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Tyler Henry
Zwischen zwei Welten

Tyler Henry

Zwischen zwei Welten

Meine Botschaften
aus dem Jenseits

Übersetzt aus dem Amerikanischen
von Maximilian G. Knauer

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Giger Verlag

Die amerikanische Orginalausgabe erschien unter dem Titel
Between Two Worlds bei Gallery Books, New York

1. Auflage 2017
© der amerikanischen Originalausgabe: Tyler Henry, 2016
© der deutschen Übersetzung: Giger Verlag GmbH, 2017,
CH-8852 Altendorf, Telefon 0041 55 442 68 48
www.gigerverlag.ch
Lektorat: Monika Rohde
Umschlaggestaltung:

Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich
Layout und Satz: Roland Poferl Print-Design, Köln
e-Book: mbassador GmbH, Basel
Printed in Germany

ISBN 978-3-906872-23-0
eISBN 978-3-907210-63-5

Inhalt

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Einleitung

Der Beginn

Erste Visionen

Vorsichtige Antworten

Tim

Mein hellseherisches Coming-out

Meine Geistführer

Erste eigene mediale Sitzungen

Erste Gruppensitzung

Nah-Tod, Nah-Leben

Von Hanford nach Hollywood

Die Talentshow

Neue Welten

Intuition

Meine erste Fernsehshow

Beispiele

Meine Kommunikation mit Verstorbenen

Kommunikation über die Sinne

Leere Leinwand

Ego

Beispiel

Reinkarnation

Zeichen der Seele

Häufig gestellte Frage rund um das Hellsehen

Danksagung

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Einleitung

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Mehr als je zuvor sprechen heute die Menschen offen über ihre Kommunikation mit Verstorbenen. Durch Film und Fernsehen hat die Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gibt, von unserer Popkultur Besitz ergriffen – nicht weil es sich dabei um eine neue Frage handelt, sondern weil die Leute ihren Geist neuen Antworten öffnen. Als ich den Anruf bekam, dass meine Fernsehshow Hollywood Medium with Tyler Henry grünes Licht hatte, versprach ich mir, alles daranzusetzen, allen Antworten nachzugehen, denen ich begegnete und sie offen und ehrlich mit der Welt zu teilen. Auf dieser Mission befinde ich mich noch immer und meine eigenen Fragen wachsen jeden Tag. Bei all den unterschiedlichen Antworten zum Thema Medien und hellseherische Phänomene, die so im Umlauf sind, ist es mein Ziel, einzigartige und leicht verständliche Erklärungen zu liefern, die ich dank meiner Erfahrungen aus erster Hand habe.

Ich glaube fest daran, dass die Leute selbst entscheiden sollten, was ihnen entspricht. Ich teile mit, was ich durch die Kommunikation mit der geistigen Welt gelernt habe, und ich möchte dich ermutigen, das dir Entsprechende davon mitzunehmen. Wenn es um das Leben nach dem Tod geht, gibt es nicht nur Schwarz und Weiß. Ich will den Grauzonen dazwischen Rechnung tragen, aber doch auch einige der beständigeren Dynamiken erklären, die ich im Verlauf von mehr als tausend Lesungen beobachtet habe. Es gibt viele Ausnahmen bei diesen Regeln, aber genau das ist das Schöne an der anderen Seite. Sie ist viel komplexer und nuancierter als alles, was wir Menschen begreifen können. Ich habe ein paar Fragen, auf die ich vielleicht nie die Antwort finde. Und doch hilft jede kleine Antwort, zur Beantwortung der viel größeren Frage beizutragen: Was geschieht, wenn wir sterben?

Ich rede mit den Verstorbenen. Interessanter ist aber, dass die Toten mit mir reden – primär, indem sie mir mentale Eindrücke und Sinneseindrücke von der anderen Seite schicken. Bei dem, was ich mache, dreht sich alles um die Bestätigung, das heißt, eine Bestätigung von dem Teilnehmer meiner Sitzung zu bekommen, dass die Information, die ich erhalte, akkurat ist und nur der Verstorbene, der mit mir kommuniziert, sie besitzen könnte. Wenn ich die Bestätigung bekomme, erfährt mein Klient, dass die Seele der geliebten Person weiterexistiert und alles kommunizieren kann, was ungesagt geblieben ist oder sich erst im Prozess des Hinübergehens entwickelt hat.

Wenn es etwas gibt, was ich durch meine Arbeit gelernt habe, dann dass Vielfalt im Leben ein Geschenk ist. Ich weiß, dass dieses Buch viele verschiedene Arten von Menschen mit allen möglichen Hintergründen anziehen wird, mit unterschiedlichen Glaubenssystemen und mit einem unterschiedlichen Grad an Vertrautheit mit dem Themengebiet. Ich werde auf den folgenden Seiten meine spirituellen Glaubenssätze mit dir teilen. Jedoch halte ich es für wichtiger, dass du verstehst, was genau passiert, wenn ein Verstorbener von der anderen Seite durchkommt. Aus diesem Grund konzentriere ich mich auf die Details der Erfahrungen, sodass du deine eigenen Schlüsse ziehen kannst, wie das alles in das große Bild deiner Glaubenssätze passt. Wenn wir die individuellen Unterschiede einmal vernachlässigen, denke ich, dass wir uns darauf einigen können, dass wir alle von der Heilung anderer und der Vorstellung, dass die Liebe ewig ist, profitieren können. Das Ziel meiner Arbeit und das der Arbeit vieler anderer authentischer Medien ist es, diese universellen Wahrheiten zu bekräftigen.

