Physik und
Unendlichkeit
Der Dalai Lama im Dialog mit
den Vordenkern der Naturwissenschaft
Herausgegeben und mit Anmerkungen
versehen von Arthur Zajonc
unter Mitarbeit von Zara Houshmand.
Mit Beiträgen von David Finkelstein, George Greenstein,
Piet Hut, Tu Weiming, Anton Zeilinger,
B. Alan Wallace und Thupten Jinpa.
Übersetzung aus dem Englischen von
Astrid Ogbeiwi
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
The New Physics and Cosmology
published by Oxford University Press
198 Madison Avenue, New York
© 2004 by The Mind and Life Institute. All rights reserved.
Deutsche Ausgabe:
1. Auflage 2020
© Crotona Verlag GmbH & Co. KG
Kammer 11
83123 Amerang
www.crotona.de
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen, fotomechanische
Wiedergabe, Tonträger jeder Art und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.
Übersetzung aus dem Englischen: Astrid Ogbeiwi
Umschlaggestaltung: Annette Wagner
ISBN 978-3-86191-162-3
Inhalt
DANKSAGUNGEN
DIE TEILNEHMER
PHYSIK UND UNENDLICHKEIT
AUFTAKT
EXPERIMENT UND PARADOXON IN DER QUANTENPHYSIK
PHILOSOPHISCHE REFLEXIONEN ÜBER QUANTENREALITÄTEN
RAUM, ZEIT UND QUANTEN
RAUM UND ZEIT AUS BUDDHISTISCHER SICHT
QUANTENLOGIK TRIFFT AUF BUDDHISTISCHE LOGIK
BETEILIGUNG UND PERSÖNLICHES WISSEN
DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN WISSENSCHAFTLICHEM WISSEN UND MENSCHLICHER ERFAHRUNG
DIE WELT ERFORSCHEN, DEN GEIST ERGRÜNDEN
NEUE BILDER VOM UNIVERSUM
URSPRÜNGE DES UNIVERSUMS UND BUDDHISTISCHE KAUSALITÄT
DIE WISSENSCHAFT AUF DER SUCHE NACH EINEM WELTBILD
WISSEN UND LEIDEN
ANMERKUNGEN
ÜBER DAS MIND AND LIFE INSTITUTE
INDEX
DANKSAGUNGEN
Zahlreiche Personen und Organisationen haben die Mind-and-Life-Konferenzen über die Jahre großzügig unterstützt.
Gründer
Ohne das erste Interesse sowie die ständige Teilnahme und Unterstützung unseres Ehrenvorsitzenden, Seiner Heiligkeit, des Dalai Lama, wäre das Mind and Life Institute weder entstanden noch könnte es so erfolgreich fortbestehen. Es ist wahrhaft außergewöhnlich, dass ein Oberhaupt einer großen Weltreligion und (ehemaliger) Staatsmann so aufgeschlossen ist für wissenschaftliche Erkenntnisse und über eine derart große Bereitschaft verfügt, sich der Begründung und Leitung eines sinnvollen Dialogs zwischen Wissenschaft und Buddhismus zu widmen. In den letzten fünfzehn Jahren hat Seine Heiligkeit für die Mind-and-Life-Dialoge mehr persönliche Zeit aufgewendet als für jede andere nicht-tibetische Gruppe der Welt; dies erfüllt uns mit Demut und ewiger Dankbarkeit, und wir widmen unsere Arbeit seiner Vision, welche die Bereicherung erkennt, die aus der Verbundenheit von Wissenschaft und Buddhismus in Dialog und wissenschaftlicher Forschungszusammenarbeit zum Wohl aller Wesen hervorgeht.
Francisco J. Varela war unser wissenschaftlicher Gründer, und er fehlt uns sehr. Als weltbekannter Wissenschaftler und sehr gewissenhaft praktizierender Buddhist lebte Varela tatsächlich ständig am Schnittpunkt zwischen Kognitionswissenschaft und Buddhismus und war überzeugt, dass eine tiefe und bedeutungsvolle Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Buddhismus für beide Systeme und auch für die gesamte Menschheit überaus förderlich wäre. Die Richtung, die er dem Mind and Life Institute vorgab, ist kühn und visionär und trägt doch zugleich den Erfordernissen sowohl wissenschaftlicher Strenge als auch buddhistischen Einfühlungsvermögens Rechnung. Vor allem aber hat sich Varela in dieser schnelllebigen Welt die Zeit genommen, die Arbeit des Instituts sorgfältig, logisch und wissenschaftlich aufbauend zu entwickeln. Wir gehen den Weg weiter, den er uns vorgezeichnet hat.
R. Adam Engle ist Unternehmer. Als er hörte, dass Seine Heiligkeit Interesse an einem Dialog zwischen Buddhismus und Wissenschaft hat, ergriff er die Gelegenheit und unternahm nachhaltige, höchst einfallsreiche Anstrengungen, um alles so einzurichten, dass die Arbeit des Instituts gedeihen und Fortschritte erzielen konnte.
Förderer
Barry und Connie Hershey von der Hershey Family Foundation sind seit 1990 unsere loyalsten und unentwegtesten Förderer. Ihre großzügige Unterstützung sichert nicht nur den Fortbestand der Konferenzen, sondern haucht auch dem Mind and Life Institute als solchem Leben ein.
Seit 1990 bringt Daniel Goleman großzügig seine Zeit, seine Energie und seine Tatkraft ein. Er hat die Konferenzen Healing Emotions und Destructive Emotions als Spende an Seine Heiligkeit, den Dalai Lama, und das Mind and Life Institute, an die auch sämtliche Tantiemen aus den beiden Tagungsbänden fließen, unentgeltlich vorbereitet.
Tiefen Dank und Anerkennung für langjährige Unterstützung sprechen wir Klaus Hebben, Tussi und John Kluge, Charlene Engelhard und der Charles Engelhard Foundation, Bennett und Fredericka Foster Shapiro sowie der Sager Family Foundation aus. Ihre wesentliche, nachhaltige Unterstützung ermöglicht es dem Mind and Life Institute, seinen Auftrag dauerhaft und zukunftsgerichtet zu verfolgen.
Großzügige finanzielle Unterstützung hat das Institut auch vom Fetzer Institute, der Nathan Cummings Foundation, Branco Weiss, Stephen Friend, Marilyn und Don L. Gevirtz (†), Michele Grennon, den Merck Laboratories sowie Joe und Mary Ellyn Sensenbrenner erhalten.
Die Forschungsprojekte des Mind and Life Institute wurden von verschiedenen Personen und Stiftungen unterstützt. Auch wenn diese Gelder direkt den Universitäten zufließen, an denen die betreffende Forschung durchgeführt wird, möchte das Mind and Life Institute folgenden Spendern für ihre Großzügigkeit tiefen Dank und Anerkennung aussprechen: Dem Fetzer Institute, John W. und Tussi Kluge, Charlene Engelhard und der Charles Engelhard Foundation (UCSF Medical Center) sowie Edwin und Adrianne Joseph (University of Wisconsin).
