Rosmarie Barwinski
Steuerungsprozesse in der Psychodynamischen Traumatherapie
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Printausgabe: ISBN 978-3-608-96424-0
E-Book: ISBN 978-3-608-12045-5
PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20450-6
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In der vorliegenden Monographie verfolgt die Psychoanalytikerin Rosmarie Barwinski, außerplanmäßige Professorin des psychologischen Fachbereichs der Universität zu Köln und Leiterin des Schweizer Instituts für Psychotraumatologie, das Ziel, ein Steuerungsprinzip psychodynamischer Traumatherapie darzustellen. Schon in ihrem letzten Buch mit dem Titel »Resilienz in der Psychotherapie« ging sie einer Konzeptualisierung längerer Therapieprozesse nach, mit der Schulen übergreifend psychische Traumata, aber auch Entwicklungsstörungen und ungelöste Konflikte ins Zentrum gerückt werden.
Barwinskis Prozessorientierung hat ihren Ausgangspunkt im Allgemeinen Dialektischen Veränderungsmodell (ADVM), das Gottfried Fischer, der 2013 verstorbene deutsche Traumapionier, 1989 einführte. Auch von einem anderen Konzept Fischers, der Konvergenz von Empirie und Logik, geht Barwinski aus und vertieft es mit großem Gewinn für die Leser. Sie stellt sorgfältige, systematische Fallgeschichten vor und kann daraus eine spezielle Veränderungslogik ableiten. Beides baut sie in ein sechsstufiges Veränderungs- bzw. Transformationsmodell ein, in dem Widersprüche festgestellt und auf ein jeweils höheres Niveau der Reflexion gehoben bzw. dialektisch aufgehoben werden.
Ebenfalls neu ist im vorliegenden Buch, dass sie dieses Modell symboltheoretisch vertieft, und das, wie ich meine, auf sehr überzeugende Art und Weise. Ob man sich dem psychischen Trauma von der Neurowissenschaft her nähert oder sozialpsychologisch durch die Prozesse der transgenerationalen Weitergabe Zugang dazu findet: Eine symboltheoretische Fundierung erscheint nach Barwinski unerlässlich, was ich nur unterstreichen kann.
Die Autorin geht dabei von der Annahme aus, dass die menschliche Entwicklungslogik das logische Vorbild ist, dem auch gelingende therapeutische Veränderungen folgen. Indem sie ihre bisherigen Überlegungen um die Bedeutung von Mentalisierung und Symbolbildung für die Repräsentation psychischer Prozesse vertieft, macht sie vorkonflikthafte, strukturelle Spannungen und Widersprüche besser vorstellbar. Genau das steht bei einer Traumatherapie im Vordergrund. Es muss, um etwas aufdecken zu können, etwas Neues erst aufgebaut bzw. entwickelt werden: ein Bewusstsein dafür, dass eine erreichte Entwicklung, die durch das Trauma buchstäblich zerstört wurde, wieder neu zu durchlaufen ist. Es geht um therapeutische Arbeit, die Konflikthaftigkeit wieder ermöglicht. Zur therapeutischen Erfahrung gehört es, dass sich nach Traumatisierungen Konflikte deshalb nicht lösen lassen, weil die strukturellen Voraussetzungen dafür erst wieder geschaffen werden müssen. Symbolische Formen und reflexive Mentalisierung sind neu zu erarbeiten.
Wie das vor sich geht, führt Barwinski mit Hilfe des Begriffs der Antinomie vor. Von Widersprüchen ausgehend kann man die Antinomie als Widerspruch zwischen unterschiedlichen Prozessen verstehen, wohingegen beim Konfliktmodell die Gegensätze aus demselben Prozess entstehen. Beim freudschen Konfliktmodell liegen Abwehr und Wunsch z. B. auf der gleichen Strukturebene, bei der Antinomie Satz und Gegensatz dagegen auf unterschiedlichem strukturellem Niveau. Die Berücksichtigung struktureller Störungen – der sogenannten Persönlichkeitsstörungen – und insbesondere der Traumatisierung, haben zu den Erweiterungen der psychoanalytischen oder psychodynamischen Therapie geführt, die es erfordern, aber auch zulassen, dass neben die aufdeckende »klassische« therapeutische Arbeit auch eine Nachentwicklung von Struktur getreten ist.
