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Thomas Kinkele

Heimische Räucherpflanzen

Räucherduft und Ritual
im Jahreslauf

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Wichtiger Hinweis

Die im Buch veröffentlichten Ratschläge wurden von Verfasser und Verlag sorgfältig erarbeitet und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Ebenso ist die Haftung des Verfassers bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ausgeschlossen. Sämtliche Informationen in diesem Buch sind für Interessierte zur Weiterbildung gedacht.

3. Auflage 2016

© 2009 Windpferd Verlagsgesellschaft mbH, Oberstdorf

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Kuhn Grafik Communication Design, CH-Amden

Layout: Marx Grafik & ArtWork

Illustrationen und Fotos im Innenteil: Thomas Kinkele

Illustrationen auf Seiten 31, 54-56 und 71-177: Petra Arndt

Lektorat: Katja Wolterstorff, Silke Kleemann

www.windpferd.de

eISBN 978-3-86410-273-8

Inhalt

Einführung

Der schamanische Kreis

Lebenskreise

Mit Räucherduft durch den Jahreslauf

Acht Jahreskreisfeste

Der Kalender

Zwölf Raunächte, „Wilde Jagd“ oder „Percht“

Lichtmess – Brigid, Imbolc

Frühlings-Tagundnachtgleiche – Alban Eiler, Ostara

Walpurgisnacht – Beltane

Sommersonnenwende – Alban Hevin, Litha

Schnitterfest – Lugnasad, Lammas

Herbst-Tagundnachtgleiche – Alban Elved, Mabon, Erntedank

Samhain, Nacht zum 1. November

Wintersonnenwende – Alban Arthan, Julfest

9-Kräuter-Magie

Die heilige Zahl Neun im Jahreskreis

Das Tor der Werte

Das Tor der Ideale

Das Tor der Großzügigkeit

Das Tor der Inspiration

Das Tor der Kreativität

Das Tor der Erkenntnis

Das Tor der Zuversicht

Das Tor des Lernens

Das Tor der Kraft

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Urbilder der Pflanzenbestimmung

Pflanzen mit Mondeinfluss

Pflanzen mit Merkureinfluss

Pflanzen mit Venuseinfluss

Pflanzen mit Sonneneinfluss

Pflanzen mit Marseinfluss

Pflanzen mit Jupitereinfluss

Pflanzen mit Saturneinfluss

Bearbeitung der Räucherpflanzen

9-Kräuter-Smudge

9-Kräuter-Mischung „Winter-Trance“

Das Räucherstövchen

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© Denisa Vadala

Heimische Räucherpflanzen

Alantwurzel

Baldrian

Balsampappel

Beifuß

Beinwellwurzel

Bergbohnenkraut

Bilsenkraut

Birkenrinde

Brunnenkresse

Dost

Eberraute

Eibe

Eisenkraut

Engelwurz

Fenchelsaat

Frauenmantel

Gierschblüten

Ginkgo

Gundermann

Hainbuche

Holunder

Immergrün

Iriswurzel

Johanniskraut

Jungfer im Grünen

Kalmuswurzel

Kiefer

Königskerze

Labkraut

Lärche

Lavendel

Lebensbaum

Lindenblüten

Mädesüß

Mammutbaum

Mariengras

Melisse

Mistel

Mohn

Muskatellersalbei

Quendel

Rainfarn

Rosmarin

Rundblättrige Minze

Salbei

Sonnenhut

Stechapfel

Stechpalme

Süßdolde

Wacholder

Waldmeister

Weidenrinde

Wermut

Wildrose

Register

Der Autor

Literaturverzeichnis

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Einführung

Offenbar ist es an der Zeit, der Sprache der Natur erhöhte Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, denn die Menschen scheinen mir zunehmend aufgeschlossen für mystische Naturerlebnisse zu sein. Es mutet bisweilen wunderbar an, wie sensibel allerorts auf das Thema reagiert wird, als seien endlich innere Schranken gefallen. Man darf bereits in „bester Gesellschaft“ über die Eigenheiten der Naturwesen sprechen, ohne absonderlich zu erscheinen.

