Die Rezepte meines Vaters

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mit all seinen Höhen und Tiefen,

von Tag zu Tag.

Pierre Gagnaire, Küchenmeister

Ich nehme den Blick nicht von deinen Händen auf der Krankenhausdecke. Sie sind durchscheinend wie Seidenpapier. Wie Wurzeln, die sich in einem Bachbett verlieren. Dabei weiß ich noch, wie lebendig und eifrig sie früher waren, wenn auch vom Handteller bis zur Kuppe des Zeigefingers ramponiert. Lachend hast du behauptet, du seist der «Meister der Verbrennungen». Zwar hattest du stets ein Geschirrtuch in der Schürze stecken, doch sobald es hektisch wurde, hast du vergessen, es herauszuziehen, und rasch in die Pfanne gegriffen, um mit bloßen Händen die Kalbskoteletts oder Barschfilets umzudrehen. Du hast keinen Mucks von dir gegeben, wenn du dich verbrannt hast, obwohl du die Hände in heißes Öl gehalten oder den Kuchen gleich nach dem Backen aus der Form genommen hast.

Eine Verbrennung verscheucht die vorige, hast du gesagt, den Spruch hattest du von dem alten Bäcker, der dir als Kind beigebracht hat, wie man Brot backt. Und du hast gelacht, wenn ich die Schwielen an deinen Händen berührt habe. Auch habe ich gern mit dem letzten Fingerglied deines Zeigefingers gespielt, das knotig war wie ein Rebstock, und ich bat dich, mir noch einmal zu erzählen, wie es zu dieser Deformierung kam. Du seist damals kaum älter gewesen als ich, hast du erzählt. Du hast am Tisch gesessen, wo deine Mutter den Fleischwolf aufgebaut hatte, um eine Fleischpastete

Als er die Schiene abnahm, war dein Zeigefinger ganz rosa, und das letzte Glied zeigte nach links. Dein Finger sei zwar gerettet, sagte der Doktor, möglicherweise seist du aber wehruntauglich. Dein Vater runzelte die Stirn und erklärte, du werdest deinen Wehrdienst ableisten wie alle anderen auch. Und du hast den Kopf geschüttelt, als du davon erzähltest, und seufzend hinzugefügt: «Wenn er gewusst hätte, dass ich zwanzig Monate in Algerien kämpfen musste.» Dann hast du mit dem Nagel deines verformten Fingers den Topfboden sauber gekratzt und behauptet, er sei äußerst nützlich, um an schwer zugängliche Stellen heranzukommen.

Ich erinnere mich an deinen Zeigefinger auf einem Messerrücken oder einer Teigspritze. Du hast dir immer so viel Mühe gegeben, als müsstest du deine Gesellenprüfung ablegen. Als ich deinen Finger jetzt anhebe, wirkt er leicht und winzig wie der Knochen eines Hähnchens, das aus Käfighaltung stammt. Oft hat es mir in den Fingern gejuckt, an dem verbogenen Glied zu ziehen, um es wieder zu richten. Doch nun packt

Noch einmal streichle ich deine Hände. Wenn sie sich doch bewegen würden, und sei es nur um einen Millimeter. Aber sie fühlen sich an wie die Pfannenwender, die du an die Dunstabzugshaube gehängt hast, nachdem du sie beim Wenden der Kartoffelpuffer den ganzen Abend über hattest tanzen lassen. Ich suche im Nachttisch nach dem Duftwasser, das ich dir zu Weihnachten geschenkt habe. Dem Herrenduft Pour un homme von Caron. «Sie werden sehen, für einen Mann seines Alters ist es genau das Richtige», hatte mir die Verkäuferin im Gare de Lyon versichert.

Am 25. Dezember morgens habe ich dich rasiert, und du hast meine Hand angehalten.

«Was ist das?»

«Ein Parfum.»

«So was hab ich noch nie benutzt.»

