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Gerlinde Hoffmann

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Die Diplom-Argraringenieurin Gerlinde Hoffmann leitete über 25 Jahre lang das Fachgebiet Pferdehaltung der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN). Neben der weitreichenden Erfahrung im Inland zeichnet die leidenschaftliche Globetrotterin der jahrzehntelange bewusste Blick auf internationale Sichtweisen passionierter Pferdekulturen aus, zum Beispiel Großbritannien, Frankreich, Andalusien, Island oder Australien, USA und Radjasthan/Indien. 2019 wurde sie mit der Graf-Landsberg-Plakette in Gold der FN und der Goldenen Ehrennadel des Deutschen Kuratoriums für Therapeutisches Reiten (DKThR) ausgezeichnet.

Geboren in Berlin, aufgewachsen in Ulm an der Donau ist sie Trainerin B Reiten, Voltigieren und für Menschen mit Handicap. Nach Aufbau der ersten hauptamtlichen Geschäftsstelle des DKThR und Mitarbeit im Bereich Persönliche Mitglieder leitete sie viele Jahre lang die Abteilungen Allgemeiner Reit- und Fahrsport sowie Umwelt und Pferdehaltung in Warendorf.

Das breit gefächerte Wissen wird durch aktives Engagement in nationalen und internationalen Gremien nicht nur der Pferde-, sondern auch der Sport- und Naturschutzszene ergänzt. Gerlinde Hoffmann ist aktuell Vizepräsidentin der internationalen Föderation für Pferdetourismus (Fédération Internationale de Tourisme Equestre/FITE), Präsidiumsmitglied des Deutschen Naturschutzrings (DNR) und in diversen politischen, sportlichen und wissenschaftlichen Gremien im Einsatz.

Das FN-Kennzeichnungssystem

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Basis der Kennzeichnung ist die fachgerechte Pferdehaltung und das Tierwohl. Die Kennzeichnung von Vereinen/Betrieben dient darüber hinaus der Darstellung der jeweiligen Angebote und Leistungsschwerpunkte. Diese werden durch ein entsprechendes Schild/Siegel dokumentiert, welches dem Verein/Betrieb für die Dauer des Anerkennungszeitraums zur Verfügung gestellt wird.

Schwerpunkte

Wird der Betrieb zusätzlich mit einem Schwerpunkt gekennzeichnet, so wird dies auf einem zusätzlichem Modul gezeigt.

sometxt Zuchtbetrieb
sometxt Schule, Fachschule, Therapie
sometxt Pensionsbetrieb
sometxt Ferienbetrieb
sometxt Turnierstall

Weitere Informationen erhalten Sie bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung e.V. Abteilung Vereine, Umwelt, Breitensport und Betriebe
48229 Warendorf
Telefon 02581 6362-211 (Martin Otto)
Fax 02581 62144
E-Mail motto@fn-dokr.de
Internet www.pferd-aktuell.de

Impressum

Bibliographische Information der deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2019 FNverlag der Deutschen Reiterlichen Vereinigung GmbH, Warendorf. Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und jede Art der Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtes bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergütungsansprüche des § 54 Abs. 2 UrhG, werden durch die Verwertungsgesellschaft Wort wahrgenommen.

12. Auflage 2019

Herausgeber

Deutsche Reiterliche Vereinigung e.V.
– Bundesverband für Pferdesport und Pferdezucht –
Fédération Equestre Nationale (FN), Warendorf

Texte

Gerlinde Hoffmann, Warendorf
Prof. Dr. Erich Klug, Hannover (Kapitel 3.11)

Lektorat

Diana Koch, Greven
Dr. Catharina Veltjens-Otto-Erley, Warendorf

Korrektorat

Korrekturbüro G. und W. Kirchhoff, Büren-Brenken

Umschlagfotos

Christiane Slawik, Würzburg
Gerlinde Hoffmann, Warendorf

Fotos Inhalt

siehe hier

Abbildungen mit Quellenangaben

siehe hier

Übersichten

siehe hier

Gesamtgestaltung & Illustrationen

media team, Duisburg

Druck und Verarbeitung

Westermann Druck Zwickau GmbH

Gedruckt auf RecySatin®,
einem Bilderdruck papier,
hergestellt aus
100% Recyclingfasern

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ISBN 978–3–88542–716–2

Haftung:

Die Benutzung dieses Buches und die Umsetzung der darin enthaltenen Informationen erfolgt ausdrücklich auf eigenes Risiko. Alle textlichen, tabellarischen, grafischen und bildlichen Darstellungen in diesem Buch, insbesondere Angaben, Anregungen und Empfehlungen zu Thematik und Sachverhalt des Werkes erfolgen nach bestem Wissen und Gewissen. Sie sind als Beispiele zu verstehen und entbinden alle, die mit Pferden umgehen, nicht von jeglicher Eigenverantwortung. Jede Umsetzung muss individuell und aktuell geprüft werden.

Verlag und Autor übernehmen keine Gewähr für die Aktualität, Korrektheit, Vollständigkeit und Qualität der bereitgestellten Informationen. Druckfehler und Falschinformationen können nicht vollständig ausgeschlossen werden. Verlag und Autor übernehmen keinerlei Haftung für Schäden, die sich aus solchen ergeben.

Hinweis:

Alle in diesem Buch erwähnten Personenbezeichnungen gelten für Männer und Frauen, auch wenn sie lediglich in der männlichen Sprachform ausgedrückt sind. Alle erwähnten Bestimmungen gelten für Pferde und Ponys, sofern für Ponys nicht ausdrücklich eine andere Regelung aufgeführt ist.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1

Anforderungen an die moderne Reitanlage

1.1 Im Mittelpunkt steht das Pferd
  • Wander- und Fluchttier, Bewegung
  • Herde, Sozialkontakte, Rangordnung, Ruhe
  • Klimaansprüche: Temperatur, Luft, Licht
  • Wasser, Futter und Futteraufnahme
1.2 Rechtliche Grundlagen, Leitlinien, Empfehlungen, Tierwohl
  • Tierschutzgesetz
  • Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen
  • Tierwohl
  • Empfehlungen