Genau dafür erweist sich der Begriff der Antinomie als sehr nützlich. Unmittelbar einleuchtend zeigt sich an der Entwicklung eines Neugeborenen, was eine Antinomie ist. Das menschliche Leben beginnt mit dem Gegensatz von instinkt- bzw. reflexhafter Organisation einerseits und dem Aufbau eines ersten sensomotorisch-koordinativen Schemas andererseits. Die Anteile dieses Gegensatzes sind strukturell unterschiedlich und müssen auf ein gemeinsames Niveau gehoben werden. Dieser Prozess wiederholt sich beim nächsten Entwicklungsschritt logisch und empirisch.
Nun bleibt mir nur noch zu wünschen, dass die LeserInnen von Rosmarie Barwinskis neuem Buch die lebendige und faszinierende Anregung verspüren, die mich dazu motivierte, mich erneut mit ihrem dialektischen Therapieansatz auseinanderzusetzen und dieses Geleitwort zu schreiben.
Heinrich Deserno
Frankfurt M./Berlin, im Februar 2020
In meinem Buch »Resilienz in der Psychotherapie« habe ich ein Stufenmodell entworfen, das beschreibt, welche Veränderungsprozesse im Verlauf einer Traumatherapie durchlaufen werden müssen, um traumatische Erlebnisse psychisch zu integrieren (Barwinski, 2016). Mit dem vorliegenden Buchprojekt möchte ich dieses Modell im Hinblick auf die Frage erweitern, wie die Wahrnehmung einer als überwältigend erlebten äußeren Realität im Trauma-Verarbeitungsprozess schrittweise repräsentiert wird. Sehr bald wurde mir deutlich, dass Begriffe wie Repräsentation, Symbolisierung oder Mentalisierung synonym verwendet werden, entsprechend der theoretischen Ausrichtung des Autors bzw. der Autorin. Hier half mir Prof. Dr. med. Heinrich Deserno bei der Begriffsklärung wesentlich weiter. Sein vierdimensionales Symbolisierungsschema ermöglichte mir zudem, besser zu verstehen, welche Bedeutung Symbolisieren beim Verständnis von Veränderungsprozessen in der Psychotherapie zukommt.
Symbolisieren ist nur im zwischenmenschlichen Kontext mit einem Gegenüber, das die eigenen Gefühle spiegelt und benennen kann, durchführbar. Indem der Therapeut bzw. die Therapeutin die für den Patienten einst überwältigenden Gefühle wahrnehmen und benennen kann, wird dem Patienten ein erster Zugang zum traumatischen Erleben möglich. Von Dr. phil. Hans Holderegger habe ich gelernt, dass der erste Schritt der Traumaverarbeitung im Therapeuten bzw. in der Therapeutin stattfinden muss. Mit seinem Konzept der »traumatisierenden Übertragung« gestattete er mir zu verstehen, warum die Gegenübertragung in der Arbeit mit traumatisierten Patienten Schwierigkeiten bereitet und wie und warum sich die Übertragung und damit auch die Gegenübertragung im Verlauf der Traumabearbeitung verändern.
Danken möchte ich auch Prof. Dr. med. Carl Scheidt und Prof. Dr. phil. Wolfgang Mertens, durch deren Einladung zu Vorträgen und Symposien ich den Anstoß erhielt, die bereits ausgearbeiteten Modelle weiter zu differenzieren und zu ergänzen.
Danken möchte ich an dieser Stelle ebenfalls Herrn med. pract. Bernd Frank, Dignität FMH Psychiatrie und Psychotherapie. In Gesprächen mit ihm wurde mir ein besseres Verständnis der Umsetzung der Theorie von Ellert Nijenhuis im Hinblick auf Symbolisierungsstufen möglich. Ebenfalls geht mein Dank an Dr. phil. Ingo Jungclaussen für seine Tipps, wie ich den Lesern abstrakt formulierte Ausführungen vereinfachend vermitteln könnte.
Ganz besonders gilt mein Dank meinem Partner Prof. Rudolf Barmettler für die geduldige Durchsicht meines Manuskripts und seine Hinweise zur Strukturierung des Textes. Herrn Beyer vom Verlag Klett-Cotta danke ich vielmals für die konstruktive Zusammenarbeit und die Unterstützung bei der Realisierung des Projekts.