Mir kommt es vor, als würden wir gerade jetzt beginnen, dem Wesenhaften in der Natur wieder neu zu begegnen. Ich selbst erlebe das seit mehr als einem Jahrzehnt bei meinen Workshops und Ausbildungen, bei denen sich alles um diese Naturerfahrungen dreht. Dabei setze ich Pflanzendüfte als Mittler ein, um in eine innere Verbindung mit den Naturkräften zu treten. Die Erfahrung zielt darauf ab, heilende Impulse zu empfangen, das innere Gleichgewicht wiederzufinden und zu einer kreativen und lebensbejahenden Haltung zu gelangen.

Es ist unglaublich, wie viel Hilfe dafür freigiebig aus der „Anderswelt“ bereitgestellt wird. Wenn man sich zum Herold der Pflanzenwesen macht, erhält man alle nur erdenkliche Unterstützung aus ihrem Seinsbereich der energetischen, der „inneren“ Wirklichkeit. Wir erkennen diese Wesen daran, dass die Synchronizität der Ereignisse in unserer Wahrnehmung zunimmt und alles in einer Verbundenheit geschieht, die sich durch die Logik des Verstands nicht erfassen lässt. Man erhält Impulse für Handlungen und ungeahnte Perspektiven entfalten sich, immer begleitet von dem Gefühl innerer Führung. Alles entwickelt sich in harmonischen Bahnen – wenn man es zulassen kann.

Für denjenigen, der die Sprache der Natur versteht, wird das Leben reichhaltiger und sinnvoller!

Unseren keltisch-germanischen Vorfahren waren solchen Naturerfahrungen sehr nahe. Sie erlebten die wesenhaften Kräfte viel unmittelbarer und ehrten und respektierten ihre Gegenwart.

In dieser Weise traten die druidischen Heiler in magische Beziehungen zu den Wesen und in ihre Dimension des Seins. Eine Form von Weisheit entwickelte sich, die vom Verstandeswissen meilenweit entfernt war. Die Pflanzenwelt war ihnen ein Mysterium und Rituale im Umgang mit diesem Wissen wurden von der Natur selbst gelehrt. Sonne und Mond traten als die Kräfte in Erscheinung, die sich eindeutig am Firmament zeigten und demzufolge als die stärksten sichtbaren Zeichen anerkannt wurden. In ihrem Lichterschein wurden die natürlichen Zyklen des Werdens und Vergehens erhellt, die man als Schöpfung eines geistig übergeordneten Regelwerks verstand: Eine mächtige, geistige Hand steuerte das Geschehen kraft ihrer elementaren Helfer. Daraus ergaben sich Zeitpunkte von besonderer Qualität, die man als Jahresfeste feierte, um die Energie des Moments bewusst zu erfahren und für eine gute weitere Entfaltung des eigenen Umfelds und der Lebensumstände zu bitten.

Sie sind das kultische, heidnische Erbe, das später von der christlichen Kirche assimiliert und mit deren Gottesbezügen und Feierlichkeiten verbunden wurde. Mir scheint eine Rückbesinnung auf unsere ethnischen Wurzeln sehr angezeigt. Die Naturkräfte wünschen heute, so erscheint es mir jedenfalls, einen Kontakt ohne Dogma, der einzig und allein von liebevoller Zuwendung geprägt ist. Eine solche Zuwendung in respektvollen Haltung muss nicht durch feste Verhaltensregeln untermauert sein. Voll und ganz im Vertrauen auf das übergeordnete Regelwerk entdeckt man dabei die natürliche Autorität des Großen Ganzen. Ist man ein Teil davon, dann weiß dieses „Es“ in unserem Inneren, was während des Kontakts zu tun und zu lassen ist.

Mir wurde immer wieder die Erfahrung geschenkt, darauf vertrauen zu können, von den Kräften der Natur an die Hand genommen zu werden und Wunder im Sinne der Schöpfung einfach geschehen zu lassen. Ich habe mich nicht vom Kopf her entschieden, den heimischen Pflanzen diese bedeutsame Rolle zukommen zu lassen, die sie in diesem Buch erhalten. Auch den germanisch-keltischen Wurzeln wandte ich mich ursprünglich nicht bewusst zu. Schritt für Schritt wurde ich im Verlauf der Jahre hingeführt. Die Pflanzen in meinem Garten, der für mich schon an sich ein Wunder darstellt, haben mich regelrecht angesprochen, wenn sie für bestimmte Räucherzwecke eingesetzt werden wollten. Auch die Jahreszeitenrituale boten sich dar, noch bevor ich ihren historischen Kontext kannte. Wenn ich mehr wissen wollte, kam es im rechten Moment in Form eines Buches oder einer bedeutsamen Begegnung auf mich zu.