2

Planung, Recht und Bauunterhaltung

2.1 Entwicklung im Pferdesport und Konsequenzen
  • Statistische Eckdaten
  • Verbessertes Angebot am Bedarf der Pferdefreunde orientieren
2.2 Strategie: Erwartungen, Schwerpunkte, Bedarfsermittlung, Kostenrechnung
  • Erwartungen und Schwerpunkte der Pferdefreunde und Anbieter
  • Strategie
  • Bedarfsermittlung
  • Kostenrechnung
2.3 Baurechtliche Voraussetzungen
  • Bauplanerische Zulässigkeit
  • Bauordnungsrechtliche Zulässigkeit
  • Nachbarrechtliche Beziehungen
  • Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen
  • Vorplanung, Bauvoranfrage, Bauantrag
2.4 Standortwahl
  • Ausreitgelände
  • Verkehrslage, Anbindung an ÖPNV
  • Berücksichtigung der Klima- und Geländeverhältnisse
  • Naturgefahren
  • Passive Energienutzung
  • Flächensparend bauen
2.5 Planungsgrundsätze, Betriebsgröße, Anordnung von Gebäuden und Flächen
  • Planung der Gesamtanlage, gestalterische Qualität
  • Betriebsgröße
  • Anordnung der Gebäude und Freianlagen
  • Wegeplanung
  • Decken- und erdlastige Lagerung
  • Wohnungen für Betriebsleiter und Mitarbeiter
  • Stör- und Reizzonen
  • Veranstaltungen und Turniere
2.6 Barrierefrei bauen
2.7 Brandschutz, Vorkehrungen für Brandfälle
  • Berücksichtigung bei der Planung
  • Brandschutz
  • Brandmeldeanlagen
  • Brandschutz im alltäglichen Betrieb
  • Brandschutzbeauftragter und Feuerwehrübungen
  • Brandschutz von Photovoltaikanlagen
2.8 Diebstahlsicherung, Überwachungsanlagen
  • Gute Beleuchtung, Bewegungsmelder
  • Einzäunung
  • Anordnung von Futterplätzen und Schutzhütten auf Weiden
  • Mechanische Sicherungen
  • Sattelkammer, Sattelcodierung
  • Elektronisches Schließsystem
  • Einbruchmelde-/Alarmanlagen
  • Infrarotlichtschranken
  • Kameraüberwachung
  • Fachgerechte Planung, Einbau oder Nachrüstung
2.9 Nachhaltig Bauen, erneuerbare Energien, Regenwassernutzung
  • Erneuerbare Energien, EEG
  • Strom und Wärme aus der Sonne (Solarenergie)
  • Geothermie/Erdwärme
  • Wärmepumpe
  • Strom und Wärme aus Biomasse
  • Blockheizkraftwerk/Kraft-Wärme-Kopplung
  • Regenwasser: Rückhaltung oder Versickerung
  • Nutzung des Niederschlagswassers
  • Gebäudeautomation
2.10 Gebäude- und Anlagenmanagement, Modernisierung, Kosten sparen und Klimaschutzmaßnahmen, Gebäudesicherheit und Unfallverhütung
  • Management und Modernisierung
  • Motive für Modernisierung und Planung
  • Wärmeschutz, Heizung
  • Stromverbrauch
  • Licht/Beleuchtung
  • Wasserverbrauch
  • EU-Energielabel, Energieeffizienzklasse
  • Gebäudesicherheit und Unfallverhütung
  • Sturm, Starkregen und Hochwasser, Schnee
  • Sicherheit und Unfallverhütung

3

Ställe

3.1 Haltungsformen – Übersicht
3.2 Offene oder geschlossene Ställe
3.3 „Gute Luft“ – Anforderungen an gesundes Klima
  • Faktoren des Stallklimas
  • Wärmeschutz und Lüftung
  • Verbesserung bestehender Ställe
3.4 Gruppenauslaufhaltung, Bewegungsställe
  • Allgemeine Aspekte
  • Auslauf, Laufhof
  • Einzäunung, Schleuse, Schlupf
  • Liegeflächen
  • Fütterungseinrichtungen
  • Wasserbedarf, Tränken
  • Eingewöhnung neuer Pferde
  • Auf Verletzungsrisiken achten
3.5 Laufstall
3.6 Boxenställe
  • Boxen: Abmessungen, Boden, Fenster
  • Stallgasse, Außentüren
  • Zwischenwände, Boxentüren
  • Wasserversorgung, Tränken
  • Futtertröge, Raufen, Netze
  • Automatische Fütterung
  • Außenflächen vor der Box: Tür, Belag und Einzäunung
  • Auf Verletzungsrisiken achten – einige Beispiele
3.7 Futter und Einstreu, Lagerung
3.8 Entmistung, Dunglagerung und Verwertung
  • Entmistung
  • Dunglagerung (Mistplatz)
  • Mistverwertung
3.9 Nebenräume, Service-Bereiche
  • Sattelkammer
  • Räume für Pferdedecken, Turnierkisten
  • Kutschenremise, Geschirrkammer
  • Nebenräume für Pferdepflege
  • Sozialräume
3.10 Behandlungsstand, Isolierbox, Krankenstall
3.11 Hygiene und Reinigung
3.12 Konzipierung und Ausgestaltung eines Deckraums im Pferdezuchtbetrieb
3.13 Elektrische Anlage, Beleuchtung
3.14 Maschinen und Geräte, Pferdehänger, Lkw, Parkplätze

4

Reitplätze

4.1 Größe und Lage
4.2 Anlage von Reitplätzen, technischer Aufbau
  • Typen, Bauweisen, Schichtenfolge und Aufgaben
  • Baugrund, Gefälle und Entwässerung
  • Tragschicht, Trennschicht, Tretschicht
  • Plätze mit regulierbarem Wasserstand (Anstausystem)
  • Rasenplätze
4.3 Einzäunung, Abgrenzung, Richterkabine, Spiegel, Beschallung
4.4 Pflege, Beregnung
4.5 Sanierung von Reitplätzen
4.6 Beleuchtung

5

Reit- und Longierhallen

5.1 Größe und Konstruktion
5.2 Bande, Aufsitzhilfen, Reitbahneingänge, Spiegel
5.3 Boden, Belag
5.4 Beregnung, Pflege
5.5 Nebenräume, Zuschauer, Beschallung
  • Warte- und Aufsitzräume
  • Hindernismaterial
  • Zuschauerplätze, Tribünen
  • Beschallung
  • Weitere Nebenräume
5.6 Belichtung, Beleuchtung