Rosmarie Barwinski
Zürich, den 15. März 2020
In den vergangenen Jahren wurde eine Reihe von Techniken zur Behandlung von Trauma-Folgestörungen entwickelt, wie zum Beispiel PITT (Psychodynamisch-Imaginative Traumatherapie), NET (Narrative Expositionstherapie), EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) oder PE (Langzeit-Expositionstherapie). Die genannten Behandlungsmethoden und -techniken sind durchaus sinnvoll, vorausgesetzt sie sind den im Behandlungsverlauf notwendigen Zielen angepasst und vor allem, wenn ihre Wirkung auf die therapeutische Beziehung reflektiert wird. Diese beiden Bedingungen werden allerdings häufig nicht explizit berücksichtigt. Techniken werden in der Praxis ohne zugrunde liegendes Veränderungskonzept angewendet, und ihre Wirkung auf die therapeutische Beziehung wird nicht reflektiert. Traumafokussierende Techniken allein haben sich vor allem bei komplexen posttraumatischen Folgestörungen nicht als effektiv erwiesen (Ford & Kidd, 1998; Spinazolla et al., 2005), einiges spricht sogar dafür, dass die Anwendung von spezifischen traumabearbeitenden Techniken für dieses Klientel schädlich zu sein scheint. Diese Patientengruppe benötigt ein Behandlungsangebot, das sich überdies an ihre spezifischen Schwierigkeiten richtet, die aus ihrer Bindungs- und Entwicklungspathologie resultieren können. Ich möchte deshalb einem technikorientierten Vorgehen eine andere, beziehungsorientierte Sichtweise entgegenstellen. Ich gehe davon aus, dass der zur Genesung notwendige Wiederaufbau der durch Trauma zerstörten Selbststrukturen nur in der Beziehung möglich wird. Wie diese Beziehung gestaltet werden muss, ist abhängig davon, wo im Verarbeitungsprozess ein Traumabetroffener steht und welche Grundstörung bereits vor traumatischen Ereignissen vorlag.
Der Wiederaufbau eines kohärenten Selbstgefühls, das bei traumatischen Erfahrungen verloren geht, geschieht in Stufen. Ich stelle ein Modell vor, in dem zwischen sechs Stufen unterschieden wird, die im Verlauf einer Traumaverarbeitung durchlaufen und integriert werden müssen. Auf Stufe 1 zeigen sich Erinnerungsspuren traumatischer Erfahrungen in Form von Körpersymptomen. Stufe 2 ist durch das Traumaschema (die Gefühle und das Schutzverhalten in traumatischen Situationen) gekennzeichnet. Stufe 3 beschreibt die Mitteilung traumatischer Affekte. Auf Stufe 4 zeigen sich Erinnerungen an traumatische Geschehnisse in unterschiedlichen Persönlichkeitsanteilen. Auf Stufe 5 werden Erinnerungen durch intrapsychische Konflikte selektioniert. Und auf Stufe 6 schließlich ist ein vollständiges Narrativ der eigenen Traumageschichte möglich geworden. Mit jeder Stufe sind unterschiedliche Abwehrmechanismen und andere Funktionsmodi verknüpft. Und mit jeder Stufe geht eine andere Form des Selbstbewusstseins bzw. der Selbstreflexion einher. In meinem Stufenmodell hebe ich die Bedeutung der Gegenübertragung hervor und führe aus, wie sie sich von Stufe zu Stufe im Verlauf einer Traumabearbeitung verändert.
Wie Heinrich Deserno gehe ich von der Prämisse aus, dass allgemein Symbolisieren Widersprüche aufhebt, bis neue entstanden sind und wieder aufgehoben werden müssen (Deserno, 2006). Die Lösung von Widersprüchen wird gemäß dem eigenen Modell als Anstoß für Entwicklung betrachtet, die zu höheren Symbolisierungsstufen führt. Mit Hilfe dieser dialektischen Sichtweise zeige ich auf, welche Bedeutung Symbolisieren beim Verständnis von Veränderungsprozessen in einer Traumatherapie zukommt und wie ein besseres Erfassen dieser Prozesse für die Behandlung von traumatisierten Menschen nutzbar gemacht werden kann. Ich möchte ein Beispiel dafür nennen.
Eine 42-jährige Ärztin, Frau A., wurde wegen Depressionen zur Behandlung überwiesen. Sie berichtete bereits im Erstgespräch über ihre traumatische Kindheit. Ihr Vater hatte sie und ihre Geschwister schwer körperlich misshandelt. Ihre Mutter starb, als sie fünfjährig war, infolge einer illegalen Abtreibung, bei der der Vater beteiligt war. Obwohl sie von der Mitschuld des Vaters am Tod der Mutter erfuhr und sie und ihre Geschwister massive Gewalt von ihrem Vater erlebt hatten, verleugnete Frau A. die Brutalität ihres Vaters. Frau A. erinnerte sich zwar an Misshandlungen durch ihren Vater, aber für sie blieb ihr Vater ein »guter Vater«, der durch das Fehlverhalten anderer zu Gewalt und kriminellen Akten getrieben worden war.
