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Ijeoma Oluo

Schwarz sein
in einer rassistischen Welt

Warum ich darüber immer noch mit Weißen spreche

 

Aus dem amerikanischen Englisch
von Carolin Burmester

 

 

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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

 

 

Ijeoma Oluo

Schwarz sein in einer rassistischen Welt

Warum ich darüber immer noch mit Weißen spreche

Aus dem amerikanischen Englisch von Carolin Burmester

1. Auflage, Mai 2020

 

 

eBook UNRAST Verlag, Juni 2020

ISBN 978-3-95405-065-9

 

© UNRAST-Verlag, Münster 2019

www.unrast-verlag.de | kontakt@unrast-verlag.de

Mitglied in der assoziation Linker Verlage (aLiVe)

 

Titel der Originalausgabe:

Ijeoma Oluo: So you want to talk about race? © 2018 Ijeoma Oluo

Diese Ausgabe wurde veröffentlicht in Absprache mit Seal Press,

ein Imprint-Verlag von Perseus Books, LLC, einem Tochterunternehmen

der Hachette Book Group Inc., New York, New York, USA.

Alle Rechte vorbehalten.

 

 

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung

sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner

Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter

Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

Umschlag: David Hellgermann, Münster

Satz: Andreas Hollender, Köln

Inhalt

  Vorwort von Jana Pareigis
Einleitung So you want to talk about race?
Eins Geht es wirklich um race?
Zwei Was ist Rassismus?
Drei Was, wenn ich etwas Falsches über race sage?
Vier Warum wird mir immer gesagt, ich solle ›meine Privilegien überprüfen‹?
Fünf Was ist Intersektionalität und wozu brauche ich sie?
Sechs Hat Polizeigewalt wirklich etwas mit Rassismus zu tun?
Sieben Wie kann ich über positive Diskriminierung reden?
Acht Was ist die ›school-to-prison-pipeline‹?
Neun Warum darf ich das ›N-Wort‹ nicht sagen?
Zehn Was ist kulturelle Aneignung?
Elf Warum darf ich deine Haare nicht anfassen?
Zwölf Was sind Mikroaggressionen?
Dreizehn Wieso sind unsere Schüler*innen so wütend?
Vierzehn Was ist der Mythos der ›vorbildlichen Minderheit‹?
Fünfzehn Und wenn ich Al Sharpton hasse?
Sechzehn Ich wurde gerade als Rassist*in bezeichnet, was soll ich tun?
Siebzehn Reden ist großartig, aber was kann ich noch tun?
  Danksagungen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ijeoma Oluo, US-amerikanische Politikwissenschaftlerin, Autorin und Journalistin, wurde für ihre Arbeiten zu Rassismus, Intersektionalität und Feminismus unter anderem im The Guardian und im New York Magazine gefeiert. Sie gilt als eine der einflussreichsten Personen in ihrer Heimatstadt Seattle. Ihr Buch mit dem Originaltitel So you want to talk about race ist ein New York Times-Bestseller.

 

Jana Pareigis arbeitet als Journalistin und TV-Nachrichtenmoderatorin. Sie ist zudem Autorin und Regisseurin der Fernsehdokumentation »Afro.Deutschland«, in der es um die Erfahrungen Schwarzer Menschen in Deutschland mit Rassismus und Empowerment geht.

Vorwort

Das Herz schlägt schneller, das Blut beginnt zu gerinnen, das Stresshormon Cortisol wird ausgeschüttet: Mein Körper schaltet auf ›Fight-or-Flight‹-Modus. So reagiert er auf Rassismus. Für mich ist dieser Stress Alltag: Wenn ein Bekannter in einer Unterhaltung übers Zeichnen plötzlich sagt, dass es schwer sei, Schwarze Menschen zu malen, weil sie vom Aussehen Affen ähneln würden. Oder wenn der 7-jährige Sohn einer Freundin erzählt, dass er vom Nachbarsjungen gefragt wurde, ob sein Schwarzer Vater mit Besteck essen könne. Oder wenn auf der Straße eine fremde weiße Frau von mir wissen will, wo ich denn herkommen würde. Und nach der Antwort »aus Hamburg«, insistiert: »Nein, nein Sie wissen schon, wo kommen Sie wirklich her …?« Es sind Mikro-Aggressionen. Auch sie tragen dazu bei, dass bei Betroffenen das Risiko von Bluthochdruck und Folgeerkrankungen wie Herzinfarkten steigt. Mitunter sterben Menschen, die Diskriminierung erleben, Jahre früher. Rassismus tötet also auf viele Arten.

Es sind genau diese Mikro-Aggressionen, um die es sich viel in Schwarz sein in einer rassistischen Welt dreht. »Jeder Tag ist ein neuer kleiner Schmerz, eine neue kleine Entmenschlichung«, fasst es Ijeoma Oluo treffend zusammen. Punkt für Punkt nimmt sie gängige Vorurteile auseinander. Erklärt Weißen, die sich mit (ihrem) Rassismus auseinandersetzen wollen, wie er alle Lebensbereiche durchdringt. Und wie viel Betroffene auf sich nehmen: »Wenn wir uns entscheiden, über Rassismus zu sprechen, wissen wir, dass ein solches Gespräch tatsächlich unsere Freundschaften, unseren Ruf, unsere Karriere und sogar unser Leben beenden könnte.« Oluo nimmt Betroffenen also ab, selber erklären zu müssen, warum bestimmte Aussagen und Verhaltensweisen rassistisch und Ausdruck eines strukturellen, eines institutionellen Rassismus mit gravierenden Folgen sind. Sie richtet sich aber auch an Betroffene: beschreibt ihren persönlichen Umgang mit rassistischen Situationen, gibt Fakten für Diskussionen an die Hand. Am Ende geht es Ijeoma Oluo um eines: zu zeigen, wie jede*r einzelne Rassismus bekämpfen kann.

»›Race‹, meine ›race‹, ist eine der prägendsten Größen in meinem Leben«, schreibt Ijeoma Oluo gleich zu Beginn ihres Buches. Sie schreibt das über ihr Leben in den USA. Aber diese Erfahrung machen auch Schwarze Menschen in Deutschland. Denn trotz aller Unterschiede, über die Oluo in ihren Ausführungen über das US-amerikanische Konzept der Affirmative Action, also der positiven Diskriminierung, oder über die Masseninhaftierung von People of Color aufklärt, gibt es eine entscheidende Übereinstimmung zwischen den USA und Deutschland: und das ist der strukturelle, institutionelle Rassismus. Es ist ein perfides System, das immense Auswirkungen auf die Lebenschancen der Betroffenen hat.

