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Rolf Dieckmann

KALTHAUS

Kriminalroman

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*Alle in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären zufällig und sind nicht beabsichtigt.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Die Personen

Der Autor

1

Obwohl der Raum beheizt war, spürte die Frau, wie die Kälte an ihren Beinen hinaufkroch. Fahles Licht fiel durch das einzige Fenster auf den Tisch, an dem das Paar für wenige, aber quälende Minuten schweigend saß.

Die Frau räusperte sich. „Ich glaub, ich kann das nicht!“

Die Stimme des Mannes war rau, so, als hätte er lange mit niemandem gesprochen.

„Erzähl keine Scheiße. Natürlich kannst du das. Ich hab dir doch schon zigmal erklärt, wie du das machst.“

Die Frau hatte sich eine Zigarette angezündet, sog den Rauch tief in die Lunge ein und stieß ihn hörbar aus.

„Und wenn sie mich dabei erwischen?“

Der Mann ließ ein verächtliches Lachen hören.

„Na und? Mit einer alten Frau wirst du ja wohl noch fertig werden. Hau ihr eins über die Rübe oder stich sie ab.“

Die Frau stieß erneut eine blaue Wolke aus.

„Und wenn ich mich weigere?“

Der Mann antwortete nicht sofort, stand auf, ging ein paar Schritte durch den Raum, bis er hinter der Frau stand. Sie drehte sich nicht zu ihm um, sondern starrte auf die gegenüberliegende Wand. Er streckte den Zeigefinger aus und bohrte ihn schmerzhaft in ihren Rücken.

„Dann sorge ich dafür, dass du wieder dahin zurückkehrst, wo du hergekommen bist. Allerdings werden sie dich dort nicht gleich erkennen, weil dein hübsches Gesicht etwas anders aussehen wird als jetzt.“

Die Frau starrte ohne eine Regung geradeaus. Sie kannte ihn lange genug, um zu wissen, dass seine Worte nicht nur eine leere Drohung waren.

2

Der Kerl mit der schwarzen Sturmhaube kam direkt auf ihn zu gerannt. Corvin griff an seinen Gürtel, an dem seine Heckler & Koch in einem Holster stecken musste. Doch da war nichts. Jetzt war er dicht vor ihm. Corvin ballte die Faust, holte aus und schlug zu, doch der Schlag ging ins Leere. Er spürte die heftigen Schmerzen in der Schulter, als habe ihn ein Stromschlag getroffen. Trotzdem schlug er noch einmal zu, spürte abermals nur die Luft und den stechenden Schmerz. Der Maskenmann gab ein metallisches Lachen von sich, dann zog er einen großkalibrigen Revolver, spannte den Hahn, zielte genau auf die Stelle zwischen Corvins Augenbrauen und drückte ab. Der Schuss war hart und trocken, Sekunden später folgte der zweite.

Corvin krümmte sich im Liegen, um sich gleich darauf kerzengerade aufzurichten. Schweiß rann ihm über Gesicht und Rücken. Was für ein Scheißtraum, dachte er für eine Zehntelsekunde, bevor das Band zwischen ihm und der tiefschwarzen Illusion in seinem Kopf zerriss.

Ein dritter Schuss ließ ihn aus dem Bett springen und in Sekundenschnelle realisieren, dass dieser nicht aus einer Waffe kam, sondern von einem offenbar ziemlich harten Knöchel stammte, der gegen die Scheibe seines Schlafzimmerfensters pochte.

„Erik, schläfst du etwa noch?“

Die Stimme erkannte Corvin sofort. Erwin Wohlleben wohnte in dem kleinen Landarbeiterhaus zwei Grundstücke rechts von ihm und hatte ein ziemlich lautes Organ, weil er gewohnt war, gegen die laufenden Motoren von Treckern und anderen landwirtschaftlichen Maschinen an zu brüllen. Jetzt war er Rentner, pflegte nach dem Tod seiner Frau den Gemüsegarten und brauchte eigentlich gar nicht mehr zu brüllen. Doch die Lautstärke hatte sich so eingestellt wie bei einem defekten Radio, bei dem der Regler festsaß.

Corvin riss die Vorhänge auf und gleich danach das Fenster.

„Scheiße, Erwin, hast du mich erschreckt.“

Erwin lachte.

„Erschreckt? Ich denke, du warst mal Polizist. Da darf man sich doch nicht erschrecken.“

Corvin sagte nichts, zuckte mit den Schultern und gähnte herzhaft. Er drehte sich um und schaute auf den Wecker, der auf seinem Nachtschrank stand.

„Das ist ja erst kurz nach sieben. Leidest du an präseniler Bettflucht?“

Erwin schaute ihn erstaunt an.

„An wat? Sieben ist doch `ne gute Zeit. Du wolltest doch von mir wissen, wo du dein Gewächshaus am besten hinbaust.“

Corvin nickte, kniff sich mit Daumen und Zeigefinger in die Nasenwurzel und fuhr dann mit gespreizten Fingern durch seine Haare.

