Die Steifmacherin

Seymour C. Tempest

1. Kapitel

Julia Brandtner wusste, was Männer brauchen.

Deshalb suchten Frauen wie Hannah H. sie seit Mitte der 2010er-Jahre regelmäßig auf. Vernachlässigte Hausfrauen, Ehefrauen … ältere Frauen, jüngere Frauen, die sich in ihrem Büro einfanden und ihr dort unter Tränen all ihr Liebesleid beichteten.

Die traurige Geschichte, die Hannah ihr anvertraute, war Julia so oder so ähnlich schon tausend Mal zu Ohren gekommen. Dennoch hörte sie sich geduldig alles an, nickte zwischendurch, machte sich einige Notizen und stellte auch mal eine Frage, um den verheulten Monolog ihrer Klientin zu unterbrechen.

„Ist da womöglich eine andere Frau im Spiel?” fragte sie beispielsweise. Und: „Er ist also kein typischer Schürzenjäger und ständig auf der Jagd nach anderen Rockzipfeln?”

Die Antwort war meistens ein entschiedenes „Nein”.

„In Ordnung”, sagte Julia Brandtner schließlich und reichte Hannah H. einen Zettel. „Dann haben wir einen Termin für Ihren Mann.”

Hannah H. kramte in ihrem Portemonnaie, denn Julia bestand auf Vorkasse. „Nur Bares ist Wahres.”

„Kriegen Sie ihn wieder hin?” murmelte Hannah und wischte sich die Tränen von den Wangen.

„Aber, ganz sicher, Frau H. Da machen Sie sich mal keine Sorgen”, erwiderte Julia und nahm dankend das Geld entgegen.

Je nach Härtefall berechnete sie für ihre Dienstleistungen 250 Euro, manchmal sogar 500 Euro, wie diesmal bei Frau Hannah H. „Ich habe schließlich einen Ruf zu verlieren”, fügte die Dame hinter dem Schreibpult hinzu und schenkte Hannah H. ein aufmunterndes Lächeln.

Hannah lächelte zurück und nickte, als sie sich erhob, freundlich zum Abschied grüßte und die besondere Adresse in der Bahnhofsallee verließ. Die Adresse selbst war zwar nicht unbedingt geheim — aber doch so etwas wie ein Geheimtipp, zu dem die Klienten hauptsächlich durch mündliche Weiterempfehlung fanden.

Nur hinter vorgehaltener Hand wurde darüber gesprochen.

So hatte auch Hannah H. irgendwann davon erfahren, dass es da in der Stadt eine ganz besondere Frau gab, die sich auf die schwerwiegenden Fälle spezialisiert hatte — und in ihrem Metier fast schon wahre Wunder vollbrachte.

Wie man ein Auto, das Zicken machte, in die Vertragswerkstatt brachte, so konnte man hier Männer wieder auf Touren bringen lassen, wenn mal etwas mit den edlen, dafür notwendigen Teilen nicht mehr ganz so rund lief wie erwünscht.

Das Besondere an dieser Adresse war, dass das Geschäftliche immer nur mit Frauen geregelt wurde. Männer kamen hier nur zu fest vereinbarten Terminen ins Haus. Termine, die ihre jeweiligen Frauen, Freundinnen, die Partnerin oder Verlobte vorher bezahlt und vereinbart hatten.

Und diese ganz besondere, einfühlsame, erfahrene Dame, die zahlreiche Ehen gerettet und das Liebesleben vieler Paare wieder mit ganz neuem Schwung erfüllt hatte, das war eben besagte Julia Brandtner.

In der Stadt besser bekannt unter ihrem inoffiziellen Spitznamen, den viele zufriedene Kundinnen und Kunden im Laufe der Zeit geprägt hatten:

2. Kapitel

Toms erste Reaktion war ein Wutausbruch gewesen.

„Ja, bist du denn noch ganz bei Trost?” hatte er Hannah angebrüllt, als sie ihm abends, nach dem Abendessen, den Terminzettel reichte und ihm gestand, was sie am Nachmittag buchstäblich angezettelt hatte …

„Wer kennt denn dieses Weibsstück überhaupt? Und du gehst einfach dahin, ohne das mit mir abzusprechen, und verkaufst mich da auch noch als Schlappschwanz? Habe ich das richtig verstanden? Dankeschön, Hannah! Vielen Dank! Genau das fehlte mir jetzt noch … ”

„Ich hab’ halt gedacht—” begann Hannah verzweifelt eine Rechtfertigung, aber Tom fuhr ihr gleich wieder über den Mund: „Gedacht, gedacht … wenn ich das schon höre! Dumme Kuh! Wer hat dir jemals was davon gesagt, dass du hier denken sollst?”