Deutsche Erstausgabe (ePub) Mai 2020
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2019 by HJ Welch
Published in the English language as
»Troubled Waters«
Published by Arrangement with HJ Welch
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2020 by Cursed Verlag
Inh. Julia Schwenk
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,
des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung
durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit
Genehmigung des Verlages.
Bildrechte Umschlagillustration
vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock
Satz & Layout: Cursed Verlag
Covergestaltung: Hannelore Nistor
Druckerei: CPI Deutschland
ISBN-13: 978-3-95823-819-0
Besuchen Sie uns im Internet:
www.cursed-verlag.de
Aus dem Englischen von Katie Kuhn
Liebe Lesende,
vielen Dank, dass ihr dieses eBook gekauft habt! Damit unterstützt ihr vor allem die Autorin des Buches und zeigt eure Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit. Außerdem schafft ihr dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der Autorin und aus unserem Verlag, mit denen wir euch auch in Zukunft erfreuen möchten.
Vielen Dank!
Euer Cursed-Team
Klappentext:
Scout Duffy weiß nicht, was schlimmer ist: als Bodyguard für einen ehemaligen One-Night-Stand engagiert zu werden oder von genau diesem Mann nicht wiedererkannt zu werden. Doch die Bedrohung für Emery Klein ist real und Scout hat alle Hände voll damit zu tun, seinen widerspenstigen Klienten vor einem hasserfüllten Stalker zu beschützen, der zu immer drastischeren Maßnahmen greift. Je besser sich Scout und Emery während dieser unruhigen Zeit kennenlernen, desto mehr verblassen die vorgefassten Meinungen, die sie sich von dem jeweils anderen gebildet haben, und zurück bleiben zwei Männer, die nie wieder verletzt werden wollen. Können sie einander die Geborgenheit geben, die sie suchen, oder zerstört der homophobe Angreifer ihre Chance auf Liebe, noch bevor sie sie ergreifen konnten?
Scout
Scout Duffy hatte an so manchem Dienstagabend schon verrückte Sachen getrieben, so viel war sicher. Aber noch nie hatte er jemanden vor den Augen eines ganzen Schwarms Guppys gefickt.
Er war auch schon in übleren Nachtclubs gewesen, besonders in Kleinstädten. Er musste allerdings zugeben, das Aquarium war gar nicht so schlecht. Auch wenn es ausgerechnet in den Toilettenräumen einige exotische Fische beherbergte, die heute in den Genuss einer ganz besonderen Vorführung kommen würden. Vermutlich kannten sie das alles schon, aber Scout hatte das Gefühl, der kleine Schlingel, der ihn in die letzte Kabine zerrte, könnte noch den einen oder anderen Trick im Ärmel haben.
Scout hatte nicht unbedingt Sex im Sinn gehabt, als er in Pine Coves einzige Schwulenbar kam. Schließlich war er beruflich hier und musste morgen früh aufstehen. Doch nach der dreistündigen Fahrt vom Flughafen zum Motel und einem kurzen, aber beschissenen, Telefonat mit seinem Dad konnte es nicht schaden, etwas Dampf abzulassen.
Er hätte auch in eine andere Bar gehen können. Ein großer, muskelbepackter Mann wie er ging jederzeit als hetero durch. Meistens war ihm das auch nur recht so. Aber wenn er mal wieder mit seinem Alten aneinandergeraten war, hatte er das Bedürfnis, der Welt den Stinkefinger zu zeigen und sich mit anderen schwulen Männern zu umgeben. Vermutlich sehnte er sich dann unbewusst nach einem guten, harten Fick.
Die Sache war nur, dass ihn die hübschen Jungs in letzter Zeit langweilten, die sonst immer seine Aufmerksamkeit geweckt hatten. Ihnen fehlte die Würze. Deshalb wusste er auch sofort, dass er auf Gold gestoßen war, als dieser Schlingel die Tanzfläche betreten hatte.
Der Mann war asiatischer Herkunft und wunderschön – hohe Wangenknochen, zierlicher Körperbau und Augen, die praktisch vom Dach schrien, wie gut er im Bett war. Er trug wenig mehr als Cowboystiefel, knallenge Shorts und ein rosa Netzhemd mit der weißen Aufschrift Butch, als er sich langsam in Scouts Richtung schlängelte. Die Discoscheinwerfer ließen ihn am ganzen Leib schimmern, während er mit kreisenden Hüften den Hintern an Scouts Schwanz rieb, die Arme hoch über den Kopf gehoben.
Scout trank grinsend sein Bier aus und stellte die Flasche auf die Theke zurück. Dann legte er dem Mann die Hände auf die Hüften. Sie waren ein sehr gegensätzliches Paar. Scout war doppelt so groß wie der andere Mann und nur in einfache Jeans und ein Top gekleidet, das seine Tattoos erkennen ließ. Das katzenhafte, verführerische Wesen zwischen seinen Händen war dagegen ein Kunstwerk.
»Du siehst aus, als wärst du auf einen Fick aus«, knurrte ihm Scout ins Ohr.
Der junge Mann schnappte nach Luft, griff sich an die Brust und warf ihm über die Schulter einen flüchtigen Blick zu. »Das würde sie niemals tun. Sie ist ein braves Mädel.«
Scout überlegte. »Soll das heißen, sie ist nicht interessiert?«
»Du Dummchen«, kicherte er. »Nein heißt doch Ja, oder?«
»Heißt es das?«
In Scouts Regelwerk hieß Nein immer Nein. Ausnahmslos. Aber der Mann war offensichtlich auf ein Spiel aus. Trotzdem wollte Scout nicht von falschen Annahmen ausgehen. »Wie wäre es dann, wenn du mir deine Regeln erklärst?«
Der Mann nickte. »Nein heißt Ja und Ja heißt härter.«
»Und was heißt Nein?« Scout hatte nichts gegen Spaß und Spiel, aber in seinem Job war Sicherheit oberste Priorität. Er mochte heute Abend nicht im Dienst sein, fühlte sich jedoch nicht wohl, solange sie nicht auf derselben Wellenlänge funkten.