Mir ist klar, dass meine Fähigkeit eine Gabe ist und nicht etwas, das ich mir als Verdienst anrechnen kann. Ich bin nur ein Leiter für die Information, die durch mich hindurchfließt und die erreicht, die offen dafür sind – und wir alle haben eine natürliche Fähigkeit, das zu tun, nur in unterschiedlichen Graden. Übung erzeugt Beständigkeit und je mehr wir unserem Bauchgefühl vertrauen und es entwickeln, desto aussagekräftiger und präziser kann uns unsere Intuition helfen. Selbst heute nach zahlreichen Sitzungen muss ich mich noch täglich daran erinnern, »mir nicht selbst im Weg zu stehen« und ein klares Gefäß zu sein, durch das die Botschaften fließen können.

Als ich meine Fähigkeiten entdeckte, verbrachte ich zahllose Stunden in Buchläden und Bibliotheken, las mehrere Bücher am Tag, durchforstete das Internet nach Quellen und Informationen danach, was mich so anders sein ließ. Dass ich der Einzige in meiner Umgebung war, der eine völlig andere Welt erfahren konnte, war im wahrsten Sinne des Wortes befremdend. Für mich fühlte es sich so an, als stünde ich mit einem Fuß in unserer Welt und mit dem anderen in der nächsten. Ich verstand keine der beiden Seiten, noch fühlte ich mich von einer der beiden verstanden. Als Kind war die Herausforderung, unsere irdische Dimension zu meistern, schon groß genug, von einer zweiten, zusätzlichen ganz zu schweigen. Ich war irgendwo dazwischen, ein Bote zwischen zwei Reichen: ein Medium.

Mein ganzes Leben habe ich die Welt auf zweierlei Arten verstehen gelernt. Auf der einen Seite bin ich wie jeder andere Zwanzigjährige, der sich an das Erwachsenwerden gewöhnt, es lernt, auf sich allein gestellt zu leben – und zugegebenermaßen das erste Mal einen Geschirrspüler benutzt. Doch auf der anderen Seite ist der Teil von mir, den die meisten sehen, Tyler Henry, das Medium, das Macaulay-Culkin-Double, das im Fernsehen mit den verstorbenen Lieben berühmter Leute kommuniziert. Obwohl die meisten sich nicht vorstellen können, wie es ist, visuelle, sensorische und mentale Eindrücke von Verstorbenen zu empfangen, ist doch jeder fähig, sich den Effekt klarzumachen, den diese Botschaften auf ihre Lieben haben, die sie am meisten brauchen. Ob es nun ein Verweis auf einen rosa flauschigen Würfel von deiner Tante Edna ist oder ein Insiderwitz, den man immer mit einer geliebten Großmutter gerissen hat – das sind die Botschaften, die ich mitzuteilen versuche – egal wie willkürlich sie auch mir persönlich vorkommen mögen.

Wenn meine Klienten zu einer medialen Sitzung kommen, sehe ich den Prozess des In-Verbindung-Tretens wie eine Art Puzzle, das ich lösen muss. Ich bekomme Eindrücke von einem oder mehreren Verstorbenen und der Fragesteller und ich arbeiten dann gemeinsam heraus, inwiefern diese Botschaft relevant und wo das Bindeglied ist. Mediale Sitzungen bestehen zu fünfzig Prozent darin, die Information zu empfangen und zu fünfzig Prozent, sie zu entwirren. In den letzten paar Jahren habe ich in meinen Sitzungen zahllose Formen der Heilung gesehen, die erfolgte, weil die Botschaften bestätigt wurden. Ob man nun endlich einen geliebten Menschen loslassen kann, einen dringend benötigten Beweis oder eine Ahnung bekommt, eine Schuld von sich abwälzt – ich durfte sehen, was den wirklich lebensverändernden Unterschied bei jeder Kommunikation aus dem Jenseits ausmacht. Bei jedem Kontakt, den ich herstelle, ist es mein Ziel, den geliebten Menschen so klar durchkommen zu lassen, dass es für meinen Klienten keinen Zweifel mehr gibt, dass ich wirklich mit ihm in Verbindung stehe. Diese Bestätigung kommt zustande, wenn ich die Persönlichkeitszüge, Eigenheiten, Familientraditionen, Insideranspielungen und manchmal sogar seine physischen Angewohnheiten beschreibe. Es sind die kleinen, spezifischen Details, die das Wesen einer Person kommunizieren, und das gilt auch für Verstorbene in der geistigen Welt.

Jeder Tag bringt neue Erfahrungen mit sich, neue Geschichten, die mir die Seelen erzählen, die in der Lage sind, zu begreifen, was in ihrem Leben wichtig war. Ihre Botschaften lehren uns, was wir in unserem eigenen Leben zu würdigen wissen sollten. Mehr als alles andere habe ich gelernt, dass der Übergang zur anderen Seite alles in eine andere Perspektive rückt. Ironischerweise können wir von den Verstorbenen am meisten über das Leben lernen.

