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Hagemanns Welt
Ein heiterer Erziehungsratgeber
Matthias Meyer-Langenhoff
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Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.
Lektorat: Redaktions- und Literaturbüro MTM: www.literaturredaktion.de
ISBN: 978-3-86196-066-9 - Taschenbuch
ISBN: 978-3-96074-176-3 - E-Book (2020)
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Prolog
Traumferien
Elternabend
Shoppen oder Bummeln?
Abschlussball
Vier Frauchen, ein Hundchen und ein Herrchen
Politische Bildung ab fünf
Wo ist mein Bademantel?
Das Schubidu
Erziehungsberatung
Mens sana in corpore sano
Weihnachten mit Papa
Ordnung ist das halbe Leben
Immer Ärger mit dem Auto
Wie feiert man seinen 17. Geburtstag?
Die Liebe zum Unglücklichsein
Der Autor
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Erinnern Sie sich an Mark Twain? Der Schöpfer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn soll gesagt haben, Erziehung sei die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend. Ich finde, er hat recht, denn seit auch unsere jüngste Tochter pubertiert, halte ich mich für den Berti Vogts des Erziehungsalltages. Verteidigung liegt mir einfach, schließlich habe ich jahrelang Fußball gespielt, nicht gut, aber gerne. Ich galt immer als Fußballarbeiter, eine Mentalität, die ich auf den Umgang mit meinen Kindern übertragen habe. Erziehungsarbeiter eben, und wie meine Gegenspieler verfolge auch ich meine Töchter wie ein Terrier, jedenfalls behaupten sie das. Ich gebe sogar freimütig zu, in Situationen besonderer Hilflosigkeit hin und wieder sprichwörtlich die Blutgrätsche auszupacken, dann bin ich laut, ungerecht und auf meinen Vorteil bedacht. Meine Töchter sind mir darin übrigens sehr ähnlich, der Apfel fällt nun mal nicht weit vom Stamm.
Am liebsten wollen sie aber ihre Ruhe, insbesondere vor ihrem Vater, allerdings bedienen sie sich im Gegensatz zu mir dazu einer Offensivtaktik, denn Angriff hielten sie immer schon für die beste Verteidigung. Unser Familienleben wird dadurch zwar nicht unbedingt einfacher, aber intensiver und abwechslungsreicher. Manchmal glaube ich sogar, die eigentlichen Erzieher in unserer Familie sind meine Kinder. Entspricht das der reinen Lehre? Wohl kaum, denn lateinisch Educatio, so las ich, bedeute Aufzucht und richte sich auf das heranwachsende Individuum. Ein solches bin ich natürlich mit meinen knapp fünfzig Jahren nicht mehr, aber offenbar haben unsere Töchter dazu eine völlig andere Meinung und unterstellen mir eine gewisse Erziehungsbedürftigkeit. Verstehen Sie, dass ich so etwas nicht durchgehen lassen kann? Mein Anspruch ist es, Pater Familias zu sein, nur sind Anspruch und Wirklichkeit leider zwei Paar Schuhe.
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„Warum verstehst du das nicht?“, fragte Elsa, meine Frau, als sie und unsere Kinder über einen Witz lachten, dessen Humor mir völlig verschlossen blieb.
„Keine Ahnung.“ Ich zuckte mit den Schultern, denn darüber hatte ich schon oft vergeblich nachgedacht. Erst kürzlich, als unser Nachbar Valentin bei uns in ballonseidener Trainingshose erschien, verständigten sie sich blitzschnell über sein modisches Versagen, während es mir erst umständlich erklärt werden musste. Die Kommunikation zwischen Elsa und unseren Töchtern funktioniert nach Mustern, die mir weitgehend fremd sind, gelegentlich beschleicht mich deshalb sogar ein Gefühl der Einsamkeit.
Neulich sprachen wir über unser sommerliches Urlaubsziel, ich schätze die Berge und lange Wanderungen, sie lieben das Meer, genauer gesagt den Strand und stundenlanges Sonnenbaden.
