ALEXANDER MITSCH
IM DIENSTE DER ÜBERZEUGUNG
Wie wir Deutschland und die CDU/CSU nach Merkel retten
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Redaktion: Caroline Kazianka
Korrektorat: Silvia Kinkel
Umschlaggestaltung: Pamela Machleidt
Umschlagfoto: Uwe Anspach
Satz: Ralph Delong, Roeser MEDIA GmbH
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
eBook: ePubMATIC.com
ISBN Print 978-3-95972-383-1
ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-685-6
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Vorwort von Dr. Hans-Georg Maaßen
Kapitel 1
Herbst 2015 – mein persönlicher Weckruf
Kapitel 2
Meine persönlichen Erfahrungen
Parteifreunde
Reaktionen außerhalb der CDU/CSU
Die Rolle der Medien
Drei Jahre WerteUnion – ein persönliches Zwischenfazit
Kapitel 3
Das System Merkel
Kapitel 4
Deutschland in Gefahr – eine Analyse
Die innere Sicherheit wird vernachlässigt
Die äußere Sicherheit ist gefährdet
Ungelöste Eurokrise und europäische Schuldenunion
Mangelhafte Wirtschaftspolitik
Misslungene Energiewende
Rentensystem vor dem Kollaps
Problem Wohnungsnot
Entwertung der Familie
Sinkendes Bildungsniveau und Fachkräftemangel
Politische Radikalisierung
Kapitel 5
Moralisierung, Medien und Meinungsfreiheit
Kapitel 6
Der Niedergang der CDU/CSU
Kompetenzverlust und Preisgabe des Markenkerns
Ansehensverlust in der inneren und äußeren Sicherheitspolitik
Niedergang in der Zuwanderungspolitik
Wirtschafts- und Sozialpolitik
Mängel in der Europapolitik
Aufgabe einer eigenen Familienpolitik
Veränderung von Positionen in der Bildungspolitik
Anbiederung an die Ideologie der Grünen
Mitgliederentwicklung und Lethargie an der Basis
Schlechte Wahlergebnisse
Kapitel 7
Der konservative Widerstand in der Union
Die Aktion Linkstrend stoppen und der Konservative Aufbruch in Bayern
Initiative CDU-Kurswechsel
Der Freiheitlich-konservative Aufbruch
Die WerteUnion wird geboren
Kapitel 8
Was die Union jetzt tun muss
Das Profil schärfen und den Markenkern stärken
Von der Funktionärspartei zur Mitgliederpartei
Aufbau und Rekrutierung starker Persönlichkeiten
Alternativen für die Zukunft
Kapitel 9
Aktuelle Herausforderungen und Perspektiven
Endnoten
(ehemaliger Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz)
CDU und CSU sind die Parteien, die Deutschland nach 1945 am stärksten geprägt haben. Sie sind die Parteien des deutschen Wirtschaftswunders, der sozialen Marktwirtschaft, der Westbindung, der Wiedervereinigung und der europäischen Integration. Die Unionsparteien haben durch eine kluge Politik über Jahrzehnte maßgebend zur Stabilität und zum inneren Frieden Deutschlands beigetragen und Deutschland zu einem hoch anerkannten internationalen Partner und globalen Mitspieler gemacht. Sie haben wie keine andere Partei seit 1949 Regierungsverantwortung in Bund und Ländern getragen, und sie sind trotz aller Verluste bei Wahlen immer noch die stärkste und die entscheidende politische Kraft in Deutschland.
Das alles sind keine Selbstverständlichkeiten. Es lag nicht nur an herausragenden politischen Persönlichkeiten, die die Union hervorgebracht hat und die Deutschland geführt und gestaltet haben, wie Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Franz-Josef Strauß und Helmut Kohl. Es lag auch daran, dass die Unionsparteien Volksparteien sein wollten, die nicht bestimmte Interessen einer Klientel oder spezieller Milieus und Ideologien vertreten. Dies war das Erfolgsrezept der Unionsparteien, dass sie es verstanden, unterschiedliche Milieus, Geistesrichtungen, Konfessionen und Interessengruppen zu integrieren, und in der Lage waren, deren teilweise gegenläufige politische Vorstellungen zu kanalisieren und als gemeinsame Standpunkte nach außen zu vertreten. Die Union war deshalb niemals rechts oder konservativ, nicht links oder wirtschaftsliberal, auch nicht katholisch oder evangelisch. Sie schaffte es, die Vorstellungen der verschiedenen Milieus und Personengruppen zusammenzuführen. Je besser es ihr gelang, desto erfolgreicher war sie.
Was die Partei einte und von anderen Parteien unterschied, waren gemeinsame Grundwerte, ein realistischer Politikansatz und die Ablehnung jeder Form von Ideologie und politischer Romantik. Grundwerte, die nicht beliebig sind, sondern die im Kern rote Linien für die praktische Politik darstellten, wie beispielsweise das christliche Menschenbild und der Humanismus, die soziale Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit, bürgerliche Freiheiten, Patriotismus, ein starkes Europa, das Streben nach gesunden und natürlichen Lebensverhältnissen und der Schutz von Ehe und Familie.