6

Außenanlage

6.1 Gliederung und Bepflanzung
  • Geeignete Pflanzen
  • Giftpflanzen meiden
  • Pflanzstreifen, Abstände, Pflanzzeit und Pflege
  • Holzstapel, Trockenmauer, Rückzugsflächen, Nisthilfen
  • Kleingewässer, Feuchtsenken
  • Ausgezeichnet: Pferde fördern Vielfalt ist Projekt des Jahres 2018 der UN-Dekade biologische Vielfalt
  • Anlage, Bewirtschaftung und Kommunikation
6.2 Naturhindernisse und Geschicklichkeitsaufgaben
  • Allgemeine Grundsätze
  • Bauweise, Baumaterialien
  • Galoppierbahn
  • Fahrhindernisse
  • Geschicklichkeitsparcours, Naturtrail
6.3 Kommunikations- und Ausweichflächen

7

Auslauf, Führanlage, Koppel

7.1 Frei- und Auslaufflächen: Zusammenfassung
7.2 Führanlage, Laufband, Wassertrainer
7.3 Koppel, Pferdegrünland
  • Allgemeine Hinweise
  • Treibwege und weitere Möglichkeiten
  • Bewirtschaftungs- und Pflegemaßnahmen, Management
  • Futterwert, Aussaatmischungen
  • Düngung
  • Platzräuber und Giftpflanzen bekämpfen
  • Trinkwasserversorgung
  • Einzäunung
  • Witterungsschutz, Bepflanzung, Schutzhütten

8

Reiten und Kutschfahren in der freien Landschaft

8.1 Allgemeine Hinweise, gesetzliche Grundlagen
8.2 Routen, Reitwege, pferdetouristische Aspekte, Anforderungen, Bedarfsermittlung, Lenkung, Ausstattung
  • Pferdetouristische Aspekte
  • Anforderungen an ein Netz von bereitbaren Wegen, Bedarfsermittlung
  • Lenkung
  • Ausstattung: Anbindebalken, Paddock, Tränke
  • Hindernisstrecken, Trail (Übungsparcours), Badestelle
8.3 Anlage von Reit- und Fahrwegen, Beschilderung

Anhang

  • Literaturverzeichnis
  • Verzeichnis der Fotos
  • Verzeichnis der Abbildungen
  • Verzeichnis der Übersichten
  • Stichwortverzeichnis

Pferde sind mehr!

Zur neuen Auflage
„Pferdehaltung, Ställe und Reitanlagen – Orientierungshilfen für Bau und Modernisierung“

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Pferde bedeuten für viele Menschen Lebensart und Lebensinhalt. Pferde sichern Existenzen, bieten Grundlage für berufliche Orientierung, gestalten Freizeit, liefern sportliche Höhepunkte, helfen heilen. Pferde haben sich trotz aller Mechanisierung und Technisierung in unserem Lebensumfeld behauptet. Das gilt gleichermaßen, ob ein oder zwei Pferde zur Familie gehören, ob Pferdesportvereine ihr Angebot organisieren, ob Pferde in der Landwirtschaft oder im gewerblichen Umfeld dabei helfen, Geld zu verdienen. Die Schwerpunkte sind faszinierend vielfältig. Neben klassischen Zielen und dem deutschen Reitpferd gehören längst Fjord und Friese, Ponys oder Kaltblüter, Islandfreunde, Westernstile und vieles andere mehr zum Pferdesport in Deutschland.

In allen Bereichen wurde Pferdehaltung in den letzten Jahrzehnten wesentlich weiterentwickelt. Alle Pferdefreunde müssen und wollen sich um ihre Pferde kümmern und sie angemessen betreuen. Der Stall der Zukunft muss nach wie vor meist kostengünstig sein, dabei zugleich umweltverträglich und die Erwartungen an tiergerechte Haltung erfüllen. In diesem Sinne legt die Deutsche Reiterliche Vereinigung nun eine komplett aktualisierte Version des Standardwerks der ehemaligen „Orientierungshilfen Reitanlagen- und Stallbau“ vor.

Wir wollen nicht vorschreiben, was oder wie gebaut werden soll, aber wir wollen Erfahrungen bündeln und verfügbar machen, Anregungen geben, Alternativen aufzeigen und so die Entwicklung der eigenen Vorhaben erleichtern. Denn entscheidend für den Erfolg von Neubau oder Modernisierung ist die gute Planung. Die Orientierungshilfen sollen kein Handbuch für Fehlersucher sein, sondern eine Hilfe für Pferdehalter und Bauherren.

Wir wünschen viel Spaß und interessante Überlegungen bei der Lektüre und freuen uns auf Ihre Rückmeldungen.

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Breido Graf zu Rantzau

Präsident der Deutschen Reiterlichen Vereinigung

1 Anforderungen an die moderne Reitanlage

1.1 Im Mittelpunkt steht das Pferd

Pferdehaltung hat viele Facetten. Und so staunen auch langjährige Beobachter immer wieder über das Verhalten und die Reaktionen ihrer Pferde. Viele der ganz eigenen Ansprüche der Pferde können aus ihrer Entwicklungsgeschichte erklärt werden. Die Artenvielfalt unserer Erde entwickelte sich in Anpassung an bestimmte Lebensräume in Konkurrenz oder Kooperation mit anderen Lebewesen, Pflanzen und Tieren über sehr lange Zeiträume hinweg. So wurden Pferde in der geradezu unvorstellbaren Zeit von 60 Millionen Jahren zum hoch spezialisierten Fernwander-, Flucht- und Herdentier, bestens angepasst an den Lebensraum Steppe.

