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ISBN 978-3-86191-195-5

1. Auflage 2020

© Crotona Verlag GmbH & Co.KG

Kammer 11 • D-83123 Amerang

www.crotona.de

Inhalt

Vorwort

Teil 1 • Kabbala

Die Kabbalistische Kosmologie

Der Fall – Stufe Eins

Der Ursprung des Universums gemäß der modernen Physik

Die Ursache der Unvollkommenheit

Die Wiederherstellung (Stufe Eins) und der Fall (Stufe Zwei)

Eine lurianisch-physikalische Synthese

Tikkun oder Wiederherstellung (Stufe Zwei)

Teil 2 • Sri Aurobindo und die Mutter

Die Idee der Supramentalisierung bei Aurobindo und Mirra

Die kollektive Transformation

Der universelle Körper

Die Überwindung von Leben und Tod

Die Physik der Supramentalisierung

Zu Leben und Werk bedeutender Kabbalisten

Anmerkungen

Bibliographie und Literatur-Empfehlungen

Begriffserklärungen

Vorwort

Alan Kazlev hat ein beeindruckendes Werk verfasst, das in zweifacher Hinsicht Staunen auslöst: Zum einen durch die immense Gelehrsamkeit, zum anderen durch die brillante Fähigkeit zur Synthese!

Kazlev bringt drei auf den ersten Blick sicher nicht unmittelbar miteinander verbundene Welten zusammen: Die Kabbala von Isaak Luria, den Integralen Yoga von Sri Aurobindo und Der Mutter sowie die Erkenntnisse der modernen Quantenphysik. Es bedarf einer sehr tiefen Schau, um in der Essenz der drei geistigen Welten die verbindenden Glieder und Bausteine zu erkennen. Kazlev verfügt über diese Tiefenschau!

Um die nachfolgenden Ausführungen für den interessierten, aber nicht in jeder der geschilderten spirituellen Traditionen beheimateten Leser leichter verständlich zu machen, wurden vonseiten der Übersetzerin und des Herausgebers umfangreiche Anmerkungen eingefügt sowie Begriffserklärungen ergänzt. Beides geschah in alleiniger Verantwortung des Verlages, dem M. Alan Kazlev seinen englischen Text zur freien Verfügung gestellt hat. Für diese Großzügigkeit sei dem Verfasser an dieser Stelle ein herzlicher Dank ausgesprochen!

Wer von der Synthese von Spiritualität und moderner Physik fasziniert ist, wird in diesem kleinen Buch eine wahre Schatzkammer an tiefsinnigen Gedanken und ungewöhnlichen Parallelen finden. Es lohnt eine wiederholte Lektüre und erschließt ständig neue Perspektiven.

Die „Vergeistigung der Materie” stellt ein Anliegen dar, das seit Anbeginn in der pythagoräischen Tradition verwurzelt ist. Daher findet dieser Beitrag zum Vermächtnis des Pythagoras seine angemessene Heimat im Crotona Verlag.

Dr. Peter Michel
Amerang 2013

Teil 1

Kabbala

Die Kabbalistische Kosmologie

Von allen esoterischen Denksystemen, die sich mit den verschiedenen Ebenen und Unterabteilungen der Wirklichkeit befassen, ist die Kabbala (oft auch als Kabbalah oder Qabbala sowie in vielen weiteren Schreibweisen zu lesen) das komplexeste. Zahlreiche unterschiedliche Schulen befassen sich mit ihrer Deutung, doch es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass es vier (oder im Falle der Lurianischen Schule fünf) aufeinanderfolgende Welten oder Universen gibt, die jeweils in zehn Sefirot – Göttliche Archetypen oder Essenzen – unterteilt sind. Die erste Welt, die unmittelbar aus der Absoluten Gottheit (oder En Sof) hervorgeht, bildet die Grundlage für die zweite Welt und so weiter. Mithin gibt es also insgesamt vierzig (oder nach dem lurianischen System fünfzig) Existenz-Ebenen.

Jede der aufeinanderfolgenden Sefirot sowie jede Welt bzw. jedes Universum bedeutet jeweils eine weitere Verschleierung oder Verringerung des Göttlichen Lichtes. Sie entwickeln sich vom Fein- zum Grobstofflichen, wobei jedes Universum in Bezug auf das nächste darunterliegende „Geist“ oder „Seele“ und in Bezug auf das nächste darüberliegende „Materie“ oder „Körper“ ist, bis man zur untersten Sefira des untersten Universums gelangt: Malkut von Asija (oder nach hermetischer Umschrift Malkuth von Assiah), die die physische Schöpfung darstellt.1 Die Rede ist außerdem von den Klippot (auch „Kelipoth“, „Qlippoth“ sowie zahlreiche weitere Schreibweisen), den „Schalen“ oder „Hüllen“, oder mit den Worten der modernen Esoterik gesprochen, den „unausgeglichenen Kräften“, die außerhalb dieser göttlichen Schöpfungsreihe existieren.

