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DR. DORIS WOLF

DR. ROLF MERKLE

Gefühle
verstehen
Probleme
bewältigen

Eine Gebrauchs-
Anleitung für Gefühle

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Gefühlen nicht mehr
ausgeliefert sein.

Aus eigener Kraft mit
schmerzhaften Gefühlen
umgehen lernen.

PAL Verlagsgesellschaft mbH

Seit 35 Jahren der Verlag für praktisch anwendbare Lebenshilfen erfahrener Psychotherapeuten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, abrufbar im Internet über http://dnb.d-nb.de

© PAL Verlagsgesellschaft, München

www.palverlag.de

ISBN 978-3-923614-18-9

eISBN 978-3-923614-85-1

35. Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

Bild Umschlag: ©dampoint – stock.adobe.com

Bilder Innenteil: © S. 2 lily – stock.adobe.com, S. 6 Frank McKenna – unsplash.com, S. 238 Tim Johnson – unsplash.com

Cover: Karin Etzold

Dr. Doris Wolf und Dr. Rolf Merkle sind seit über 35 Jahren als Psychotherapeuten tätig. In ihren zahlreichen Ratgeber-Bestsellern und auf ihren Websites lassen sie Leserinnen und Leser an ihrem Wissen und ihrer Erfahrung teilhaben und geben praktische Hilfe zur Selbsthilfe. Die Internetseiten der Autoren: www.doriswolf.de, www.rolfmerkle.de

Die Ratschläge dieses Buches sind von den Autoren und vom Verlag sorgfältig geprüft. Autoren und Verlag können jedoch keine Garantie geben und schließen jede Haftung für Personen-, Sach- und Vermögensschäden aus. Dieser Ratgeber ersetzt keine psychotherapeutische Behandlung.

Inhalt

Einleitung

1Selbstgespräche – der Schlüssel zu Ihren Gefühlen

2Zwei Regeln für hilfreiche Selbstgespräche

3Üben in der Vorstellung und in der Praxis

4Selbstachtung und Selbstvertrauen stärken

5Ängste verstehen und überwinden

6Schuldgefühle und Selbstvorwürfe überwinden

7Eifersucht und Verlustangst

8Depressionen überwinden

9Liebe und Partnerschaft

10Gelassen bleiben oder sich ärgern?

11Kränkungen und Verletzungen loslassen

12Einsamkeit überwinden

13Blitz-Tipps für gute Laune

14Mehr Zufriedenheit im Alltag

Ausblick und Schlusswort

Einleitung

Liebe Leserin, lieber Leser,

gibt es etwas Wichtigeres als Gefühle, als gute Gefühle? Wohl kaum. Alles, was wir tun, tun wir nur, um uns gut zu fühlen bzw. um schlechte Gefühle loszuwerden.

Wir gehen arbeiten, aber nicht des Geldes wegen. Das Geld ist nur Mittel zum Zweck. Wir wollen das Geld verwenden, um uns etwas kaufen zu können, von dem wir uns erhoffen, dass es uns gute Gefühle macht. Wir kaufen das neueste Smartphone oder Computer-Tablet, weil wir uns wichtig und dazugehörig fühlen möchten, weil es sich gut anfühlt, weil wir von anderen hoffentlich bewundernde Blicke zugeworfen bekommen. Wir kaufen neue Kleider, Schuhe, Schmuck und Accessoires, weil wir Komplimente bekommen und attraktiv sein möchten, weil neue Kleider uns kurzfristig ein gutes Gefühl geben.

Wir trinken Alkohol oder nehmen Drogen, um negative Gefühle oder Hemmungen zu betäuben und um uns high zu fühlen.

Wir greifen zu Medikamenten und Psychopharmaka, um uns körperlich und seelisch besser zu fühlen.

Wir gehen eine Partnerschaft mit einem anderen Menschen ein, weil wir hoffen, mit diesem Menschen glücklich zu sein.

Wir arbeiten viel und wollen erfolgreich sein, weil wir von anderen anerkannt werden wollen, weil wir uns erfolgreich fühlen wollen.

Musiker wie Mick Jagger gehen nicht des Geldes wegen seit mehr als fünfzig Jahren auf Tournee und geben Konzerte, sondern weil sie süchtig sind nach dem Beifall und dem berauschenden Gefühl, von Tausenden gefeiert zu werden.

Wir essen, weil wir Hunger haben und durch Essen ein gutes Körpergefühl bekommen. Wir essen, um unser seelisches Wohlbefinden zu verbessern und eine innere seelische Leere zu füllen.

Jugendliche verbringen täglich Stunden im Internet mit Spielen wie Second Life, weil sie durch das Spielen in eine Welt entführt werden, in der sie ihre Probleme vergessen und wer sein können.