In diesem Zusammenhang finde ich das inspirierte Wissen von Wolf-Dieter Storl sehr anregend und fühle mich in meiner Räucherarbeit auch mit Marlis Bader verwandt. Die pflanzlichen Signaturstudien von Roger und Hildegard Kalbermatten sind höchst informativ. Zudem hat mich die alchimistische Perspektive von Olaf Rippe und Margret Madejsky beeindruckt und für die Weltsicht des Paracelsus und die zugehörigen Heilungsprinzipien einmal mehr sensibilisiert. Meine uneingeschränkte Anerkennung und mein herzlicher Dank gelten diesen Adepten der spirituellen, energetischen und ganzheitlichen Pflanzenheilkunde.

Bei der Auswahl der Räucherpflanzen bin ich ausschließlich von Spezies ausgegangen, die in meinem Garten gewachsen sind und mit denen ich persönliche Erfahrungen machen durfte. „Heimisch“ bedeutet für mich also genau das, und erst in zweiter Linie, ob die Pflanzen ursprünglich aus unserer Region stammen. Unter der schützenden Hand eines starken Genius loci, der Schutzgottheit eines heiligen Ortes, fügen sie sich wunderbar zusammen und bieten ein gutes Beispiel für eine menschliche Gemeinschaft, die offen ist für andere und anderes. In diesem Sinne wünsche ich mir, dass die Botschaft der Pflanzen die Herzen meiner Leser erreicht.

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Himmelsbotschaft

Der schamanische Kreis

Mitte der 90er-Jahre wurde ich von dem indianischen Lehrer Manitonquat, auch Medicine Story genannt, in das Schwitzhüttenritual eingeweiht. Manitonquat bedeutet „Der Geschichten erzählt über den Geist“. Als Meister der Erzählkunst und Bewahrer der Tradition ist er einer der wenigen noch lebenden Mitglieder des ursprünglichen Volkes der Wampanoag im nordöstlichen Waldland, der heutigen Ostküste Massachusetts. Sein traditioneller „Kreis“, wenn man sein Volk so bezeichnen möchte, wurde im Zuge der Besiedlung durch Einwanderer sehr dezimiert.

Wir hatten mehrere Tage Zeit für die Vorbereitung der Schwitzhüttenzeremonie. Im Mittelpunkt dieser Initiation stand die Botschaft des Kreises. Schwitzhütten werden in Kreisform gebaut, und die Teilnehmer versammeln sich um die glühenden Steine, um sich mit Hilfe der Elemente körperlich, emotional und geistig zu reinigen und gemeinsam eine rituelle Neugeburt zu vollziehen. Medicine Story empfahl uns, das indianische Ritual Pesuponk auf unsere ganz eigene Weise umzusetzen. Nur die persönliche Verantwortung des Leiters und die respektvolle Haltung der Teilnehmer gegenüber dieser mächtigen Zeremonie seien unverzichtbare Attribute. Die Details in der Ausführung betreffend, sollten wir uns auf unsere Wurzeln besinnen und den Geist des Ortes achten.

Auch unsere keltischen Vorfahren tanzten an den Jahresfesten und dem Sonnenlauf entsprechend kreisförmige Reigen um die Feuer. Diese zeremoniellen Veranstaltungen im Rhythmus der Natur schufen eine tiefe Verbindung innerhalb der Gemeinschaft. Und Wolf-Dieter Storl schreibt dazu: „Das Feuer vermittelt die Form schaffenden, ordnenden Lichtkräfte der Sonne und des Kosmos – das griechische Wort „Kósmos“ bedeutet „Ordnung“. Diese elementaren Zeremonien mit dem Feuer im Zentrum führen uns in die natürliche Ordnung zurück. Somit können auch wir uns wieder am alten keltischen Jahreskreis orientieren, denn wir leben in eben dieser Region. Der keltische Jahreskreis ist sozusagen das Medizinrad des europäischen Kulturkreises.

Die wesentliche Botschaft ist in beiden Kulturen gleich: Menschen sollen sich in Kreisen zusammenfinden, um gemeinsam die heilende Kraft der Gemeinschaft hervorzubringen, sich mit weiteren Kreisen zu verbinden und letztlich zu einem einzigen großen Kreis zu verschmelzen.