„Stimmt. Das hatte ich ganz vergessen.“

Erwin wollte gerade etwas sagen, als Corvin den Zeigefinger vor seine Lippen hielt.

„Bitte, Erwin, eine Spur leiser, wenn’s geht. Schwerhörig bin ich noch nicht.“

Erwin lachte und sprach fast im Flüsterton.

„Ist das so leise genug? Ich wollte dir nur sagen, dass für alles, was du im Garten machst, die frühen Morgenstunden die besten sind. Also los, zieh dir was an und komm raus.“

Corvin zuckte ein weiteres Mal mit den Schultern.

„Aber einen Kaffee gestattest du mir doch?“

Zehn Minuten später saßen beide Männer mit jeweils einer Kaffeetasse in der Hand auf dem am Boden liegenden Kastanienstamm. Schweren Herzens hatte Corvin den großen Baum fällen lassen, weil er von einem aus Asien eingeschleppten Krebs befallen und nicht zu retten war. Die drei anderen waren bisher verschont geblieben. Die vier riesigen Kastanienbäume waren für Corvin immer ein Wegweiser gewesen. Sie erinnerten ihn an den Tag, als er Hamburg verlassen hatte, in seine alte Heimat, das Wendland, zog und sich mithilfe seines Kinderfreundes Andi, der auch Polizist geworden war, eine neue Existenz aufgebaut hatte. Aber dann war plötzlich alles ganz anders gekommen. Tante Frieda hatte ihm nach ihrem unerwarteten Tod den Hof vermacht und mit den Pachteinnahmen für die Ländereien konnte er sich ein komfortables Leben leisten. Den Polizeidienst hatte er – nach einem handfesten Skandal – für immer quittiert. Das einzige, was ihm im Weg stand, war er selbst. Erik Corvin, der eigentlich Enrico hieß, neigte dazu, das Glas halbleer zu sehen, war meistens introvertiert, konnte aber ohne Vorwarnung erheblich ausrasten. Trotzdem wurde er gemocht. Er war zuverlässig, hilfsbereit und manches weibliche Auge blickte etwas länger hin, denn der scheinbar ungehobelte 46-jährige Kerl aus Hamburg-Ottensen konnte auch charmant sein und hatte sogar eine sehr sensible Seite. Man musste sie nur erkennen. Dass er in Hamburg jahrelang die Sologitarre in einer Rockband gespielt hatte und nun auch hier im Wendland hin und wieder seine Stratocaster aus dem Gitarrenkoffer holte, um mit anderen Musikern eine Spontansession abzuhalten, verstärkte diesen Eindruck erheblich.

Erwin hatte sich zu einem Kaffee überreden lassen und nun saßen die beiden Männer auf dem Stamm und schauten in den noch jungen Tag. Erwin nahm einen letzten Schluck und machte eine Kunstpause.

„Hörst du eigentlich noch mal was von Bettina?“

Corvin begann, ganz langsam mit dem Kopf zu nicken.

„Ja, ab und zu bekomme ich eine E-Mail von ihr. Naja, es war ja auch mehr oder weniger meine Initiative, dass sie ihr Studium zu Ende führen sollte. Ich hatte eigentlich mehr an Lüneburg gedacht, aber da bekam sie keinen Platz, und nun ist sie schon fast ein Jahr in München.“

Erwin wiegte den Kopf hin und her.

„Stimmt. Das ist nicht gerade in der Nähe. Was studiert sie denn eigentlich?“

„Kommunikationsmanagement.“

„Kommu-was? Und was kann man damit anfangen?“

Corvin grinste.

„Stell dir das mal so vor: Du baust ganz tolles Gemüse an, aber keiner weiß was davon. Da brauchst du einen, der das unter die Leute bringt.“

Erwin zog die Augenbrauen hoch.

„Ach, ich verstehe. Du meinst Reklame!“

Für ein paar Sekunden suchte Corvin im Kopf nach einer Berufsbilddefinition des Kommunikationsmanagers, dann ließ er es bleiben.

„Genau!“

Erwin stellte die Kaffeetasse auf den Boden.

„Gute Sache. Aber dass man dafür extra nach München ziehen muss?“

Im nördlichen Teil des Landes beendete man aufkommende Diskussionen, die schwierig zu werden drohen, meistens mit einvernehmlichem Schweigen. So auch in diesem Fall. Mehrere Minuten vergingen.

Corvin zog die Mundwinkel nach unten.

„Bisher hatte ich ja relativ wenig Glück mit meinem Gemüseanbau. Die Salatpflanzen haben die Schnecken gefressen, die Karotten waren völlig durchlöchert und die Radieschen sind gar nicht erst gekommen.“

Erwin schüttelte den Kopf.