Etwa 6.000 Jahre menschlicher Einfluss reichte zwar, vielerlei Rassen und Schläge hervorzubringen, das arteigene Verhalten und die spezifi schen Ansprüche konnte er jedoch nicht wesentlich ändern. Also gelten folgende Grundsätze:

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Faszinierende Rassenvielfalt

Wander- und Fluchttier, Bewegung

Unter naturnahen Verhältnissen bewegen sich Pferde im Herdenverband, Gras fressend und dabei langsam voranschreitend, einen größeren Teil des Tages. Bei knapper Futterverfügbarkeit in karger Natur können bis zu 16 Stunden am Tag und 4 bis 15 km zusammenkommen. Getrabt oder galoppiert wird, um einen Ortswechsel vorzunehmen oder spielerisch, auch um die Leistungsfähigkeit für die Flucht und lange Strecken aufrechtzuerhalten. Das Pferd reagiert sehr schnell und hat ein ausgesprochen leistungsfähiges Herz-Kreislauf-System. Wenn es eine Bewegung oder bedrohlich Wirkendes wahrnimmt, hebt es den Kopf und rennt sofort los. Erst in einiger Entfernung bleibt es stehen und versucht, den Auslöser genauer zu inspizieren und zu bewerten. Nur wenn es sich in die Enge gedrängt fühlt, wehrt sich das Pferd mit Ausschlagen oder Beißen.

Mangelnde Bewegung bedingt Steifheit: Sehnen, Bänder und Gelenke verlieren ihre Elastizität und sind vermehrt anfällig. Bewegungsmangel behindert zudem die Selbstreinigungsmechanismen der Atemwege und beeinträchtigt den gesamten Stoffwechsel. Je stärker das Haltungssystem die Bewegungsfreiheit einschränkt, umso wichtiger ist ein Ausgleich durch tägliches der Kondition angepasstes Bewegen der Tiere, das physiologisch sinnvoll aufgebaut sein muss (Aufwärmphase usw.) und das jeweilige Pferd nicht überfordert. Unvermittelte, zu hohe und zu lang anhaltende Belastungen sind schädlich. Ausgiebiges Reiten in der Natur fördert die Stärken des Pferdes hinsichtlich Balance, Bewegungsfreude, Koordination, Trittsicherheit und Ausdauer. Es ist zu wenig, Pferde nur eine Stunde am Tag zu bewegen. Daher werden Flächen für Koppeln und/oder eine genügende Anzahl von Auslaufflächen benötigt. Ausläufe sollen ganzjährig benutzbar sein.

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Pferde sind Bewegungstiere

Herde, Sozialkontakte, Rangordnung, Ruhe

Pferde sind gesellige Tiere und finden Sicherheit in der Herde. Sie fühlen sich wohl, wenn sie gemeinsam fressen oder ruhen können, Verhaltensbiologen nennen das synchrones Verhalten. Dabei ist ein Herdenmitglied, meistens eine Stute, wachsam und behält die Umgebung im Auge. Innerhalb der Herde bestehen gefestigte Beziehungen. Pferde können sehr ausdrucksstark über Körpersprache kommunizieren: Oft reicht nur ein Senken des Kopfes, das leichte Anlegen der Ohren und minimales Hochziehen der Nüstern, um ein rangniedriges Tier in seine Schranken zu weisen. Wird die Ordnung in der Herde nicht akzeptiert, etwa weil sich ein Hengst eine Stute erobern will oder weil neue Pferde in ein Haltungssystem kommen, dann kann es zu ernsthaften, verletzungsträchtigen Auseinandersetzungen kommen. Die Beobachtung von Pferden und ihres Verhaltens in der Gruppe ist Voraussetzung für die richtige Deutung und Einordnung ihrer Ausdrucksweisen: Wie gehen sie miteinander um, wie nähern sie sich an, welche Vorlieben, Freundschaften bestehen, welche Pferde gehen sich aus dem Weg. Welches Pferd ist eher zurückhaltend und ängstlich, welches mutig und dominant?

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Werden die Bedürfnisse der Pferde als soziale Lebewesen nicht berücksichtigt, können Probleme im Umgang mit ihnen und sogar Verhaltensstörungen entstehen. Die Haltung eines einzelnen Pferdes ohne soziale Partner ist nicht pferdegemäß! Auf das soziale Gefüge zwischen den Pferden muss nicht nur bei Haltung in Gruppen, sondern auch bei Einzelaufstallung Rücksicht genommen werden.

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Die Kontaktmöglichkeiten zwischen den Artgenossen sind so frei zu gestalten, wie es der Haltungszweck erlaubt. Bei Boxenhaltung sind mindestens Sicht-, Hör- und Geruchskontakt zwischen den Tieren unverzichtbar. Darüber hinaus sollen Pferde, die als Fluchttiere nur durch stetige Wachsamkeit und Kontrolle der Umgebung überleben konnten, am Geschehen in ihrer Umgebung angemessen teilhaben können. Zusätzlich ist die Möglichkeit zum gemeinsamen Auslauf zu schaffen. Insbesondere in Gruppenhaltungen muss gleichzeitig darauf geachtet werden, dass rangniedrige Pferde zur Ruhe kommen. Dafür sind ausreichend große, strukturierte Flächen vonnöten. Jede Eingliederung neuer Pferde muss behutsam erfolgen.

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Unter naturnahen Bedingungen bestehen ständig soziale Interaktionen

Die Aufzucht junger Pferde in gemischt-altrigen Gruppen fördert das Einüben sozialen Verhaltens und regt zu ausreichender Futteraufnahme und Bewegung an.

Beim Umgang mit Pferden und ihrer Nutzung muss der Pferdehalter und Reiter ihr Verhalten und ihre Reaktionen kennenlernen und berücksichtigen. Wird der Mensch als höherrangiger Sozialpartner akzeptiert, schafft das – richtig ausgeübt – zugleich Vertrauen, Respekt und Sicherheit. Unsicherheiten und Zweifel, zögerliches Auftreten und fehlende Konsequenz spüren Pferde sofort. Oft führt das zur Verunsicherung und zu Schwierigkeiten in der Verständigung, die gefährlich werden können.

Klimaansprüche: Temperatur, Luft, Licht

Die Anpassung an den Lebensraum Steppe erforderte eine hohe Verträglichkeit gegenüber sowohl hohen als auch tiefen Temperaturen. Daher verfügen Pferde über die im Vergleich zu anderen Haustieren besonders ausgeprägte Fähigkeit zur Thermoregulation und sind somit auch gegenüber großen Temperaturschwankungen unempfindlich. Die Fähigkeit zur Thermoregulation ist trainierbar, also sind in kalten oder offenen Ställen gehaltene Tiere unempfindlicher als Tiere, die in warmen Ställen gehalten werden. Die Stalltemperatur soll somit der Außentemperatur folgen. Je kleiner der Aufenthaltsbereich allerdings ist, zum Beispiel weil nur die Box zur Verfügung steht, desto mehr sind Extreme an Hitze, Kälte oder Wind zu begrenzen, da die Pferde nicht selbst ausweichen und geschütztere Bereiche aufsuchen können.