Beispiele gibt es auch aus Deutschland zuhauf. Studien, die belegen, dass Schüler*innen aus Einwandererfamilien bei gleicher Leistung schlechter benotet werden, Lehrer*innen geringere Erwartungen an sie haben und die soziale Herkunft nach wie vor entscheidend für den Bildungserfolg ist, was besonders People of Color trifft. Außerhalb der Schule geht es weiter: wer einen türkisch klingenden Namen hat, wird auch bei gleichen Qualifikationen seltener zu Bewerbungsgesprächen eingeladen. Schwarze Menschen haben es schwerer, eine Wohnung zu finden. Opfer rechter Gewalt müssen nicht selten erleben, dass Ermittlungsbehörden ihnen nicht glauben, die Täter nicht ermittelt oder nur zu geringen Strafen verurteilt werden. Was sagt beispielsweise der Umgang mit den Gewalttaten der Neo-Nazi-Terrorgruppe NSU über Rassismus bei den Ermittlungsbehörden, bei den Medien und in der Gesellschaft aus? Hätten die Ermittlungsbehörden Betroffene und Angehörige der Mordopfer auch über Jahre schikaniert, drangsaliert und kriminalisiert, wenn die Mehrzahl der Verletzten und Toten nicht Migranten gewesen oder aus Einwandererfamilien gekommen wären? Hätten Medien der Mordserie auch einen diskriminierenden, entmenschlichenden Namen gegeben, wenn die Opfer keine Migrationserfahrung gehabt hätten? Wäre der gesellschaftliche Aufschrei über die Gewalttaten der Rechtsterroristen auch so leise gewesen, wenn die Mehrheitsbevölkerung betroffen gewesen wäre? Die Antworten auf diese Fragen zeigen, wie tief verankert und strukturell Rassismus ist.

Rassismus basiert auf Macht: »Rassismus ist jedes Vorurteil gegen jemanden aufgrund seiner*ihrer ›race‹, wenn diese Ansichten durch Machtsysteme verstärkt werden«, ist die Definition, die Oluo verwendet. In der Konsequenz bedeutet das: »Wenn ich eine weiße Person einen ›Cracker‹ nenne, ist das Schlimmste, was ich tun kann, ihm den Tag zu ruinieren. Wenn ein Weißer denkt, dass ich ein ›N*****‹ bin, ist das Schlimmste, was er tun kann, dass ich gefeuert, verhaftet oder sogar getötet werde, in einem System, das dasselbe denkt – und das über die Ressourcen verfügt, um das entsprechend umzusetzen.« Von Anbeginn erfüllt Rassismus vor allem auch ökonomische und politische Funktionen: Menschen wurden und werden klassifiziert und abgewertet, um ihre Ausbeutung, Unterdrückung und Ermordung zu rechtfertigen. Für die USA fasst Oluo das so zusammen: »Das System des Rassismus funktionierte in erster Linie als Rechtfertigung für den grausamen Akt der Sklaverei und den Völkermord an den Native Americans. (…) Später wurde die Funktion des Rassismus als Mittel zur Spaltung der unteren Klassen etwas umstrukturiert, immer noch mit dem ultimativen Ziel der wirtschaftlichen und politischen Vorherrschaft der weißen Eliten.«

Dass es keine menschlichen ›Rassen‹ gibt, ist vielfach wissenschaftlich nachgewiesen worden. Trotzdem hält sich dieses soziale Konstrukt hartnäckig und hat somit reale, schwerwiegende Folgen, wie auch dieses Buch eindringlich schildert. Wie also darüber sprechen? Ijeoma Oluo benutzt dazu im Englischen den Begriff ›race‹ und auch im Deutschen wird dieser englische Begriff häufig verwendet, denn er wird seit Langem gerade in den USA herangezogen im Kampf gegen Rassismus. Er weist darauf hin, dass ›Rassen‹ ein Phantasma des Rassismus sind und dieses Konstrukt de-konstruiert werden muss.

Bleibt am Ende diese Frage: Warum müssen wir über ›race‹ sprechen? Weil es eine Dringlichkeit gibt: »Systemischer Rassismus tötet uns«, klagt Ijeoma Oluo an. Und: weil wir was verändern können. Müssen! »Wie in aller Welt kann man erwarten, dass es uns gelingt, ein komplexes System abzubauen, das seit über vierhundert Jahren funktioniert? Meine Antwort ist: das geht nur Stück für Stück.«, so Oluo. Ein Schritt dahin: dieses Buch lesen.

 

Jana Pareigis

EINLEITUNG
So you want to talk about race?

Als Schwarze[1] Frau war race[2] immer ein prägender Bestandteil meines Lebens. Ich konnte mich nie der Tatsache entziehen, dass ich eine Schwarze Frau in einem weiß-dominierten Land bin. Mein Schwarzsein ist verwoben mit der Art und Weise, wie ich mich jeden Morgen kleide, in welchen Bars ich mich wohl fühle, welche Musik ich mag, in welchen Stadtvierteln ich rumhänge. Die Realitäten von race waren in meinem Leben nicht immer willkommen, aber sie waren immer da. Als ich ein kleines Kind war, waren es die ständigen Fragen, warum ich so dunkel bin, während meine Mutter so weiß ist – wurde ich adoptiert? Wo komme ich her? Als ich älter wurde, waren es die Kleider, die nicht für meine Körperform geschnitten waren, und die abfälligen Kommentare über meine Haare und Lippen und die Teenie-Idole, die ein Mädchen wie mich nie schön finden würden. Dann waren es die Mitarbeiter*innen, die mir in Geschäften hinterhergingen, und die Stellenangebote, in denen nach Mitarbeiter*innen gesucht wurde, bis ich durch die Tür kam. Dann wurde nicht mehr gesucht. Und es waren die Chef*innen, die mir sagten, ich wäre zu ›laut‹, die Vorwürfe, mein Haar sei für das Büro zu ›ethnisch‹[3], und die Frage, warum ich so viel weniger Geld verdiente als andere, weiße Mitarbeiter*innen, die den gleichen Job hatten, obwohl ich doch angeblich eine geschätzte Mitarbeiterin sei. Es sind die Polizist*innen, mit denen ich keinen Augenkontakt herstellen kann, die Ubers, die nicht anhalten und weiterfahren, wenn sie mich sehen. Als ich meine Söhne bekam, waren es die Annahmen, dass sie älter seien, als sie sind, und dass ihre Raufereien zu brutal seien. Es waren die Tränen, mit denen sie nach Hause kamen, wenn Klassenkamerad*innen einen ignoranten Kommentar ihrer Eltern wiederholt hatten.