„Eben. Und darum solltest du die Pflanzen möglichst frühzeitig im Treibhaus ziehen und sie dann auspflanzen, wenn sie kräftig genug sind. Weißt du, wo der ideale Platz auf diesem Hof dafür wäre?“

Corvin schaute ihn fragend an.

„Da, wo jetzt das alte Kalthaus steht.“

Corvin nickte nachdenklich und drehte seinen Kopf zu dem kleinen, alten Backsteinhaus, das zwischen dem ehemaligen Schweinestall und dem Wohnhaus stand.

Kalthäuser gab es in vielen Dörfern des Wendlands. Sie waren eine Erfindung aus den späten fünfziger Jahren. Von außen sahen sie aus wie ein Siedlerhäuschen, von innen glichen sie einem überdimensionalen Kühlschrank. Eigene Kühlschränke, geschweige denn Tiefkühltruhen, hatte zu jener Zeit noch keiner besessen, einige Häuser hatten nicht einmal Strom bezogen. Dort saß man am Abend immer noch beim Schein der Petroleumlampe. Im Kalthaus eingebaut war ein großes und lautes Aggregat, das für die gewünschte Kälte sorgte. Es gab nummerierte Fächer, in die das Kühlgut gelegt werden konnte und mit einem eigenen Vorhängeschloss gesichert wurde. Und es gab auch größere Abteile, in die man problemlos ein halbes Schwein oder ein frisch erlegtes Reh hängen konnte. Die Kosten für den Stromverbrauch wurden auf die Nutzer umgelegt und es wurde penibel darüber Buch geführt, wer wo was wie lange gelagert hatte. Bis zur Schließung des Kalthauses, als schließlich jeder Dorfbewohner Gefriertruhen und Kühlschränke besaß, hatte Tante Frieda das gemacht. Auch den Mantel, der seit Jahrzehnten an dem Haken für Besucher hing, die mal wieder vergessen hatten, wie saukalt es im Kalthaus war, hatte sie stets ausgebürstet und in Ordnung gehalten.

Nachdem Erwin gegangen war, ging Corvin zurück ins Haus. Tagelang hatte er es vor sich hergeschoben, aber jetzt musste er endlich einmal die Unterlagen für den Steuerberater zusammenstellen. Gab es noch irgendeine Ausrede, die er sich selbst gegenüber benutzen konnte? Ihm fiel keine ein. Seufzend setzte er sich an den Küchentisch und schüttete den DIN-A4-Umschlag mit den Belegen vor sich aus. „Dann woll‘n wir mal“, sagte er zu sich selbst.

Nach drei Stunden hatte er alles geordnet und war zufrieden mit sich. Plötzlich fiel ihm das Kalthaus wieder ein. Sollte er den alten Kasten wirklich abreißen lassen? Ein Schmuckstück stellte es auf dem Hof ganz sicher nicht dar. Er erinnerte sich, dass er es sich nur einmal ganz am Anfang von innen angesehen hatte und ihm angesichts der nummerierten Fächer eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Leichenschauhaus aufgefallen war.

Ist ja auch richtig, hatte Tante Frieda gesagt, da sind ja auch Leichen drin, allerdings solche, die vier Beine oder zwei Flügel haben. Das war etwas makaber, aber ziemlich realistisch, hatte Corvin damals gedacht. Er erhob sich und ging durch die Küchentür auf den Hof.

Der große, inzwischen etwas rostige Schlüssel hing noch immer rechts neben der Tür, da, wo er seit Jahrzehnten hing. Corvin fragte sich, warum man eigentlich die Tür immer abschloss, wenn sich jeder mit dem nicht zu übersehenden Schlüssel Zugang verschaffen konnte. Aber Gewohnheiten waren meistens nicht erklärbar. So haben wir das immer gemacht, war die stets wiederkehrende Antwort, und der Hinweis auf Widersprüche wurde nicht akzeptiert. Er schloss die Tür auf und drückte die ebenfalls mit Rost überzogene Klinke hinunter. Mit einem leisen Knarren öffnete sich die Tür.

Durch die Fenster des Vorraums schien das Sonnenlicht auf das gerahmte Schwarz-Weiß-Foto an der Wand. Zu sehen war die Dorfgemeinschaft in Festtagskleidung, die das Wunderwerk moderner Kühltechnik in Besitz nahm. In einer der jungen Frauen konnte er Tante Frieda erkennen. So Anfang zwanzig musste sie gewesen sein. Der Hof gehörte ihren Schwiegereltern, die großzügig den Bauplatz für die Allgemeinheit gestiftet hatten.

Die Tür zu den Kühlfächern klemmte. Corvin hob den rechten Fuß, umfasste die Klinke mit beiden Händen und trat mit einem gleichzeitigen Ruck gegen die Wand. Die Tür flog auf, Corvin wurde ein Stück zurückgeworfen und riss dabei das Bild von der Wand. Der Rahmen zerbrach, das Glas splitterte.