Menschen treiben Sportarten, bei denen sie an ihre körperlichen Leistungsgrenzen gehen, um ein Glücksgefühl zu verspüren, um damit angeben zu können oder um sich selbst etwas zu beweisen. Menschen treiben intensiv oder regelmäßig Sport, weil dieser ihnen ein gutes Körpergefühl gibt und sie sich körperlich fit fühlen wollen.

Menschen helfen anderen Menschen, weil es ihnen ein gutes Gefühl gibt, etwas Gutes zu tun und gebraucht zu werden.

Menschen haben Sex, weil ein Orgasmus gute Gefühle macht und Anspannung abbaut.

Fällt Ihnen eine Tätigkeit ein, die Sie nur der Tätigkeit willen tun, ohne dass es Ihnen dabei darauf ankommt, wie Sie sich dabei oder danach fühlen? Wohl kaum.

Die Jagd nach guten Gefühlen birgt Risiken

Der Nachteil vieler Beschäftigungen, die uns gute Gefühle machen sollen, ist, dass sie uns ins Verderben stürzen können. Wenn wir etwas exzessiv und lange tun, dann kann uns diese Überdosis krankmachen.

Aus dem Spielen im Internet kann eine Online-Spielsucht werden. Aus dem Spielen am Glücksspielautomat eine Glücksspielsucht. Aus exzessiver sexueller Betätigung kann eine Sexsucht werden. Aus dem Einkaufen kann eine Kaufsucht mit Überschuldung werden.

Aus dem Motiv, anderen helfen zu wollen, kann ein Helfersyndrom werden. Aus dem exzessiven Arbeiten können ein Burnout oder körperliche Krankheiten entstehen. Wenn wir aus Frust und schlechter Laune essen, können wir übergewichtig werden. Wenn wir exzessiv Alkohol trinken oder Drogen nehmen, werden wir alkoholabhängig bzw. drogensüchtig. Wenn wir regelmäßig Psychopharmaka nehmen, besteht die Gefahr, dass wir medikamentenabhängig werden. Wenn wir uns von einem Menschen, etwa dem Partner, abhängig machen, haben wir Angst, ihn zu verlieren, und geraten in eine schwere Krise, wenn er sich von uns trennt.

Wir alle sind mehr oder weniger süchtig nach positiven Gefühlen. Und wir tun fast alles, um uns diese zu verschaffen – auch wenn wir uns damit letztlich selbst schaden oder gar zerstören.

Deshalb ist es geradezu lebensnotwendig, dass wir wissen, wie wir uns auf ungefährliche und unschädliche Weise gute Gefühle machen und uns von lähmenden und negativen Gefühlen befreien können. Davon handelt unsere Gebrauchsanleitung für Gefühle.

Die Vertreibung aus dem Paradies. Es war einmal …

Als kleine Kinder waren wir unbeschwert, neugierig und voller Tatendrang. Wir sind unvoreingenommen auf andere zugegangen, haben viel gelacht und haben das Leben als ein Abenteuer angesehen. Es gab so viel zu entdecken und alles war spannend und aufregend. Unser Leben glich einem Spielplatz, auf dem wir uns austoben und Spaß haben konnten, ein Rummelplatz voller faszinierender und aufregender Attraktionen, die erlebt und genossen werden wollten. Natürlich waren wir gelegentlich auch traurig, ängstlich und ärgerlich. Aber diese Gefühle hielten nie lange an. Schon nach ein bis zwei Minuten waren wir darüber hinweg und haben wieder gelacht und Spaß gehabt.

Auf unserem Weg zum Erwachsenwerden haben wir jedoch unsere Unbeschwertheit verloren. Nun sind wir häufiger pessimistisch, wütend, misstrauisch, ängstlich und kritisch. Wir haben Angst vor der Zukunft, Angst vor Ablehnung und Kritik, Angst, nicht zu genügen. Wir machen uns Sorgen und finden wenig Anlässe, zu lachen und unbeschwert zu sein.

Warum haben wir uns gefühlsmäßig verändert?

Das Leben und die Menschen haben sich nicht verändert, denn auch heute noch verhalten sich kleine Kinder wie wir damals, als wir klein waren. Wir haben uns verändert.

Das Leben ist immer noch genauso ein Abenteuer wie früher. Das Leben ist immer noch eine große Spielwiese, auf der wir uns austoben können. Was sich geändert hat, ist unsere Einstellung zum Leben, unsere Wahrnehmung des Lebens und der Menschen.

Sie werden nun vielleicht sagen: Das ist doch ganz normal. In der Kindheit ist man eben unbeschwert. Und überhaupt: Wenn man viel Negatives erlebt und erfahren hat, dann ist es doch ganz verständlich, wenn man nicht unbeschwert und ausgelassen durchs Leben gehen kann.

