Elke Schwab
Kullmann in Kroatien
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Impressum neobooks
Elke Schwab
Kullmann in Kroatien
ein Urlaubskrimi
Kullmann-Reihe 6
Neue überarbeitete Auflage
Ursprünglicher Titel:
„Urlaub mit Kullmann“
Kullmann
in
Kroatien
ein Urlaubskrimi
Kullmann-Reihe 6
Elke Schwab
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Elke Schwab, 2018
Alle Rechte, einschließlich des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Kaum hatten sie das Flugzeug der Fluglinie Hvarsky-Air verlassen, schlug ihnen eine gnadenlose Hitze entgegen.
Norbert Kullmann wischte sich den Schweiß von der Stirn, bevor er ihm in die Augen tropfte und die Sicht versperrte. Konzentriert schaute er auf die Stufen, die ihn auf den sicheren Boden führten. Das war im Augenblick sein vorrangiges Ziel. Er war zum ersten Mal in seinem Leben geflogen. Dabei musste er feststellen, dass er bis dahin nichts verpasst hatte. Die ständige Angst, abzustürzen, das quälende Rumoren in seinem Magen, der Druck auf seinen Ohren, diese Nebenwirkungen hatte ihm sein Freund Stipo mit keinem Wort erwähnt. Er hatte ihm diese Reise nicht nur ermöglicht, sondern regelrecht aufgeschwatzt. Dabei wollte Stipo ihm einen Gefallen tun. Davon war Kullmann überzeugt. Deshalb hoffte er darauf, dass ihn sein Aufenthalt in Kroatien für die Strapazen während des Fluges entschädigte.
Er schaute auf die Uhr und geriet ins Staunen. Es war gerade mal neun Uhr. Um sechs Uhr in der Frühe waren sie am Flughafen in Saarbrücken-Ensheim eingetroffen. Also hatte ihre Reise mit Einschecken, Wartezeit, Starten und Landen nicht mehr als drei Stunden gedauert. Eigentlich war das kein Grund, sich zu beschweren. Er setzte seinen Hut auf, der ihn vor einem Sonnenstich bewahren sollte und betrat den Boden am Flughafen von Pula. Dann erst drehte er sich um und sah nach seiner Frau Martha, die mit einem kunterbunten Sonnenhut die steile Treppe hinabstieg.
„Was trägst du da auf deinem Kopf?“, fragte Kullmann, während er ihr half, heil über die letzten Stufen auf den Boden zu gelangen.
„Einen Sonnenhut. Was glaubst du denn?“, antwortete Martha, fuhr mit der Hand über die Krempe und fügte an: „Gefällt er dir nicht? Habe ich extra für diesen Urlaub gekauft.“
„Du siehst wie die perfekte Touristin aus.“ Kullmann lächelte seine Frau liebevoll an.
Anke Deister folgte ihnen mit einer sportlichen Schirmmütze. Sie hielt ihre Tochter Lisa auf dem Arm, die die gleiche Kopfbedeckung trug. In ihrem Armen hielt Lisa ihren großen Teddybären fest umklammert. Ihre Augen waren ganz groß vor Aufregung und Neugierde. Sie war drei Jahre alt und hatte von der Welt bisher nur ihr Zuhause, Kullmanns Garten und die Kindertagesstätte gesehen. Große Ereignisse standen ihr bevor. Kullmann war gespannt darauf, wie sie das alles verkraften würde. Er kannte sich mit Kindern viel zu wenig aus, was er schon oft bedauert hatte. Aber seit Lisas Geburt hatte sein Leben sich von Grund auf geändert. Von Berufs wegen waren ihm als Kriminalhauptkommissar der Tod, dessen Ursachen und Verursacher sein Lebensinhalt gewesen. Seit seinem Ruhestand bestand seine Hauptaufgabe darin, auf Ankes Tochter aufzupassen, während sie weiterhin ihrer Arbeit als Kriminalkommissarin weiterging. Niemals hätte er es für möglich gehalten, in seinem Alter noch so viel Freude an einem kleinen Kind zu entdecken. Er empfand es als positive Entwicklung, dass er für Anke und ihr Kind eine so große Rolle in deren Leben spielen durfte. Die beiden entschädigten ihn für alles bisher Versäumte.
Als Anke direkt vor Kullmann stehen blieb, wirkte ihr Gesichtsausdruck eher griesgrämig als hocherfreut.
„Was ist mit dir?“, fragte Kullmann.
Nachdem sein Freund Stipo ihn von dieser Reise überzeugt hatte, war ihm viel daran gelegen, dass Anke ihn und Martha begleitete. Er wollte Anke eine Freude machen. Aber ihre Miene verriet genau das Gegenteil. „Du hast deinen Entschluss, mit Martha und mir zu verreisen, hoffentlich nicht schon bereut?“
Auf diese Frage antwortete Anke mit einem Lachen, was Kullmanns Bedenken sogleich zerstreute.