Aber race bedeutet für mich auch unzählige Stunden, die wir damit verbracht haben, unsere Geschichte zu bewundern. Abende, an denen wir zu Jazz, Rap und R&B getanzt und gefeiert haben. Grillpartys mit Rippchen und Kartoffelsalat und Süßkartoffelkuchen. Frauenhände, die meine Haare geflochten haben. Es war die Magie, als ich die Worte von Toni Morrison, Maya Angelou und Alice Walker gelesen habe und wusste, dass sie für mich geschrieben wurden. Es waren Partys mit Jollof-Reis und Fufu und nigerianische Frauen, die paillettenbesetzte Kleider und riesige Tücher auf dem Kopf trugen. Es war das Nicken des Schwarzen Fremden, der vorbeikam und sagte: »Wir sehen uns, Schwester.« Es war der Stolz auf Malcolm, Martin, Rosa und Angela. Es war ein Raum erfüllt von dem hemmungslosesten Gelächter, das du je gehört hast. Es war die Berührung von meinem jungen Sohn, als er seine Hand auf meine legte und sagte: »Wir sind gleich Braun«.

Race, meine race, ist eine der prägendsten Größen in meinem Leben. Aber es ist nichts, worüber ich ständig gesprochen habe, schon gar nicht so, wie ich es jetzt tue.

Wie viele Menschen verbrachte ich die meiste Zeit meines Lebens damit, mich einfach über Wasser zu halten. Das Leben ist hart und voller Arbeit. Es gibt den Job und Kinder und Hausarbeit und Freunde. Wir verbringen viel Zeit damit, von einer Mini-Krise in die nächste zu schlittern. Ja, meine Tage waren genauso voller Mikroaggressionen, Schmerz und Unterdrückung durch Rassismus, wie sie es heute sind – aber ich musste einfach weitermachen. Es ist sehr schwer, als Woman of Color in dieser Welt zu überleben, und ich erinnere mich, dass ich einmal gesagt habe, wenn ich aufhören würde, den Schmerz des Rassismus, dem ich begegne, zu fühlen, wirklich zu fühlen, würde ich anfangen zu schreien, und ich würde nie wieder aufhören.

Also tat ich, was die meisten von uns tun: Ich versuchte das Beste daraus zu machen. Ich arbeitete 50 Prozent härter als meine weißen Kolleg*innen, ich blieb jeden Tag länger. Ich zog mich jeden Tag an, als hätte ich ein Vorstellungsgespräch. Ich war überfreundlich zu weißen Menschen, denen ich in der Öffentlichkeit begegnete. Ich lehnte mich nach hinten, um zu beweisen, dass ich nicht wütend war, dass ich keine Bedrohung war. Ich lachte rassistische Witze weg, als ob ich den Schmerz nicht spürte. Ich sagte mir, dass sich das alles eines Tages lohnen würde, dass eine erfolgreiche Schwarze Frau Revolution genug sei.

Aber als ich älter wurde, als die Erfolge, um die ich mich bemüht hatte, langsam Realität wurden, begann sich etwas in mir zu verändern. Ich versuchte, meine Stimme in Meetings leiser klingen zu lassen, aber das konnte ich nicht. Ich versuchte, über die rassistischen Witze zu lachen, aber das konnte ich nicht. Ich versuchte, die Gründe meines Chefs zu akzeptieren, warum ich zwar befördert wurde, aber keine Gehaltserhöhung erhielt, aber ich konnte es nicht. Und so ich fing an zu reden.

Ich fing an zu fragen, ich fing an, mich zu widersetzen, ich fing an zu fordern. Ich wollte wissen, warum es als eine schlechte Eigenschaft angesehen wurde, dass ich ›rechthaberisch‹ sei, ich wollte wissen, was genau an meinem Haar ›unprofessionell‹ sei, ich wollte wissen, was genau die Leute an diesem Witz ›lustig‹ fanden. Und als ich anfing zu reden, konnte ich nicht mehr aufhören.

Ich begann auch zu schreiben. Ich machte aus meinem Food-Blog einen ›Ich‹-Blog und fing an, all die Dinge zu sagen, von denen mir immer gesagt wurde, sie wären ›zu negativ‹, ›zu aggressiv‹ und ›zu konfrontativ‹. Ich fing an, meine Frustrationen und meinen Herzschmerz aufzuschreiben. Ich fing an, über meine Ängste um meine Community und meine Familie zu schreiben. Ich hatte begonnen, mich selbst zu sehen, und wenn du einmal anfängst, dich selbst zu sehen, kannst du nichts mehr vortäuschen.

Es ist nicht so gut gelaufen. Meine weißen Freund*innen, von denen ich einige seit der Highschool kannte (da ich in Seattle aufgewachsen bin, waren die meisten meiner Freund*innen weiß), waren mit meinem wahren Ich nicht zufrieden. Das war nicht der Deal, den sie abgeschlossen hatten. Ja, sie würden sich über die globale Erwärmung aufregen und über republikanische Schwindeleien, aber sie würden kein Wort über die rassistische Unterdrückung und Brutalität verlieren, mit der People of Color in diesem Land konfrontiert sind. »Das ist nicht mein Ding«, erklärten sie, als ich frustriert um einen Kommentar bettelte, »ich fühle mich nicht wirklich wohl damit«. Und als ich mich in meiner Stadt umsah und bemerkte, dass meine Nachbar*innen nicht wirklich meine Nachbar*innen waren, als ich bemerkte, dass meine Freund*innen mich nicht mehr ›lustig‹ fanden, begann ich, noch lauter zu rufen. Jemand musste mich hören. Es musste doch jemanden interessieren. Ich konnte nicht allein sein.

Wie bei einer Dialyse ging das Alte raus und das Neue kam herein. Plötzlich richteten sich Leute aus meiner Umgebung und aus dem ganzen Land an mich, persönlich und online, Leute, die ich noch nie getroffen hatte, nur um mir mitzuteilen, dass sie meinen Blogbeitrag gelesen und sich beim Lesen gehört gefühlt hatten. Dann begannen Online-Verlage mich zu kontaktieren und fragten, ob sie meine Arbeit neu veröffentlichen könnten. Und um mich herum begannen vereinzelte und unsichtbare People of Color Kontakt zu mir aufzunehmen, und zeigten mir so, dass ich doch Nachbar*innen hatte.