Schließlich danken wir aufrichtig der Sager Family Foundation, die die wissenschaftliche Ausbildung tibetischer Mönche in Indien über viele Jahre hinweg großzügig unterstützt hat.
Im Namen Seiner Heiligkeit, des Dalai Lama, und aller anderen Beteiligten in all den Jahren danken wir demütig allen diesen Personen und Organisationen. Ihre Großzügigkeit hat im Leben vieler Menschen Entscheidendes bewirkt.
Naturwissenschaftler und Philosophen
Außerdem möchten wir einer Reihe von Menschen dafür danken, dass sie zum Erfolg der inhaltlichen Arbeit des Instituts beigetragen haben. Viele wirken seit seiner Gründung am Institut mit. Zuallererst danken wir Seiner Heiligkeit, dem Dalai Lama, sowie den Naturwissenschaftlern, Philosophen und buddhistischen Gelehrten, die an unseren Tagungen früher und heute sowie an unseren Forschungsprojekten teilgenommen haben und teilnehmen, die in unserem Vorstand und im wissenschaftlichen Beirat mitgewirkt haben und mitwirken: Francisco Varela (†), Richard Davidson, Daniel Goleman, Anne Harrington, Jon Kabat-Zinn, Thupten Jinpa, Bennett Shapiro, Alan Wallace, Arthur Zajonc, Paul Ekman, Pier Luigi Luisi, Matthieu Ricard, Evan Thompson, Robert Livingston (†), Newcomb Greenleaf, Jeremey Hayward, Eleanor Rosch, Patricia Churchland, Antonio Damasio, Allan Hobson, Lewis Judd, Larry Squire, Daniel Brown, Clifford Saron, Sharon Salzberg, Lee Yearly, Jerome Engel, Jayne Gackenbach, Joyce McDougall, Charles Taylor, Joan Halifax, Nancy Eisenberg, Robert Frank, Elliott Sober, Ervin Staub, David Finkelstein (†), George Greenstein, Piet Hut, Tu Weiming, Anton Zeilinger, Owen Flanagan, Mark Greenberg, Jeanne Tsai, Ajan Maha Somchai Kusalacitto, Michael Merzenich, Steven Chu, Ursula Goodenough, Eric Lander, Michel Bitbol, Phillip Sharp, Jonathan Cohen, John Duncan, David Meyer, Anne Treisman, Ajahn Amaro, Daniel Gilbert, Daniel Kahneman, Dacher Keltner, Georges Dreyfus, Stephen Kosslyn, Marlene Behrmann, Daniel Reisberg, Elaine Scarry, Jerome Kagan, Antoine Lutz, Gregory Simpson, Margaret Kemeny, Sogyal Rinpoche, Tsoknyi Rinpoche, Mingyur Rinpoche und Rabjam Rinpoche.
Das Persönliche Büro und die tibetischen Unterstützer
Dank und Anerkennung gehen an Tenzin Geyche Tethong, Tenzin N. Taklha, den Ehrwürdigen Lhakdor und die übrigen wunderbaren Menschen im Persönlichen Büro Seiner Heiligkeit, des Dalai Lama. Dankbar sind wir Rinchen Dharlo, Dawa Tsering und Nawang Rapgyal vom Tibet-Büro in New York City sowie Lodi Gyari Rinpoche von der International Campaign for Tibet für ihre jahrelange Hilfe. Besonderer Dank geht an Tenzin Choegypal, Ngari Rinpoche, Vorstandmitglied, wunderbarer Führer und wahrer Freund.
Weitere Unterstützer
Unser Dank geht an Kashmir Cottage, Chonor House, Pema Thang Guesthouse und Glenmoor Cottage in Indien, Maazda Travel in den Vereinigten Staaten und Middle Path Travel in Indien, Elaine Jackson, Zara Houshmand, Alan Kelly, Peter Jepson, Pat Rockland, Thupten Chodron, Laurel Chiten, Billie Jo Joy, Nancy Mayer, Patricia Rockwell, George Rosenfeld, Andy Neddermeyer, Kirsten Glover, Maclen Marvit, Wendy Miller, Sandra Berman, Will Shattuck, Franz Reichle, Marcel Hoehn, Geshe Sopa sowie die Mönche und Nonnen im Deer Park Buddhist Center, Dwight Kiyono, Eric Janish, Brenden Clarke, Jaclyn Wensink, Josh Dobson, Matt McNeil, Penny und Zorba Paster, Jeffrey Davis, Magnetic Image, Sincerely Yours, Health Emotions Research Institute – University of Wisconsin; die Mind/Brain/Behavior Interfaculty Initiative an der Harvard University, Karen Barkow, John Dowling, Catherine Whalen, Sara Roscoe, David Mayer, Jennifer Shepard, Sydney Prince, Metta McGarvey, Ken Kaiser, Gus Cervini, Marie Seamon, T&C Film, Shambhala Publications, Wisdom Publications, Oxford University Press, Bantam Books und Snow Lion Publications.
Dolmetscher
Zu guter Letzt geht unser ganz besonderer Dank an unsere langjährigen Dolmetscher: Geshe Thupten Jinpa, der bei jeder Tagung übersetzt hat; B. Alan Wallace, der mit einer Ausnahme bei jeder Tagung dabei war; und Jose Cabezon, der 1995 für Alan einsprang, als dieser sich auf einem Retreat befand. Wie Sie sich vorstellen können, ist die Begründung eines Dialogs und einer Zusammenarbeit zwischen tibetischen Buddhisten und westlichen Wissenschaftlern undenkbar ohne ausgezeichnete Übersetzungen und Dolmetscherdienste. Diese Freunde sind, im wahrsten Sinne des Wortes, die besten der Welt.
DIE TEILNEHMER
TENZIN GYATSO, SEINE HEILIGKEIT, DER VIERZEHNTE DALAI LAMA, ist das Oberhaupt des tibetischen Buddhismus – sowie, bis zu seinem Rücktritt 2011, der tibetischen Staatsregierung im Exil – und ein weltweit verehrter spiritueller Führer. Er wurde am 6. Juli 1935 in dem kleinen Dorf Taktser im Nordosten Tibets in eine bäuerliche Familie hineingeboren. Im Alter von zwei Jahren wurde er nach tibetischer Tradition als die Reinkarnation seines Vorgängers, des Dreizehnten Dalai Lama, erkannt. Die Dalai Lamas gelten als Manifestationen des Buddhas des Mitgefühls, der freiwillig reinkarniert, um der Menschheit zu dienen. Der Träger des Friedensnobelpreises von 1989 ist weltweit als Fürsprecher einer mitfühlenden und friedlichen Lösung menschlicher Konflikte geachtet. Auf seinen ausgedehnten Reisen hält er Vorträge über Themen wie universelle Verantwortung, Liebe, Mitgefühl und Güte. Weniger bekannt ist sein starkes persönliches Interesse an der Wissenschaft und ihren Konsequenzen. Einst sagte er, wäre er kein Mönch, wäre er gerne Ingenieur geworden. In seiner Jugend in Lhasa rief man ihn, wenn im Potala-Palast irgendwelche Gerätschaften kaputtgingen, sei es eine Uhr oder ein Auto. Er hat ein lebhaftes Interesse an den neuesten Entwicklungen in den Naturwissenschaften und bringt sowohl eine Stimme für die humanistischen Folgen ihrer Erkenntnisse als auch ein hohes Maß an intuitiver methodischer Differenziertheit ein.