Sie haben Recht. Wenn man durch Dreck und Schmutz geht, dann bleibt immer etwas davon an einem hängen. Und so blieb viel Negatives an uns hängen, das heute unser Denken, Fühlen und Verhalten beeinflusst und uns die Welt anders erleben lässt als zu Kindertagen. Der „Dreck“ und „Schmutz“ unserer Kindertage machte uns im Laufe der Zeit zunehmend blind für das Schöne, Positive und Aufregende im Leben.

Was macht man mit Kleidung, die dreckig und staubig ist? Wirft man sie weg? Nein. Man wäscht sie, befreit sie vom Schmutz, und hat so wieder Freude an ihr.

Genauso können wir unser Denken von dem geistigen Schmutz befreien, der unsere Lebenszufriedenheit beeinträchtigt und der uns daran hindert, unser Leben zu genießen und Freude daran zu haben.

Dieses Selbsthilfe-Programm ist eine Gebrauchsanleitung für Gefühle, die auf den Methoden der Kognitiven Verhaltenstherapie beruht. Sie erfahren, wie Gefühle entstehen, wie Sie negative Gefühle überwinden und sich gute Gefühle machen können. Wenn Sie diese Strategien kennen und anwenden, werden Sie Ihr eigener Psychologe.

Wie Sie am meisten von unserer Gebrauchsanleitung profitieren

Wenn Sie möglichst viel für die Lösung Ihrer Probleme aus dieser Anleitung entnehmen möchten, dann dürfen Sie dieses Buch nicht wie eine Urlaubslektüre behandeln. Warum betonen wir das?

Aus Erfahrung wissen wir, dass die meisten Menschen dazu neigen, jedes Buch so zu lesen, als handle es sich um einen Roman, nämlich möglichst schnell vom Anfang bis zum Ende. Diese Leseart ist für ein Selbsthilfe-Programm nicht geeignet, um daraus den größten Nutzen zu ziehen. Wir empfehlen Ihnen deshalb folgende Vorgehensweise für das Durcharbeiten dieses Programms.

1.Lesen Sie alle Kapitel zunächst einmal im Schnelldurchlauf, um sich mit den Begriffen und dem Inhalt grob vertraut zu machen und Ihre Neugierde zu stillen.

2.Danach lesen Sie die ersten drei Kapitel, in denen wir die Grundlagen für die Veränderung von Gefühlen darstellen, aufmerksam durch. Halten Sie manchmal inne. Überdenken Sie das Gelesene. Unterstreichen Sie wichtige Gedanken, um sie rasch wiederzufinden. Machen Sie die Übungen.

3.Nach dem Lesen und Durcharbeiten der ersten drei Kapitel wählen Sie sich diejenigen Kapitel aus, die Sie besonders interessieren.

4.Reservieren Sie sich für die nächsten Wochen täglich dreißig Minuten, in denen Sie sich ungestört mit diesem Selbsthilfe-Programm befassen können.

5.Wenden Sie das Gelesene in Ihrem Alltag unmittelbar nach dem Lesen an. Das Wissen alleine, wie man Gefühle beeinflusst, genügt nicht, um es auch praktisch zu beherrschen. Sie haben schließlich auch nur Auto fahren gelernt, indem Sie sich zu Beginn mehrmals die Woche hinters Steuer gesetzt und das Autofahren geübt haben.

Übung macht den Meister

Die häufigste Ursache dafür, dass Menschen keine Verbesserung ihres seelischen Wohlbefindens erreichen, ist, dass sie nicht lange genug üben. Sie setzen eine Strategie ein- oder zweimal ein. Haben sie nicht auf Anhieb den gewünschten Erfolg, geben sie enttäuscht auf, weil sie sich einreden, sie seien zu schwach, das Problem sei zu gravierend bzw. die verwendete Strategie unwirksam.

Die Veränderung jahrealter seelischer Probleme braucht etwas Geduld und Übung. Das Laufenlernen haben Sie auch nicht von heute auf morgen erlernt. Sie brauchten Monate, bis Sie einigermaßen sicher auf beiden Beinen stehen und schließlich gehen konnten. So wie Sie als Kleinkind die Fähigkeit besaßen, laufen zu lernen, so besitzen Sie als Erwachsener die Fähigkeit, seelische Probleme zu lösen.

Was Ihnen bislang vermutlich fehlte, waren die richtigen Werkzeuge für eine erfolgreiche Selbstveränderung. Diese finden Sie in dieser Gebrauchsanleitung für Gefühle.