„Im Flugzeug hatte ich leider das Vergnügen, vor einem Ehepaar aus Berlin zu sitzen. Die Gespräche der beiden waren laut und verdorben. Ich kann nur hoffen, dass die Berliner nicht im gleichen Hotel untergebracht sind wie wir.“
Kullmann schaute sich nach den Transfer-Bussen um, die sie vom Flughafen Pula aus nach Rovinj weitertransportieren sollten, ihr Urlaubsziel. Schon bald hatte er den Richtigen entdeckt.
Es gab nur vier Busse. Einer fuhr Pula an, einer Poreć, der andere Umag. Blieb nur der Letzte in der Reihe, auf dem Rovinj stand.
Als Anke, Martha und Lisa das Fahrzeug ansteuerten, schaute Kullmann sich fragend in der Gegend um, bis er endlich aussprach, was ihn beschäftigte: „Wie kommen wir an unser Gepäck?“
Der Busfahrer hatte ihn gehört und wie es schien, auch verstanden. Er erklärte in gebrochenem Deutsch, dass die Koffer vom Reiseunternehmen zum Hotel gebracht würden.
„Das ist ja ein Luxus.“ Kullmann grinste zufrieden. „Wir brauchen uns nur in den Bus zu setzen, der Rest erledigt sich von allein.“
Anke konnte nicht in seine Schwärmerei einstimmen. Kaum hatten sie sich durch den engen Gang auf einen freien Platz durchgekämpft, da sah sie durch die Fensterscheiben das Berliner Ehepaar auf sie zukommen. Unförmig und dick schob der Mann sich behäbig über den großen Platz. Seine schwarzen Haare glänzten fettig in der Sonne. Die Frau an seiner Seite war klein, zierlich und blond. Mit breitbeinigem Gang, ihre Arme weit vom Körper weggestreckt trippelte sie neben ihrem Mann her. Suchend schauten sie sich um, bis sich Ankes Befürchtungen bewahrheiteten. Als ihr Blick auf den Bus fiel, in dem sie gerade mit Kullmann und Martha Platz genommen hatte, nickten sie mit ihren Köpfen und eilten darauf zu. Nun konnte Anke nur noch hoffen, dass sie in einem anderen Hotel wohnten.
Der Bus fuhr an. Er rüttelte die Fahrgäste durch. Die Fahrgeräusche dröhnten unerträglich laut. Die Klimaanlage funktionierte nicht. Die Sitzplätze waren eng und unbequem.
Anke vertrieb sich die Zeit damit, durch das Fenster zu schauen. Nachdem sie den Flugplatz verlassen hatten, sah sie nur Baustellen. Sie fühlte sich wie zu Hause. Erst nach langer Fahrstrecke kamen grüne Wiesen, Felder und vereinzelte kleine Häuschen, was ein Gefühl von Idylle vermittelte. Vom Meer nicht die geringste Spur. Nach einer halben Stunde passierten sie das Schild „Rovinj 10 Kilometer“.
Erleichtert atmeten die Fahrgäste auf.
Dann ging es rasend schnell. Der Bus fuhr mit großer Geschwindigkeit durch enge Kurven. Wie von Zauberhand offenbarte sich vor ihnen plötzlich das Meer.
Ein lautes „Oh.“ zollte ihm den nötigen Respekt.
Schon bald blieb der Bus vor dem ersten Hotel stehen. Einige Familien stiegen aus. Die Fahrt ging weiter. Anke, Kullmann, Martha und Lisa hatten das Pech, dass sie bis zum Schluss in dem ungemütlichen Bus ausharren mussten, zusammen mit den Berlinern, zwei jungen Frauen, die sich an den Händen hielten, und zwei ältere Herren, deren Frauen häufig verstohlene Blicke auf Lisa warfen.
Der Bus hielt an einer einsamen Stelle an, die außer einem Sandplatz und einigen Sitzbänken nichts zu bieten hatte. Dort wurden sie gebeten, auszusteigen.
Verwundert schaute sich Anke um und entdeckte zwei Kleinbusse mit der Aufschrift „Hotel Villa Angelo D’oro“. So hieß ihr Hotel.
Der Rest der Fahrt ging schneller und komfortabler. Die Kleinbusse fuhren ins Zentrum der Stadt Rovinj, schlängelten sich durch enge Gassen, dass Anke schon befürchtete, darin steckenzubleiben, hupten die Touristen auf die Seite, die stur ihren Weg fortsetzen wollten, bis sie am Ziel ankamen.
