Es gibt eine Reihe von Personen, ohne die dieses Buch nicht zustande gekommen wäre. Bei denen möchte ich mich bedanken. Zu allererst bei meiner Frau Rike. Seit nunmehr fast 20 Jahren (genau genommen sind es 16,5) zeigt sie sich tolerant für eine Beziehung zu dritt: Sie – ich – und der Sport. Wo andere einem leichtfertig auf die Schulter klopfen, bist du meine schärfste Kritikerin. Du hast mich zu einem besseren Journalisten gemacht. Danke dafür und noch für vieles mehr. Ohne dich wäre alles nichts.
Bis Justus (3) und Josefine (2) diese Zeilen lesen können, vergehen noch einige Jahre. Doch ich bin mir sicher, ich kann dann genau wie heute sagen: Ihr seid das Beste, was mir je passiert ist. Ich bin so verdammt stolz auf euch. In Nächten, in denen mal wieder keine treffende Metapher ihren Weg in die Tastatur finden wollte, habe ich mich gefragt: Warum mache ich das hier eigentlich? Dann habe ich in eure Zimmer gelugt und wusste es sofort wieder: für euch. So wird es immer sein.
Meinen Eltern und meiner Schwester will ich genauso danken. Es gibt kein schöneres Gefühl, als die Gewissheit, dass es jemanden gibt, der immer zu einem steht, egal – frei nach Reinhard Mey –, was man gerade mal wieder ausgefressen hat. Ihr drei schenkt mir dieses Gefühl bis heute. Unbezahlbar. Danke.
Ein besonderer Dank geht gen Himmel. Dort sitzt irgendwo auf einer Wolke Reporter-Legende Paul Sahner und fühlt bestimmt Elvis Presley, JFK hat er mit Sicherheit die Liebesdetails zu Marilyn Monroe entlockt, gerade auf den Zahn: »Mr. Presley, haben Sie jemals geliebt«? Als Volontär hast du, der Starreporter, mich aufgenommen. Ich habe bei dir gewohnt, mit dir gelacht und um dich geweint. Über den Tellerrand des eigenen Ressorts hinauszuschauen, für seine Geschichten zu kämpfen und sich dabei die zynische Grundhaltung vieler Journalisten-Kollegen nicht zu eigen machen – all das hast du mir beigebracht. Leider hatten wir nicht mehr Zeit. Danke Paul. Und ich hoffe, da oben ist dein Aufschlag inzwischen besser geworden.
Kollegen, die sich von ihrer Hilfe und Zeit keinen eigenen Vorteil versprechen, habe ich viele getroffen. Danke in diesem Sinn vor allem Manfred Otzelberger.
Danke ebenso: André Grounewoud, Patricia Riekel, Sebastian Graf von Bassewitz, Tanja May, Armin Gibis, Florian Benedikt. Manch einen habe ich lange nicht mehr gesprochen, doch jeder hat mir etwas mit auf meinen Weg gegeben. Danke. Wir sehen, sprechen, lesen uns.
Christian Fink ist angeschlagen. Ein Magen-Darm-Virus setzt ihm schon seit einigen Tagen zu. Diagnose: Schonkost anstatt OP-Kittel. Zwangspause für einen Mediziner aus Leidenschaft. Sein Pech ist des Reporters Glück. Nur so findet der Wahl-Tiroler Zeit für ein Gespräch ohne Zeitdruck und Termine im Nacken – beim Gesundheitstee im Gramarthof. Dieser liegt im Stadtteil Hungerburg über Innsbruck, nur einen Steinwurf von Finks Zuhause entfernt. Doch daran darf er auch nicht denken. Wasserrohrbruch im Keller. Das Haus voller Handwerker. Dann lieber ein heißes Aufgussgetränk mit einem knisternden Kamin in der Ecke. Draußen leichter Nieselregen. Das Thermometer schafft mit Mühe und Not die Zehn-Grad-Marke, und so finden sich an diesem Tag kaum Wanderer und Tagestouristen in dem beliebten Ausflugs-Wirtshaus ein. Der Gast ist hier bestens bekannt und vertraut mit der Küche. Fink bestellt, ohne in die Karte zu blicken. Spinat-Gnocchi – die könne der angeschlagene Magen vertragen. Ganz zur Ruhe kommt Christian Fink allerdings selbst im Krankenstand nebst Bergidylle nicht. Sogar jetzt trudeln permanent Nachrichten seiner Patienten auf dem Smartphone ein.
