[1]
Zitat aus: Eminem, »Lose Yourself«, 2001.
[2]
Eine Ausnahme ist etwa die »Marshall Mathers LP II« (2013), auf der gute und fürchterliche Tracks sind. Aber eben auch gute. »Bad Guy« oder »Rhyme or Reason« zum Beispiel.
[3]
»I just found out my mom does more dope than I do/I told her I’d grow up to be a famous rapper/Make a record about doin’ drugs and name it after her.«
[4]
»Eminem and Rap, Poetry, Race«, herausgegeben von Scott F. Parker, 2014.
[5]
Der Allererste, der diese Idee hatte, war natürlich Fler, der »stabile Deutsche«, beziehungsweise sein damaliges Label Aggro Berlin.
[6]
Vergleiche dazu: »Eminem 2.0: The Redemptive Subjectivity of Whiteness« von Julius Bailey und David J. Leonard in: »Eminem and Rap, Poetry, Race«, Scott F. Parker (Hg.), 2014.
[7]
Auch wenn jener Mechanismus benannt wird, macht dieses Buch natürlich genau das ebenfalls.
[8]
»’97 Bonnie & Clyde«.
[9]
»Sing for the Moment«, 2003.
[10]
»Stan« ist nicht nur die Kurzform von »Stanley«, sondern steht dank Eminems Lied auch im Oxford English Dictionary: »An overzealous or obsessive fan, esp. of a particular celebrity.«
[11]
Oder ihrem Leben. Meistens stehen im Mittelpunkt solcher Autor/Werk-Debatten aber Männer.
[12]
Siehe: »Lose Yourself«: »Tryna feed and water my seed«.
[13]
Zitat aus: »Who Knew«, »The Marshall Mathers LP«.
[14]
Gab vor etwa 15 Jahren aber auch wirklich wenige Frauen in meinem Alter, die dazu bereit gewesen wären.
Will man ein Buch über Eminem schreiben, hat man im Grunde fast alle Probleme, die man sich wünschen kann: Denn er ist nicht nur der Verfasser extrem misogyner, homofeindlicher Texte, er ist auch der in Verkaufszahlen erfolgreichste Rapper eines Genres, das von Schwarzen erfunden wurde. Am unkompliziertesten für alle Beteiligten wäre es deswegen, Eminem ganz schnell verschwinden zu lassen, runter zu den anderen Leichen, die man im Keller rumliegen hat (und dieser Keller ist naturgemäß bis oben hin voll mit Leichen, welche sich aus weiten Teilen der Literatur-, Kunst-, Musik-, Filmgeschichte zusammensetzen, und wahrscheinlich müsste man ihn, den Keller, tatsächlich mit Beton ausgießen, um behaupten zu können, dass hier oben alles okay ist, ja, wahrscheinlich müsste man sich sogar dazulegen).
Besser, schonender und angenehmer also, man – das heißt konkret ich – lege Eminem runter in den Keller, mit durchgeschnittener Kehle (seine Lieblingsart, Frauen in Texten umzubringen), und befasse mich nicht weiter damit, dass er für mich ein absolut großartiger Autor und so etwas wie mein Schriftstellerinnen-Vorbild war – oder ist, wir werden sehen.