Zunächst sprach und schrieb ich für mein eigenes Überleben, nicht zum Wohle anderer. Dank der Macht und Freiheit des Internets konnten auch viele andere People of Color ihre Ansichten mitteilen. Wir konnten uns über Städte, Staaten und sogar Länder hinweg vernetzen, um zu teilen und zu bekräftigen, dass das, was wir erleben, wahr ist. Aber das Internet hat ein sehr breites Publikum, und obwohl wir für uns selbst geschrieben hatten, konnte die Macht des Schmerzes, der Wut, der Angst, des Stolzes und der Liebe unzähliger People of Color von den Weißen nicht unbemerkt bleiben – insbesondere nicht von denen, die sich wirklich für die Bekämpfung von Ungerechtigkeit einsetzen. Während einige sich entschieden hatten, sich abzuwenden, verärgert darüber, dass diese Unannehmlichkeit in ihre Welt der Katzenvideos und Babyfotos eingedrungen war, wuchs die Aufmerksamkeit anderer, die erkannten, dass ihnen etwas sehr Wichtiges entgangen war.

In den letzten Jahren wurden die Stimmen von People of Color lauter und die Verbreitung von Videobeweisen für die Brutalität und die Ungerechtigkeit gegen People of Color nahm zu, sodass die Brisanz des Rassismus in Amerika allen deutlich bewusst wurde. Rassismus ist nichts, was die Leute weiter ignorieren können. Einige von uns haben die ganze Zeit darüber gesprochen und wurden nicht gehört. Andere erheben ihre Stimme zum ersten Mal.

Dies sind sehr beängstigende Zeiten für viele Menschen, die gerade jetzt erkennen, dass Amerika nicht der utopische Schmelztiegel ist – und nie war –, von dem ihre Eltern und Lehrer*innen ihnen erzählt hatten. Dies sind sehr beängstigende Zeiten für diejenigen, die gerade jetzt erkennen, wie berechtigt es die ganze Zeit war, dass so viele People of Color verletzt, wütend und verängstigt waren. Dies sind sehr stressige Zeiten für People of Color, die gekämpft haben, versucht haben, sich Gehör zu verschaffen und sich vor einer Welt zu schützen, die sich darum nicht kümmert. Plötzlich werden sie von denen, die sie so lange ignoriert haben, gefragt: »Was hast du dein ganzes Leben lang erlebt? Kannst du es mir erklären?« Jetzt, wo wir alle an Bord sind, stellt sich die Frage: Wie beginnen wir diese Diskussion?

Zwischen unseren Erfahrungen und Sichtweisen tut sich nicht nur eine Schlucht auf. Der Grand Canyon ist eine Schlucht. Hier handelt es sich vielmehr um einen Abgrund, in den man ganze Sonnensysteme fallen lassen könnte. Aber egal wie gewaltig er ist, du bist hier, weil du zuhören willst und gehört werden willst. Du bist hier, weil du weißt, dass etwas nicht stimmt, und du eine Veränderung willst. Wir können den Weg zueinander finden. Wir können einen Weg zu unseren Wahrheiten finden. Ich habe es erlebt. Mein Leben ist ein Beweis dafür. Und alles beginnt mit einem Gespräch.

Sehr wahrscheinlich hast du, unabhängig von deiner Hautfarbe, in der Vergangenheit bereits versucht, diese Gespräche zu führen. Sehr wahrscheinlich ist auch, dass sie nicht gut verlaufen sind. Dass sie so sehr ›nicht gut‹ verlaufen sind, dass du vielleicht Angst hattest, diese Gespräche jemals wieder zu führen. Wenn dir das bekannt vorkommt, bist du nicht allein. Einer der Gründe, warum ich mich entschieden habe, dieses Buch zu schreiben, ist der, dass mir regelmäßig unterschiedlichste Leute Fragen stellen wie: »Wie spreche ich mit meiner Schwiegermutter über die rassistischen Witze, die sie macht?«, oder: »Ich wurde gerade beschuldigt, rassistisch zu sein, aber ich verstehe nicht, was ich falsch gemacht habe«, oder: »Ich weiß nicht, was Intersektionalität ist und ich habe Angst, das zuzugeben«. Die Leute schreiben mich in Online-Chats an und bitten mich, ihre Fragen nicht zu veröffentlichen. Manche erstellen ganz neue E-Mail-Konten, damit sie mir anonym eine E-Mail schicken können. Die Leute haben Angst davor, diese Gespräche falsch zu führen, aber sie versuchen es immer noch. Und das schätze ich sehr.

Diese Gespräche werden nicht einfach sein, aber sie werden mit der Zeit einfacher werden. Wir müssen uns in einen Prozess begeben, wenn wir Rassismus und rassistische Unterdrückung in unserer Gesellschaft zum Thema machen wollen. Auch dieses Buch ist vielleicht nicht einfach. Ich bin nicht dafür bekannt, Ohrfeigen zu verteilen, eher werde ich gelegentlich als lustig angesehen. Aber es war sehr schwer, in diesem Buch lustig zu sein. Es gibt echten Schmerz in unserem rassistisch repressiven System, Schmerz, den ich als Schwarze Frau empfinde und den ich nicht ignorieren konnte, als ich dieses Buch schrieb. Mir war nicht nach Lachen zumute. Dieses Buch zu schreiben, war anstrengend und herzzerreißend und ich habe versucht, das Thema immer wieder ein wenig aufzulockern, aber ich weiß, dass dieses Buch einige von euch bedrücken wird – sehr bedrücken wird. Viele Weiße werden in diesem Buch gewiss von Angesicht zu Angesicht mit Fragen zu Rassismus und Privilegien konfrontiert, die ihnen unangenehm sein werden. Viele People of Color wiederum werden in diesem Buch mit einigen der Traumata rund um Rassismus konfrontiert, mit Erfahrungen, die sie selbst gemacht haben. Aber es gibt keine einfache Lösung angesichts eines jahrhundertealten Systems der Unterdrückung und Brutalität und vielleicht sollten wir nicht nach einfachen Interpretationen suchen. Ich hoffe, dass, wenn Teile dieses Buches dir Unbehagen bereiten, du dieses Unbehagen eine Weile aushalten kannst, um zu sehen, ob es dir noch etwas anderes zu bieten hat.