Der Mediziner ist ein weltweit gefragter Mann. Die komplette Liste seiner prominenten Kundschaft aus der Welt des Sports könnte alleine eine Buchseite füllen. Felix Neureuther, Lindsey Vonn, Aksel Lund Svindal, Leroy Sané, Giorgio Chiellini, Niklas Süle, Corentin Tolisso, Oliver Baumann, Merih Demiral oder Luca Hernández – sie alle vertrauen seinen Händen. Und so hat sich Innsbruck zur Zuflucht für schwer verletzte Topathleten gemausert, mit Professor Christian Fink als Hoffnungsträger.
Vor einigen Jahren stiegen die Sportstars noch mit dem Ziel Vail im US-Bundesstaat Colorado in den Privatflieger. Richard Steadman galt als »der« Arzt für die »schwierigsten« Knie. Der emeritierte Professor der Universität von Dallas entwickelte die Technik der »Mikrofrakturierung« zur Behandlung von Knorpelschäden. Das Prinzip: Steadman setzt mit einem spitzen Instrument unter arthroskopischer Sicht kleine Löcher (»Mikrofrakturen«) in die defekten Knorpelstellen. Aus diesen Löchern kommt es zur Blutung und Entwicklung eines »Blutkoagels«, der sich in eine Art Ersatzknorpel umwandelt. Diese Technik ist auch heute noch sehr verbreitet.
Mit der »Mikrofrakturierung« und auch mit der operativen Behandlung von Kreuzbandrissen macht sich Steadman in den 1990er-Jahren weltweit einen Namen. Steigt zur Koryphäe in der Sportmedizin auf. Zu dieser Zeit ist er zudem einer der wenigen Chirurgen, die sich intensiv um die physiotherapeutische Nachbehandlung ihrer Patienten kümmern. Steadman, der Knie-Pionier, häuft aber nicht nur Wissen für seine medizinische Unsterblichkeit an, er will der nächsten Generation sein Know-how als Anstoß für noch effektivere Methoden auf den Weg geben. Und kaum einer saugt die Erfahrung des heute 84-jährigen Amerikaners so intensiv auf wie Christian Fink.
Christian Fink besucht Steadman schon während seines Studiums in den USA, schaut sich über mehrere Monate viel von Steadman ab. Das Verhältnis zu der Medizin-Legende wird ein wesentlicher Antrieb für Finks medizinische Karriere. Das Mindset: nicht stehen bleiben. Stillstand ist Rückschritt. Ununterbrochen nach neuen Erkenntnissen forschen. Es sind eigentlich Basics, die Fink von Steadman mit zurück nach Innsbruck nimmt. Aber mit welcher Leidenschaft sich Steadman in seiner Position in den Dienst der Wissenschaft stellt, begeistert den Besucher aus Österreich. Und er merkt sich: Nur durch diese Einstellung hat es Steadman geschafft, eine dermaßen hervorgehobene Position einzunehmen.
Im Grunde genommen kann fast jeder Arzt nach einem erfolgreichen Studium mit dem Erlernten für den Rest des Berufslebens gut über die Runden kommen. Zu wenig für Christian Fink. Sein Antrieb ist nicht die Aussicht auf ordentliche finanzielle Versorgung. Sein Antrieb ist die Gier nach Wissen – so wie bei Steadman. Neben mehrmonatigen Aufenthalten bei weiteren renommierten Kniechirurgen in Melbourne, Australien sowie bei Professor Freddie Fu in Pittsburgh erhält Fink 1999 ein zweijähriges Forschungsstipendium der US-Elite-Universität Duke in North Carolina. Im Jahr 2001 habilitiert er und wird Professor an der Universität Innsbruck. Nach fünfzehn Jahren Tätigkeit an der Universitätsklinik für Unfallchirurgie – zuletzt als Leiter der Knie- und Sportchirurgie – gründet Fink gemeinsam mit Dr. Christian Hoser 2007 in Innsbruck eine private Praxis. In den folgenden Jahren wird sie um eine Forschungsabteilung an der Privatuniversität UMIT in Hall sowie um ein Labor für Operationssimulation (Surgical Skills Institute) erweitert. Neben der klinischen Arbeit mit Patienten forscht und lehrt Fink immer weiter. Mehr als 200 Publikationen und an die 500 Vorträge in aller Welt stehen in seinem Lebenslauf. Mehrere Patente für neue Operationsinstrumente im Bereich der Kniechirurgie gehen auf ihn zurück. Die Behandlung von Knieverletzungen mit noch kleineren Schnitten durchzuführen und noch besser der ursprünglichen Anatomie anzupassen – das ist seine Vision, der er Stück für Stück näher kommt. Dabei ist für ihn nicht nur die Geschwindigkeit von Belang: »Wie lange falle ich aus? Diese Frage stellen Profisportler sofort. Das kann ich auch verstehen, weil es um ihre Existenz geht. Aber wie sicher ist meine Rückkehr nach der Verletzung? Diese Frage ist mindestens genauso entscheidend. Und ebenso existenziell.«