Als sie im Verlauf der Therapie bewusst zu realisieren begann, was der Vater ihr angetan hatte und wie gewalttätig der Vater wirklich war, erlebte die Patientin eine »überwältigende Wut und mörderischen Hass auf den Vater«. Diese Wut konnte sie nicht integrieren. In den Gesprächen mit ihrem Therapeuten zeigte sich eine oszillierende Bewegung: Sie schwankte zwischen Hass und Liebe gegenüber dem Vater. Zum Beispiel warf sie sich vor, dass sie Gewalt
provoziert habe, weil sie nicht aufgepasst habe. In diesen Momenten fühlte sie sich schlecht und böse. Wenig später äußerte sie: »Er war wirklich ein Sadist. Wenn ich an ihn denke, habe ich eine wahnsinnige Wut.« Sie selbst bemerkte die Widersprüche in ihren Aussagen nicht. Sie zeigte damit eine Spaltung im Selbst. Ein Teil von ihr wusste um das Geschehen, im anderen Teil blieb das Bild des »guten Vaters« unbeschadet bestehen.
Spürte sie nur Hass und erlebte sie den Vater als nur böse, geriet sie in eine für sie unerträgliche Einsamkeit. Die Wut versuchte sie dann abzuwehren, indem sie Vorwürfe an den Vater gegen sich richtete. Dann fühlte sie sich dem Vater zwar nahe und erlebte nicht mehr das Gefühl der Verlassenheit, aber war in ihren Augen schlecht und böse.
Bei genauer Betrachtung zeigte die Patientin eine Vermischung verschiedener Symbolisierungsstufen: Die Erinnerung an Gewalt wurde gleichgesetzt mit der Repräsentanz des »guten Vaters«. Diese Stufenvermischung macht auch den beschriebenen Wechsel verständlich: Der Vater wird als Täter erkannt, wenn sie sich an die Gewalt durch ihn erinnert, aber im nächsten Moment verehrt, wenn die Repräsentanz des Vaters als liebender Beschützer wirksam wird. Wird die Symbolisierung von Gewalterfahrungen – die Erinnerung an das Geschehene – gleichgesetzt mit der höheren Stufe der Repräsentanzen, muss die Angst vor innerem Beziehungsverlust überwältigend werden. Erst die Unterscheidung zwischen diesen beiden Stufen ermöglicht die übergeordnete Stufe, auf der die Spaltung im Selbst aufgelöst ist. Erst dann kann der Vater als Täter erkannt werden.
Um Behandlungstechniken sinnvoll einzusetzen, braucht es Wissen, wie Veränderung möglich wird. Das eigene Stufenmodell beschreibt, wie die Transformation eines äußeren Geschehens in innerseelische Repräsentation möglich wird und welche Veränderungsschritte den Übergang von einer zur nächsthöheren Symbolisierungsstufe möglich machen. Ausgehend vom Stufenmodell kann dann, theoretisch begründet, der Einsatz unterschiedlicher Techniken bestimmt und gesteuert werden, um unterschiedliche Behandlungsmethoden beziehungsorientiert und dem Trauma-Verarbeitungsstand entsprechend einzusetzen.
Das vorliegende Buch gliedert sich in drei Teile, die jeweils drei bis vier Kapitel umfassen. Im ersten Teil geht es um die Frage, wie Traumata innerseelisch repräsentiert werden. Im ersten Kapitel des ersten Teils wird diese Frage im Rahmen gedächtnispsychologischer Konzepte diskutiert. Folgend wird die Repräsentation traumatischer Erfahrungen aus entwicklungspsychologischer Sicht beschrieben. Dabei gehe ich von der Hypothese aus, dass die Repräsentation traumatischer Erlebnisse ähnliche Stufen durchläuft, wie wir sie bei der Repräsentanzenbildung in der kindlichen Entwicklung finden. Den Stufen der Repräsentanzenbildung werden schließlich Ausdrucksformen von Erinnerungen an traumatische Erlebnisse zugeordnet. Dieses erste Stufenmodell wird im dritten Kapitel mittels psychoanalytischer Symbolisierungstheorien und Theorien aus der Semiotik differenziert und erweitert. Im vierten, abschließenden Kapitel des ersten Teils steht die Rolle des/der TherapeutIn für Prozesse des Symbolisierens im Vordergrund. Es wird aufgezeigt, dass neben der angewendeten Behandlungstechnik es die/der TherapeutIn als emotional resonantes Subjekt ist, durch den/die Veränderungen beim Patienten ermöglicht werden. Zentral ist dabei der Umgang mit der Gegenübertragung, die unterschiedliche Ausprägungen entsprechend der Symbolisierungsstufe, die im Prozess der Traumaintegration erreicht ist, aufweist.