Ob Sie nun heute oder morgen unsere Werkzeuge einsetzen, Sie werden feststellen, dass es einfach ist, Gefühle zu verstehen und zu verändern. Ja, in unseren Blitz-Tipps für gute Laune zeigen wir Ihnen, wie Sie sich in Sekundenschnelle in eine gute Stimmung versetzen können.

Benötigen Sie die Hilfe eines Psychotherapeuten?

Es gibt persönliche Probleme, etwa schwere Depressionen, stoffliche und nichtstoffliche Süchte und Zwänge, bei denen die Unterstützung eines Psychotherapeuten notwendig ist.

Auch wenn Sie sich von Freunden und der Familie immer mehr zurückziehen, Sie unter Missbrauchserfahrungen leiden, Sie den Eindruck haben, Ihre Probleme wachsen Ihnen über den Kopf und Sie seit längerem unter Erschöpfungs- und Unruhezuständen leiden, sollten Sie Kontakt zu einem Psychotherapeuten aufnehmen. Bei Ihrer Krankenkasse erfahren Sie die Anschriften von psychologischen Psychotherapeuten in Ihrer Nähe, die mit den Methoden der Kognitiven Verhaltenstherapie arbeiten.

Wir wünschen Ihnen alles Gute und viel Erfolg auf dem Weg zu mehr Lebensfreude und Gesundheit.

Ihre

Doris Wolf und Rolf Merkle

1Selbstgespräche – der Schlüssel zu Ihren Gefühlen

Dr. Rolf Merkle

Pausenlos, vom Aufwachen am Morgen bis zum Einschlafen am Abend, führen wir Selbstgespräche. Manchmal sind wir uns unserer Selbstgespräche bewusst, oft aber laufen sie unbewusst ab.

Unsere Selbstgespräche spielen bei der Entstehung unserer Gefühle eine entscheidende Rolle. Wenn wir uns ängstliche Gedanken machen, dann verspüren wir Angst. Wenn wir uns ärgerliche Gedanken machen, dann verspüren wir Ärger. Wenn wir uns zuversichtliche Gedanken machen, dann sind wir hoffnungsvoll gestimmt. Wenn wir uns deprimierende Gedanken machen, dann sind wir deprimiert.

Ja, unsere Gedanken haben auch einen Einfluss auf unseren Körper. Wenn Sie sich vorstellen, in eine Zitrone zu beißen, dann werden Sie bei dem Gedanken daran das Gesicht verziehen und Ihr Mund wird Speichel produzieren. Wenn Sie sich ängstliche Gedanken machen, dann schlägt Ihr Herz vor Aufregung schneller, der Blutdruck steigt, es wird Adrenalin ausgeschüttet, und vieles mehr.

Und unsere Gedanken schlagen sich auch in unserer Körpersprache nieder. Wenn wir uns deprimierende Gedanken machen, dann nehmen wir automatisch die Körpersprache eines deprimierten Menschen ein: Wir lassen die Schultern hängen, unser Blick ist eher auf den Boden gerichtet, wir sprechen und gehen langsam.

Gedanken sind also mächtige Werkzeuge, die unsere ganze Person beeinflussen. Warum aber machen wir uns ärgerliche, ängstliche oder deprimierende Gedanken?

Erfahrungen prägen unser Denken

Unsere Selbstgespräche, das heißt was wir über uns, andere und unsere Erfahrungen denken, sind gelernt. Als Säugling und Kleinkind führen wir keine negativen Selbstgespräche, die uns ängstlich, ärgerlich, minderwertig oder deprimiert fühlen lassen. Wir bewerten und beurteilen uns, unser Verhalten, die anderen Menschen nicht. Wir sind quasi gegenüber den Menschen und dem Leben unvoreingenommen.

Erst durch unsere Eltern, Erzieher, Gleichaltrige, Geschwister sowie durch Erfahrungen lernen wir, uns, das Leben, die Menschen und was diese tun, mit bestimmten Augen zu sehen. Wir lernen, Menschen, Verhaltensweisen und Situationen als gefährlich oder ungefährlich, anständig oder unanständig, gut oder schlecht, richtig oder falsch, hässlich oder schön einzuschätzen. Wir verlieren mit dem Heranwachsen unsere Unvoreingenommenheit und bewerten fortan alles, was wir sehen, hören und erleben durch unsere persönliche Bewertungsbrille.

Wir lernen zum Beispiel, uns zu sorgen und zu ängstigen, ob andere Menschen uns anerkennen und mögen. Wir lernen, uns schuldig zu fühlen, wenn wir in den Augen der anderen etwas „Schlechtes“ tun. Wir lernen, uns mit anderen zu vergleichen. Schneiden wir bei den Vergleichen schlecht ab, dann halten wir uns für minderwertig oder einen Versager.

