Die kleine Fee Lilja flatterte aufgeregt von einer Blume zur anderen. »Du bist leider zu klein«, sagte sie zum Gänseblümchen und streichelte ihm sanft über die Blütenblätter. »Und du bist ein bisschen zu zart«, sagte sie zum Stiefmütterchen. Dann flatterte sie um eine Rose herum. »Hm, du siehst zwar schön aus, aber du bist ein bisschen zu gefährlich mit deinen Dornen.«
»Was machst du denn da?«, wollte Liljas kleiner Bruder Junis wissen. Er schaukelte gerade in der Hängematte, die Papa ihm aus einem Blatt gebaut hatte.
Lilja strich sich eine rote Haarsträhne aus dem Gesicht. »Gleich kommen doch Violetta, Rosa und Flora zu meiner Pyjamaparty. Und dafür suche ich eine Blume, auf der wir nachher schlafen können.« Sie kicherte. »Ich kann sie ja nicht alle mit in meine Tulpe nehmen!«
»Ach so«, sagte Junis. »Hast du es schon mal dort oben probiert?« Er deutete mit dem Finger in den Himmel, wo sich eine große Sonnenblume hin und her bewegte.
»Dass ich darauf nicht selbst gekommen bin!«, meinte Lilja und gab Junis einen Kuss auf die Wange, den er sich blitzschnell wieder abwischte.
Lilja flatterte zur Sonnenblume und landete auf dem weichen Inneren der großen Blüte. Sie hüpfte ein paarmal auf und ab. »Perfekt«, rief sie.
»Na, da komme ich ja gerade richtig«, sagte Liljas Mama. Sie stellte einen Korb auf der Sonnenblume ab. »Hier ist ein kleines Picknick für euch.«
Nachdem Lilja und ihre Mama alles vorbereitet hatten, kamen auch schon Liljas Freundinnen angeflattert. »Hallo!«, riefen sie und landeten auf der Sonnenblume. Um sie herum wurde es langsam dunkel, und der Mond leuchtete am Himmel.
»Bevor es losgeht, müsst ihr euch aber eure Schlafanzüge anziehen«, sagte Lilja. »Oder eure Nachthemden. Sonst ist es ja keine richtige Pyjamaparty.« Sie strich über ihr dunkelblaues Nachthemd mit den silbernen Sternchen.
Flora kicherte und zeigte auf Violetta. »Du siehst ja lustig aus!«
Violetta trug einen viel zu großen Schlafanzug, auf dem lauter Regenwürmer abgebildet waren. »Der gehört eigentlich meinem Bruder«, sagte sie. »Meine sind alle in der Wäsche.«
»Mach dir nichts draus«, sagte Rosa und präsentierte ihr Nachthemd, das voller Löcher war. »Wir hatten letzte Nacht Besuch von den Motten.«
Die Feen setzten sich auf die Picknickdecke, tranken Waldmeisterschorle und aßen Himbeerpfannkuchen.
»Ich bin so vollgestopft, dass ich keinen Meter mehr fliegen kann«, sagte Violetta und rieb sich den Bauch.
»Nichts da«, rief Lilja und sprang auf. »Wir wollen doch noch einen Nachtflug machen! Schnappt euch eure Glühwürmchen, und los geht’s.« Lilja war ganz aufgeregt, denn normalerweise lag sie um diese Uhrzeit schon in der Tulpe und las im Schein ihres Glühwürmchens ein Buch.
»Wir dürfen aber nur über die Wiese fliegen«, erklärte sie. »Im Wald ist es zu gefährlich, hat Mama gesagt.«
»Ich finde die Wiese schon unheimlich genug«, meinte Rosa und war ganz blass im Gesicht.
»Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte Violetta. »Komm, nimm meine Hand.«
Lilja flatterte voran. Eigentlich kannte sie auf ihrer Blumenwiese jeden Stängel, doch im Dunkeln sah alles ganz anders aus.
»W-w-was bewegt sich d-d-denn da auf dem B-B-Blatt?«, fragte Rosa mit zitternder Stimme.