Der Schlingel grinste ihn über die Schulter an und rieb sich wieder mit dem Arsch an seinem Schwanz. »Oh, ich mag dich. Du stellst sehr kluge Fragen.«
»Ja?« Scout ließ die Hände nach hinten gleiten und legte sie auf die nackten Oberschenkel des Mannes. Die Haut war glatt und zart. Und er roch verdammt gut. Nach Ananas oder so. Scout, der sich mit der Brust an den Rücken des Mannes drückte, stellte fest, dass der Glitzerstaub sich auf ihn übertrug. Es war ihm egal. Er hatte das Ticket für diese Show gelöst und keine Lust, jetzt noch einen Rückzieher zu machen und es verfallen zu lassen.
Der Schlingel biss sich auf die Lippen und wackelte mit dem Hintern. »Guppy heißt Nein«, sagte er und legte die Hände auf Scouts Schultern. »Kommst du mit nach hinten zu den Toiletten?«
Scout fand langsam Gefallen an dem Spiel. »Nein«, sagte er und biss ihm grinsend ins Ohrläppchen.
Er wurde von dem jungen Mann an der Hand gepackt und durch die Menge nach hinten gezogen. Die bunten Lichter über ihrem Kopf wirbelten im Kreis und die Bässe pulsierten. Der Schlingel ignorierte die Warteschlange und die Männer an den Urinalen und ging direkt zu einer Kabine an der Rückwand. Die Kabinenwand war ein einziges großes Aquarium. Glücklicherweise war aber nur diese eine Seite der Kabine aus Glas, der Rest war gemauert. Sie mussten sich also keine Sorgen um Zuschauer machen, wenn es gleich zur Sache ging.
Die Guppys schlugen mit ihren orange-schwarz-gemusterten Schwanzflossen. Hoffentlich störten sie sich nicht an der Erwachsenenvorführung, die auf dem Programm stand.
»Stellt euch an!«, rief einer der Männer im Vorraum zu den Kabinen, als Scout und der junge Mann an der Schlange vorbeimarschierten. Der Schlingel warf ihm zwinkernd eine Kusshand zu.
»Tut mir leid, Baby. Ich hoffe, du findest auch noch deinen Actionmann. Ich bin jetzt wirklich höllisch in Eile.«
Der Mann rollte mit den Augen, schien dem kleinen Kerl aber nicht böse zu sein. Stattdessen musterte er Scout von oben bis unten und stöhnte genießerisch. »Wenn das so ist, wollen wir euch wenigstens hören.«
Der Schlingel lachte prustend. Die Kabinentür öffnete sich, ein Mann kam heraus und Scout wurde in die leere Kabine gezogen.
Er schloss die Tür hinter ihnen ab. Bei dem Gedanken, dass die Männer dort draußen sie hören würden, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Normalerweise war Voyeurismus nicht sein Ding, aber nach Jahren im Boxring war er es gewohnt, für Publikum aufzutreten. Und sein steinharter Schwanz, der sich gegen den Jeansstoff drückte, schien die Idee offensichtlich auch zu befürworten.
Der Schlingel presste sich wieder mit dem Rücken an Scouts Brust, nahm Scouts Hand und drückte sie sich zwischen die Beine. Hinter den engen Shorts war er genauso hart wie Scout, daran gab es keinen Zweifel. Und für einen so schlanken kleinen Kerl hatte er einen überraschend starken Körper. Als Scout ihm die Hand unters T-Shirt schob, entdeckte er dort nur harte Muskeln. Mann, ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Glücklicherweise hatte er Gummis eingesteckt.
»Was hast du mit mir vor?«, fragte der Schlingel, als Scout ihm den Nacken küsste.
Scout fiel auf, dass der junge Mann bisher vermieden hatte, ihm direkt in die Augen zu sehen. Auch jetzt wandte er ihm nur den Rücken zu. Doch wenn das sein Spiel war, wollte Scout sich nicht beschweren. Er hatte schon lange keinen wirklich aufregenden One-Nighter mehr erlebt und wenn der kleine Kerl auf geheimnisvoll machen wollte, dann war ihm das nur recht. Es war nämlich ziemlich geil.
»Ich beuge dich vor und ficke dich um den Verstand«, knurrte Scout. »Hört sich das gut an?«
»Oh ja, Süßer!«, zischte jemand von draußen. Die Musik wummerte und wurde gelegentlich lauter, wenn jemand die Tür zum Gang öffnete. Ansonsten war wenig zu hören. Scout hatte das Gefühl, dass die Männer draußen mit angehaltenem Atem darauf warteten, was er und sein Schlingel ihnen zu bieten hatten.
Ja. Verdammt geil.
»Das hört sich schrecklich an, du Grobian.« Er drehte den Kopf gerade so weit nach hinten, dass Scout ihm einen feuchten Kuss geben konnte. »Ich hoffe nur, du hast einen großen, dicken Schwanz.«
»Natürlich habe ich das«, sagte Scout, knöpfte die Hose auf und schob sie nach unten. »Ich glaube, du solltest ihn erst lutschen. Damit er schön feucht und hart wird für deinen engen Arsch.«
Jemand schlug stöhnend einen Fächer auf. »Scheiß Exhibitionisten«, grummelte eine andere Stimme. Scout war das alles egal.