Du hast zugelassen, dass ich ein paar Tropfen auf deinen Hals auftrage, und gebrummt: «Ein Koch benutzt kein Duftwasser. Das verdirbt ihm die Nase und die Geschmackszellen.» Misstrauisch hast du daran geschnuppert und gesagt: «Was du nicht alles mit mir anstellst.»

Ich beträufele meine Hände mit dem Duft und massiere vorsichtig deine Finger, deine Handteller.

«Was macht er da?», flüsterte Florence.

«Er knetet. Zuerst dachte ich, er macht einen Mürbeteig, aber es ist ein Brotteig. Jetzt zupft er sich die Teigreste von den Fingern.»

«Es sieht wunderschön aus.»

«Wann wird er uns verlassen?»

«Das entscheidet er.»

Ich habe immer noch Florence’ Worte im Ohr, die nachts bei dir wacht. Es ist Samstagabend, sie hat heute frei. Ehe du vor drei Wochen ins Koma gefallen bist, habt ihr euch über das Kochen unterhalten. Du hast ihr deine Spezialitäten beschrieben, pochierte Eier mit Pfifferlingen und Vin jaune sowie deine eingekochten Weinbergpfirsiche. Auch mit der Schilderung der Zubereitung deiner Klöße hast du ihr eine große Freude gemacht. Doch du hast den Kopf geschüttelt, als ich behauptet habe, sie würde dich umgarnen, um dir deine Rezepte zu entlocken. «Die kriegt sie nicht und auch niemand sonst», hast du zornig lächelnd wiederholt.

Florence empfindet große Zuneigung für dich. Ich merke, dass ihr deine Einsamkeit nahegeht. Sie verschließt die Augen vor dem Zirkus, den ich seit deiner Einlieferung vor sechs Monaten veranstalte. «Das Zeug ist ungenießbar», hattest du beim ersten Bissen entschieden. Folglich habe ich dir «kleine Häppchen» vorbeigebracht, nach denen du verlangtest. Gewissenhaft breitete ich auf deinem Bett eine rot karierte Tischdecke aus und stellte dir einen Teller mit deinen Wunschspeisen hin: Kartoffelsalat, Sellerie-Remoulade, Schinken im Heumantel, Bratkartoffeln mit Heringsfilets, Pastete im Teigmantel. Und dazu ein großes Stück Käse: einen Comté mit vierundzwanzigmonatiger Reifung, etwas Époisses, ein Stück Saint-Marcellin. Du hattest dir sogar

Am Abend, bevor du ins Koma gefallen bist, habe ich dich gefüttert. Apfelkompott mit einem Hauch von Zimt und Zitrone. Damals sprachst du schon nicht mehr. Seither hast du nichts mehr gegessen. Du wirst mit einem Cocktail aus Midazolam und Skenan, einem Beruhigungsmittel und Morphium, intravenös ernährt. Dabei hast du immer gesagt: «Wenn ich irgendwann erfahre, dass ich es nicht mehr lange mache, geht’s ganz schnell.» Ich hätte nie damit gerechnet, dass du zum Sterben so lange brauchen würdest.

Einmal habe ich Florence gefragt: «Warum kann er nicht loslassen?» Nach einem langen Moment des Schweigens antwortete sie: «Und wenn er Ihnen die Zeit geben will, sich von ihm zu verabschieden?» Der Satz hat mich sehr getroffen, er verfolgt mich noch heute. Manchmal fühle ich mich für dein Koma verantwortlich. Mit meinem Gejammer, meinem Kummer, weil ich zurückbleiben werde, füge ich dir Leid zu und halte dich davon ab zu gehen. Einmal wollte ich dir ins Ohr flüstern: «Papa, geh, wenn du willst», aber ich brachte kein Wort heraus.

Als ich dein Krankenhausnachthemd nach oben schiebe, um dich mit dem Duftwasser einzureiben, bemerke ich deine marmorierte Haut, das Blut scheint sich in deinen Adern zu stauen. Heute Nacht wirst du uns verlassen. Das weiß ich, seit ich am Morgen angefangen habe, die Königinpastete für den Valentinsabend vorzubereiten. Die Stammgäste haben sich das Gericht gewünscht, das du ihnen jedes Jahr am 14. 

