SparkofPhoenix
Spark und das Geheimnis der Pillager
Mit Illustrationen von Stefani Kampmann und Timo Müller-Wegner
FISCHER E-Books
SparkofPhoenix ist einer der erfolgreichsten deutschen Minecrafter und begeistert auf seinen Online-Plattformen Millionen von Zuschauern. Er beschäftigt sich intensiv mit Minecraft-Tutorials, interessanten Fakten, Mods, Mega-Builds und den coolsten Tipps und Tricks. Bei seinen Fans gilt er als wandelnde Minecraft-Enzyklopädie. Sein erstes Buch »200 Dinge in Minecraft, die du noch nicht wusstest« war bereits ein voller Erfolg und stand wochenlang auf der Spiegel-Bestsellerliste.
Weitere Informationen zum Kinder- und Jugendbuchprogramm der S. Fischer Verlage finden Sie unter www.fischerverlage.de
SparkofPhoenix geht auf sein erstes großes Minecraft-Abenteuer!
Das Minecraft-Dorf ist in hellem Aufruhr: Plünderer greifen die Mauern an und entführen einen Eisengolem. Der Einzige, der etwas dagegen tun kann, ist SparkofPhoenix höchstpersönlich. Auf seiner Rettungsmission stellt er sich miesgelaunten Hexen, kämpft gegen mächtige Magier und trifft auf treue Gefährten, wie den neunmalklugen Papagei Kopernikus. Nun ist Sparks gesamtes Minecraft-Wissen gefragt! Wird er es schaffen, den Golem aus den Fängen der üblen Plünderer zu befreien?
Ein actiongeladener Minecraft-Roman von YouTuber SparkofPhoenix!
Originalausgabe
Erschienen bei FISCHER E-Books
Mojang © 2009-2020. Minecraft is a trademark of Mojang Synergies AB.
Kein offizielles Minecraft-Produkt. Nicht von Mojang genehmigt oder mit Mojang verbunden.
© 2020 Fischer Kinder- und Jugendbuch Verlag GmbH, Hedderichstraße 114, 60596 Frankfurt am Main
Cover- und Innenillustrationen: Stefani Kampmann und Timo Müller-Wegner
U4-Vignette: Artwork Eskobar
Redaktion: Emilia Sparkling
Lektorat: Franziska Jaekel
Covergestaltung: Christina Hucke
Coverabbildung: Timo Müller-Wegener
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-7336-0390-8
Spark erwacht mit einem Schreck. Sein Herz schlägt schnell, kalter Schweiß lässt seine blonden Haare auf der Stirn kleben. Er hat etwas Furchtbares geträumt, aber er kann sich nicht mehr erinnern, was es war.
Laute Stimmen und aufgeregte Rufe dringen durch das Fenster neben seinem Bett. Draußen scheint ein Tumult zu herrschen. Spark reibt sich die verschlafenen Augen und hält blinzelnd eine Hand vor die aufgehende Sonne, die grell in sein Gesicht strahlt. Ein Blick auf die Uhr an der Wand verrät ihm, dass es noch sehr früh ist.
Der Tumult vor seinem Fenster wird immer lauter, und er schlägt die Bettdecke zur Seite, um nachzusehen, was auf der von Fichten gesäumten Straße vor seinem Haus los ist.
Die Dorfbewohner rennen erschrocken durcheinander und rufen sich unverständliche Worte zu, wobei sie aufgeregt mit den Armen wedeln. Der Gesichtsausdruck, den Spark von seinem Fenster aus bei vielen erkennen kann, lässt ihn schaudern. Irgendetwas muss passiert sein.
Besorgt eilt er zur Kommode und schlüpft hastig in eine dunkle Stoffhose und die blauen Lederschuhe, von denen er sich einfach nicht trennen kann, obwohl sie eigentlich schon völlig ausgelatscht sind. Er ist gerade dabei, den zweiten Schuh zu binden, als er das helle Läuten der großen Dorfglocke hört. Spark erstarrt. Die Glocke steht fast vergessen in der Nähe des Osttores, weil sie nur bei Angriffen geläutet wird – und der letzte Angriff ist bereits so lange her, dass er sich kaum daran erinnern kann.