So aufregend Finks Patientenmischung klingt, der Vielbeschäftigte sieht es nüchtern: »Kreuzband bleibt Kreuzband. Während der Operation macht es keinen Unterschied, ob ein verletztes Kreuzband zu einem Topathleten oder einem Otto Normalverbraucher gehört.«
Manchmal sind die Einsätze allerdings selbst für den Mann, der ursprünglich aus Ebensee am Traunsee stammt, nicht alltäglich. Wie im Sommer 2019: Der Wahl-Innsbrucker entspannt mit der Familie gerade im Portugal-Urlaub. Ein seltenes und daher wertvolles Glück. Plötzlich erreichen ihn Text-Nachrichten aus Deutschland: Der deutsche Nationalspieler und auf der Einkaufsliste der Bayern stehende Leroy Sané hat sich das vordere Kreuzband im rechten Knie gerissen. Das Drama ereignete sich am 5. August. Ex-Bayern-Trainer Pep Guardiola ließ Sané kurz vor dem Transferabschluss mit dem deutschen Rekordmeister noch einmal im englischen Supercup mit Manchester City gegen den FC Liverpool auflaufen. Eine unübliche Aktion. Im Regelfall werden Spieler geschont, wenn sie auf dem Sprung zu einem anderen Club sind. Guardiola hat sich dieser Gepflogenheit widersetzte, und prompt nahm das Unheil seinen Lauf. Bis zur Diagnose sind vier Tage vergangen. Und nun soll Sané schnellstmöglich behandelt werden. Von Christian Fink in Innsbruck.
Für den Mediziner eine Ehrensache. Er bricht seinen Familienurlaub vorzeitig ab. In seiner Praxis »Gelenkpunkt« gegenüber dem Eisstadion an der Olympiastraße präsentiert der Kniespezialist dem Ex-Schalker nach eingehender Untersuchung seinen Behandlungsvorschlag. Und der Stürmer entscheidet sich – gegen den Ratschlag von Pep Guardiola – nicht für eine Operation in Barcelona bei Professor Ramon Cugat, sondern für die Therapie in Tirol. »Wenn man hört, welche Summen für solche Spieler bezahlt werden, muss man schon mal kurz schlucken. Der Fußball ist noch mal eine ganz andere Welt als das Skifahren. Die Operation selbst ist dann aber Alltag«, sagt Fink. Doch ganz normaler Alltag ist ein Eingriff bei einem aufstrebenden Superstar wie Sané eben doch nicht. Der Chirurg steht unter Beobachtung.
Die Teamärzte und auch der Physiotherapeut von Manchester City reisen mit dem schwerverletzten Angreifer nach Österreich. Sie schauen Fink bei jeder Aktion über die Schulter. »Damit kann ich mittlerweile gut umgehen. Athleten haben häufig Ihre Vertrauenspersonen dabei. Außerdem habe ich viele Live-Operationen auf Kongressen vor Hunderten Kollegen durchgeführt. Das war deshalb keine neue Situation für mich«, kommentiert Fink rückblickend den Begleitservice aus England. Anschließend verbringt der Nationalstürmer noch einige Wochen zur Rehabilitation in Innsbruck, will nichts dem Zufall überlassen. Das Team von Christian Fink stets an seiner Seite. Auch nach seiner Rückkehr auf die Insel steht Fink in ständigem Kontakt zu dem 23-Jährigen. Der Wechsel nach München kommt 2019 unter den geänderten Umständen jedoch nicht zu Stande. Uli Hoeneß, zu dieser Zeit in den letzten Zügen seiner Amtszeit als Bayern-Präsident, sagt damals: »Abwarten, wie seine Genesung verläuft. Ich denke, die neuen Leute müssen sich im Januar, Februar zusammensetzen und beraten, wie es in dieser Sache weitergeht«. Medizinisch kann das wohl kaum jemand besser beurteilen als Christian Fink. Er attestiert Sané einen hervorragenden Reha-Verlauf. Die Informationen werden an der Säbener Straße gerne gehört. Anfang Juli 2020 verkündet der Club rund um das neue Führungs-Duo Oliver Kahn und Hasan Salihamidzić schließlich endgültig den Wechsel des in Innsbruck operierten Superstars an die Isar. Mit einem Jahr Verspätung. Bis zum Jahr 2025 unterschreibt der Patient von Christian Fink beim FC Bayern. Einer erfolgreichen Ära zwischen dem deutschen Vorzeigeverein und einem der größten Hoffnungsträger der deutschen Fußball-Gegenwart steht damit nichts mehr im Weg. Zumindest nichts aus medizinischer Sicht.