Die nachfolgende kabbalistische Kosmologie stützt sich auf die Lehren der Kabbalisten von Safed (hebräisch Zefat). Diese Stadt im Norden Palästinas war im 16. Jahrhundert das geistige Zentrum der Kabbala, insbesondere der beiden größten Persönlichkeiten jener Zeit, Rabbi Moses Cordovero (1522-1570) und Rabbi Isaak Luria (1534-1572).2 Diese Kabbalisten deuten die Beschaffenheit der vier Universen in einer Art und Weise, die sich durchaus von der bei modernen Okkultisten (Golden Dawn und später) bevorzugten Variante unterscheidet.

In der Kabbala wird die Gottheit als En Sof – wörtlich „Kein Ende“, das heißt also „Das Unendliche“ – bezeichnet, wobei dieses Unendliche nicht nur unendlich, ewig und einheitlich ist, sondern auch unaussprechlich und unbeschreiblich. Als gute Monotheisten setzen die meisten Kabbalisten En Sof mit dem Gott der Offenbarungsreligion gleich, also dem „Gott Israels“ usw. Rabbi Luria jedoch ordnete scharfsinnig den Persönlichen Gott einer niedrigeren Ebene zu, nämlich der Welt Azilut, womit En Sof das Transzendente Absolute wird, gleichzusetzen vielleicht mit dem Nirguna Brahman aus dem Vedanta sowie dem ursprünglichen Tao des Taoismus. Auch moderne Esoteriker neigen diesem Verständnis des En Sof zu.

Das lurianische System ist aber noch aus einem weiteren Grund einzigartig. Wo sein direkter Vorgänger Cordovero noch von den herkömmlichen vier Universen spricht, nämlich Azilut (Emanation), Beria (Schöpfung), Jezira (Formung) und Asija (Herstellung), fügt Luria eine fünfte Welt hinzu: „Adam Kadmon.“ Sie steht noch über Azilut und geht als erste aus En Sof oder dem Unendlichen Licht hervor. In der Kabbala wird Adam Kadmon oder der „Primordiale Mensch“ normalerweise als der spirituelle Ur-Archetyp der Menschheit verstanden3 – insofern entspricht er dem spirituellen Anthropos der Gnosis und des Manichäismus. Luria verlieh diesem Begriff allerdings eine sehr eigenwillige Bedeutung (daher mein Gebrauch der Anführungszeichen); bei ihm bezeichnet er das ursprüngliche und unaussprechliche manifeste Absolute selbst. Als solches umfasst es die ursprünglichen, transzendenten und unaussprechlichen Archetypen, die als „Göttliche Namen“ bezeichnet werden und nur im Wege der Analogie mit den vier Schöpfungswelten zu verstehen sind.4

Azilut („Atziluth“) ist das erste Universum, das getrennt vom Absoluten existiert. Seine zehn Sefirot5 sind die zehn archetypischen Manifestationen der Gottheit, analog vielleicht den drei Personen der Trinität im Christentum oder dem dreifachen Hindu-Gott Brahma (Schöpfung), Vishnu (Erhaltung) und Shiva (Auflösung). Wir können also dem Nicht Manifesten Absoluten – Nirguna Brahman oder En Sof – das Manifeste Absolute oder die Gottheit – Saguna Brahman oder das Universum von Azilut – gegenüberstellen.

Das nächste, daraus hervorgehende Universum ist Beria („Briah“) oder die Schöpfung, die Welt des mystischen Aufstiegs zum Thron Gottes, die aus zehn Sefirot der Erzengel besteht. Hier haben wir nun die erste Stufe unterhalb der reinen Gottheit von Azilut. Beria entspricht nicht nur dem Thron Gottes (was vielleicht für höhere spirituelle Erleuchtung steht), sondern auch der Seele6, genauer Neschama oder der „Göttlichen Seele“ im Menschen, dem Göttlichen Funken im Inneren, der aus der Intelligenz Gottes (Bina) hervorging.7

Aus dem Universum Beria geht wiederum das Universum Jezira oder Formung hervor, das aus zehn Sefirot der Engel besteht. Es bildet die unterste der „makellosen“ geistigen Welten. Gemäß den Lehren der Kabbalisten aus Safed sind die Engel oder Maggidim Geistführer oder Gedankenformen, die durch die Gebete und Werke des Kabbalisten erschaffen werden.8 Dieses Universum entspricht außerdem dem Ruach oder „Geist“ im Menschen, dem Ursprung des moralischen Bewusstseins9 (wenngleich moderne Okkultisten es mit der „Rationalen Seele“ gleichsetzen.)10

Zu guter Letzt haben wir das Universum von Asija, die Welt des Herstellens. Nach den Lehren aus Safed entspricht es nicht der physischen Welt (wie in der heutigen Esoterik), sondern den schöpferischen Archetypen hinter der Welt11 oder auch der „Astral-Ebene“, wo sich Gut und Böse, Wahrheit und Falschheit miteinander vermischen und nur sehr schwierig voneinander zu trennen sind.12 Hier sind die reinen Sefirot von den Klippot verunreinigt worden, was nach Lurias Schema durch den Fall des primordialen Adam verursacht wurde.13 Psychologisch entspricht Asija dem Nefesch oder der niederen Seele, dem Sitz der nicht verfeinerten Leidenschaften14, die durch geistigen Aufstieg gereinigt werden muss.15