Die meisten Kreaturen, die in den nahe gelegenen Wäldern und Höhlen leben, verirren sich höchstens nachts an die Dorfmauern, und dann werden die Eisengolems, die Beschützer des Dorfes, ganz gut allein mit ihnen fertig. Außerdem beginnt gerade ein sonniger Tag mit wenigen Wolken, so dass die meisten Geschöpfe es gar nicht bis an die Mauern schaffen würden. Ihre Haut ist durch das Leben in der Dunkelheit so empfindlich, dass sie die Sonne meiden.
Auf das Schlimmste gefasst, eilt Spark durch den Flur und die Treppe hinunter. Im Vorbeigehen greift er nach seiner Armbrust, dann öffnet er die Tür und schaut sich vorsichtig um, falls die Gefahr bereits in der Dorfmitte lauert. Zum Glück sieht alles unbeschädigt aus.
Er zieht die dunkle Holztür hinter sich zu und rennt die steinernen Stufen hinab. Mehrere Wege vor seinem Haus führen auf einem kleinen Platz zusammen, der den Mittelpunkt des Dorfes bildet. Spark stolpert von der letzten Treppenstufe auf den befestigten Weg und muss zwei Bauern ausweichen, die mit gehetztem Gesichtsausdruck die Straße entlangeilen. Ihre Strohhüte sind schief ins Gesicht gerutscht, Schweißperlen glitzern auf ihrer Stirn, und ihre weißen Oberteile haben grüne und braune Flecken. Die Dorfbewohner sind zwar in der Lage, einfache Rüstungen und Waffen herzustellen und zu nutzen, aber es liegt in ihrer Natur, zunächst die Flucht zu ergreifen und sich in Sicherheit zu bringen.
»Was ist denn passiert?«, ruft Spark den zwei Bauern nach.
Unsicher bleiben sie stehen und drehen sich zu ihm um. Jetzt erkennt Spark die beiden auch. Das sind Oktavius und Tilda, die nicht weit von ihm entfernt wohnen.
»Wir wissen es auch nicht genau«, sagt Oktavius. »Wir wollten gerade mit der Feldarbeit am Osttor beginnen, als plötzlich Pfeile über die Mauer flogen. Zum Glück wurde niemand verletzt.«
»Wie hätten wir auch ahnen können, dass … also ich meine … wer hätte damit gerechnet …«, stottert Tilda aufgeregt und schiebt sich den Strohhut aus dem Gesicht. Sie wirft Oktavius einen hilfesuchenden Blick zu.
»Plünderer greifen uns an, Spark. Plünderer!«, sagt Oktavius mit Nachdruck, als müsste er sich selbst davon überzeugen, denn bisher hatte niemand im Dorf einen Plünderer mit eigenen Augen gesehen. »Ich habe ihr Hornsignal gehört, das mich sofort an die gruseligen Geschichten von früher erinnert hat. Es müssen Plünderer sein!«
Weitere Dorfbewohner laufen an ihnen vorbei. Spark sieht Angst und Entsetzen in ihren Gesichtern. Alle haben die Augen weit aufgerissen, die Panik verbreitet sich wie eine unsichtbare Wolke im ganzen Dorf.
So fühlt es sich also an, wenn Gruselgeschichten plötzlich Wirklichkeit werden, denkt Spark. Er reißt sich vom bizarren Anblick der aufgeregten Dorfbewohner los und macht sich mit einer dankenden Geste und wachsender Sorge auf den Weg zum Osttor.
»Du willst doch nicht etwa den Plünderern in die Arme laufen?«, ruft Oktavius ihm nach.
Aber Spark lässt sich nicht aufhalten. »Ich pass schon auf mich auf!«, ruft er zurück und hastet weiter, während sich in seinem Kopf die Gedanken überschlagen.