Lilja lachte. »Das ist Knut, die alte Grille«, rief sie. »Er zirpt jede Nacht ein Lied für uns. Damit wir besser einschlafen können.«
»Und da drüben?«, wollte Violetta wissen.
»Ach, das sind die verliebten Marienkäfer. Die sitzen jeden Abend Arm in Arm in Arm in Arm in Arm in Arm und gucken in die Sterne.«
Die Feen flogen weiter und hatten den Wald schon fast erreicht. »K-k-k-können wir j-j-jetzt endlich umdrehen?«, fragte Rosa ängstlich.
»Noch ein kleines Stück«, sagte Lilja. »Vielleicht sehen wir ja ein Tier im Wald. Ein Reh oder ein Eichhörnchen – das wäre doch spannend, findet ihr nicht?«
Die großen, dunklen Bäume kamen immer näher. Lilja hatte eine richtige Gänsehaut.
»Uahhhh«, brüllte es plötzlich von der Seite, und etwas Weißes schwebte drohend auf die Feenmädchen zu.
»Hilfe!«, kreischte Flora.
»Ein Gespenst!«, schrie Violetta.
Mutig hielt Lilja dem weißen Etwas ihr Glühwürmchen entgegen. Es sah wirklich aus wie ein Gespenst. War das vielleicht aus dem Wald gekommen? »Bitte tu uns nichts«, rief Lilja. »Wir fliegen nur ein bisschen in der Gegend herum.«
Plötzlich fing das Gespenst an zu kichern.
Und die Stimme kam Lilja ziemlich bekannt vor.
»Junis!«, schimpfte sie. »Was fällt dir ein, uns einen solchen Schrecken einzujagen!«
Sie flatterte zum kichernden Gespenst und zog ihm das weiße Tuch herunter. Und tatsächlich kam ihr kleiner frecher Bruder zum Vorschein.
»Ein bisschen gruseln soll man sich doch bei einem Nachtflug, oder nicht?«, fragte er grinsend.
»Das war ganz schön gemein von dir«, sagte Flora.
Jetzt kamen auch Liljas und Junis’ Eltern angeflogen. »Was ist denn das für ein Geschrei?«, schimpfte Mama. »Ihr weckt ja die ganze Nachbarschaft auf.«
Junis ließ die Flügel hängen. »Entschuldigung«, murmelte er.
Doch Lilja hatte eine Idee. »Ich weiß, wie du das wiedergutmachen kannst«, sagte sie. »Du bringst uns morgen ein superleckeres Frühstück auf die Sonnenblume. Mit Honiglutschern und Erdbeerspießchen. Einverstanden?«
»Na gut«, sagte Junis.
Dann flatterten die Feen zurück auf die Sonnenblume, kuschelten sich ganz eng zusammen und schliefen glücklich ein.
Vincent saß hinten im Auto und konnte es kaum erwarten, bis sie endlich da waren. Mama und Papa wollten heute nämlich ins Theater, und deshalb schlief er mit seiner Schwester Marlene bei Oma und Opa.
»Das wird toll!«, rief Vincent. »Opa hat mir versprochen, dass wir zusammen Fußball gucken.«
»Fußball ist blöd«, sagte Marlene missmutig. »Ich will nicht bei Oma und Opa schlafen. Ich will bei Mama bleiben.«
»Marlenchen«, sagte Mama. »Das geht aber nicht. Papa und ich möchten auch mal einen Abend zu zweit verbringen.« Sie deutete aus dem Fenster. »Schau mal, da vorne! Oma und Opa warten schon auf euch.«
Vincent winkte wie wild, und Opa winkte zurück. Als Papa anhielt, schnallte Vincent sich ab und stürmte aus dem Auto direkt in Opas Arme. Marlene trottete langsam hinterher.
»Was ist denn los?«, fragte Oma.
»Mama und Papa sollen nicht ins Theater gehen«, sagte Marlene weinerlich.
