Wie uns Gottgesandte,
Waffennarren und
Warmduscher aus
der Klemme halfen
FÜR DAS DRITTE IM BUNDE.
UND DAS VIERTE.
Vorwort
Jesus liebt Radfahrer
Die Schneekönigin
Unter Warmduschern
Salzigsüß
Die Hoach Family
„La Incansable“
Hangry
Desaster
Perspektivwechsel
Sprit
Altenpflege
Ferne
Per Anhalter
Lagunenroute
Falscher Alarm
12 Gurken und ein Schokoeis
Natur heilt
Usbekische Hochzeiten
Krisengeplagt
Dean
Karimas Welt
Anhang
Zur Routenplanung, Vorbereitung und Finanzierung der Reise
Ausrüstung – das brauchten wir unbedingt
Gewicht sparen – das blieb zu Hause
Das ging kaputt
Sicherheit
Wie hält man auf die Dauer durch?
Literatur und Links zur Reiseplanung
App-geführt
(Un)geplante Mutproben – Abenteuer, auf die wir hätten verzichten können
Endlich Zeit zum Lesen! Auswahl unserer Zeltlektüre
Bewusster reisen – was wir heute anders machen würden
SKARDUTAL, PAKISTAN
Eine steile Straße windet sich entlang des Indus
Feierabend! – Sie, ja Sie, kommen von der Arbeit nach Hause. Hinein in die Jogginghose, schnell den Tisch decken. Endlich Ruhe. Nichtstun. Endlich frei.
Plötzlich surrt die Haustürklingel. Wer ist denn das jetzt noch? Sie öffnen – und zwei verschwitzte Radfahrer stehen vor Ihnen. Die beiden sprechen alles, nur kein Deutsch und zeigen auf Ihr Grundstück, mit Hundeblick. Ihnen dämmert, was die Fremden wollen: ein Zelt auf Ihrem Rasen aufstellen, eine Nacht in Ihrem Garten kampieren. Was machen Sie? Vertrauen Sie den Unbekannten?
Und noch eine Situation: Sie rumpeln im Jeep über die Hochebene Boliviens. Um Sie herum nur Sand, bunte und dennoch tote Berge. Sie fragen sich, ob der Fahrer sein Handwerk wirklich beherrscht, ob der Wagen hält? Ob Sie hier oben schneller erfrieren oder verdursten? Plötzlich sehen Sie eine Frau und einen Mann vollbeladene Räder durch den Sand schieben. Inmitten der Hochwüste. Mitten im Nichts. Wie reagieren Sie?
Daniel und ich könnten diese Radverrückten sein. Zwei Jahre lang setzen wir uns fünf Kontinenten aus: Europa, Asien, Nord- und Südamerika, und zum Schluss in Marokko ein Stück von Afrika. Packen 32.000 Kilometer im Sattel. Nichts schirmt uns von den Bewohnern ab, keine Fahrzeugkarosse und kein üppiges Reisebudget, das Hotels erlaubt und damit Privatsphäre erkauft. 769 Tage sind wir angewiesen auf die Hilfe der Einheimischen, auf ihr Wohlwollen, ihren goodwill. In „Schurkenstaaten“, in touristischen Gebieten, in der Ödnis, im Stadtgewimmel. Doch auch die andere Seite muss sich offenbaren. Locals wie Touristen müssen entscheiden, in Sekundenschnelle: Ob sie uns helfen oder fortjagen. Ob sie vertrauen oder misstrauen. Ob sie sich einlassen oder nicht.
Da sind Jeanne und Dave aus Kalifornien, an deren Haustür wir nach Feierabend klopfen. Die uns herzlich hineinwinken, Caipirinhas mixen, Snacks drapieren. Als seien wir geladene Gäste, als seien wir lang ersehnt. Die ihr Bad vorheizen und hotelweiße Handtücher bereitlegen, um uns mit dem Luxus einer heißen Dusche zu beseelen.
Da ist Dahae, ein Schweizer Tourist, der im Jeep die Hochebene Boliviens erkundet. Uns leiden sieht und den Fahrer zum Anhalten auffordert. Aussteigt, uns ausfragt, die Hand schüttelt, uns drückt. Und einen 100-Dollar-Schein schenkt – für ein feines Essen zurück in der Zivilisation.
Da ist ein Bauarbeiter in Chile, der mich spontan den Berg hochschiebt. Ein Eislieferant in Iran, der Vanille und Schoko spendiert. Ja, da sind auch Giftzwerge, die selbst mit Leitungswasser geizen. Die nichts loslassen wollen, können.