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aus Schnitzer, 1970

Abb. 1: Pferde sind im Vergleich zu anderen Haustieren besonders angewiesen auf Licht, Luft und Bewegung

Das Pferd kann lange Strecken ausdauernd zurücklegen und enorme Leistungen vollbringen. Eine Voraussetzung ist der hoch spezialisierte Atmungsapparat, der indes zugleich besonders empfindlich gegen Staub und Schadgase ist. Daher müssen die relative Luftfeuchte und Gaskonzentration, der Staub- und Keimgehalt im Stall in einem gesundheitlich unbedenklichen Bereich gehalten werden, dafür sind die ausreichende Frischluftversorgung und Luftzirkulation unverzichtbar.

Auf der Weide suchen Pferde zum Lagern stets Flächen auf, die besonders dem Wind ausgesetzt sind, auch im Winter. Ihre Vorliebe für Wind liegt daran, dass sie – immer auf der Hut vor Unbekanntem – ihre Umgebung instinktiv im Blick und „in der Nase“ behalten wollen. Pferdehalter sind dagegen mitunter aus falscher Angst vor Zugluft bemüht, alle Fenster und Tore dicht zu machen. Das schadet jedoch mehr, als es nützt, denn Zugluft ist ein nur auf Teile des Körpers auftreffender kühlerer Luftstrom, der bei Berücksichtigung der Anforderungen an eine moderne Stallgestaltung nicht auftreten sollte.

Staub entsteht in Pferdeställen vor allem durch offenen Abwurf oder das Aufschütteln von Heu und Stroh. Die Staubteilchen reizen die Schleimhäute und können Träger von Krankheitserregern sein. Also sollen offene Abwurfschächte und das Aufschütteln von Heu und Stroh im Stall vermieden werden, ebenso ist es sinnvoll, die Pferde außerhalb des Stalles zu putzen.
Schadgase wie Ammoniak (NH3) entstehen durch Ausscheidung oder Zersetzungsvorgänge. Schon relativ geringe Konzentrationen können die Gesundheit der Pferde beeinträchtigen und das Infektionsrisiko erhöhen. Neben anderen Faktoren sind also schlechte und zu warme Stallluft sowie hohe Staubbelastung für Erkrankungen der Atemwege verantwortlich. Detailangaben und Grenzwerte finden sich im Kapitel Stallklima.

Das natürliche Spektrum des Sonnenlichtes hat erheblichen Einfluss auf den gesamten Stoffwechsel und beeinflusst Widerstandskraft, Leistungsfähigkeit und Fruchtbarkeit positiv. Deshalb ist es notwendig, Ställe ausreichend mit Licht entsprechender spektraler Qualität zu versorgen. So wird bei Pferden durch ultraviolettes Licht in der Haut Vitamin D aus Vorstufen aufgebaut, welches für viele Stoffwechselvorgänge wichtig ist. Dem Tages- und Jahresrhythmus kommt außerdem eine wesentliche biologische Funktion unter anderem für die Steuerung der Fortpflanzung oder des Fellwechsels zu. Pferdeställe müssen daher genügend große Fensterflächen aufweisen, und auch die Forderung, dass Pferde sich täglich im Freien aufhalten sollen, findet hierin eine weitere Begründung.

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Abb. 2: Rundumsicht

Der Gesichtssinn der Pferde ist ebenfalls an seine Natur als Flucht- und Steppentier angepasst: Ihr großer Sehkreis erlaubt selbst bei ruhiger Kopfhaltung fast die Rundumsicht. Zur Seite hin nimmt das Pferd mit nur einem Auge seine Umgebung zweidimensional mit einer gewissen Unschärfe war. Kontraste und vor allem Bewegung werden dagegen ausgezeichnet auch in weiter Entfernung wahrgenommen. Das schützte sie früher vor Fressfeinden und kann bis heute zum unvermittelten Scheuen führen. Außerdem können Pferde sehr gut hören und die Geräusche orten, was am Ohrenspiel sichtbar ist. Pferde sind ausgeglichener, wenn sie freie Sicht auf ihre Umgebung haben und verfolgen können, was um sie herum passiert.

Wasser, Futter und Futteraufnahme

Selbstverständlich brauchen Pferde ständig oder zumindest mehrmals täglich hygienisch einwandfreies Trinkwasser. Für den Verdauungsapparat des Pferdes steht durch das leistungsfähige Herz-Lungen-System vergleichsweise wenig Platz im Körper zur Verfügung, also ist es auf kontinuierliche, mindestens aber täglich mehrmalige Futterzufuhr angewiesen. Die Futterration des Pferdes muss stets einen hohen Anteil an strukturiertem Futter enthalten. In heutiger Pferdehaltung dient die Futteraufnahme nicht nur der Ernährung, sondern auch der Beschäftigung. Das Futter muss in Ruhe in entspannter Haltung aufgenommen werden können. Zusammensetzung und Menge richten sich nach Erhaltungsund Leistungsbedarf des Einzeltieres. Wichtig ist auch die gesundheitlich einwandfreie Qualität. Diese Qualität des Futters lässt sich nur bei einer sachgemäßen Lagerung der Futtermittel sowie Einsatz und Pflege entsprechender Fütterungsund Tränketechnik erhalten.

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Übersicht 1: Zusammenfassung: Pferde sind Steppen-, Flucht- und Herdentiere

1.2 Rechtliche Grundlagen, Leitlinien, Empfehlungen, Tierwohl

Tierschutzgesetz

Grundlage für die Haltung aller Tiere inklusive unserer Pferde bildet das Tierschutzgesetz (Tier- SchG) in der jeweils aktuellen Fassung, wonach „aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen sind und niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf.“ [§ 1 TierSchG].

Außerdem gilt:
„Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat,

  1. muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen,
  2. darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen, vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden,
  3. muss über die für eine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen.“ [§ 2 TierSchG]

Das Tierschutzgesetz regelt darüber hinaus weitere Aspekte der Haltung, der Zucht und des Handels von Tieren, ihre medizinische Behandlung, die Tötung/Schlachtung, den Transport und vieles andere mehr.

