Inhalt

Die Bauern kämpfen auf verseuchten Böden, der Fluss nimmt die letzten Kiesel mit, die Wälder könnten wieder brennen, aber  zwei Frauen und ein Mädchen bleiben. Sie bewohnen nacheinander ein  kleines, abgelegenes Haus, das sie irgendwie alle anzieht, das sie alle lieben. Eigentlich sollte es leer stehen, weil das dortige Wasser krank macht und das Feuer mit Sicherheit wiederkommt

Sabine Schönfellner zeigt, wie verschiedene Lebensentwürfe mit der Klimakatastrophe konfrontiert werden. Eigeninteressen, Sentimentalitäten, Unwissen führen zu einer unsicheren  Gemengelage und schwierigen Entscheidungen. Leben verzahnt sich immer mit anderem Leben.

Gewinnerin beim OPEN CALL für Klimaprosa von mischen und mikrotext im Jahr des offenen Verlags.

Sabine Schönfellner

Herbstwespen

Erzählung

ein mikrotext

Erstellt mit Booktype

Cover: Inga Israel

Coverfoto: Elizabeth Lies / Unsplash

Covertypo: PTL Attention, Viktor Nübel

www.mikrotext.de 

978-3-948631-02-4

© mikrotext 2020, Berlin

Sabine Schönfellner

Herbstwespen

Erzählung

Herbstwespen

Sie findet das Haus, indem sie einer Ausfallstraße folgt und ein paar Mal rechts abbiegt. Sie schwitzt unter ihrer Windjacke, die Träger ihres Rucksacks drücken sich schwer in ihre Schultern. Zumindest auf Bücher und ein zweites Paar Schuhe hätte sie dieses Mal verzichten können.

An der langgezogenen Landstraße reihen sich Baumgruppen an Felder, werden zu Wäldchen, verlaufen sich wieder. Einzelne Häuser am Straßenrand, Wegweiser zu Dörfern, die zwei oder fünf Kilometer entfernt sind. Langsam dämmert es. Das Haus taucht hinter der nächsten Kurve auf, etwas abseits der Straße, nicht eingezäunt. Auf dem Schotterweg wuchert Unkraut zwischen den Steinen hervor. Die Veranda ist leer bis auf einen alten Fauteuil, die Haustür steht einen Spalt breit offen. Sie ruft mehrmals laut: „Hallo.“ Auf dem Geländer der Veranda liegen tote Wespen, die Körper zusammengekrümmt, die Beine nach oben gestreckt. Sie wischt sie ins Gras hinunter, stellt ihren Rucksack ab und setzt sich in den Fauteuil. Sie lauscht ins Haus hinein, ob nicht doch ein Knacken, ein Knistern zu hören ist, horcht zur Straße hin, ob vielleicht ein Auto näherkommt. Um sie herum wird es dunkel. Es kann gut sein, dass sie allein auf der Welt ist. Meist, wenn sie das denkt, hört sie ein Klopfen aus der Nachbarwohnung, ein Auto, das auf der Straße bremst, jemanden, der in der Wohnung unter ihr laut telefoniert. Hier kann es wirklich sein, dass sie allein ist, zumindest im Umkreis von ein paar Kilometern.

15 Jahre früher ist der Fauteuil noch neu und soll nicht auf der Veranda stehen bleiben. Die Möbelpacker haben ihn hier abgestellt und sind wieder gefahren, während Frau Rehberg noch überlegt, ob er im Geschäft auch so groß ausgesehen hat. Sie hat noch immer keine Möbel im Wohnzimmer. Der Umzug mit all ihren Büchern, Kleidern, ihren Sesseln und ihrem schweren Jugendstilschrank hat sie genug gekostet. Aber letzte Woche ist sie vor der Auslage mit dem dunkelgrünen Fauteuil stehengeblieben.

Sie schiebt ihn Richtung Eingangstür, die Veranda knarrt. Außer Atem setzt sie sich und sieht auf das hohe Gras, die letzten beiden Rosenbüsche vorne an der Straße sind schon verdorrt. Der Makler hat sie gewarnt, dass es schwierig werden könnte, hier einen schönen Blumengarten anzulegen, es sei zu trocken dafür. Sie hat nichts von einem Blumengarten erwähnt. Sie will die Birnen und Zwetschgen einsammeln, die im Garten hinten abfallen, wenn Wespen und Vögel nicht schneller sind als sie. Das Gras müsste sie bändigen. Sie bräuchte eine Sense und mehr Kraft. Vielleicht kommt Peter auf Besuch.

Am nächsten Morgen geht sie los, ohne zu wissen, wohin. Sonst bleibt sie meist auf den Wegen, die sie am Anfang einschlägt, und übersieht zu viel. Bei der letzten Wohnung hat sie den Weg am Kanal entlang zwei Straßen weiter erst beim Ausziehen entdeckt. Als sie noch bei ihrer Schwester wohnte, hat sie den Holzverschlag am Dachboden erst gefunden, nachdem ihre Schwester sie zum dritten Mal gefragt hatte, wie lange sie noch bleiben wolle. Nur zwei Mal ist sie auf den Dachboden gestiegen und hat im Verschlag gelesen, mit dem Wind im Rücken. Manchmal kommt es auch vor, dass sie sich gar nicht mehr aus einem Zimmer fortbewegt, wenn sie ihre Unterwäsche zum Trocknen aufgehängt hat und sich mit einem Buch unter einem Leintuch versteckt. In ihrem letzten Streit hat ihre Schwester ihr vorgeworfen, dass sie sich das Herumvagabundieren schönrede und durch das ständige Umziehen so tue, als könne sie ihren Problemen damit endlos aus dem Weg gehen. Sie meinte daraufhin, dass nicht alle ihre Probleme mit noch mehr Krempel überdecken könnten und auf den zweiten Kleiderständer neben dem Kasten ihrer Schwester gedeutet.

Schon nach wenigen Schritten hält sie hinter dem Haus kurz inne, unsicher, ob die Wiese noch dazu gehört. Sie findet einen Grenzstein im hüfthohen Gras, kann aber keine weiteren entdecken. Vor ihr liegt ein lichter Wald, dahinter muss der Fluss verlaufen, den sie nachts deutlicher hört. Erst als sie den Abhang hinabsteigt und sich dem Waldstück nähert, bemerkt sie die kahle, schwarze Fläche. Sie nähert sich langsam, es sieht so aus, als hätte der Brand plötzlich aufgehört, an einer scharfen Kante entlang wachsen Gräser, dahinter ist es schwarz. Sie zögert, auf die abgebrannte Fläche zu treten, Baumstümpfe und Steine sind zu erkennen, sonst nichts. Wie lange ist der Brand her? Keine Grashalme, keine Tierspuren, nur schwarze Asche. Sie geht bis zur Trennlinie, blieb im Gras stehen. Sie hat schon abgebrannte Waldhänge gesehen, Schneisen, die zwischen den Bäumen große Flächen aufreißen, bevor wieder neue Triebe aus dem Boden brechen. Aber hier erscheint ihr alles tot.