DAVID RITZ FINKELSTEIN lehrte und forschte zum Zeitpunkt der Gespräche in diesem Buch als Physiker am Georgia Institute of Technology. Von 1977 bis 2005 gab er das International Journal of Theoretical Physics heraus. Als er, noch am College, erfuhr, dass die Quantenphysik die Logik physikalischer Systeme revidiert, begann er mit der Arbeit an einer Erweiterung der Quantenlogik auf noch tiefere Ebenen der Physik. Nebenprodukte seines Hauptinteresses waren Beiträge zu frühen Arbeiten an der Topologie des Gravitationsfeldes, zum Konzept des schwarzen Lochs, zur Eichfeldtheorie der elektroschwachen Wechselwirkung und zur Quantentheorie. Er hat die Kopenhagener Erkenntnistheorie zu einer relativistischen Philosophie ausgearbeitet, die er praktisch nennt und die auf Prozessen statt auf Zuständen beruht. Zuletzt erforschte er die Folgen einer atomaren Prozess-Hypothese, wonach alle physikalischen Prozesse aus endlich vielen unteilbaren elementaren Prozessen bestehen; siehe sein Buch Quantum Relativity (Springer 1966).
GEORGE GREENSTEIN ist Sidney Dillon Professor (em.) für Astronomie am Amherst College. Seinen Bachelor of Science legte er in Harvard ab, promoviert hat er an der Universität Yale, beide Male in Physik. Zunächst drehten sich seine Interessen um die Forschung in der theoretischen Astrophysik, später verschob sich sein Schwerpunkt zum Schreiben. Er ist Autor zahlreicher Bücher, die Wissenschaft für Nichtwissenschaftler verständlich machen. Sein erstes Buch Frozen Star (1983; deutsch: Der gefrorene Stern, 1985) trug ihm zwei Preise für wissenschaftliches Schreiben ein. Außerdem ist er der Verfasser von The Symbiotic Universe: Life and Mind in the Cosmos (1988; deutsch: Die zweite Sonne: Quantenmechanik, rote Riesen und die Gesetze des Kosmos, 1991) und Portraits of Discovery. Profiles in Scientific Genius. In Zusammenarbeit mit Arthur Zajonc ist er Verfasser eines Fachbuchs mit dem Titel The Quantum Challenge: Modern Research on the Foundations of Quantum Mechanics (1977) über die Deutungsprobleme, vor die uns die Quantenmechanik stellt.
PIET HUT ist Professor für Astrophysik und interdisziplinäre Studien am Institute for Advanced Study in Princeton, wo er seit 1985 lehrt. Promoviert hat er an der Universität Amsterdam in Holland. Er war an einem Tokioter Projekt zur Entwicklung eines Hochleistungsrechners für stellardynamische Simulationen beteiligt, der über eine Geschwindigkeit von einem Petaflop verfügte. Berühmt ist er für seine Entwicklung des Barnes-Hut-Algorithmus zur effizienten Berechnung von Entfernungen und Dynamik zwischen Teilchen in einem Vielkörperproblem. Neben seiner Tätigkeit in der theoretischen Astrophysik hat ein Großteil seiner Forschung breiten interdisziplinären Charakter: Er ist Koautor von Artikeln, die in Zusammenarbeit mit Informatikern, Teilchenphysikern, Geologen, Paläontologen, Psychologen und Philosophen entstanden sind. In jüngerer Zeit hat er eine Workshop-Reihe zur Erforschung des Charakters intrinsischer Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis organisiert. Dabei konzentriert er sich auf drei wesentliche Fragen: Inwieweit können Grenzen als von der Struktur menschlichen Wissens diktiert gelten? Inwieweit sind Grenzen in der Struktur der Natur selbst vorgegeben? Und inwieweit sind Grenzen jedem Versuch inhärent, die Wirklichkeit in ein Modell zu fassen? Seit 1996 ist Piet Hut Präsident des Kira Institute, das die Beziehung zwischen Wissenschaft, Ethik und Ästhetik aus nicht-reduktionistischer Sicht erforscht.
THUPTEN JINPA wurde 1958 in Tibet geboren. Nach einer klösterlichen Ausbildung in Südindien erwarb er am Shartse College der Ganden Monastic University den akademischen Grad eines Geshe lharam und lehrte dort fünf Jahre lang buddhistische Philosophie. Außerdem ist er B.A. (mit Auszeichnung) in westlicher Philosophie und Doktor der Religionswissenschaften, beides erworben an der Universität Cambridge. Seit 1985 ist er leitender Übersetzer Seiner Heiligkeit, des Dalai Lama, für die englische Sprache; mehrere Bücher des Dalai Lama hat er übersetzt und herausgegeben, darunter The Good Heart: A Buddhist Perspective on the Teachings of Jesus (1996; deutsch: Das Herz aller Religionen ist eins: die Lehre Jesu aus buddhistischer Sicht, 1997) und Ethics for the New Millenium (1999; deutsch: Das Buch der Menschlichkeit: eine neue Ethik für unsere Zeit, 2002). Zu seinen neueren Werken gehören (mit Jaś Elsner) Songs of Spiritual Experience (2000), die Einträge über tibetische Philosophie in der Encyclopedia of Asian Philosophy (2001) sowie Self, Reality and Reason in Tibetan Philosophy: Tsongkhapa‘s Quest for the Middle Way (2002); in deutscher Übersetzung ist erschienen: Mitgefühl: Offen und empathisch sich selbst und dem Leben neu begegnen (2016). Von 1996 bis 1999 war er Margaret Smith Research Fellow für Östliche Religion am Girton College der Universität Cambridge. Heute ist er Präsident des Institute of Tibetan Classics, das sich der Übersetzung der wichtigsten tibetischen Klassiker in moderne Sprachen widmet. Er lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Montreal, Kanada.
B. ALAN WALLACE durchlief eine langjährige Ausbildung in buddhistischen Klöstern in Indien und der Schweiz und lehrt seit 1976 in Europa und Amerika buddhistische Theorie und Praxis. Er war der Dolmetscher zahlreicher tibetischer Gelehrter und Kontemplativer, auch Seiner Heiligkeit, des Dalai Lama. Nach einer Promotion summa cum laude am Amherst College, wo er Physik und Wissenschaftsphilosophie studiert hatte, promovierte er an der Stanford University in Religionswissenschaften. Er war Gastprofessor an der University of California in Santa Barbara und ist Herausgeber, Übersetzer und Autor von sowie Mitwirkender an über dreißig Büchern über tibetischen Buddhismus, tibetische Medizin, Sprache und Kultur sowie die Beziehung zwischen Wissenschaft und Religion. Zu seinen veröffentlichten Werken gehören: Tibetan Buddhism from the Ground Up (1993), Choosing Reality: A Buddhist View of Physics and the Mind (1996), The Bridge of Quiescence: Experiencing Buddhist Meditation (1998) und The Taboo of Subjectivity: Toward a New Science of Consciousness (2000). Seine Anthologie verschiedener Artikel trägt den Titel Buddhism and Science: Breaking New Ground. Auf Deutsch erschienen ist unter anderem sein Werk Hidden Dimensions: The Unification of Physics and Consciousness (2009) unter dem Titel Physik und Bewusstsein: Ein Ansatz zur subjektiven Erkenntnis der Wirklichkeit (2018).