Du hast mir kein einziges Rezept erklärt. Zumindest nicht so, wie man es in der Schule lernt. Es gab keine Notizen, keine Mengenangaben, keine Anweisungen, ich musste mir alles mit Augen und Ohren aneignen. Wenn du zu mir gesagt hast: «Tu Salz dran», fragte ich: «Welches Salz? Wie viel?» Du hast dann die Augen verdreht, meine Fragen gingen dir auf die Nerven. Plötzlich packtest du meine Hand und gabst etwas grobes Salz hinein: «Du tust dir Salz in die hohle Hand, um die Menge abzuschätzen. Das kann doch nicht so schwer sein, in der hohlen Hand lässt sich alles abmessen.» Wenn du von einem «Esslöffel Mehl» gesprochen hast, musste ich erraten, ob es sich um einen gestrichenen oder gehäuften Esslöffel handelte. Auch konnte ich dir nie die Garzeit entlocken. Du sagtest nur: «Du hast ein Messer und Augen, das reicht dicke, um zu wissen, ob etwas fertig ist oder nicht.»

 

Als ich heute Morgen Krebse im Gemüsesud kochte, habe ich mich von neuem gefragt, wo du das Rezeptbuch versteckt haben könntest. Das Buch ist wie eine Luftblase, die an der

Wie oft kam mir diese Szene in den Sinn, wenn ich zögernd vor meinen Töpfen stand? Wie oft habe ich, allein am Herd, im Geiste in deinem Rezeptbuch geblättert? Ich sehe es in Mamas Händen, den Ledereinband, hinter dem ihre Schrift gleichmäßig dahinfließt, um Zutaten, Garzeiten, Kniffe und Geschmacksrichtungen wiederzugeben. Ich, der ich seit jeher Béchamelsoße hasse, hätte mich gern über ein Blatt Papier gebeugt und sie Schritt für Schritt erlernt, anstatt auf all deine Bewegungen zu lauern.

Stattdessen hast du eines Tages in einem Anfall kalter Wut beschlossen, es verschwinden zu lassen.

Heute Nachmittag habe ich Lucien abgeholt, damit er nicht aufs Mofa steigen muss. Deine Krankheit hat ihn altern lassen, und die Arbeit in der Küche fällt ihm zunehmend schwer. Er, der stets aufrecht am Ofen stand, krümmt sich wie eine Weidenrute. Ich habe nie gehört, dass du ihn als Commis bezeichnet hättest. Du sagtest immer «Lulu», «der gute Lulu». Lucien ist eher wortkarg. Trotzdem hat er mich heute Nachmittag im Lieferwagen gefragt: «Wie geht’s ihm?» Ich antwortete: «Unverändert», hatte nicht den Mut, ihm zu gestehen, dass du am Abend sterben würdest. Du bist Lulus ganzes Leben, das weißt du.

Er bindet sich die Schürze um und schlüpft in seine Clogs. Unterzieht die Blätterteigpasteten einem prüfenden Blick. Dann sieht er die Trüffel, die ich kurz vorm Servieren raspeln will. Warum er lächle, frage ich: «Weißt du noch, was der Alte für ein Gesicht gemacht hat, als du seiner Leberpastete Trüffeln beigemischt hast? Er hat gesagt, das sei nicht mehr sein Rezept, du hättest zu viel Geld und würdest es zum Fenster rauswerfen.» Du hast beim Kochen niemals Trüffeln verwendet. «Zu umständlich, zu teuer. Und außerdem erstickt die Trüffel alle anderen Aromen», hast du behauptet. Du hast immer auf Morcheln geschworen. Jene, die es bei Lulu in der Gegend gibt, er hat sie dir körbeweise mitgebracht.