Zwischen grauen, farblosen und verwahrlosten Häuserfronten, deren Klappläden entweder verschlossen waren oder schief an den Angeln hingen, stach ein Barock-Gebäude aus dem 17. Jahrhundert mit seiner weinroten Front, den grünen Fensterläden und den in goldener Farbe aufgemalten Löwenköpfen, die mit Lorbeerzweigen und auslaufenden geschwungenen Linien miteinander verbunden waren, als besonderes Schmuckstück hervor. Der Anblick inmitten der engen Gassen brachte die Gäste ins Staunen. Der erste, der etwas anmerkte, war die Berlinerin: „Hoffentlich iss dett nischt alles nur Fassade.“
Der Fahrer des Kleinbusses verstand sie nicht, konnte also nichts darauf erwidern.
Sie stiegen aus.
Sengende Hitze schlug ihnen entgegen.
Neugierig traten sie durch den Eingang, über dem fünf Sterne prangten. Das erste, was sie spürten, war eine gut funktionierende Klimaanlage. Der Temperaturunterschied war beachtlich.
Die Innenausstattung hielt, was die Fassade versprach. Alles war im Barockstil gehalten. Sessel mit geblümtem Chintzstoff mit geschwungenen Lehnen aus dunklem Holz, runde Tische auf kunstvoll gewundenen Streben, bunt gewebte Teppiche auf dem Boden und Ölgemälde an den Wänden. Im gegenüberliegenden Treppenaufgang waren die Decken mit Fresken verziert.
Anke, Kullmann und Martha gerieten so sehr ins Staunen, dass sie vom Hotelangestellten an der Rezeption an ihre Anmeldung erinnert werden mussten. Während ihre Namen bei der Anmeldung überprüft wurden, trafen die Koffer ein. Darunter befand sich ein Schrankkoffer, der so groß war, dass alle ins Staunen gerieten. Noch größer wurde die Überraschung, als sie sahen, zu wem er gehörte: zu der kleinsten erwachsenen Frau unter ihnen, der Berlinerin, deren Körpergröße dieses überdimensionale Gepäckstück kaum überragte.
„Wad glotzt ihr so dämlich?“, fauchte sie mit dunkler, kratziger Stimme. „Ded Ding haben mein Manni und ikke für all unser Gelumps. Ikke gloob, ik spinne.“
Nachdem die Formalitäten erledigt waren, verteilte der Hotelangestellte die Zimmerschlüssel, ging den Touristen voraus, um ihnen den Weg zu zeigen.
„Wenn die Zimmer auch so schön sind, kann der Urlaub nur noch gelingen“, schwärmte Kullmann.
„Ikke wees nich“, ergriff nun der männliche Part des Berliner Ehepaars das Wort. „Wad hab ik von dem Schnörkel an den Decken. Ikke will hier Spaß haben und wad ordentliches zu fressen. Nisch war, Adele?“
„Für dad, wad wir für den Schuppen hier berappt ham, muss es schon wad zu fressen jeben. Sonst werden die mir mal kennen lernen“, fügte besagte Adele an.
„Sie wissen noch gar nicht, ob das Essen hier gut ist. Aber beschweren können Sie sich schon mal im Voraus“, stellte Kullmann fest.
„Wad jeht dir det an?“, entgegnete sie.
„Für Sie immer noch SIE.“
„Ach nee. Wad sind wir heute wieder etepetete.“
„Nur korrekt“, korrigierte Kullmann. „Das Hotel war nicht billig. Da kann man schon ein Publikum mit Manieren erwarten.“
Die anderen deutschen Gäste stimmten Kullmann lautstark zu.
„Ikke hab alles bezahlt. Also kann ikke hier machen, wad ikke will. Iss det klar?“
„Nicht so hastig, Frau ?“ Damit wollte Kullmann erfahren, mit wem er das unfruchtbare Gespräch führte.
„Adele Deubler, un det iss mei Kleener, der Manni.“
„Manfred Deubler“, stellte sich der kräftige Mann vor.
„Frau Deubler. Wir gehen davon aus, dass hier alle bezahlt haben“, beendete Kullmann seinen Satz.
Adele Deubler verstummte endlich. Stattdessen zündete sich die kleine Frau eine Zigarette an und paffte eine dicke Rauchschwade in die Luft.
Die kleine Gruppe von zwölf Touristen steuerte die Treppe mit schmiedeeisernem Geländer an. Zwei ältere Ehepaare bildeten den Abschluss. Sie waren so sehr in ihre Bewunderung für das Ambiente vertieft, dass sie den Anschluss verpasst hatten.
Kullmann schloss sich ihnen an, gemeinsam besprachen sie die mit Kunstmalereien gestalteten Wände und Decken, als seien sie vom Fach, was Anke ein Lächeln entlockte.
„Ist das Ihr Enkelkind?“, fragte eine der beiden Damen nachdem sie im zweiten Stock angekommen waren, wo ihnen ihre Zimmer gezeigt wurden. Dabei schaute sie auf Lisa.