Das war für mich die essenzielle Botschaft, die ich von dem indianischen Weisen Manitonquat erhielt. Jabrane M. Sebnat, ein visionärer Lehrer, dem ich viel verdanke und der ebenfalls anwesend war, fügte hinzu, dass die Zeit für pyramidale Systeme jetzt abgelaufen sei und von einer Zeit der Kreis-Systeme abgelöst würde. In der Zukunft würde es keine Hierarchien im herkömmlichen Sinne mehr geben, bei denen eine breite Masse auf ihren Schultern die darüber liegende, weniger dichte Ebene trüge, und immer so weiter bis zum Herrscher, der alleine auf der Spitze throne. – Diese Zeit sei vorüber.

Dieser Gedanke hat mich seither begleitet; und immer, wenn Menschen bei mir zusammenkommen, bilden wir Kreise und erfahren das schamanische Prinzip der heilenden Gemeinschaft. Dann stellt sich sofort eine besondere innere Haltung ein: Denn das im Kreis vollzogene Ritual hat eine große Kraft.

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Kreisritual – Vision für das Jahr

Lebenskreise

Für die aromatologische Zuordnung fand ich den von Martin Henglein vorgestellten Archetypischen Duftkreis, der auf dem Jahreslauf basiert, sehr inspirierend. Meine Arbeit mit dem Enneagramm – ein kreisförmig angeordnetes Typogramm des Lebensprozesses – und dessen Relevanz für die Pflanzen- und Duftarbeit bauen ebenso auf dem Kreisprinzip auf. Die Pflanzen in meinem Garten und eine immer stärker werdende, bewusste Empfänglichkeit für deren Wesen ließen mich für den Gesamtausdruck der Pflanzenwelt im Jahreslauf immer sensibler werden.

Es ist, wie Manitonquat es ausdrückte: „Alles muss zu einem großen Kreis verschmelzen“, was bedeutet, von individueller zu gemeinschaftlicher und letztlich planetarer Heilung zu gelangen.

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Ritual im Steinkreis

Ich erlebe immer deutlicher, dass Systeme, die sich am Kreis orientieren, kompatibel sind; und das bedeutet, dass sie sich leicht miteinander verbinden lassen. Aus dem Kreis heraus ist Heilung möglich, weil er Integration erlaubt. Man bildet einen Kreis und blickt gemeinsam auf den Mittelpunkt. Der Mittelpunkt ist in jedem Kreis gleich, seine Qualität ist das universelle „Eine“.

Für die Kelten begann der Jahreskreis mit dem Lauf der Sonne in der dunklen Hälfte, verlief über das steigende Licht in die helle Hälfte und schloss sich nach dem Höhepunkt wieder in der dunklen Hälfte. Der Mondlauf beginnt dementsprechend bei Neumond und geht über den Vollmond hinweg wieder zum Neumond zurück. Aus den dunklen Tiefen des Unerklärlichen steigt das Licht des Lebens im Kreislauf immer wieder nach oben, überschreitet den Zenit und löst sich am Ende wieder auf, um neu geboren zu werden. Die Kosmologie als Wissen über die Ordnung der Dinge erschloss sich aus der Beobachtung der Naturphänomene. Zu diesem Wissen werden wir mit der Kreissymbolik wieder zurückgeführt und erkennen in ihr die Vernetzung allen Lebens. Wie bei einem Uhrwerk wirken Kreise innerhalb von Kreisen in Form von Stunden, Tagen, Wochen, Monaten und Jahren in perfekter Harmonie zusammen und bilden die erfahrbare Welt in der Zeit.

Mit Räucherduft durch den Jahreslauf

Im Fokus dieses Buches steht die schamanische Heilung, die wir durch aromatisch zu erfahrende Pflanzenbotschaften bewirken. Wir leben in einer turbulenten Menschenwelt, die einen tief greifenden Wandel vollziehen muss, um sich für das Ganze als würdig zu erweisen. Dies spiegelt sich in unserer täglichen Wirklichkeit nur zu gut wider. Die Nachrichten sind voll von Informationen, die nur belasten und wenig Anlass zur Freude geben. Sie sind bester Nährboden für wachsenden Aggressionsdruck und unterschwellige Angstgefühle. Die Krankheitssymptome seelischer Art nehmen zu und die Erreger körperlicher Krankheiten werden immer raffinierter. Das Vertrauen in die konventionellen Heilungssysteme schwindet. Die Menschen suchen zunehmend nach einem inneren Halt, den die äußeren, künstlichen Strukturen nicht bieten können. Im Zuge dieser Entwicklung besinnen sich immer mehr Menschen auf ihre Wurzeln in der sie umgebenden Natur.