„Niemals wird es euch gelingen, mich noch einmal zu einem Urlaub an der Nordsee zu überreden“, donnerte ich mit Pathos am Mittagstisch. „Der Sand, das kühle Wetter, der Wind, das Salzwasser, all das ist eine Qual für vernünftige Menschen. Wie herrlich sind dagegen majestätische Berggipfel, sie öffnen einem das Herz, nichts geht über klares Quellwasser und satte, grüne Almen. Dort werden wir in diesem Jahr die Ferien verbringen!“
Wir beschlossen, ans Meer zu fahren.
„Schön“, strahlte Elsa, „ich bin übrigens bereits zu deinem Besten tätig geworden und habe vorsorglich eine Ferienunterkunft auf der niederländischen Insel Ameland gebucht.“
Sie war nicht zum ersten Mal vorsorglich zu meinem Besten tätig geworden, deshalb empfand ich ein gewisses Unbehagen. Außerdem war mir aufgefallen, dass ich im Laufe familiärer Auseinandersetzungen immer häufiger gegen meinen Willen die Ansicht meiner Frau zu vertreten begann. Offenbar geschah etwas mit mir, worauf ich keinen Einfluss hatte. Vielleicht setzte Elsa mich heimlich unter Drogen, denn seit geraumer Zeit litt ich unter einem hässlichen Reizhusten.
„Das Seeklima wird dir guttun“, meinte sie, „du gehst jeden Tag mit den Kindern ans Meer, setzt dich mit dem Laptop ins Strandcafé und schreibst deinen Roman zu Ende.“
„Und was machst du?“, fragte ich.
„Ich komme nach“, antwortete sie mit entwaffnendem Lächeln, „ich habe noch einiges in der Schule zu erledigen.“
„Wieso habe ich eine Schulleiterin geheiratet, wenn du doch keine Ferien hast?“, stöhnte ich.
„Damit dir finanziell jemand den Rücken freihält“, stellte meine Frau ungerührt fest. „Und vergiss bitte nicht, dass ich dir drei schöne Töchter geboren habe.“
Sie waren schön, keine Frage, aber inzwischen befanden sich Emma, vierzehn, Greta, fünfzehn, und Dorle mit stolzen sechzehn, in einer schwierigen Lebensphase, von professionellen Verharmlosern gemeinhin Pubertät genannt. Alle drei hatten sich also im Laufe der Zeit von liebenswürdigen Kindern in Eltern fressende Ungeheuer verwandelt. Mir ist völlig schleierhaft, was in ihren Gehirnen vorgeht. Wäre Alzheimer nicht ein typisches Leiden alter Menschen, würde ich mir Sorgen machen, denn im Vergleich zu meinen Töchtern bin ich ein wahrer Gedächtniskünstler. Sie schließen niemals die Zimmertüren, verlegen mindestens zwei Mal am Tag ihren Fahrradschlüssel oder vergessen Zuhause regelmäßig ihr Schulfrühstück. Natürlich haben sie immer recht. Bin ich, was ich mir selten erlaube, anderer Meinung als sie, heißt es: „Das verstehst du nicht, Papa!“
Seit Kurzem nennen sie mich übrigens ihren „Erzeuger“ und sehen in mir eine Art fleischgewordene Peinlichkeit, sodass es noch schwieriger geworden ist, hier und da väterliche Autorität durchzusetzen. Meist reagieren sie dann mit heftigen Wutausbrüchen. Allerdings können sie sich wenig später wieder anschmiegen wie kleine Kätzchen, was mir, vorsichtig formuliert, ein hohes Maß an emotionaler Flexibilität abverlangt. Ein befreundeter Psychologe riet mir, all das mit Geduld zu ertragen, bis es von selbst wieder vergehe. Ein wahrer Witzbold, seine Kinder sind drei und fünf.