TU WEIMING, bis 2008 Leiter des Harvard-Yenching Institute, wurde im Februar 1940 im chinesischen Kunming geboren. Seinen Abschluss in Sinologie erwarb er an der Universität Tunghai in Taiwan. 1963 erlangte er an der Universität Harvard seinen M.A. in Religionswissenschaften, 1968 promovierte er, ebenfalls in Harvard, in Geschichte und ostasiatischen Sprachen. Er hat an der Universität Princeton und an der University of California in Berkeley gelehrt und war von 1981 bis zur Drucklegung dieses Buches Professor für chinesische Geschichte an der Universität Harvard. Tu Weiming ist in vielen öffentlichen Organisationen tätig und Mitglied des religionswissenschaftlichen Komitees in Harvard, Vorsitzender des Beirats der Academia Sinica am Institut für chinesische Literatur und Philosophie sowie Mitglied des regelmäßig im Schweizerischen Davos tagenden Weltwirtschaftsforums. Er ist Mitglied der von UN-Generalsekretär Kofi Anan einberufenen Group of Eminent Persons on the Dialogue among Civilizations, die am interkulturellen Dialog arbeitet, Mitglied der American Academy of Arts and Sciences und Vorstandsmitglied des Chinese Heritage Center in Singapur. 1999 wurde ihm der Titel eines Harvard-Yenching-Professors für chinesische Philosophie und Geschichte sowie Konfuzianismus-Forschung verliehen. 2000 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Universität Lehigh verliehen und 2001 erhielt er den Ninth International T’ogeye Studies Award des T’ogeye Studies Institute in Seoul, Südkorea. Er ist Autor oder Herausgeber von neunzehn Büchern auf Englisch, dreizehn Büchern auf Chinesisch sowie weit über hundert Artikeln und Buchbeiträgen.
ARTHUR ZAJONC ist emeritierter Physik-Professor am Amherst College, wo er von 1978 bis 2012 lehrte. Seinen akademischen Abschluss in Physik erwarb er an der University of Michigan, wo er auch promovierte. Er war Gastprofessor und Forscher an der Ecole Normale Supérieure in Paris, am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München sowie an den Universitäten Rochester und Hannover. Er war Fulbright-Professor an der Universität Salzburg in Österreich. Als Postdoktorand am Joint Institute for Laboratory Astrophysics forschte er über die Physik der Elektron-Atom-Kollision und Strahlungstransfer in dichten Dämpfen. Er forschte unter anderem über Paritätsverletzung in Atomen, die experimentellen Grundlagen der Quantenphysik sowie die Beziehung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften. Zajonc hat umfangreich über Goethes Wissenschaft publiziert. Er ist Autor von Catching the Light: The Entwined History of Light and Mind (1995; deutsch: Die Lichtfänger: die gemeinsame Geschichte von Licht und Bewusstsein 1994 und 2008), Koautor von The Quantum Challenge: Modern Research on the Foundations of Quantum Mechanics (1997) und Mitherausgeber von Goethe’s Way of Science: A Phenomenology of Nature (1998). Er ist Gründungsmitglied des Kira Institute, das die Beziehung zwischen Naturwissenschaft, Werten und Spiritualität erforscht. Zajonc ist Berater des Fetzer Institute sowie Präsident der Anthroposophischen Gesellschaft in Amerika und der Lindisfarne Association.
ANTON ZEILINGER erwarb alle seine akademischen Abschlüsse an der Universität Wien. Von 1990 bis 1999 war er Vorstand des Instituts für Experimentalphysik an der Universität Innsbruck. Seither ist er Professor an der Universität Wien und Vorstand des Instituts für Experimentalphysik. Er war Gastprofessor am Collège de France in Paris und am Merton College der Oxford University. Von 1996 bis 1998 war er Präsident der Österreichischen Physikalischen Gesellschaft; er ist Mitglied sowie seit 2013 Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Für seine Arbeit in der Physik wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter dem European Optics Prize (1996), dem Alexander von Humboldt Forschungspreis (2000) und dem Preis der Stadt Wien für Naturwissenschaften (2000). Er ist Träger der ersten Isaac-Newton-Medaille (2008) und des Wolf-Preises für Physik (2010, gemeinsam mit Alain Aspect und John Clauser). Sein Forschungsinteresse gilt den Grundlagen der Quantenphysik. Seine Forschungsgruppe will die neuartigen kontraintuitiven Quantenphänomene experimentell nachweisen. Diese Tätigkeit geht einher mit theoretischen Untersuchungen zur Struktur der Quantenmechanik sowie erkenntnistheoretischen Überlegungen darüber, welche Aussagen über die Welt in Anbetracht der Quantenphysik möglich sind. Seine Experimente zur Quanten-Teleportation haben weltweit Aufmerksamkeit erregt.
PHYSIK UND UNENDLICHKEIT
AUFTAKT
Am Morgen nach unserer Ankunft im indischen Dharamsala, der Heimat vieler Tibeter im Exil, ging ich zu Fuß über schmale, ausgefahrene Wege, bis ich zum tibetischen SOS-Kinderdorf gelangte. Das Kinderdorf schmiegt sich an die Ausläufer des Himalaya, und seine Waisenhäuser und Schulen bilden eine eigene kleine Welt mit 2.500 Kindern, Lehrern und Kinderdorfeltern, deren Ziel es ist, ihre uralte Kultur zu bewahren und sich zugleich der modernen Gesellschaft einzugliedern. Ganz in der Nähe liegen Residenz und Kloster Seiner Heiligkeit, des Vierzehnten Dalai Lama. In der darauffolgenden Woche – vom 27. bis 31. Oktober 1997 – sollten fünf weitere Wissenschaftler und ich uns mit ihm über unsere gemeinsamen Interessen unterhalten: buddhistische Philosophie und moderne Physik.