Normalerweise wird jedes der vier Tore im Dorf von einem Eisengolem bewacht, eine Tradition, die für Sicherheit sorgt, auch bei Nacht. Das Nordtor liegt unmittelbar am großen Fischteich. Dort hält Golem Vegra Wache. Durch die beiden Hauptstraßen, die sich in der Mitte des Dorfes kreuzen, sind Nord- und Südtor sowie West- und Osttor miteinander verbunden. Die Kirche liegt nicht weit vom Westtor entfernt, wo Golem Kalur abgestellt ist. Dort befindet sich auch die große Pferdekoppel, die von hohen Fichten umgeben ist. Kalurs Bruder Dokul ist für das Südtor zuständig, das von bunten Feldern mit Gemüse und Weizen umgeben ist. Ähnlich sieht es auch am Osttor aus, wo Golem Zogrit aufpasst. Die Golems gehören als fester Bestandteil zum Dorf und würden es nie verlassen. Sie sind stark und furchtlos. Spark hat noch nie erlebt, dass es ein Feind geschafft hat, einen Golem zu überwältigen. Er kennt nur die Geschichten aus längst vergangenen Zeiten, als böse Geschöpfe der Nacht noch häufig versucht haben, in das Dorf einzudringen. Doch weder Spinnen noch langsame Zombies oder klappernde Skelette konnten die Schutzmauer überwinden, denn Golems wehren mit Leichtigkeit auch mehrere Angreifer gleichzeitig ab. Vielleicht sieht das bei den Plünderern anders aus?
Schon von weitem sieht Spark die goldene Glocke, die immer noch von einem Bauern geläutet wird. Als er näher kommt, erkennt er Titus. Rechts und links von ihm kauern drei weitere Dorfbewohner an der Mauer – Bognut, Karl und Arthur, deren Hütten ganz in der Nähe liegen. Sie scheinen heillos mit der Situation überfordert zu sein. Der Boden ist mit Pfeilen übersät, die wie seltsame Pflanzen aus der Erde ragen.
»Werden wir wirklich von Plünderern angegriffen?«, fragt Spark, während er hinter der Glocke in Deckung geht. Titus’ Hände zittern aufgeregt, unter dem Strohhut laufen Schweißperlen über seine Stirn.
»Ich … ich hatte gerade mit der Feldarbeit begonnen, als ich dieses Geräusch hörte. Ein schrecklicher Ton. So ein tiefes Dröhnen, bei dem sich die Nackenhaare aufstellen. Das Horn der Plünderer, das wusste ich sofort.« Titus atmet tief durch, um sich etwas zu beruhigen, was ihm aber nicht gelingt. »Ich habe gar nicht lange nachgedacht und bin zur Glocke gerannt, um alle zu warnen. Wenn ich an die Geschichten der Händler denke …«
Auch Spark hat schon schlimme Geschichten von Plünderern gehört. Doch bis jetzt sind sie nie in der Nähe ihres Dorfes aufgetaucht.
»Was ist mit Zogrit?«, will er von Titus wissen.
»Er steht kampfbereit am Tor. Aber die Angreifer halten sich noch am Waldrand versteckt.«
In diesem Moment kommt ein weiterer Pfeilhagel über die Mauer geschossen. Instinktiv ziehen alle die Köpfe ein, obwohl sie im Schutz der Mauer hocken.
Spark überlegt fieberhaft. Sie brauchen Verstärkung, so viel steht fest. Am besten an jedem Tor, falls die Plünderer von allen Seiten angreifen.
»Okay, hört genau zu«, wendet er sich schließlich an die anderen. »Lauft zur Dorfmitte und sagt allen Bescheid, dass sich die waffenfähigen Dorfbewohner ausgerüstet auf alle Tore verteilen sollen, nur für alle Fälle. Dann kommt ihr wieder zurück und bringt so viele Waffen mit, wie ihr tragen könnt. Schickt die Frauen und Kinder in die Kirche, sie sollen sich dort verstecken. Wir wissen nicht, worauf es die Plünderer abgesehen haben und wie viele es sind. Wir dürfen auf keinen Fall zulassen, dass sie in unser Dorf eindringen. Habt ihr verstanden?« Sparks Stimme überschlägt sich fast, dabei ist er sonst die Ruhe in Person. Deshalb vertrauen ihm die Dorfbewohner und hören gern auf seinen Rat. Doch die Panik im Dorf geht auch an ihm nicht spurlos vorbei. Aber wenn er sich nicht zusammenreißt und ausgerechnet jetzt seine Angst zeigt, bricht nur noch mehr Chaos aus. Und nur panisch durch die Straßen zu rennen, hilft niemandem. Wenn die Plünderer es schaffen, die Mauer zu überwinden, ist das Dorf verloren. Er muss einen kühlen Kopf bewahren, um seine Heimat zu retten.