Mist, zischte er, als er das Foto vorsichtig zwischen den Scherben hervorzog und auf die Fensterbank legte. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass Tante Frieda ihn auf dem Foto tadelnd ansah. Auch die anderen, so schien es ihm, schauten ernst und missbilligend.

„Ja, ja“, sagte er laut, „regt euch nicht auf. Ich bringe das schon wieder in Ordnung.“

Im Kühlraum war es dunkel und muffig. Corvin tastete suchend die Wand ab und fand einen alten Kippschalter. Die Leuchtstoffröhre an der Decke flackerte ein paar Mal auf, bevor sie den Raum in kaltes Licht hüllte. Abermals hatte er die Impression, in einem Leichenschauhaus zu stehen.

Die Türen der nummerierten Fächer standen weit auf, auch die der größeren Abteile waren geöffnet. Nur das Fach mit der Nummer elf war geschlossen, der Riegel übergelegt und mit einem Vorhängeschloss gesichert.

Auf einem schmalen Tisch an der Wand lag das in schwarzes Leinen gebundene Protokollbuch. Hier wurden alle Einlagen und Entnahmen fein säuberlich eingetragen. Corvin schlug es auf und bewunderte für einen Augenblick die kunstvolle Schrift. So kann heute kein Mensch mehr schreiben, dachte er. In einigen Schulen, so hatte er gelesen, wurde sogar diskutiert, die Schreibschrift gänzlich abzuschaffen. Was für ein Irrsinn.

Er blätterte, bis er auf die Seite mit der letzten Eintragung gelangte. Hier war protokolliert, dass ein gewisser Heinrich Gebhard am sechsten Juli 1986 seinem Fach mit der Nummer neunzehn zwei Kaninchen und eine offenbar versehentlich geschossene Fasanenhenne entnommen hatte. Danach gab es keine weiteren Vermerke.

Er klappte das Buch zu und ging zurück zum verschlossenen Fach mit der Nummer Elf. Das Vorhängeschloss sah relativ neu aus. Einen Augenblick dachte er nach, dann drehte er sich um, verließ das Kalthaus, ohne die Tür zu schließen, und ging über den Hof in Richtung Stallgebäude.

„Wohin so eilig, junger Mann?“

Corvin drehte sich um. Die linke Faust in die Hüfte gestemmt, die andere eine ältere Einkauftasche aus Leinen mit der Aufschrift „Esst mehr Obst!“ haltend, stand Lieselotte Lorenz hinter ihm.

Corvin grinste.

„Ach, Lilo, schön, dass du kommst. Ich habe einen ziemlichen Kohldampf.“

Lieselotte, die alle nur Lilo nannten, hatte Corvin beim Osterfeuer angesprochen. Ob er denn nicht eine Hilfe im Haushalt benötige? Sie könnte jeden Tag drei Stunden kommen, ihm etwas kochen und das Haus in Ordnung halten. Bei einem Mann allein im Haus sei es doch nur eine Frage der Zeit, wann der Zustand völliger Verwahrlosung einträte. Das alles hatte sie in einem Ton gesagt, dem nichts entgegenzusetzen war. Allerdings wollte er sich nicht gleich entscheiden. Er würde darüber nachdenken und sie dann am folgenden Tag anrufen.

Sie hatte die Augenbrauen hochgezogen und ihn scharf angesehen. Die Finger zum Schwur angehoben, hatte er mit lauter Stimme ein „Versprochen!“ von sich gegeben.

Am nächsten Tag hatte er Erwin gefragt und der hatte nur genickt.

„Lilo ist in Ordnung. Die hat drei Kinder von drei verschiedenen Männern, die alle die Kurve gekratzt haben. Darum ist sie ständig klamm. Sie ist zwar ein ziemlicher Besen, aber den Haushalt macht sie mit links. Sie arbeitet auf Teilzeit in einem Pflegeheim, aber das wird schlecht bezahlt. Gib ihr doch den Job!“

Bereut hatte Corvin es nicht, der schwergewichtigen Lilo zugesagt zu haben. Trotz ihrer Körperfülle bewegte sie sich mit atemberaubender Geschwindigkeit durch die Küche, schien immer drei Dinge gleichzeitig zu erledigen und erwies sich als fantasievolle Köchin. Das einzige, das ihn störte, waren ihre Selbstgespräche bei der Arbeit, in denen sie ankündigte und kommentierte, was sie gerade tat oder zu tun gedachte. Aber er musste ja auch nicht ständig neben ihr stehen.

„Ich habe das Bild im Kalthaus kaputt gemacht und werde es reparieren“, sagte er und setzte seinen Gang zum Stallgebäude fort.

Auch Lilo setzte sich wieder in Bewegung.