Das Tierschutzgesetz wird vom Bund erlassen, während der Vollzug und die Überwachung Ländersache sind. Für die konkrete Einhaltung der Vorschriften von TierSchG und einschlägigen Verordnungen sind die Veterinärbehörden verantwortlich, also in den meisten Fällen die Amtstierärzte der Landkreise und kreisfreien Städte. Dazu gehören unter anderem die Genehmigung gewerbsmäßiger Reit- und Fahrbetriebe [§ 11 TierSchG] und allgemein die Aufsicht über Pferdehaltungen [§ 16].

Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen

Eine konkretisierende Handreichung bieten die „Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Sie geben einen kurz gefassten Überblick zu Ethologie, Betreuung und Management, Weide und Auslauf, Stallboden und Einstreu, Stallklima und Lichtverhältnisse, Haltungsformen und Verfahren sowie Bauausführung und Maßen. Diese Leitlinien dienen der Selbstkontrolle der Pferdehalter und sind Orientierungs- und Auslegungshilfe für die Anwendung einschlägiger Rechtsvorschriften durch Behörden. In Streitfällen werden sie durch Gerichte häufig als sogenanntes antizipiertes, d.h. vorweggenommenes Gutachten gewertet.

Tierwohl

Weithin akzeptiert ist heute, dass das Wohlergehen der Tiere von vielen Faktoren abhängig ist und sowohl die körperliche wie auch geistige Gesundheit umfasst. Die Anpassungsfähigkeit der Tiere darf nicht überfordert werden! Der Tierschutz defi- niert Grenzen und Verbote. Demgegenüber bezieht „Tierwohl“ (auch Tiergerechtheit, englisch animal welfare) zusätzlich arttypisches (Normal-)Verhalten, Wohlbefinden sowie Haltungsumgebung und Management ein und wird durch Indikatoren bewertet. Deren Definition, Messung und objektive Beurteilung ist allerdings keinesfalls einfach. Besonders gilt das für die Bewertung des Wohlbefindens. In verschiedenen Politikfeldern und der gesellschaftlichen Diskussion gewinnt Tierwohl von Nutztieren zu Recht zunehmende Bedeutung. So beschäftigen sich Politiker, Interessenvertreter aus Verbänden und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen (Agrarwissenschaften, Ethologie, Tiermedizin, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften etc.) mit der Frage, wie man genutzte Tiere tiergerecht behandeln, einsetzen und halten kann.

Der „nationale Bewertungsrahmen für Tierhaltungsverfahren“ nimmt eine systematische Beschreibung und Beurteilung von Nutztier-und Haltungsverfahren vor (KTBL, 2006). Dabei werden die wesentlichen Funktionskreise beleuchtet, die sich aus dem Verhalten der Tiere ergeben: Sozial-/Herdenverhalten und Kommunikation, Fortbewegung, Ruhe- und Schlafverhalten, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, Erkundung, Komfortverhalten, Fortpflanzung, Spielverhalten. Bei der Bewertung wird als „Normalverhalten“ definiert, wenn grundlegende Verhaltensweisen gelebt werden können. In der zusammenfassenden Bewertung wird schließlich dargestellt, ob das Normalverhalten durch die baulich-technischen Maßnahmen weitgehend eingeschränkt oder stark eingeschränkt ausführbar ist. Hinzu kommt die Einschätzung der Risiken für die Tiergesundheit, die vor allem von Managementfaktoren beeinflusst ist.

Die Europäische Union unterstützte zu Beginn des 21. Jahrhunderts mehrjährige Forschungsprojekte, die Systeme zur Beurteilung der Qualität von Tierhaltungen entwickelten: „Welfare Quality®“. Zugrunde gelegt wurden die „fünf Freiheiten“, die im englischsprachigen Raum weite Anerkennung genießen und bereits 1979 durch das britische Farm Animal Welfare Council (FAWC) veröffentlicht wurden:

Fünf Freiheiten, Animal Welfare Council (FAWC), 1979
  • Freiheit von Hunger und Durst durch leichten Zugang zu frischem Wasser und gesundem Futter, um Gesundheit und Energie aufrechtzuhalten.
  • Freiheit von haltungsbedingten Beschwerden durch Bereitstellung einer geeigneten Umgebung.
  • Freiheit von Schmerz, Verletzungen und Krankheiten durch Vorbeugung oder schnelle Diagnose und Behandlung.
  • Freiheit zum Ausleben normalen Verhaltens, durch ausreichenden Platz, ordentliche Einrichtungen und angemessener Gesellschaft der eigenen Art.
  • Freiheit von Angst und Stress durch Sicherstellung von Voraussetzungen und Behandlung, die mentales Leiden vermeidet.

Gestrafft wurde eine Einteilung in vier übergeordnete Grundsätze (Prinzipien) und 12 Kriterien vorgenommen, siehe folgende Abbildung:

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AWIN welfare assessment protocol for horses, 2015

Abb. 3: Welfare Principles/Tierwohlprinzipien

Auf dieser Grundlage wurden 30 bis 50 Messgrößen (Indikatoren) entwickelt und dabei unterschieden:

Ein Punktsystem ermöglicht dann eine Beurteilung mittels Bewertungsprotokoll (animal welfare assessment protocol).

Schließlich fällt ein Betrieb unter die vier Kategorien „hervorragend“, „überdurchschnittlich“, „akzeptabel“ und „nicht qualifiziert“. So wird der Vergleich mit anderen Betrieben möglich, unter anderem, um die eigene Stellung selbst einzuschätzen. Das Welfare Quality®- Bewertungssystem behandelte zunächst Schweine, Geflügel, Milch- und Fleischrinder, dann auch Pferde und Esel (2015).