***
Alle scheinen froh zu sein, dass Spark die Kontrolle übernimmt, und machen sich sofort auf den Weg. Nur Titus bleibt wie angewurzelt vor der Glocke stehen. Er hat das Seil so fest in der Hand, dass die Fingerknöchel weiß hervortreten. Wenisgtens hat er aufgehört, wie verrückt zu läuten.
»Bleib in Deckung, ich schau mir das mal näher an«, sagt Spark. Bevor Titus etwas erwidern kann, läuft er geduckt zur Schutzmauer, die das Dorf umgibt, und stellt sich auf einen großen Stein, um hinübersehen zu können. Die Angreifer treten gerade zwischen den Bäumen hervor. Es sind tatsächlich Plünderer. Sie sind zu sechst und halten ihre Armbrüste schussbereit. Der Anführer der Gruppe trägt ein großes Banner auf dem Kopf, dessen hellgrauer Stoff von einem dunklen Rahmen eingefasst ist. Die Kleidung der Angreifer ist braun und dunkelgrün. Auf der Lichtung vor der Mauer sind sie gut zu erkennen, zwischen den Bäumen am Waldrand waren sie jedoch bestens getarnt. Zielstrebig und mit zügigen Schritten laufen sie geradewegs auf das Dorf zu.
Spark zieht sich zur Glocke zurück. »Sechs Plünderer. Und sie haben ein ganz schönes Tempo drauf. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit«, sagt er besorgt zu Titus. »Hoffentlich kommen die anderen schnell zurück.«
»Ja, da hinten sehe ich sie schon«, erwidert Titus aufgeregt und zeigt auf Bognut, Karl und Arthur, die mit rasselnden Kettenhemden und wackelnden Helmen die Hauptstraße entlangeilen. Jeder trägt so viele Waffen bei sich, wie er tragen kann – Armbrüste, Pfeile, Schwerter und Schilde.
Um sich vor weiteren Pfeilen der Plünderer zu schützen, biegen die drei auf einen kleinen Trampelpfad ab, der direkt zur Glocke führt. Sie stoßen schnell zu Spark und Titus und laden ihre Ausbeute ab.
»Gerade rechtzeitig«, sagt Titus, während Spark die Ausrüstungsgegenstände überfliegt.
»Der Waffenschmied hat ganze Arbeit geleistet«, sagt Pfeilmacher Bognut. Seinen sonst so geliebten Lederhut mit Federn hat er gegen einen einfachen Helm eingetauscht. »Er hat uns gleich mehrere Waffen und Schilde mitgegeben.«
»Ausgezeichnet!« Spark spürt, wie die Angst ein bisschen von ihm abfällt. Mit ihm stehen dreizehn kampffähige Männer im Dorf bereit. An den anderen Toren sollten sich jeweils drei Dorfbewohner postiert haben, Spark und seine Mitstreiter würden zu fünft am Osttor kämpfen.
»Wenn wir Zogrit mitzählen, sind wir zahlenmäßig mit den Angreifern gleichauf. Damit stehen unsere Chancen gut, das Tor verteidigen zu können – trotz teilweise fehlender Rüstungen«, sagt Spark zuversichtlich. »Wir sollten uns aufteilen. Zwei von uns schützen die anderen mit den Schilden. Der Rest geht dahinter in Deckung und schießt mit den Armbrüsten auf die Plünderer. Im besten Fall geben sie auf und drehen wieder um. Falls nicht, sollten wir zumindest einige außer Gefecht setzen, bevor sie überhaupt am Tor ankommen. Danach können Zogrit und diejenigen mit Rüstung in den Nahkampf übergehen. Zielt zur Not auf ihre Arme, damit sie ihre Waffen nicht mehr benutzen können. Wir müssen uns jeden möglichen Vorteil verschaffen, sonst überrennen sie uns. Karl, Arthur – ihr nehmt die Schilde!«
Steinmetz Karl und Grobschmied Arthur nicken.