Der Schlingel drehte sich grinsend um die eigene Achse und sank auf die Knie. Er sah Scout immer noch nicht ins Gesicht, sondern starrte stattdessen auf dessen Schwanz – was im Moment definitiv die bessere Option war.
»Meine Güte«, sagte er übertrieben besorgt und riss bei dem Anblick erschrocken die Augen auf. »Wie soll der nur reinpassen?«
Scout fuhr ihm mit den Fingern durch den dichten Schopf schwarzer Haare. »Keine Ahnung. Aber du machst dich jetzt besser an die Arbeit. Ich will erst deinen Mund ficken und danach deinen Arsch.«
Draußen übertönte ein Keuchen die Musik, dann lachte jemand. Scout fand immer mehr Gefallen an ihrem kleinen Spiel.
Dann vergaß er alles und alle um sich herum, weil ihm der Schlingel über den Schwanz leckte und ihn küsste und saugte wie einen Lolli. Stöhnend ließ Scout den Kopf nach hinten fallen. Er schlug mit einem lauten Knall an die Kabinentür. »Verdammt, siehst du gut aus«, krächzte er, während sein Schwanz immer tiefer im Mund des Mannes verschwand, der lüstern wimmerte und stöhnte.
Scout atmete schwer und fuhr ihm immer wieder mit den Fingern durch die gegelten Haare, während er ihm von oben herab zusah. Als er ihm versuchsweise an den Haaren zog, wurde er mit einem Quieken und flatternden Augenlidern belohnt.
Scout war versucht, ihn einfach weitermachen zu lassen und in seinem Mund zu kommen. Dieser Mann war jedoch so ungewöhnlich, dass Scout ihn in Besitz nehmen und die Töne hören wollte, die ihm über die Lippen kamen, wenn Scout ihn zum Höhepunkt brachte.
Er zog ihn wieder an den vollen Haaren. »Komm her«, sagte er. Es war ihm egal, dass der Schlingel ihm nicht in die Augen sehen wollte. Scout wollte ihn auf den Mund küssen. Richtig auf den Mund küssen. Und wenn es auch nur ein einziger Kuss war. Die Lippen des jungen Mannes waren rot und geschwollen, als er sich vom Boden aufrappelte und von Scout an den Schultern packen ließ. Oh Gott, aus der Nähe sah er noch viel schöner aus.
Scout konnte sich selbst auf den Lippen und der Zunge des Mannes schmecken – ein leicht bitterer, aber erregender Geschmack. Der Schlingel krallte sich in Scouts T-Shirt fest und zog ihn zu sich nach unten. Scout war nur ungefähr eins achtzig, aber immer noch ein ganzes Stück größer. Und er war wesentlich kräftiger. Es gefiel ihm, wie sich ihre Körper zusammenfügten.
Natürlich konnten sie sich noch viel besser zusammenfügen.
»Wollen wir jetzt ficken oder was?«
Der Schlingel schnaubte und biss ihn in den Hals. »Ich warte nur auf dich, du Lahmarsch.«
»Oh, jetzt bin ich also lahm?« Scout wirbelte ihn herum und drückte ihn an die Wand des Aquariums. Das Glas wirkte stabil genug, aber die Fische stoben erschrocken davon, als sich plötzlich zwei Männer an die Wand lehnten.
»Guter Gott… ja«, zischte der kleine Kerl. »Fick mich schon, du Barbar.«
»Halt den Mund«, knurrte Scout und meinte das alles andere als ernst.
Der Schlingel grinste ihn über die Schulter an. »Zwing mich doch!«
Scout fischte in seiner Hosentasche nach einem Kondom und dem kleinen Tütchen Gleitgel und legte beides auf die Ablage hinter der Toilette. Der Schlingel stützte sich mit beiden Händen an der Glasscheibe ab und wartete. Normalerweise hätte sich Scout darüber geärgert, dass der Mann ihm die Arbeit überließ, doch der herausfordernde Blick in seinen Augen hielt ihn zurück. Es war fast, als würde er nur darauf warten, dass Scout auf ihn reagierte.
Und es führte dazu, dass Scout sich dadurch angefeuert fühlte. Er hatte das Sagen. Er entschied, was passierte und wie. Scout öffnete die Shorts des Mannes und zog sie nach unten, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Der junge Mann erwiderte den Blick immer noch nicht, sondern schaute nur auf Scouts Mund. Dann beugte er sich vor und biss Scout in die Unterlippe.
Der Mann trug unter seinen Shorts einen feuerroten Tanga, der fast zu klein war für seinen recht ansehnlichen, harten Schwanz. Scout wurde bei dem Anblick noch härter und er wünschte, er könnte sich mehr Zeit lassen, um ihn zu bewundern. Aber wenn sie sich nicht beeilten, würde er kommen, bevor er die Chance hatte, ihn in den Arsch zu ficken.
Also zog er auch den Tanga nach unten, riss mit den Zähnen die Verpackung des Kondoms auf und rollte sich den Gummi über den pochenden Schwanz. Das Kondom war nur leicht befeuchtet, aber keiner der beiden wollte sich allzu lange mit Dehnen aufhalten. Scout war froh, dass er die kleine Tüte mit dem Gel eingepackt hatte.
Innerhalb von Sekunden hatte er sich den Schwanz damit eingerieben und dem Schlingel zwischen die knackigen Arschbacken gedrückt. Er rieb ihm mit dem Mittelfinger übers Loch und steckte ihn ein kleines Stück rein. Der junge Mann stöhnte. Vor der Kabine war Lachen zu hören und das ungeduldige Grummeln einiger Männer, die auf eine freie Kabine warteten. Scout nahm es kaum zur Kenntnis, so laut rauschte das Blut in seinen Ohren.