In diesem Buch zählen wir weder Schweißtropfen noch Schlangenbisse, weder Stürze noch Magen-Darm-Infektionen. Natürlich schildern wir Strapazen – doch nur um von Engeln und Herzlosen zu erzählen. Um zu berichten, wie uns Unbekannte in haarsträubenden Situationen aus der Klemme helfen, uns zum Weitermachen antreiben. „Pay it forward!“, „Gib’s weiter!“, bitten uns viele US-Amerikaner: Wir helfen euch, damit ihr wiederum anderen zur Seite steht. In diesem Sinne soll das Buch inspirieren.
Außerdem skizzieren wir Frauen und Männer, die uns mit ihrem Mut und ihrer Haltung Kompass und Wegweiser sind. Constanza, die die verkauften Kinder Chiles findet. Dean, der als Rentner niemals seine Neugier verliert. David, der Südpol-Ingenieur. Claris, die einen Erdrutsch überlebte und „Ferne“, ein stiller Protestler in China.
„Staunt euch die Augen aus dem Kopf, lebt, als würdet ihr in zehn Sekunden tot umfallen. Bereist die Welt. Sie ist fantastischer als jeder Traum, der in einer Fabrik hergestellt wird.“ Autor Ray Bradbury feuert zum Leben, zum Reisen und Lernen an. Mögen die Geschichten in diesem Buch zünden. Mögen sie erstaunen, verstören, wissbegierig und weltwach machen.
MARKTFRAU IN BUCHARA USBEKISTAN
„Warum hast du uns geholfen?“, wollen wir wissen. „Allah hat mir einen Wink gegeben und gesagt: Da vorne, die Radfahrer brauchen Hilfe. Frag’ mal, was los ist.“
Im Landeanflug beginnt das Verkleiden. Der Iran duldet keine bloße Haut und keine sichtbaren Haare. Dunkle Blusen, lange Tücher. Die Schöne neben mir verwandelt sich in einen Geist. Sie kennt das Spiel, ich nicht. Linkisch setze ich mein Tuch auf, fühle mich klein und entfremdet von mir selbst und der Lächerlichkeit preisgegeben, wie schon als Kind im Karnevalskostüm. Ich schäme mich, vor Daniel, vor mir selbst und starre auf den Boden. Auch Daniel sagt kein Wort, ist nervös. Still verlassen wir den Flieger. Iran, das erste Land unserer Reise.
„Iran, nicht Irak.“
Jetzt also hier, wo es „keinen Krieg und keine Anschläge gibt“, wo „alles safe“ ist. Nichts konnte die Sorgen unserer Eltern mindern. Auch wir waren ängstlich, doch der Flug günstig und die Neugier auf ein muslimisches, ein verrufenes Land drängte.
Jetzt also hier, am Flughafen in Teheran. Der Kontrolleur lächelt und ich komme durch, Daniel nicht. Es piept, der Polizist schaut erschrocken. Er prüft Daniels Pass, zweimal, dreimal. „Mister, Mister, big problem, big problem. Interpol. Interpol!“ Unsere Reise steht vor dem Aus, bevor sie begonnen hat.
Daniels Pass: gestohlen, warnt der Computer. Warum, wissen wir nicht. Es ist Mitternacht und Interpol schläft. Kein anderer kann seine Unschuld versichern. Alles rauscht vorbei, Männer, Frauen. Polizisten hasten auf uns zu. Hier und jetzt ist Daniel ein Verbrecher. „Sit down. Shut up!“, bellt ein Bewaffneter – nur ein Dummkopf würde rebellieren.
Stunden kauern wir auf unseren Plätzen. Er eingeklemmt zwischen Wachmännern, ich bei unserem Gepäck. Zu müde, zu matt, um zu verzweifeln. Warten. Dösen. Warten. Irgendwann wird es draußen hell. Dann der Anruf: Interpol gibt grünes Licht, und die Polizei Daniel endlich, endlich frei.