Die Anziehungskraft meiner Töchter für junge, männliche Wesen gleichen Alters ist übrigens außerordentlich stark, wahrscheinlich, weil die jungen Herren unter ähnlichen Gehirnveränderungen leiden wie sie, Ungeheuer ziehen sich eben gegenseitig an. Vor allem Dorle, die Älteste, verfügt über zahlreiche Verehrer, deren besonderes Kennzeichen ein mit viel Gel modellierter Pilzkopf im Stile der frühen Beatles ist. Noch verlassen die jungen Gockel zu nachtschlafender Zeit das Haus, aber ich fürchte den Morgen, an dem der erste mir meinen Bademantel streitig machen wird.
„Freust du dich gar nicht auf den Urlaub?“, fragte Emma. Mein sorgenvolles Gesicht war ihr nicht entgangen.
„Doch, doch“, antwortete ich schnell, „schade ist nur, dass Mama nicht mitfährt.“
„Wir sind ja bei dir“, tröstete mich Emma milde lächelnd.
Die Fahrt zum Hafen, eigentlich in knapp zwei Stunden zu bewältigen, verlief komplikationslos, wenn man von gewissen Kleinigkeiten absah. Zwei Mal verfuhren wir uns, Emma wurde während der Autofahrt schlecht, wir blieben fast eine Stunde im Stau stecken und verpassten selbstverständlich die Fähre.
„Wann kaufen wir endlich ein Navi, ist doch voll peinlich immer nach Karte zu fahren“, moserte Greta, unsere Familientechnikerin.
„Wir haben einen Navigator“, entgegnete ich vorsichtig, „aber der musste in der Schule noch etwas erledigen.“
Kollektives Augenverdrehen meiner Töchter, eine gymnastische Übung, die sie perfekt beherrschen. Wie immer signalisierten sie mir auf diese charmante Art, dass nur ich die Schuld an dem Desaster trug. Ich entschloss mich, den deutlichen Hinweis auf mein Versagen zu ignorieren, mich also nicht zu verteidigen, und einer friedlichen Ankunft auf der niederländischen Insel den Vorzug zu geben.
Mit zwei Stunden Verspätung klingelte ich erwartungsvoll an der Haustür unserer Vermieterin. Als sie öffnete, stand uns eine birnenförmig gewachsene, kräftig gebaute Dame mittleren Alters gegenüber. Sie erinnerte mich nicht nur wegen ihrer Körperform an den ehemaligen Bundeskanzler Kohl. Auch ihre Gesichtszüge schienen mir vergleichbar, zudem zierte ihre Nase eine schwarz eingefasste Brille, die der junge Kohl in seinen Tagen als Oppositionsführer im Bundestag auch getragen hatte; früher ein Kassengestell, heute topmodern. Weitere Gemeinsamkeiten mit dem Exkanzler konnte ich nicht feststellen, denn Mevrouw de Jong liebte offensichtlich Bonbonfarben und war von Kopf bis Fuß in Rosa gewandet. Ihre gewaltige Oberweite wurde von einer engen, ärmellosen Bluse bedeckt, dazu trug sie eine dreiviertellange Hose und zitronengelbe, glänzende Pumps. Das rabenschwarz gefärbte Haar hatte sie zu einer Art Vogelnest zusammengesteckt.
„Goede Middag“, begrüßte sie uns, „kommen Sie gleich mit, das Ferienhaus liegt in den Dünen.“
Sie stöckelte zu ihrem Wagen und wir fuhren hinter ihr her, bis wir fernab jeder Zivilisation an einer kleinen Hütte hielten. Nur mühsam von einem Rest Farbe zusammengehalten, schien sich die windschiefe Bretterbude ängstlich im Schatten einer großen Düne verbergen zu wollen.