Im zweiten Teil des Buches wird eine Veränderungstheorie vorgestellt, die demonstriert, wie der Übergang von einer zur nächsthöheren Symbolisierungsstufe möglich wird. Psychotherapeutische Veränderungsprozesse folgen gemäß dieser Theorie einer vergleichbaren dialektischen Logik, wie Piaget sie für die kognitive Entwicklung des Menschen aufgezeigt hat. Anstoß für einen Entwicklungsschritt sind Widersprüche, die sich im Trauma-Integrationsprozess auf unterschiedlichen Symbolisierungsstufen zeigen. Wie sie gelöst werden können, wird theoretisch begründet und anschaulich anhand von Fallbeispielen illustriert.
Im dritten Teil des Buches werden die bekanntesten Methoden und Techniken zur Traumabearbeitung vorgestellt und ihr Beitrag beim Integrationsprozess traumatischer Erfahrung auf der Grundlage des erarbeiteten Stufenmodells dargelegt. Das Stufenmodell wird dabei als Bezugssystem verwendet, um unterschiedliche traumabearbeitende Techniken entwicklungsfördernd einzusetzen. Es zeigt auf, welche Formen der Intervention wann in diesem Prozess Sinn machen und welche Schwierigkeiten in der therapeutischen Beziehungsgestaltung erwartet werden müssen.
Das Buch richtet sich an PsychotherapeutInnen und an weitere Berufsgruppen, die mit Menschen mit komplexen posttraumatischen Folgestörungen arbeiten. Es soll helfen, unterschiedliche Behandlungsmethoden und -techniken beziehungsorientiert und dem Veränderungsprozess des Patienten bzw. der Patientin angepasst anzuwenden. In diesem Sinne qualifiziert es sich als Kompass, um sich unter der Vielzahl der angebotenen Traumatechniken zurecht zu finden.
Teil I
Kapitel 1
Wenn wir mit traumatisierten Patienten arbeiten, werden wir mit Erinnerungen an schreckliche Erlebnisse und den damit einhergehenden Gefühlen konfrontiert, die sich in sehr unterschiedlichen Formen zeigen können. Ich möchte einige Beispiele nennen:
Frau K., eine 30-jährige Patientin, fiel bei einem Streit mit einem Arbeitskollegen im Lagerraum des Geschäfts, der im Keller gelegen war, zu Boden. Ihr Mitarbeiter hatte sie angerempelt und sie hatte daraufhin das Gleichgewicht verloren. Als sie am Boden lag, sah sie das Bild eines Kellerraums, in den sie als fünfjähriges Kind eingesperrt worden war. Sie sah die Umrisse von Männern, die um sie herumstanden und wusste plötzlich, dass sie in diesem Keller sexuelle Übergriffe erlebt hatte. Sie hatte 25 Jahre lang ihre schrecklichen Erlebnisse »vergessen«.
Auch Frau S., 25 Jahre alt, konnte sich nur bruchstückhaft an ihre traumatische Vergangenheit erinnern. Als sie zum Erstgespräch auf eine Traumastation kam, versteckte sie sich unter dem Tisch, nachdem der diensthabende Arzt die Tür geschlossen hatte. Wie aus der Vorgeschichte der Patientin später bekannt wurde, war sie von ihrem Vater schwerst körperlich misshandelt wurden. Die gewalttätigen Übergriffe des Vaters fanden immer in einem abgeschlossenen Raum statt, aus dem die Patientin nicht flüchten konnte. Der Patientin war nicht bewusst, dass in einem Raum eingeschlossen zu sein, für sie bedeutete, erneut körperlich misshandelt zu werden. Erst in den folgenden Gesprächen konnte sie erkennen, dass ihre Flucht unter den Tisch das Verhalten widerspiegelte, wie sie sich in traumatischen Situationen zu schützen versucht hatte.