Zunächst überlegte Kullmann, was er darauf antworten sollte, da kam ihm Anke zu Hilfe. „Ja. Wir machen einfach einmal einen Drei-Generationen-Urlaub. Mal sehen, wie das funktioniert.“
„Wie schön“, jubelten die beiden Damen gleichzeitig los und steuerten zielstrebig auf das kleine Mädchen zu.
Lisa reagierte gereizt auf die fremden Frauen. Sie war müde. Lustlos hing sie in Ankes Arm und begann lautstark zu quengeln.
„Wad een Jetue um so eene Jöre“, schimpfte Adele Deubler lautstark. „So wad kann nur den Urlaub verderben.“
„Sie lieben Kinder wohl nicht?“, stellte eine der alten Damen entrüstet fest.
„Nee, det tu ikke mir nischt an.“
„Aber Sie waren doch auch mal ein Kind. Haben Sie das schon vergessen?“
„Det iss wohl det dümmste, wad ikke jehört habe, nisch war mei Kleener“, richtete Adele Deubler sich an ihren Mann. Der nickte zustimmend.
„Was für ein ungehobeltes Volk.“
„Bild dir bloß nischt ein, Alte. Wer hier dumm ist, det iss wohl klar. Schau dir nur im Spiegel an.“
Kullmann schob sich zwischen die beiden streitenden Damen, um das unangenehme Gespräch zu beenden.
„Genug der Freundlichkeiten. Schauen wir uns die Zimmer an.“
„Nach dem ersten Eindruck bin ich sicher, dass unsere Zimmer wundervoll sein werden“, schwärmte die alte Dame dankbar dafür, dass Kullmann das Streitgespräch beenden konnte.
„Und nachdem Lisa geschlafen hat, wird sie sich von ihrer besten Seite zeigen“, versprach Anke.
„Entschuldigen Sie unser aufdringliches Benehmen, aber wir hatten leider nicht das Vergnügen, eigene Kinder zu bekommen. Umso mehr freue ich mich, dass wir so ein reizendes Kind in unserer Mitte haben. Ich heiße Gertrud Ossom, das ist mein Mann Arthur.“
Arthur begrüßte Anke mit einem festen Händedruck, dass Anke befürchtete, er würde ihre Hand zerquetschen.
Die Freundin Agnes Gebauer trat schnell hervor, um sich und ihren Mann Hugo ebenfalls vorzustellen. Nach dem ausgiebigen Händeschütteln fühlte sich Anke erleichtert, als sie endlich Kullmann und Martha ins Zimmer folgen konnte. Es war groß, hell und – wie das Foyer auch - mit antiken Möbeln ausgestattet. Durch eine Seitentür ging es weiter. Dort befand sich Ankes Refugium für die kommenden sieben Tage. Was Anke am besten gefiel war die Verbindungstür. So konnten sie immer miteinander kommunizieren und gleichzeitig jeder seinen eigenen Raum für sich genießen.
Ankes Arm schmerzte. Sie öffnete die Augen, wollte ihn anheben, doch der Arm bewegte sich nicht. Verwundert schaute sie auf und erkannte, dass Lisa darauf lag. Im gleichen Augenblick öffnete Lisa die Augen und schaute Anke an. Vergessen war der Schmerz.
Anke streckte sich und gähnte herzhaft.
Lisa tat es ihr nach, streckte sich mit genau den gleichen Bewegungen wie ihre Mutter und gähnte ebenfalls mit weit aufgerissenem Mund.
„Jetzt geht’s uns besser“, stellte Anke fest.
Lisa nickte.
Bevor Anke begann, ihre Koffer auszupacken, stellte sie sich ans offene Fenster. Ihr Blick fiel auf ein altes, graues Haus.
Zum Glück war es niedrig. Über das Dach hinweg konnte sie bis zum Meer hinausblicken. Das Geräusch von kreischenden Möwen erfüllte die Luft. Überall schwirrten die großen, weißen Vögel herum - über dem Wasser, den Bäumen, den Häusern.
Sie hob Lisa hoch, damit sie es auch beobachten konnte.
Lisa war vom Anblick des Meeres begeistert, für die Möwen hatte sie keinen Blick übrig. Anke hatte Mühe, sie noch länger auf dem Arm zu halten. Die Kleine wollte nur noch ans Wasser. Anke verschloss das Fenster, begab sich ins Badezimmer, wo sie sich frisch machte. Als sie zurückkehrte, saß Martha bei Lisa und spielte mit ihr.
„Wir haben das Hotel erkundet“, berichtete sie. „Auf dem Dach gibt es eine schattige Terrasse. Dort könnten wir etwas essen, bevor wir uns die Stadt ansehen.“
„Lisa will zum Strand.“
„Bis zum Strand ist es weit. Die Stadt Rovinj ist von Hafengelände umgeben“, erklärte Martha.