„So, das ist ihr Reich“, lächelte Mevrouw de Jong und wies mit großer Geste auf das schmutzig grüne Etwas. „Sie werden sich hier bestimmt wohlfühlen.“
Die Tür klemmte, aber als sie ihre bestimmt nicht weniger als hundert Kilo Körpergewicht dagegen warf, sprang sie auf. Unserem Blick erschlossen sich unendliche Weiten: Auf optimistisch geschätzten zwanzig Quadratmetern war alles untergebracht, was der Luxus liebende Urlauber für sein Wohlbefinden benötigt. An der einen Wand standen drei Doppelstockbetten, das Schlafzimmer, wie die Vermieterin ohne jede Scham erklärte. Die gegenüberliegende Wand nannte sie Küche, immerhin ausgestattet mit einem Kühlschrank, einem zweiflammigen Gaskocher und einer Waschschüssel, ihrer Ansicht nach die Spüle. In der Mitte des Raumes befand sich schließlich ein kleiner Tisch, umgeben von sechs nicht sehr vertrauenerweckenden Stühlen. Ich wunderte mich, dass sie diese Hartz-IV-Sitzgruppe nicht als Esszimmer bezeichnete. Die gesamte Inneneinrichtung verströmte den Charme einer verkommenen Schrebergartenhütte mit Sperrmüllmöblierung.
„Es ist vielleicht ein bisschen klein, aber dafür sehr gemütlich“, sagte Mevrouw de Jong mit unschuldigem Lächeln. Während ich mich bei ihr bedankte, sah ich aus den Augenwinkeln, wie meinen Töchtern zunehmend die Züge entglitten. Nachdem die Vermieterin uns verlassen hatte, versuchte ich zu retten, was nicht zu retten war. „Hier ist es richtig romantisch, einfaches Wohnen in der Natur, so muss Urlaub sein“, rief ich fröhlich. Es war aussichtslos, Blitze schleudernd fixierten mich die glühenden Augenpaare dreier Raubkatzen, bereit, ihren Erzeuger mit pubertärer Aggressivität zu zerfleischen.
„Das ist wirklich ein voll cooles Häuschen, Papa.“
In Emmas Gesicht breitete sich zu meinem ungeheuren Erstaunen auf einmal ein entspanntes Lächeln aus, ihre Schwestern schienen genauso überrascht wie ich.
„Hast du sie nicht alle? In dieser Bruchbude willst du zwei Wochen Urlaub machen? Was ist denn, wenn es regnet?“, schnauzte Dorle sie an.
„Genau, wir haben ja nicht mal ein Badezimmer. Wo ist überhaupt das Klo?“, wollte Greta wissen. Für einen Moment war ich gerettet, die Aufmerksamkeit meiner Töchter galt jetzt nicht mehr mir, sondern der Suche nach dem doch so wichtigen Örtchen.
„Stimmt, das hat sie uns gar nicht gezeigt“, antwortete ich und sah mich um.
„Ist es das?“ Emma deutete auf eine kleine, kastanienrot gestrichene Holzkabine von der Größe einer Telefonzelle, etwas höher gelegen als unser Feriendomizil. Ohne Zögern näherte ich mich dem WC und warf mich mit Wucht gegen den Eingang, so wie unsere Vermietungswalküre es demonstriert hatte, aber im Gegensatz zur Haustür funktionierte die Toilettentür einwandfrei, sodass ich wie ein Geschoss hineindonnerte und mit den Knien schmerzhaft gegen die WC-Schüssel prallte.
„Papa, was machst du denn jetzt schon wieder? Kannst du nicht mal unfallfrei aufs Klo gehen?“, ätzte meine Älteste. Ich gab keine Antwort, sondern zog es vor, mitleidheischend zu stöhnen, während ich langsam wieder hinaustaumelte. Das Örtchen war nicht nur mit einem kleinen, aber feinen Handwaschbecken ausgestattet, sondern auch mit einem luxuriösen Echtholzhängeregal, auf dem aktuelle Zeitschriften und sogar gebundene Bücher lagen.
„Mevrouw de Jong setzt offenbar Prioritäten“, dachte ich, im Vergleich zu unserer Unterkunft hatte sie hier weder Kosten noch Mühen gescheut.