Wir lernen, dass es wichtiger ist, was andere von uns denken, als was wir von uns selbst denken. Wir lernen vielleicht, dass man eine Sache immer perfekt machen muss. Wir lernen, dass wir die Gefühle anderer verletzen und dass andere unsere Gefühle verletzen können. Wir lernen, ärgerlich zu reagieren, wenn andere unsere Erwartungen nicht erfüllen.

Mit anderen Worten: Wir lernen, unser seelisches Befinden von anderen Menschen oder den Umständen abhängig zu machen. Wir sind emotional gefangen und reagieren als Erwachsene immer wieder so, wie wir es als Kinder und Jugendliche gelernt haben.

Die gute Nachricht ist: Wir können uns aus dieser emotionalen Falle befreien. Wir sind unseren Gefühlen nicht ohnmächtig ausgeliefert. Wir können lernen, unsere Bewertungen und Selbstgespräche zu verändern, und uns so emotional aus der Opferrolle lösen.

Ab heute haben Sie Wahlmöglichkeiten

Wenn Sie sich aus der Opferrolle befreien, dann sind Sie emotional nicht mehr wie eine Marionette von anderen Menschen oder den Umständen abhängig, das heißt Sie sind nicht mehr Sklave, sondern Herr Ihrer Gefühle. Sie haben dann die Wahl, sich so zu fühlen, wie Sie möchten, unabhängig davon, was andere sagen oder tun bzw. was passiert. Sie können Ihre Fähigkeiten entfalten, anstatt sich in Ihrem Handeln durch Angst und negative Gefühle lähmen zu lassen.

Sie fühlen, wie Sie denken

Wenn Sie sich aus der Opferrolle befreien und mehr Einfluss auf Ihre Gefühle haben möchten, dann müssen Sie aufhören, andere oder die Umstände für Ihre Gefühle verantwortlich zu machen. Stattdessen müssen Sie die Verantwortung für Ihre Gefühle übernehmen. Das bedeutet, dass Sie aufhören zu sagen:

„Das macht mir Angst.“

„Du machst mich traurig.“

„Du machst mich ärgerlich.“

„Das regt mich auf.“

„Das nervt mich.“

„Das macht mich verrückt.“

„Das macht mich krank.“

„Du verletzt mich.“

Stattdessen müssen Sie akzeptieren, dass Sie es sind, der sich seine guten wie schlechten Gefühle macht. Es bedeutet, dass Sie sagen:

„Ich versetze mich in Angst.“

„Ich mache mich traurig.“

„Ich mache mich ärgerlich.“

„Ich rege mich darüber auf.“

„Ich nerve mich.“

„Ich mache mich verrückt.“

„Ich mache mich krank.“

„Ich verletze mich.“

Wie soll das gehen? Wie kann ich mich ängstlich, traurig oder ärgerlich machen?

Sehr einfach. Es ist die Art und Weise, wie Sie das bewerten, was Sie sehen, hören und erleben, das darüber entscheidet, wie Sie sich fühlen. Diese Erkenntnis ist uralt. Schon vor 2000 Jahren lehrten die Stoiker: Nicht die Dinge beunruhigen die Menschen, sondern ihre Meinung über die Dinge. Oder wie Marc Aurel es ausdrückte: Das Glück deines Lebens hängt von der Beschaffenheit deiner Gedanken ab.

Anders ausgedrückt: Sie fühlen, wie Sie denken. Es ist immer Ihre ganz persönliche Bewertung, die Sie einer Sache beimessen, die darüber entscheidet, wie Sie sich fühlen. Nur so ist es zu erklären, dass zwei Menschen ein und dasselbe erleben und dennoch emotional verschieden darauf reagieren.

Ist es nicht Veranlagungssache, wie man reagiert?

Nein. Wir werden nicht als ängstliche oder ärgerliche Menschen geboren. Die Persönlichkeit eines Menschen – sein Charakter – ist bei der Geburt nur in ganz geringem Maße festgelegt. Die Persönlichkeit eines Menschen wird in erster Linie durch Erfahrungen geformt und geprägt. Alles, was gelernt wurde, kann auch wieder verlernt werden.

Sicherlich haben Sie schon einmal erlebt, dass ein anderer völlig anders reagierte, als Sie es erwartet haben. Sie haben dann gedacht: Ich verstehe nicht, wie man dabei so ruhig bleiben kann, oder umgekehrt: Ich verstehe nicht, wie man sich über eine Bagatelle so aufregen kann.