Diese Punkte waren für mich persönlich ausschlaggebend, als ich 1978 der Jungen Union, 1987 der CDU (nicht der Ost-CDU) und 2019 der WerteUnion beitrat. Ich hatte mich bewusst gegen SPD und Grüne entschieden, die aus meiner damaligen und umso mehr heutigen Sicht ideologische und teilweise weltfremde politische Positionen vertreten. Menschen, die bestimmte politische oder religiöse Ziele als die einzig richtigen ansehen, die Politik als emotionales oder ideologisches Geschäft betreiben, anderen Menschen das Recht absprechen, auch Recht haben zu können und so zu leben, wie sie es für richtig halten, sind gefährlich. Ideologen sind schädlich für eine Demokratie, denn sie zerstören mit ihrem Eiferertum und ihrem Hass gegen politisch Andersdenkende die Demokratie, die davon lebt, dass man den politisch Andersdenkenden nicht als Feind behandelt, sondern ihm die Möglichkeit gibt, sich in einem fairen demokratischen Wettbewerb durchzusetzen.
Ich habe mich in dieser Einstellung bis heute nicht verändert. Anders als die Unionsparteien und die Politik dieser Parteien.
In den letzten zehn Jahren haben sich die Unionsparteien, vor allem aber die CDU, in einer Weise entwickelt, dass man sie nicht mehr wiedererkennen kann. Die klassischen Grundwerte der CDU wurden mehr oder weniger stillschweigend aufgegeben. Mehr noch: Worte wie Freiheit, Marktwirtschaft, Familie und Rechtsstaatlichkeit blieben zwar, aber sie wurden mit neuen Inhalten gefüllt, teilweise mit dem genauen Gegenteil der bisherigen Werte. Politische Persönlichkeiten, die die klassischen Grundwerte der Union vertraten, rückten in den Hintergrund und wurden marginalisiert. Dagegen wurden klassische linke Forderungen übernommen und als modern sowie als Positionen der politischen Mitte hingestellt. Dabei bedeutet links nicht Fortschritt, sondern das Gegenteil: Entmündigung des Menschen und Gängelung der Wirtschaft. SPD und teilweise auch die Grünen mussten zur Kenntnis nehmen, dass die CDU sie programmatisch enteignete. Sie suchten ihr politisches Heil darin, die CDU noch weiter links zu überholen. Damit wurde das politische Koordinatensystem nach links verschoben, was bei der Union zum Verlust Zehntausender Parteimitglieder sowie zu erheblichen Einbußen bei Wahlen führte und ursächlich war für den Erfolg der AfD. Die Union hatte damit das Erbe Konrad Adenauers und Helmut Kohls aufgegeben.
Die Übernahme von Positionen der Grünen und Linken, die Aufgabe klassischer eigener Überzeugungen der CDU, die Ausgrenzung von politischen Persönlichkeiten, die klassische CDU-Standpunkte vertreten, mündeten in eine grundlegende Veränderung der innerparteilichen, aber auch der öffentlichen Diskussionskultur. Parteimitglieder, die die Übernahme linker Positionen für falsch halten, werden innerparteilich ausgegrenzt und bekämpft. Sie werden sogar als Krebsgeschwür bezeichnet, das vernichtet werden muss. Ein derartiger innerparteilicher Umgang ist totalitär und einer demokratischen Partei unwürdig. Die heutige CDU ist keine Partei der politischen Mitte, sondern eine linke Partei.
Nicht nur die Unionsparteien haben sich in den letzten zehn Jahren verändert, sondern durch sie ist auch unser Land verändert worden. Es ist linker, um nicht zu sagen sozialistischer geworden: mit mehr Staat, mehr Bürokratie, mehr Bevormundung, einem Mehr an Ausgrenzung, einem engeren Meinungskorridor und weniger Rechten des Einzelnen. Meinungsumfragen zufolge sind über 70 Prozent der Bürger der Auffassung, dass man sich nicht mehr so frei äußern kann wie früher, ohne Gefahr zu laufen, in die rechte Ecke gestellt zu werden. Die Presse ist frei, aber sie berichtet zunehmend gleichförmig. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist nicht nur wegen seiner Kosten, sondern auch wegen der politischen Ausrichtung seiner Berichterstattung umstritten wie nie zuvor. Rechtsstaatlichkeit und freiheitliche Demokratie werden von namhaften Rechtsprofessoren als gefährdet angesehen. Personen, die sich kritisch äußern, werden isoliert, diskreditiert, lächerlich gemacht, ausgegrenzt und damit politisch neutralisiert. Eine zutiefst undemokratische Umgangsform.