Ich hoffe, dir, lieber Leser, in diesem Buch ein Narrativ zu liefern, wie es so kein zweites Mal existiert – ehrlich, bodenständig und in Worten, die jeder versteht. Außerdem möchte ich einige häufig gestellte Fragen beantworten und will allen Bereichen meiner menschlichen Erfahrung nachgehen – sowie den Individuen, lebenden wie toten, die meinen Pfad gekreuzt haben.

Der Beginn

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»Mama, wir müssen uns von Oma verabschieden!«, rief ich. Überrascht von meinen eigenen Worten machte ich eine Pause, bevor ich fortfuhr: »Wir müssen sofort los. Sie wird heute Nacht sterben.«

Ich stolperte in die Küche und kam neben meiner Mutter zum Stehen. Ich empfand ein Gefühl von überwältigender Dringlichkeit und war gerade in der Gewissheit aufgewacht, dass meine Großmutter sterben würde. Es fühlte sich an wie eine Erinnerung, nur dass es noch nicht passiert war. Wortlos griff meine Mutter nach ihrem Telefon und ihrer Handtasche und eilte zur Tür. Als ich hinterherlief, schien sich die Zeit zu verlangsamen. Ich empfand ein Gefühl von Verlust, das in mir hochwallte und wieder verebbte, in lähmenden Wellen. Ich wusste, dass ich unbedingt Lebewohl zu meiner Großmutter sagen musste; ich wusste auch, dass uns nicht viel Zeit blieb.

Als wir zum Auto rannten, klingelte das Telefon meiner Mutter. Ein vertrautes Gefühl begann mich zu piesacken. Was als unerklärliche Gewissheit begonnen hatte, wurde jetzt vor meinen Augen zur Realität: Meine Mutter ging ans Telefon und hörte, dass meine Großmutter vor ein paar Augenblicken ihren letzten Atemzug getan hatte.

Damals, im Alter von zehn Jahren, machte ich meine erste Erfahrung mit etwas, was sich nur als »Wissenheit« beschreiben ließ. Dieses Gefühl war mehr als nur eine Ahnung. Es war eine Überzeugung, die nicht ins Wanken zu bringen war, auch wenn ich nicht begriff, woher sie kam. Ab diesem Tag sollte eine bizarre Wissenheit jeden Aspekt von Leben und Tod, wie ich sie bisher kannte, verändern. Da ich da noch nicht wusste, was Präkognition oder Intuition ist, war ich von dem Erlebten zutiefst verwirrt. Warum war ich in einem Zustand aufgewacht, der sich so sehr von allem unterschied, was ich bisher erlebt hatte – ausgestattet mit Informationen, die ich nicht wissen konnte, und dem dringenden Bedürfnis, sie zu kommunizieren?

Letztlich beeinflusste der Tod meiner Großmutter mein Leben mehr, als man sich damals hätte vorstellen können. Während meine Familie trauerte, war ich unfähig, das Gefühl, das ich in dieser Nacht erlebt hatte, zu vergessen. Die Leute um mich her weinten, aber ich konnte nicht genauso fühlen wie sie. Irgendwie hatte mein Vorherwissen um ihr Hinübergehen – auch wenn es nur um ein paar Momente zuvorgekommen war – die Art und Weise, wie ich ihren Tod verarbeitete, verändert. Da ich die Zukunft als Vergangenheit erfahren hatte, begriff ich auf einer tiefen Ebene, dass sich das Ergebnis nicht hätte verhindern lassen. Statt selbst irgendwelchen Trost zu brauchen, fand ich mich in der Rolle des Trösters meiner Eltern wieder.

Ich war nicht überrascht, dass meine Mutter meinem Vater nichts von meiner Vorahnung erzählte. Da ich die Erfahrung selbst nicht begriff, war es umso unwahrscheinlicher, dass meine Eltern sie würden einordnen können. Was mich überraschte, war eine Erinnerung, die ich immer wieder im Geist durchging, und zwar die, dass meine Mutter sich sofort ihre Sachen geschnappt hatte und zur Tür hinausgerauscht war – sie hatte meine Warnung ohne zu zögern beachtet. Verfügte auch sie über eine »Wissenheit«, die ihr sagte, dass ich die Wahrheit sprach?

Am nächsten Abend legte ich mich hin und schloss die Augen. Nach den kräftezehrenden vergangenen vierundzwanzig Stunden versuchte ich, meine Gefühle zu beruhigen. Beim Einnicken bemerkte ich, wie ein süßer Duft durch den Raum zog. Er war sehr vertraut. In meinem halb bewussten Zustand realisierte ich, dass dieser Duft derselbe war wie der des blumigen Parfüms meiner Großmutter, das sie getragen hatte, als ich noch ein kleiner Junge war.

Als ich so dalag, rief ich mir die glücklichen Erinnerungen ins Gedächtnis, die mich mit ihr verbanden, und die Eindringlichkeit des Dufts. Ich drückte die Augen fest zu. Ich hatte Angst, dass, wenn ich sie wieder öffne, diese kostbare Verbindung zu meiner Großmutter sich auflösen würde. Ich fühlte, wie ich in die Ausläufer eines Traums rutschte.