„Ich geh zum Strand, sonst krieg ich ’ne Krise“, fauchte Dorle, „ruf Mama an, sie soll sich beschweren, diese Alte hat uns doch voll verarscht!“
Wütend stapfte sie mit ihrem Koffer ins Haus, warf ihn auf ein Bett und verschwand in Richtung Strand.
„Ich geh dann auch, Paps“, meinte Emma, „bin gespannt, was Mama sagt. Ist wirklich nicht schlecht hier, aber wenn sie uns ein anderes Haus besorgt, für mich kein Problem, komm, Greta!“
Sie folgten ihrer großen Schwester. Ich erledigte das, wozu man eine Toilette eigentlich benötigt, jetzt wusste ich ja, wie man eintrat, um auszutreten. Als ich mir die Hände waschen wollte, stellte ich fest, dass der Wasserhahn sich nicht aufdrehen ließ.
„Wahrscheinlich festgerostet“, murmelte ich und drehte mit aller Kraft, aber anstatt Wasser zu spenden, brach er plötzlich aus der Wand, und mir schoss eine gewaltige Fontäne ins Gesicht, die mich bis auf die Haut durchnässte und wie einen angeschlagenen Boxer ins Taumeln geraten ließ. Der Wasserdruck war so hoch, dass ich aus der Toilette gespült wurde, stolperte und draußen der Länge nach zu Boden fiel. Das hinausschießende Nass schwoll schnell zu einem tosenden Wildbach, der direkt in unseren Ferienpalast floss.
Ich rappelte mich auf und spürte Wut in mir aufsteigen, nicht nur auf die Vermieterin, sondern auch auf meine Frau, die mir all das eingebrockt hatte.
„Ja“, zürnte ich, „sie wird mich wieder der Unfähigkeit zeihen, ich werde wie immer die Schuld auf mich nehmen müssen, und dann wird sie wie eine Dea ex Machina einfliegen, um alle Probleme zu lösen. Nein, ich werde sie nicht anrufen, auf gar keinen Fall!“
Ein Blick in unsere Ferienunterkunft versetzte mir einen Schock. Das Wasser hatte sich inzwischen kniehoch auf dem Boden ausgebreitet und inmitten des Sees stand mein Koffer, in dem sich der Laptop und wichtige Teile meines Romanmanuskriptes befanden. Blitzschnell sprang ich in die Flut und bewahrte mein Allerheiligstes vor dem Tod durch Feuchtigkeit. Ich war stolz auf mich, verharrte einen Augenblick vor dem halb blinden Wandspiegel und rang meinem Gesicht einen kühnen Ausdruck ab. Gleichzeitig bedauerte ich, dass meine Töchter nicht Zeuginnen dieser heldenhaften Rettungstat sein konnten. Wieder draußen stellte ich den Koffer ins Trockene und tastete in meiner triefnassen Hose nach dem Handy, es musste ein Fachmann her, die Vermieterin hatte auf der Stelle einen Klempner aufzutreiben.
„Met Jane de Jong“, hörte ich ihre schmatzende Stimme.
„Hagemann!“, brüllte ich, nicht nur grollend, sondern unfassbar wütend, ja sogar rasend. Ein herrliches Gefühl.
„Wollen Sie mich umbringen? Ich drohe zu ersaufen! Kommen Sie sofort und bringen Sie einen Klempner mit, hier ist Land unter!“ Im Haus stieg der Pegel unablässig weiter, es schien vollzulaufen wie ein Swimmingpool, deshalb eilte ich zu der roten Kabine zurück, um die sprudelnde Quelle irgendwie zu verstopfen. Während ich verzweifelt versuchte, mein Taschentuch in die Öffnung zu schieben, aus der mir das Wasser entgegenschoss, legte sich eine Hand auf meine Schulter.
„Sie müssen den Haupthahn abdrehen“, hörte ich jemanden sagen.
„Sehr witzig, aber wo ist das verdammte Ding?“, schrie ich.