Hinzu kommt, dass die wirtschaftlichen, außenpolitischen und migrationspolitischen Probleme, denen Deutschland heute gegenübersteht, gewaltig sind. Bereits vor der Corona-Krise sah es für die deutsche Wirtschaft nicht rosig aus, weil die bestehenden starken deutschen Wirtschaftszweige vernachlässigt oder auf Grund der Klimapolitik belastet werden. Zukunftsträchtige Wirtschaftszweige sind dagegen in Deutschland zu wenig entwickelt worden. Manche Schwierigkeiten wurden durch die schleichende Abhängigkeit vom chinesischen Markt verschleiert. Auch die Corona-Krise verdeckt, dass einige unserer aktuellen Probleme nicht erst durch die Pandemie, sondern viel früher aufgrund von politischen Fehlentscheidungen entstanden sind. Die Migrationspolitik der letzten fünf Jahre war eine Fehlleistung, die langfristige negative Folgen für unser Land hat. Außenpolitisch hat sich Deutschland zunehmend isoliert. Wir sind unseren Freunden, Alliierten und Partnern fremd geworden.
Diese Probleme können nur gelöst werden, wenn wir bereit sind, sie auch als Probleme und nicht als linken »Fortschritt« zu sehen, und wenn wir bereit sind, ihre wirklichen Ursachen zu erkennen und darüber zu sprechen. Wer die Schwierigkeiten nicht als solche wahrnimmt und ihre Ursachen verkennt, und wer sich weigert, darüber zu reden, wird selbst Teil des Problems. Weil die Union in Deutschland die maßgebende politische Kraft ist, können wir diese Herausforderungen nur bewältigen, wenn sich CDU und CSU diesen Problemen unvoreingenommen und ohne ideologische Scheuklappen stellen und auch willens sind, sie zu lösen.
Die WerteUnion ist kein romantischer Traditionalistenverein, der das Rad der Geschichte zurückdrehen und in eine angeblich gute alte Zeit zurück will. Anders als die in Deutschland politisch dominierenden Linken, die sich an eine historisch überlebte und widerlegte romantische Ideologie aus der Frühzeit der Industrialisierung klammern, steht die WerteUnion für die Prinzipien des fortschrittlichen, liberalen, demokratischen Rechtsstaats. Prinzipien, die CDU/CSU und Deutschland stark gemacht haben. Wenn die WerteUnion konservativ ist, dann nur deshalb, weil sie der Überzeugung ist, dass einmal für richtig erkannte politische Prinzipien nicht beliebig sind und nicht aus Opportunität in ihr Gegenteil verkehrt werden dürfen. Die WerteUnion ist der Auffassung, dass unter den derzeitigen Umständen eine Veränderung der Politik in Deutschland nur dadurch erfolgen kann, dass die Union wieder zu ihren politischen Grundwerten zurückfindet. Sie will, dass die bestehenden Probleme und Herausforderungen auf der Basis der Grundwerte von CDU und CSU und nicht auf der Basis von Beliebigkeit und linker weltfremder Heilsgewissheit gelöst werden. Nur ideologiefrei und mit einem festen Wertegefüge sind wir in der Lage, die Probleme zu lösen.
Dr. Hans-Georg Maaßen, im Juni 2020
Eine Nacht im Oktober 2015. Es war schon wieder nach 1 Uhr. Obwohl ich von den kurzen Nächten der letzten Tage müde war, fand ich nicht in den Schlaf. Die Bilder gingen mir nicht aus dem Kopf: scheinbar endlose Schlangen von Menschen, die ungesteuert und weitgehend unkontrolliert die deutsche Grenze überquerten. Über 10 000 täglich. Zum Jahresende würde es eine Million sein – eine Stadt wie Köln. Meist junge arabisch-muslimische Männer, über deren Herkunft und Motive häufig nichts bekannt war. Wie viele würden noch kommen? Was machte das langfristig mit Deutschland? Wollten und konnten sich die Einwanderer an unsere europäisch-christlich geprägte Gesellschaft anpassen oder würden sie unser Land entsprechend ihrer eigenen Kultur verändern? Würden sich die schon bestehenden Probleme mit der Integration von Einwanderern und Parallelgesellschaften vertiefen? Konnten die negativen Entwicklungen zukünftig überhaupt noch zurückgedreht werden, wenn wir den Zustrom weiter zuließen, oder stellten wir nicht damit schon unwiderruflich die Weichen für eine andere Gesellschaft? Woher sollte das Geld kommen, um all die Menschen zu versorgen? Ich rechnete: Selbst wenn die Kosten für den Staat monatlich nur bei 1000 Euro pro Person lagen, waren es schon 12 Milliarden Euro jährlich. Wo sollten all die Menschen wohnen?
Die Gedanken bedrückten mich, gerade auch als Vater zweier kleiner Kinder, darunter eine Tochter, um deren Zukunft ich mir Gedanken mache. Ich möchte, dass sie später einmal in einem Rechtsstaat leben, der von individueller Freiheit und dem Schutz vor staatlicher Willkür geprägt ist und nicht vom Absolutheitsanspruch einer Religion, der Scharia oder eines Regimes. Ich möchte nicht, dass sich in Deutschland langfristig mehrheitlich eine Kultur durchsetzt, die Frauen ihre mühsam erkämpften Freiheiten nimmt, sie zum Tragen von Burkas oder vielleicht sogar schon als Kinder in fremdbestimmte Ehen zwingt. Der politische und gesellschaftliche Niedergang früher prosperierender Staaten wie Persien und dem Libanon hat mir immer wieder die Gefahren verdeutlicht, die von totalitären Ideologien und muslimischen Hasspredigern ausgehen. Aber jeder Tag mit weiterer großer unkontrollierter Zuwanderung aus arabischen und muslimischen Kulturkreisen würde es schwerer machen, die Menschen in unsere Gesellschaft zu integrieren und damit unsere, durch die im Grundgesetz definierten Freiheitsrechte geschützte, Lebensweise zu erhalten.