Zunächst einmal bedeutet dies, sich wieder mehr mit der Natur zu verbinden und sich als einen Teil des großen Ganzen wahrzunehmen. Aus diesem Grunde empfehle ich den rituellen Feierlichkeiten im Jahreslauf erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken. Hierbei ist der Sonnenlauf für eine schamanische Weltsicht von größter Bedeutung. Die Pflanzenwelt spiegelt den Sonnenlauf in ihren Wachstums-, Reifungs- und Fortpflanzungszyklen.

Wenn wir uns diesem kosmischen Rhythmus erneut annähern wollen, dann können wir uns des reichhaltigen heidnischen Brauchtums in den Riten unserer Vorfahren erinnern. Die Pflanzengeister warten nur darauf, in ihrer Funktion wahrgenommen und wertgeschätzt zu werden, um ihre regulative Aufgabe zu erfüllen. Wenn wir der Pflanze liebevoll begegnen und sie auf eine feine Art verräuchern, dann schenkt sie uns in ihrer Duftbotschaft ein Vertrauen in die innere Verbundenheit allen Lebens.

Jeder, der sich in einen dafür angemessenen inneren oder äußeren Raum begibt, kann dies erleben. Das ist genau der Grund, weshalb ich in meinen Seminaren von Toren spreche, die man durchschreiten muss, wenn man diese Verbundenheit erfahren will. An der Schwelle des Tores finden wir nämlich jene Pflanzenhelfer, die uns dabei unterstützen werden. Wir müssen sie nur wahrnehmen wollen, denn wie man so schön sagt: „Des Menschen Wille ist sein Himmelreich“.

Beim Ausführen der Rituale im Jahreslauf geht es nicht um ein Nachahmen bestimmter überlieferter Handlungen, angelesener Haltungen oder exakt auszusprechender Formeln, sondern allein darum, die energetische Qualität einer bestimmten Zeitphase in der Natur zutiefst in sich selbst zu spüren. Natürlich sind überlieferte Regeln von großem Wert, um überhaupt erst einmal das nötige Verständnis zu entwickeln. Und doch darf sich jeder als Schöpfer seiner eigenen Welt in einem großen, göttlichen Schöpfungsgarten wahrnehmen, einzig und allein an dem ausgerichtet, was das eigene Herz zu uns spricht. Der Verstand hingegen gleicht oftmals einem Papagei. Deshalb lassen wir das Herz den Verstand einfach zum Tanz auffordern.

Das kann so aussehen: Wenn ich in die winterlich vereiste Natur hinausgehe und durch das glitzernd erstarrte, trockene Blättermeer stapfe, werde ich mir ehrfurchtsvoll des tiefen Wissens der uralten Bäume im Buchenwald gewahr. Ich sinniere über ihr geschlossenes Blätterdach im Hochsommer, das jetzt wie ein Teppich den Erdboden bedeckt. Dann denke ich plötzlich an das „Rauschen im Blätterwald“ und sehe darin die ursprüngliche Verwandtschaft zwischen Buch und Buche. Diese Analogie begeistert mich und ich spüre, dass ich in diesem winterlichen Augenblick geistig tanzend in einen tiefen Kontakt mit dem Buchengeist getreten bin. Ich erlebe dies als ein erfüllendes Glücksgefühl.

Bei der Gestaltung eines Pflanzenrituals können wir uns in den Details vollkommen frei fühlen. Die Pflanzen freuen sich über jeden Kontakt, der von Liebe begleitet wird: durch freudiges Geben und dankbares Annehmen. Kreativität wird von den Pflanzengeistern in jeder Hinsicht unterstützt. Unsere Vorfahren wussten weitaus mehr darüber als wir, berichten die Ethnobotaniker. Sie liebten es, sich mit Hilfe von Pflanzen in ekstatische Zustände zu versetzen, in denen die Pforten der Wahrnehmung erheblich erweitert waren. Höhere Ebenen des Seins durften nur mit offenem Herzen betreten werden. Die Druiden waren schamanische Spezialisten für das tiefe Wissen um die Gegebenheiten dieses höheren Seins. Mithilfe ihrer wichtigsten Pflanze, der Mistel, traten sie mit ihm in Kontakt. Die Mistel ist ein Wesen, das unabhängig von zyklischen Gegebenheiten existieren kann, die für den Rest der Pflanzenwelt gelten. Sie ist ganzjährig grün und bringt ihre Frucht im Winter hervor. Für die Kelten galt sie als Schwellenführer zwischen Diesseits und Jenseits.

