Die schwedische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel «Att vara stilla när allt skyndar» bei Bonnier, Stockholm
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Februar 2021
Copyright © 2021 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg
«Att vara stilla när allt skyndar» Copyright © 2019 by Magnus Fridh
Illustrationen Kristina Lindström
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.
Covergestaltung Covergestaltung zero-media.net, München, nach einem Entwurf von Bonnier Publishing Group SE
Coverabbildung Kristina Lindström
Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved.
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ISBN 978-3-644-00834-2
www.rowohlt.de
Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.
ISBN 978-3-644-00834-2
Gelegentlich ruhig in einem Raum zu sitzen und nichts zu tun gehört wahrscheinlich zu den klügsten Dingen, die ein Mensch in unserer Zeit tun kann. Ich meine, wirklich vollkommen ruhig und still zu sein. Mit Körper und Geist. Das ist heute wahrscheinlich notwendiger als je zuvor, auch wenn es nichts Neues ist. Blaise Pascal, französischer Mathematiker und Philosoph, schrieb schon im 17. Jahrhundert in seinen Gedanken: «Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.» Vielleicht ist es ein grundlegendes Bedürfnis, dem wir nicht immer nachgehen können, an das wir uns aber so oft wie möglich erinnern sollten. Läuft das Leben gerade in die richtige Richtung, gerät das schnell in Vergessenheit. Und sobald wir mit beinahe unzumutbaren Anforderungen konfrontiert werden, die unsere Terminkalender verstopfen, scheint jeder Ausweg ins Nichtstun verschwunden zu sein.
In meinen Alltag habe ich drei Gelegenheiten integriert, durch die ich spürbar zur Ruhe komme und einen direkten positiven Effekt dieses Zustands wahrnehme.
Die erste Gelegenheit, die Gelegenheit zum Nichtstun, bietet sich, wenn ich von der Arbeit nach Hause komme. Ich setze mich dann zunächst auf das Sofa und beschäftige mich für etwa fünf bis zehn Minuten mit meiner Katze. Sie legt sich neben mich, wenn ich mich hingesetzt habe – das ist eine schöne Routine geworden. Ihr Tempo ist ruhiger. Es überträgt sich auf mich, und ich merke, wie auch meine eigenen Bewegungen langsamer werden, weicher und empfindsamer. Mein Körper übernimmt ihren Rhythmus, und ich mache nebenbei nichts anderes. Das Telefon liegt außerhalb meiner Reichweite, und ich spüre, wie Spannungen und harte Kanten sich in diesem Moment lösen. In diesem Augenblick spontaner Entspannung ohne begrenzte zeitliche Dauer öffnet sich eine Tür einen Spalt weit, hinein in etwas Stilleres. Es fühlt sich so an, als könne man von der beschleunigten, leistungsorientierten Welt in ein Niemandsland übergehen, ein ruhigeres Dasein erreichen. Von An zu Aus. Von der Aktivität ins Sein. Vom angeschlossenen zum entkoppelten Zustand.
Die zweite Gelegenheit zum Entspannen finde ich in der Natur. Hier kann man sich selbst leichter ausschalten, man kann beobachten, anstatt sich mit den eigenen Gedanken zu beschäftigen. Zwischen der eigenen Person und der Natur entsteht eine Verbindung, wodurch auch das Gefühl der Zugehörigkeit wächst. Alle Sinne werden angesprochen, wir spüren wieder Boden unter den Füßen, und im Unterschied zum städtischen Umfeld fällt es hier leichter, sich vom täglichen Chaos zu erholen. Durch die ganz eigene Vereinigung mit der Natur sinken Stresslevel und Blutdruck, gute Laune und Kreativität steigen. Das sogenannte Waldbad hat diese Wirkung auf uns. Wir fühlen uns mehr zu Hause.
Ich lebe selbst mitten in einer Großstadt. In unserem Innenhof wächst ein Baum, ein prächtiger Ahorn, der bis an unser Fensterbrett in der vierten Etage reicht. In einer gänzlich asphaltierten Umgebung hat der Baum eine besondere Bedeutung. Ich schenke ihm jeden Tag für einige Momente meine Aufmerksamkeit, ich weiß ihn zu schätzen. Es gibt mir Kraft, ihn dort stehen zu sehen, und jede Veränderung ist es wert, bestaunt zu werden. Es beruhigt mich, die Veränderungen durch die Jahreszeiten zu verfolgen und dadurch zu begreifen, dass alles der Vergänglichkeit unterworfen ist. Die Vergänglichkeit ist, obwohl wir gern darüber klagen, ganz natürlich, wenn man sich einfühlsam in ihrem Rhythmus zu bewegen vermag. In der Gewohnheit, ihn jeden Tag neu anzuschauen, liegt die Magie.