Warum vertrauen einem wie Christian Fink so viele Sportler? »Das müssen sie die Sportler fragen«, antwortet Fink schmunzelnd, der im Jahr zwischen 150 und 200 Kreuzbänder operiert. Und doch liefert der Fall Sané schon im Grunde die Antwort. Fink versteht sich nicht als reiner Chirurg. Seine Philosophie folgt einem ganzheitlichen Ansatz: »Die Betreuung hört nicht hinter dem OP-Saal auf. Mein Team und ich sind für unsere Patienten immer zu erreichen. Wir sprechen mit den Therapeuten und Teamärzten vor Ort und machen regelmäßige Nachkontrollen.«
Auch der Daumen von Lindsey Vonn zeugt von einer besonderen Fink-Behandlung. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine alltägliche Verletzung. Es passiert bei der Ski-WM 2009 in Val d‘Isère: US-Glamour-Girl Vonn feiert ihre Gold-Medaille in der Abfahrt. Etwas zu heftig. Beim Öffnen einer Champagnerflasche durchtrennt sie sich die Beugesehne im rechten Daumen. Sie bricht sofort auf nach Innsbruck. Fink näht den Riss in einer einstündigen Operation wieder zusammen. Sie bekommt zwei Spezialschienen angepasst. Eine Nacht verbringt Vonn in einem Innsbrucker Hotel, bevor sie wieder zur Weltmeisterschaft nach Frankreich aufbricht, um einen weiteren Tag später im Riesenslalom an den Start zu gehen. Dort verpasst sie eine Medaille, reist aber mit der Gewissheit ab, dass sie immer auf das Ärzte-Team aus Innsbruck zählen kann.
Athleten mit einer positiv-verrückten Begeisterung für ihren Sport wie Lindsey Vonn machen es Fink und seinen Kollegen leichter. Die Mediziner wissen: Nur wenn der Patient nach dem Eingriff voll mitzieht, ist eine schnellstmögliche Rückkehr zur gewohnten Leistungsstärke möglich. Gleichwohl ist sich Fink bewusst, dass Profisportler in ihrem Kampf um alte Leistungsstärke sehr privilegiert sind: »Die Nachbehandlung bei einem Spitzensportler ist meist einfacher, der hat ein professionelles Umfeld und keine anderen Verpflichtungen«.
Im Leistungssport weiß der dreifache Familienvater, wovon er spricht. Fink war ein ambitionierter Skiläufer und Triathlet. Als er jedoch erkennt, dass es für die große Profikarriere nicht reicht, widmet er sich vollends der Sportmedizin, bleibt seiner Passion auf dieser Weise erhalten. Abertausende Kreuzbänder danken es ihm bis heute, darunter eines, dessen Träger ebenfalls beim FC Bayern München unter Vertrag steht.
Leroy Sané hat Innsbruck gerade erst wieder verlassen, da liegt schon der nächste deutsche Nationalspieler bei Fink auf dem Operationstisch – Niklas Süle. Der Abwehrspieler verliert am 19. Oktober 2019 im Auswärtsspiel beim FC Augsburg in der zwölften Minute das Gleichgewicht. Das linke Knie kann der Belastung nicht standhalten. Riss im vorderen Kreuzband. Wie bei Sané – nur im anderen Knie. Für Süle ist es bereits der zweite Schaden im linken Knie. Schon im Dezember 2014 hat ihn die gleiche schlimme Verletzung ereilt. Mit damals 19 Jahren ein herber Rückschlag, von dem er sich zum Glück perfekt erholen konnte. Die neuerliche Verletzung an dem bereits operierten Knie macht die Sache fünf Jahre später jedoch nicht einfacher. Erst recht nicht, wenn weitere Verletzungen an Menisken und Gelenkknorpel dazu kommen.