Im Kinderdorf wurde in einem Freiluft-Pavillon, der uns nur wenig Schutz vor den kalten Oktobernebeln bot, eine klassische tibetische Oper aufgeführt. Prächtig kostümierte Sänger und Tänzer agierten in einer Form, die wie eine merkwürdige Mischung aus uraltem Märchen und klassischem asiatischen Theater wirkte – gewürzt mit einer Prise Slapstick, die das Publikum ausnahmslos zum Schmunzeln und zum Lachen brachte. Ziemlich unvermittelt wurde eine Unterbrechung der Aufführung angekündigt, und ein Flüstern ging durch die Reihen. Aus den nahen Häusern kamen weitere Zuschauer und mischten sich unters Publikum. In Gesellschaft nur weniger Mönche, die hilflos versuchten, ihn vor dem Nieselregen zu schützen, schritt der Dalai Lama die lange Treppe herunter, verbeugte sich vor allen in seiner Umgebung und ergriff mit beiden Händen die Hände, die sich ihm entgegenstreckten. Dabei erstrahlte in seinem Gesicht das ansteckende Lächeln, das man auf der ganzen Welt kennt. Die komplette kommende Woche würde er mit uns über Quantenphysik und Kosmologie diskutieren, doch heute Morgen war er hier im Kinderdorf und schenkte allen ermutigende Worte und seinen Segen.
Fünf Tage später, nach dem Abschluss unseres Treffens mit dem Dalai Lama, standen wir alle – Naturwissenschaftler, Philosophen, Mönche und Freunde – auf dem Balkon des kleinen Klosters, das zum Anwesen des Dalai Lama gehört. Wieder war der Himmel grau und regnerisch. Während wir sprachen, hellte sich der Himmel auf, und ein großer, herrlicher Regenbogen spannte sich zwischen den Bergen und uns.
Diese beiden Ereignisse – eine tibetische Oper und der Regenbogen – hielten wie Buchstützen eine bemerkenswerte Reihe von Gesprächen zusammen, die meine Kollegen und ich mit dem Dalai Lama über die neue Physik und Kosmologie führen durften. Das vorliegende Buch ist das Protokoll dieser Gespräche.
Die neue Physik und Kosmologie des 20. Jahrhunderts stecken voller Erkenntnisse über unser Universum, die praktisch alle klassischen wissenschaftlichen Vorstellungen, die wir aus dem 19. Jahrhundert übernommen haben, infrage stellen. Wissenschaftliche Titanen wie Galilei und Newton, Kopernikus und Kepler, Faraday und Maxwell hatten diese Sicht der Dinge gestaltet. Ihre Forschungsmethoden und ihr Verständnis des Universums unterschieden sich grundlegend von denen mittelalterlicher und antiker Naturphilosophen. Die neue Wissenschaft basierte auf Experiment, systematischer Beobachtung und theoretischen Modellen ganz neuen Typs. Der Erfolg einer Wissenschaft ihres Stils war verblüffend, und zwar sowohl gemessen an ihrer Vorhersagefähigkeit als auch an ihren technischen Anwendungsformen. Newtons Dynamiktheorie wurde auf die komplizierten Himmelsphänomene angewandt und erklärte die Bewegungen der Planeten und Sterne nach denselben Gesetzen, die auch die Bewegung auf der Erde regelten – was die antiken griechischen Philosophen noch für unmöglich gehalten hatten. Die Optik wurde mit der neuen Wissenschaft des Elektromagnetismus verknüpft – was eine profunde feldtheoretische Sicht der elektrischen und magnetischen Kräfte und analog dazu sogar der Schwerkraft ermöglichte. So groß war der Erfolg der Physik, dass am Ende des 19. Jahrhunderts unter anderem Lord Kelvin verkündete, das Universum sei in seiner Gänze ergründet, übrig blieben nur noch die uninteressanten Einzelheiten. Doch er war so klug, zwei „Wolken“ am Horizont zu erkennen, die nicht ganz zu seiner optimistischen Ansicht passten: Michelsons und Morleys gescheiterte Suche nach dem Äther und die Unmöglichkeit, theoretisch vorherzusagen, welches Lichtspektrum Materie bei hohen Temperaturen abgibt. Aus der ersten Wolke entstand die Relativität, aus der zweiten die Quantenmechanik. Lord Kelvin war vorausschauend, wenn auch arrogant.
Im Laufe der dreihundert Jahre bis zur endgültigen Etablierung der klassischen Physik und Kosmologie griff der mechanistische und materialistische Charakter der physikalischen Theorie allmählich auch außerhalb dieser Gebiete auf das westliche Denken über. Durch Denker wie Descartes, Kant und Locke geriet die Philosophie zunehmend unter den mächtigen Einfluss der Naturwissenschaft. Die nach vergleichbarer Präzision strebenden Biowissenschaften suchten sich einen ähnlichen Entwicklungsweg wie die Physik. Genetik, Evolution und Zellbiologie verdrängten die Naturgeschichte und eine Biologie, die den gesamten Organismus in den Blick nahm. Selbst der Verstand, traditionell als Ausdruck des Geistes begriffen, wurde nach und nach Bestandteil des mechanistischen Universums. Bis zum Anbruch des 20. Jahrhunderts hatte die Physik des 17. Jahrhunderts erfolgreich die umliegenden Wissenschaftsgebiete erobert und griff allmählich auch auf das Gebiet der Geisteswissenschaften über. Schließlich dominierten ein einziges mechanistisches Weltbild und eine damit verbundene materialistische Metaphysik das westliche Denken.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellten Quantenmechanik und Relativitätstheorie nie dagewesene Anforderungen an unsere Vorstellung vom Universum. Wir haben immer noch damit zu kämpfen, ihre Konsequenzen vollständig zu begreifen. Relativität und Quantenmechanik stellen die simple, mechanistische Darstellung der Materie und des Kosmos, die wir aus früheren Jahrhunderten übernommen haben, infrage und ersetzen sie durch Darstellungen, die solche Bilder scheuen. Darüber hinaus verleihen sowohl die Quanten- als auch die Relativitätstheorie dem Beobachter neue Bedeutung. Die Signifikanz dieser Entwicklungen ist kaum zu überschätzen, und die Folgen, die die Entdeckungen des 20. Jahrhunderts für Physik und Kosmologie haben, sind enorm – wandeln sie doch unser Verständnis von Raum und Zeit, von der letztendlichen Natur der Materie und von der Evolution des Universums. Auch auf den philosophischen Diskurs haben sie sich bereits erheblich ausgewirkt.
Während also die philosophischen Konsequenzen der neuen Physik im Westen immer noch geklärt werden, welch besseres Thema könnte es da geben, um mit dem führenden Vertreter des Buddhismus darüber zu diskutieren? Als spirituelles Oberhaupt des tibetischen Volkes ist der Dalai Lama in den Feinheiten tibetisch-buddhistischer Philosophie, Erkenntnistheorie und Metaphysik bestens bewandert. Wir waren alle sehr gespannt darauf, ihm die konzeptuelle Revolution, die die moderne Physik angestoßen hat, darzulegen und ihre philosophischen Folgen mit ihm zu diskutieren. Der Buddhismus hat zwar wenig Erfahrung mit den jeweiligen Theorien moderner Wissenschaft, doch er erforscht schon seit Langem die grundlegende Natur der Substanz und das Wesen des Geistes; er hat tief nachgedacht über Erfahrung, Schlussfolgerung, Kausalität und die eigentliche Rolle von Konzepten und Theorien in unserem Denken. Sogar die lange Geschichte des physischen Universums war Gegenstand buddhistischer Reflexion, was zu bemerkenswerten Ansichten geführt hat, die denen heutiger Kosmologen nicht unähnlich sind.