Frau A., die ich bereits in der Einleitung erwähnt hatte, wurde wegen Depressionen zur Behandlung überwiesen. Sie hatte nicht lange zuvor eine lang währende intime Beziehung zu einem Vorgesetzten abgebrochen, der sie körperlich, beruflich und seelisch ausgenutzt und erniedrigt hatte. Auch in ihren vorangegangenen Beziehungen hatte sie Gewalt und Entwertung erfahren. Sie berichtete bereits im Erstgespräch über ihre traumatische Kindheit. Ihr Vater hatte sie und ihre Geschwister schwer körperlich misshandelt. Ihre Mutter starb, als sie fünfjährig war, infolge einer illegalen Abtreibung, bei der der Vater beteiligt war. Obwohl sie von der Mitschuld des Vaters am Tod der Mutter erfuhr und sie und ihre Geschwister massive Gewalt von ihrem Vater erlebt hatten, verleugnete Frau A. die Brutalität ihres Vaters. Frau A. erinnerte sich zwar an Misshandlungen durch ihren Vater, aber für sie blieb ihr Vater ein »guter Vater«, der durch das Fehlverhalten anderer zu Gewalt und kriminellen Akten getrieben wurde. Sie konnte nicht emotional erfassen, was der Vater ihr angetan hatte und wie gewalttätig der Vater wirklich war.
In den drei beschriebenen Fallbeispielen zeigen sich Erinnerungen an traumatische Erfahrungen auf vielfältige Weise: als Flashbacks, Wiederholungen von Selbstschutzverhalten in traumatischen Situationen oder als zeitlich klar einordbare Erinnerung, die aber in ihrer emotionalen Bedeutung nicht bewusst sind. Es gibt verschiedene Erklärungsversuche, diese Unterschiede im Ausdruck von Erinnerungen an traumatische Geschehnisse verständlich zu machen. Ich möchte in einem ersten Schritt von gedächtnispsychologischen Konzepten ausgehen.
Verstehensziele im folgenden Kapitel sind:
Erinnerungen an traumatische Ereignisse unterscheiden sich von Erinnerungen an andere, vielleicht auch belastende, aber nichttraumatische Erfahrungen.
Unterschiede in der Ausdrucksform von Erinnerungen an traumatische Geschehnisse stehen damit im Zusammenhang, wo (in welchem Gedächtnis) diese Erfahrungen gespeichert werden.
Die besondere Form der Speicherung von traumatischen Ereignissen im Gedächtnis erschwert die Verknüpfung mit anderen Gedächtnisinhalten.
Erinnerungen werden durch die Aktualität (den therapeutischen Prozess) als ein konstruktives Moment mitbestimmt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Erinnerung an traumatische Erfahrungen als »subjektive Realität« im Sinne einer inkorrekten Verzerrung der Realität abgetan werden kann.
In der Gedächtnisforschung versteht man unter Gedächtnis alles, was den Einfluss vorangegangener Erfahrungen widerspiegelt (Nadel, 1990). Eine solche Definition beinhaltet auch die präverbalen, prärepräsentativen und präsymbolischen Erfahrungen, die jedoch in verschiedenen Gedächtnisarten gespeichert werden. Im folgenden Abschnitt werden verschiedene Gedächtnisarten beschrieben, die in der Gedächtnisforschung unterschieden werden: implizites und explizites Gedächtnis; semantisches und episodisches Gedächtnis und autobiographisches Gedächtnis. Bei dem Versuch, verschiedene Gedächtnisarten zu unterscheiden, gerät man unweigerlich in ein Dickicht von Definitionen, die Teilaspekte beschreiben. Da man sich Gedächtnis nicht als statische Einheit, sondern als einen höchst komplexen dynamischen Vorgang vorstellen muss, sind Unschärfen und Überschneidungen der verschiedenen Definitionen unvermeidlich. Trotzdem erweisen sie sich als hilfreich, um die Komplexität verschiedener Formen der Erinnerung besser erfassen zu können.
Das prozedurale oder implizite Gedächtnis beinhaltet ein frühes, dem Kind nicht bewusstes, somatopsychisches, sensorisches und emotionales Einprägen. So werden zum Beispiel Worte, die die Mutter spricht, in einer »Wort-Form-Repräsentanz« (Schacter, 1987