Ich musste über meine Sorgen reden. Aber mit wem? Die öffentlich-rechtlichen Medien waren voller Lob über die unkontrollierte Masseneinwanderung und kritische Stimmen wurden mindestens als »herzlos«, oft aber als »ausländerfeindlich« dargestellt. Ich bin weder das eine noch das andere, im Gegenteil, ich bin befreundet mit Menschen mit ausländischen Wurzeln, kenne viele, die bewundernswert gut integriert sind, und das Leid der Menschen im Bürgerkriegsland Syrien geht mir nah und bringt mich immer wieder zum Grübeln. Ich halte eine geordnete Einwanderung von Menschen, die sich in unsere Gesellschaft integrieren wollen und können, für sinnvoll. Aber der ungesteuerte Zustrom so vieler Menschen mit einem komplett anderen kulturellen Hintergrund birgt meiner Meinung nach großes Konfliktpotenzial. Einige meiner Bekannten teilten meine Sorgen. Auch sie sind weltoffen und keinesfalls politisch radikal, aber beunruhigt über die möglichen Folgen des wahrgenommenen staatlichen Kontrollverlusts. Kaum jemand traute sich aber, offen seine Bedenken zu äußern. Selbst in kleinem Kreis tastete man sich nur sehr vorsichtig an das Thema heran. Der Druck des Merkel-Mantras »Wir schaffen das« und die Angst, stigmatisiert zu werden, waren zu groß. Selbst in meiner Partei, der CDU, waren nur wenige bereit, sich kritisch zu äußern, schon gar nicht öffentlich. Ich hatte erstmals das Gefühl, dass man in Deutschland nicht mehr offen sagen darf, was man denkt, ohne mit negativen Konsequenzen rechnen zu müssen. Ich merkte, dass das Vertrauen der Menschen in die Regierung, die staatlichen Institutionen, die Berichterstattung – besonders der öffentlich-rechtlichen Medien –, aber auch in die Existenz der Meinungsfreiheit schwand. Auch das machte mir Sorgen.
Ich wurde bei meiner Suche nach Gleichgesinnten auf Facebook fündig. Der eine oder andere Post ließ erkennen, dass ich nicht allein war. Die wenigen kritischen Medienberichte, meist kleinerer Publikationen, über die Probleme der Einwanderungswelle wurden geteilt und kommentiert. Ich las von Ausschreitungen durch Einwanderer in Zügen und Asylunterkünften, aber auch Übergriffen gegen Sicherheitsdienste und Anwohner. In einer nicht öffentlichen Facebookgruppe »So kann es nicht weitergehen« sammelte ich dann Gleichgesinnte. Über die nächsten Wochen wurden es Hunderte, darunter auch Mitglieder der CDU/CSU. Ich musste aber auch feststellen, dass Scharfmacher versuchten, die Situation zu missbrauchen und – oft unter Tarnnamen – im Internet Falschnachrichten verbreiteten sowie pauschal über Menschen aus anderen Kulturkreisen schimpften. Ich erlebte Anfeindungen, weil ich Posts in Facebook mit Hetze gegen Ausländer nicht akzeptierte.
Ich konnte nicht verstehen, dass die Mandats- und Funktionsträger der CDU/CSU die eigenmächtige Entscheidung der Kanzlerin, die Zuwanderung nicht einzudämmen, durchgehen ließen. Immerhin hatte ich in den 30 Jahren meiner Mitgliedschaft die CDU/CSU immer als Partei von Sicherheit und Rechtsstaat gesehen und geschätzt. Es dauerte etwas, bis ich erkannte, dass Frau Merkel die Partei grundlegend verändert hatte. Hatte ich ihre teilweise eigenmächtigen Entscheidungen wie den überhasteten Ausstieg aus der Kernenergie, die riskanten Hilfsmaßnahmen für Griechenland und die Aussetzung der Wehrpflicht zwar mit Unverständnis, aber doch relativ untätig zur Kenntnis genommen, so schwante mir, dass es diesmal um eine grundlegende Veränderung unserer Gesellschaft ging. Ich spürte, dass sich die Gewichte in unserer Demokratie stark verschoben hatten und die einzelnen Bundestagsabgeordneten nicht in der Lage waren, der Macht der Parteizentrale und des Kanzleramts ernsthaft etwas entgegenzusetzen.