»Ist es das, was du willst?«, krächzte er und stieß mit dem Schwanz an den engen Muskelring. »Gefällt dir das, mein Schöner?« Der Mann nickte keuchend und suchte mit den Händen nach Halt, während Scout sich in ihn hineinschob. Er konnte fühlen, wie der Mann sich entspannte, obwohl er immer noch stöhnend die Zähne zusammenbiss. »Das gefällt dir wirklich, wie? In einer öffentlichen Toilette gefickt zu werden?«
»Weniger reden, mehr ficken«, fauchte der Schlingel grinsend und suchte mit funkelnden Augen nach Scouts Mund, um ihn tief zu küssen. Dann wimmerte er, drehte sich wieder zu der Glasscheibe um und lehnte sich mit der Stirn dagegen. »Ja, so. Fick mich. Ich will dich überall spüren.«
Scout grunzte, zog ihm die Arschbacken auseinander und stieß tiefer in das enge, heiße Loch. »Verdammt, du fühlst dich so gut an.« Scout hielt einen Moment inne. Sie keuchten. Schweiß lief ihnen über den Rücken. Scout fasste mit zitternder Hand nach dem Schwanz des Mannes und drückte zu. Ja, er war noch steif und hart. »Soll ich dir jetzt deinen süßen Arsch ficken, mein Schöner? Willst du das?«
»Mein Gott, was hast du für ein Ego.« Der Mann rollte mit den Augen. »Mach schon, bevor ich es selbst tun muss.«
Scout biss ihm ins Ohrläppchen und packte ihn an den Hüften. »Ich sollte dich einfach vergessen. Dich mit meinem Saft füllen und hier stehen lassen. Aber du hast Glück. Ich will dich schreien hören.«
Von draußen vor der Kabine war ein Stöhnen zu hören. »Ja, nimm dir seinen Arsch vor.« Scout hätte schwören können, aus der Nachbarkabine einen anderen Mann knurren zu hören: »Ja, so. Fester.« Er lachte. Offensichtlich hatten sie eine Orgie angezettelt.
So sehr Scout ihr Spiel auch genoss, er wollte seinen kleinen Schlingel nicht verletzen. Vorsichtig zog er den Schwanz raus, bevor er ihn wieder in dem engen, perfekten Loch versenkte und einen Rhythmus aufnahm. Der junge Mann ließ im Takt die Hüften kreisen und kam ihm Stoß um Stoß entgegen. Scout drückte und rieb ihm den Schwanz und… Verdammt, lange konnte das nicht mehr dauern.
»Ja, ja, ja«, wisperte der Schlingel. »Oh Mann, ich komme gleich. Nicht aufhören, nicht aufhören…«
Die Kabinenwand wackelte und die schweißgebadeten Hände des Mannes quietschten, als sie über die Glasscheibe des Aquariums rutschten. Ihr Stöhnen und Keuchen lag in der Luft, die intensiv nach Mann und Schweiß roch. Scout rammte sich in den Arsch des Mannes und wichste ihm den harten Schwanz.
Ohne jede Vorwarnung spritzte der Schlingel an die Glasscheibe. Die Fische, die wieder zurückgekommen waren, stoben erneut erschrocken davon. Der kleine Kerl schrie auf und biss die Zähne zusammen. Seine Hüften schnappten nach hinten und er spießte sich mit aller Macht auf Scouts Schwanz auf, während er am ganzen Leib zuckte und bebte.
Scout stieß noch einige Male zu, dann blieb ihm die Luft weg und er ergoss sich tief im Arsch seines Partners in das Kondom. Für einen kurzen Moment wurde ihm schwarz vor Augen. Dann legte er die Arme um den Mann und atmete tief durch. Es roch nach Ananas und Sperma und Schweiß – süß und bitter zugleich.
Scout küsste den Mann in den Nacken und streichelte ihm über Brust und Arme. »Danke«, sagte der Schlingel und summte leise vor sich hin. Als er den Kopf umdrehte, konnte Scout das zufriedene Grinsen erkennen, das auf seinen vollen Lippen lag, obwohl sein Blick mehr auf Scouts Bauch als sein Gesicht gerichtet war.
Der Schlingel zog sich behutsam von Scouts erschlaffendem Schwanz. Scout entfernte das Kondom, knotete es zusammen und warf es in den Mülleimer. Als er fertig war, hatte der Mann sich schon mit zusammengeknülltem Toilettenpapier abgewischt und die Shorts wieder hochgezogen. Er ließ Scout keine Chance mehr zu reagieren, stellte sich auf die Zehenspitzen, küsste Scout auf die Wange und schloss die Kabinentür auf.
»Einen schönen Abend noch, du Prachtkerl.«
Mit diesen Worten öffnete er die Tür und tänzelte davon. Scout hatte gerade noch Zeit, sich den Schwanz wieder in die Jeans zu packen.
Die Männer draußen empfingen den jungen Mann mit lautem Applaus, als er aus der Kabine stolziert kam. Scout sah, wie er den Männern, die an den Urinalen und Waschbecken standen, Handküsse zuwarf, während er sich seinen Weg zur Tür bahnte. Er öffnete sie, drehte sich noch einmal kurz um und machte sich auf den Weg zurück auf die Tanzfläche.
Scout blinzelte. Sein Herz schlug immer noch wie wild und er zitterte leicht, während er wieder von seinem High runterkam. Er hatte nicht damit gerechnet, so einfach stehen gelassen zu werden.