In diesen Dialogen haben die Leserinnen und Leser die seltene Gelegenheit, zusammen mit einem der tiefsinnigsten philosophischen Denker ganz Asiens etwas über die neue Physik und Kosmologie zu erfahren. Schnell entdeckten wir, dass der Dalai Lama zwar nicht über eine formelle physikalische Bildung verfügt, aber ein brillanter Schüler war, der oft bereits vorhersah, was wir als Nächstes sagen wollten und bohrende Fragen stellte. Jeden Morgen unterrichtete einer der Wissenschaftler – drei Physiker und zwei Astrophysiker – den Dalai Lama über die neuesten wissenschaftlichen Entdeckungen auf den Gebieten Quantenmechanik, Relativität und moderne Kosmologie, unterbrochen vom ständigen Strom seiner Nachfragen. Nachmittags waren unsere Gespräche freier strukturiert; Gegenstand waren die bemerkenswerten Konsequenzen des morgendlichen Themas. Bei diesem Austausch waren uns die Beiträge des Harvard-Philosophen und Professors für asiatische Geschichte Tu Weiming eine große Hilfe; seine Kenntnisse der östlichen wie der westlichen Philosophie eröffneten umfassende und erhellende Einsichten.
In den fünf Tagen unseres Zusammenseins wurde der Dialog immer wieder sehr intensiv, da wir alle versuchten, die paradoxen Besonderheiten der neuen Physik und Kosmologie besser zu verstehen. Der Dalai Lama beteiligte sich völlig gleichberechtigt an unseren Gesprächen. Am Ende unserer gemeinsamen Zeit ging der österreichische Physiker Anton Zeilinger sogar so weit, vom Dalai Lama anerkennend als echtem wissenschaftlichen Mitarbeiter zu sprechen und ihn in sein Labor in Innsbruck einzuladen. Im Juni 1998 hatten Anton Zeilinger und ich die Freude eines dreitägigen Besuchs Seiner Heiligkeit in Innsbruck, wo Zeilinger ihm die Experimente zeigen konnte, die die erstaunlichen Schlussfolgerungen der Quantentheorie stützen, und wo wir unsere eingehenden Gespräche über die Grundlagen der Quantenmechanik fortsetzen konnten. Die Innsbrucker Gespräche müssen jedoch bis zu einem nächsten Buch warten.
Der Dalai Lama war nicht nur bis 2011 das weltliche Oberhaupt Tibets im Exil, sondern er ist auch das Oberhaupt des Tibetischen Buddhismus. Mit Recht kann man fragen, auf welcher vernünftigen intellektuellen Grundlage Naturwissenschaftler einen Dialog mit Religionsführern führen können. Schließlich zeichnen sich Religionen durch den Glauben an bestimmte Lehren aus, wohingegen die Wissenschaft versucht, durch sorgfältige Beobachtung, Experiment und Vernunft Naturgesetze zu entdecken. In den Eröffnungsworten, die der Dalai Lama an uns richtete, wurde jedoch deutlich, dass eine tiefe Verpflichtung zu sorgfältiger Untersuchung und valider Erkenntnis auch im Zentrum buddhistischer Philosophie steht.
DALAI LAMA: Im Buddhismus im Allgemeinen und insbesondere im Mahayana-Buddhismus gilt die Grundhaltung, dass man am Anfang skeptisch bleiben sollte. Sogar die Worte des Buddha besagen ausdrücklich, dass es besser ist, skeptisch zu bleiben. Aus dieser skeptischen Haltung heraus ergeben sich Fragen ganz von selbst. Fragen führen zu klareren Antworten oder weiteren Untersuchungen. Daher verlässt sich das Denken im Mahayana-Buddhismus stärker auf Untersuchungen als auf den Glauben. Ich empfinde diese Haltung in der Kommunikation mit Wissenschaftlern als sehr, sehr hilfreich.
Im buddhistischen ethischen Diskurs heißt es oft, falsche Sichtweisen führten zu einem negativen Bewusstseinszustand. Es gibt zwei Arten von falschen Sichtweisen: Die eine übertreibt das tatsächlich Vorhandene und weist einer Sache eine Eigenschaft ihrer Existenz oder einen Status zu, die oder der gar nicht vorhanden ist. Die andere bestreitet das tatsächlich Vorhandene. Sowohl Absolutismus als auch Nihilismus gelten als falsche Ansichten. Selbst im ethischen Diskurs wird daher großer Wert auf ein korrektes Wirklichkeitsverständnis gelegt. Deshalb sind wissenschaftliche Erkenntnisse für buddhistisches Denken sehr hilfreich.
Wie ich aufgrund früherer Erfahrungen feststellen konnte, ermöglichen auch einige buddhistische Ansichten Wissenschaftlern eine neue Sicht der Dinge. Manche Wissenschaftler sind mit Interesse oder Eifer dabei, wenn sie mehr über buddhistische Erklärungen auf ihrem jeweiligen Gebiet erfahren können. Deshalb empfinde ich meine Treffen mit Wissenschaftlern als sehr nützlich und produktiv. Da der Wissenschaft als Disziplin und dem Buddhismus als Denksystem eine grundlegende Verpflichtung zu Offenheit und anfänglicher Skepsis gemeinsam ist, ist es wichtig, dass alle Teilnehmer verstehen, dass in unseren Gesprächen völlige Offenheit und ein freier Austausch von Ideen ohne vorgegebene Regeln herrschen sollte.
Mit diesen Bemerkungen als Leitlinie unseres Gesprächs konnten wir loslegen. Kein Thema war tabu. Beide Seiten konnten harte Fragen stellen. Bei allen Differenzen zwischen westlicher Wissenschaft und buddhistischer Philosophie demonstrierte der Dalai Lama wiederholt seine Selbstverpflichtung zu sorgfältiger analytischer Überlegung und zur ausschlaggebenden Rolle der Erfahrung. Wir hatten uns alle demselben Ziel verschrieben: Die Wahrheit zu finden. Im Buddhismus wird Unwissenheit als die eigentliche Ursache des Leidens verstanden, weil eine irrige Sicht der Welt oder seiner selbst unweigerlich zu Anhaftungen und destruktiven Gefühlen führt. Wahrheit ist daher wesentlich für das Ziel eines Buddhisten: Die Verminderung des Leidens. Auch die Naturwissenschaften streben nach der Wahrheit, nicht nur als Selbstzweck, sondern auch, um mithilfe der ethischen Anwendung von Technik Krankheit und Leiden zu lindern. Durch die Zusammenführung der größten Errungenschaften westlicher Wissenschaft mit den ausgereiftesten Gedanken und philosophischen Erkenntnissen aus Tibet hofften wir, etwas Licht in die heikelsten Probleme der modernen Physik bringen zu können, die sich unserem Verständnis bisher entzogen haben. Wir erwarteten keine endgültigen Lösungen, sondern vielmehr neue Ansätze für alte Probleme. Gleich zu Beginn unserer Diskussionen sprach Tu Weiming die Hoffnungen der Anwesenden direkt an:
Viele große Errungenschaften der modernen westlichen Wissenschaft sind durch die neuen Entwicklungen in der Physik hoch problematisch geworden. Wir befinden uns an einem Punkt, an dem Wissen aus wesentlich breiter gefassten gemeinsamen Bemühungen erwachsen muss. An diesen gemeinsamen Bemühungen können unterschiedliche Disziplinen und Traditionen beteiligt sein, aber immer mit einer Präzision, wie sie die Naturwissenschaft entwickelt hat.