„Es gibt heute Senfeier mit Stampfkartoffeln. Gegessen wird um zwölf. Den Kassenzettel vom Einkauf lege ich auf den Tisch.“

Dann stapfte sie weiter. Corvin sah ihr nach und grinste. Es war schon eine gute Entscheidung gewesen. Auf eine gewisse Art waren sie sich ähnlich. Rauer Ton, aber herzlich. Und drei Stunden am Tag konnte er sie gut aushalten. Zehn Euro nahm sie die Stunde, und als er ihr sagte, er könne auch fünfzehn zahlen, hatte sie den Kopf geschüttelt und gesagt:

„DDR.“

Er hatte sie verständnislos angeschaut. Daraufhin hatte sie gelächelt.

„Danke, das reicht!“

3

Einen Teil des alten Stalls hatte Hermann Schulz schon vor Jahren zur Werkstatt umgebaut. Für jede Arbeit, die auf dem Hof anfiel, fand sich hier das passende Werkzeug. Man musste nur etwas Geduld haben, denn der Ordentlichste schien der alte Herr nicht gewesen zu sein. Den großen Bolzenschneider fand Corvin relativ schnell, denn er ragte zusammen mit Rohren verschiedener Größe aus einer Kiste hervor. Er packte ihn und ging schnurstracks über den Hof auf das Kalthaus zu.

Wieder stieg ihm der muffige Geruch nicht belüfteter, feuchter Mauern entgegen. Was mochte wohl in dem Fach liegen, dachte Corvin und machte sich mit dem Gedanken vertraut, auf etwas nicht gerade Appetitliches zu stoßen. Das störte ihn allerdings nicht mehr besonders, denn während seiner Arbeit bei der Kripo in Hamburg hatte es solche Funde relativ häufig gegeben. Ganz am Anfang seiner Laufbahn hatte er bei Leichen- und Verwesungsgeruch noch ein Würgen im Hals gespürt, aber mit den Jahren war auch das vorübergegangen.

„Dann woll’n wir mal“, sagte er wieder laut zu sich selbst und setzte den Bolzenschneider am Bügel des Billigschlosses an. Ein kurzer Knacklaut und der Bügel gab seinen Widerstand auf. Corvin stellte die große Zange beiseite und zog das Schloss aus dem Riegel. Wie antrainiert hielt er die Luft an und öffnete die Tür mit der Nummer elf.

Zwar roch es muffig, aber kein Verwesungsgeruch breitete sich aus. Er griff nach seinem Handy, schaltete die Taschenlampenfunktion ein und leuchtete in das Fach. Ganz nach hinten geschoben, bemerkte er einen blauen Plastiksack, den man für Müll benutzte. Er griff hinein und zog den am vorderen Ende mit grünem Blumendraht umwickelten und verschlossenen Beutel langsam nach vorn. Dazu musste er beide Hände benutzen, denn der Sack schien ziemlich schwer zu sein. Corvin stellte ihn auf den Fußboden. Langsam drehte er den Blumendraht auf, bis er wie von selbst absprang und er die Öffnung so weiten konnte, dass ein Blick auf den Inhalt möglich war.

„Heilige Scheiße“, entfuhr es ihm. Er drehte den Beutel wieder zu und schleppte ihn auf den Hof. Vorher löschte er das Licht im Kühlhaus.

„Erik, du kannst gleich essen“, ließ Lilo ihre Stimme, die jedem Feldwebel Ehre gemacht hätte, über den Hof tönen, um gleich die Frage anzuhängen:

„Was schleppst du denn da?“

„Altes Gerümpel“, antwortete Corvin kurz und knapp.

„Dann bring es doch gleich zum Container, morgen kommt die Müllabfuhr.“

Corvin schüttelte den Kopf.

„Ich will erst mal sehen, ob etwas Brauchbares dabei ist. In Hermanns Nachlass findet man meistens Sachen, die noch nützlich sind.“

Lilo zuckte mit den Schultern.

„Okay, aber das kannste auch nach dem Essen machen. Komm jetzt erst mal ins Haus.“

„Wird gemacht“, rief Corvin mit gespieltem Gehorsam zurück, „ich bringe nur eben den Sack in die Werkstatt.“

Die Eier in Senfsoße schmeckten hervorragend und das Sauerkirschkompott mit Vanillesoße war ebenfalls ein Gedicht. Das ließ ihn auch Lilos Redeschwall ertragen, die die Angewohnheit hatte, nicht mitzuessen, sich aber trotzdem an den Tisch zu setzen und ohne Punkt und Komma den neuesten Dorfklatsch zu kolportieren. Dabei ging es meistens um Leute, die Corvin gar nicht kannte, was Lilo aber ziemlich egal war.

Nachdem sie die dreißig Euro plus Ausgaben im Supermarkt kassiert und sich wieder auf ihr Fahrrad geschwungen hatte, um ans andere Ende des Dorfes zu radeln, schaute Corvin ihr nach und dachte, dass er eigentlich immer recht froh war, wenn sie wieder weg war. Andererseits konnte er sich ein Leben ohne Lilo gar nicht mehr vorstellen.

Er ging in den Stall, entfaltete eine drei mal drei Meter große Plane, mit der man gehacktes Brennholz vor Regen schützte, und breitete sie auf dem Boden aus. Dann hob er den Müllsack mit einem Ruck hoch, drehte ihn um und schüttete den Inhalt aus.