Plötzlich war ich hellwach: Ich war nicht allein im Zimmer. Gerade, als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnten, sah ich ein Licht. War es der Scheinwerfer eines Autos, der von der Straße hereinschien? Ich rieb mir die Augen. Am Fuß meines Betts war eine Gestalt erschienen. Sie sah wie eine beträchtlich jüngere Version meiner frisch verstorbenen, alten Großmutter aus. Bis heute bin ich verblüfft, wie ruhig mein zehnjähriges Selbst bei diesem Ereignis blieb. Meine tote Großmutter stand am Fuß meines Betts und lächelte, in goldenes Licht gehüllt. Obwohl sie vierzig Jahre jünger aussah, als ich sie kannte, war ihre Essenz unverwechselbar.

Ich war von ihrem Strahlen verzaubert. Vor ihrem Tod hatte sie monatelang mit Krebs gerungen, ihre Haare verloren und konnte nicht mehr aufstehen. So, wie ich sie jetzt sah, hatte sie wunderschönes, leicht gelocktes blondes Haar, jugendliche, rosige Wangen und gütige Augen. Ich sah sie so, wie sie sich selbst sah. Bevor ich verarbeiten konnte, was ich sah, wurden meine Gedanken von einer Stimme unterbrochen, die ich liebte.

»Es gibt nicht viel, aber die Halskette in dem braunen Kästchen gehört dir«, sagte sie. »Das ist nur Zeug. Wir sehen uns wieder.«

Ich starrte sie verblüfft an. Wie leger sie doch wirkte und ihr Verhalten war ganz so wie im Leben. Ihre Stimme hatte den gütigen, beruhigenden Klang, der mir so vertraut war. Das Licht um sie her dehnte sich aus und sie machte einen Schritt nach vorn. Ich fühlte, wie ihre warme Umarmung mich umgab und ihre wortlose Botschaft: Ihre Liebe zu mir transzendierte selbst den Tod.

Ich kannte meine Großmutter nur ein Jahrzehnt ihres Lebens und doch schien ihre Präsenz ein ganzes Leben an Erinnerungen zu kommunizieren. Es war eine Erfahrung, die ich bis heute wie ein Kleinod hüte. Nicht nur, dass ich sie so loslassen konnte, nein, ich gewann auch eine neue Perspektive. Ich sah sie auf eine Art und Weise, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte. Obwohl unsere Begegnung kurz war, blitzten so viele lebhafte Eindrücke auf, einfach nur, indem ich in ihrer Nähe war. Bis zu diesem Punkt hatte ich nie begriffen, dass Botschaften auch wortlos übermittelt werden konnten. Diese Botschaften kamen in Form von Bildern, die anfangs nur geringe persönliche Bedeutung für mich hatten: eine goldene Halskette in einem Holzkästchen, die sich in einen farbenfrohen Marienkäfer verwandelte und eine Explosion roter Rosen. Ich hatte keine Kontrolle über diese Bilder und verstand sie auch nicht. Sie tauchten in meinem Geist so lebhaft auf wie eine frische Erinnerung.

Meine Begegnung mit meiner Großmutter war scheinbar genauso schnell vorbei, wie sie begonnen hatte. Ich erlebte die Leere in meinem Zimmer – die vorige Wärme der erneuerten Verbindung, die es einen surrealen Moment lang erfüllt hatte, kam zu einem abrupten Ende. Diese Minuten hatten sich zeitlos angefühlt, als wäre ich direkt in die Ewigkeit transportiert worden. Jetzt stand das Licht, das mir so viel Freude gemacht hatte, in scharfem Kontrast zur Dunkelheit. Auf eine seltsame Art und Weise fühlte sich dieser Moment so an, als sei sie ein zweites Mal gestorben. Jahre später sollte ich lernen, dass einige Menschen, die hinübergehen, ihre Lieben nicht direkt nach dem Hinscheiden besuchen. Sie wollen nicht, dass einer ihrer Lieben, der nicht darauf vorbereitet ist, eine zweite Welle des Verlusts erlebt, wenn der Besuch endet. Ich glaube, dass die Verstorbenen wissen, wie weit wir in unserem Trauerprozess sind und ob wir bereit sind, ihre Signale zu empfangen. Andrerseits übermitteln sie manchmal Botschaften an ihre Lieben als Teil des Loslösungsprozesses der Seele, um auch selbst loslassen zu können.

Als ich so dalag und zu verarbeiten versuchte, was ich gerade erlebt hatte, überlegte ich, ob ich meinen Eltern von meiner Begegnung erzählen sollte. Ich wusste, dass ich in dieser sensiblen Zeit vorsichtig sein musste, und hatte keine Vorstellung, wie sie reagieren würden. Meine tote Großmutter hatte mich in einem Wachtraum besucht und ich hatte keinerlei Zweifel, dass es sich dabei um eine reale Interaktion gehandelt hatte. Das war mein erstes spirituelles Erwachen – von einem buchstäblichen Erwachen nicht zu reden. Ich wusste es zu schätzen, dass ich bei der ersten geliebten Person, die ich verlor, so eine starke Verbindung gespürt hatte und sie daher loslassen konnte. Und dennoch hatte ich nach ihrem Besuch weit mehr Fragen als Antworten.