Diese und ähnliche Ansätze werden in der EU und diversen Ländern weiterverfolgt: 2017 verabschiedete die Europäische Union eine Resolution zu verantworlticher Pferdehaltung. Seit 2018 besteht ein Leitfaden guter Tierwohlpraxis in Haltung, Pflege und Nutzungspraxis. Verschiedene Biolandbetriebe haben ein Ampelsystem für die Beurteilung von Tierhaltungen eingeführt mit den Bereichen grün = optimal, gelb = akzeptabel, rot = inakzeptabel. Ein allgemeingültiges und zugleich praktikables System besteht indessen bislang nicht. Die Schwierigkeit liegt darin, eben nicht nur die objektiv messbaren Kriterien zu erfassen, wie zum Beispiel die zur Verfügung stehende Fläche in Box und Auslauf oder die erwartete Leistung, sondern weitere Kriterien wie Management, Verhalten, Wohlbefinden sowie deren Relevanz und Wechselwirkung. Dabei sind die Aussagekraft der Messgrößen, die Durchführbarkeit hinsichtlich eines machbaren Zeit- und Kostenaufwandes sowie die Zuverlässigkeit der Ergebnisse inklusive einer verlässlichen Wiederholbarkeit durch unterschiedliche Beobachter zu beachten.
Die Aktivitäten auf diesen Gebieten gehen weiter und sind künftig in den jeweils aktuellen Fassungen vermehrt zu beachten, inklusive der Wirtschaftlichkeit und der Umweltwirkungen.

Empfehlungen

Derzeit gibt es verschiedene Checklisten, Empfehlungen und Zertifizierungen, die eine gute Haltung und kompetentes Management attestieren. Informationen finden sich zum Beispiel in den „Richtlinien für Reiten und Fahren“ der Deutschen Reiterlichen Vereinigung mit ihren fünf Bänden, den „Ethischen Grundsätzen des Pferdefreundes“ und diversen weiteren Veröffentlichungen des FNverlages, siehe Literaturverzeichnis. Einzelheiten der Kennzeichnung von Betrieben und Vereinen sind in der Ausbildungsund Prüfungsordnung und in den begleitenden Veröffentlichungen beschrieben.

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2 Planung, Recht und Bauunterhaltung

2.1 Entwicklung im Pferdesport und Konsequenzen

Unsere Gesellschaft unterliegt einem tief greifenden Wandel. Also werden sich alle Entscheider künftig verstärkt und vor allem genauer an den Bedürfnissen der Zielgruppen ausrichten müssen. Dazu gehört, dass Kinder im Vorschulalter, Kinder ab 6 Jahren, Jugendliche ab 12 Jahren, die Gruppe der 26- bis 50-Jährigen, die der 51- bis 65-Jährigen, die älteren Senioren über 65 Jahre und die Gruppen der Zuwanderer gesondert ins Visier genommen werden müssen. Das gilt natürlich auch für den Pferdesport, wenn er sich qualitativ und quantitativ weiterentwickeln will und eine Modernisierung, Erweiterung oder ein Neubau mittel- und langfristig Sinn machen sollen. Zur Veranschaulichung zunächst ein Blick auf die statistische Entwicklung:

Statistisches Bundesamt

Abb. 4: Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland

Statistische Eckdaten

Bis in die 50er-Jahre gab es in Deutschland noch etwa 2,5 Millionen Pferde, die zu einem größeren Teil in der Landwirtschaft eingesetzt wurden. Mit zunehmender Technisierung folgte der dramatische Rückgang mit dem Tiefpunkt Ende der 60er-Jahre auf nur noch etwa 300.000 Pferde. Dann entwickelten sich Wohlstand und Freizeit, das führte in den 70er-Jahren zu einem rasanten Aufschwung, sodass heute schätzungsweise gut eine Million Pferde in Deutschland leben. Nach Angaben der Allensbacher Markt- und Werbeträger-Analyse 2013 reiten hierzulande 4 Millionen Menschen ab 14 Jahre mindestens gelegentlich, davon geben 1,2 Millionen Menschen an, häufig zu reiten, 80 Prozent sind Mädchen und Frauen.

So erfreulich die genannten Zahlen sind, dürfen sie nicht den Blick darauf verstellen, dass nach Schätzungen des Statistischen Bundesamts die Bevölkerung in Deutschland bis 2050 um fast 10 Prozent abnehmen wird (mittlere Prognose). Dabei verschiebt sich die Zusammensetzung der Bevölkerung immer weiter zugunsten älterer Menschen. Das veranschaulicht die Gegenüberstellung der sogenannten Alterspyramiden, in denen der prozentuale Anteil unterschiedlicher Altersgruppen an der Gesamtzahl der Bevölkerung grafisch dargestellt ist: Vor 100 Jahren ergab sich tatsächlich noch eine Pyramide mit einerseits vielen Kindern und Jugendlichen und andererseits wenig Alten. Dieses Verhältnis stellt sich heute vollkommen anders dar, indem in unserer Gesellschaft wesentlich mehr Erwachsene leben. Die Veränderung wird sich weiter fortsetzen. So schätzt das Statistische Bundesamt, dass im Jahre 2050 die Jahrgänge der 60-Jährigen am stärksten vertreten und die Zahl der 80-Jährigen höher als die Zahl der Neugeborenen sein wird. Das Durchschnittsalter wird von 42 im Jahre 2007 auf voraussichtlich 50 Jahre bis 2050 steigen.

Die oben kurz angerissenen Auswirkungen werden in verschiedenen Regionen unseres Landes recht unterschiedlich aussehen: Während die südlichen Flächenländer ihre Bevölkerung weitgehend halten können, wird sie in den östlichen Bundesländern weiter zurückgehen. In einigen Gegenden werden Wachstum und Schrumpfung allerdings recht dicht beieinanderliegen, das veranschaulicht zum Beispiel die regionalisierte Bevölkerungsprognose des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung in Abbildung 5.

Abb. 5: Künftige Bevölkerungsdynamik

Betrachtet man die Entwicklung der Reitvereinsmitglieder, die nicht ganz die Hälfte der aktiven Pferdesportler ausmachen, so stellt man ebenfalls fest, dass die Zeiten hoher Zuwachsraten vorbei sind und dass beachtliche Unterschiede im Bereich der Landesverbände des Pferdesports bestehen. Die Abbildungen 6 und 7 zeigen die Altersverteilung der Reitvereinsmitglieder. Bis in die frühen 80er-Jahre nahm der Anteil der Kinder und Jugendlichen stetig auf etwa 40 Prozent zu. Seitdem geht der Anteil wieder zurück, sodass heute etwa ein Drittel der Mitglieder unter 18 Jahre alt sind und zwei Drittel im Erwachsenenalter.