»Bist du endlich fertig?«, fragte der Mann, der vorne in der Schlange stand.
Scout warf einen Blick zurück in die Kabine. Sein Schlingel hatte sogar die Glasscheibe abgewischt und das Papier in den Mülleimer geworfen.
Es war, als wären sie nie hier gewesen.
»Äh, ja. Alles klar.« Eine Mischung aus wohlwollenden und eifersüchtigen Blicken empfing ihn. Er nickte lächelnd und wusch sich an einem der Waschbecken die Hände. Dann rieb er sich den Nacken mit kaltem Wasser, um sich wieder etwas abzukühlen.
Ihm war schwindelig und alles drehte sich in seinem Kopf. Scout hatte oft Sex gehabt, seit er sich geoutet hatte. Aber das heute? Gehörte eindeutig zum Besten, was ihm in dieser Beziehung jemals untergekommen war.
Und trotzdem – er hatte das Gefühl, als würde etwas fehlen. Scout wischte sich die feuchten Hände an der Hose ab und ging zur Tür. Die laute Musik schlug wie eine Welle über ihm zusammen, als er zurück zur Tanzfläche ging. Er schaute sich kurz um.
Der kleine Kerl war verschwunden.
Er war auch nicht im Hinterhof, wo die Lichterketten leuchteten und klirrende Windspiele in den Bäumen hingen. Und er war nicht auf dem Bürgersteig vor der Bar, wo sich die Raucher trafen.
Er war verschwunden.
Scout konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal in einer solchen Situation nach einer Telefonnummer gefragt hatte. Jetzt stellte er zu seinem eigenen Erstaunen fest, dass er in diesem Fall gerne eine Ausnahme gemacht hätte.
Mist. Er hätte sich sogar mit dem Namen des Mannes zufriedengegeben.
Er hatte keine Lust mehr, in der Bar rumzuhängen, und Tanzen war sowieso nicht seine Sache. Scout bestellte sich noch einen Whiskey als Absacker, um sich aufzuwärmen und die Euphorie nach dem Orgasmus nicht gleich wieder zu verlieren. Dann verließ er die Bar, verzichtete auf ein Taxi und ging zu Fuß durch die nächtlichen Straßen in sein Motel zurück.
Er wollte die Dunkelheit nutzen und über diese spektakuläre Begegnung nachdenken, solange sie ihm noch frisch im Gedächtnis war. Scout wusste, wenn er morgen aufwachte, wäre sie nur noch wie die Erinnerung an einen Traum. Je länger er durch die Straßen lief, umso mehr verzehrte ihn die Einsamkeit.
Heute Nacht hätte er ausnahmsweise nichts dagegen gehabt, mit einem Mann das Bett zu teilen.
Emery
Emery Klein stolperte nur ein einziges Mal, als er vom Taxi zum Haus ging und die Tür aufschloss. Na gut, er könnte auch zweimal gestolpert sein. Aber er lief definitiv nicht gegen die Wand im Hausflur und er hatte auch keinen Schluckauf, als er die Treppe hinaufging. Möglicherweise kicherte er jedoch auf dem Weg nach oben.
Er war nicht betrunken, aber mit Sicherheit mehr als beschwipst. Es war dieses herrlich wunde und volle Gefühl in seinem Arsch, das ihn beschwingt die Treppe hochstolpern ließ. Guter Gott, wann hatte er das letzte Mal so verdammt guten Sex gehabt?
Es war schade, dass er diesen Kerl danach einfach stehen lassen musste, aber so waren nun mal die Regeln. Nicht aufhalten, nicht zurückschauen. Allerdings hatte Emery auch so genug gesehen, um einen vernünftigen Eindruck zu bekommen. Besonders dieses Tattoo von einem Wolf hatte es ihm angetan, das den Bizeps des Mannes schmückte. Es war Emery schon auf der Tanzfläche aufgefallen, weil es jedes Mal gefunkelt hatte, wenn es von einem Lichtstrahl getroffen wurde. Vermutlich war es ein ganz neues Tattoo, das der Mann eingeölt hatte, damit es schneller verheilte.
Und so sorgsam, wie sich dieser Barbar um sein Tattoo kümmerte, hatte er sich auch um Emery gekümmert.
Emery wäre ein dreckiger Lügner gewesen, hätte er nicht zugegeben, dass er im Aquarium gerne heimlich ein Foto geschossen oder den Mann noch einmal geküsst hätte. Die Ironie der Geschichte war nämlich, dass dieser Barbar eigentlich ein echter Gentleman gewesen war. Emery nannte ihn bei sich nur deshalb den Barbaren, weil der Mann so muskulös war und dunkle Haare und blaue Augen hatte. Guter Gott, wie er Emery überragt und gegen das Aquarium gefickt hatte… Ihm lief ein Schauer über den Rücken, wenn er daran zurückdachte.
Emery lehnte sich an die Wand im zweiten Stock und drückte das Handy an die Brust. Er hatte während der Fahrt in dem Taxi seine Mailbox durchgesehen und überlegt, auf welche Nachrichten er nach dem vielen Wodka noch reagieren konnte. Jetzt wollte er nur einen Moment Pause machen und in der Erinnerung an diesen Abend schwelgen. Er berührte seine Lippen mit den Fingern und versuchte, das Gefühl an den Kuss des Barbaren wieder wachzurufen, der leicht nach Bier geschmeckt hatte.