In meiner Familie war es kein Thema, ob Seelen nach dem Tod zu einer Kommunikation mit uns in der Lage sind. Ich wusste daher nicht, ob meine Eltern meine Interaktion tröstlich oder verstörend finden würden, besonders in Hinblick darauf, dass ich den Tod meiner Großmutter vorhergesagt hatte. Meine Eltern gingen beide in die Kirche und die Leute in meinem weiteren Familienkreis waren tief religiös und hatten rigide Glaubenssätze. Daher hatte ich damit zu kämpfen, meine Erfahrung in den Überzeugungsrahmen meiner Familie einzuordnen. Wenn es nach dem Tod nur Himmel und Hölle gibt, wie konnte dann meine kürzlich verstorbene Großmutter plötzlich bei mir im Zimmer stehen?

Damals kam ich zu dem Schluss, es sei das Sicherste, meine Visionen für mich zu behalten. Ich begann, selbst nach Antworten zu suchen. Ich fragte mich, warum meine Großmutter bei all den Botschaften, die sie hätte schicken können, solches Gewicht auf eine Halskette legte. Und dann noch dazu eine, von der ich nicht einmal wusste, und in Form einer Botschaft, die wenig Sinn ergab. Wir hatten gemeinsame Erinnerungen, die sich über zehn Jahre erstreckten, aber sie hatte keine davon erwähnt. Stattdessen sagte sie, man solle sich nicht mit materiellem »Zeugs« aufhalten. Das war verwirrend, weil ich – mit meinen zehn Jahren und ohne große sentimentale Veranlagung – überhaupt kein Bedürfnis nach etwas hatte, wodurch ich mich an meine Großmutter erinnern konnte, und noch viel weniger nach etwas, um das viel Aufhebens gemacht werden würde.

Das war der erste Vorbote einer Lebenszeit von medialen Sitzungen, in denen Botschaften kamen, deren Inhalt ich einfach nicht verstand. Und immer wieder sollte ich erfahren, dass der Kontext nicht entscheidend dabei ist, wenn es darum geht, ein Leiter zu sein. Das Vertrauen darauf, dass das, was ich intuitiv interpretierte, auch ohne Analyse real war, war der erste Schritt, die Gültigkeit der Botschaften auf die Probe zu stellen.

Die nächsten paar Tage über bereitete meine Familie das Begräbnis meiner Großmutter vor. Ich wollte nicht in die Kirche zur Beerdigung. Nur ein paar Tage zuvor hatte ich die tiefste Art von Loslassen erfahren, die sich ein Mensch wünschen konnte. Obwohl ich nicht ganz begriff, was meine Erfahrung bedeutete, stellte ich nie ihre Realität in Frage. Den ganzen Gottesdienst über beobachtete ich Leute, die ich nicht kannte, dabei, wie sie von Herzen kommende Grabreden auf meine Großmutter hielten. Während ich zusah, wie die einzelnen Leute zum Podium gingen, verstand ich, dass meine beste Freundin, Anwältin und der Mensch, der mir am nächsten gestanden war, das Leben all der Leute verändert hatte, mit denen sie in Kontakt war. Deren Augen strahlten einen Verlust aus, dem Worte nicht gerecht werden konnten. Das hielt sie jedoch nicht davon ab, es zu versuchen. Und der Geist meiner Großmutter? Der war nirgends zu sehen. In diesem Moment wurde mir klar, dass Beerdigungen in Wahrheit für die Lebenden sind.

Wir gingen zum Friedhof und meine Cousine stand neben mir. Kurz darauf landete ein Marienkäfer auf ihrem Finger und saß die ganze Zeremonie über dort. Als sie versuchte, ihn abzuschütteln, flog er stur zurück auf ihre Hand und dann auf meine. Wir achteten mehr auf diesen anhänglichen Käfer als auf den Prediger am Podium. Gegen Ende des Gottesdienstes bemerkte meine Tante, wie abgelenkt wir waren. Sie sagte, der Käfer könnte ein Zeichen von meiner Großmutter sein. Kaum hörte ich die Worte, lief es mir kalt den Rücken hinunter. Es ist dasselbe Gefühl, das ich heute bekomme, wenn eine Botschaft als korrekt bestätigt wird. Als wir den Friedhof verließen, lagen dutzendweise rote Rosen vor dem Sarg meiner Großmutter. Ich fühlte denselben Schauer wie zuvor. Zwei von drei meiner Visionen waren innerhalb weniger Minuten bestätigt worden. Was aber bedeutete der Rest der Botschaft? Wie passte das alles zusammen? Es war, als hätte ich es mit dem seltsamsten Puzzle zu tun, das jemals erfunden wurde.