„Aber von meinem Fenster aus kann ich ihn doch sehen“, widersprach Anke.
Martha ließ sich die Aussicht zeigen.
„Das sieht wirklich verlockend aus, liebe Anke. Aber es täuscht. Ich schlage vor, wir gehen hinauf auf die Dachterrasse. Von dort können wir alles viel besser überblicken.“
Die Terrasse wurde zum größten Teil von einem massiven Dach abgedeckt und bot genügend Schatten für alle. Auf der Seite, die zum Hafen zeigte, standen Liegestühle unter freiem Himmel. Ein Lüftchen zog hindurch. Die Temperaturen waren angenehm.
Die beiden älteren Ehepaare hatten sich schon ein schattiges Plätzchen gesichert. Vor ihnen standen kühle Getränke.
Das Berliner Ehepaar Manfred und Adele Deubler ging alle Ecken ab, um die Aussicht zu überprüfen. Als der Mann sich umdrehte, rülpste er laut.
Anke erschrak. Lisa bekam ganz große Augen. So etwas hatte sie noch nicht gehört.
Agnes Gebauer schimpfte: „Sie haben wohl nicht gelernt, wie man sich benimmt.“
„Ach je, Ach je“, äffte er die alte Dame nach. „Sind wir hier in der Benimmschule oder im Urlaub?“
„Benehmen sollte man sich überall, egal, wo man sich befindet.“
„Ikke hör mir nischt det Jetue einer ollen Schachtel an“; brummte er. „Wenn ikke rülpsen muss, weil der Fraß mir in der Wampe liegt, denn tu ik det.“
Damit war für ihn das Thema erledigt.
Kullmann, Martha und Anke setzten sich zu den älteren Ehepaaren. Lisa tapste mit ihren kurzen Beinen auf die alten Damen zu. Die Begrüßung fiel herzlich aus, aber Lisa blieb skeptisch. Immer wieder warf sie einen fragenden Blick auf ihre Mutter, die ihr aufmunternde Gesten zeigte. Nach einer Weile wurde es Lisa zu langweilig. Sie begann, die Terrasse zu erforschen, wobei sie der Berlinerin sehr nahekam. Adele Deubler war gerade im Begriff, sich eine Zigarette anzuzünden.
„He, ihr da“, rief die Berlinerin. „Holt den Balg da wech. Ikke kann sonst für nischt garantieren.“
Kullmann war derjenige, der blitzschnell aufstand, Lisa auf den Arm nahm und murrte: „Was Ihre Sicherheit angeht, kann ich auch bald für nichts mehr garantieren.“
Aber die kleine Frau ließ sich durch so etwas nicht aus der Ruhe bringen. Sofort kam eine Erwiderung: „Eh Alter. Mit so was wie dir muss ikke mich nischt herumzuschlagen. Behalt deine Moralpredigten einfach bei dir.“
Kullmanns Kopf wurde hochrot. „Im Osten hatten Sie vierzig Jahre nichts zu fressen und jetzt spielen Sie hier den Großkotz auf unsere Kosten.“
Anke staunte. So aufgebracht hatte sie ihn noch nicht erlebt.
„Det lass‘ ikke mir von dir nisch sagen…“
„Für Sie immer noch SIE“, parierte Kullmann.
Damit gelang es ihm, dass Adele Deubler vor Staunen den Mund nicht mehr schließen konnte.
„Ich denke, wir schauen uns ein bisschen im Hafen um“, schlug Kullmann vor. Seine Gesichtsfarbe verriet, dass er sich aufregte.
Rasch verließen sie die Terrasse und das Hotel.
Schmale Gassen mit Kopfsteinpflaster - Zeitzeugen aus einer früheren Epoche boten sich vor ihren Augen. Die Hauswände bestanden aus massivem Stein, die Fenster waren klein und mit Klappläden geschmückt. Manche Fassaden stachen mit auffallenden Farben hervor. Dazwischen lagen immer wieder verwitterte und vernachlässigte Gebäude, deren Eingänge nur dürftig verschlossen waren. Kullmann und Anke warfen hin und wieder einen neugieren Blick hinein, konnten jedoch nur Chaos und Schmutz dahinter sehen.
Sie verließen die Gassen und gelangten zum Hafen.
Leicht bekleidete Touristen belagerten die Promenade, die Cafés, die Restaurants. Die Stimmung war ausgelassen. Das Gemurmel erfüllte den großen Platz.
Der Tag neigte sich dem Ende zu, die Sonne verlor an Kraft, die Temperaturen sanken, das Klima wurde angenehm. Das Tageslicht begann zu schwinden. Erstaunt schaute Anke auf die Uhr.
„Im Süden sind die Tage kürzer als bei uns“, erklärte Kullmann daraufhin.