Im Laufe der Jahre war er recht gut darin geworden, sich nicht mit den Details seiner Liebschaften zu belasten oder sich gar wieder daran zu erinnern. Er hatte sowieso ein schlechtes Gedächtnis für Gesichter. Beruflich war das eher ein Nachteil und er hatte hart daran gearbeitet, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Bei seinen vielen Affären kam es ihm allerdings zugute und das Bild des Barbaren vermischte sich jetzt schon mit den vielen Gesichtern seiner Vorgänger. Es war besser so.
Emery hatte allerdings das Gefühl, es würde ihm schwerer fallen, die Erinnerung an die starken Hände des Mannes abzuschütteln, die ihn gepackt und an sich gezogen hatten. Oder die Erinnerung an die Zähne und die Lippen, die ihn geküsst und an ihm geknabbert hatten. Oder an den amüsierten Tonfall dieser Stimme, als sie sich geneckt hatten.
Emery liebte Neckereien.
Nun, es war sinnlos, sich länger damit aufzuhalten. Es war spektakulär gewesen, aber jetzt war es vorbei. Niemand hinderte Emery daran, das Erlebnis in seiner Schatztruhe zu speichern, doch jetzt brauchte er Schlaf. Er hatte seit fünf Uhr früh gearbeitet und es war schon nach Mitternacht. Die Müdigkeit kroch ihm in die Knochen und er sehnte sich nach seinem Bett.
Emery steckte das Handy in die enge Tasche seiner Shorts und hielt den Transponder an das Paneel an der Wand. Nach dem Piepsen fischte er seinen Wohnungsschlüssel aus der Tasche.
Als er im vierten Stock um die Ecke kam, stellte er fest, dass er den Schlüssel nicht gebraucht hätte.
Seine Wohnungstür stand offen.
Furcht machte sich in seiner Brust breit und er stolperte zurück zur Treppe. Verdammt, was war da los?
Vorsichtig schaute er um die Ecke in den Flur. Mehrere Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Er überlegte, ob seine beste Freundin Ava davon gesprochen hatte, heute bei ihm übernachten zu wollen. Aber nein, daran er hätte er sich erinnert, auch wenn er müde und beschwipst war. Er wusste auch, dass er niemals die Tür offen gelassen hätte. Er kontrollierte mindestens zweimal, ob die Tür auch wirklich abgeschlossen war, bevor er das Haus verließ. Manchmal kontrollierte er sogar dreimal. Seine Putzfrau hatte einen Schlüssel, kam aber nur donnerstags und außerdem nie nachts. Emery war so panisch, dass er kaum noch klar denken konnte.
Weil die einzige logische Schlussfolgerung war, dass sich jemand in seiner Wohnung aufhielt, der dort nichts zu suchen hatte.
»Mist«, zischte Emery und Tränen stiegen ihm in die Augen – teilweise aus Wut, teilweise aber auch aus Angst.
Oh Gott. Das konnte doch nichts mit diesen merkwürdigen Nachrichten zu tun haben, oder?
Emery war eine Internetpersönlichkeit – keine berühmte, aber immerhin – und wurde oft belästigt. Besonders deshalb, weil er sich aktiv für Schwulenrechte einsetzte. Er war in den letzten Jahren schon oft mit Hass konfrontiert worden und in letzter Zeit wurde er mit anonymen Mails bombardiert, die ihrem Ton und der Wortwahl nach vermutlich alle von derselben Person stammten. Sie hatten alle die gleiche Botschaft.
Du hast uns genommen, was uns gehört. Wir werden es uns zurückholen.
Homos wie du sind Aids-verseuchter Schmutz! Du hast das nicht verdient, du Dieb!
Wir wissen, wo du wohnst. Die Welt kann auf dich verzichten.
Emery musste nicht beim FBI sein, um zu wissen, dass dieser Stalker ein ernst zu nehmendes Problem hatte.
Er hätte allerdings nie gedacht, dass es so weit kommen würde. Dass jemand in sein Zuhause einbrechen würde. Was sollte er nur tun?
Er sollte die Polizei benachrichtigen. Aber es würde eine Weile dauern, bis jemand kam. Bis dahin wäre der Eindringling vielleicht schon entkommen.
Er sollte auch nicht hier warten, bis der Eindringling vielleicht zurückkam. Er sollte weglaufen und später überlegen, wie jemand durch die gesicherte Haustür und die Türen zu seinem Stockwerk und seiner Wohnung eindringen konnte. Später, wenn er in Sicherheit war.
Andererseits war Emery stocksauer, weil dieses Arschloch in seiner Wohnung rumstöberte und mit seinen schmutzigen Händen alles anfasste, was ihm lieb und teuer war. Wer wusste schon, was der Kerl gerade jetzt – in diesem Moment – zerstörte oder einpackte? Emery drückte sich an die Wand und sein Herz fing an zu rasen. Er musste logisch denken. Alles war ersetzbar.
Bis auf…
»Nein!«, rief er und Tränen liefen ihm über die Wangen. »Nein, nein, nein!«
Alles war ersetzbar – sein Laptop, seine Klamotten, die Schuhe und die vielen Andenken, die er von seinen Reisen mitgebracht hatte. Das alles waren nur materielle Dinge und wenn er sie verlor, war das nicht schlimm.
Aber nicht Sonic.
Ihm wurde schwindelig und er stützte sich an der Wand ab. Er könnte sich niemals verzeihen, wenn dieses Arschloch Sonic etwas antun würde. Er durfte Sonic nicht im Stich lassen. Und er durfte nicht das Risiko eingehen und warten, bis die Polizei eintraf. Manche Leute waren einfach krank im Kopf und ließen sich keine Chance entgehen, eine unschuldige Kreatur zu verletzen.
Emery kannte viel zu viele solcher kranken Arschlöcher. Er musste Sonic retten.
Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Seine Kehle war wie zugeschnürt und sein Herz schlug immer noch so schnell, dass er beinahe umkippte. Irgendwie schaffte er es, einen Fuß vor den anderen zu setzen und sich die Wand entlang bis zu seiner offenen Wohnungstür zu schleichen.
Wer immer auch der Eindringling sein mochte, er verhielt sich mucksmäuschenstill. Als Emery zur Tür kam, blieb er kurz stehen und lauschte, hörte aber keinen Ton. Er schlich sich etwas näher, um durch den Spalt einen Blick in sein Wohnzimmer zu werfen. Nichts rührte sich.
Jedenfalls nichts, was er nicht erwartet hätte.
Emerys Blick blieb an dem großen Käfig haften. Ja, da war er, sein kleiner Igel. Er war putzmunter und schnüffelte sich durch die Sägespäne auf dem Boden seines Käfigs. Glücklicherweise hatte er sich nicht in einem der Rohre verkrochen oder spielte mit dem quietschenden Laufrad. Es sah nicht aus, als hätte der Eindringling ihn gestört oder belästigt.
Für den Bruchteil einer Sekunde fragte sich Emery, ob der Kerl sich schon verzogen hatte, ohne die Tür zu schließen. Dann hörte er einen leisen Knall, der aus dem Schlafzimmer zu kommen schien. Sein Adrenalinspiegel schoss sofort wieder in die Höhe.
Sein Schlafzimmer war ihm heilig. Bei dem Gedanken, dass jemand in sein Schlafzimmer eingedrungen sein könnte, fing sein Blut zu kochen an. Zwischen ihm und Sonic auf der einen und dem Eindringling auf der anderen Seite lag nur eine halb geschlossene Tür.
Emery musste handeln. Sofort.
Er drückte die Schultern durch und holte tief Luft. Es war kaum zu glauben, wie schnell er angesichts der drohenden Gefahr wieder nüchtern geworden war. Doch er musste jetzt seiner Verantwortung gerecht werden. Er musste sich und Sonic in Sicherheit bringen.
Leise stieß er die Tür weiter auf und schlich über den Holzfußboden in das große Wohnzimmer. Es sah nicht aus, als hätte der Eindringling hier viel Schaden angerichtet. Nur einige Schubladen standen auf und ihr Inhalt lag auf dem Boden verstreut. Der Fernseher hing noch an der Wand, genauso wie die Bilder.
Jetzt schien sich der Eindringling im Schlafzimmer aufzuhalten, wo er sich vermutlich an Emerys Safe zu schaffen machte. Vielleicht war er auch hinter Emerys Laptop her, um an private Informationen zu kommen. In diesem Fall konnte Emery ihm nur viel Glück wünschen.
Andererseits hieß das aber auch, dass der Einbrecher jederzeit aus dem Schlafzimmer auftauchen und vor ihm stehen könnte. Emery schluckte seine Angst runter und ging so schnell wie möglich zu Sonics Käfig.
»Komm, Baby«, flüsterte er so leise, dass es kaum zu hören war. Sein Blick huschte zwischen der Schlafzimmertür und dem Käfig hin und her, als er ihn öffnete. »Komm jetzt, mein Liebling. Zeit für ein kleines Abenteuer. Alles ist gut. Wir besuchen Tante Ava.«
Sonic schien zu spüren, dass etwas nicht stimmte. Während Emery sich die Kochhandschuhe anzog, um seine Hände gegen die Stacheln des Igels zu schützen, zog Sonic sich in die hinterste Ecke des Käfigs zurück, wo er nur schwer zu erreichen war.
Emery hätte schreien können.
Stattdessen griff er vorsichtig in den Käfig und verdrehte seinen Arm, wie er es schon Hunderte Male getan hatte. Alles war bestens. Er konnte das. Er musste Sonic nur zu fassen bekommen, ohne ihn zu verletzen. Ihm war mittlerweile egal, ob seine Finger darunter leiden würden. Die Zeit wurde knapp und der Eindringling war immer noch im Schlafzimmer.
Was würde der Kerl tun, wenn er wieder ins Wohnzimmer zurückkam? Hätte Emery noch Zeit, um die Flucht zu ergreifen?
Und was war, wenn er eine Waffe hatte?
Emery wollte es nicht herausfinden müssen.
»Komm schon, mein Liebling. Komm jetzt. Komm.«
Die Sägespäne flogen in alle Richtungen, als Sonic den Handschuh sah und zitternd zu entkommen versuchte. Er konnte vermutlich Emerys Angst und Verzweiflung spüren und ließ sich davon anstecken. Sein Fluchtreflex war daher nur natürlich, machte Emery aber noch nervöser. Er schaute von seinem Baby zur Schlafzimmertür. War das ein anderes Geräusch, das er da gehört hatte? Vielleicht ein Bein, das im Dunkeln ans Bett stieß? Oder eine Hüfte, die mit einer offenen Schranktür kollidierte?
Er hatte schon viel zu viel Zeit verloren.
Emery drehte den Arm, um es aus einer anderen Richtung zu versuchen. Er griff zu und hatte die Hand voller Sägespäne und einem kleinen, vor Angst erstarrten Igel. Er hätte vor Erleichterung beinahe aufgeschrien, als er die Hand aus dem Käfig zog und sich Sonic an die Brust drückte.
In diesem Moment öffnete sich die Schlafzimmertür.
Emery dachte nicht lange nach. Seine Beine bewegten sich wie von selbst und er rannte zur Wohnungstür, die er weit offen gelassen hatte.
Wer immer aus dem Schlafzimmer kam, er brüllte laut. Es war ein furchteinflößender, animalischer Schrei, der vermutlich sämtliche Nachbarn aufweckte, die in diesem Stockwerk wohnten. Emery schaute nicht zurück. Er durfte keine Zeit mehr verlieren.