Die dritte Gelegenheit ist meine tägliche Meditation. Diese Stunde verbringe ich so ruhig wie möglich. Beinahe auf kraftvolle Weise ruhig. In ihrer äußeren Form und bis ins Innere hinein. Es kann dauern, bis sich die Rastlosigkeit nach einem langen Tag verzogen hat, mitunter nehme ich sie als juckendes Gefühl wahr, das von einem Körperteil zum nächsten wandert. Irgendwann klingt es ab, der Körper dreht nicht länger auf Hochtouren und wird ruhig. Das Rauschen im Inneren lässt spürbar nach, und nach einer Weile hat die innere Hektik fast gänzlich nachgelassen, und ich gleite in ein einfaches und wohliges Nichts hinein. An einigen Tagen erlebe ich in der Meditation, unabhängig von der Laune oder den Umständen, eine Glückseligkeit, die keine Grenzen kennt. Mitten im Alltag. Mitten im Stress. Mitten in der üblichen Hektik. Wenn sich dieses Gefühl einstellt, möchte ich nichts mehr ändern, und die Grenze zwischen mir und anderen scheint immer unwirklicher zu werden.
Mit diesen drei Übungen gelange ich in eine tiefgehende Entspannung, erfahre Stille und Ruhe und kann meine Energiereservoirs aufladen. Mehr als einmal habe ich in der Vergangenheit die brutale Erschöpfungsgrenze erreicht, wo sich auch die einfachsten Entscheidungen unglaublich schwer anfühlen. Zu müde, um nachzudenken, zu leer, um zu spüren, dass regelmäßige Pausen in Stille ein Gegenmittel sind und eine tiefe Ruhe auslösen. Aber nicht nur das. Woher sollen wir denn wissen, wer wir sind, wenn wir nie stehen bleiben und ruhig werden? Wie sollen wir so unsere eigenen Gedanken hören können?
Die schwedische Aufsichtsbehörde für Gesundheit am Arbeitsplatz (Arbetsmiljöverket) konstatiert einen Anstieg berufsbezogener Krankheiten, mit Folgen wie dem chronischen Erschöpfungssyndrom. In Deutschland ist die Situation ähnlich. Nicht weniger als 1,4 Millionen Menschen in Schweden leiden unter gesundheitlichen Problemen, die im Zusammenhang mit ihrer Arbeit stehen. Die Hälfte klagt über ein Gefühl der Unruhe, Angst oder Schlafstörungen. In diesem Zusammenhang wird als Grund häufig genannt, dass die Grenze zwischen Arbeit und Privatleben zunehmend verwischt. Darin erkenne ich mich wieder, und ich weiß, dass es wahnsinnig schnell geht, bis man diese zwei Bereiche nicht mehr voneinander unterscheiden kann. Daher ist es so wichtig geworden, in dem Leben, das ich lebe, klare Räume für Erholung zu schaffen. Wie finden wir sie in unserem Alltag? Mikrostunden, in denen wir wieder Energie und Motivation tanken. In Form von kurzen meditativen Übungen, die ich in den verschiedenen Kapiteln vorstelle, möchte ich Reflexionen teilen, die es mir ermöglichen, in dem Leben, das ich lebe, still zu stehen, während um mich herum alles beschleunigt.
Das Finden der eigenen Ruhe und Stille ist das durchgehende Thema dieses Buches. Unser Leben hält einen Raum für Klarheit und Sinn bereit, wir müssen uns nicht von Stress und Hektik beherrschen lassen. Darum geht es, und ich kann dir bei der Suche helfen.
Stille lässt sich an vielen verschiedenen Orten finden, unter verschiedenen Namen und unter verschiedenen Voraussetzungen. Die einen nehmen sie über den Wind wahr, die anderen begegnen ihr im weißen Rauschen des städtischen Lärmpegels. Sie liegt in den Sprachpausen und zugleich im tiefen Hineinlauschen in jene Geräusche, von denen die Stille gestört wird.
Mit einigen gezielten Techniken der Meditation wird die Stille spürbar. Behalte sie bei, und sie werden ein Teil deines Alltags.
Die Entschleunigung der Gedanken ermöglicht eine gesunde Stressreaktion. Probiere die verschiedenen Übungen aus, die über den Text verteilt sind. Das Lesen selbst kann meditative Züge haben, ebenso gut kannst du das Buch zur Seite legen, nachdem du die Anleitungen gelesen hast, und für eine Weile ganz still werden.
Zur Meditation reicht das Lesen von Büchern allein nicht aus, die Praxis ist entscheidend. Ein Geist, der ständig zwischen verschiedenen Orten hin und her pendelt, zwischen Zukunft und Vergangenheit, Niedergeschlagenheit und Enthusiasmus, muss sich mit der Geduld anfreunden. Sicher ist, dass jede Praxis zu einem Ergebnis führen wird. Viele Studien belegen das heutzutage eindeutig. Es funktioniert bei jeder und jedem, auch bei Menschen mit einer kurzen Konzentrationsspanne, zu denen ich auch gehöre. Neulich schrieb mir eine Frau, der es ähnlich ging: «Meinen ersten Meditationsversuch werde ich sicher nie vergessen. Es kribbelte in meinem ganzen Körper, und ich konnte nicht still sitzen. Nach dreißig Sekunden dachte ich, das ist nichts für mich! Ich hätte nicht weiter danebenliegen können.»