Anders als ihre Kollegen von Manchester City bei Leroy Sané verlieren die Mediziner beim FC Bayern am 19. Oktober keine Zeit: Sofort wird Christian Fink kontaktiert. Am nächsten Morgen steigt Bayerns Abwehrchef Süle in einen Mini-Bus. 162 Kilometer Fahrt. Ziel: Innsbruck. Die Fink-Praxis. Als der Mediziner im Verlauf des Tages stundenlang nicht auf Anrufe und Textnachrichten aus München reagiert, wird klar: Süle befindet sich wohl bereits im Operationssaal. Um 23.05 Uhr kommt kurz und nüchtern die Bestätigung per WhatsApp: »Habe ihn heute Abend operiert.«
Im Gegensatz zu manch einem seiner Kollegen versucht Fink mit einem Patienten nach einer schweren Verletzung, so schnell wie möglich in den OP-Saal zu kommen: »Zeit spielt im Sport immer eine große Rolle. Wenn die Diagnose feststeht und eine Operation notwendig erscheint, braucht man nicht lange zu warten. Voraussetzung ist natürlich, ein optimales Umfeld und vor allem ein vertrautes OP-Team verfügbar zu haben. Diese Voraussetzungen haben wir uns in den letzten Jahren mit der Privatklinik Hochrum geschaffen.« Als Österreicher bemüht er einen Vergleich zum Skifahren: »Beim Ski versorgen wir verletzte Sportler am liebsten innerhalb weniger Stunden, wie Aksel Lund Svindal nach seinem Kreuzbandriss in Kitzbühel 2016. Das ermöglicht optimale Heilungsvoraussetzungen einerseits und gibt dem Sportler die Chance, vielleicht etwas mehr Zeit für seine Nachbehandlung verwenden zu können.« Die norwegische Ski-Legende zeigt sich äußerst dankbar für den Einsatz des viel beschäftigten Arztes. In mehreren Social-Media-Beiträgen macht Svindal klar, dass ein Comeback ohne die Hilfe der Innsbrucker Ärzte für ihn nicht möglich gewesen wäre.
Christian Finks Kontakt zum FC Bayern entsteht über Teamarzt Dr. Müller-Wohlfahrt. Beide Ärzte haben einige gemeinsame Patienten, etwa Ex-Skifahrer Felix Neureuther. Man kennt sich also, aber nicht näher. Bis eines Tages das Handy von Christian Fink klingelt: »Hallo, hier spricht Müller-Wohlfahrt. Ich beobachte ihre Arbeit«, stellt sich der Anrufer vor. »Da war ich schon erst mal sprachlos«, so Fink. »Aber schnell war klar, dass er es positiv meint und gerne mit mir enger zusammenarbeiten würde.« Sein erster großer »Bayern-Fall« ist Corentin Tolisso. Gefolgt von Luca Hernández, ebenfalls eine heikle Angelegenheit: Den Weltmeister verpflichtete der deutsche Rekordmeister trotz schwerer Innenbandverletzung. Die Aufgabe von Christan Fink ist es, das Knie des 80-Millionen-Transfers wieder auf maximale Belastungen vorzubereiten. »In diesem Fall war der Druck immens. Egal warum ein Sportler nach einem Eingriff nicht mehr fit wird – am Ende heißt es: Der Operateur ist schuld«, sagt Fink – und ergänzt: »Nach der Behandlung von Luca Hernández habe ich einige Kollegen, die öffentlich kundgetan haben, man müsse so eine Verletzung eigentlich gar nicht operieren, angerufen und gefragt, wie sie zu so einer Meinung kommen. Ohne den Patienten jemals gesehen zu haben oder seine Krankengeschichte zu kennen.« Ein Beispiel, das wieder mal zeigt: Im Spitzensport herrscht unter den Ärzten oft »Konkurrenzkampf«. Zwischen Fink und Dr. Müller-Wohlfahrt dagegen hat sich seither eine vertrauensvolle Zusammenarbeit entwickelt.
Die Arbeit mit Athleten beschreibt Fink als Balance-Akt zwischen sportlicher Leistung und Gesundheit – mit einem schwer berechenbaren Gegner: Belastungsspitzen im Hochleistungssport. »Natürlich bräuchten die Spieler oft mehr Pausen, damit sich der Körper besser erholt. Der Druck im Spitzensport ist heute einfach enorm. Ein Marathonlauf per se ist mit Sicherheit nicht gut für die Gelenke. Aber die Disziplin in der Vorbereitung, der notwendige gesunde Lebenswandel, das strukturierte Training sowie das Erlebnis können für Körper und Psyche sehr belebend sein. Daher würde ich niemanden abraten, sich einmal ein größeres sportliches Ziel zu setzen. Es muss ja nicht immer gleich ein Marathon sein.«
Die psychischen Auswirkungen, die Sport auf jeden, nicht nur auf Profiathleten, haben kann, hat Fink wissenschaftlich untersucht. Das Setting: Er begleitet einen Sommer lang zwei Gruppen mit Gelenkproblemen im Knie. Die eine Gruppe ist zwei bis dreimal die Woche mit einem Wanderführer unterwegs. Die andere Gruppe absolviert wie gehabt ihren normalen Alltag. Das Ergebnis im Herbst: »Die Wanderer waren in allen Aspekten besser. Die waren mental besser drauf. Sie waren auch stärker, kräftiger und ausdauernder.« Allerdings müsse man dafür mit so manch lieb gewonnener Gewohnheit brechen: »Bergauf am besten zu Fuß und bergab mit der Bahn – nicht umgekehrt«. Und auch für die Technik hat Fink einen Tipp parat: »Je steiler der Anstieg, desto kleiner sollten die Schritte sein. So hält man die Gelenkbelastung so gering wie möglich.« Seine Erfahrung aus dieser Studie hat er mit Kollegen und in Kooperation mit dem Österreichischen Alpenverein in seinem ersten Buch Gelenkfit in die Berge (Tyrolia Verlag) aufgeschrieben, Vorschläge für »gelenkschonende« Touren in seiner Heimat inklusive. Ein weiteres Buchprojekt ist gemeinsam mit Ex-Skifahrer Christian Neureuther entstanden: »Nach der Verletzung von Felix haben wir uns gut kennengelernt und irgendwann beschlossen, unsere Erfahrungen – seine im Sport und meine mit Patienten – zu verbinden.« Der Titel des 2019 erschienenen Werkes: Never Give up – Fit und Vital mit Arthrose (ZS Verlag). Und so ist bei Christian Fink das Bücherschreiben abseits von Klinik und Operationssaal zu einer neuen Leidenschaft geworden. Spannende Ideen gibt es genug. Doch noch steht der Terminkalender im Weg.