Das Wort Vorbild passt eigentlich nicht, ich glaube, ich habe das eine Zeit lang nur gesagt, weil es sich verwegen anhörte, tatsächlich ist die Formulierung »er hat mich geprägt« oder »er war wichtig für mich« treffender. So oder so: Irgendetwas stimmte natürlich nicht an unserer Verbindung, und zwar in mehrfacher Hinsicht, aber egal, success is my only motherfucking option, failure is not[1], war der Sound, zu dem ich mein Abitur machte (von dem ich dachte, dass ich es nie schaffen würde, weil mir immer wieder gesagt wurde, dass ich dafür nicht geeignet sei), zu dem ich meinen Körper, diese Nervensäge, joggend reduzierte und zu dem ich mir etwas später, oft ebenfalls joggend, überlegte, wie ich mir eigentlich anmaßen konnte, zu glauben, ich könne jenen Roman schreiben, den ich gerade zu schreiben versuchte. Eminem aus Detroit, dieser kleine blondierte Typ mit dem schlechten Geschmack und dem katastrophal zerbrochenen Elternhaus, der in der Öffentlichkeit als die Verkörperung der weißen amerikanischen Unterschicht gedacht wurde, dieser Eminem sagte: Klar kannst du. Und ich (weiß, weiblich, Mittelschicht, katastrophal zerbrochenes, aber akademisches Elternhaus) dachte, wenn dieser Eminem, der aussieht wie ein Loser, und genau das, zumindest zeitweise, auf glänzende Weise mit Worten zu seinem USP machte, konnte ich das auch. Ich las nicht Thomas Bernhard und dachte, kann ich auch, natürlich nicht. Oder – um Gottes willen – Kafka. Oder Maxim Biller, Rainald Goetz (alles Männer, ich weiß, und dazu später). Ich hörte Eminem und dachte, okay, es könnte gehen.
Ich hörte, ich versuchte zu verstehen und hörte immer wieder. Auf dem Schulweg, beim Joggen, später auf dem Weg zur Uni, durch die Stadt. Immer alleine, denn Eminem machte keine Musik zum Tanzen oder Nebenher-laufen-Lassen, mit Eminem musste man alleine sein, und das war ich die meiste Zeit, insbesondere als ich anfing zu schreiben (Schule fertig, weg von zu Hause, neue Stadt). Wenn man schreibt, braucht man einen Ton, den eigenen, man braucht Haltung und Perspektive, und wenn ich an Eminem dachte, wusste ich, was das anging, zumindest besser Bescheid. Ich war beeindruckt von der Unverschämtheit, mit der er seine Biografie zu Kunst, zu einer fortlaufenden Erzählung machte; von seiner Bereitschaft zur Verletzbarkeit, der Unverfrorenheit, mit der er sich über die amerikanische Öffentlichkeit und sich selbst lustig machte. Ich liebte seine Wut und wie er mit Sprache umging, dass ich bei ihm immer den Eindruck hatte, er müsse tun, was er tut, er habe keine andere Möglichkeit, es gehe um alles, also um Leben und Tod. Und am meisten liebte ich, dass ich Mitglied einer Gang war (bestehend aus ihm und mir), die diese Sprache verstand und die krasser war als alle Gangs um uns herum, von denen ich glaubte, dass sie mich nicht würden aufnehmen wollen.
Wenn ich von dem Eminem spreche, der für mich wichtig war, dann meine ich den frühen Eminem, ich meine den Rapper, der »The Slim Shady LP« (1999) und »The Marshall Mathers LP« (2000) geschrieben hat. Denn das, was danach kam, deutete früh eine Katastrophe an, wurde mit einigen Ausnahmen[2], aber doch sehr konsequent immer katastrophaler und entwickelte sich schließlich zu einem totalen Fiasko. Zu einem wildsauhaften Pop-Rock-Sound-Fiasko mit dramatischen Rummel-Hooks, vorgetragen in großem, irgendwie sakral wirkendem Ernst, also bei völliger Abwesenheit der Bereitschaft, sich selbst nicht ernst zu nehmen – und das war früher seine Kernkompetenz gewesen. Stattdessen patriotisch-moralische Appelle und ein schunkelnd-speckiges Temperament, das an Bierdosen, Trucks und Cowboyhüte erinnerte und weiterhin erinnert, denn Eminem rappt jetzt eigentlich nur noch so. Das Geschunkel betrifft nicht bloß Inhaltliches, also etwa Eminems Art, über Frauen zu rappen (in seinem Spätwerk sind sie auf ganz normal gesellschaftlich weit verbreitetem Niveau einfach nur noch geil oder unerträglich, also Material zum Ficken, das sich für Beziehungen nicht eignet, während er früher wenigstens so offen und ehrlich war, sie umzubringen), dieses Geschunkel betrifft auch seinen Flow.