Einmal war ich mir sicher gewesen, es gefunden zu

Für Lucien bist du «der Alte», seit ihr als Zwanzigjährige in Algerien gekämpft habt und du sein Unteroffizier warst. Du brauchtest in der Küche nie einen Befehl auszusprechen. Nach allem, was du mir erzählt hast, konnte Lulu damals schon deine Gedanken lesen, wenn du in den Felsen nach einer Grotte suchtest, in der sich die Fellachen versteckt haben könnten. Er sah es dir an, wenn dir eine Soße nicht schmeckte, und hatte immer Butter und Mehl zur Hand, um sie damit zu retten.

Für den Aperitif heute Abend sollte er Käsewindbeutel vorbereiten. Ich wollte ihm nicht sagen, dass ich den ganzen Platz für die Königinpastete brauchte. Außerdem bindet

Bevor die Gäste kamen, haben wir einen kleinen Imbiss zu uns genommen. Lucien und Guillaume haben sich das Fleisch am Gerippe des Masthuhns geteilt, ich habe mir einen Windbeutel genehmigt. Mir war nach einem guten Wein, darum ging ich in den Keller und suchte eine Flasche Beaune Vigne de L’Enfant Jésus aus, die du mir geschenkt hattest. Lucien warf mir einen Blick à la Buster Keaton zu. Ich holte drei schöne Stielgläser. «Probier mal», sagte ich zu Guillaume, «der ist richtig gut.»

Ich wünschte, du hättest gesehen, wie Lucien und ich die Pasteten angerichtet haben. Guillaume hatte die Teller vorgewärmt. Das Fleisch haben wir in die Mitte gegeben, die Klößchen und die Soße neben die Pasteten. Ich habe die Trüffeln geraspelt. Chloé, die junge Aushilfsbedienung, hat sich nicht getraut, die Teller von der Durchreiche zu nehmen. Ich wollte wissen, ob sie ihr zu heiß seien. Überhaupt nicht, war ihre Antwort, meine Pasteten seien einfach zu schön, so etwas habe sie noch nie gesehen, in den Restaurants, in denen sie bisher gearbeitet habe, nahm man industriell gefertigte Pasteten und die Füllung aus der Dose. Ich musste an deine Worte denken: «Hier machen wir alles selbst, sonst kann man nicht von Kochen sprechen.»

Um 21:30 Uhr habe ich Lucien, Guillaume und Chloé den Rest überlassen und bin ins Krankenhaus gefahren. Heute Abend herrscht ein Nebel, den man mit dem Messer schneiden kann. Ich setzte mich im Park auf eine Bank, um noch

 

Als ich dein Zimmer betrat, war mir klar, dass es unser letzter gemeinsamer Abend wäre. Ich reibe deine Haut mit Duftwasser ein, versuche das bisschen zu frisieren, was dir an Haaren noch geblieben ist, nachdem dir die Strahlenbehandlung den Kopf verbrannt hat. Ich weiß, dass du meinetwegen in diese letzte Therapie eingewilligt hast in der Hoffnung, dem Tod noch ein paar Wochen abzuringen. Aber ich mache mir Vorwürfe, dass ich dir diese schrecklichen Strahlen im Krankenhauskeller zugemutet habe. Ich berühre deinen Mund, der sich wie trockenes Brot anfühlt. Dann befeuchte ich deine Lippen mit ein paar Tropfen Vigne de l’Enfant Jésus, nehme das Glas von deinem Nachttisch, schenke mir einen kleinen Schluck ein und sage: «Auf dich, Papa.» Den Wein kippe ich in einem Zug hinunter. Ich habe ein flaues Gefühl im Bauch, je schwächer deine Atmung wird.

Ich erinnere mich an den ersten Tropfen Wein, den ich zusammen mit dir getrunken habe. Ich dürfte etwa zehn gewesen sein. Wir waren an einem grauen Sonntagmorgen im Januar nach Corgoloin gefahren. Du warst Stammgast bei einem Winzer, der eine raue Stimme hatte und das «R» rollte.