Ein paar Tage vergingen und es war an der Zeit, zu der Wohnung meiner Großmutter zu fahren. Wir planten, ihren Besitz unter der engsten Verwandtschaft aufzuteilen. Obwohl sie nicht reich war, kümmerte sie sich doch gut um das, was sie hatte, und legte Wert darauf, es mit ihren Enkeln zu teilen. Ich ging dieselben Stufen der Veranda hinauf, auf denen ich laufen gelernt hatte, und erinnerte mich an die Sommer, die wir hier zusammen verbracht hatten. Wir saßen auf der Veranda und hatten Brettspiele gespielt oder Spaziergänge im Sonnenuntergang gemacht. Das war das erste Mal, dass die Familie seit ihrem Tod bei ihr zusammenkam. Wir fühlten uns unweigerlich nostalgisch, aber das hielt nur kurz an. Als wir die Haustür öffneten, stellten wir fest, dass fast alles, was sie besessen hatte, weg war. Später erfuhren wir, dass ein entfernter Verwandter und seine Frau alles aus dem Haus geschafft hatten, was zu finden war. Meine nahen Verwandten waren entsetzt, als sie feststellen mussten, dass abgesehen von den Dingen von materiellem Wert auch alles verschwunden war, was uns viel mehr bedeutete: die Sachen mit sentimentalem Wert, den man nicht mit Geld aufwiegen konnte. Mit einer Mischung aus Trauer, Kummer, Wut und Frustration sah sich meine Familie nach irgendwelchen Dingen von sentimentalem Wert um, die an meine Großmutter erinnern würden. Fotografien, mit denen wir aufgewachsen waren, standen auf einmal hoch im Kurs. Eine Aura der Verzweiflung zog sich durch das Haus. Als wir uns zum letzten Mal umsahen, verkündete meine Cousine, dass sie unter dem Bett ein hölzernes Schmuckkästchen gefunden hatte. Ich rannte in das Zimmer und öffnete das Kästchen. Darin war ein einzelnes Schmuckstück – ein goldener Anhänger mit einer Kette.

Als ich die Kette in der Hand hielt, von der meine Großmutter gesagt hatte, dass sie mir zugedacht war, überwältigten mich Gefühle. In einer Serie von Blitzen schossen mir die Bilder, die sie mir kommuniziert hatte, durch den Kopf. Jetzt begriff ich, was sie mir hatte sagen wollen. Die roten Rosen waren ihre Art anzuerkennen, dass sie geliebt wurde, weil sie zu Dutzenden von Leuten niedergelegt worden waren, die sie kannten und denen sie wichtig war. Der Marienkäfer war eine Erinnerung, dass sie immer bei uns sein würde. Und die tiefste Einsicht war, dass meine Großmutter darum gewusst hatte, dass bestimmte Familienmitglieder ihren Besitz zu ihrem Gewinn plündern würden, statt in einer Zeit des Verlusts als Familie zusammenzukommen. So ließ sie uns wissen, dass die enttäuschenden Entscheidungen der Lebenden ihren Frieden auf der anderen Seite nicht störten.

In dem Moment verstand ich, dass die Symbole und ihr Kontext oft viel tiefere Botschaften in sich bergen, als es zunächst den Anschein hat. Mehr als alles andere führte es mir vor Augen, dass mein verzweifelter Wunsch, mich in der Nacht ihres Todes von meiner Großmutter zu verabschieden – ein Gefühl, das wohl viele nachvollziehen können, die sich einem Verlust gegenübersehen – unnötig gewesen war. Der Tod bedeutet nicht, dass man Lebewohl sagen muss.

Erste Visionen

In den Jahren nach dem Tod meiner Großmutter änderte sich mein Leben stark. Ich machte meinen Tagesablauf durch und war mir der Welt um mich herum bewusst, aber ich begann auch, neue Eindrücke und Bilder zu erfahren. Sie unterschieden sich in ihrer Beständigkeit – manchmal kamen sie im Traum, manchmal im Wachen. Manchmal sah ich viele an einem Tag; zu anderen Zeiten konnten Wochen ohne bemerkenswerte Visionen oder Einsichten vergehen. Ich wusste irgendwie, was geschah, oder hatte doch eine Vermutung. Es war jedoch nur eine bizarre, scheinbar willkürliche Fähigkeit. Es gab kein Benutzerhandbuch, das mir gesagt hätte, worum es sich dabei handelte oder wie ich sie benutzen sollte.

Ich war dankbar, dass ich meine Großmutter hatte loslassen dürfen, aber ich war auch überrascht, dass sie keine Botschaften für meine Mutter oder meinen Vater geschickt hatte. Sie betrauerten ihren Verlust noch immer zutiefst. Wie ich später lernen sollte, machen manche Individuen nach ihrem Tod einen Prozess durch, bei dem sie »Funkstille« mit unserer Daseinsebene halten. Sie gehen ihr Leben noch einmal durch, um ein tieferes Verständnis der Wirkung, die sie hinterlassen haben, zu erlangen. Die Zeit, die dieser Prozess in Anspruch nimmt, ist bei jedem Individuum anders und davon abhängig, wie sie sich nach ihrem Hinübergehen auf den neuen Zustand einstellen. Ich habe erfahren, dass es nach dem Tod völlig normal sein kann, aus mehreren Gründen von seinen Lieben abgekoppelt zu fühlen. In anderen Fällen erleben Menschen Zeichen von ihren Lieben schon kurz nach deren Tod. Die Art, wie ein Individuum von der anderen Seite sich entscheidet, Kontakt aufzunehmen, kann variieren. Ich bin immer wieder überrascht, wie sehr die Verstorbenen das Wesen derer widerspiegeln, die sie im Leben waren.

Auch wenn ich nur wenige bekannte Gesichter in meinen medialen Sitzungen gesehen habe, kamen doch um so mehr Fremde durch. Sie versuchten, ihre Botschaften mit mir zu teilen, manchmal erfolglos. Die meisten dieser frühen Visionen kamen in einer Form, die wir alle kennen: in Träumen. Meine Jahre in der Mittelschule waren voll nächtlicher Schrecken und frustrierender Träume, die anstrengender waren als das Wachen, und zwar weil ich während der meisten innerlich wach war. An den wenigen Morgen, an denen ich mich nicht an die Träume der vergangenen Nacht erinnern konnte, fühlte ich mich kurz normal und erleichtert. Anfangs war es faszinierend, mit kristallklarem Bewusstsein in die unterschiedlichsten Situationen versetzt zu werden, aber bald fühlte es sich mehr wie eine Plage an statt wie eine nützliche Fähigkeit. Alles, was ich mir wünschte, war davon frei zu sein.