Jetzt keine Zeit mehr vertrödeln. Zügig bauen wir die Räder zusammen und machen uns auf den ersten Metern mit der Autobahn vertraut. LKWs dröhnen, Busse knattern an uns vorbei, die Fahrer immer einen Finger an der Hupe. Ein Seitenstreifen schützt nichts weniger als unser Leben. Die Sonne knallt und der Gegenwind schmeckt nach Diesel. Bloß weg von hier, abfahren. Wir verfransen uns im Industrie-Irrgarten der Hauptstadt, nicht ganz das Ziel von Touristen. Keiner kann helfen. Kilometer für Kilometer fahren wir blind, orientierungslos. Es beginnt zu dämmern. Plötzlich hält ein verschrammter Renault und ein Mann mit Vokuhila kurbelt die Scheibe herunter. „My name is Navid. Need help?“ Navid: nie verheiratet, keine Kinder, einst Kioskbesitzer in New York. Er eskortiert uns zu seiner Wohnung mit schiefer Tür und geflickten Fenstern, öffnet den Kühlschrank und reicht Bier – Schmuggelware aus der Türkei, für acht Dollar die Flasche. Ein Segen, wenn auch ein verbotener in Iran. Als seine Eltern Hilfe brauchten, kehrte Navid nach Teheran zurück. Seine Schwester sei noch immer in den Staaten, wage sich aber wegen Trumps travel ban nicht mehr aus dem Land – aus Angst, nie wieder hinein zu dürfen. Wir sollten über Nacht bleiben, beharrt Navid und scheucht die Hühner aus dem Schlafzimmer. Am nächsten Morgen weist er uns den Weg aus dem Industrie-Wirrwarr. „Warum hast du uns geholfen?“, wollen wir wissen. „Allah hat mir einen Wink gegeben und gesagt: Da vorne, die Radfahrer brauchen Hilfe. Frag mal, was los ist.“
MIKE AUS RIDGECREST, KALIFORNIEN
HIER WIRD CLAUDIA UNSICHTBAR
MOSCHEE IN GONBAD-E KAVUS, IRAN
GORGAN, IRAN
Ein knappes Jahr später, beim Erzfeind des Iran: in den USA. Kurz vor der Querung des Death Valley hält uns ein Sandsturm gefangen, in Ridgecrest, Kalifornien. Die Stadt scheint zu verrosten, Vernunft und Ekel verbieten das Kampieren zwischen Müllkippen, Fastfood-Buden und ausgezehrten Kötern. Wieder kurbeln wir orientierungslos, wieder dämmert es. Erst einmal einkaufen, es muss sich was ergeben! „Schau mal ein bisschen traurig und dumm“, instruiere ich Daniel, bevor ich mich im Supermarkt verlaufe. Und er macht seinen Job glänzend. Mike lädt uns in das Haus seiner Schwiegermutter ein. Die sei kürzlich verstorben, wir könnten so lange bleiben, wie wir wollten. Das Bett sei frisch bezogen und das Badezimmer vorgeheizt. „Bedient euch in der Vorratskammer, da stehen noch tonnenweise Pasta, Oliven, Dosenobst – und Bier.“ Mike und seine Frau Debby erzählen von ihrem Sohn – kurz nach dem 18. Geburtstag überrollt von einem LKW. Am Gottvertrauen halten sie sich bis heute fest. „Ich bin eigentlich gar nicht der Typ, der Fremde einlädt“, gesteht Mike. „Debby meinte, ich sei nun völlig verrückt.“ Warum er uns dann geholfen habe, wollen wir wissen. „Jesus hat mir einen Wink gegeben und gesagt: Da vorne, die Radfahrer brauchen Hilfe. Frag mal, was los ist.“
Zurück in Iran, zu Beginn der Reise: Ich trample auf Gardinenstoff und schwitze wie in einem Clownskostüm. Hier reicht das Kopftuch nicht, hier gängelt man mit einem Umhang. Schon am Eingangstor war eine Pförtnerin auf mich zugeeilt, den Stoff in der Hand. Sie hatte keine Gnade mit mir, auch nicht bei 36 Grad. Imam Rezas Schrein in Mashhad: Ein heiliger Ort, den ich heute am liebsten verwünschen würde. 20 Millionen pilgern jährlich hierher. Immer wieder auf den Umhang tretend, stolpere ich zur Taschenkontrolle. Ich muss aus meiner Wasserflasche trinken – die einfachste Sprengstoffprobe der Welt. Eine schwarz verschleierte Frau tastet mich ab. Woher ich käme, ob ich Kinder habe, fragt sie und streicht sanft meinen Tschador glatt. Sie meint es gut. Bevor ich hinaus darf, umfasst sie meine Hände: „Bitte, geh nach Hause und erzähle deiner Familie und all deinen Freunden, dass wir keine Terroristen sind.“
12.000 Radkilometer entfernt, wieder beim Rivalen, wieder in den USA: „We would like to further assist you in your journey“, mailt uns Rebecca, die uns ein Stück im Wohnwagen mitgenommen hatte. Zwei Tage spendieren sie und ihr Ehemann einen Campingplatz mit Swimmingpool: „Kids, sleep well. Tomorrow we gonna watch the sunrise.“ Mit ihren Söhnen hätten sie im Urlaub auch immer den Sonnenaufgang angesehen. Wir spielen das Spiel mit, sind gerne wieder Kinder: bemuttert, beschützt, zu Hause für den Moment. Zum Frühstück dürfen wir uns bergeweise Pancakes auf die Teller laden. Später ertappe ich Rebecca, wie sie 60 Dollar Taschengeld in meiner Radtasche versteckt. Beim Abschied tragen wir beide Sonnenbrillen – als Tränensichtschutz. Sie drückt mich und umfasst meine Hände: „Geht nach Hause und erzählt euren Familien und all euren Freunden, dass wir nicht so sind wie unser Präsident.“
REBECCA UND MARK | UTAH, USA
HINTERGRUND ISLAM
aus: „KulturSchock Islam“ von Susanne Thiel
In der heutigen islamisch geprägten Welt kommt „der Schleier“ als Kleidungsstück in vielen Formen und Varianten vor und wird auf unterschiedliche Art und Weise getragen. Der Nikab ist ein bodenlanges Gewand, das gleichzeitig auch Kopf und Gesicht bedeckt, nur ein Schlitz für die Augen bleibt frei. Der Tschador ist ein bodenlanger Umhang, der auch den Kopf bedeckt, aber das Gesicht freilässt. Der Hidschab ist ein Tuch, das die Haare, die Ohren und auch den Hals bedeckt. Die extremste Form, die Burka, ist ein sackartiger Überwurf, der den Körper von Kopf bis Fuß konturlos bedeckt und auch die Augen nicht frei lässt.