»Also gut, Männer, dann schnell zum Tor, bevor die Plünderer dort sind!«
***
Die Plünderer sind noch nicht am Tor angekommen, als Spark und seine Kameraden eintreffen. Sie sind aber gefährlich nah, so dass Karl und Arthur mit den Schilden vorangehen. Geduckt laufen Spark, Titus und Bognut hinter ihnen her und schießen auf die Plünderer, die nun ebenfalls die Dorfbewohner ins Visier nehmen. Mit grimmiger Miene schicken sie einen Pfeil nach dem anderen los. Ihre dicken dunklen Augenbrauen sind zornig zusammengezogen, ihre Augen leuchten in einem kalten Grün.
Wie es sich für einen Eisengolem gehört, scheint Zogrit nicht sehr beeindruckt von den Angreifern zu sein. Vom Tor aus läuft er ihnen einfach entgegen, ohne dass die Pfeile ihm etwas anhaben können.
Spark und die anderen Männer versuchen währenddessen, die heraneilenden Plünderer zu treffen. Spark verfehlt zunächst sein Ziel. Er legt erneut an, atmet tief durch und stellt sich vor, auf Übungsstatuen zu schießen. Diesmal trifft er einen Plünderer am Bein. Der Angreifer schreit auf, läuft aber trotzdem weiter, ohne sich den Pfeil aus dem Bein zu ziehen. Er kommt zwar nur noch humpelnd voran, scheint sich davon aber nicht aufhalten zu lassen.
Verdammt!, flucht Spark innerlich. Selbst ein weiterer Treffer macht dem Plünderer nicht viel aus. Spark merkt, wie das auch seine Mitstreiter verunsichert.
»Weiter so, wir schaffen das!«, macht er ihnen Mut. »Der Erste ist bereits verwundet!«
Titus und Bognut zielen noch einmal mit ruhigerer Hand. Zwei weitere Plünderer werden getroffen, einer davon am Arm, so dass er Probleme hat, seine Armbrust festzuhalten. Karl und Arthur leisten unterdessen gute Arbeit und können die gegnerischen Pfeile mit den Schilden abhalten. Es stecken schon einige im Holz. Manche haben es durch die Wucht beim Aufprall sogar geschafft, mit der Spitze das Holz zu durchbrechen. Trotzdem gelingt es den beiden mit zusammengebissenen Zähnen, die Schilde hochzuhalten.
»Wir lassen sie nicht ins Dorf!«, ruft Arthur kämpferisch und verstärkt seinen Griff.
Die Plünderer achten nicht auf ihre Verletzungen an Armen und Beinen und greifen weiter an. Zogrit hat sie mittlerweile erreicht und versucht sie zu packen, um sie in die Luft zu schleudern. Geschickt weichen sie ihm aus. Sie rufen sich Dinge in einer fremden Sprache zu, und während zwei der hinteren Plünderer weiterhin auf Spark und die anderen schießen, ändern die vier vorderen plötzlich ihre Strategie. Sie stürzen sich gleichzeitig auf Zogrit und bringen ihn zu Fall. Mit einem dumpfen Aufschlag fällt der Golem ins feuchte Gras und kann sich mit gleich vier Angreifern auf seiner Brust nicht mehr hochstemmen.
Spark und die anderen werfen sich entsetzte Blicke zu. So etwas haben sie noch nie gesehen. Die Plünderer handeln überlegt und als Gruppe, deshalb sind sie so gefährlich. Anscheinend ist es ihre Taktik, die Dorfbewohner mit Pfeilen fernzuhalten, um sich währenddessen den Golem zu schnappen. Wegen des anhaltenden Pfeilhagels ist es so gut wie unmöglich, nahe genug an Zogrit heranzukommen, um ihn zu befreien. Und offenbar schaffen sie es auch nicht, die Plünderer mit ihren kläglichen Treffern zu erledigen.