Sie wollten damit ausdrücken, dass Sie in einer solchen Situation völlig anders reagieren würden. Wie ist das möglich? Die einzig mögliche Erklärung ist: Der andere sieht und bewertet die Situation völlig anders als Sie. Für ihn ist die Angelegenheit eine Bagatelle oder eben keine Bagatelle, sondern von großer Bedeutung. Er denkt anders als Sie und fühlt und reagiert deshalb auch anders als Sie. Diesen Zusammenhang zwischen dem Denken, unseren Selbstgesprächen, und dem Fühlen und Handeln veranschaulicht das ABC der Gefühle.

Das ABC der Gefühle – selbständig denken lernen

Jedes Mal, wenn Sie deprimiert, verärgert, ängstlich, mutlos, froh oder glücklich sind, haben Sie zuerst etwas wahrgenommen.

Sie haben etwas gesehen, gehört, erlebt, haben sich an vergangene Ereignisse erinnert oder etwas in der Zukunft ausgemalt.

Dann haben Sie das Gesehene, Gehörte, Erlebte, Erinnerte oder Vorgestellte bewertet.

Aufgrund Ihrer Bewertung fühlen Sie sich traurig, verärgert, froh, ängstlich, glücklich usw.

Ich mache mich doch nicht bewusst und freiwillig unglücklich.

Sie haben Recht. Ihre Selbstgespräche, die für Ihre Gefühle verantwortlich sind, laufen oft unbewusst und automatisch ab. Gerade weil dem so ist, ist es wichtig, dass Sie sich Ihre Selbstgespräche bewusstmachen und so erkennen, dass es Ihre Gedanken sind, die Sie leiden lassen. Nur dann können Sie Ihre Selbstgespräche korrigieren und so Ihrem emotionalen Leiden ein Ende bereiten.

Das ABC der Gefühle ist der Schlüssel zum Verständnis Ihrer Gefühle und der Gefühle anderer Menschen.

Wenn Sie mir sagen, wie Sie sich fühlen, dann kann ich Ihnen sagen, was Sie denken.

Das heißt, Tatsachen und Ereignisse sind im Hinblick auf Ihre Gefühle nicht so wichtig wie Ihre Gedanken über die Tatsachen und Ereignisse.

Auch was wir in diesem Buch schreiben, ist nicht so wichtig wie das, was Sie darüber denken. Wie Sie über das Gelesene denken, entscheidet darüber, wie Sie sich fühlen, und es entscheidet auch darüber, wie Sie mit unseren Ratschlägen umgehen.

Während Sie dieses Kapitel lesen, können Sie auf das Gelesene ganz verschieden emotional reagieren. Sie können sich ärgern, sich deprimiert fühlen, sich freuen oder sich ängstigen. Sie müssen sich nur ärgerliche, deprimierende, positive oder ängstliche Gedanken machen.

Wenn Sie sich ärgern, sieht Ihr ABC der Gefühle vielleicht so aus:

ASituation: lese den Text über den Zusammenhang zwischen dem Denken und dem Fühlen

BBewertung: Wie kann man nur so einen Blödsinn schreiben. Was soll dieser Psychoquatsch? Rausgeschmissenes Geld.

Es ist doch ganz normal, dass man sich ärgert, wenn andere einen ausnutzen und hintergehen. Immer dieser Friede-Freude-Eierkuchen-Quatsch.

CGefühle, Körperreaktion, Verhalten: bin verärgert, rege mich auf, werfe das Buch in eine Ecke

Wenn Sie deprimiert sind, dann sieht Ihr ABC vielleicht so aus:

ASituation: lese den Text über den Zusammenhang zwischen dem Denken und dem Fühlen

BBewertung: Immer bin ich an allem schuld. Ich habs ja gewusst, dass ich alles falsch mache. Ich werde es nie schaffen, mein Denken zu ändern. Ich bin nun mal so, wie ich bin. Daran kann ich nichts ändern.

CGefühle, Körperreaktion, Verhalten: bin deprimiert, bemitleide mich, lege das Buch enttäuscht und frustriert beseite

Wenn Sie froh und positiv gestimmt sind, dann sieht Ihr ABC vielleicht so aus:

ASituation: lese den Text über den Zusammenhang zwischen dem Denken und dem Fühlen

BBewertung: Wow, das klingt echt gut. Das wäre super, wenn ich mich nicht mehr so oft ärgern würde oder keine Angst mehr hätte. Bin gespannt, wie das geht.

CGefühle, Körperreaktion, Verhalten: bin zuversichtlich, guter Dinge, lese gespannt weiter

Wenn Sie beim Lesen dieses Textes ängstlich reagieren würden, dann sieht Ihr ABC vielleicht so aus:

ASituation: lese den Text über den Zusammenhang zwischen dem Denken und dem Fühlen

BBewertung: Was, wenn ich es nicht schaffe, diese Strategien umzusetzen? Dann werde ich meine Angst nie los und alles wird noch schlimmer.