„Du kennst dich gut aus, dafür, dass du noch nie im Süden warst“, stellte Anke anerkennend fest.
„Wer lesen kann, ist klar im Vorteil“, gab Kullmann zurück. Er schaute auf die Uhr und stellte fest: „Wir haben gerade mal eine halbe Stunde Zeit, uns umzusehen, dann müssen wir ins Hotel zurückkehren. Das Einführungsbüffet, das der Hotelier uns bei der Ankunft angekündigt hatte, dürfen wir nicht verpassen.“
Plötzlich sah Anke ihre Tochter Lisa auf das Ufer zusteuern – wie sie dem Wasser mit erstaunlicher Geschwindigkeit immer näherkam.
Blitzschnell setzte sie sich in Bewegung.
Ein fremder Mann kam ihr zuvor. Mit Leichtigkeit fing er Lisa ab, hielt sie in die Höhe und machte einige Umdrehungen mit ihr. Anke dachte, dass Lisa sofort anfangen würde zu schreien, weil sie den Mann nicht kannte. Aber nichts dergleichen geschah. Lisa lachte.
Was hatte das zu bedeuten?
Anke beobachtete den Fremden mit ansteigender Wut. Er setzte ihre Tochter nicht sofort wieder auf den Boden, wie man das annehmen sollte. Stattdessen wirbelte er sie solange, bis Anke neben ihm stand und sagte: „Ich glaube, Sie hatten jetzt lange genug das Vergnügen mit meiner Tochter.“
Verdutzt setzte der Mann Lisa ab.
„Entschuldigung.“ Er sprach also deutsch. „Ich liebe Kinder. Da habe ich wohl übertrieben – ohne es zu wollen.“
Anke schaute in ein interessantes Gesicht. Dunkle Haare, dunkle Augen, gebräunte Haut. Seine Offenheit imponierte ihr. Er erwiderte ihren Blick. Nicht das geringste Anzeichen von Falschheit konnte Anke darin erkennen.
Ohne ein Wort zu entgegnen, schaute sie ihn sich genauer an. Er trug eine enge Jeanshose und ein sommerliches Hemd. Seine Figur wirkte sportlich. Seine Füße steckten in Badeschuhen, wie sie hier jeder trug.
„Ich heiße Alexander“, stellte er sich vor.
„Anke“, fand sie ihre Sprache wieder.
„Ihr Dialekt klingt interessant. Wo kommen Sie her?“
„Aus dem Saarland.“
„Dafür sprechen Sie aber gut deutsch.“
Damit gelang es ihm, Ankes Misstrauen zu zerstreuen. Mit einem herzhaften Lachanfall honorierte sie seine Feststellung. Auf sein verdutztes Gesicht erklärte sie: „Das Saarland ist seit fünfzig Jahren deutsch. Deshalb.“
Alexander nickte zerknirscht und meinte: „In der Gegend kenne ich mich nicht so gut aus.“
„Klar. Wir sind der äußerste Zipfel Deutschlands.“
„Sind Sie gerade erst angekommen?“
„Sieht man das?“
„Ja. Sie sind so blass.“
Er hatte Recht, wie Anke schnell feststellen konnte. Alle Menschen, die sich hier auf dem großen Platz tummelten, waren braun gebrannt. Unter ihnen waren Neuankömmlinge schnell auszumachen.
Er ließ seinen Blick durch die Menschenmenge wandern, bevor er wieder an Anke hängen blieb. „Wissen Sie schon, wo Sie heute Abend essen wollen?“
Mit seinen dunklen Augen schaute er sie erwartungsvoll an. Als keine Reaktion von ihr kam, fügte er schnell an: „Ich kenne mich hier aus – weiß wo es gute Lokale gibt.“
Plötzlich tauchte Kullmann neben Anke auf. Er erinnerte sie an etwas, was sie im Laufe ihres angeregten Gesprächs fast vergessen hätte: „Wir haben uns für das Büffet im Hotel angemeldet. Denk bitte daran.“
Sofort war Anke wieder klar im Kopf.
Lisa, die unentwegt zwischen Kullmann, Martha und Anke hin und her hüpfte, schaffte es, dass Anke sich besann, ihre ursprünglichen Gedanken verbannte und zu Alexander sagte: „Sie haben es ja gerade gehört. Wir essen im Hotel.“
„Schade. Sehen wir uns wieder?“
Anke hatte sich gerade von ihm weggedreht, ihre Tochter an der Hand genommen, als sie zu ihm zurücksah und meinte: „Bestimmt. Wir bleiben noch länger hier.“
„Was haltet ihr davon, wenn ich euch morgen einen schönen Strand zeige? Dort ist Sonne und Schatten, das Meer ist nicht tief und man hat eine schöne Sicht auf die Stadt Rovinj.“
Kullmann schüttelte den Kopf und erklärte Anke: „Martha und ich werden sicherlich nicht an den Strand gehen. Aber für dich und Lisa ist das genau das Richtige. Die Kleine braucht Abwechslung.“
Das fasste Anke als Aufmunterung auf. Sie verabredete sich mit Alexander für den nächsten Tag am Hafen.