Eines Morgens wachte ich auf, nachdem mich eine Frau mit einer spezifischen Nachricht für meine Mutter besucht hatte. Ich war im Tiefschlaf und wie immer innerlich wach, als eine kurzhaarige Brünette vor mir auftauchte. Sie war nicht viel älter als meine Eltern. Anders als meine Großmutter, die in meiner ersten Version als Jugendliche auftrat, projizierte diese Frau das Alter, in dem sie gestorben war. Da ich mir nicht sicher war, ob sie mit mir reden würde, versuchte ich so viele Hinweise wie möglich über das Leben dieser Frau und die Ereignisse, die zu ihrem Tod geführt hatten, zu sammeln. Mir fielen ihre langen Ohrringe auf, die ihr fast bis auf die Schultern herabhingen. Sie trug Stoffe in den unterschiedlichsten Farben und es faszinierte mich, wie kompliziert und detailverliebt ihr Erscheinungsbild war. Besonders faszinierte mich die Tatsache, dass jene, die mich nachts besuchten, so gekleidet waren, als seien sie niemals gestorben. Von allen Fragen, die sich mir stellten, machte mich die Tatsache, dass Verstorbene bestimmte Kleidung trugen, am neugierigsten und verblüffte mich zugleich auch.

Nein, in der geistigen Welt wird kein Polyester hergestellt. Wie ich später herausfand, hängt das Erscheinungsbild eines Verstorbenen gegenüber einem Medium damit zusammen, wie er sich zu präsentieren entscheidet. Normalerweise zeigen sich die Seelen auf eine Art, mit der wir etwas anfangen können – ganz so wie im Leben, da das Erscheinungsbild eines Menschen uns intime Details seiner Persönlichkeit verraten kann.

Im Fall der Frau, die vor mir stand, konnte ich aufgrund der leuchtenden Farben, mit denen sie sich schmückte, sagen, dass es sich bei ihr um jemanden handelte, den man als »Charakter« bezeichnen würde. Mit rauer Stimme sagte sie: »Sag deiner Mutter, dass eine Blume für sie bei meiner Beerdigung bereitliegt. Sie wird sie erkennen.«

Bevor ich die Botschaft verarbeiten oder um zusätzliche Details bitten konnte, wachte ich plötzlich auf. Mein Gesicht war heiß und verschwitzt. Erschöpft öffnete ich die Augen und die Sonne schien zum Fenster herein. Meine Mutter stürmte ins Zimmer, wie so oft. Da ich meine Botschaft für sie nicht vergessen wollte, platzte ich, ohne nachzudenken, mit dem heraus, was ich vor nur einigen Augenblicken gesehen hatte. Was folgte, war einer der Wendepunkte unserer Beziehung, sie bekam eine Bestätigung auf die persönlichste Art, die man sich vorstellen kann.

Die Haare auf den Armen meiner Mutter richteten sich auf und sie sah auf einmal nicht länger geistesabwesend aus, sondern völlig aufmerksam. Unsicher, wie sie reagieren sollte, setzte sie sich still hin. Plötzlich rannte sie aus dem Zimmer und ein paar Sekunden später kam sie wieder – mit einer schwarzen Seidenblume und einem Foto. In diesem Moment erst bemerkte ich, dass meine Mutter ganz in Schwarz gekleidet war. Sie erklärte mir, dass sie gerade von der Beerdigung einer langjährigen Freundin nach Hause gekommen sei. Wir starrten einander an. Meine Mutter hatte niemandem erzählt, dass sie auf die Beerdigung einer Freundin ging, ganz zu schweigen davon, dass sie beim Nachhausegehen eine Blume mit einer Notiz bekommen hatte, die lautete: »Danke für deine Freundschaft.« Ich beschrieb ihr, dass die Frau eine rauchige Stimme und kurzes braunes Haar gehabt hatte und alle Skepsis, die meine Mutter vielleicht noch hätte hegen können, war dahin. Obwohl sie nicht begriff, wie ich wissen konnte, was ich wusste, war ihr anzusehen, dass die unbezweifelbare Nachricht von ihrer Freundin sie tröstete. Sie musste meine Fähigkeit nicht verstehen, um dank ihrer loslassen zu können. Ganz davon abgesehen gab es keine Erklärung für das, was ich durchmachte.

Dass ich diesen Teil meiner selbst nicht begriff, hielt mich nicht davon ab, Fragen zu stellen, und das tut es auch heute nicht. Ich stellte fest, dass sich aus jeder Antwort zahllose neue Fragen ergaben und es verlorene Liebesmüh war, alles bewusst herausfinden zu wollen. Ich würde diese blitzartigen Einsichten haben, ob ich sie nun begriff oder nicht, und konnte nicht umhin, es faszinierend zu finden, was die einzelnen Zeichen und Symbole bedeuteten, besonders dann, wenn sie sich wiederholten.