Aber Spark will nicht aufgeben. Er legt den nächsten Pfeil an und schießt wütend auf einen der Plünderer, der den Golem am Boden hält. Der Pfeil streift die Schulter des Plünderers, der nun seinen Griff um den Arm des Golems verstärkt. Zu zweit versuchen sie dann, Zogrit an den Armen vom Dorf wegzuziehen. Die anderen beiden stehen auf und schießen weiter mit ihren Armbrüsten auf die Verteidiger des Dorfes, ohne sich jedoch zu nähern. Haben sie es etwa nur auf Zogrit abgesehen? Verbissen schießen Spark, Titus und Bognut auf ihre Feinde, bis keine Pfeile mehr übrig sind.
Niedergeschlagen von der Erkenntnis, Zogrit nicht helfen zu können, ziehen sich die fünf hinter die Steinmauer am Tor zurück. Zogrit brüllt und versucht sich irgendwie zu wehren, aber gegen den festen Griff von zwei Gegnern gleichzeitig hat er keine Chance. Spark und seine Freunde können nur noch dabei zusehen, wie er von den Plünderern in Richtung Wald gezerrt wird.
Die Stille ist erdrückend. Für Spark fühlt es sich an, als wäre er unter Wasser. Mit ausdruckslosen Blicken starren die Dorfbewohner ins Leere. Das Erste, was Spark wieder hört, ist das leise Rascheln der Fichtennadeln im Wind. Er schluckt, doch es bleibt ein bitterer Geschmack zurück. Mit einer Hand an der Mauer abgestützt richtet er sich auf und schaut durch das Tor. Wo der Golem mitgeschleift wurde, hat das feuchte, saftig grüne Gras nun tiefe Furchen. Überall stecken Pfeile im Boden und erinnern an den verlorenen Kampf.
»Sie sind weg«, sagt er erschöpft zu den anderen, die langsam aus ihrer Starre erwachen.
»Das ist nicht deine Schuld. Wir haben alles gegeben, was wir konnten«, sagt Titus.
»Wir sollten nachsehen, wie es an den anderen Toren aussieht. Hoffentlich bleibt Zogrit der einzige Verlust heute.« Spark seufzt. »Ich denke es ist sinnvoll, wenn du erst mal hierbleibst, Titus. Immerhin ist das Tor jetzt unbewacht. Wenn sich etwas Ungewöhnliches ereignet, läutest du wieder die Glocke.«
Titus nickt.
»Gute Idee!«, meint auch Karl. »Titus hält hier ein Auge offen und wir schauen uns um.«
Das Dorf mit seinen dreißig Bewohnern ist nicht besonders groß, und die dunklen Holzhütten der Dorfbewohner stehen angenehm weit auseinander, so dass jeder einen schönen Garten hat. Hinter den Fenstern leuchten verschiedene Blumen, die von Fensterläden mit Holzschnitzereien eingerahmt werden. Alles wirkt unversehrt, Sparks Stimmung hebt sich aber trotzdem nicht. Schweigsam und in Gedanken versunken läuft er neben den anderen her. Die Schuldgefühle lassen ihn einfach nicht los. Vielleicht wäre alles anders ausgegangen, wenn er andere Entscheidungen getroffen hätte. Vielleicht hätte er doch mehr Verstärkung am Osttor gebraucht. Fest entschlossen, die Entführung des Golems nicht zu akzeptieren, geht er mit Bognut, Karl und Arthur weiter in Richtung Dorfmitte.
Erst an der Kreuzung der beiden Hauptstraßen begegnen ihnen die ersten Dorfbewohner, die immer noch völlig durcheinander wirken.
»Hey, kann uns jemand schnell auf den neuesten Stand bringen?«, ruft Spark zwei vorbeieilenden Bewohnern zu. Außer Atem bleiben sie stehen.