Die Uhr an deiner Wand zeigt halb elf. Ich ziehe meine Schuhe und meinen alten braunen Troyer aus, setze mich zu dir auf die Bettkante, schlinge die Arme um dich und sage: «Vorhin hätte man eine Fliege summen hören können, als sie ihre Königinpasteten gefuttert haben. Nur das Klappern der Messer und Gabeln war zu hören, am Ende standen bloß noch die blankgeputzten Teller da. Und du hast recht mit der Trüffel, sie ist überflüssig, außer vielleicht in einem Omelett. Ohne dich hätte meine Kochkunst keine Richtung, keinen Geschmack. Ohne Worte hast du mir Dinge beigebracht. Jetzt kannst du gehen, Papa. Wir hatten ein gutes Leben zusammen, auch wenn es nicht jeden Tag zu sehen war. Ich liebe dich und werde dich immer lieben. So wie ich Mama liebe und immer lieben werde.»

Während eines langen Atemzugs fällt dein Brustkorb in sich zusammen wie ein Luftballon, aus dem die Luft gelassen wird. Ich küsse dich und decke dich bis zum Hals zu. Als ich die Tür schließe, flüstere ich der Krankenschwester im Flur zu: «Es ist vorbei.»

Draußen kriecht mir der kalte Nebel unter die Kleider. Ich frage mich, wie es dir in der eisigen Erde ergehen wird. Lucien erwartet mich in der Küche, er liest auf der Arbeitsplatte die Zeitung. Ich wiederhole: «Es ist vorbei», und verteile den restlichen Rotwein auf zwei Gläser. Automatisch ziehe ich die Tischschublade auf. Als könnte ich darin das Rezeptbuch

Es ist ein Sonntagmorgen im Winter, ich bin vielleicht fünf Jahre alt. Ein sonniger Tag schickt seine Strahlen durch die Fensterläden. Du kannst dich noch so sehr bemühen, auf Zehenspitzen zu gehen, auf dem Weg hinunter in die Küche knarren die hölzernen Stufen. Du machst den Kohleherd an, stellst den großen Kochtopf in die Spüle und lässt ihn mit Wasser volllaufen, du brauchst immer heißes Wasser, wenn du am Herd stehst. Wir können dir noch so oft sagen, dass es dafür den Wasserkocher gibt, du brauchst Wasser, das auf dem Ofen simmert. «Simmert, nicht kocht», sagst du. «Bei hundert Grad tötet Wasser alles ab.» Dann hört man die Kaffeemühle ächzen. Du verabscheust den Espresso aus der Kaffeemaschine, den die Gäste im Restaurant bekommen. Du brauchst deine «Kasernenbrühe», wie du sie nennst. Eine Mischung als Arabica- und Robustabohnen, die einen verbrannt schmeckenden, säurehaltigen Kaffee ergibt. Du kochst immer eine Menge, die für ein ganzes Regiment reichen würde, eine große Metallkanne voll. Am Rand des Ofens hältst du ihn bis zur letzten Tasse heiß, bis du zum Schlafen nach oben gehst. Außer dir trinkt niemand dieses «starke Gebräu», wie Lucien sagt, während er seinen Tee ziehen lässt.

Als ich den Kaffee im oberen Stockwerk rieche, stehe ich auf. Ich tappe zu eurem Schlafzimmer, um mich zu vergewissern, dass Mama noch schläft. Ich habe eine Heidenangst

Als ich bei dir am Herd auftauche, habe ich meinen Teddy im Arm, einen alten, zerschlissenen Plüschbären. «Bist du schon aufgestanden», sagst du und tust wie immer überrascht. «Komm mit deinem Teddy nicht zu dicht ans Feuer, du hast ihm schon ein Ohr versengt. Hast du Hunger?» Ich schüttele den Kopf. Du packst mich bei der Taille und hebst mich auf die Arbeitsplatte. Der Edelstahl an meinem Po ist eiskalt, die Kälte geht durch den Schlafanzug. Vorsichtig übergießt du das Kaffeepulver mit einer Kelle voll Wasser, das du aus dem Kochtopf schöpfst. Ich liebe diese unbekümmerte, konzentrierte Geste. Du schenkst dir schon etwas Kaffee ein, obwohl die Kanne noch nicht voll ist, und lehnst dich neben mir an die Arbeitsplatte. Dann versenkst du die Nase in den Becher, bläst und atmest gleichzeitig ein. Du tastest nach deinem Päckchen Gitanes. Entnimmst ihm eine Zigarette und klopfst sie mehrmals auf den Edelstahl. Du zündest dein Feuerzeug an, indem