Ohne sich zu bücken, blieb er stehen und starrte minutenlang auf den großen Haufen von Banknoten. Hatte Tante Frieda hier ihr Gelddepot angelegt, weil sie der Bank nicht traute? Oder es gar vorm Finanzamt versteckt? Es waren Hunderter-, Fünfziger-, Zwanziger- und Zehnerscheine. Auch ein paar Fünfer konnte Corvin entdecken. Er ging in die Knie und ließ einige Geldscheine durch seine Hand gleiten. Wieviel mochte das sein? Er richtete sich wieder auf, holte zwei Malerböcke und wuchtete mit einem Stöhnen die große Leimholzplatte darüber, die hinten an der Wand stand. Dann bückte er sich und begann den unerwarteten Schatz zu ordnen.

Eine Stunde dauerte es, bis er die Scheine sortiert und die jeweiligen Werte auf einem Blatt Papier notiert hatte.

Mit dem Rechner seines Smartphones begann er zu addieren. Dann pfiff er leise durch die Zähne. Zweihundertsechsundfünfzigtausend Euro. Wie lange musste Tante Frieda gespart haben, um diese Summe zusammenzukriegen? Oder hatte sie vielleicht Land an einen Dunkelmann verkauft, der sein Schwarzgeld sicher unterbringen wollte? Egal, dachte er, erstmal musste er den Haufen Geld in Sicherheit bringen.

Er packte die Scheine zurück in den Plastiksack, warf ihn über die Schulter und ging über den Hof zum Wohnhaus. Irgendwo hatte er einen kleinen Koffer gesehen. Richtig, auf dem Kleiderschrank in Tante Friedas Schlafzimmer stand so ein Behältnis. Wahrscheinlich befand es sich dort seit Jahrzehnten, denn sie hatte nie erwähnt, dass sie jemals eine größere Reise gemacht hatte.

Er legte den Koffer auf das Bett, klappte ihn auf und fühlte sich in seiner Annahme bestätigt. Von innen sah er aus, als sei er so gut wie nie benutzt worden. Nur ein Hauch von Uralt Lavendel, Tante Friedas langjährigem Lieblings-Eau de Cologne, entströmte ihm. Das war nicht verwunderlich, denn alles, was mit Tante Frieda in Berührung gekommen war, war mit diesem Geruch behaftet. Stapel für Stapel nahm er die Banknoten aus dem Müllsack und verstaute sie in dem Koffer. Es dauerte nicht lange bis er voll war. Corvin überlegte. Dann fiel sein Blick auf den Gitarrenkoffer, in der seine geliebte Fender Stratocaster, in Musikerkreisen kurz „die Strat“ genannt, vor sich hindämmerte. Mit einem entschuldigenden Gesichtsausdruck nahm er sie heraus und stellte sie hochkant in den Kleiderschrank. Wie dafür gemacht, passte der Rest der Geldscheine hinein. Er legte ihn wieder auf das Bett, den Koffer von Tante Frieda zurück auf den Schrank. Dort hatten sich die beiden das ganze letzte Jahr über befunden und darum wäre es auffälliger, wenn sie plötzlich nicht mehr dort lägen, dachte er.

Ein kurzer Piepton aus seiner Hosentasche holte ihn aus seinen Gedanken. Er zog sein Handy hervor und stellte fest, dass sich sein Terminkalender gemeldet hatte. „Heute Abend neunzehn Uhr Fünfundzwanzigjähriges in der Wende“, las er.

Richtig. Noch vor zwei Tagen hatte ihn Frank Matthes, Wirt des Wendenhofs, von allen kurz die „Wende“ genannt, daran erinnert, dass er alle Stammgäste zu einem Umtrunk anlässlich des Jubiläums eingeladen hatte. Vor genau fünfundzwanzig Jahren hatten er und seine Frau Beatrix die heruntergekommene Dorfkneipe gekauft und daraus den Treffunkt und das Zentralorgan wendländischer Kommunikation gemacht. Das musste gefeiert und durfte auf keinen Fall versäumt werden.

4

Wenn in Hamburg eine Einladung für neunzehn Uhr ausgesprochen wird, kann man sicher sein, dass die ersten Gäste frühestens um halb acht eintreffen. Einige erst Stunden später, um zu dokumentieren, dass sie es gerade noch geschafft haben, diesen Termin dazwischenzuquetschen. Auf dem Land hingegen weiß jeder von jedem, ob er Zeit hat oder irgendeine Tante zu diesem Datum ihre Silberhochzeit feiert. Ausreden gibt es nicht, denn zeitgleiche Festivitäten sind auch solchen Nachbarn bekannt, die noch näher am Anlass wohnen. Abwesenheit wird nur durch Krankheit oder Tod entschuldigt.