Wenn der keltische Feiertag Samhain als der Moment im Jahr verstanden wird, an dem die Lichtkräfte aus der oberen in die untere Welt wechseln und dadurch die Pforten zwischen dem Diesseits und dem Jenseits für kurze Zeit offen stehen, dann bietet sich darin eine wunderbare Möglichkeit, einen befreienden Kontakt zur eigenen Ahnenlinie aufzubauen und alte Lasten abzuwerfen. Wenn wir uns in so einem Moment der Führung von Pflanzenhelfern wie der Mistel anvertrauen und ihren Räucherduft wahrnehmen, dann entstehen Handlungen und Worte wie von selbst. Wir sprechen einfach aus, was in uns auftaucht. Auch Alant, Kiefernharz oder Lebensbaum können dieses Ritual unterstützen. Unter dem Einfluss des aromatischen Rauchs kommen wir sofort in Kontakt mit der Herzensebene und der Kopf braucht nicht lange nach Formeln zu suchen.

So wird dieses Buch keine exakten Anweisungen für Rituale, sondern vielmehr Anregungen geben und Zeitpunkte nennen, zu denen bestimmte Anliegen unter Berücksichtigung der Zeitqualität gut ausgeführt werden können. Das zentrale Thema ist die magische Kraft des Räucherns von Pflanzen, die in unserer unmittelbaren Umgebung zu finden sind und deshalb über die Zeitqualität am gleichen Ort mit uns verbunden sind.

Der Leser darf sich von den mythisch-magischen und elementaren Bezügen der Pflanzenbeschreibungen inspirieren lassen und sie der eigenen inneren Resonanz folgend nutzen oder auf Vorschläge zurückgreifen, die ich zu den jeweiligen Anlässen machen werde. Einige Ideen für die Vorbereitung und das Räuchern des Pflanzenmaterials füge ich bei, um einen praktischen Zugang aufzuzeigen. Grundsätzlich wird das Bewusstsein durch das Räuchern für essenzielle Werte wie Selbstachtung, Mitgefühl und Lebensfreude geöffnet.

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Acht Jahreskreisfeste

Die Götter unserer heidnischen Vorfahren sollten wir als Urbilder begreifen, die in den jeweiligen Phasen des Jahreslaufs eine vorherrschende Qualität personifizieren. Das achtspeichige Rad der Kelten bildet mit vier Sonnenspeichen, die das innere Kreuz formen, und 4 Mondspeichen, die jeweils dazwischen liegen, insgesamt acht Zeiträume, die von unterschiedlichen Gottheiten und Naturwesen den Bedingungen der Jahreszeit entsprechend beherrscht werden. Aus der Mitte kommt die Schöpfungskraft, die den Rhythmus der Jahreszeiten vorgibt und sich in der sichtbaren Welt manifestiert. Die sichtbare Welt ist der Raum, wie er durch die vier Himmelsrichtungen fixiert und von den vier Elementen ausgekleidet wird.

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Achtspeichiges Rad

Die Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft werden den Himmelsrichtungen je nach Tradition unterschiedlich zugeordnet. Jede Betrachtungsweise hat ihre Berechtigung. Ich stelle die Elemente in dem von mir zusammengestellten Kalender in ihrer Polarität gegenüber. Oft wird der Osten mit Luft und der Süden mit Feuer verbunden. In meinem Kreis sollte aber die Polarität von Wasser und Feuer, ebenso wie die von Erde und Luft, gewahrt bleiben. Wasser und Feuer befinden sich in einem Wechselspiel und sind deshalb im Osten wie im Westen aktiv. Feuer zeigt sich im Wachstumsimpuls der jungen Pflanzen unter der erstarkenden Frühlingssonne ebenso wie in der abnehmenden Sonnenwärme, die im Herbst die Früchte reifen lässt.