Um den Tisch in Dharamsala war eine Vielzahl von Disziplinen und Traditionen versammelt, genau wie Tu Weiming es sich vorgestellt hatte.
Anton Zeilinger von der Universität Innsbruck, wo er eine renommierte Experimentalgruppe leitet, die die Grundlagen der Quantenmechanik erforscht, war da. Als Fulbright-Professor in Innsbruck habe ich die einzigartige Mischung aus Spitzenforschungsexperimenten und feinsinnigen philosophischen Diskussionen, die diese Gruppe auszeichnet, sehr geschätzt. Zeilinger wurde für seine physikalische Forschung mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet. Seine Tätigkeit umfasst drei verwandte Gebiete an den Grundlagen der Quantenphysik: Neutronen-Interferometrie, Atom-Interferometrie (einschließlich des C60-Moleküls) und Photonenforschung. Seine Gruppe war die erste, die den Quantenzustand eines Photons teleportiert sowie Theorie und Experimente für neue Tests der Quanten-Nichtlokalität entwickelt hat; die Mitglieder arbeiten auf dem neuen Gebiet der Quanteninformationsverarbeitung, aus der Quantencomputer und Quantenkryptographie hervorgegangen sind. Inzwischen setzt Anton Zeilinger seine Forschung an der Universität Wien als Professor für experimentelle Physik fort. Am ersten Tag eröffnete er unsere Sitzung mit einer Einführung in die grundlegenden Fragen, die sich aufgrund der Quantenexperimente stellen.
David Finkelstein vom Georgia Institute of Technology brachte in die Beratungen seine bemerkenswerte Expertise über Relativität, Quantentheorie und Quantenlogik ein. Fünfundzwanzig Jahre war er Herausgeber des International Journal of Theoretical Physics, er ist Autor vieler wichtiger theoretischer Artikel und des Buches Quantum Relativity: Synthesis of the Ideas of Einstein and Heisenberg. Mit David saß also ein weithin geachteter Theoretiker am Tisch. Sein Sinn für Ironie und Präzision kam gut an, insbesondere da das Gebiet, das er am zweiten Tag vorstellte, das schwierigste unserer ganzen Woche war. (David Finkelstein ist am 24. Januar 2016 verstorben, Anm. d. Ü.)
Als wissenschaftlichem Organisator des Treffens fiel mir die doppelte Aufgabe zu, einen Vortrag zu halten und den Dialog zu moderieren. Mein eigener Hintergrund liegt in der experimentellen atomaren und optischen Physik, zunächst als Postdoktorand am Joint Institute for Laboratory Astrophysics und später am Amherst College. Seit 1980 interessierte ich mich zunehmend für die Rolle des Experiments zum Nachweis der konzeptuellen Rätsel der Quantenmechanik. Anfang der 1980er Jahre waren auf diesem Gebiet nur eine Handvoll Experimentatoren tätig, aber seither ist es enorm gewachsen, und heute führen zahlreiche Gruppen auf der ganzen Welt Experimente durch. In meiner Zeit an der Ecole Normale Supérieure habe ich mich mit den Feinheiten der Messung mit dem sogenannten Quantenradierer befasst. Außerdem habe ich an einem Experiment am Max-Planck-Institut für Quantenoptik bei München mitgewirkt, bei dem John Archibald Wheelers berühmtes Delayed-Choice-Experiment zur Anwendung kam. Parallel zu meiner Arbeit in der Physik habe ich kontinuierlich eine zweite Forschungslinie über die historischen und philosophischen Dimensionen der Physik verfolgt, einschließlich der Beziehung der Naturwissenschaft zu unseren ethischen und spirituellen Fragen. Sie kulminierte in meinem Buch Die Lichtfänger: die gemeinsame Geschichte von Licht und Bewusstsein. Obwohl selbst nicht Buddhist, habe ich doch die Sorgfalt und Tiefe des philosophischen Systems und die auf Kontemplation basierende „innere Wissenschaft“ des Buddhismus schätzen gelernt und freute mich daher auf die Gelegenheit, Physik im umfassenderen Kontext buddhistischer Philosophie zu diskutieren.
An den letzten beiden Tagen sollten uns die Astrophysiker George Greenstein vom Amherst College und Piet Hut vom Princeton Institute for Advanced Study in das neueste Denken und die anhaltenden Debatten in der Kosmologie einführen. Bis zu seiner Emeritierung waren George und ich in Amherst, wo er als Lehrer, Autor und Forscher hoch angesehen war, viele Jahre Kollegen. Nach seinen Abschlüssen an den Universitäten Yale und Stanford konzentrierte Greenstein seine Forschung auf Neutronensterne, Pulsare und den Urknall, doch seine wahre Liebe gehörte der Lehre im Seminar-Stil, und auf diesem Gebiet ist er in der Astrophysik führend. Sein Buch Der gefrorene Stern über schwarze Löcher, Neutronensterne und andere exotische astronomische Objekte erhielt wichtige Preise für wissenschaftliches Schreiben. Nichtspezialisten das Universum zu erklären, ist Georges Spezialität, und genau das würden wir brauchen, wenn wir dem Dalai Lama die Idee der gekrümmten Raumzeit in der allgemeinen Relativitätstheorie und die frühe Inflation des Universums verständlich machen wollten.
Piet Hut steht in dem einzigartigen Ruf eines Professors sowohl für Astrophysik als auch für interdisziplinäre Studien am Institute for Advanced Study in Princeton, einer der angesehensten Forschungseinrichtungen in Amerika. Durch seine bahnbrechende Arbeit über kosmologische Neutrinos sowie sein Modell der Dynamik der Millionen Sterne, die Kugelsternhaufen bilden, hob sich Piet Hut früh von anderen ab. Für die Simulation der Kollision von Galaxien entwickelten Hut und seine Kollegen den damals schnellsten Hochleistungsrechner der Welt. In den letzten Jahren hat Piet seine Forschung und seine Publikationen zusehends erweitert, sodass sie nun auch Philosophie umfassen, beeinflusst insbesondere vom phänomenologischen Ansatz Edmund Husserls. Am letzten Tag unserer gemeinsamen Zeit legte Piet Hut beide Aspekte seiner Arbeit auf den Tisch: Kosmologie und Philosophie. Nach seiner Erläuterung der Sternentwicklung suchte er eine Möglichkeit, die Wertedimension der Erfahrung in unsere wissenschaftliche Darstellung der Wirklichkeit einzubringen. Auf diese Weise mussten wir uns ganz direkt mit der komplexen Beziehung zwischen Religion und Wissenschaft auseinandersetzen.