Die meisten Kapitel in diesem Buch behandeln Fragen, die mir in meiner täglichen Arbeit am häufigsten gestellt werden. Einige behandeln Themen, zu denen ich gerne mehr Fragen erhalten würde. Aber es sind alles Themen, über die wir sprechen müssen. Ich hoffe, dass die hier bereitgestellten Informationen, auch wenn sie bei Weitem nicht vollständig sind, dabei helfen können, einen Ausgangspunkt zu finden, von dem aus Diskussionen mit weniger Angst geführt werden können.

Ja, der Rassismus und die rassistische Unterdrückung in Amerika sind schrecklich und angsteinflößend. Die Gefühle, die sie in uns hervorrufen, sind berechtigt. Aber sie sind auch überall, in jedem Winkel unseres Lebens. Wir müssen einen Teil dieser Angst loslassen. Wir müssen uns befähigen, dem Rassismus ins Auge zu blicken, wo immer wir ihm begegnen. Wenn wir den Rassismus weiterhin so behandeln, als wäre er ein riesiges Monster, das uns verfolgt, werden wir für immer davonlaufen. Aber Laufen hilft nicht, wenn er an unserem Arbeitsplatz, in unserer Regierung, in unseren Häusern und bei uns selbst ist.

Ich bin sehr froh, dass du hier bist. Ich bin sehr froh, dass du bereit bist, über Rassismus zu sprechen. Ich fühle mich geehrt, an diesem Gespräch mit dir teilzunehmen.

EINS
Geht es wirklich um race?

»Ich habe halt das Gefühl, dass wir schon viel weiter wären, wenn wir uns mehr auf Klasse als auf race fokussiert hätten.«

Ich sitze einem Freund gegenüber in einem Café in der Nähe meines Hauses. Er ist ein guter Freund – ein kluger, rücksichtsvoller und wohlmeinender Mensch. Ich genieße stets seine Gesellschaft und die Möglichkeit, mit jemandem zu sprechen, der sich auch für das Weltgeschehen interessiert. Aber ich bin müde. Ich bin müde, weil dies das Gespräch ist, das ich seit der Wahl 2016 führe. Und Liberale und Progressive haben sich bemüht herauszufinden, was schiefgelaufen ist. Was fehlte in der Botschaft der Linken, die so viele Menschen nicht davon überzeugen konnte, einen demokratischen Kandidaten zu unterstützen, insbesondere gegen Donald Trump? Bisher scheint eine große Gruppe von Menschen (meist weiße Männer, die dafür bezahlt werden, hochtrabend über Politik und aktuelle Ereignisse zu berichten) auf Folgendes gekommen zu sein: Wir, die breite und vielfältige Gruppe von Demokrat*innen, Sozialist*innen und Unabhängigen, die als ›die Linke‹ bekannt ist, konzentrierten uns zu sehr auf ›Identitätspolitik‹. Wir hätten uns zu sehr auf die Bedürfnisse von Schwarzen, trans* Personen, Frauen und Latinx[4] konzentriert. Dieser spezialisierte Fokus teile die Menschen und ließe die weißen Männer der Arbeiterklasse außen vor. So das Argument.

Das ist es, was ich und viele andere während der sehr langen Präsidentschaftskampagne gehört haben; während der letzten und während der davor. Das ist es, was jeder weiße Kerl in meinem Politikwissenschaftsstudium an der Uni zu sagen hatte.

Und obwohl ich müde bin, weil ich dieses Gespräch erst am Abend zuvor mit mehreren Menschen über mehrere Stunden geführt habe, führe ich es hier nun erneut und höre, was ich immer höre: Das Problem in der amerikanischen Gesellschaft ist nicht race – es ist Klasse.

»Selbstverständlich verbessert man, wenn man die Bedingungen für die Unterschicht verbessert, auch die Bedingungen für Minderheiten«, fügt mein Freund hinzu und sieht die Enttäuschung und Müdigkeit in meinem Gesicht. Aber ich werde weitermachen und dieses Gespräch führen, denn wenn ich es schaffe, auch nur einem gutmeinenden weißen Kerl näherzubringen, warum Klasse nicht durch race austauschbar ist, werde ich mich ein wenig besser fühlen, was unsere Kämpfe für Soziale Gerechtigkeit angeht.

»Wenn du das tun könntest, wenn du die Situation der Unterschicht verbessern könntest, wie würdest du das tun?«, frage ich.

Als er dann die Standardempfehlungen zur Stärkung der Gewerkschaften und zur Erhöhung der Mindestlöhne rezitiert, beschließe ich, auf den Punkt zu kommen: »Was glaubst du, warum Schwarze Menschen arm sind? Glaubst du, dass sie aus den gleichen Gründen arm sind, aus denen es weiße Menschen sind?«

An diesem Punkt entsteht eine kurze Gesprächspause. Ich sehe, wie mein Freund mich zuerst verwirrt ansieht und dann überlegt, wie er kontern könnte. Ich mache weiter, da ich nun schon so weit gegangen bin.

»Ich lebe in einer Welt, in der ich, wenn ich einen ›Schwarz klingenden Namen‹ habe, seltener zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werde. Werde ich gleichermaßen von der Erhöhung der Mindestlöhne profitieren, wenn ich nicht einmal einen Job bekomme?«

Mein Freund erinnert sich an diese Studie und räumt ein, dass die Diskriminierung, auf die ich mich beziehe, tatsächlich Realität ist.

»Falls ich einen guten Job bekomme und tue, was die Gesellschaft von mir erwartet – also spare und ein Haus kaufe –, werde ich dann gleichermaßen davon profitieren, obwohl die Tatsache, dass ich in einem ›Schwarzen Viertel‹ lebe, bedeutet, dass mein Haus viel weniger wert sein wird? Werde ich gleichermaßen davon profitieren, obwohl es doch viel wahrscheinlicher ist, dass ich bei meiner Bank höhere Hypothekenzinsen zahlen muss oder verbrecherische Kredite angeboten bekomme, deren Kosten nach ein paar Jahren in die Höhe schießen, sodass mein Haus zwangsvollstreckt wird und ich also mein Haus, mein Eigenkapital und meine Kredite verliere – wegen der Farbe meiner Haut?«

Ich bin jetzt auf einer Kaffee-und-Frustrations-Welle.