Mit der zunehmenden Regelmäßigkeit deiner Praxis wächst auch deine Fähigkeit zur Achtsamkeit. Du wirst spüren, wie Ruhe und Stille dich umschließen. Nicht anschließen, ausschließen oder kurzschließen. Umschließen – ein wirklich schönes Wort! Etwas, das nicht ewig währt und dir dennoch eine unsichtbare schützende Hülle schenkt, die dich behutsam in der Stille hält, ohne die Welt auszusperren. Wie ein Nebel, der einen ganzen Landstrich umschließt. Wie die Haut, die den Körper eines lebenden Wesens Schicht für Schicht umschließt.
Die Stille ist alles und gleichzeitig nichts. Sie ist anspruchslos, bei ihr lassen wir unsere Geschichte, unsere Prinzipien und unsere Selbstzentriertheit zurück. Kommen wir mit ihr in Berührung, spüren wir, dass jedes Geschöpf der Welt einen Halt in sich trägt. Wir spüren das Leben. Einen inneren Reichtum, unabhängig von Dingen, die wir erreicht haben oder noch erreichen wollen. Es ist, wie Stig Dagermans rät: «Mein Leben ist nichts, das gemessen werden soll (…). Ein Menschenleben ist auch keine Leistung, sondern ein Wachsen in die Vollkommenheit hinein. Und das Vollkommene leistet nichts, es wirkt in der Ruhe.»
Man wird nicht zu jemand anderem, wenn man meditiert. Man muss weder den Kleidungsstil ändern noch den Musikgeschmack, man muss sich auch nicht zu einer Glaubensrichtung bekennen oder in ferne Länder reisen. Stattdessen wird man zu dem, der man ist. Zu sich selbst. Der Ausdruck lernen, sich selbst kennenzulernen bedeutet nichts anderes, als die Veränderungen des Lebens immer wieder zu reflektieren und in ein Verhältnis zu unserem inneren Wissen zu bringen – daraus erwächst eine Einsicht, wenn man es vermag, sich über das verschlungene Subjektive hinauszubewegen.
Schon seit meiner Kindheit wirbeln mir die Gedanken sehr schnell durch den Kopf, und inzwischen kann ich sie zum Glück mit Hilfe meditativer Techniken stoppen. Ich glaube, dass viele in der Meditation nach einer unerschütterlichen Stille suchen wie ich selbst auch. Es ist der Versuch, mit dem tragenden Grundstein in Berührung zu kommen: einer Art Urstoff im Menschen, der in der Veränderung und in sich selbst ruht und dem Dasein Sinn gibt. Denn nichts hat mir meine Existenz deutlicher vor Augen geführt als die anhaltende Stille. Die Erfahrung hat mir gezeigt, dass sie immer zugänglich ist und notwendig für alle und jeden. Schon in den einfacheren Meditationsübungen kann man sie finden.
Sobald Meditierende die Zone der Stille erreichen, wird das Schwere leicht, das Schwebende findet Kontakt zur Erde, jede Herausforderung, jede Widrigkeit wird annehmbar. Dabei habe ich mitunter das Gefühl, von etwas hell und klar Leuchtendem berührt zu werden – wie von der Liebe.
Bei meiner ersten Meditation hatte ich das Gefühl einer beruhigenden Hand auf meiner Schulter, und eine Stimme in meinem Körper flüsterte: «Es wird gut, alles ist so, wie es sein soll, und du bist genug.» Für einen aufgewühlten Teenager wie mich waren das große Worte, und ich beschloss, sie anzunehmen. Vielleicht spürst du dieses Bedürfnis selbst manchmal? Das Bedürfnis nach Ruhe. Danach, sich im Einklang mit sich selbst zu fühlen, weniger zerrissen. Nach den ersten Schritten und einer zielorientierten Praxis liegt neuer Grund unter den Füßen, und die Meditation wird zu einem selbstverständlichen Kompass und einem grundlegenden Bedürfnis. Sicher hast du, genau wie ich, nicht besonders viel Zeit. Aber vielleicht gelingt es dir, Lücken in deinem Tag zu finden, in die du dich für ein paar Minuten in Stille zurückziehen kannst.
Ich denke manchmal, das ist alles, was nötig ist. Still genug zu sein, um sein eigenes Herz schlagen zu hören, zu verstehen, wohin wir unterwegs sind, und uns daran zu erinnern, was in unserem Leben wichtig ist.
Lege eine Hand auf deinen Brustkorb und nimm das Heben und Senken wahr. Mit jeder Einatmung. Mit jeder Ausatmung.
Lass dich von der wachsenden Stille durchdringen – ohne Ziel, ohne Absicht. Einfache, ungebrochene Stille, nur eine Weile lang. Der Stille wegen.
Lass dich von ihr umschließen.
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