„Direkt über Ihnen, an der Wand.“
Die Hand griff über mich hinweg und drehte an einem kleinen, grünen Rad, bis der Strahl schwächer wurde und endgültig versiegte. Erst jetzt bemerkte ich, dass es sich um einen Jungen in Dorles Alter handelte, der mich grinsend ansah.
Kaum drei Schritte hinter uns, draußen vor der Toilettentür, stand meine Älteste, sie grinste nicht, stattdessen hielt sie die Arme vor der Brust verschränkt, verdrehte in mir vertrauter Weise ihre Augen, während die Mundwinkel auf halb acht hingen. Ich wusste, was kommen würde.
„Papa, echt“, würde sie gleich sagen, mit einem Ausdruck tiefsten Verachtens. Fremdschämen ist eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen.
„Papa, echt“, sagte sie, als ich erleichtert und mit einem dankbaren Blick für meinen Retter die Toilette des Grauens verließ, „da hättest du wirklich eher drauf kommen können, du hast das totale Chaos angerichtet.“
„Ich war in Panik“, verteidigte ich mich.
Der junge Mann hatte den Wasserhahn in der Hand und untersuchte ihn.
„War festgerostet, stimmt’s?“, stellte ich um Zustimmung bettelnd fest.
„Eigentlich nicht“, antwortete er, „vielleicht haben Sie in die falsche Richtung gedreht?“
Volltreffer, er hatte mich versenkt.
„Das, das … kann nicht sein“, stammelte ich. „Und wenn schon, darf das Ding denn einfach so abbrechen?“
Statt einer Antwort zuckte er mit den Schultern. Dorle war inzwischen ins Haus gewatet und sah stumm auf die angerichtete Katastrophe, wütend wirbelte sie herum.
„Ich werde hier auf keinen Fall wohnen!“, schleuderte sie mir entgegen.
„Brauchst du auch nicht“, antwortete ich, „ich habe die Vermieterin schon angerufen, sie wird bestimmt gleich hier sein, und dann ziehen wir um.“
„Haha!“, höhnte meine Tochter und wandte sich demonstrativ ab. Der junge Mann hingegen behandelte mich gnädiger, er grinste noch immer, irgendwie hatte ich sogar den Eindruck, in seinen Augen ein wenig Sympathie für mich zu entdecken, aber vielleicht war es auch nur Mitleid.
„Hätten Sie was dagegen, wenn ich mit Ihrer Tochter heute Abend nach Nes zum Roggenfest fahre?“, sagte er plötzlich. Diese Frage begriff ich als Chance. Eine Erlaubnis würde die Stimmung meiner Ältesten vielleicht entscheidend verbessern.
„Natürlich nicht“, lächelte ich also großzügig und zwinkerte ihm zu, „das wird Dorle sicher aufheitern, schön, dass Sie mit ihr ausgehen wollen.“
Sie fuhr wieder herum, ihre Augen hatten sich zu Schlitzen verengt. „Wenn du meinst, ich lass mich von dir bestechen, dann hast du dich geschnitten, ich wäre sowieso mitgegangen, auch ohne deine Erlaubnis. Jetzt ruf endlich Mama an, damit sie alles regelt!“
Im gleichen Augenblick fuhr das Auto der Vermieterin vor. „Vielleicht sollte ich ihr Dorle als Haussklavin verkaufen“, dachte ich, „das würde den entstandenen Schaden ausgleichen und mein Leben unendlich erleichtern.“
Frau de Jong wuchtete sich aus dem Wagen, auf der anderen Seite entstieg ihm ein nicht minder kräftig gebauter Mann im blauen Overall.
„God verdomme, was haben Sie angestellt?“
Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen, der Mann wackelte hinter ihr her, sah sich das Ferienhaus und die Toilette an und schüttelte mit dem Kopf.
