Für Bella
Whoever requires the suffrage of others, has at once placed his life in the power of calculation and of chance; to such a degree, that the labours of calculation cannot secure him from the accidents of chance, and the accidents of chance cannot exempt him from the pains of calculation.
Germaine de Staël
A Treatise on the Influence of the Passions Upon the Happiness of Individuals and of Nations (1796)
How should we like it were stars to burn
With a passion for us we could not return?
If equal affection cannot be,
Let the more loving one be me.
W.H. Auden
Alles, einfach alles – die Ringe des Saturn und der Ehering meines Vaters, die von der Morgensonne rosa gefärbten Wolken, Einsteins Gehirn in einem Gefäß mit Formaldehyd, jedes Sandkorn, aus dem das Glas des Gefäßes gewonnen wurde, und jede Idee, die Einstein je hatte, die Schäferin, die im Rila-Gebirge meines Heimatlandes Bulgarien sang, und jedes ihrer Schafe, jedes Haar auf den samtigen Ohren meines Hundes Chance, in den geflochtenen roten Zöpfen Marianne Moores und an den Lefzen von Montaignes Katze, jeder durchscheinende Nagel an den Fingern des neugeborenen Sohnes meiner Freundin Amanda, jeder Stein, mit dem Virginia Woolf ihre Manteltaschen füllte, bevor sie sich in der Ouse ertränkte, jedes Kupferatom der Voyager Golden Record, die Arien an Bord des ersten von Menschenhand geschaffenen Objekts in den interstellaren Raum trug, und jeder Eichensplitter der Dielen, auf denen Beethoven in dem Wutanfall zusammenbrach, der ihn sein Gehör kostete, jede Träne, die je über einem Grab vergossen wurde, und das Schnabelgelb jeder Krähe, die die Trauernden dabei beobachtet hat, jede Zelle in Galileis fleischigem Finger und jedes Molekül, das die Monde des Jupiter, auf die er deutete, geformt hat, die Sommersprossen, die das olivfarbene Firmament eines von mir geliebten Unterarms mit Sternbildern überziehen, und jedes Axonzucken der Zärtlichkeit, mit der ich seine Besitzerin liebe, alle Fakten und Fabeln, mit denen wir ständig die Realität darstellen und neu gestalten –, all dies wurde vor 13,8 Milliarden Jahren aus einer Singularität zum Leben erweckt, einer einzigen Quelle, nicht lauter als die Eröffnung von Beethovens Fünfter Sinfonie und nicht größer als der Punkt über dem kleinen i des ICHs, das von seinem Sockel gestoßen wurde.
Wie können wir all das wissen und trotzdem der Illusion des Getrenntseins, des Andersseins erliegen? Diese Verblendung muss der Zusammenfluss von Zufällen und Atomen, bekannt als Dr. Martin Luther King, durchschaut haben, als er von unserem unausweichlichen »Netz wechselseitiger Beziehungen« sprach, und auch Walt Whitman sah sie, da er schrieb, dass »jedes Atom, das zu mir gehört, genauso gut zu dir gehört«.
An einem Herbstmorgen in San Francisco, an dem ich im Garten meiner Freundin Wendy die Briefe eines toten Dichters lese, erblicke ich ein Fragment dieser atomaren Wechselbeziehung. Mitten im Satz schenkt mir mein peripheres Sehen – dieser phantastische, durch Jahrtausende der Evolution geschliffene Instinkt – einen wundersamen Anblick: ein kleines, leuchtend rotes Blatt, das in der Luft herumwirbelt. Für einen Moment scheint es, als würde es seinen endgültigen Fall tanzen. Aber nein – da verweilt es, zwei Meter über dem Boden, und umkreist, von einer unsichtbaren Kraft bewegt, ein unsichtbares Zentrum. In diesem Moment wird mir klar, wie solche nicht wahrnehmbaren Zusammenhänge den menschlichen Geist in den Aberglauben treiben und mittelalterliche Dorfbewohner dazu bringen konnten, Erklärungen in Magie und Hexerei zu suchen. Doch als ich mich dem Blatt nähere, bemerke ich ein zartes Spinnennetz, das über ihm in der Luft glitzert und sich mit der Schwerkraft zu diesem wirbelnden Wunder verschworen hat.