Du drückst die Zigarette aus und klatschst in die Hände: «Ran an die Brioche!» Du holst einen Hefewürfel aus dem Vorratsraum. Ich darf ihn in eine kleine Schüssel bröseln, in die du schon Milch gegossen hast. Ich schnüffele an der Mischung, der Duft berauscht mich. Er erinnert mich an Mamas süßsäuerlichen Geruch im Sommer. Du lässt neben den Eiern einen Regen aus Mehl niedergehen. Genau wie beim Salz wiegst du nichts ab. Du jonglierst mit dem Löffel, der dir als Messgefäß und als Probierlöffel dient. Ihn hast du immer zur Hand. Wenn du ihn in Bratensaft oder in Rhabarberkompott getaucht hast, spülst du ihn kurz in einem Krug mit Wasser ab, genau wie das übrige Besteck, das du während der größten Hektik benutzt. Rasch trocknest du ihn an deinem Geschirrtuch ab. Du boykottierst die weiße Uniform der Köche und die Kochmütze. Trägst stets blaue Schürzen über einem weißen T-Shirt und einer Jeans, die nackten Füße stecken in Holzpantoffeln mit schwarzem Leder. Manchmal schlägst du mit dem Löffel zwischen zwei Gerichten auf dem Herdrand den Takt und summst dabei ein Lied von Sardou oder Brassens. Sonntags hörst du in der Küche Kassetten. Vor allem Graeme Allwright. Den Text von Jusqu’à la ceinture kennst du auswendig. Mit aufgerissenen Augen brüllst du: «On avait de la flotte jusqu’au cou et le vieux con a dit d’avancer.»*Uns stand das Wasser bis zum Hals, doch der Blödmann schrie nur: Vorwärts Männer! Anschließend sagst du: «Jetzt machst du mir aus dem Mehl einen Haufen, so als wäre es Sand.» Mit großem Vergnügen tauche ich meine Hände in das Mehl, das sich zwischen

 

Wir wohnen in einer Kleinstadt, in der das Meer nur ein ferner Traum ist. In dem Gässchen, das hoch zum Rathausplatz führt, gibt es eine seltsame Höhle, sie scheint direkt in den Felsen gehauen zu sein. Für mich mit meinen fünf Jahren ist der Fischladen ein gruseliges Loch. Der Chef hat den gleichen schrecklichen Mund wie seine Petersfische. Er zieht ständig die Nase hoch und scheint sommers wie winters erkältet zu sein. Wenn er von seinem Weißwein trinkt, den er mit einer Handvoll Nordseekrabben serviert, denkt man, er hätte den Mund voller Steine. Ich klebe am Aquarium, wo mich der Tanz der Forellen hypnotisiert und traurig stimmt. Ich vergieße Tränen über ihren bevorstehenden Tod, wenn ihnen mit dem Holzknüppel eins übergebraten wird. Es ist die gleiche Traurigkeit, die ich bei Mama spüre, wenn ich sie allein in eurem Bett überrasche, wo sie zum Fenster blickt.

Kürzlich lag sie nackt in den zerwühlten Laken. Sie hatte mich nicht kommen sehen und rauchte eine von deinen Gitanes. Im Qualm der Zigarette wirkte sie ganz weit weg. Ich weiß, wann sie in ihre Bücherwelt versunken ist, aber jetzt schien sie mir in einem Anderswo zu sein, in dem weder Papa noch ich Platz hatten. Zum Glück drehte sie sich abrupt um, als ich auf mein Bonbon biss. Schnell zog sie die Bettdecke bis zu den Schultern hoch und lächelte mich an.