt du das?

UMUT

Was?

AHMET

Liebe. Geht vorbei.

UMUT

Ich will beides.

AHMET

Maşallah!

UMUT

Liebe und Revolution. Liebe hatte ich schon, heute haben wir auch noch die Wahlen gewonnen.

Stille.

Janina mag İstanbul. Berlin ist auch schön.

AHMET

Ja, schön ist es –

UMUT

Was?

AHMET

Nichts. Berlin ist schön.

UMUT

Ich werd nicht weggehen.

AHMET

Lehn dich nicht zu weit aus dem Fenster –

UMUT

Tu ich nicht. Guck doch mal, erst der Park, jetzt die Wahlen. Es ändert sich was. Ich bin hier.

AHMET

Willst du kein Kind? Würdest du das etwa hier auf die Welt bringen? Sie würden dich andauernd nach deinem Mann fragen und das Kind nach seinem Vater.

UMUT

Was ist eigentlich mit deinem Wehrdienst?

AHMET

Warum bringst du das jetzt?

UMUT

Warum bringst du das mit dem Kind jetzt?

Stille.

AHMET

Ich hab beschlossen, an der Uni zu bleiben.

UMUT

Das gibt’s ja nicht. Im Ernst?

AHMET

Ja. Ich will nicht als Anwalt arbeiten.

UMUT

Oooohh super! Gratulation, Herr Dozent!

AHMET

Ihr könnt hier zusammen kein Kind kriegen.

UMUT

Wie kommst du jetzt auf das Kind? Das Leben ist lang, ich mach irgendwann eins.

AHMET

Also, du bleibst hier?

Ich steh zu meinem Wort.

AHMET

Boah, was ist das?! Das Geräusch?

UMUT

Krass, sie zünden Feuerwerk!

AHMET

Der Juni hat uns schon immer gutgetan.