Die Heimat will Fink unter keinen Umständen verlassen. Bei seinen Reisen durch alle Welt stillt er nur den wissenschaftlichen Durst. Eine Expansion oder eine Standortverlagerung, wie sie schon einige Ärzte mit ähnlich weitreichendem Ruf betrieben haben, kommt nicht in Frage: Eine Christian-Fink-Praxis in Dubai oder Peking wird es also nicht geben. »Ich gehöre nach Innsbruck«, sagt er mit Nachdruck. »Das optimale Ergebnis kann ich nur mit meinem Team um mich herum in meinem gewohnten Umfeld erreichen.«
Verletzte Sportstars aus aller Welt werden auch weiter die Reise nach Innsbruck antreten. Nicht ganz freiwillig. Aber mit der Gewissheit, bei einem der gefragtesten Knie-Experten der Welt zu landen. Und will man Christian Fink außerhalb seiner Praxis antreffen, dann hat man auf den Tiroler Skipisten oder Wanderwegen gute Chancen. Oder im Gramarthof. Dann aber hoffentlich bei bester Gesundheit. Und mit nicht allzu großem Terminstress im Nacken.
Etwas mögen Handballer noch weniger als nicht genügend Harz am Spielgerät: Vergleiche zum Fußball. Der Handballer will sich abheben von den Platzhirschen des deutschen Sports. Überbordende Theatralik, notorisches Lamentieren oder permanentes Fordern von Strafen für den Gegner – solche Auswüchse sollen der Kicker-Gesellschaft vorbehalten bleiben. Dem Gelegenheits-Fan bei großen Turnieren fällt die vergleichsweise bodenständige Handballer-Attitüde immer wieder positiv auf: hart spielen, fair spielen und danach mit dem Gegner abklatschen. Man sitzt schließlich gemeinsam in einem Boot – beziehungsweise steht zusammen unter dem gleichen Hallendach.
Auch Handball-Trainerlegende Dr. Rolf Brack schätzt dieses Gefühl. Er beobachtet aber auch, dass die Handball-Familie in den vergangenen Jahren an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat: »Handball steht für sportliche Werte. Dieses Ziel sollten wir nicht aus den Augen verlieren«, sagt der 66-Jährige. Seine Einschränkung kommt nicht von ungefähr: Anfang 2020 dreht sich – ähnlich wie im Profifußball – auch im Handball das Job-Karussell, mit Rolf Brack als einem der Protagonisten: Den Anfang macht Nationaltrainer Christian Prokop, der nach einer durchwachsenen Europameisterschaft gehen muss. Und das obwohl sich die Mannschaft noch während des Drei-Länder-Turniers in Norwegen, Schweden und Österreich demonstrativ hinter den Bundestrainer gestellt hat. Dabei scheint Prokops Zukunft beim Deutschen Handballbund eigentlich gesichert. »Die Trainerdiskussion wurde nicht von uns aufgemacht, sondern medial«, weist DHB-Vizepräsident Bob Hanning alle Spekulationen um den 41-Jährigen zurück. Sportvorstand Axel Kromer lässt sich sogar zu einer Job-Garantie hinreißen: »Wir werden natürlich mit Christian Richtung Olympia gehen, weil wir überzeugt davon sind, mit ihm einen hervorragenden Weg eingeschlagen zu haben.« Keine zwei Wochen später ist Prokop freigestellt. Und in der offiziell verschickten Mitteilung hört es sich plötzlich ganz anders an: »Wir haben diese schwere Entscheidung nach reichlicher Abwägung und einer ganzheitlichen Analyse aus Verantwortung für den deutschen Handball getroffen«, wird das DHB-Präsidium darin zitiert. Eine 180-Grad-Wendung, die im Profisport vorkommt. Aber für den Handball ist sie Neuland. Ein Tabubruch in einer scheinbar heilen Welt. Dabei ist die Entlassung des obersten Trainers der Handball-Nation nur der erste Dominostein.