Ufftata-Ufftata-Ufftata.
Eminem rappt schunkelnd, und wenn er nicht schunkelt, dann schreit er, sehr laut, so als wollte er seine Angst davor vertreiben, dass er nicht mehr relevant sein könnte. Wenn er nicht schreit, dann geht es um panisches Sportrappen, also die ziemlich demonstrative Demonstration seiner zweifelsfrei brillanten technischen Fähigkeiten als Rapper (er hat tatsächlich mehrere Einträge im Guinness-Buch der Rekorde wegen seiner hohen Rap-Geschwindigkeit, auf die er wahrscheinlich sogar noch stolz ist). Enorme technische Fähigkeiten hatte er auch früher, aber früher (grauenhaft, dauernd von »früher« zu schreiben, wann ist das nur passiert?) trug und perfektionierte die Technik den Inhalt und war nicht nur Selbstzweck. Früher klang nicht alles nach Angst. Oder doch, Angst war immer da in Eminems Texten, aber es gelang ihm mitunter, sie zu etwas Großartigem zu machen. Was früher auch noch anders war: Ich hatte keine Angst vorm Schreiben, was sollte sein, ich schrieb, was ich wollte, im Schreiben war ich frei.
Als Eminem im Winter 2020 sein elftes Album »Music to Be Murdered By« veröffentlichte und ich wusste, dass ich dieses Buch schreiben würde, vereinten wir uns nach langer Trennung zu einer Art Angst-Katastrophe, nämlich zu einem Zusammenstoß seines Albums mit meiner Verfassung. Es war kalt und dunkel, ich hatte am Fuß eine kleine Fraktur, aber ich ging trotzdem raus, um zu laufen und das neue Eminem-Album anzuhören, so wie ich das früher immer gemacht hatte, joggen und Eminem hören, stark werden. Der Fuß tat noch weh, ich versuchte zu joggen, es ging nicht, das neue Eminem-Album produzierte mir durch die Kopfhörer einen grauenhaften Sound in den Kopf. Ich versuchte weiterzujoggen, ich humpelte, ich dachte an das Eminem-Buch und dass ich eigentlich ein ganz anderes Buch schreiben wollte, nämlich einen Roman. Ich wollte, ich wusste auch, was ich schreiben wollte, aber ich tat es nicht. Die
Ich kann nicht anders, aber ich muss bei dem letzten Satz immer an einen Mann mit krummem Rücken denken, der über seinem Penis sitzt, ihn anguckt und sich fragt, ob er noch funktioniert, und das ist im Wesentlichen das, was der inzwischen 48 Jahre alte Eminem seit sagen wir großzügig acht Alben tut, so auch auf seinem letzten, das ich mir im letzten Winter anhörte, als ich weder joggen noch schreiben noch den alt gewordenen Eminem beziehungsweise mich ertragen konnte. Er war so unglaublich alt geworden. Nicht nur seine Musik, er sah auch so alt aus. Ein bisschen wie der späte Michael Jackson, über den er sich früher immer lustig gemacht hatte: genauso wächsern, dünn und entrückt, genauso fragile Gesichtszüge, die bei Berührungen sofort schmelzen oder wegrutschen würden.
Er: Habe nie etwas anderes behauptet. Also, shut up, Bitch!
Er kicherte, und auch wenn ich nicht wollte, musste ich ein bisschen lachen. Aber dann verdrehte er die Augen, und sie fielen ihm wieder zu. Ich wusste, dass ich ihn hier nicht liegen lassen konnte. Ich würde ihn den ganzen Weg nach Hause tragen, es würde schwer werden, aber da gehörte er hin.