Oma stemmte die Hände in die Hüften. »Aber sehr wohl sollen die beiden das tun!«, rief sie. »Opa und ich haben uns nämlich etwas ganz Tolles ausgedacht. Da können wir keine Eltern gebrauchen.«
Marlene guckte sie verdutzt an. Dann grinste sie. »Was denn?«, wollte sie wissen.
»Das verrate ich erst, wenn die beiden verschwunden sind.«
»Tschüss!«, riefen Vincent und Marlene, und dann gingen sie mit Oma und Opa ins Haus.
Normalerweise hatte Oma immer schon das Abendbrot vorbereitet, aber heute war der Küchentisch leer. Auch der Fernseher war aus, dabei guckte Opa jeden Samstag Fußball.
»Tja, da staunt ihr wohl, was?«, sagte Opa mit einem Schmunzeln.
»Wir dachten uns, dass ihr heute Abend mal unsere Babysitter seid«, erklärte Oma. »Ihr dürft bestimmen, was wir machen, was wir essen und wann wir ins Bett gehen. Einverstanden?«
Vincent nickte aufgeregt. »Also, Opa und ich gucken erst mal Fußball«, sagte er, lief ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Er überlegte kurz. »Und dazu essen wir Chips. Ihr habt doch Chips, oder?«
»Na klar«, sagte Opa und holte eine Tüte aus dem Schrank.
»Und zum Abendbrot gibt es Pizza!«, rief Marlene. »Hilfst du mir mit dem Teig, Oma?«
Die beiden verschwanden in der Küche, während Vincent es sich in Opas großem Sessel gemütlich machte. Opa hatte sich auf Omas Sessel ausgestreckt. Sie sahen eine Weile Fußball, doch irgendwann wurde es Vincent zu langweilig. »Was machen wir jetzt?«, fragte er Opa.
»Das musst du sagen«, antwortete Opa. »Du bist doch heute der Babysitter.«
Vincent überlegte. »Okay, dann bauen wir eine Höhle. Und in der Höhle essen wir dann die Pizza.«
Opa stöhnte leise, doch Vincent begann gleich, den Sessel zu verrücken, und schleppte drei Stühle aus dem Esszimmer ins Wohnzimmer. Das war ganz schön anstrengend. »Du kannst schon mal eine Decke holen«, sagte er zu Opa. »Und ein paar Kissen, damit es schön gemütlich ist in der Höhle!«
Als die Höhle fertig war, gingen Vincent und Opa in die Küche.
Auf dem Tisch stand ein riesiges Blech mit dampfender Pizza. »Sieht die nicht lecker aus?«, fragte Marlene. »Mit extra viel Ananas. Und ganz dick Käse. Und den Tisch haben wir auch schon gedeckt.«
»Aber Opa und ich haben eine Höhle gebaut«, entgegnete Vincent. »Da essen wir heute Abendbrot!«
»Also, Karl-Heinz!«, sagte Oma vorwurfsvoll, doch Opa schnitt ihr das Wort ab: »Die Kinder bestimmen heute, was wir machen. Schon vergessen?« Er zwinkerte Vincent zu.
»Eine Höhle!«, rief Marlene begeistert. »Komm, Oma!«
»Meine schönen Kissen«, murmelte Oma leise, trotzdem verteilte sie die Pizza auf die Teller.
In der Höhle war es zwar ein bisschen eng, doch Vincent fand, dass die Pizza hier gleich doppelt so gut schmeckte. »Und was gibt’s zum Nachtisch?«, fragte er.
»Schokokekse!«, rief Marlene, kroch aus der Höhle und holte eine Packung aus Omas Vorratskammer. Die Krümel flogen kreuz und quer durch die Höhle und verteilten sich auf dem Teppich.
»Und wer räumt das alles wieder auf?«, erkundigte sich Oma.
»Die Babysitter natürlich«, sagte Opa.
Vincent verschluckte sich beinahe an seinem Keks. Daran hatte er noch gar nicht gedacht. »Müssen wir das wirklich alles aufräumen?«, fragte er. »Wir können doch unordentliche Babysitter sein! Babysitter, die ein richtiges Durcheinander hinterlassen.«
Oma lachte. »Opa und ich helfen euch, einverstanden?«
Zusammen räumten sie erst das Wohnzimmer und dann die Küche auf.