Auch wenn ich nach meinem sehr starken politischen Engagement während meiner Jugend fast 15 Jahre nicht mehr politisch aktiv gewesen war, kannte ich doch noch einige Mitglieder gut. Verschiedentlich trauten sie sich, mir gegenüber ihre Kritik an der unkontrollierten Masseneinwanderung zu äußern. Ich fasste daher den Entschluss, nicht nur im Netz tätig zu werden, sondern auch öffentlich, in der Partei. Spontan entschloss ich mich, auf dem anstehenden Kreisparteitag der CDU nach langer politischer Abstinenz für den Kreisvorstand zu kandidieren, ohne die üblichen und notwendigen Absprachen. In meiner einminütigen Vorstellungsrede vor circa 200 Honoratioren thematisierte ich meine Sorge vor den Folgen der Migrationskrise für unsere Gesellschaft, soweit dies in der knapp vorgegebenen Zeit möglich war. Und tatsächlich, anscheinend gab es Gleichgesinnte: Ich wurde als einer von 15 Beisitzern gewählt, zwar als letzter, aber immerhin.
Für eine Wahl als einer der wenigen Delegierten zum Bundesparteitag reichte meine Bekanntheit dann aber bei Weitem nicht. Üblicherweise wählt die Basis in dieses Gremium hauptsächlich Europa-, Bundes- und Landtagsabgeordnete, Kreisgeschäftsführer und Bürgermeister, also Menschen, die hauptberuflich politisch tätig sind und dies auch bleiben wollen. Dementsprechend zusammengesetzt entscheidet der Bundesparteitag auch fast immer das, was die Parteiführung vorgibt. So kam es dann zu dem denkwürdigen CDU-Bundesparteitag in Karlsruhe im Dezember 2015, bei dem die Delegierten nach der Rede der Kanzlerin und Bundesvorsitzenden Angela Merkel neun Minuten stehend applaudierten. Der Widerstand ihrer wenigen (offenen) Kritiker bestand bestenfalls darin, rechtzeitig den Saal zu verlassen, um ungestraft nicht mitklatschen zu müssen. Ich war schockiert und schämte mich für diese mangelnde Diskursfähigkeit meiner Partei.
Mir wurde klar, dass die Union sich in den Jahren zuvor massiv verändert und von mir entfernt hatte. Ich spürte daher Zweifel aufkommen, ob ich mich als lange Zeit sehr überzeugter und engagierter Christdemokrat in dieser Partei noch vertreten fühlte.
Just zu dieser Zeit erhielt ich meine Urkunde für 30 Jahre Mitgliedschaft in der CDU. Ich schwankte: Sollte ich sie zurückgeben, meinen Austritt erklären, schriftlich begründen und mich wieder stärker meiner Familie, der Karriere, den Freunden und den Hobbys widmen? Doch ich wusste, dass ich damit vor mir selbst nicht bestehen würde, denn meine Gedanken über die bedrohte Zukunft unserer Gesellschaft würden mich ja immer wieder einholen. Ich würde mich untätig, hilflos, ja schuldig fühlen. Was sollte ich meinen Kindern antworten, wenn sie mich in 20 Jahren fragten: »Du wusstest doch, welche Gefahren drohen, warum hast du nichts getan?«
Der Gedanke, dass ich länger Mitglied der CDU war als die Parteivorsitzende, weckte schließlich meinen Kampfeswillen. Die Ausschreitungen von Migranten in der Silvesternacht 2015 auf 2016 in Köln und anderen Städten, auch der Eindruck, manche Behörden und Medien versuchten, sie »unter der Decke zu halten«1, gaben letztlich den Ausschlag: Ich beschloss, um die Zukunft meiner Kinder, um Deutschland zu kämpfen.
Bereits 2014 hatte ich die Bekanntschaft von einigen führenden Mitgliedern der damaligen Professorenpartei AfD gemacht. Mir gefiel, dass diese junge Partei von liberaler Überzeugung getrieben war, aber von klugen Köpfen gesteuert wurde. Ich fand es zudem mutig, sich offen gegen die Risiken der Griechenlandpakete auszusprechen, obwohl sie sich damit gegen den politischen Mainstream stellten. Ich fand viele Inhalte aus dem Grundsatzprogramm der CDU und ursprünglich christdemokratische Überzeugungen in der damaligen Programmatik der AfD wieder, während es mir schien, als habe die CDU sich zumindest in Teilen davon verabschiedet.
Ende 2015 habe ich mich dann für den Aufbau einer lokalen überparteilichen Bürgerinitiative engagiert, die sich – aus Sorge vor sozialer Ächtung meist hinter verschlossenen Türen – für eine Wende in der Einwanderungspolitik einsetzte. Im Rahmen einer Veranstaltungsreihe der Bürgerinitiative mit Politikern verschiedener Parteien traf ich 2016 auch den Vorsitzenden der AfD, Jörg Meuthen. Seine dort geäußerte Kritik an der Einwanderungspolitik war sachlich formuliert und ähnelte meiner in einigen Punkten. Er grenzte sich damals klar von extremistischen Strömungen ab und hinterließ auch menschlich einen guten Eindruck. Dass er die spätere Radikalisierung der AfD tolerieren würde, war auf der Veranstaltung nicht zu erkennen.