»Falls ich in die Lage versetzt werde, dass ich ein für eine*n ›durchschnittlichen‹ Amerikaner*in anständiges Gehalt bekomme, aber mein Sohn im Gefängnis eingesperrt ist, wie es jedem dritten Schwarzen Mann prognostiziert wird, ich also mit meinem mageren Gehalt meine Enkelkinder aufziehe, werden mich dann stärkere Gewerkschaften wirklich aus der Armut holen?«

»Falls ich suspendiert und der Schule verwiesen werde, weil meine Lehrer*innen mit großer Wahrscheinlichkeit schon seit der Vorschule dazu neigen, meine Kinderstreiche als gewalttätig und aggressiv auszulegen, wird mir dann eine Senkung der Studienkreditkosten helfen, obwohl ich doch schon vor dem Abschluss der Highschool schon aus dem Bildungswesen gedrängt wurde?«

Ich ereifere mich und rede jetzt schnell, um alles loszuwerden. Nicht, weil ich wütend bin, denn ich bin es wirklich nicht. Ich weiß, dass es nicht die Schuld meines Freundes ist, dass das, was er sagt, das vorherrschende Narrativ ist, und dass es als die verständnisvolle Erzählung angesehen wird.

Aber es ist eine Erzählung, die mir und vielen anderen People of Color sehr weh tut.

Mein Freund hält inne und sagt: »Nun, was sollen wir dann tun? Nichts? Können wir uns nicht zuerst auf das Eine konzentrieren, um alle mitzunehmen, und dann den Rassismus anzusprechen?«

Ich seufze und sage: »Das ist das Versprechen, das uns seit Jahrhunderten gegeben wurde. Das sind die Worte jeder Arbeiter*innenbewegung, die es geschafft hat, dem weißen Amerika so viel mehr zu helfen als allen anderen. Das sind die Worte, die ›alle nach vorne bringen‹, aber an genau der gleichen Stelle, mit genau der gleichen Hierarchie und genau den gleichen Unterdrückungen. Diese Worte sind der Grund, warum die Vermögenslücke zwischen Weißen und Schwarzen genauso groß ist wie damals, als Dr. King die Märsche anführte. Wir warten immer noch. Wir hoffen immer noch. Wir werden immer noch zurückgelassen.«

 

RASSISMUS, WIE WIR IHN IN DEN USA KENNEN, ist eng mit unserem Wirtschaftssystem verbunden. Das System des Rassismus funktionierte in erster Linie als Rechtfertigung für den grausamen Akt der Sklaverei und den Völkermord an den First Americans. Man kann anderen Menschen keine Ketten um den Hals legen oder sie im großen Stil abschlachten, während man gleichzeitig soziale Regeln beibehält, die eine solche Behandlung verbieten. Man muss diese Menschen zunächst zu etwas Niederem als Menschen erklären. Später wurde die Funktion des Rassismus als Mittel zur Spaltung der unteren Klassen etwas umstrukturiert, immer noch mit dem ultimativen Ziel der wirtschaftlichen und politischen Vorherrschaft der weißen Eliten. Es stimmt, was viele sagen, race ist ein soziales Konstrukt – und es gibt keinerlei wissenschaftliche Fundierung. Viele glauben, weil race durch unser Wirtschaftssystem geschaffen wurde – weil es eine Lüge ist, die zur Rechtfertigung von Verbrechen genutzt wird –, würde eine einseitige Verbesserung der Bedingungen für Unterschichten die wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten und den Rassismus beseitigen.

Geld ist auch ein soziales Konstrukt – eine Reihe von Regeln und Vereinbarungen, die wir getroffen haben, während wir so tun, als ob diese Papierfetzen unser ganzes Leben wert wären. Aber wir können nicht einfach aufhören, an Geld zu denken, und es verliert seine Macht. Es hat sich mit jedem Teil unseres Lebens verwoben. Es hat unsere Vergangenheit und unsere Zukunft geprägt. Es ist lebendig geworden.

Auch Rassismus ist lebendig geworden. Race wurde nicht nur geschaffen, um ein rassistisch ausbeuterisches Wirtschaftssystem zu rechtfertigen, sondern es wurde auch erfunden, um People of Color auf die unterste Ebene dieses Systems zu verbannen. Rassismus in Amerika existiert, um People of Color von Möglichkeiten und Fortschritt auszuschließen, sodass es mehr Gewinn für andere gibt, die als überlegen gelten. Dieser gewinnbringende Vorteil selbst ist das größte Versprechen für Menschen, die von der Gesellschaft nicht ›rassifiziert‹ werden – du wirst mehr bekommen, weil sie existieren, um weniger zu bekommen. Es ist ein langlebiges Versprechen und wenn es nicht direkt angegriffen wird, wird es alle Versuche, die Klasse als Ganzes anzusprechen, überdauern.

Dieses Versprechen – du wirst mehr bekommen, weil sie existieren, um weniger zu bekommen – ist mit unserer gesamten Gesellschaft verwoben. Unsere Politik, unser Bildungssystem, unsere Infrastruktur – überall dort, wo es eine begrenzte Menge an Macht, Einfluss, Sichtbarkeit, Reichtum oder Möglichkeiten gibt. Überall, wo jemand etwas verpassen könnte. Überall dort, wo es nicht genug geben könnte. Dort unterstützen die Verlockungen dieses Versprechens den Rassismus.

Weiße Vorherrschaft ist das älteste Pyramidenspiel dieser Nation. Selbst diejenigen, die bereits alles daran verloren haben, hängen immer noch darin fest und hoffen, ausgezahlt zu werden.

Und auch die Wahl unseres ersten Schwarzen Präsidenten hat den Reiz des Versprechens nicht gemindert: Die Menschen unterstützen weiterhin den Rassismus. Wenn überhaupt, dann hat die Wahl den Reiz noch verstärkt. Obamas Wahl war ein klares, unbestreitbares Zeichen, dass einige Schwarze mehr erreichen können. Aber welche Auswirkungen hatte das auf die Anteile aller anderen? Diejenigen, die stets offen oder unbewusst auf dieses Versprechen, dass sie mehr bekommen würden, weil andere weniger bekommen, vertraut hatten, fühlten sich auf eine Weise bedroht, die sie nicht in Worte fassen konnten. Plötzlich fühlte sich das nicht mehr an wie ›ihr Land‹. Plötzlich hatten sie nicht mehr das Gefühl, dass ›ihre Bedürfnisse‹ erfüllt werden. Doch abgesehen davon, dass ein Präsident einer anderen race gewählt worden war, abgesehen von diesem größtenteils symbolischen Wandel, hat sich nicht viel geändert. Das Versprechen des Rassismus hat nach wie vor Bestand: In fast jedem Bereich von gesellschaftspolitischer und wirtschaftlicher Bedeutung nimmt die Anzahl Schwarzer Menschen kontinuierlich ab.