„Die bekloppteste Piste der Welt“, das wäre mal ein Weltkulturerbe der UNESCO. Den Preis gewinnt die „Straße“ entlang der Salinas Grandes.
Direkt aus der Fabrik sollen unsere Räder in die Welt hinaus – die erste Tour führt von Sachsen nach Thüringen. In einem Blumenladen bei Halle an der Saale entpuppt sich die Verkäuferin als Märchen-Protagonistin. Die „Schneekönigin“ kappt gerade Rosenstiele. Ich bitte sie um zwei Liter Leitungswasser. „Kaufen Sie’s doch im Supermarkt“, reagiert sie eisig und gießt jetzt die Blumen – mit Leitungswasser, klar. „Ich will aber keinen weiteren Plastikmüll produzieren“, wage ich zu erklären. „Na, das geht aber nicht. Wenn mich jeder danach fragen würde, wäre ich ja arm!“ Ich hoffe noch, die Furie scherzt, will ihr drei Cent über den Ladentisch schieben. Doch ihr Körper spannt sich vor Entrüstung und macht mir klar: Sie meint es ernst. Wortlos verlasse ich das Geschäft und ärgere mich über meine Feigheit. Noch heute. Was ich ihr nicht alles an den Kopf werfen möchte.
Auch in den Schweizer Alpen stänkert ein Giftzwerg. Ende August brennt die Sonne auf die Serpentinen, die Zunge klebt am Gaumen. Mit knallrotem Kopf bitte ich einen Restaurantchef um Leitungswasser. „Nee, so einfach ist das nicht. Da musst du auch was kaufen.“ Ich glaub, ich hör nicht recht? „Kannst ja da unten aus der Scheune was holen, da ist ein Hahn.“ Wieder bin ich feige, verlasse die Theke und trotte zur Scheune. Was der Giftzwerg nicht verriet: Das Wasser stammt aus einem Bach, der eine Weide entwässert. Den nächsten Pass müssen wir mit Durchfall hinauf.
Nicht minder kräftezehrend, wenn auch ohne Magendrücken: die Steppe Usbekistans. 42 Grad lähmen, schon morgens tropft der Schweiß von der Stirn ins Müsli. An einer Lehmhütte wollen wir nach ein paar Litern Wasser betteln, denn der Dorfbrunnen scheint längst versiegt. Wasser wird von Tankwagen geliefert. Kinder flitzen uns entgegen, die Mutter hinterher. Sie füllt die Trinkflaschen zum Überlaufen und drängt uns ins Haus. Schnell ist die Suppe angerichtet, dazu Brot, Obst auf Teller gestapelt. Nein, nur mit Wasser lässt man uns nicht fort: Ohne Mittagessen dürfen wir nicht weiter.
Noch trockener, noch leerer und armseliger ist das Altiplano, die Hochebene Boliviens. Das Land hängt am Tropf der Andengletscher, die unaufhaltsam schmelzen. Selbst große Städte drehen das Wasser ab. Männer und Frauen gehen auf die Barrikaden, blockieren die Straßen mit brennenden Reifen – und entführen gar Politiker im Kampf um das Kostbarste der Welt. In einem Laden für Alternativmedizin verkauft eine Indigene Vitamine, Bio-Kaffee, „glutenfreie“ Marmelade – und Schlagermusik. Wir brauchen agua potable, insgesamt sieben Liter Trinkwasser, und beschwingt zeigt sie auf den großen Wasserspender im Raum. „¿Cuánto cuesta?“, was es denn koste, frage ich, um sie beim Preisaufschlag zu mäßigen. „Es gratis“, lächelt die Verkäuferin. „Aber Sie haben das Wasser doch selbst gekauft?“ „Trotzdem, für Wasser verlange ich kein Geld.“
Unweit des Ladens passieren wir die Landesgrenze: Auch der Norden Argentiniens schreit nach H2