Tu Weiming wurde in China geboren und hat in Taiwan studiert. Er ist Professor für chinesische Geschichte und Philosophie in Harvard und war bis 2008 Leiter des Yenching Institute. Der Dalai Lama hatte sich lange einen Vertreter Chinas bei den Dialogen gewünscht, weil er stets nach Möglichkeiten zur Überwindung der Grenzen sucht, die durch die chinesische Invasion in Tibet errichtet worden sind. Weiming spielte eine entscheidende Rolle bei der Überbrückung der Unterschiede zwischen der intellektuellen und spirituellen Kultur Asiens und des Westens.
Zu guter Letzt muss ich in meine Anmerkungen zu den Teilnehmern ein paar Worte über unsere beiden Dolmetscher, Thupten Jinpa und B. Alan Wallace, aufnehmen. Obwohl das Englisch des Dalai Lama recht gut ist, bat er doch bei der Behandlung schwieriger wissenschaftlicher und philosophischer Themen um eine Übersetzung ins Tibetische und aus dem Tibetischen. Aber Thupten Jinpa und Alan Wallace verfügen beide auch über eine profunde Ausbildung in Tibetischem Buddhismus (beide waren viele Jahre Mönch) und sind sehr bewandert in westlicher Philosophie. Alan Wallace hat mit mir in Amherst Physik studiert und dann in Stanford in Religionswissenschaften promoviert. Thupten Jinpa hatte bereits einen Abschluss als Geshe (das entspricht einer Promotion in Theologie), bevor er an die Universität Cambridge kam, wo er einen B.A. (mit Auszeichnung) erlangte und in Religionswissenschaften promovierte. Über das Übersetzen hinaus fungierten die beiden für den Dalai Lama oft als Berater bei der Entwicklung seiner eigenen Antworten auf wissenschaftliche Fragen. Man muss diese beiden Geisteswissenschaftler wirklich als vollwertige Teilnehmer betrachten, was unsere Gruppe zu einem Kreis von neun Menschen macht.
In unseren gesamten Gesprächen war stets aufrichtiger Respekt für die Ansichten des jeweils anderen zu spüren, was wiederum eine wunderbare Atmosphäre gemeinsamen Forschens schuf. Um den Tisch waren Vertreter aller Richtungen der physikalischen Wissenschaften des 20. Jahrhunderts und des Tibetischen Buddhismus sowie der Dalai Lama versammelt. Alles war vorbereitet für ein wunderbares Gespräch. Blieb nur noch anzufangen. Kein Buch kann der lebendigen menschlichen Dimension des Treffens gerecht werden, aber vielleicht kann man zwischen den Zeilen spüren, wie viel Leidenschaft und Staunen, wie viel Freundlichkeit und Gastfreundschaft in unserer gesamten Zeit herrschten. Es war der Oper, die ich bei meiner Ankunft gesehen hatte, nicht ganz unähnlich. Mit Mönchen in traditioneller Kleidung und Laborgeräten auf dem Tisch vor uns war der Schauplatz zugleich uralt und modern. Abwechselnd erfüllten Gelächter, Ernst und schwungvolle Debatten den Raum. Statt der Dorfbewohner und Kinder waren fünfzig geladene Gäste zugegen, alles ausgezeichnete Schüler entweder der Philosophie oder der Naturwissenschaften. Ich kann nicht versprechen, dass am Ende ein Regenbogen erscheint, aber vielleicht vermögen die Leserinnen und Leser in den vielfarbigen Strängen unserer breit gefächerten Überlegungen einen zu erkennen.
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EXPERIMENT UND PARADOXON IN DER QUANTENPHYSIK
Am ersten Tag unseres Treffens wurde der österreichische Experimentalphysiker Anton Zeilinger gebeten, den Dalai Lama in die Grundlagen der Quantenmechanik einzuführen. Zeilinger gehört weltweit zu den führenden Experten auf dem Gebiet der experimentellen Grundlagen der Quantenmechanik. Am bekanntesten ist er wahrscheinlich für seine bahnbrechenden Experimente zum Nachweis der Quanten-Teleportation oder der Übertragung einer exakten Replik eines beliebigen Quantenzustands an einen fernen Ort. Für seine Sitzung hatte Zeilinger ein stark verkleinertes komplexes Quantenexperiment mit nach Indien gebracht, mit dem er die zentralen Rätsel der Quantenmechanik demonstrieren konnte.
In kurzer Zeit führte Zeilinger den Dalai Lama in den Welle-Teilchen-Dualismus bei einzelnen Photonen, in das Konzept des objektiven Zufalls in der Quantenmechanik und in das profunde Rätsel der Nichtlokalität bei Zwei-Teilchen-Systemen ein. In jedem Fall versuchte Zeilinger so nahe wie möglich bei den Phänomenen der Quantenexperimente zu bleiben und bei seinen Versuchsanordnungen mit der geringstmöglichen Anzahl an Vorannahmen auszukommen. Dies ist der Kern seiner philosophischen Ansicht. Daher verwundert es nicht, dass sich die Rolle des Beobachters bei Experimenten und die Gefahren der Verwendung von Modellen zur Darstellung der Funktion von Quantensystemen als wichtige Themen unserer Gespräche erwiesen.
Damals arbeitete Zeilinger an der Universität in Innsbruck, das genau wie Dharamsala vor einer prächtigen Bergkulisse liegt. Wir versammelten uns um den langen niedrigen Tisch, und Zeilinger begann seinen morgendlichen Vortrag mit einer Wertschätzung der Aufgeschlossenheit des Dalai Lama für neues Wissen und mit einem Dia von den Tiroler Alpen.
ANTON ZEILINGER: Eure Heiligkeit, die Skepsis, von der Sie gesprochen haben, ist genau das, was uns in der Wissenschaft antreibt. Nur wenn man dem skeptisch gegenübersteht, was einem jemand sagt – egal, wie berühmt oder wichtig er ist – nur dann kann man etwas Neues lernen. Skepsis ist der einzige Weg zu neuer Erkenntnis.
Ich zeige dieses Bild von einem Berg, um uns unsere alltägliche Sicht der Dinge, wozu auch die Sicht der klassischen Physik gehört, vor Augen zu führen. Im Alltag zweifeln wir normalerweise nicht daran, dass die Berge da sind, auch wenn wir nicht hinschauen. Aus philosophischer Sicht kann man dies hinterfragen, aber in der klassischen Physik und im Alltagsleben ist der Berg da, auch wenn ich nicht hinsehe. In der Quantenphysik funktioniert diese Haltung nicht mehr. Im Laufe der nächsten Stunde möchte ich Ihnen einige Gründe dafür nennen, warum wir dies glauben. Dazu werde ich über die Natur des Lichts sprechen, denn Licht war bei der Entwicklung dieser Ideen eine treibende Kraft.