Insofern wunderte es Corvin nicht, dass die „Wende“ bereits um viertel vor sieben brechend voll war. Nach mehr als einem Jahr im Wendland kannte er den Großteil der Stammgäste. Man nickte und winkte sich zu, schüttelte Hände und auch das obligatorische Küsschen links, Küsschen rechts hatte sich bei der Begrüßung weiblicher Gäste durchgesetzt. Weil es draußen angenehm warm war, blieben die meisten Besucher in kleinen Gruppen im Vorgarten stehen.

Frank Matthes, der auch im größten Trubel die Übersicht behielt, erwiderte seinen Gruß mit einem kurzen Anheben der Hand vom Tresen.

Jemand tippte Corvin von hinten auf die Schulter. Er drehte sich um. Andreas Feindt, Freund aus fernen Kindertagen und später Kollege bei der Polizei in Dannenberg, lachte über sein rundes Gesicht und blinzelte ihn über den Rand seiner Brille hinweg an.

„Rico, wir haben uns mindestens drei Wochen nicht gesehen. Ich dachte schon, du wärst nach Hamburg zurückgegangen.“

Corvin lachte.

„Keine Bange, Andi. Ab und zu ist es ja ganz schön, aber leben möchte ich nicht mehr in der Stadt. Prost!“

Beide hoben ihr Bierglas und nahmen einen kräftigen Schluck.

Corvin setzte das Glas wieder ab.

„Du glaubst gar nicht, was so ein Hof für Arbeit macht. Und wie läuft’s bei dir?“

Andi hatte sein Glas inzwischen geleert. Er zog die Mundwinkel nach unten.

„Nur Lappalien. Kein Serienmörder in Sicht. Dabei fällt mir ein …“

„Hallo, Andi …“

Eine Frau von etwa Mitte dreißig mit einer kastanienbraunen Kurzhaarfrisur blieb stehen und drehte sich zu ihnen um.

„… ich habe dich fast nicht erkannt.“

Andi schob mit dem Zeigefinger der rechten Hand seine Brille über die Nase nach oben.

„Mensch, Julia. Stimmt. Wir haben uns ewig nicht gesehen. Und ich bin inzwischen so schlank, dass man mich nicht mehr erkennt.“

Dabei zog er seinen nicht zu übersehenden Bauch ein und sog die Gesichtsbacken in die Mundhöhle ein. Beide lachten. Corvin betrachtete die Frau. Sie war kaum kleiner als Andi, hatte eine sportlich schlanke Figur, trug Jeans und ein weißes Sweatshirt, um den Hals eine feingliedrige Silberkette. Andi machte eine Handbewegung in Richtung Corvin.

„Ach, darf ich dir meinen Freund und ehemaligen Kollegen Rico … ääh … Erik Corvin vorstellen? Rico, das ist Julia Westhoff … aus?“

Er wandte sich wieder der Frau zu.

„Wohnst du eigentlich immer noch in Gartow?“

Julia nickte.

„Ja, jetzt wieder. Nachdem meine Mutter seit einem Jahr ein Pflegefall ist, wohne ich wieder dort. Eigentlich ist das Haus viel zu groß für uns beide. Aber so direkt am See, das findest du so schnell nicht noch mal.“

Corvin streckte ihr seine Hand entgegen.

„Erik Corvin, früher Hamburg, heute Waddeweitz.“

Er hatte sich inzwischen die wendländische Eigenart angewöhnt, zum Namen immer den Ort mit zu nennen, in dem man wohnte. Das lag wahrscheinlich daran, dass einige Nachnamen hier sehr häufig vorkamen und damit Verwechslungen vermieden werden sollten. Der Name Schulz war so häufig, dass neben dem Ort auch immer noch ein Kennwort hinzugefügt wurde wie Sparkassen-Schulz, Hühner-Schulz oder Mazda-Schulz.

Julia lächelte und schüttelte seine Hand.

„Corvin? Wie das Dorf? Aber irgendwie kommt mir Ihr Name bekannt vor.“

Corvin wollte etwas sagen, aber Andi fiel ihm ins Wort.

„Rico war mal des Öfteren in der Zeitung, als wir den Bogenschützen gejagt haben. Aber jetzt ist er nicht mehr Polizist, sondern Großgrundbesitzer.“

Corvin winkte ab. „Nun übertreib nicht. So groß ist der Grund nun auch wieder nicht. Übertreiben ist seine Spezialität, seitdem wir Kinder waren.“

Julia schaute ihn an und Corvin spürte trotz ihres Lächelns, dass eine gewisse Traurigkeit in ihren dunkelbraunen Augen sichtbar wurde.

„Wie schön, wenn man eine so lange Freundschaft führt. Das gibt es nicht alle Tage.“

Andi legte ihr die Hand auf die Schulter.

„Du hast ja gar nichts zu trinken, soll ich dir ein Bier oder eine Weißweinschorle holen?“

Sie schaute auf ihre Armbanduhr und schüttelte den Kopf.