Abb. 6: Gliederung des Mitgliederbestandes der Reitvereine nach Alter (Zusammenfassung)

In Abbildung 6 sind die absoluten Zahlen innerhalb der Altersgruppen wie auch ihr relativer Anteil am Gesamtmitgliederbestand aufgeführt. Hier zeigen sich überall Rückgänge, außer bei den jungen Erwachsenen. Besonders deutlich sind die Abnahmen bei den Kindern und Jugendlichen unter 18.

Im Widerspruch zu der Bevölkerungsentwicklung nimmt der Anteil der Erwachsenen am Gesamtmitgliederbestand stetig ab, was vermutlich auch an einem mangelnden Angebot für diese Pferdefreunde liegt, ganz besonders dann, wenn sie über kein eigenes Pferd verfügen.

In der Altersgruppe der unter 18-Jährigen sind 90 Prozent Mädchen.

Abb. 7: Gliederung des Mitgliederbestandes der Reitvereine nach Altersgruppen

Ein Blick auf die Geschlechterverteilung innerhalb der Altersgruppen zeigt, dass der Pferdesport immer weiblicher wird (Abbildung 8). Im Jahre 1965 ritten in den Altersgruppen „bis 14 Jahre“ und „15 bis 18 Jahre“ noch etwa gleich viele Jungen wie Mädchen (51,8 zu 48,2 beziehungsweise 52,3 zu 47,7 Prozent). Seitdem nimmt der Anteil der Mädchen kontinuierlich zu: Heute sind in der Altersgruppe der unter 18-Jährigen 90 Prozent Mädchen! Dieses ungünstige Verhältnis ist zwar bei den Erwachsenen noch nicht erreicht, aber auch hier zeigt sich, dass der prozentuale Anteil der Herren leider stetig abnimmt.

Abb. 8: Mitgliederbestand der Reitvereine nach Geschlecht innerhalb der Altersgruppe

Die vorgenannten Zahlen beziehen sich auf Reitvereinsmitglieder, da über diese Gruppe ständig aktualisierte Zahlen vorliegen. Möchte man einen Überblick über alle Reiter bekommen, ist man auf Befragungen oder empirische Erkenntnisse angewiesen.
Unter Berücksichtigung dieser Ergebnisse ergibt sich etwa folgendes Bild: Nur etwa 10 Prozent der aktiven Reiter starten auf Turnieren, sei es im Regelungsbereich der Leistungs-Prüfungs- Ordnung (LPO) und der Wettbewerbsordnung für den Breitensport (WBO) der Deutschen Reiterlichen Vereinigung oder in anderen Verbänden. Die beeindruckende Zahl von etwa 90 Prozent der aktiven Reiter sind dagegen sogenannte Freizeitreiter, Pferdefreunde, die nicht selbst an Wettbewerben teilnehmen. Der größere Teil dieser Gruppe ist keinem Pferdesportverein angeschlossen.

Abb. 9: Interessen der Reiter

Verbessertes Angebot am Bedarf der Pferdefreunde orientieren

Viele Menschen würden gerne reiten, wenn sie die Gelegenheit dazu hätten und ein passendes Angebot finden würden. Die angeführten Zahlen belegen eindrucksvoll, dass die Bedürfnisse unterschiedlicher Altersgruppen und Interessen nach wie vor nicht annähernd ausreichend berücksichtigt werden und das Angebot nicht nur sehr deutliche Mängel hat, sondern teilweise geradezu kunden- und mitgliederfeindlich genannt werden kann. Diese Erkenntnisse sind im Übrigen nicht neu. Schon anlässlich des Kongresses „Reitsport 2000“ im Jahre 1987, bei der Neubearbeitung dieses Buches im Jahre 1992 oder weiteren Analysen wurde festgestellt, dass es besonders zwei Gruppen in unseren Vereinen und Betrieben schwer haben, und zwar der junge Nachwuchs im Vorund Grundschulalter, daraus folgend die männliche Jugend ab 10 Jahre sowie die große Gruppe der erwachsenen Neuund Wiedereinsteiger.

Kinder können in vielen Reitvereinen oder Reitschulen erst reiten lernen, wenn sie älter als 10 Jahre sind. Dann jedoch sind etliche bereits durch andere Sport- oder Freizeitaktivitäten ausgelastet. Für die Heranführung der ganz jungen Pferdesportler bis 10 Jahre werden geeignete Ponys benötigt, die vor allem ausgeglichen sein müssen und natürlich wesentlich weniger aufwendig gehalten werden können als Großpferde. Außerdem sollten von vornherein Freiräume zum Spielen und Toben für das Abenteuer Reitanlage geschaffen werden, was auch für kleinere oder nicht reitende Geschwister wichtig ist. Starre Reitstunden, wie sie für die Wettkampfvorbereitung üblich sind, eignen sich für die Hinführung und Motivation von Kindern – gerade Jungen – nicht.

Spaß und Entspannung: zu Pferd in der Natur

Auch für die Erwachsenen werden klare und angepasste Konzepte benötigt, wie zum Beispiel Kurssysteme, Einteilung des Jahres in Trimester oder Semester und durchdachtes Anpeilen von Zielen und Zwischenzielen. Dazu kann der gemeinsame Besuch von Veranstaltungen in Sport und Zucht ebenso gehören wie der Erwerb der Pferde- beziehungsweise Kutschenführerscheine oder der gemeinschaftliche Wanderritt in schöner Umgebung, sowohl über mehrere Stunden als auch über ein verlängertes Wochenende hinweg. Auch Angebote für nichtreitende Familienangehörige erhöhen die Attraktivität der eigenen Pferdehaltung und die positive Wahrnehmung des Engagements in der Öffentlichkeit.

Gerade Anfänger sollen mindestens zweimal in der Woche reiten oder Blockkurse besuchen können, da sich Fortschritte sonst oft frustrierend langsam einstellen. Es ist keine ernst zu nehmende Alternative zu anderen Freizeitangeboten, erwachsene Einsteiger nach ein paar Longenstunden mehr oder weniger zufällig in bestehende Gruppen mit ausschließlich fortgeschrittenen Jugendlichen einzureihen. Wichtig sind vielmehr vor allem Reitvereine, Pferdebetriebe und Ausbilder, die sich für die Wünsche und Bedürfnisse von Erwachsenen interessieren und das nach außen hin deutlich machen.