CGefühle, Körperreaktion, Verhalten: bin angespannt, ängstlich, lese mit einem unguten Gefühl weiter

Sie sehen: In ein und derselben Situation können Sie verschieden reagieren. Wie Sie sich fühlen und verhalten, hängt davon ab, wie Sie das Gelesene bewerwten und einschätzen. Das trifft auf alles zu. Es sind nicht die Dinge, die über unsere Gefühle und unser Verhalten entscheiden, sondern unsere Sicht der Dinge.

Schauen wir uns noch ein Beispiel an. Nehmen wir an, Sie wären in letzter Zeit morgens ein paar Male zu spät zur Arbeit gekommen. Ihr Chef sagt zu Ihnen: „Das ist heute das vierte Mal, dass Sie zu spät kommen. Ich dulde diese Schlamperei nicht. Sie haben, wie jeder andere auch, pünktlich zu sein, ob es Ihnen passt oder nicht.“

Wie würden Sie reagieren? Wären Sie verängstigt, verärgert, deprimiert oder würden Sie die Worte des Chefs kaltlassen? Wie Sie reagieren, hängt davon ab, wie Sie die Worte Ihres Chefs bewerten. Ihr ABC der Gefühle könnte so aussehen:

ASituation: Mein Chef kommt zu mir und sagt: „…..“

BBewertung: Blöder Hund! Ich mache meine Arbeit wie jeder andere auch. Wegen ein paar Minuten so ein Theater zu machen. Unmöglich!

CGefühle, Körperreaktion, Verhalten: bin verärgert, innerlich geladen, sage nichts

Ihr ABC könnte aber auch so aussehen:

ASituation: Mein Chef kommt zu mir und sagt: „…..“

BBewertung: Hoffentlich wirkt sich das nicht negativ aus. Wer weiß, vielleicht nimmt er das zum Anlass, um mich bei nächster Gelegenheit rauszuwerfen. Wie stehe ich dann vor meiner Familie und den Bekannten da, wenn ich keine Arbeit habe?

CGefühle, Körperreaktion, Verhalten: Angst, versuche mich zu rechtfertigen oder mich zu entschuldigen

Ihr ABC könnte auch so lauten:

ASituation Mein Chef kommt zu mir und sagt: „…..“

BBewertung: Der Chef hat heute mal wieder ganz schön schlechte Laune. Bestimmt ist wieder etwas schief gelaufen, und jetzt lässt er seinen Ärger an mir aus. Na ja, er wird sich auch wieder abregen.

CGefühle, Körperreaktionen, Verhalten: bin ruhig und gelassen, vergesse den Vorfall rasch

Sie sehen: Je nachdem, wie man die Worte des Chefs bewertet und beurteilt, reagiert man emotional verschieden darauf.

Ich bin nun mal so, wie ich bin. Daran wird sich wohl nichts ändern. Mein Vater war auch schon so.

Die Tatsache, dass Sie in bestimmten Situationen immer wieder emotional auf die gleiche Weise reagieren, besagt nur, dass Sie gelernt haben, so zu reagieren. Wenn Ihr Vater pessimistisch eingestellt ist, dann haben Sie wahrscheinlich diese Haltung von ihm gelernt. Das heißt jedoch nicht, dass Sie bis an Ihr Lebensende ein pessimistisch eingestellter Mensch bleiben müssen. Sie können lernen, umzudenken. Sie können trainieren, optimistischer zu werden.

Die Fähigkeit, einmal erworbene Denkweisen und damit auch unsere emotionalen Reaktionen zu verändern, das trifft auf alle emotionalen Probleme zu – Angst, Depressionen, Ärger, Eifersucht, Einsamkeit, Schuldgefühle, Minderwertigkeitsgefühle, Selbstunsicherheit usw.

Ich kann doch nicht alles positiv sehen.

Sie haben Recht. Es wäre unangemessen, jede Situation positiv zu sehen. Es gibt Ereignisse, bei denen es angemessen ist, besorgt, traurig oder enttäuscht zu sein. In manchen Situationen haben Gefühle, wie etwa Angst und Ekel, eine Schutzfunktion, und sind deshalb auch wichtig.

Es geht darum, zu wissen, dass Sie nicht das Opfer ungewollter und lähmender Gefühle sind, und wirkungsvolle Strategien kennen, wie Sie solche Gefühle vermeiden oder überwinden können. Wenn Sie lernen möchten, sich in bestimmten Situationen anders zu fühlen und zu verhalten, wenn Sie unangemessen starke und behindernde Ängste, Depressionen und andere negative Gefühle überwinden möchten, dann können Sie das lernen.