Mitte 2016 stellte ich fest, dass mit einer lokalen Initiative allein keine Wende zu erreichen war. Es musste bundesweit Druck her, um politisch etwas zu bewegen. Vernetzungsversuche mit anderen Organisationen über die Plattform »Einprozent« beendete ich jedoch schnell, nachdem ich herausfand, dass deren Ideen zu radikal waren. Ich suchte also wieder vermehrt auf Facebook und stieß auf einen Altstipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung, der unter dem Namen »Konrads Erben« in Posts fundiert auf die Probleme der aktuellen Einwanderungspolitik hinwies. Da ich auch Altstipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung bin, kam es schnell zu einem Telefonat und zur Idee, die Aktivitäten gemeinsam mit zwei weiteren engagierten Altstipendiaten auszubauen.
Ich erstellte eine Facebookseite und eine Facebookgruppe für »Konrads Erben«, über die wir weitere Mitstreiter gewannen. Wir entwarfen gemeinsam das »Rhöndorfer Manifest« und fanden schnell ein Dutzend Altstipendiaten, die ebenfalls bereit waren, es namentlich zu unterzeichnen. In dem Manifest kritisierten wir die Politik der Kanzlerin, besonders die Einwanderungspolitik, sachlich, aber inhaltlich scharf. Es gelang uns, das Manifest nicht nur über Facebook, sondern auch über einzelne Medien zu verbreiten. Ein Vertreter von Konrads Erben konnte sogar in einer Talkshow auftreten, was uns weitere Aufmerksamkeit brachte. Ich war durch unseren Erfolg motiviert und davon überzeugt, dass sich mein Engagement für meine Überzeugung lohnte. Daher dachte ich darüber nach, wie ich mich noch stärker und effektiver einbringen konnte. In diesem Zusammenhang erwog ich auch einen Beitritt zur AfD, die meines Erachtens damals die einzige ernst zu nehmende Partei war, die sich konsequent für eine Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung einsetzte.
Konrads Erben knüpften zwischenzeitlich Kontakte zu Bundestagsabgeordneten des Berliner Kreises, einer kleinen Gruppe konservativer Bundestagsabgeordneter der CDU/CSU. Auf Vermittlung von CDU-Honoratioren traf ich in Berlin Journalisten zu Hintergrundgesprächen. Es folgten erste Erwähnungen in politischen Magazinen und ein erster Beitrag im ZDF. Die Medien nahmen wahr, dass wir nur die Spitze des Eisbergs waren, denn in sogenannten nicht öffentlichen Hintergrundgesprächen hörten sie von Kabinettsmitgliedern und Abgeordneten von deren Unzufriedenheit. Öffentlich aussprechen mochte es aus Sorge um die eigene Karriere im System Merkel jedoch niemand mit Renommee. Konrads Erben taten es.
Nach und nach meldeten sich einzelne Vertreter lokaler »konservativer Kreise« in der CDU bei Konrads Erben, aus Sachsen, Nordrhein-Westfalen und Vorpommern. In Bayern gab es bereits seit einigen Jahren die Gruppierung Konservativer Aufbruch der CSU, die sich nun über den Weißwurstäquator hinaus engagierte. Ein deutschlandweites Netzwerk entstand. Überall das gleiche Bild: Unverständnis, ja Wut über die Politik der Kanzlerin.
Aber was tun? Wollten wir es bei den bisherigen, lokalen und leider wenig effektiven Aktivitäten belassen oder deutschlandweit eine innerparteiliche Opposition bilden, die der Machtmaschinerie des Konrad-Adenauer-Hauses und des Kanzleramts etwas entgegensetzen konnte? Wir entschieden uns für Letzteres, denn wir wollten nicht länger zusehen, wie die Partei, in der viele seit Jahrzehnten Mitglied waren, immer weiter zur Unkenntlichkeit demontiert wurde. Wir wollten uns nicht länger dafür rechtfertigen müssen, dass wir nicht unsere Stimme erhoben gegen eine Politik der Beliebigkeit, die hauptsächlich auf Machterhalt ausgerichtet war und Deutschland schadete. Bei einem Treffen in Oberursel Anfang 2017 lernte ich ein knappes Dutzend gleichgesinnter Unionsmitglieder aus unterschiedlichen Regionen Deutschlands persönlich kennen. Wir erörterten die Gründung des »Freiheitlich-konservativen Aufbruchs« als Dachorganisation aller konservativen Initiativen innerhalb der Union.