„Am besten brechen wir alles ab und bauen neu“, meinte er lakonisch, „der Deutsche ist bestimmt gut versichert.“
„Ich bin versichert, ja, aber meine Versicherung wird keinen Cent bezahlen!“, tobte ich, stürzte auf ihn zu und trommelte mit den Fäusten auf seine mächtige Brust. „Was glauben Sie eigentlich, wen Sie vor sich haben? Ich lasse mich nicht einfach verarschen, ich nicht!“
Er schüttelte mich ab wie eine lästige Fliege und einen Augenblick später bewegte ich mich tatsächlich auf fliegentypische Art, flog durch die Luft und verlor das Bewusstsein. Wie durch Watte hörte ich irgendwann eine Stimme, es musste Dorles sein.
„Papa, Papa, was ist? Aufwachen!“
Sie tätschelte meine Wangen, und ich versuchte, mich wieder vorsichtig der Welt zu stellen. Emma und Greta waren inzwischen auch vom Strand zurück und sahen mitleidig auf mich herab, ach, es ist schön, wenn sich Töchter um ihren Vater sorgen.
Im gleichen Augenblick dröhnte über uns ein infernalischer Lärm, der von Sekunde zu Sekunde anschwoll. Gleichzeitig erhob sich ein Sandsturm, bis in kaum fünf Metern Entfernung ein Hubschrauber landete und seinen Motor abstellte. Die Schiebetür öffnete sich, eine geduckte Gestalt mit Helm sprang aus dem Fluggerät und näherte sich mit schnellen, energischen Schritten. Nachdem sie uns erreicht hatte, kniete sie sich nieder, entledigte sich ihrer Kopfbedeckung und … gab mir einen Kuss, ich schrie auf, die Dea ex machina!
„Hagen, was ist mir dir?“, rief meine Frau. Sie lag neben mir im Bett und schüttelte mich.
„Ich, ich … hatte einen schlimmen Traum“, murmelte ich verstört, „ich war allein mit den Kindern auf Ameland, alles ging schief, dann kamst du.“
Sie strich mir lächelnd über die Wangen.
„Ach, Schatz, niemals würde ich dich alleine in den Urlaub fahren lassen.“
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Neulich lud die Schule wieder zum Elternabend, es ging um die Klasse unserer Mittleren. „Geh du bitte“, bat ich Elsa, „heute ist mein Skatabend.“
„Oh nein, Schatz, das ist deine Aufgabe, ich habe an meiner eigenen Schule schon genug Elternabende.“
Sie blieb unerbittlich, seufzend ergab ich mich meinem Schicksal. Im besten Falle lösen Elternversammlungen bei mir große Müdigkeit aus, manchmal sogar Melancholie, dann quält mich die Frage, warum ich soviel meiner Lebenszeit sinnlos vergeuden muss. In besonderer Weise sind mir Elterndiskussionen über die Höhe des Taschengeldes bei Klassenfahrten verhasst. Ich ertrage sie nur, indem ich in eine Art Wachkoma verfalle. Es geht zwar nie um große Summen, aber Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst sind dagegen eine Spaßveranstaltung. Erbittert wird um jeden Euro mehr oder weniger gerungen, selbstverständlich pädagogisch immer auf der Basis neuester Ratgeberliteratur. Sich gegenseitig zum Duell aufzufordern, wäre einfacher und effektiver. Ich würde mich gerne als Sekundant zur Verfügung stellen, allerdings fehlt es den Streitern für richtige Erziehung an Satisfaktionsfähigkeit.
Manchmal kommt mir sogar der Verdacht, Elternabende werden nur veranstaltet, um den Erziehungsberechtigten vorzugaukeln, dass sie etwas mitentscheiden könnten: Demokratie im Klassenzimmer ist machbar, Herr Nachbar. Über dreißig Kinder in einer Klasse? Bis weit in den Nachmittag Unterricht? Turbogymnasium? Klausuren ohne Ende? Schulstress? Warum sich mit solchen Nichtigkeiten beschäftigen, wenn es um Taschengeldfragen geht!