Mein Ringen im Traum holte mich später auch im Wachen ein. Der Unterschied bestand darin, dass es kein Erwachen gibt, wenn die Visionen am Tag kommen. Ich musste lernen, Haltung zu bewahren, wenn mich eine Welle von Visionen heimsuchte. Anfangs war es schwierig, meine Reaktion auf das, was ich sah, zu verbergen. Glücklicherweise achtete niemand wirklich auf meine Momente geistiger Abwesenheit, weil ich noch so jung war. Ich habe auch heute noch nicht gelernt, den Informationsfluss auszublenden, aber ich habe herausgefunden, wie ich ihn aufs geistige Abstellgleis schieben kann. So konnte ich mich in den meisten Fällen, ohne allzu abgelenkt zu sein, auf das konzentrieren, was in meinem täglichen Leben geschah. Wie man sich denken kann, war das nicht notwendigerweise ein reibungsloser Prozess – es gab oft Zeiten in der Schule, da ich mit jemandem redete und plötzlich völlig den Faden verlor. Ich konzentrierte mich auf das, was ich um die Person her sah, statt auf das, was sie sagte. Ich bin mir sicher, dass ich den Leuten wie ein ziemlicher Luftikus vorkam.

Gleichzeitig waren die Visionen unvermeidbar und es war unwiderstehlich, ihrer Bedeutung nachzugehen. Es wurde meine Leidenschaft, sie zu interpretieren, und ich arbeitete daran, wann immer ich Gelegenheit dazu hatte. Ich füllte ganze Tagebücher mit den Symbolen und Visionen, die ich täglich sah. Zu diesem Zeitpunkt trat ein Wendepunkt ein: Statt die Botschaften nur willkürlich zu empfangen, lernte ich es, die Kommunikation selbst einzuleiten. Es war eine der nützlichsten Lektionen meines Lebens, es zu meistern, »wie gerufen« zu kommen. Ich gewöhnte es mir an, mich bewusst zu öffnen, mich einzustimmen und die Information zu überbringen. Es führte auch dazu, dass ich mir schnell der verborgenen Aspekte von Menschen bewusst wurde, die ich nie erwartet hätte. Ich meine damit, dass all meine Beziehungen letztlich unter den Einfluss meiner Gabe gerieten. Ich stellte fest, dass ich meinen Visionen und Instinkten mehr vertraute als dem, was die Leute sagten. Das führte zu vielen enttäuschenden Ahnungen, die sich immer wieder als treffend herausstellten, egal wie sehr ich den Leuten einen Vertrauensbonus zukommen lassen wollte. Ich war es gewohnt, der Adressat von Skepsis zu sein, und nun wurde ich anderen gegenüber skeptisch. Ich überwand meine zynische Frustration mit dem Heranwachsen, aber sie war der Vorbote eines inneren Konflikts, der stets mit diesem Territorium einherging. Worauf gebe ich mehr: auf die Worte anderer Leute oder auf meine eigene Intuition? Keine leichte Frage, wenn es um Menschen geht, die man liebt.

Im Teenageralter machte ich alle obligatorischen Riten des Heranwachsens mit, jedoch stets begleitet von einem Gefühl der Angst und Entfremdung. Obwohl ich mich so anders fühlte, versuchte ich doch, die Tatsache im Auge zu behalten, dass wir alle unseren Platz als Menschen zu finden versuchen. Ich war nicht der Einzige, der radikale Veränderungen durchmachte. Das war eine Gemeinsamkeit, die einige meiner freigeistigeren Freunde glaubten, mit mir teilen zu können, und ich wusste es stets zu schätzen.

Vorsichtige Antworten

Einer dieser Freunde war Nolan, ein kleiner, schüchterner Junge in meiner Sportklasse. Mehr als alles andere verband uns unsere gemeinsame Leidenschaft für Computerspiele, was nicht weiter überraschend ist, wir waren schließlich dreizehn Jahre alt. Nach einer Weile entschied ich mich, mein Geheimnis mit ihm zu teilen. Ich beschrieb ihm die andere Seite der Realität, in die ich die letzten drei Jahre über ein paar Blicke hatte werfen dürfen. Es ist ihm hoch anzurechnen, dass er bei dieser Eröffnung cool blieb. Nolan fand meine »Absonderlichkeit« dank seiner technischen Denkweise vielmehr faszinierend und war entschlossen, einen Namen dafür zu finden. Er war mir eine entscheidende Hilfe bei meinen Nachforschungen durch Bücher und Websites zu der Frage, was es bedeutete, ein hellseherisch begabtes Medium zu sein. Als ich das erste Mal all die unterschiedlichen Definitionen des Wortes Empathie las, hatte ich das Gefühl, eine Liste von Symptomen meines Lebens zu lesen. Wir verbrachten Stunden in Bibliotheken und vor Computerbildschirmen, lasen die Geschichten anderer, die ähnliche Phänomene erlebt hatten. Mit diesen Forschungen stellte sich die überraschende Einsicht ein, dass es andere gab. Wie sich erwarten lässt, richtete sich mein Interesse bald auf Religion und Spiritualität – zwei Gebiete, die ganz offensichtlich mit der Kommunikation mit Verstorbenen in Verbindung stehen, über die ich jedoch nie viel nachgedacht hatte.