Damit galt es nun für mich eine Entscheidung zu treffen: Sollte ich mein Engagement in der CDU fortsetzen und mich am Aufbau der Dachorganisation beteiligen oder mich nicht besser gleich in der AfD einbringen, die ich zeitweise durchaus als Alternative sah? Eine Weile war ich ja zwischen den Stühlen gesessen, abwägend, wo meine Überzeugung am ehesten eine Heimat finden und ich effektiv etwas bewegen konnte. Die Entscheidung wurde mir dann aber innerhalb weniger Wochen leichtgemacht. Am 17. Januar 2017 hielt Björn Höcke, Landesvorsitzender der AfD in Thüringen, seine berüchtigte Rede in Dresden. Ein Beispiel für seine zahlreichen inakzeptablen Entgleisungen war seine Aussage vom »Import fremder Völkerschaften«2, als ob die Zuwanderung gesteuert sei von Mächten, die Deutschland schaden wollten. Aber nicht nur der Inhalt der Rede schockierte mich. Auch die begeisterten, undifferenzierten Reaktionen seiner Anhänger auf die gezielten Tabubrüche und seine Sprache stießen mich ab. Mir wurde klar, dass sich die AfD seit ihren Anfängen als kritische, aber liberale Partei deutlich verändert, ja radikalisiert hatte. Eine Partei, in der Spitzenfunktionäre solche Inhalte wie Höcke vertreten konnten, ohne Konsequenzen ziehen zu müssen, und dafür sogar bejubelt wurden, konnte nicht meine politische Heimat sein. Ich bedauerte, dass ich diese Entwicklung der Partei nicht früher erkannt hatte.
Wenige Tage nach der Rede Höckes traf ich bei einer Veranstaltung meiner Bürgerinitiative den CSU-Stadtrat Dr. Thomas Jahn, der eine führende Rolle beim Konservativen Aufbruch der CSU hatte. Er bestätigte mich in meiner Hoffnung, dass es in der CDU/CSU genügend Potenzial für einen Politikwechsel gab, und so beschloss ich, mich zukünftig für einen Zusammenschluss der konservativen und wirtschaftsliberalen Kräfte innerhalb der Union zu engagieren, auch um damit eine klare Trennlinie zur AfD zu ziehen.
Ich erklärte mich bereit, die Organisation der Gründungsveranstaltung zu übernehmen. Da der ursprünglich angedachte Raum in Wiesbaden am geplanten Termin doch nicht zur Verfügung stand, organisierte ich auf die Schnelle etwas in meinem Nachbarort Schwetzingen. Als unser Vorhaben bekannt wurde, regten sich die Medien und fragten sich zu mir als Organisator durch. Erst vereinzelt, dann zog jede Berichterstattung viele weitere nach sich. Eigentlich hatte ich vor, mich »nur« als Schatzmeister zu engagieren, doch durch die Medienberichterstattung wurde ich zum Gesicht der neuen Bewegung. Ich nahm die Verantwortung an und war schließlich einverstanden, den Vorsitz zu übernehmen.
Einige Tage vor der Gründungsversammlung war ich am Ende meiner zeitlichen Kapazitäten vor und nach der Arbeit bzw. am Wochenende. Ich nahm daher drei Tage Urlaub und führte im Viertelstundentakt Telefonate und Telefoninterviews. Immer mehr Unionsmitglieder aus vielen Teilen Deutschlands meldeten sich und wollten mitmachen. Ich spürte, dass wir einen Nerv getroffen hatten und viele Menschen, gerade auch in der CDU/CSU, eine Veränderung geradezu herbeisehnten.
Für den 25. März 2017 in Schwetzingen hatten sich schließlich über 70 Vertreter konservativer Gruppen angemeldet. Die Teilnehmer aus Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern Dresden und Oberbayern nahmen Anreisezeiten von vielen Stunden in Kauf, um für ihre Überzeugung einzustehen. Der Widerstand in der CDU/CSU gegen die profillose und nicht gestaltende Politik der Parteivorsitzenden und Kanzlerin formierte sich – argwöhnisch beäugt, ja teilweise sogar beschimpft von den Parteisoldaten und hauptamtlichen Funktionären, die ihre Macht zu Recht bedroht sahen. Wir waren zwar ein vergleichsweise kleiner Haufen ohne große Namen und ohne finanzielle Mittel, aber wir trugen in uns die Überzeugung, dass wir etwas ändern mussten. Und wir ahnten, dass die Zeit für unsere Idee gekommen und die Politikwende längst überfällig war. Wir wussten, dass es nicht um einen Kurzstreckenlauf ging, sondern um einen harten Marathon, bei dem es viele Hindernisse und Widerstände geben und die Versuchung zum Aufgeben groß sein würde. Aber wir waren entschlossen, Deutschland zu retten. Dass wir zur am schnellsten wachsenden Gruppierung innerhalb der CDU/CSU werden und tatsächlich einiges verändern würden, das konnten wir zu diesem Zeitpunkt nur hoffen.
Als ich im Herbst 2015 beschloss, mich nach jahrelanger Pause wieder mehr politisch zu engagieren, hatte ich keine Ahnung, wie stark dies mein Leben verändern würde. Ich habe seitdem neben meinem Beruf und der Familie in fünf Jahren Tausende Stunden für diese Überzeugung investiert und damit zwangsläufig insbesondere meine Freunde und meine Freizeitaktivitäten vernachlässigt. Dafür habe ich, besonders als Vorsitzender der WerteUnion, sehr spannende, manchmal erfreuliche, aber auch oft desillusionierende Erfahrungen gemacht, wie ich sie selbst in den sehr aktiven meiner insgesamt 35 Jahre in der CDU zuvor nicht erlebt hatte.