»Wir kommen gerade vom Nordtor«, erklärt Dorus, der Fleischer des Dorfes. »Dort sind auch Plünderer aufgetaucht. Sie haben mit Pfeilen auf das Dorf geschossen, sind aber nicht besonders nah gekommen. Nach kurzer Zeit haben sie sich wieder zurückgezogen.«
»An den anderen Toren gab es keine Angriffe, soweit wir es mitbekommen haben«, fügt Gerber Olaf hinzu. »Aber ihr seht ziemlich mitgenommen aus. Ist bei euch alles in Ordnung?«
»Keine Sorge, wir haben nur Kratzer abbekommen«, erwidert Spark, »aber das Osttor hat es schlimm erwischt. Wir konnten die Plünderer nicht davon abhalten, Zogrit zu überwältigen. Sie haben ihn vor unseren Augen verschleppt.«
Mit offenem Mund starren Dorus und Olaf die anderen an.
»Verschleppt?«, stoßen beide gleichzeitig hervor.
»Aber … aber das macht doch überhaupt keinen Sinn!«, ergänzt Olaf ungläubig.
»Wir haben alles gegeben, aber wir konnten nichts gegen die Plünderer ausrichten«, erzählt Arthur. »Sie haben sich auf Zogrit geworfen und ihn überwältigt. Wer weiß, was sie mit ihm vorhaben.«
Spark runzelt die Stirn, so dass seine Augenbrauen fast unter seinen blonden Haaren verschwinden. »Ich habe auch noch nie gehört, dass ein Eisengolem verschleppt wurde. Um ihn loszuwerden, hätten sie ihn einfach töten können. Sie müssen irgendeinen Plan haben. Aber egal, was die Plünderer aushecken, ich werde nicht zulassen, dass sie Zogrit dafür benutzen. Ich werde ihn befreien!«, verkündet er mit fester Stimme. »Die Spuren im Gras sind noch frisch. Wenn ich ihnen folge, finde ich bestimmt heraus, wo die Plünderer ihn hingebracht haben.«
»Das willst du wirklich machen?«, fragt Karl. »Du bist doch auch nicht für den Kampf ausgebildet, genau wie wir.«
Auch die anderen schauen ihn ungläubig an.
Spark stemmt die Hände in die Hüfte. »Ja, wir sind einfache Leute, und heute wurden wir überfallen und besiegt, weil wir nicht auf einen Angriff vorbereitet waren. Aber Zogrit ist unser Freund. Er bewacht schon seit Jahren tapfer unser Dorf, und ich werde ihn ganz bestimmt nicht im Stich lassen. Mit dieser Entführung dürfen die Plünderer nicht einfach so davonkommen!«
Die anderen nicken zustimmend.
»Ich weiß, dass ihr das Dorf nicht verlassen wollt. Das kann ich gut verstehen. Aber nach diesem Angriff ist es wichtiger denn je, für Sicherheit und Schutz zu sorgen. Am besten wäre es, wenn ihr das Tor mit Steinen verschließt. Selbst wenn jemand am Osttor Wache hält und einen weiteren Angriff mit der Glocke ankündigt, ist das Dorf ohne Zogrit in großer Gefahr.«
»Du hast recht«, meint Karl. »Wir kümmern uns darum. Zuerst sollten wir aber die Frauen und Kinder aus der Kirche holen und ihnen mitteilen, dass der Angriff vorüber ist. Sie sind bestimmt schon ganz krank vor Sorge.«
»Gut, dann bereite ich mich auf meine Mission vor«, sagt Spark.
»Viel Glück!«, wünschen ihm alle im Chor.
Während Karl sich mit ein paar anderen in Richtung Kirche wendet, hebt Spark kurz die Hand zum Abschied und macht sich auf den Weg zu seinem Haus. Ihm schwirren unzählige Fragen durch den Kopf. Wohin haben die Plünderer den Golem gebracht? Geht es ihm gut? Was haben sie mit ihm vor? Und wie soll er ihn befreien, falls er ihn überhaupt findet? Vor den anderen wollte er keine Schwäche zeigen, aber insgeheim ist er sich nicht sicher, ob er sich sein Vorhaben auch gut überlegt hat. Rasch schüttelt