Er rannte nur weiter.
Tränen liefen ihm übers Gesicht, als er über den Teppichboden im Hausflur zur Treppe lief. Glücklicherweise musste er nicht erst den Transponder benutzen, um die Etagentür von innen zu öffnen. Er hatte Sonic in seinen Handschuh gewickelt und die Stacheln des Igels zerkratzten ihm durch das dünne T-Shirt die Brust. Mit der anderen Hand schlug er auf den Griff der Tür, um sie zu entriegeln. Obwohl es keine Sekunde dauerte, kam es ihm wie eine Ewigkeit vor, bis das Schloss endlich klickte. Er riss die Tür auf, um ins Treppenhaus zu laufen.
Er wusste nicht, was ihm von hinten an den Kopf schlug, aber es war schwer genug, um ihn nach vorne zu schleudern. Er knallte mit dem Kopf an den Türrahmen.
Verdammt, was war das? Es musste ein schwerer Gegenstand gewesen sein, keine Faust. Ein tröstlicher Gedanke blieb ihm, als sein Kopf vor Schmerz fast explodiert wäre – der Eindringling hatte mit einem Gegenstand nach ihm geworfen und war immer noch einige Meter hinter ihm. Noch hatte der Bastard ihn also nicht erwischt und Emery wollte dafür sorgen, dass es auch so blieb. Ein Adrenalinschub schoss ihm durch die Adern und seine ohnehin schon flatternden Nerven standen wie unter Hochspannung.
Lauf, lauf, lauf!, schrien sie ihm zu.
Und Emery lief.
Sonic an die Brust gedrückt, lief er die Treppe hinab. Schweiß oder Blut – er konnte nicht sagen, was es war – lief ihm über den Rücken. Er hielt sich an die Außenseite der Treppe, um nicht gesehen zu werden, falls jemand von oben durch den Schacht nach unten schaute. Dann hörte er, wie eine Tür zuschlug und polternde Schritte ihm folgten. Der Eindringling schrie laut – wortlos – und Emery konnte die Abscheu in seinem Schrei beinahe körperlich spüren.
Er war davon überzeugt, dass es persönliche Gründe für den Einbruch geben musste. Dieses Arschloch kannte ihn. Es war vermutlich eines der vielen anonymen Arschlöcher, die ihn seit Monaten oder Jahren belästigten. Konnte es dieser ekleinhater sein? Der Idiot glaubte offensichtlich, dass Emery irgendwie in seiner Schuld stünde. Er war so unverschämt selbstbewusst, dass er sogar damit geprahlt hatte, er wüsste, wo Emery wohnte.
Seine Beine fühlten sich wie Pudding an und sein Kopf pochte, als er an die Haustür kam. Er öffnete sie und rannte in die Nacht hinaus. Das Haus stand in einer relativ gut beleuchteten Straße, aber Pine Cove war keine Großstadt. So spät in der Nacht waren die Straßen menschenleer und Emery konnte sich nicht darauf verlassen, dass die paar Straßenlampen seinen Angreifer davon abhalten würden, über ihn herzufallen.
Emery blieb also nicht auf dem Bürgersteig, sondern lief in die kleine Seitengasse am Ende des Hauses, in der die Müllcontainer standen. Dabei scheuchte er zwei Katzen auf, die kreischend die Flucht ergriffen. Emery hoffte, sie würden ihn nicht verraten, hatte aber keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Er musste die Gasse verlassen haben, bevor sein Verfolger sie erreichte und sehen konnte, in welche Richtung er weiterlief.
»Weiter, weiter!«, keuchte er, als seine Knie nachzugeben drohten. Nicht mehr weit…
Er lief um die Ecke, japste erleichtert und blieb einen Moment stehen, um nach Luft zu schnappen.
»Du schaffst das! Lauf!«
Er hätte anschließend nicht sagen können, wie lange er gelaufen war. Als seine Beine nachgaben, blieb er stehen und lehnte sich mit dem Rücken an die Backsteinwand eines Hauses. Es war ein Laden für Angelzubehör, dunkel und schon lange geschlossen. Er hatte wenige Sekunden vorher über die Schulter nach hinten gesehen und festgestellt, dass er nicht mehr verfolgt wurde.
Sonic schaute zu ihm auf und rieb sich mit der Schnauze aufgeregt an dem Kochhandschuh. Emery grinste ihn an, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und streichelte Sonic zärtlich mit dem Finger über den Kopf.
»Wir haben es geschafft«, flüsterte er außer sich vor Freude. »Jetzt besuchen wir Tante Ava, ja? Sie wird sich um den kleinen Sonic und sein armes Herrchen kümmern, ja?«
Seine Hände zitterten immer noch heftig und es dauerte eine Weile, bis er das Telefon hervorgezogen und ein Taxi bestellt hatte. Sie hatten Glück und mussten nur zwei Minuten warten, weil ganz in der Nähe ein Wagen frei war. Sollte ihr Verfolger irgendwie herausgefunden haben, in welche Richtung sie gelaufen waren, so war er mittlerweile hoffentlich verschwunden.
Trotzdem kam Emery nicht zur Ruhe, bis er und Sonic endlich sicher in dem Mietwagen saßen und auf dem Weg zu Ava waren, die auf der anderen Seite der Stadt wohnte.
Erst jetzt holte Emery tief Luft und fragte sich, welcher dieser Online-Psychos sich nicht mehr mit Stalking zufriedengegeben, sondern die Grenze zur realen Körperverletzung überschritten haben mochte.