„Das ist nett von dir. Aber ich muss noch zu einem Geburtstag. Ist die beste Freundin meiner Mutter. Da muss ich unbedingt hin. Wollte nur mal Frank und Beatrix zum Jubiläum gratulieren. Lasst euch aber dadurch nicht stören. Habt noch einen schönen Abend.“

Dann hob sie die Hand, drehte sich um und war kurz darauf im Gewühl der Gäste verschwunden.

Andi hob sein leeres Glas.

„Ich hole mir noch ein Bier. Soll ich dir eins mitbringen?“

Corvin antwortete nicht.

„Hey, Rico, ich hab dich was gefragt!“

„Wie? Was hast du gesagt? Ein Bier? Ja, gern.“

Andi nahm ihm das leere Glas aus der Hand, drehte sich um und verdrehte dabei die Augen.

„Ach herrje! Da hat’s wohl jemanden wieder mal voll erwischt.“

Corvin machte ein ärgerliches Gesicht.

„Quatsch. Ich habe nur gerade überlegt, wo ich diese Frau schon einmal gesehen habe.“

In diesem Augenblick kam Beatrix, die aus Holland eingewanderte Ehefrau des Wenden-Wirtes mit feuerrot gefärbten Haaren, auf sie zu. In der Hand hielt sie ein Tablett mit gut gefüllten Schnapsgläsern.

„So, jongens, nun greift mal zu. Bester Genever aus Holland. Ihr wollt das Bier doch nicht trocken trinken!

Ganz frisch war Corvin nicht, als er am darauffolgenden Tag nach dem Frühstück seine Einkaufsliste schrieb, sich in seinen alten Mercedes setzte und zum Supermarkt nach Lüchow fuhr. Die Feier in der „Wende“ war doch noch bis in die späte Nacht gegangen. Frank Matthes war in Spendierlaune verfallen, und das sollte man ausnutzen. „Wenn ihr jetzt nichts mehr aufs Haus trinkt, müsst ihr wieder fünfundzwanzig Jahre warten“, hatte er gesagt, woraufhin Corvin blitzschnell errechnete, dass er dann einundsiebzig sein würde und möglicherweise nicht mehr viel vertrüge.

Da niemand auf ihn wartete, hätte er auch bis mittags durchschlafen können, doch er hatte sich zum Prinzip gemacht, trotz eines materiell sorgenfreien Lebens von sich selbst Disziplin zu fordern. Irgendwie fühlte er sich dadurch besser. Oder, wie sein Nachbar Erwin zu sagen pflegte: Manchmal ist es gut, wenn man sich selbst in den Arsch tritt.

Vor dem Supermarkt fand er wie immer einen Parkplatz, was ihn jedes Mal aufs Neue beglückte. Wie oft hatte er in Hamburg in immer größer werdenden Radien sein Ziel umkreist, ohne eine Abstellfläche für seinen Wagen zu finden. Hier war das alles kein Problem.

Die Anordnung in den Regalen war ihm inzwischen sehr vertraut, und so dauerte es nicht lange, bis er alles gefunden und seine Einkaufsliste abgearbeitet hatte. Zufrieden schob er den vollen Wagen in Richtung Parkplatz.

„So trifft man sich wieder“, hörte er plötzlich eine Stimme hinter sich sagen. Er drehte sich um und schaute in das Lächeln einer Frau mit einer kastanienbraunen Kurzhaarfrisur.

„Erinnern Sie sich? Wir sind uns gestern am frühen Abend in der ‚Wende‘ begegnet. Sie standen dort mit Andi Feindt.“

Corvin nickte heftig.

„Ja, natürlich. Julia, nicht wahr? Julia Westhoff. War zwar ein harter Abend, aber wie Sie sehen, hat mein Gedächtnis noch nicht gelitten.“

Julia lachte.

„Das höre ich gern. Ich hatte nämlich vor, Sie heute noch anzurufen, und habe mir von Andi Ihre Handynummer geben lassen.“

Corvin kratzte sich am Kopf.

„Oje, das ist Wasser auf seine Mühle. Da hat er wieder ordentlich was zu erzählen.“

Julia schaute ihn verständnislos an.

„Ich verstehe nicht ganz?“

Corvin grinste.

„Müssen Sie auch nicht … aber ernsthaft – kann ich irgendwas für Sie tun?“

Julia machte ein ernstes Gesicht und nickte leicht.

„Sie waren doch lange bei der Kripo und sind jetzt ein freier Mann. Richtig?“

Corvin nickte.

„Aus diesem Grund möchte ich gern mit Ihnen reden. Aber nicht hier.“

Corvin schob seinen Einkaufswagen etwas zur Seite, weil sich eine Frau mit ihrem übervollen Wagen an ihm vorbeidrängte.

„Gern. Wo wollen wir uns treffen?“

Julia blickte nach links und rechts, so, als wollte sie überprüfen, ob ein Mithörer in ihrer Nähe stand.