Wir, die People of Color, sind natürlich nicht die einzigen Menschen, die weniger vom Kuchen bekommen, als ihnen zusteht. Auch ohne die Erfindung von race würde es nach wie vor Klassen geben und sie existieren auch in Ländern, in denen es keine ›rassifizierbaren‹ Gruppen gibt. Zudem ist unser Klassensystem repressiv und gewalttätig und schadet vielen Menschen unabhängig davon, welcher race sie zugeordnet werden. Diese Verhältnisse sollten angesprochen und niedergerissen werden. Aber ein Hammer wird nicht alle Wände gleichzeitig niederreißen. Was ein armes Kind in Appalachia[5] arm hält, ist nicht das, was ein armes Kind in Chicago arm hält – auch wenn die Folgen aus der Ferne gleich aussehen mögen. Und was eine Schwarze Frau ohne Behinderung arm hält, ist nicht das, was einen weißen Mann mit Behinderung arm hält, auch wenn die Folgen gleich aussehen mögen.

Selbst in unseren Klassenkämpfen und Arbeiter*innenbewegungen spricht das Versprechen, dass du mehr bekommen wirst, weil es andere gibt, die weniger zu bekommen, die Menschen an. Es sagt dir, dass du dich zuerst auf die Mehrheit konzentrieren sollst. Es sagt dir, dass die Probleme von People of Color oder Menschen mit Behinderung oder trans* Menschen oder Frauen spaltend sind. Das Versprechen, das den Rassismus am Leben erhält, sagt dir, dass du am meisten profitieren wirst und andere werden eventuell profitieren … ein wenig.

Es hat dich dazu gebracht, an die Trickle-down-Theorie[6] zu glauben.

Ja, es geht um Klasse – und um Geschlecht und Sexualität und Behinderung. Und es geht auch, fast immer, um race.

Das Reden über race ist in der heutigen Gesellschaft unvermeidlich, aber die Auseinandersetzung damit scheint oft nicht viel weiter zu führen als zu einem Streit darüber, ob race eine Rolle spielt oder nicht. Über race zu sprechen, kann sich wie eine schrecklich deprimierende Interpretation von »Wer ist zuerst dran?« anfühlen. Während einige argumentieren, dass das Thema Rassismus angegangen werden muss, argumentieren andere, dass es bei diesen Themen nicht um race geht. Und bei all der Frustration, die bei dem Versuch, festzustellen, ob es bei dem noch nicht geführten Gespräch überhaupt um race geht, entsteht, gibt jemand auf und geht weg und lässt das ursprüngliche Problem unberührt.

Im Alltag kann es schwierig sein, festzustellen, ob es bei einem Problem um Rassismus geht oder nicht – nicht nur für Weiße, sondern auch für People of Color. Selten gibt es nur einen einzigen Aspekt in oder Standpunkt zu einem ernsten Problem. Die Dinge sind nie klar und eindeutig. Und weil wir in einer Gesellschaft aufgewachsen sind, in der es sich nicht gehört, in der Öffentlichkeit über race zu sprechen, haben wir nicht viel Übung darin, über Rassismus zu reden. Und es ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich, über race zu sprechen, wenn wir uns nicht einmal darauf einigen können, dass es um race geht. Aber wir müssen irgendwo anfangen. Wenn du nach einem einfachen Weg suchst, um festzustellen, ob es um race geht, biete ich dir einige grundlegende Regeln. Und wenn ich grundlegend sage, meine ich grundlegend.

  1. Es geht um race, wenn eine Person of Color der Meinung ist, dass es um race geht.
  2. Es geht um race, wenn etwas People of Color unverhältnismäßig oder anders als andere trifft.
  3. Es geht um race, wenn der Sachverhalt in ein breiteres Muster von Ereignissen einordbar ist, die People of Color überproportional oder in anderer Form als alle anderen betreffen.

 

Betrachtet man nun diese kurze Liste, liegt es nahe, zu denken: Hey, das ist viel zu breit gefasst, fast alles kann unter diese Kategorien fallen! Und es ist wahr, fast alles kann unter diese Kategorien fallen. Warum? Weil race fast jeden Aspekt unseres Lebens beeinflusst. Lasst und etwas tiefer schauen.

 

Es geht um race, wenn eine Person of Color der Meinung ist, dass es um race geht.

Das mag zunächst so klingen, als würde ich dich bitten, einfach jedes Wort einer Person of Color für bare Münze zu nehmen, als ob sie unfehlbar wäre und außerstande zu lügen oder eine Situation falsch zu interpretieren. Aber der Punkt ist, ob jemand fehlbar ist oder nicht, ist nebensächlich. Wir sind, jede*r einzelne von uns, eine Sammlung unserer gelebten Erfahrungen. Unsere gelebten Erfahrungen prägen uns, wie wir mit der Welt umgehen und wie wir in der Welt leben. Und unsere Erfahrungen sind gültig. Weil wir die Welt nicht nur mit einem Teil von uns selbst erleben, können wir unsere rassifizierte Identität nicht vor der Tür stehen lassen. Wenn also eine Person of Color sagt, dass es um race geht, dann ist das so – denn unabhängig von den Details, unabhängig davon, ob man die Zusammenhänge von außen erkennen kann oder nicht, ist unsere rassifizierte Identität ein Teil von uns und interagiert mit der Situation. Achte darauf, wenn du eine weiße Person in dieser Situation bist. Denke nicht, dass, nur weil du dir deiner rassifizierten Identität zu dem Zeitpunkt nicht bewusst bist, race nicht trotzdem zu deiner Wahrnehmung dieser Situation beigetragen hat. Wir alle sind Produkte einer ›rassifizierten‹ Gesellschaft, und sie beeinflusst alles, was wir in unsere Interaktionen einbringen.