Weder hat die Spinne das Blatt noch das Blatt die Spinne vorhergesehen – und doch sind sie da, ein zufälliges Pendel, angetrieben von denselben Kräften, die die Jupitermonde in ihrer Umlaufbahn halten, zu dieser flüchtigen frühmorgendlichen Pracht erweckt durch ewige kosmische Gesetze, die für Schönheit unempfänglich, der Bedeutung gegenüber gleichgültig und dennoch von beidem erfüllt sind für das verblüffte menschliche Bewusstsein, das sie betrachtet.
Unser Leben lang versuchen wir auszumachen, wo wir enden und der Rest der Welt beginnt. Wir reißen unser Standbild des Lebens aus der Gleichzeitigkeit der Existenz, indem wir an Illusionen von Beständigkeit, Gleichförmigkeit und Linearität festhalten; von statischen Identitäten und Lebensläufen, die sich in sinnvollen Narrativen entfalten. Dabei verwechseln wir Eventualitäten mit Entscheidungen, unsere Etiketten und Modelle für die Phänomene mit den Phänomenen selbst, unsere Aufzeichnungen mit unserer Geschichte. Geschichte ist jedoch nicht das Geschehene, sondern das, was die Schiffbrüche von Urteil und Zufall überlebt.
Einige Wahrheiten, wie die Schönheit, werden am besten durch den Seitenscheinwerfer der Symbolisierung, der Bedeutungsverleihung erhellt. Im Zuge dieser Symbolisierungen überschneiden sich Umlaufbahnen, oft ohne Wissen der Körper, die sie mit sich führen – Überschneidungen, die nur aus der Distanz von Jahrzehnten oder Jahrhunderten kartiert werden können. Wahrheiten überlagern andere Wahrheiten, um in den Nuancen einer größeren Wahrheit aufzugehen – nicht Relativismus, nein, sondern der mächtigste Realismus, den wir haben. Wir durchschneiden die Gleichzeitigkeit, indem wir alles auf einmal sind: unsere Vornamen und unsere Nachnamen, unsere Einsamkeit und unsere Gesellschaft, unser kühner Ehrgeiz und unsere blinde Hoffnung, unsere unerwiderte Liebe und unsere erwiderte. Leben werden parallel und senkrecht gelebt, nicht linear ergründet, nicht in den geraden Graphen der »Biographie«, sondern in vielseitigen, vielschichtigen Diagrammen erfasst. Leben verflechten sich mit anderen Leben, und aus diesem Wandteppich ergeben sich Hinweise zu Antworten auf Fragen, die die Essenz des Lebens betreffen: Was sind die Bausteine des Charakters, der Zufriedenheit, der nachhaltigen Errungenschaften? Wie kann ein Mensch trotz unzähliger Konventionen und blinden Kollektivismus zu Selbstbeherrschung und innerer Eigenständigkeit finden? Reicht Genialität zum Glück? Oder Ruhm? Oder Liebe? Zwei Nobelpreise scheinen die Melancholie, die die Frau im schwarzen Laborkittel auf jedem Photo ausstrahlt, jedenfalls nicht zu kompensieren. Ist Erfolg eine Garantie für Erfüllung oder nur ein Versprechen, das so fragil ist wie ein Ehegelübde? Wie erlangen wir in diesem von der Leere gerahmten Wimpernschlag der Existenz die Vollkommenheit des Seins?
Es gibt unendlich viele Arten von schönem Leben.
So viel von der Schönheit, so viel von dem, was unser Streben nach Wahrheit antreibt, ergibt sich aus den unsichtbaren Verbindungen – zwischen Ideen, zwischen Disziplinen, zwischen den Bewohnern einer bestimmten Zeit und eines bestimmten Ortes, zwischen der Innenwelt aller Pioniere und den Spuren, die sie auf den Höhlenwänden der Kultur hinterlassen, zwischen schemenhaften Gestalten, die sich, bevor das Fackellicht einer Revolution den neuen Tag erhellt, in der Dunkelheit begegnen, mit kaum mehr als einem verschwörerischen Nicken und einem Streichholz, das von einer Hand zur nächsten wandert.