Wenn wir die Verantwortung für unsere Gefühle übernehmen, dann sind wir unseren Gefühlen nicht mehr ausgeliefert und haben Einfluss auf diese. Wir fühlen uns nicht mehr hilflos und anderen Menschen und Situationen emotional ausgeliefert. Wir haben das Vertrauen, die Kontrolle über unsere Gefühle zu haben, und das ist enorm wichtig, weil wir uns dann nicht hilflos fühlen.

Ist es nicht besser, die Umstände zu ändern, wenn es einem schlecht geht?

Wenn es möglich ist, etwas an anderen Personen oder Ihren Lebensbedingungen zu verändern, sodass es Ihnen besser geht, dann tun Sie das. Es geht nicht darum, dass Sie sich mit ungünstigen Lebensumständen abfinden.

Es gibt jedoch eine Menge Situationen, an denen können Sie nichts, nur sehr wenig oder erst im Laufe der Zeit etwas ändern. Wenn Ihnen ein Autofahrer die Vorfahrt nimmt, können Sie das nicht ändern oder rückgängig machen. Wenn Ihre Firma Sie aufgrund der schlechten Ertragslage entlässt, können Sie nichts dagegen tun. Wenn Sie von Ihrem Chef kritisiert werden, können Sie seine Kritik nicht ungeschehen machen. Wenn Ihr Partner sich von Ihnen trennt, können Sie daran nichts ändern.

In diesen und vielen anderen Situationen haben Sie nur die Wahl, wie Sie damit umgehen, wie Sie darauf emotional reagieren.

Schön und gut. Aber es gibt Situationen, in denen ich mich einfach schlecht fühle, ohne dass ich etwas denke.

Das ist unmöglich. Es ist jedoch möglich, dass man sich seiner Gedanken nicht bewusst ist. Man hat den Eindruck, die Gefühle kommen einfach so über einen. Wie können wir erklären, dass wir uns manchmal schlecht fühlen, ohne scheinbar etwas gedacht zu haben?

Wenn Sie Autofahrer sind, dann denken Sie einmal an Ihre ersten Fahrstunden zurück. Damals haben Sie sich in Gedanken ganz bewusst Anweisungen zum Autofahren gegeben. Sie sagten sich beispielsweise: Jetzt kuppeln, jetzt den Gang einlegen, jetzt blinken, nach hinten schauen usw.

Nach einiger Fahrpraxis waren Sie in der Lage, sich in Gedanken mit anderen Dingen zu beschäftigen. Nun können Sie an die Arbeit, an zuhause oder an den nächsten Urlaub denken und brauchen mit Ihren Gedanken nicht mehr bewusst beim Autofahren zu sein.

Heißt das nun, dass Sie sich heute keine Anweisungen mehr geben? Nein. Das heißt nur, dass diese Anweisungen ganz automatisch und unbewusst ablaufen. Wir bezeichnen solche Gedanken als automatische Gedanken, da sie ohne unser bewusstes Zutun ablaufen. Diese automatischen Gedanken sind in unserem Unterbewusstsein abgelegt, in dem alle Erfahrungen gespeichert sind.

Automatische und unbewusst ablaufende Gedanken sind im Spiel, wenn Sie zum Beispiel aus heiterem Himmel Angst bekommen oder deprimiert sind. Gedanken werden zu automatischen und unbewussten Gedanken durch häufige Wiederholung.

Wie kann ich wissen, welche lähmenden Gedanken ich mir mache, wenn meine Gedanken unbewusst ablaufen?

Automatisch und unbewusst ablaufende Gedanken können Sie sich wieder bewusstmachen. Hierbei können Ihnen Fragen wie diese helfen: Worüber bin ich deprimiert? Worüber ärgere ich mich gerade? Was sage ich mir, um so schlecht gelaunt zu sein? Die Antworten auf diese Fragen sind Gedanken und Überzeugungen, die für Ihre negativen Gefühle verantwortlich sind.

Achten Sie heute und die nächsten Tagen bewusst auf Ihre Selbstgespräche und lassen Sie sich überraschen, wie es Ihnen mit zunehmender Übung immer besser gelingt, Ihre unbewusst ablaufenden Gedanken zu entdecken. Mit der Zeit werden Sie ganz bestimmte Muster entdecken, wie Sie sich Ihre negativen Gefühle machen. Denken Sie daran: Es ist unmöglich, etwas emotional zu fühlen, ohne etwas gedacht zu haben.

Wie Sie Ihr neues Wissen gewinnbringend nutzen können

1.Übernehmen Sie die Verantwortung.

So oft Sie sich dabei ertappen, dass Sie andere oder die Umstände für Ihre Gefühle verantwortlich machen, sagen Sie: „Stopp. Ich mache mich ängstlich, ärgerlich, traurig usw. Es sind meine Gedanken, mit denen ich mir meine Gefühle mache.“