Dass etwas mit race zu tun hat, bedeutet nicht, dass es dabei nur um race geht. Wenn ich davon spreche, dass ich in einem Geschäft von einem weißen Angestellten verfolgt werde, geht es um race, denn unabhängig von der Absicht des Angestellten bringe ich meine gesamte Geschichte als Schwarze Frau mit, die ich routinemäßig vom Personal oder Sicherheitspersonal verfolgt werde, wenn ich in Geschäften einkaufe. Diese Verkäuferin selbst denkt vielleicht gar nicht an meine race, wenn sie mir folgt, sie ist vielleicht nur eine übereifrige Auszubildende, oder vielleicht verdächtigt sie jede*n des Diebstahls und folgt allen Kund*innen unabhängig vom Äußeren. Aber sie bringt trotz ihrer, möglicherweise unschuldigen, Absichten auch ihre weiße Identität in die Interaktion ein, als eine Person, die nicht regelmäßig vom Ladenpersonal verfolgt wird und daher nicht weiß, welche Auswirkungen es auf mich hat, wenn ich wieder einmal von einer weißen Angestellten in einem Geschäft verfolgt werde. Sie bringt ebenfalls race mit hinein, ob sie es weiß oder nicht. Aber auch wenn hier Rassismus eine Rolle spielt und die rassistischen Aspekte angesprochen werden sollten, so geht es doch gleichzeitig um das Thema Ausbildung – denn aggressives Verfolgen von Kund*innen jeder Herkunft und jedes Aussehens schadet dem Geschäft. All diese Dinge können eine Rolle spielen – und tun es auch.

 

Es geht um race, wenn etwas People of Color unverhältnismäßig oder anders als andere trifft.

Oftmals, wenn ich über Rassismus spreche, erhalte ich Nachrichten von Weißen, die mir sagen, dass es bei dem, wovon ich spreche, nicht um Rassismus gehe, weil auch sie als weiße Personen unter diesem Problem litten. Bei Armut könne es nicht um race gehen, da es arme Weiße gibt. Bei Inhaftierung könne es nicht um race gehen, da es inhaftierte Weiße gibt, und so weiter. Viele Weiße, die selbst oft unter den gleichen Qualen leiden wie viele People of Color, fühlen sich durch Diskussionen über rassistische Unterdrückung übersehen.

Im Gegensatz dazu erzählen mir häufig Weiße (oft die gleichen Weißen) von erfolgreichen Schwarzen, die offensichtlich die Theorie widerlegen, dass Notlagen mit race zu tun haben. Wie kann es bei Armut um race gehen, wenn es Oprah Winfrey gibt? Wie kann eine mangelnde Repräsentation in der Unterhaltungsindustrie bestehen, wenn Beyoncé alle Preise gewinnt? Abgesehen davon, dass die Erwähnung von People of Color – die eine Ausnahme von der Regel darstellt – die Behauptung der Ungleichheit nicht beeinträchtigt, sondern verstärkt (denn ganz ehrlich: Wir müssen nicht einige erfolgreiche Weiße nennen, um zu belegen, dass sie sich in der Gesellschaft vergleichsweise gut schlagen – es gibt so viele von ihnen, dass sie sich noch nicht einmal hervortun), sind diese Argumente eine ziemlich extreme Vereinfachung der Funktionsweise der rassistischen Unterdrückung.

Rassistische Unterdrückung ist eine breite und kumulative Kraft, sie ist kein System, das alles auf eine Karte setzt. Und rassistische Unterdrückung interagiert mit vielen anderen Privilegien und Nachteilen, um eine Vielzahl von Effekten zu erzeugen. Also ja, es kann einen Schwarzen Athleten geben, der im Gen-Lotto gewonnen hat und das mit einer übermenschlichen Menge Engagement kombiniert hat und man kann ihn dann mit viel Glück überhäufen und er wird sich in einen professionellen Superstar verwandeln, der zehn Millionen Dollar im Jahr verdient. Und ja, es kann einen weißen Mann geben, der in Reichtum geboren wurde, der alles, was er an der Börse gewonnen hatte, verliert und der auf der Straße lebt. Und es kann eine schöne weiße Frau geben, die mit Behinderungen geboren wurde, die ihr in einen deutlichen sozioökonomischen Nachteil einbrachten, und eine Schwarze Frau ohne Behinderungen, die sich den Weg in den Komfort der Mittelklasse bahnen konnte. Aber wenn wir alles zusammenrechnen, werden wir am Ende, meistens, messbar unterschiedliche Ergebnisse je nach race erhalten. Es gibt nur sehr wenige Härten da draußen, die nur People of Color und keine weißen Menschen treffen, aber es gibt eine Menge Umstände, die People of Color viel härter treffen als weiße Menschen.

Wie ich bereits sagte, nur weil es bei etwas um race geht, bedeutet das nicht, dass es nur darum geht. Das bedeutet auch, dass nur weil es bei etwas um race geht, weiße Menschen nicht ähnlich betroffen sein können. Und es bedeutet nicht, dass die Erfahrung von weißen Menschen, die negativ betroffen sind, ungültig gemacht wird, wenn anerkannt wird, dass People of Color überproportional betroffen sind. Benachteiligte weiße Menschen werden nicht durch Diskussionen über Benachteiligungen von People of Color ins Abseits gestellt, so wie ein Hirntumor nicht durch Gespräche über Brustkrebs irrelevant wird. Es handelt sich einfach um zwei verschiedene Probleme mit zwei verschiedenen Behandlungsweisen und sie erfordern zwei verschiedene Gespräche.

 

Es geht um race, wenn es in ein breiteres Muster von Ereignissen passt, die People of Color überproportional oder in anderer Form als alle anderen betreffen.

Als ich in einer übergriffigen Beziehung lebte, ging es nicht um einen einzelnen Vorfall. Es ging nicht um das eine Mal, als er mich dumm nannte, oder das nächste Mal, oder das nächste Mal. Es ging nicht darum, dass er unser Geschirr in den Müll warf, weil ihm nicht gefiel, wie ich es abgewaschen hatte. Es ging nicht darum, dass er sagte, er wolle nicht, dass meine Freunde vorbeikommen, weil er sich sicher war, dass sie dachten, sie seien besser als er. Es ging nicht darum, dass er stundenlang nicht mit mir sprach, weil ich versehentlich eine wichtige Nachricht auf dem Anrufbeantworter gelöscht hatte. Eigentlich ging es darum, aber es ging nicht nur um ein einzelnes Mal, es ging um alles zusammen. Ich versuchte, mit ihm darüber zu reden, es zur Sprache zu bringen. »Es ist nicht in Ordnung, mich dumm zu nennen«, sagte ich. »Also bin ich übergriffig, weil ich ein Mal die Beherrschung verloren habe?«, antworte er.