Die „Villa Angelo D’oro“ bewies, dass die fünf Sterne verdient waren, die die Bronzeplakette an der Außenfassade des Hotels anpries. Das Speisezimmer bewahrte ein Ambiente von gelassenem, würdevollem Luxus. Die Einrichtung bestand aus einer Mischung zwischen modern und klassisch. Der Boden war mit bunt gewebten Teppichen ausgelegt, die Stühle mit grauem Samt überzogen, die Tische mit bestickten Tischdecken gedeckt. Die Wände stachen als nacktes Mauerwerk hervor, was dem Ganzen noch zusätzlich einen rustikalen Anstrich verlieh. Das hintere Ende begrenzte eine Glastür, die auf den Hinterhof zeigte, eingerahmt von üppigen Grünpflanzen und mit Sonnenschirmen überdacht. Auf Kullmanns sehnsüchtigen Blick meinte der junge Kellner: „Büffet servieren wir nur im Saal. Das Essen à la Carte können Sie jeden Abend auf der Terrasse genießen.“
„Das sind gute Aussichten.“ Kullmann schaute sich die Tischordnung im Speisesaal genauer an. Die beiden älteren Ehepaare hatten sich schon einen Platz in der Nähe der langen Tischreihe ausgesucht, wo die Kellner damit beschäftigt waren, das Buffet aufzubauen. Sie wollten sich damit unnötige Wege ersparen. Direkt dahinter saß das Berliner Ehepaar. Eine dicke Rauchwolke zog über deren Tisch.
Kullmann ließ sich mit seiner kleinen Wahl-Familie in der Nähe der Ehepaare Gebauer und Ossom nieder, die ihre Aufmerksamkeit Lisa widmeten. Die Kleine genoss es, im Mittelpunkt zu stehen. Das Essen wurde für Lisa zur Nebensache. Anke begab sich mehrere Male an das reichliche Büffet, und besorgte gleichzeitig für Lisa einige Sorten mit, deren Interesse an Agnes Gebauer und Gertrud Ossom damit nicht zu erschüttern war. Immer wieder sprang sie auf, stieß Juchzlaute aus, womit sie die Gäste zum Lachen brachte.
Anke glaubte ihre Tochter in guter Gesellschaft, wandte ihre Aufmerksamkeit ihrem Peka - unter einer Tonglocke gedünstetes Lammfleisch - zu. Gerade führte sie sich ein großes Stück von dem zarten Fleisch in den Mund, als sie die Berlinerin hörte: „He, du da hinten: Statt zu fressen kannst dich mal um die Jöre da kümmern.“
Anke fiel das Fleisch vor Schreck aus dem Mund.
„Keene Erziehung, dieses Weib. Keen Wunder, bei der Alten.“
„Ich glaube, Sie sind besser ruhig mit Ihren Anschuldigungen“, rief Anke stinksauer, stand auf und eilte zu ihrer Tochter.
Lisa war ganz erschüttert von so viel Unfreundlichkeit. Mit großen Augen starrte sie die blonde Frau an, die so hässlich über sie gesprochen hatte.
„Wad iss dad denn sonst, wad diese Butze hier veranstaltet?“, blaffte die unfreundliche Frau weiter.
„Sind Sie immer so ungehobelt?“; mischte sich Agnes Gebauer ein. Anke sah deutlich, dass sie sich dafür sogar bösen Blick von ihrem Mann Hugo einhandelte. Aber das störte Agnes Gebauer nicht. „Lisa ist doch so ein liebes Kind Es stört doch niemanden, wenn sie zu einem an den Tisch kommt.“
„Mir stört es aber“, stellte die Berlinerin klar. „Wenn die Olle kein Kind erziehen kann, soll sie sich keins anschaffen.“
„Sie halten jetzt Ihren vorlauten Mund.“, mischte sich Kullmann in das Gespräch ein.
„Ikke?“
„Ja, Sie.“
„Da jeht mir de Hutschnur hoch“; wurde die kleine Frau plötzlich so laut, dass die Kellner in den Speisesaal stürzten. Aber das störte die kleine Frau nicht im Geringsten. Sie sprach weiter, als seien die Männer gar nicht da: „Von eenem wie ….“
Weiter kam sie nicht. Die Kellner stellten sich an ihren Tisch und drohten, sie aus dem Speisesaal zu entfernen, wenn sie so weitermachen wollte.
Das zeigte Wirkung. Wutschnaubend erhob sich das Berliner Ehepaar und stampfte hinaus.