Ich betrachte die Elemente aus Sicht der Pflanzen. Sie ziehen sich im nördlichen Winter in den Schoß der Mutter Erde zurück. Im Frühjahr, vom Wasserelement genährt und von der Energie der im Osten aufgehenden Sonne angefeuert, schießen sie in die äußere Form und treten im Sommer, wenn das Licht seinen Höchststand erreicht hat, in südlich-lebensfrohen Kontakt miteinander, um allerorten die Befruchtung zu gewährleisten. Der feurig-wässrige, die Vitalität in der Frucht speichernde Westen, bringt die Erntefülle hervor, bevor sich die Pflanzenwelt wieder in die dunkle, nördliche Erde zurückzieht.

Die Hauptdarsteller in diesem sich Jahr für Jahr wiederholenden kosmischen Schauspiel sind Sonne und Mond. Als Repräsentanten der aktiven und passiven Lichtkräfte, die in der fernöstlichen Lehre mit Yin und Yang bezeichnet werden, sind sie mit Licht und Dunkelheit, Tag und Nacht, Hitze und Kälte gleichzusetzen. Schauen wir uns das fernöstliche Modell genauer an, dann finden wir auch dort wieder acht Felder. Wenngleich man dort die fünf Elemente Erde, Holz, Feuer, Wasser und Metall als Zustände benennt, lassen sich dennoch Kreise finden, die sich mit der Feuer-Wasser Polarität decken.

Der Tag, das Sonnenlicht und die Wärme lassen die Pflanze aktiv werden und sie nimmt Energie auf. Die Sonnenkraft schwängert sozusagen die Pflanzenwelt mit kosmischer Energie. Somit findet das männliche Prinzip in der keltischen Mythologie seinen Ausdruck in den nach Jahreszeit wechselnden Göttern.

Für die Kelten war die Sonne an sich weder männlich noch weiblich. Neben jedem der jeweiligen Jahreszeit zugeordneten Sonnengott gab es immer auch die entsprechende Göttin, die auf weibliche Art mit der Sonne verbunden war. Als höchstes Prinzip galt sowohl für die Kelten als auch in der fernöstlichen Lehre der Ausgleich zwischen den Polen. Nur wenn die Gegensätze im Gleichgewicht standen, war für sie die natürliche Ordnung gewahrt. Die Feste zu Ehren der Natur und der göttlichen Kräfte als Garanten dieser Ordnung dienten also auch stets dem Zweck, den Ausgleich zu unterstützen und damit das eigene Wohlergehen als Teil dieser Ordnung zu gewährleisten.

Es geht in dieser uralten Kosmologie sinnbildlich um die Sonne als das feurige, zeugende Prinzip, das die Leere beseelt, und um den Mond als das die Inspiration der Sonne empfangende, wässrige, gebärende Prinzip, das die Unendlichkeit mit Form und Struktur begrenzt. Feuer und Wasser waren die heiligen Elemente der Kelten und wurden in ritueller Weise geehrt.

Über das Feuer als universelle Kraft konnten sich die Kelten mit der unsichtbaren Welt verbinden und mit seiner Hilfe auf das Zusammenspiel von Schöpfung und Zerstörung einwirken. Es war von lebenserhaltender Bedeutung, denn bei Kälte und Dunkelheit spendete es Wärme und Licht. Es konnte aber auch zu einem gefährlichen Ungeheuer werden. Wenn es außer Rand und Band geriet und alles fraß, was sich ihm in den Weg stellte, zeigte sich dieses Element in seiner Großartigkeit. Diese Schwelle zwischen Leben und Tod war für die Kelten viel weniger bedrohlich als für uns heute.

In Brunnen, Quellen, Bächen, Flüssen und Seen sah man vom Licht beseelte und von entsprechenden Naturkräften bewohnte Orte, deren Einfluss ebenso auf Heilung wie auf Verderben Auswirkung hatte.

Wasser ist das Urelement des Lebens. Alles Leben auf unserem Planeten ist dem Wasser entstiegen, wie wir heute wissen. Wer die Erde als ein lebendes Wesen betrachtet, erkennt durch bloßes Schauen, dass Lebensentfaltung in Fülle nur durch ausreichend Wasser möglich ist.

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Wesenhafte Eisbilder