»Puh, Babysitter sein ist ganz schön anstrengend«, sagte Vincent und kuschelte sich zu Oma aufs Sofa. »Liest du uns jetzt was vor?«
»Ich dachte, ihr lest uns was vor«, erwiderte Opa. »Oder denkt euch eine Geschichte aus. Von unordentlichen Babysittern vielleicht.«
»Aber Oma kann das viel besser«, sagte Marlene bettelnd.
»Außerdem waren wir lange genug eure Babysitter«, meinte Vincent. »Jetzt könnt ihr wieder bestimmen.«
»Na dann: Schlafanzüge an und Zähne putzen«, sagte Oma. »Und danach lese ich euch etwas vor.«
Opa ließ sich wieder in seinen Sessel fallen. »Ihr habt das richtig gut gemacht«, sagte er. »So ein Höhlenpicknick veranstalten Oma und ich jetzt vielleicht öfter mal.«
»Also, Karl-Heinz!«, sagte Oma.
Opa lachte. »Natürlich nur, wenn unsere Babysitter zu Besuch sind.«
Jesper schlich durch das hohe Gras im Garten. Er suchte seinen Freund Ben, der sich irgendwo hinter den Büschen versteckt hatte. Plötzlich hörte er ein Rascheln. »Ben?«, fragte er. »Bist du dahinten?« Doch es war nur Jespers Henne Berta, die durch den Garten spazierte. Jesper lachte. »Hilf mir mal suchen, Berta.« Doch Berta gackerte nur einmal und pickte dann einen Regenwurm aus der Erde.
»Piep«, machte es bei den Brombeersträuchern.
»Ha, jetzt hab ich dich«, rief Jesper und rannte zu Ben.
»Ohne mein Piep hättest du mich im Leben nicht gefunden«, meinte Ben. Er pflückte ein paar Brombeeren und stopfte sie sich in den Mund. »Jetzt bist du wieder dran.«
Genau in diesem Moment kam Jespers Papa in den Garten. »Jungs, es ist schon spät«, sagte er und tippte auf seine Armbanduhr. »Ben muss nach Hause.«
»Ach, Mann«, sagte Jesper. »Wir wollen aber noch Verstecken spielen.«
»Ihr könnt euch doch morgen wieder treffen.«
Da hatte Jesper eine Idee. »Kann Ben nicht hier schlafen? Bitte!«
Papa überlegte kurz. »Warum eigentlich nicht? Ich rufe deine Mutter an, Ben, und frage, ob sie damit einverstanden ist.«
»Juhu«, rief Jesper und stieß Ben in die Seite. »Vielleicht können wir hier im Garten ein Picknick machen!«
»Oder zelten!«, schlug Ben vor.
Als Jespers Mama von der Arbeit kam, stürzten Jesper und Ben gleich auf sie zu. »Mama, Mama, baust du uns das Zelt auf?«, fragte Jesper. »Papa hat’s erlaubt und Bens Mama auch.«
Mama lachte. »Na, wenn die beiden das erlaubt haben, kann ich wohl nichts dagegen sagen.«
Jesper half Mama beim Entwirren der Schnüre und beim Sortieren der Heringe. Ben pumpte die Luftmatratzen auf, und Papa brachte Decken und Kissen aus dem Haus.
»Das ist richtig gemütlich«, stellte Jesper fest, nachdem sie das Zelt fertig eingerichtet hatten. Am Himmel leuchteten schon die ersten Sterne.
»Hier habt ihr Taschenlampen«, sagte Mama.
»Und einen Korb mit Verpflegung«, ergänzte Papa. »Wir lehnen die Terrassentür nur an und lassen das Licht im Wohnzimmer brennen. Wenn was ist, kommt einfach rein.«
»Wir haben aber keine Angst!«, sagte Jesper, obwohl ihm eigentlich schon ein kleines bisschen mulmig zumute war.