Binnen weniger Wochen fällt ein Trainer auf den anderen. Kai Wandschneider (Wetzlar), Kristjan Andresson (Rhein-Neckar Löwen), Heiko Grimm (Melsungen), Velimir Petković (Berlin). Die Verantwortlichen der Clubs liefern sich einen regelrechten Wettbewerb, wer seinen Trainer als Erster vor die Tür setzt. Nicht nur der Akt an sich stößt vielen auf, auch die Art und Weise: Mal wird per Ultimatum mit Trennung gedroht, mal werden – wie im Fall Prokop – Treueschwüre geleistet, die sich einen gefühlten Wimpernschlag später in Luft auflösen.
Die wenigen Übungsleiter, die sich in ihrem Arbeitsverhältnis sicher wägen, springen den weniger glücklichen Kollegen bei. Flensburgs Meistercoach Maik Machulla warnt davor, dass »die Dinge Züge wie im Fußball annehmen«. Schlimmer kann es für den Handball und seine stolzen Protagonisten kaum kommen. Und die Entlassungswelle fordert noch ein weiteres Opfer: Rolf Brack. Im Februar 2020 startet Brack in Erlangen mit dem Auftrag: Klassenerhalt. Er soll den schlafenden Riesen HC Erlangen für obere Tabellenregionen fit machen und so die überraschend kriselnden Franken vor dem Sturz in die Zweitklassigkeit bewahren. Die Jahre als Fahrstuhlmannschaft zwischen erster und zweiter Liga sollen ein Ende haben.
Nach 25 Tagen und drei Niederlagen aus vier Spielen ist seine Mission beendet. Brack wird entlassen und kommentiert rückblickend ernüchtert: »Ich hätte gerne mehr Zeit gehabt. Anscheinend hat man erwartet, einen Feuerwehrmann zu bekommen, der durch Handauflegen im Nu alles regelt. So arbeite ich jedoch nicht.« Das hätten die Verantwortlichen in Franken wissen können – eigentlich müssen. Vielleicht ahnten sie es irgendwie auch, haben aber dennoch anders gehandelt. Das ist das Paradoxe an Bracks kurzem Gastspiel in Erlangen: Die Erklärungen der Entscheidungsträger sind nicht wirklich schlüssig: »Rolf ist nach wie vor ein hervorragender Trainer und Mensch und hat große Qualitäten, eine Mannschaft zu entwickeln. Es war aber unsere Fehleinschätzung zu glauben, dass er auch in kurzer Zeit Feuerwehrmann spielen kann«, sagt der Aufsichtsratsvorsitzende Carsten Bissel am Tag nach Bracks Entlassung. Der neue Trainer habe zur Verunsicherung beigetragen, statt mit einfacher, klarer Linie das Team auf das einzuschwören, was funktioniere, und so Selbstbewusstsein und Erfolg zu entwickeln. Anscheinend hat man jemanden gesucht, der binnen weniger Wochen kurzfristigen Erfolg liefert und gleichzeitig eine nachhaltige Philosophie etabliert. Ein Wunsch, der wohl eher ins Reich der Träume gehört als in die Handball-Bundesliga.
Wer sich mit Brack beschäftigt, hat keinen Zweifel daran, dass dieser Mann über Handball-Kompetenz verfügt. 40 Jahre erfolgreich im Spitzensport bewegt man sich nicht durch Zufall. Aber man stößt auch auf eine Philosophie, die Geduld erfordert. Nicht umsonst lautet Bracks Motto »Nichts, was bleiben soll, kommt schnell«. Der gebürtige Rheinland-Pfälzer zieht Parallelen zur Politik: »Hier gibt es eine 100-Tage-Frist. Dann sollte man erkennen, in welche Richtung es geht. Nach einem Jahr sollten nachhaltige Erfolge sichtbar sein. Dieser Maßstab sollte auch für Trainer gelten.«
Bei Bracks Lieblingszitaten ahnt man, dass die Arbeit mit ihm unangenehm werden kann: »Wer aufhört, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein« (Philip Rosenthal) oder »Meine Aufgabe ist nicht, es den Leuten leicht, sondern sie besser zu machen« (Steve Jobs) gehören dazu. Auf Neudeutsch übersetzt: Bei ihm müssen die Athleten ihre Komfortzone verlassen. Seine Denke ist eng mit seiner Biografie verknüpft: Er wächst 70 Kilometer von Kaiserslautern entfernt im Hunsrück auf. Zunächst bestimmt der Fußball seinen Alltag. Auf dem Gymnasium fasziniert ihn dann der Handball. Von der Oberliga (TuS Kirn) über die Regionalliga (SG Saulheim) schafft er es bis in die Bundesliga (SG Dietzenbach).