In einer Partei wie der CDU herrscht sozialer Druck. Es geht hauptsächlich um Macht. Es gibt klare Hierarchien und Machtkämpfe, die häufig hinter den Kulissen und mit fragwürdigen Methoden geführt werden. Es gibt da nur die Wahl, entweder angepasst mitzuschwimmen, dabei wenig zu bewegen und zu hoffen, dass man sich langsam hochdient, oder für seine Überzeugung offen einzutreten. Wer sich aber nicht anpasst, wird sehr schnell geächtet, ja ausgegrenzt. Spätestens mit der Übernahme des Vorsitzes des »Freiheitlich-konservativen Aufbruchs in der CDU/CSU«, wie die WerteUnion bei Gründung hieß, war ich für einen Teil der Mitglieder, besonders aber für die meisten Funktionäre der CDU/CSU, eine Persona non grata. Man nahm mir – und dem ganzen Verein – übel, dass wir es wagten, die Politik der Parteivorsitzenden und Bundeskanzlerin zu kritisieren. Dabei hielten wir uns zugegebenermaßen bewusst nicht an die Parteistrukturen, die diese Kritik sonst so einfach kontrollierbar und letztlich wirkungslos gemacht hätten. Der reguläre Weg wäre gewesen, im Ortsverband einen Antrag für den Kreisverband zu stellen, wo er dann im besten Fall an den Bezirksverband weitergegeben wird, von dort an den Landesverband und von dort an den Bundesverband. Abgesehen davon, dass dieses Prozedere schnell mal ein Jahr dauern kann, wäre ein entsprechender Antrag auf den unterschiedlichen Ebenen entweder in einen Arbeitskreis verwiesen, vertagt, bis zur Unkenntlichkeit verwässert oder einfach komplett abgelehnt worden. Und selbst wenn der Bundesparteitag als höchstes Gremium dann nach langer Zeit einen entsprechenden Beschluss fassen sollte, wäre es noch sehr unwahrscheinlich, dass eine entsprechende Umsetzung erfolgt, da weder Abgeordnete und schon gar nicht die Regierung an entsprechende Beschlüsse gebunden sind.
Viele von uns – und auch ich – hatten genau diese frustrierenden Erfahrungen gemacht. Wenn wir zeitnah etwas bewegen wollten, hatten wir also gar keine andere Chance, als mit unserem Anliegen den direkten Weg an den Parteiebenen und -strukturen vorbei zu nehmen und dabei auch die Medien einzubinden. Allerdings hatte die zeitweise hohe Medienpräsenz gerade parteiintern oft scharfe Kritik zur Folge. Dabei spielte Neid eine wesentliche Rolle, denn so mancher Abgeordnete oder zum Beispiel stellvertretende Landesvorsitzende hätte viel dafür gegeben, einmal sein Gesicht in den Tagesthemen zeigen zu dürfen. So ist gut nachzuvollziehen, dass mir gerade solche Leute vorwarfen, nur aus Gründen der Selbstdarstellung zu handeln, obwohl eine hohe Medienpräsenz oft alles andere als angenehm ist.
Die Mitglieder der WerteUnion wurden von den meisten, die sich über Jahre in der Partei hochgedient hatten, als diejenigen angesehen, die ihre persönliche Macht gefährdeten. Und da hört die Parteifreundschaft dann schnell auf. Die meisten inhaltlichen Positionen wurden deshalb ebenso ignoriert wie die Versuche, mit der Parteiführung ins Gespräch zu kommen. Bei Parteiveranstaltungen machten viele Teilnehmer im wahrsten Sinne des Wortes einen Bogen um die sogenannten Sektierer. Die Ausgrenzung ging manchmal sogar so weit, dass Parteimitglieder sich nicht einmal trauten, sich öffentlich mit Mitgliedern der WerteUnion zu unterhalten, weil sie vermeiden wollten, dass die Partei ihnen diesen Kontakt negativ anrechnete. Auf dem Bundesparteitag z. B. vermeidet es mancher Bundestagsabgeordnete extra, am Infostand der WerteUnion vorbei zu laufen, in der Sorge, von anderen in dessen Nähe gesehen zu werden.
Verschiedentlich intervenierten sogar Parteifunktionäre, um Veranstaltungen zu be- oder gar verhindern, bei denen etwa der langjährige Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen oder ich auftreten sollten. Im Juli 2020 lud z. B. ein CDU-Kreisverband in Südbaden nach Bekanntwerden einer durch die WerteUnion geplanten Veranstaltung mit Maaßen und mir zu einer eigenen Sitzung zur gleichen Zeit und in unmittelbarer Nähe ein, sehr wahrscheinlich, um potenzielle Besucher durch das Konkurrenzangebot von der Veranstaltung der WerteUnion abzusaugen und gleichzeitig die Aufmerksamkeit der regionalen Presse auf die Veranstaltung der CDU und damit weg von der WerteUnion zu ziehen. Mehrfach wurden unsere Angebote, die unterschiedlichen Positionen einmal parteiöffentlich zu diskutieren, von unseren innerparteilichen Gegnern abgelehnt.
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