Nach dem Essen betraten Kullmann, Martha, Anke und Lisa die Dachterrasse. Sie suchten sich Plätze, um in der kühlen Abendluft die Aussicht zu genießen, das von der Dämmerung langsam eingehüllt wurde. Am gegenüberliegenden Ende der Bucht zog der schwarze Himmel langsam über das Meer und senkte sich wie ein dunkles Tuch herab. Der Mond schimmerte in voller Pracht, dazu ein Sternenhimmel, der übersät war mit kleinen, funkelnden Punkten. Die vielen Lichter spiegelten sich im flachen Wasser. Stille breitete sich aus. Das Kreischen der Möwen und das Rufen der Tauben waren verstummt. Das Zirpen der Grillen hielt Einzug.
Der nächste Morgen begann zeitig. Für Anke zu früh. Laut knatternd fuhr ein Mofa durch die enge Gasse. Stimmen von Menschen, die die frühe Stunde nutzten, um bei angenehmen Temperaturen durch die Gassen zu schlendern. Kindergeschrei. Musik. Glockengeläut. Geräusche, die zu einem Urlaub am Mittelmeer passten.
Lisa auf einem Stuhl am Fenster.
Ein Anblick, der nicht zu Ankes Vorstellung von Urlaub passte.
In Sekundenschnelle sprang sie aus dem Bett und zerrte ihre Tochter dort weg. Lisa wollte sich wehren, indem sie murrte: „Mama, guck: Das Meer.“
„Ja, mein Schatz. Und wenn du nicht aus dem Fenster fällst, wirst du sogar noch im Meer schwimmen gehen.“
„Au ja.“ jubelte Lisa los. „Wimmen. Wimmen.“
„Das heißt schwimmen.“
„Sag ich doch: wimmen.“
Das Wort wollte ihr nicht richtig über die Lippen kommen, aber das störte Lisa nicht. Die Aussicht, im Meer zu baden, stimmte sie überglücklich. So wurde es für Anke ein Kinderspiel, ihrer Tochter die Jeanslatzhose anzuziehen, die ihr bis zu den Waden reichte. Darin sah sie so hübsch aus, dass Anke sich gar nicht an ihr satt sehen konnte. Lisa streckte ihre Händchen in die großen Hosentaschen, eine Geste, die sie ihrer Mutter nachahmte.
Anke klopfte leise an der Zwischentür an, um nachzusehen, ob Kullmann und Martha schon wach waren. Die Vorsicht erwies sich als unnötig, denn Kullmann öffnete fertig angezogen. Martha stand hinter ihm. Die beiden wirkten, als hätten sie nur auf Ankes Lebenszeichen gewartet.
Wie bei einer Prozession schritten sie hintereinander die enge, gewundene Treppe hinunter. Lisa hüpfte munter immer mehrere Stufen auf einmal nehmend, bis sie plötzlich verschwunden war.
„Lisa?“, rief Anke, die ihren Augen nicht traute. Eben war sie noch da, und eine Sekunde später nicht mehr.
„Was ist?“, fragte Kullmann hinter ihr.
Doch Anke hörte ihn nicht mehr. Panik hatte sie ergriffen. Sie rannte die Stufen hinunter, als sie plötzlich den breiten Rücken des Berliners sah.
Das fehlte gerade noch. Das Berliner Ehepaar hatte ihr Kind entführt.
„Halt! Bleiben Sie stehen“, rief Anke in gewohnter Polizeimanier.
Doch der Berliner dachte nicht daran. Blitzschnell verschwand er um die nächste Treppenwindung.
Anke beschleunigte. Manfred Deubler auch. Er eilte durch das Foyer. Anke rannte hinterher.
„Anke. Wo willst du denn hin?“, hörte sie Kullmanns Stimme hinter sich.
Sie hatte keine Zeit zu antworten. Sie sah, in welche Richtung Deubler rannte und steuerte die gleiche an. Wieder verschwand er, dieses Mal hinter einer der vielen Mauern. Ankes Panik wuchs ins Unermessliche. Sie hatte nicht gesehen, wohin er mit ihrer Tochter verschwunden war.
Wie von Furien gehetzt jagte sie blind drauf los, bis sie plötzlich mit einem fremden Mann zusammenstieß, der entsetzlich nach Fisch stank. Dieser stieß einige unfreundliche Laute aus, sprach in einer Sprache, die Anke nicht verstand. Dafür kapierte sie seinen Tonfall umso besser. Mit dunklen, fast schwarzen Augen funkelte der Fremde Anke böse an. Doch Anke wollte sich nicht einfach abwimmeln lassen. Immerhin war sie Lisas Mutter. Der würde sie mal kennenlernen.
„Anke. Bist du noch von Sinnen?“
Kullmanns Frage machte sie stutzig. Sie drehte sich um und schaute in ein fragendes Gesicht.