Parallel zur aktiven Karriere schließt er in Mainz das Diplom-Studium zum Sportlehrer mit Prädikatsexamen ab. Seine Doktorarbeit an der Universität Stuttgart schreibt er über Leistungsdiagnostik im Volleyball. Doch für Furore sorgen seine Erfolge außerhalb der Uni. Mit nur 29 Jahren beginnt er als Trainer beim Handball-Oberligisten TSV Zuffenhausen und schafft mit dem Team den Klassenerhalt.
In Scharnhausen, seiner nächsten Trainerstation, gelingt ihm der Aufstieg von der Regionalliga bis in die erste Bundesliga. »Geld und Trainerexpertise schießen Tore«, davon ist Brack überzeugt – damals wie heute. »Geld hatten wir nicht. Daher mussten wir in der Expertise besser sein.«
Brack, der Wissenschaftler, belegt seine Trainerentscheidungen mit Fakten von der Uni, sagt dabei auch »gefährlichem Halbwissen« den Kampf an. Um auf der Höhe der Zeit zu sein, vollziehen Vereine und Übungsleiter (auch Brack) eine Zeit lang flächendeckende Laktattests. Sie sollen durch den Milchsäureanteil im Blut den Fitnesszustand der Athleten ausweisen. Doch Brack merkt schnell, dass Laktattests nicht so aussagekräftig sind, wie viele Kollegen denken: »Weil Topspieler nicht die Ausdauer, sondern vor allem Kraft und Schnelligkeit auszeichnen Wie ich trotz hoher Laktatwerte leistungsfähig bleibe und über 60 Minuten schnell sein kann: Das ist für einen Handballer entscheidend«, erklärt er.
Nicht immer stößt der Privatdozent auf offene Ohren. »Am Anfang wurde ich als reiner Theoretiker gesehen. Dieses Vorurteil kann man nur mit praktischen Erfolgen widerlegen«, erinnert sich Brack. Ein mühsamer Aufstieg in eine Handball-Welt, die bis heute nicht selten der Meinung ist, ein Ex-Nationalspieler sei automatisch ein herausragender Trainer. Ein Ansatz, der an manche verkrustete Gedankenwelt aus dem Fußball erinnert. Brack verlässt sich nicht nur auf am Reißbrett entworfene Spielzüge, die in der Theorie hervorragend klingen und in den Lehrbüchern ein eindrucksvolles Schauspiel ergeben. Er weiß: Zwischen einem exzellenten Theoretiker und einem Meistertrainer liegen Welten: »Man würde sich ja auch nicht von jemandem operieren lassen, nur weil er ein Medizinstudium hinter sich hat. Der Chirurg wird erst ein richtig erfolgreicher Chirurg sein, wenn er auch eine Vielzahl gelungener Operationen am Knie, am Magen oder am Herzen vorweisen kann.« Brack hat viele erfolgreiche (sportliche) Operationen hinter sich.
Er schafft vier Bundesliga-Aufstiege mit unterschiedlichen Vereinen – so viele wie kein anderer Handball-Coach. Auch als Schweizer Nationaltrainer macht er sich einen Namen. Doch seine größten Fußstapfen hinterlässt der zweifache Familienvater auf der Schwäbischen Alb. In Balingen. Die HBW Balingen-Weilstetten übernimmt er 2004 in der zweiten Liga. Ein Jahr später gelingt der Aufstieg in die Beletage des deutschen Handballs. In den nächsten Jahren verfügt der Club stets über den niedrigsten Etat, findet sich dennoch unentwegt am Saisonende im gesicherten Mittelfeld der Bundesliga. Eine filmreife David-gegen-Goliath-Geschichte. Besonders zu Zeiten, in denen sich der Handball weg von dörflich geprägter Tradition hin zu Multifunktionsarenen mit Entertainment-Anspruch wandelt.
Nicht nur der Klassenerhalt mit geringen Mitteln sorgt für Gesprächsstoff. Auch die Spielweise der Balinger Mannschaft fällt aus dem üblichen Rahmen: Kein anderer Verein verteidigt so aggressiv-offensiv. Zudem setzt Brack regelmäßig einen siebten